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Die vorliegende Arbeit untersucht zum einen das Verhältnis zwischen Kartellrecht und Datenschutzrecht, wie es auch Gegenstand des Facebook-Beschlusses des BGH war, zum anderen das Verhältnis von Innovation und Kartellrecht. Im Kontext der Dynamik des Wettbewerbs und der Bedeutung von Wissen in der Informationsgesellschaft formuliert sie eine Theorie zur Findung kartellrechtlicher Entscheidungen unter Unsicherheit und Dynamik. Die daraus resultierende materielle Abwägungslehre bezieht die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundrechte und Grundfreiheiten ein, die als wahrgenommene tatsächliche Entfaltungsfreiräume für Innovation stehen können.
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Seitenzahl: 832
Sebastian Louven
Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main
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ISBN: 978-3-8005-1753-4
© 2021 Deutscher Fachverlag GmbH, Fachmedien Recht und Wirtschaft, Frankfurt am Main Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Druck: WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang
Printed in Germany
Diese Arbeit ist das Ergebnis aus meiner Forschung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, in der ich zahlreiche Grundlagenfragen zum Kartellrecht der Informationsgesellschaft klären konnte. Einige Gedanken bewegten mich bereits länger und reichen noch in meine ersten beruflichen Jahre zurück. Inspiriert wurde ich unter anderