Karotten lieben Butter - Gunter Frank - E-Book
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Karotten lieben Butter E-Book

Gunter Frank

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Beschreibung

Was gutes Kochhandwerk mit gesundem Genuss zu tun hat

Die meisten von uns können kaum noch genießen. Selbst Gäste in Léa Linsters Sterne-Restaurant bringen inzwischen eine Portion schlechtes Gewissen mit zum festlichen Dinner. Muss das wirklich ein Widerspruch sein – Gesundheit und Genuss? In diesem außergewöhnlichen Text-Bildband trifft Kochkunst auf Ärztewissen und Ernährungsforschung. Die Spitzenköchin Léa Linster, der Arzt Gunter Frank und der Evolutionsbiologe Michael Wink haben einen mehrtägigen Selbstversuch unternommen. Sie haben eingekauft, gekocht, gegessen, diskutiert: Welche Art von Essen bereitet Genuss und ist trotzdem gesund? Oder gerade deswegen? Zwischen Wochenmarkt, Herd und gedeckter Tafel erfährt der Leser, warum uralte Kochtraditionen viel mit modernem Forschungswissen zu tun haben und echter Genuss immer auch gesund ist.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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MOBI

Seitenzahl: 367

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Zum Buch

Wir brauchen eine Renaissance der guten Küche

Salz, Fett, Zucker, Fleisch und Weißmehl gelten heute als ungesund. Selbst Gäste in Léa Linsters Sternerestaurant sind zunehmend verunsichert, ob sie klassisch gekochte Gerichte ohne Reue genießen dürfen. Gunter Frank, Allgemeinmediziner, und Michael Wink, Evolutionsbiologe, zeigen, wie Gesundheit und Kochwissen zusammenhängen. Und Léa Linster demonstriert, wie gute Küche dieses Wissen schon immer in ihren Zubereitungsformen anwendete. Zwischen Wochenmarkt, Herd und gedeckter Tafel erfahren Leser, warum Kochen eine kulturelle Errungenschaft der Menschheit ist, klassische Rezepturen die Bekömmlichkeit steigern und jede gelungene Mahlzeit ein Lächeln auf unsere Lippen zaubert.

Mit informativen Übersichtstabellen im Anhang!

Zu den Autoren

Gunter Frank ist seit zwanzig Jahren Allgemeinarzt mit eigener Praxis in Heidelberg und Autor mehrerer sehr erfolgreicher Bücher (Schlechte Medizin, Die Mañana-Kompetenz) sowie des Ernährungsklassikers Lizenz zum Essen.

Léa Linster kocht seit über 25 Jahren in ihrem Restaurant in Frisange/Luxemburg auf Sterne-Niveau. Mit ihren Kochbüchern und ihrer Autobiografie Mein Weg zu den Sternen erreicht die auch aus dem Fernsehen bekannte Spitzenköchin ein Millionenpublikum.

Michael Wink forscht und lehrt seit 1989 als Pharmazeutischer Biologe an der Universität Heidelberg. Er ist Direktor am Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie. Seine Handbücher über Heil-, Gift- und Rauschpflanzen sindStandardwerke in der Fachwelt.

Inhalt

Vorgeschichte

Empfang

Einkauf

Brot

Gemüse

Fleisch und Fett

Saucen und Brühen

Kräuter und Gewürze

Kochkunst

Wissenschaftliche Empfehlungen

Genuss statt schlechtes Gewissen

Schlussbetrachtung

Anhang

Wirkung von Inhaltsstoffen pflanzlicher Nahrung

Zusammensetzung und Energiegehalt von Nahrungsmitteln

Rezepte

Zum Weiterlesen und -kochen

Register

Vorgeschichte

»Aber Madame, auf einem schönen Teller schmeckt Ihnen mein Kuchen viel besser.«

Mit beiden Händen griff die Schauspielerin in den Schokoladenkuchen und stopfte sich die abgerissenen Stücke in den Mund. Sie hatte gerade durch eine Ernährungsumstellung zehn Kilo abgenommen. Es war kurz vor Weihnachten, wir waren alle zu Gast beim Nachtcafé des SWR, und das Thema lautete: »Hüftgold unterm Weihnachtsbaum – Schlemmen oder schlechtes Gewissen?« Wieder einmal ging es darum, ob genussvolles Essen Sünde sei und wir dadurch krank und dick werden. Die Schauspielerin beklagte den Magerwahn, der in ihrer Branche besonders ausgeprägt sei und der viel Disziplin und Ernährungskontrolle erfordere. Durch den spontanen und fast hilflos wirkenden Zugriff wollte sie uns demonstrieren, dass sie ihre Genussfähigkeit nicht verloren hatte und noch in der Lage ist, sich Leckeres zu erlauben.

Nun war besagter Schokoladenkuchen nicht irgendein Schokoladenkuchen, sondern ein Geschenk an die Talkrunde von Léa Linster aus Luxemburg, einer der besten Köchinnen auf diesem Planeten. Sie hatte den Kuchen nach dem Rezept ihrer Großmutter gebacken. Dass er aber so malträtiert wurde, damit hatte sie nicht gerechnet, und so sagte sie zu der Schauspielerin: »Aber Madame, ich besorge Ihnen gern einen schönen Teller mit einer Gabel, da schmeckt Ihnen mein Kuchen doch noch viel besser.«

Schokoladenkuchen

»Kinderleicht zu backen und absolut köstlich! Aber bitte dran denken: Die Butter muss weich sein.«

Für 12 Stücke

200 g Edelbitter-Schokolade (70 % Kakaoanteil)

6 Eier

250 g Zucker

125 g gemahlene Mandeln

250 g Butter

100 g Mehl

1 Prise Salz

Die feine Schokolade schmelze ich in einem nicht zu heißen Wasserbad. Ich trenne die Eier. Mit dem Handrührgerät schlage ich die Eigelb mit 200 Gramm vom Zucker cremig auf, bis sich der Zucker aufgelöst hat und die Masse hellgelb ist. Dann rühre ich nacheinander die geschmolzene Schokolade hinein, die gemahlenen Mandeln und die weiche Butter. Ist alles gut gemischt, hebe ich das gesiebte Mehl darunter.

Jetzt werden die Eiweiß mit einer kleinen Prise Salz und dem restlichen Zucker steifgeschlagen und untergehoben. Ich fülle den Teig in eine gebutterte und bemehlte Kuchenform (am liebsten eine Pie-Form aus Porzellan) von 26 bis 30 Zentimeter Durchmesser und lasse ihn – weil die Form dicker ist – 40 Minuten bei 170 Grad (Umluft 150 Grad, Gas Stufe 2–3) backen.

Ich lege meinen Schokoladenkuchen zum Abkühlen auf einen Rost und bestäube ihn vor dem Servieren mit dunklem Kakaopulver.

Tipp: Dazu mag ich halbsteif geschlagene Sahne, die ich mit etwas Ahornsirup süße.

Diese Geschichte drückt etwas aus, was mich schon seit Jahren umtreibt. Wir haben einen normalen, unschuldigen Umgang mit Essen verloren, ganz besonders dann, wenn es sich um Nahrungsmittel handelt, die wir mit Genuss und Geschmack verbinden. Immer müssen wir uns entschuldigen oder einen besonderen Grund dafür angeben, wenn wir es uns einmal so richtig gut gehen lassen wollen. Mein Name ist Gunter Frank, und ich bin Allgemeinarzt aus Heidelberg. In meiner Sprechstunde, aber auch bei Vorträgen, Seminaren und Diskussionsrunden stelle ich immer wieder fest, dass viele Menschen denken, gesundes Essen zeichne sich vor allem dadurch aus, dass es salz-, fleisch- und fettarm, zuckerfrei und vitaminreich ist, kaum sattmachen darf und eigentlich nicht richtig gut schmecken kann. Alles, was gut schmeckt, sei mehr oder weniger »Sünde«. Kein Wunder, denn dass der unbefangene Genuss angeblich schuld an Millionen ernährungsbedingten Erkrankungen sei, wird uns seit Jahren von Medizin und Ernährungswissenschaft vermittelt – und zwar schon im Kindergarten.

Essen verliert seine Unschuld

Sogar in Expertengremien, die sich um gesundes Schulessen kümmern, erlebe ich, dass allein die Feststellung, etwas würde Kindern besonders gut schmecken, als Argument ausreicht, dieses Nahrungsmittel als »ungesund« vom Speiseplan zu streichen. Beispiel: Pommes frites. Nachweise und Belege für die Schädlichkeit werden dann gar nicht mehr gefordert. Mir scheint inzwischen eine viel zu große Portion Moralität in die Vorstellung einer gesunden Ernährung hineingemischt worden zu sein. Nahrungsmittel und deren Zubereitung werden zuallererst in Kategorien wie Unschuld, Reue oder Sünde eingeteilt, und letztlich wird gar nicht mehr darüber nachgedacht, ob dies denn auch wirklich stimmt.

Doch selbst Spitzenköche stellen unter diesem Einfluss in ihren Kochbüchern und Fernsehsendungen Rezepte vor, die vor allem gesund sein sollen und ohne Reue verzehrt werden dürfen. Sie nehmen es dabei in Kauf, alte Herstellungstechniken aufzugeben und bewährte Rezepturen so zu verändern, dass sie zwar gesünder erscheinen, aber auch ihre ursprüngliche Qualität einbüßen.

So etwas würde Léa Linster niemals mitmachen. »Warum sollen Kinder keine Pommes frites essen dürfen? Sie müssen nur gut gemacht sein«, sagt sie. Für sie stehen handwerkliches Können beim Kochen und die Qualität der Lebensmittel an erster Stelle und sind nicht verhandelbar. Das Grundübel bei der Ernährung ist für Léa Linster »jedes Essen, das nicht gut genug ist, um dich glücklich zu machen, und nicht schlecht genug, um dich abzuhalten«. Das machte sie in dieser Talkshow unmissverständlich klar, und genau das imponierte mir schwer.

»Gutes Essen ist nur dann gut, wenn es dir guttut und ein bisschen glücklich macht.«

Seitdem verstehen wir uns prächtig. Wer einmal das Glück hatte, von Léa Linster in ihrem wunderschönen und sterneprämierten Restaurant bekocht zu werden, wird schwerlich auf die Idee kommen, dass an diesem Essen irgendetwas ungesund sein könnte. Das gilt für ihr preisgekröntes Sechs-Gänge-Menü, mit dem sie den Bocuse d’Or gewonnen hat, die Weltmeisterschaft der Köche. Das gilt für einen Salat, den sie zwischendurch auf die Schnelle aus Roter Bete und Eiern zaubert, und dessen Zutaten sie vorher auf dem Markt von Thionville ausgewählt hat. Und das gilt genauso für ihre wunderbaren Madeleines, die sie nicht nur zum Espresso in ihrem Restaurant in Frisange, sondern auch in ihrem kleinen Café im Herzen der Stadt Luxemburg anbietet und nach denen man schlicht süchtig wird. Nichts davon macht krank oder dick, man fühlt sich einfach nur angenehm gesättigt, liebevoll verwöhnt und rundum wohl.

Aus gutem Grund. In den letzten 20 Jahren behandelte ich in meiner Sprechstunde unzählige Menschen mit Verdauungsbeschwerden. Es fällt auf, dass dies meist Menschen betrifft, die denken, sich besonders gesund ernährt zu haben, während es denjenigen, die sich eher traditionell ernähren, deutlich besser geht.

Heute bin ich sicher: Diese überbordenden gesundheitlichen Probleme mit Nahrungsmitteln haben einen einzigen Grund – den immer größer werdenden Mangel an ordentlich verarbeitetem und handwerklich korrekt hergestelltem Essen. Einem Essen, welches von guten Köchen aus einfachen Grundzutaten mit solidem handwerklichem Können so zubereitet wird, dass es uns während und nach dem Verzehr ein wohliges Bauchgefühl bereitet und manchmal sogar ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

Lagen unsere Vorfahren wirklich falsch?

Doch anstatt Tradition und altes Wissen wertzuschätzen und Menschen, die dies noch praktizieren, den Rücken zu stärken, empfiehlt die Ernährungswissenschaft die Abkehr von bewährten Rezepturen. Die moderne Lebensmittelindustrie mit ihren Fertiggerichten, künstlichen Geschmacksverstärkern und modernen Convenience-Produkten tut ihr Übriges, um das bewährte Zusammenspiel der Originalzutaten in traditionellen Gerichten, das sich in der Menschheitsgeschichte über zig Generationen hinweg entwickelt hat, innerhalb nur weniger Jahre erheblich zu verändern. Dies irritiert nicht nur Profis, sondern auch unzählige Menschen, die zu Hause für sich und ihre Familien ein gutes und gesundes Essen zubereiten wollen und dabei Orientierung suchen. Und so kommt es, dass einerseits ein wohltuendes, qualitativ hochwertiges Essen immer seltener in Restaurants, Kantinen und in Privathaushalten zu finden ist, andererseits nachdrücklich behauptet wird, dass diese Entwicklung gesund sei.

Es scheint gerade so, als würden Tradition und Genuss nicht mit Wissenschaft und Gesundheit zusammenpassen. Wirklich? Genau wie Léa Linster kann ich das nicht hinnehmen. Als naturwissenschaftlich ausgebildeter Arzt weiß ich, wir hätten die letzten 100000 Jahre Entwicklung als Homo sapiens nicht überstanden, wenn unser Appetit tatsächlich so unvernünftig wäre, dass er uns konsequent zu schädlichen Nahrungsmitteln führen würde. Das Gegenteil ist der Fall: Unsere Vorfahren haben über unzählige Generationen hinweg festgestellt, dass das, was schmeckt, auch gut bekömmlich ist. Und wenn etwas nicht schmeckte, bedeutete dies meist, dass es nach dem Verzehr zu Schwierigkeiten führte. Und weil beides, guter Geschmack und Bekömmlichkeit, seit Urzeiten das Ziel guter Nahrungsherstellung war, zentriert sich all dieses Wissen bei den Meistern der Kochkunst.

Die Idee

Und wer könnte Kochkunst besser repräsentieren als Léa Linster. Nach der Talkshow kommen wir in ein langes Gespräch. Sie hat das kleine Café ihrer Eltern in Frisange, einem Örtchen im Süden von Luxemburg, zum Pilgerort für Essensliebhaber aus aller Welt gemacht. Auch dort beobachtet sie, dass sich immer wieder Gäste, statt mit großer Vorfreude auf die kommenden Gaumenfreuden, mit diffusen Essensängsten bei ihr zu Tisch setzen. Sie möchte wissen: »Was kann ich diesen Menschen sagen, warum sie mein Essen nicht krankmacht, sie es vielmehr genießen können und es ihnen guttut?«

Gemeinsam überlegen wir, was wir gegen diese seltsamen Ernährungsmissverständnisse, die uns zunehmend die Freude am Genuss nehmen, unternehmen könnten. Und dabei entwickeln wir eine Idee. Wir sollten unser Wissen und unsere Erfahrung zusammenzutun, um eine gute Antwort auf diese Fragen zu finden. Aber einer fehlt noch im Bunde.

Léa Linster und ich sind in erster Linie Praktiker, sie Köchin, ich Hausarzt. Wir sehen, was die Folgen sind bei dem, was wir tun. Léa Linster, ob es ihren Gästen nach dem Essen gut geht und sie wiederkommen, und ich, ob es meinen Patienten nach meinen ärztlichen Empfehlungen tatsächlich besser geht oder nicht. Und da wir beide die Erfahrung machen, dass die aktuellen Empfehlungen der Ernährungswissenschaft so gar nicht zu unseren Erfahrungen passen, brauchen wir jemanden, der uns diesen Widerspruch genau erklären kann. Einen Wissenschaftler, der sich seit Jahren mit der Frage befasst, warum Menschen essen, wie sie essen, und der seine Erkenntnisse nicht aus einer Weltanschauung heraus, sondern auf dem Boden echter naturwissenschaftlicher Experimente und Forschungen aufbaut. Jemanden, der sich in dem, was gute Wissenschaft zum Thema Ernährung wirklich weiß, sehr gut auskennt. Und ich kenne dafür die Idealbesetzung.

Das Trio wird komplett

Der Evolutionsbiologe Michael Wink ist Professor für Pharmazeutische Biologie und Direktor am Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie der Universität Heidelberg. Sein ganzes Forscherleben beschäftigt er sich mit Inhaltstoffen, insbesondere von Pflanzen, und wie Menschen in verschiedensten Kulturen sie für die Ernährung und Heilung nutzen. Seine Bücher zu Heil- und Giftpflanzen sind wissenschaftliche Standardwerke und haben mir die Augen geöffnet für mein Verständnis, wie und warum Menschen bestimmte Dinge essen und andere besser nicht. Seitdem suche ich immer wieder seinen Rat und weiß, dass seine Forschungsergebnisse ideal zu den praktischen Kenntnissen des Kochhandwerks passen. Nur ist das bisher nur sehr wenigen aufgefallen, und es wird Zeit, dies zu ändern.

Deshalb werden wir einen Selbstversuch wagen. Wir bringen unsere ganz unterschiedlichen Disziplinen zusammen, um herauszufinden, was wir gemeinsam haben und wie sich dadurch das heutige Verständnis für eine gute Ernährung verbessern lässt. Ich weiß, dass Professor Wink an dieser Idee Freude haben wird. Auch Léa Linster ist begeistert. »Kommt doch einen ganzen Tag zu mir, dann werden wir gemeinsam einkaufen, kochen, zusammen essen und dabei der Sache einmal richtig auf den Grund gehen. Denn nichts finde ich so inspirierend, wie gemeinsam etwas Gutes zum Essen zuzubereiten.«

Wir werden uns also zu dritt auf Entdeckungsreise zu den Grundlagen des gesunden Genusses machen. Die Köchin ist dabei zuständig für den Gaumen, der Arzt für Magen und Darm und der Professor für den Zusammenhang zwischen beidem.

Und Sie, liebe Leserinnen und Leser, möchten wir auf diese Reise mitnehmen. Dazu werde ich die Ergebnisse unseres Selbstversuchs protokollieren und auf den folgenden Seiten zusammenfassen, garniert mit Originalzitaten und praktischen Umsetzungsempfehlungen in Form von Léa-Linster-Rezepturen für den Alltag und den Festschmaus. Es wird intensiv, überraschend und sehr aufschlussreich werden, dessen bin ich mir sicher. Und am Ende werden wir alle wissen, warum Gesundheit und Genuss bestens zusammenpassen. Oder wie Léa Linster sagen würde, warum eine Kalorie, die kein Glück produziert, sinnlos ist.

Empfang

Die erste Regel der guten Küche: Traditionelle Kochverfahren wertschätzen und auf ihnen aufbauen.

Nach einer verregneten Fahrt erreichen wir das Städtchen Frisange in Luxemburg. Die Hauptstraße führt uns direkt zum Restaurant Léa Linster, wo wir mit der Chefin verabredet sind. Professor Wink habe ich drei Stunden zuvor in seinem Institut an der Universität Heidelberg abgeholt. Angekommen, können wir schon vom Parkplatz aus einen Blick in das moderne Foyer werfen und sehen erfreut, dass dort ein schön gedeckter Tisch mit Weinkühler und Getränken auf uns wartet – und dazu ein ganzer Teller mit frischgebackenen Madeleines.

»Herzlich willkommen. Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, lieber Herr Professor, und bin froh, dass ich dabei sein darf und das Kochen vertrete.«

»Die Ehre ist ganz meinerseits, aber darf ich vorschlagen, dass Sie mich alle bitte Michael nennen?«

»Aber sehr gern, ich bin die Léa.«

Zur Begrüßung schenkt uns Léa gleich ein Glas Crémant aus ihrem eigenen Anbau ein und bietet die Madeleines an. »Merkt ihr, wie gut sie duften? Sie bestehen ja lediglich aus Eiweiß, Mandeln, Zucker, Butter und ein wenig Mehl. Was meint ihr, ist da etwas drin, was ungesund ist?«

Wie kann etwas so Leckeres, nach allen Regeln der Kunst Zubereitetes ungesund sein? Michael interessiert sich besonders dafür, woher der wunderbare, karamellige Geschmack kommt. Léa erklärt den Trick: »Ich backe sie bei höherer Temperatur an, dann bleiben sie innen saftig und weich. Das kannst du auch gut fühlen.«

Léas Madeleines

»Es gibt Leute, die sagen, meine seien die besten der Welt. Ich will das gern glauben. Der Teig muss über Nacht im Kühlschrank ruhen!«

Für 40–50 Stück

250 g Butter

8–9 Eiweiß (250 g)

250 g Puderzucker

75 g Mehl

100 g geschälte Mandeln, fein gemahlen

außerdem:

etwas Butter zum Einfetten der Backform

Ich erhitze die Butter, bis sie eine goldbraune Farbe und einen nussartigen Geschmack angenommen hat (Nussbutter). Sofort vom Herd nehmen, den entstandenen Schaum etwas abschöpfen und die heiße Butter durch ein feines Sieb in eine kleine Schüssel gießen. Lauwarm abkühlen lassen.

Inzwischen schlage ich das Eiweiß steif. Ich gebe den Puderzucker und das Mehl durch ein Haarsieb und vermische alles mit den fein gemahlenen Mandeln. Dieser Mix wird unter den Eischnee gehoben und gut vermischt. Dann rühre ich die flüssige Nussbutter darunter und lasse den Teig bedeckt über Nacht im Kühlschrank ruhen.

Zum Backen heize ich den Ofen auf 200 Grad (Umluft 180 Grad, Gas Stufe 2–3) vor. Die Madeleineformen fette ich dünn mit weicher Butter ein und fülle den Teig mit einem Löffel hinein. Das braucht ein bisschen Fingerspitzengefühl, denn der Teig darf beim Heißwerden nicht überlaufen, und wenn es zu wenig Teig ist, bekommen meine Madeleines ihre typische Beule nicht. Am besten klappt es, wenn man die Förmchen zu zwei Dritteln füllt.

Die Madeleines backen erst drei Minuten bei 200 Grad, dann schalte ich die Temperatur auf 180 Grad herunter und backe sie in etwa vier bis fünf Minuten fertig. Wenn sie dann noch nicht ihre schöne goldbraune Farbe haben, geben Sie einfach noch ein paar Minuten dazu. Ich lasse die Madeleines kurz abkühlen, löse sie aus den Formen und lasse sie auf Kuchengittern abkühlen. Voilà!

Tipps: Der Teig hält sich gut verschlossen im Kühlschrank bis zu einer Woche. Und zum Backen sind beschichtete Madeleine-Formen ideal.

»Léa, man fühlt sich sofort wunderbar wohl, wenn man bei dir ankommt.« Das muss ich einfach loswerden.

Léa lächelt. »Ich habe den Tisch am Fenster so gedeckt, dass Ihr ihn schon beim Hereinkommen seht. So merkt Ihr gleich, dass Ihr willkommen seid. Ich sage immer, man soll seine Gäste mit einer privaten Spezialität empfangen, sodass sie wissen, worauf sie sich freuen dürfen. Finden sie einen solch speziellen Willkommensgruß gleich zu Beginn vor, fühlen sie sich wohl und geliebt. Und das ist mir sehr wichtig, nicht nur im Privaten, sondern auch im Restaurant.«

Alltags- und Spitzengastronomie

Mich interessiert, wie Léa den Unterschied zwischen Alltagsküche und Spitzengastronomie beschreiben würde. »Weißt du, Gunter, das ist ganz einfach. In der Alltagsküche geht es darum, die Leute einfach froh und satt zu machen. Es geht nicht darum, aufwendig zu kochen; aber mit Liebe sollte das Essen schon zubereitet werden, das ist das Wichtigste.« Léa hat oft erlebt, dass Leute sagen, wir würden Sie gern einmal privat einladen, Frau Linster, aber wir genieren uns. »Dann sag ich, das finde ich witzig, warum geniert ihr euch? Ich liebe Suppen! Wenn ihr mir eine Suppe serviert, ein gutes Brot und Butter, bin ich die Allerglücklichste. Und wenn Ihr noch einen Tick draufsetzen wollt, backt Ihr einen Kuchen. Dann bin ich happy. Ihr braucht mir nicht zu zeigen, dass Ihr ein achtgängiges Überraschungsmenü kochen und mit mir konkurrieren könnt. Ich finde es immer besser, wenn man die ganz persönliche Spezialität serviert bekommt, gerade auch dann, wenn es sich um etwas Einfaches handelt. Vielleicht kann einer einen deftigen Linseneintopf kochen oder eine andere macht eine tolle Lasagne, ganz wunderbar! Das gilt für mich übrigens auch in der normalen Gastronomie, bei der ich mich gerne auf die Spezialität des Hauses freuen möchte.«

Was für sie der Unterschied zur Spitzengastronomie ist, kann Léa ebenso klar benennen. »Die denkt viel intensiver über die einzelnen Sachen nach. Das ist im Prinzip alles. Nehmen wir zum Beispiel ein Vanilleeis. Als Spitzenkoch denkst du darüber nach, ob du noch mehr Vanille bei weniger Zucker verwenden sollst, bis zu dem Peak, ab dem es nicht mehr schmeckt. Oder man geht sogar über diesen Peak hinaus, um den Vanillegeschmack dann wieder über Zucker einzufangen.

Das ist wie bei einem guten Parfum: Da musst du immer eine sehr starke Missnote reinmischen. Dann übertünchst du das mit Sachen, die gut riechen. Auf diesem Weg bekommst du ein ganz individuelles Profil, und das bringt Tiefe in dein Parfum. Sonst würde es vielleicht nur oberflächlich blumig duften, und das war’s.

Ähnlich funktioniert das in der Spitzengastronomie auch. Du hast ein Rezept im Kopf und überlegst dir dann, wie du das besser machen kannst, was du verfeinern kannst, welchen Geschmack du intensivieren möchtest. Du machst dir wirklich Gedanken darum.«

Léa formuliert es auch vom Standpunkt des Gastes aus: »Wenn ich zu einem großen Koch essen gehe, möchte ich natürlich auch sehen und schmecken, was seine ganz individuelle Interpretation eines Gerichtes ist. Und zwar alles, was dazugehört. Wie dekoriert er sein Haus? Wie serviert er den Champagner? Welches Besteck hat er, Silber oder nicht? Wie geht er mit Zutaten um, gibt’s da mehr vegetarisch, mehr Fisch, mehr Huhn? Bei solch einem Restaurantbesuch möchte ich mich überraschen lassen. Ähnlich einem Lied, von dem es viele Interpretationen gibt, von der dir eine besonders gut gefällt. Oft ist es das Original. Aber manchmal ist es erst eine Coverversion, die ein unscheinbares Lied Jahre später zum Hit macht.«

Das Beste ist nicht immer das Aufwendigste – oder Sterne sind nicht alles

Michael fragt Léa, was es für sie persönlich bedeutet, einen Stern im berühmten Restaurantführer Guide Michelin zu haben. »Es stimmt, ich habe seit über 30 Jahren einen Stern. Damit spiele ich für mich in der richtigen Liga und bin noch frei genug, um mein eigenes Haus so zu gestalten, wie es mir gefällt. Diese Freiheit genieße ich. Als junge Köchin hatte ich durchaus Ambitionen, einen zweiten Stern zu erkochen. Doch das wäre auch mit Einschränkungen verbunden gewesen. Beispielsweise wird in der Welt der Michelin-Sterne Medienpräsenz nicht geschätzt, Fernsehen war ein No-Go. Aber gerade diese Präsenz führte zu der fantastischen Resonanz meiner vielen deutschen Gäste, und das ist für mich ein ganz großes Glück.«

Michael möchte noch etwas wissen. »Spielt es eine Rolle für Gäste, die in ein Sternerestaurant gehen, ob es ein, zwei oder drei Sterne hat?«

»Die Sterne wurden ja als Orientierung für Gäste entwickelt, die viel unterwegs sind. Für die ausgewiesenen Genießer darunter spielt der Preis keine Rolle, sie suchen dann auch explizit drei Sterne. Diese Klientel gibt es, aber es sind nicht sehr viele Leute, denn das muss man ja bezahlen können und vor allem wollen.

Das ist auch so ein Problem der Köche, die unbedingt drei Sterne anstreben: Was nützen dir die Sterne, wenn das Restaurant zu selten ausgebucht ist? Und neben dem Michelin gibt es ja auch noch den Gault Millau oder die Rangliste der World’s Best 50 Restaurants von San Pellegrino – und jeder will dazugehören.

Aber wenn mich einer fragt, was ist das beste Restaurant, dann sage ich: eines in Timbuktu, aber niemand kennt es. Es ist wirklich eine komplizierte Frage, Frank Elstner wollte einmal von mir wissen, wen ich für den besten Chefkoch halte. Da hab ich geantwortet, wenn wir am Verhungern wären, ist es der nächste, den wir sehen, das kann auch ein Streetfood-Koch in Bangkok sein oder ein Pizzabäcker in Taormina. Es hängt doch von so vielem ab.«

Das sehe ich als Arzt genauso, denn was hilft es, einem Kranken ein tolles, kompliziertes Menü zu servieren, wenn er eine Hühnerbrühe braucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Das ist wie in der Medizin. Manchmal hilft es dem Patienten viel mehr, ein nebenwirkungsreiches Medikament einfach abzusetzen, statt eine komplizierte Operation durchzuführen, um die Folgen der Nebenwirkungen zu beseitigen. Manchmal ist eben das Einfache das Beste. Auch wenn es dafür keinen Nobelpreis und keinen Stern gibt.

Innovation sollte Sinn haben

Während in der Alltagsküche die handwerklich korrekte und verlässliche Zubereitung im Vordergrund steht, sind Neugierde und Innovationen in der Spitzengastronomie das Salz in der Suppe. Michael macht sich darüber Gedanken, wie weit solche Innovationen gehen sollten. Léa liebt es, Neues auszuprobieren und auf den Tellern fantasievoll anzurichten. Aber es muss Sinn haben. Sich verbissen darauf zu konzentrieren, wie man nun ein Tetragon aus Marzipan in welchem Winkel aufs Dessert legt, ist ihre Sache nicht. Das sei genauso sinnlos wie eine sich innovativ gebende Architektur, bei der vergessen wird, wo die Heizung oder genügend Schränke hinpassen.

Innovatives in der Küche darf das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren. Für Léa muss einfach die Basis stimmen: Wer in einem Sternelokal gegessen hat, möchte glücklich vom Tisch aufstehen, wohlig gesättigt, ohne sich schwer zu fühlen und ohne Stunden später Magen- oder Darmbeschwerden zu bekommen.

Innovation nur um der Innovation willen, um im Wettbewerb der Spitzenköche glänzen zu können, findet Léa Linster nicht gut. »Wenn du das aber aussprichst, giltst du als altmodisch. Nehmen wir zum Beispiel Juan Mari Arzak, einer der ersten Drei-Sterne-Köche in Spanien, der mit klassischen Rezepturen weltberühmt wurde. Nachdem seine Tochter die Molekularküche in seinem Restaurant einführte, hat er sich dieser neuen Art zu kochen geöffnet. Ihm habe ich gesagt, dass dieses ganze Brimborium nicht mein Ding ist. Kochen wie Prinzesschen, um mit Pipetten Gäste zu füttern, da fühle ich mich doch ein bisschen wie im Zirkus, mit Stickstoff und Rauch, der künstlich riecht und grünlich funkelt, wenn die Lichter ausgemacht werden.

Als ich ihm ein Jahr später zusammen mit Anne-Sophie Pic, der berühmten französischen Drei-Sterne-Köchin, nochmals darlegte, dass wir seine Molekularküche nicht besonders mögen, wurde er sehr ungehalten. Da sagte ich ihm: Mein Hirn versteht das wohl, was Sie wollen, aber wie erkläre ich es meinem Gaumen?«

Gutes Essen ist keine Frage der Mode

Léa spielt auf etwas an, das in Ernährungsdiskussionen häufig zu kurz kommt. Man kann vielleicht mit einem Modetrend oder einer neuen Gesetzgebung alles Dagewesene auf den Kopf stellen. Die Grundlagen guter Ernährung lassen sich jedoch nicht einfach durch eine neue Idee ändern. Denn wenn wir über Ernährung sprechen, dann reden wir über biologische Zusammenhänge, die auf jahrtausendealten, sehr komplexen Wechselwirkungen zwischen lebenden Organismen beruhen. Hier gelten uralte evolutionäre Grundregeln, wie Nahrung beschaffen sein muss, um unseren Körper möglichst ungefährlich mit Energie zu versorgen. Denn letztendlich ist die ausreichende Versorgung mit Energie lebensnotwendig.

Diese Regeln sind auch dann wirksam, wenn man versucht, sie zu ignorieren. Die Molekularküche möchte auf rein physikalisch-chemischer Grundlage, durch Techniken, die mehr an ein Labor als an eine Küche erinnern, Nahrungsmittel in ihrer grundsätzlichen Struktur so verändern, dass daraus etwas völlig Neues, nie Dagewesenes entsteht. Zum Beispiel Kaviar aus Melonen oder warmes »Eis«, das paradoxerweise erst dann schmilzt, wenn es im Mund abkühlt. Das kann überraschen und auch sehr spannend sein. Auch die Lebensmittelindustrie produziert schon lange für den Massenmarkt hochtechnisierte Fertiggerichte, die mit der herkömmlichen Struktur von traditionellen Lebensmitteln kaum mehr etwas zu tun haben, außer dass sie deren Namen tragen. Ob aber Molekularküche aus teuren Grundzutaten oder billige Fertigprodukten aus Sojapampe – von völlig neuartigen Nahrungsmitteln, die ohne jede traditionelle Grundlage hergestellt werden, sollte man eines ganz sicher nicht erwarten: dass sie ihren biologischen Sinn genauso gut erfüllen wie klassische Rezepturen, die perfekt gemäß den Möglichkeiten unseres Verdauungsapparates über zig Generationen hinweg entwickelt wurden.

Im Bauch gibt es keinen Glühdraht

Nur ein kleines Beispiel dafür, wieso die Rechnung ohne die Biologie, in Form unseres Verdauungsapparates, nicht aufgeht: Jeder spricht von Kalorien, aber wie wird eine Kalorie gemessen? Dazu wird das zu messende Nahrungsmittel in eine Stahlkammer gesteckt und dort mithilfe eines Glühdrahtes verbrannt. Die dabei frei werdende Energie erwärmt ein Wasserbad und daraus wird der Wärmegrad, die Kalorie, gemessen. Die Werte, die auf diese Weise für beliebte Nahrungsmittel gemessen werden, können Sie einer Tabelle im Anhang entnehmen.

Doch obwohl diese Kalorienwerte objektiv gemessen wurden, sind sie bei Ernährungsvorgaben nicht als absolut zu nehmen. Denn wer kennt einen Chirurgen, der in einem menschlichen Darm jemals einen Glühdraht gefunden hat? Wir haben keine Stahlkammer im Körper und gewinnen auf völlig andere Art Energie aus Nahrungsmitteln.

Entscheidend ist nämlich nicht, was man in einem Nahrungsmittel messen kann, sondern was davon in unseren Körperzellen ankommt und was nicht. Und genau dazwischen steht unser Verdauungsapparat. Wenn wir also über Ernährung sprechen, sollten wir zunächst wissen, was er leisten kann und was nicht. Und die Beantwortung dieser Frage führt uns sehr weit zurück in die menschliche Vorgeschichte.

Vom Ausprobieren zu Traditionen

Ein großer Vorteil unseres Projektes ist, dass wir mit Michael einen Evolutionsbiologen an Bord haben. Ihn können wir direkt fragen, wie man sich die Entstehung der klassischen Küche vorstellen sollte. Und Michael lässt sich dazu nicht zweimal bitten. Er erklärt uns, dass ganz am Anfang die Menschen nicht wussten, worauf sie bei der Nahrungswahl achten sollten. Sie mussten deshalb alles Mögliche ausprobieren. Keine ungefährliche Angelegenheit, denn Tiere genau wie Pflanzen wollen prinzipiell nicht gefressen werden. Tiere wehren sich durch Flucht, Pflanzen vor allem mit giftigen Abwehrstoffen.

An diese Situation mussten sich alle anpassen. Jagende Fleischfresser durch Schnelligkeit und Reißzähne. Pflanzenfresser durch die Entwicklung eines leistungsfähigen Verdauungsapparates, der Abwehrstoffe teilweise unschädlich machen kann. Pflanzen reagierten darauf mit noch raffinierteren Abwehrstrategien, und Pflanzenfresser mit noch größerer Entgiftungsleistung. Wir werden in diesem Buch noch ausführlich darauf eingehen, was sich die Natur bei diesem Hin und Her alles einfallen ließ.

»Die Krone der Pflanzenfresser gebührt heute den Wiederkäuern. 60 Meter Darm und vier Mägen sorgen dafür, dass die Kuh nicht nur den Verzehr von purem Gras überlebt, sondern daraus auch alles, was sie zum Leben braucht, produzieren kann.

Im Pansenmagen züchtet die Kuh sogar Bakterien, Pilze und Einzeller, die Gras als Eiweiß- und Kohlenhydratquelle nutzen und die außerdem helfen, die pflanzlichen Gifte und unverdauliche Zellulose abzubauen. Die Kuh nutzt wiederum die Mikroben als Eiweiß- und Kohlenhydratquelle. Deshalb benötigt eine Kuh auch kein Fleisch in der Nahrung. Und dazu schenkt sie uns noch viele Liter Milch.«

Ein großes Gehirn ist energiehungrig

Eine Kuh kann mithilfe ihres riesigen Verdauungsapparates erstens die Abwehrstoffe von Gräsern und Kräutern unschädlich machen und zweitens allein daraus alles herstellen, was ihr Organismus benötigt. Doch weil diese Verdauung aufwendig und Gras nicht besonders energiereich ist, macht die Kuh den ganzen Tag nichts anderes, als zu fressen und zu verdauen.

Der Homo sapiens und die Frühmenschen gingen einen anderen Weg. Am Beginn der Menschheitsentwicklung vor ca. zwei Millionen Jahren begann sich der Verdauungsapparat zu verkleinern, während sich das Gehirn vergrößerte. Kein anderes Lebewesen hat ein Gehirn mit über 100 Milliarden Neuronen, die ein extrem leistungsfähiges neuronales Netzwerk aufbauen. Aber dieser Supercomputer ist ausgesprochen energiehungrig.

Vor allem der Dickdarm schrumpfte, und das hatte Folgen. Während in Mund und Magen die Speisen mechanisch und chemisch in ihre kleinsten Bestandteile zerlegt werden, erfolgt im Dünndarm der größte Teil der Verdauung. Die aus der Nahrung freigesetzten Bestandteile wie Aminosäuren, Fette und Zucker werden möglichst schnell durch die Darmwand aufgenommen; alles schwer Verdauliche rutscht zügig in den Dickdarm. Dort werden mithilfe unzähliger Bakterien, unserer Darmflora, die verbleibenden, schwer zugänglichen Nahrungsstoffe erschlossen und die dazugehörigen Abwehrstoffe eliminiert. Und genau diese Fähigkeit hat der moderne Mensch zum Teil verloren, weil sein Dickdarm im Vergleich zu den Menschenaffen deutlich an Länge verloren hat.

Auf die Frage nach dem Warum hat die Anthropologie, die wissenschaftliche Menschenkunde, eine Antwort parat. Das Gehirn ist das Körperorgan mit dem höchsten Energiebedarf. Infolge seiner zunehmenden Leistungsfähigkeit konnte es sich der Mensch nicht mehr leisten, so viel Energie in die Entgiftung und Verdauung von Nahrungsmitteln zu stecken. Deshalb musste der Energieverbrauch durch Verkleinerung des dafür zuständigen Darmbereichs zurückgefahren werden.

Ernährung war anstrengend und gefährlich

Durch die eingeschränkte Verdauungsleistung entstand für den Homo sapiens jedoch ein großes Problem. Viele Pflanzen, wie beispielsweise Blätter, Disteln oder Nesseln, von denen Gorillas bis zu 30 Kilo am Tag problemlos fressen können, führten bei ihm zu Bauchschmerzen, Vergiftungserscheinungen und sogar Todesfällen. Er musste Wege finden, die fehlende Verdauungsleistung zu kompensieren. Und weil er dazu fantasiereich und reflektiert vorgehen musste, kam ihm sein leistungsfähigeres Gehirn zugute.

Anfangs jedoch war es ziemlich anstrengend, an energiereiche Nahrung heranzukommen, denn die meisten Pflanzen sind entweder zu giftig oder als Nahrungspflanzen ungeeignet. Fleischliche Nahrung musste aufwendig gejagt werden. Da sich unser energiehungriges Gehirn nicht mit Blattsalat abspeisen lässt, mussten essbare, energiehaltige Nahrungsmittel gefunden werden. Doch diese Suche war schwierig und gefährlich. Michael erklärt, wie die frühen Menschen dabei vorgingen: »Man hatte kein Labor und kein naturwissenschaftliches Wissen, aber man hat sehen können, welche Auswirkungen potenzielle Nahrungsmittel (Pflanzen, Pilze, Insekten, Meeresfrüchte und andere Tiere) auf die Esser hatten. Dabei ging man nach dem Trial-and-error-Prinzip vor. War ein Nahrungsmittel bekömmlich, hat man es beibehalten und verfeinert. Führte es zu unangenehmen Folgen, hat man es verworfen. Von den über 300000 Pflanzenarten auf unserem Planeten haben nur wenige Hundert Arten ihren Weg auf unseren Essteller gefunden. Man kann es gar nicht oft genug sagen: In dieser frühen Erprobungsphase sind durchaus Menschen zu Schaden gekommen oder gar gestorben.«

Ich denke, also koch ich

Irgendwann fanden Menschen heraus, dass die Behandlung von Nahrungsmitteln ihre Verträglichkeit steigern kann – mahlen, trocknen, gären, schälen, einweichen. Die Beherrschung des Feuers führte zur Entdeckung des Kochens, einem Meilenstein in der Menschheitsgeschichte, denn durch Erhitzen werden etliche Pflanzengifte unschädlich und Nährstoffe in Pflanzen und tierischen Geweben der Verdauung zugänglich gemacht.

Aber es dauerte, bis sich ein sicheres Wissen herausgebildet hatte, welche Nahrungsmittel man wie zubereiten musste, damit sie gefahrlos verzehrt werden konnten. Alles ging durch diesen Filter des Ausprobierens. Am Ende fanden die Menschen jedoch heraus, welche von den vielen Tausenden Pflanzen für unsere Ernährung taugen, wie wir sie verarbeiten müssen und darüber hinaus, wie wir von weiteren positiven Wirkungen profitieren können, zum Beispiel in Form von Heilkräutern.

Dieses Wissen wurde traditionell an die nächste Generation weitergegeben. Und zwar intuitiv und rein pragmatisch, der biochemischen Tragweite konnte man sich nicht bewusst sein. Man machte es so, weil die Großmutter es auch schon so gemacht hat.

Einige gaben sich damit nicht zufrieden und versuchten, bewährte Rezepturen weiter zu verfeinern. Gott sei Dank. Denn wenn es nicht so kulinarisch neugierige Menschen wie Léa Linster gäbe, würden wir immer noch Getreidegrütze essen. Am Ende entstand unsere traditionelle Küche als Quintessenz dieser jahrtausendealten Suche nach gut verträglicher und sättigender Ernährung. Wir profitieren heute von diesen Entdeckungen unzähliger Essenspioniere.

Züchtung ermöglicht die moderne Zivilisation

Einen ganz besonderen Schub hin zu einer modernen Zivilisation erfuhren die Menschen durch den Übergang der Jäger- und Sammlergesellschaften zu den sesshaften Bauern vor ca. 10000 Jahren. Voraussetzung für den Erfolg dieses Übergangs waren die Domestizierung von Nutztieren und die Züchtung von Kulturpflanzen, mit weniger Abwehrstoffen und höherem Ertrag, die bis heute anhält. Nahrung war nun einfacher verfügbar. Weil nicht mehr alle mit der ständigen Suche nach Essbarem beschäftigt waren, entwickelte sich eine Arbeitsteilung. Daher konnten sich andere Berufe herausbilden, Handwerker, Kaufleute oder Künstler. Städte wurden gebaut, die moderne Zivilisation entstand.

Aber in jeder Region ein wenig anders. Abhängig von den Möglichkeiten der Natur und den Unterschieden menschlicher Verdauungskapazitäten entwickelten sich regional kulturelle Besonderheiten. Denn menschliche Gene sowie Lebensumstände, Pflanzen, Tiere, Klima, Krankheitskeime und vieles mehr unterscheiden sich in Asien, Afrika, Amerika oder Europa. Die traditionelle Landesküche baut auf diesen Eigenheiten auf und ist deshalb nicht so ohne Weiteres austauschbar.

Abseits der eigenen Küche können wir uns nicht auf Intuition und Erfahrung berufen. Wir haben keine Großmutter, die Sushi gemacht hat. Also müssen wir uns an fremde Esskultur vorsichtig und reflektiert herantrauen. Man muss es ja nicht gleich so handhaben wie der sprichwörtliche Bauer, der, was er nicht kennt, auch nicht isst. Aber Vorsicht ist angesagt.

Ein Enzym veränderte Europa

Eine einzige Genmutation kann ausreichen, um über die Veränderung der Verdauungskapazität ganze Gesellschaften kulturell zu verändern. Ein gutes Beispiel dafür ist die Nutzung von Milch. Eine entsprechende Mutation trat bei Menschen im östlichen Europa genau zu Beginn der Sesshaftwerdung auf. Bis dahin war Milch nur für Babys und Kleinkinder gut verdaubar, da sie bis zu ihrem vierten Lebensjahr das Enzym Laktase produzierten. Laktase ermöglicht die Spaltung des Milchzuckers, der Laktose, und damit die problemlose Verdauung von Muttermilch. Danach versiegte die Laktatproduktion. Nach Milchverzehr landete Laktose bei Jugendlichen und Erwachsenen unverdaut im Dickdarm und verursachte dort Bauchweh.

Die Mutation des dafür verantwortlichen Gens im Erbgut unserer Vorfahren führte jedoch dazu, dass die Laktaseproduktion auch nach vier Lebensjahren weiterlief und somit Milch lebenslang als Nahrungsmittel genutzt werden konnte.

Mit Beginn der Herdenhaltung von Schafen, Ziegen und Kühen stand Erwachsenen fortan eine neue und sehr effektive Nahrungsquelle zur Verfügung. Träger dieser Mutation hatten so einen riesengroßen Vorteil gegenüber denen, denen Milch weiterhin als Nahrungsquelle verwehrt blieb. Deshalb breitete sich diese Mutation rasend schnell aus, sodass nach nur 400 Generationen, für die Evolution ein Wimpernschlag, in Mittel- und Nordeuropa 90 Prozent aller Einwohner Nachkommen dieser frühen Genträger wurden. Milchprodukte wurden fester Bestandteil unserer Küche.

Zu welchen zivilisatorischen Umwälzungen diese Neuerung führte, zeigt eine Entdeckung der Archäologen. Vor ca. 7000 Jahren veränderte sich die Siedlungsstruktur in Europa in kürzester Zeit. Dörfer mit neuartigen Langhäusern und Palisadenzäunen verbreiteten sich auf dem gesamten Kontinent und verdrängten die noch jagenden Ureinwohner. Lange glaubte man, diese Eroberung sei von einem kriegerischen Volk ausgegangen. Heute weiß man durch umfängliche Genanalysen, dass die neuen Herdenhalter und ihre Nachkommen Träger der neuen Mutation waren. Ihre Familien überlebten durch die Nutzung von Milch, die man sich einfach aus dem Stall holen konnte, wesentlich erfolgreicher, und ihre Lebensweise gewann dadurch schnell die Oberhand. Diese Mutation trat in Afrika oder Asien nicht auf. Milch kommt dort in traditionellen Rezepturen kaum vor – aus gutem Grund. Dort führt sie vor allem zu Verdauungsbeschwerden.

Laktoseintoleranz heute

Etwa zehn von 100 Erwachsenen haben jedoch bei uns weiterhin Probleme mit Milch, da sie keine Träger dieser Mutation sind. Die Diagnose lautet dann Laktoseintoleranz. Eindeutig feststellbar durch eine Genanalyse, die jeder Arzt veranlassen kann. Meist reicht jedoch eine Frage: Haben Sie im Alter von ca. zehn Jahren Milch gemocht und ein ganzes Glas problemlos trinken können? Laktoseintolerante antworten immer, dass sie Milch aus dem Weg gingen oder sogar Ekel davor empfanden. In diesem Fall sollte man den Verzehr von Laktose vermeiden.

Kein leichtes Vorhaben, da Laktose in vielen Fertigprodukten enthalten ist. Die Einnahme von Laktasetropfen oder Tabletten kann die Beschwerden mildern. Tipp: Käse oder Joghurt aus der Türkei oder Süditalien kaufen. Der Anteil der Laktoseintoleranten in der Bevölkerung ist in diesen Ländern viel höher. Deswegen haben sich dort traditionelle Herstellungsweisen durchgesetzt, bei denen Milchsäurebakterien einen großen Teil der Laktose abbauen.

Traditionen als Versicherung für gute Ernährung

Das was wir heute essen, ist das Ergebnis einer sehr langen Testphase. Generationen über Generationen haben herausgefunden, was man essen oder nicht essen kann und wie bestimmte Zubereitungstechniken die Auswahl an Essbarem vergrößern. Kultur und Tradition in der Ernährung bedeutet letztlich, man weiß, was man tut. Sie schützen uns vor den vielen schlechten Erfahrungen der Vorfahren bei der Suche nach Essbarem. Wir müssen die schlechten Erfahrungen heute nicht wiederholen.

Kurz: Die traditionellen Rezepturen einer Region sind die Quintessenz aus Verfügbarkeit der Zutaten und der dazu passenden Zubereitungsarten, um möglichst viele Menschen auf ungefährliche Weise satt und zufrieden zu machen. Doch heute werden diese Traditionen leichtfertig über Bord geworfen, sowohl bei der industriellen, hochtechnisierten Lebensmittelherstellung als auch durch eine zu romantische Sichtweise, die notwendige Verarbeitungsschritte wieder auf ein »natürliches« Wiederkäuerniveau zurückfahren möchte. Wer sich aber keine Gedanken macht, warum unsere Vorfahren es so und nicht anders gemacht haben, der serviert Sachen, die oft nicht zu unseren Verdauungsmöglichkeiten passen.

Die Probe aufs Exempel

Es verwundert deshalb nicht, dass Arztpraxen heutzutage mit diversen Verdauungsbeschwerden überlaufen werden. Infolgedessen werden fantasievoll klingende Diagnosen inflationär vergeben, die jedoch selten wissenschaftliche Relevanz besitzen: Malabsorptionssyndrome, Nahrungsmittelintoleranzen von A-Z, Candidabefall, diffuse Glutenunverträglichkeiten, Fruktoseintoleranz, Leaky-Gut-Syndrom und viele mehr. Es gehört heute fast zum guten Ton, an mindestens einer dieser »Krankheiten« zu leiden. Seltsam nur, dass Ärzte in den 1960er Jahren außer der medizinisch klar nachvollziehbaren und vererbbaren Laktoseintoleranz und der damals sehr seltenen, ebenfalls vererbbaren schweren Glutenunverträglichkeit namens Zöliakie, diese Probleme nicht kannten. Doch wie würde es Menschen mit solchen neuartigen Beschwerden gehen, wenn sie wieder eine Ernährung vorfänden, die sich strikt an die traditionell entstandene Esskultur halten würde? Vermutlich genauso, wie es Léa kürzlich erlebte.

Ein amerikanisches Ehepaar war zu Gast im Restaurant, und vor der Bestellung überreichte die Frau eine Liste mit den Worten: »Hier steht, was mein Arzt mir erlaubt hat zu essen. Bitte berücksichtigen Sie das.«

Diese Liste war gespickt mit allen möglichen Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Scheindiagnosen, so wie ich es sehr oft in meiner Praxis erlebe, wenn neue Patienten um Rat fragen. Als Léa die Liste sah, kam sie aus der Küche und fragte ihren Gast, wer ihr eigentlich verboten habe zu leben. Sie schlug vor, so zu kochen wie immer. Eine Königinpastete, anschließend eine Crèmesuppe, zum Hauptgang ein einfaches Gericht, bei dem die Kunst darin besteht, es immer gleich gut zu machen: Tomaten, Champignons, eine schöne Poularde, dazu glasierte Möhren.

Das Essen wurde serviert und schmeckte den amerikanischen Gästen vorzüglich. Der Frau ging es nach dem Essen so gut wie seit Jahren nicht mehr. Beim Abschied klang es, als hätten die beiden eine bewusstseinserweiternde Erfahrung gemacht. »Willkommen zurück im richtigen Leben«, sagte der Mann. »Sie wissen gar nicht, Mrs Linster, was das für uns bedeutet.«

Wir brauchen eine Renaissance der guten Küche

Ein gutes Beispiel dafür, warum traditionelle Erfahrungen wieder einen höheren Stellenwert bei der Essenszubereitung bekommen müssen. Viele »moderne« Beschwerden rund ums Essen würden sich in Luft auflösen. Die Grundlage einer guten Küche sollten das Wissen und Beherrschen der klassischen Rezepturen sein. Denn Traditionen berücksichtigen die evolutionären Zusammenhänge und bewahren uns vor Ernährungsrisiken.

Doch die offiziellen Ernährungsempfehlungen, für die in Deutschland die Deutsche Gesellschaft (DGE) für Ernährung zuständig ist, sind anderer Meinung. Ihre zehn Regeln für eine vollwertige Ernährung fordern vor allem die Einschränkung von Fleisch, Eiern, Salz, Fett, Zucker, weißem Mehl und langen Kochzeiten. Es wird regelrecht gewarnt vor traditionellen Zutaten und ihrer fachgerechten Verarbeitung. Dagegen kein Wort zu Qualität und der Bedeutung biologischer Grundregeln.

Nun hat Léa eine Idee: »Wisst ihr was? Dann machen wir doch einfach unsere eigenen Regeln. Die zehn Regeln für eine gute Küche, erstellt von einem Wissenschaftler, einem Arzt und einer Köchin. Und das, während wir zusammen einkaufen, kochen und genießen. Besser geht es ja nicht. Morgen früh holt ihr mich ab, und wir beginnen mit einem Einkauf auf dem Markt.«

Michael und ich sind begeistert. Und nachdem wir die evolutionären Grundlagen der menschlichen Ernährung besprochen haben, ergibt sich auch wie von selbst unsere erste Regel der guten Küche. Sie lautet: Traditionelle Kochverfahren wertschätzen und auf ihnen aufbauen.

Einkauf

Die zweite Regel der guten Küche: Nimm einfache Grundzutaten in möglichst hoher Qualität. Wenn zusätzlich fertige Lebensmittel verwendet werden, dann von einem Erzeuger, der damit lange Erfahrung und Erfolg hat.

Betriebsgeheimnisse

Am nächsten Morgen machen wir uns gemeinsam auf den Weg zum Wochenmarkt auf der Place Guillaume II. in Luxemburg Stadt. Auf der Fahrt entwickelt sich eine Diskussion über die Möglichkeiten, die Qualität von Nahrungsmitteln zu beurteilen. Mir fällt dazu eine Geschichte ein, die mir ein Lebensmittelchemiker erzählt hat. Er sollte für einen bekannten Hersteller von Tiefkühl-Fertiggerichten alle Inhaltsstoffe seines Sortiments herausbekommen. Der Hersteller hatte nämlich den Überblick verloren. Nachdem der Lebensmittelchemiker die Liste der Zulieferer gesichtet hatte, lehnte er den Auftrag ab. Viele Gerichte bestanden nämlich aus zugelieferten Fertigzutaten wie Panaden oder Saucen anderer Hersteller, und was da tatsächlich drin ist, bleibt deren Betriebsgeheimnis. In kaum einer Branche wird so viel getrickst wie bei der Nahrungsmittelherstellung. Deshalb war es unmöglich, durch chemische Analysen im Nachhinein herauszubekommen, welche Stoffe tatsächlich im »Chinesischen Wok-Gericht süß-sauer« oder in »Tagliatelle al Forno« steckten.

Das entsprechende Unternehmen war damals noch im Familienbesitz, und dem geschäftsführenden Patriarchen gab dies zu denken. Er krempelte seine gesamte Produktion um und kaufte nur noch einfache Grundzutaten ein. Daraus ließ er nun seine gesamte Produktpalette komplett in der eigenen Großküche herstellen und ist heute noch erfolgreich damit.

Lebensmittelchemiker wissen, dass die industrielle Produktion von Lebensmitteln heute Hightech ist und viele moderne Tricksereien sich im fertigen Produkt nur schwer nachweisen lassen. Das bedeutet häufig, dass Produkte zwar aussehen wie uns vertraute traditionelle Gerichte, aber eine andere Zusammensetzung haben. Eine Erbsensuppe aus der Tüte oder ein Analogkäse aus Rapsöl sind eben andere, neuartige Gerichte, welche die evolutionäre Testphase der Generation nicht durchlaufen haben. Verwenden wir viele solcher gefakten Produkte, macht uns das nicht unbedingt krank, aber ganz bestimmt nicht auf bekömmliche Weise satt und zufrieden. Doch in vielen Fällen lässt sich der Griff nach verarbeiteten Lebensmitteln gar nicht verhindern. Es ist nicht realistisch, in der eigenen Küche Lebensmittel wie Käse, Olivenöl oder Schinken selbst herzustellen, wir müssen sie kaufen. Das gilt auch für die Spitzengastronomie, und für sie ist es essenziell, kompetente und ehrliche Hersteller zu finden.

Geschmackstraining

Doch Qualität bei Lebensmitteln zu erkennen ist nicht immer einfach, denn in Kilogramm oder Zentimeter lässt sie sich nicht einteilen. Die Zusammenhänge sind komplexer. Spitzenköche müssen sich darin gut auskennen, hängt doch ihr Erfolg ganz wesentlich von den Zulieferern hochwertiger Produkte ab, die dem Qualitätsanspruch einer Sternegastronomie auf jedem Gebiet genügen. Der Aufbau eines solchen Netzes dauert oft Jahre. Wir möchten von Léa wissen, wie sie dabei vorgeht und worauf es ihr beim Einkauf besonders ankommt. Léa sieht die Grundvoraussetzung darin, dass man überhaupt weiß, was gute Qualität ist, um vergleichen zu können.

Darin hatte sie schon als Kind Erfahrung sammeln können, denn ihr Vater war ein Feinschmecker. Er musste beruflich oft verreisen und lernte dabei die besten französischen Restaurants kennen. »Ich hatte das Glück, dass Papa mich oft mitnahm. Schon mit vier Jahren wusste ich, was ein gutes Restaurant ist, und konnte meinen Gaumen trainieren.« Ein so früh geübtes Geschmackstalent erkennt später höchste Qualität und bemerkt sofort feine Unterschiede. So entwickelte Léa ein absolut perfektes Geschmackshirn.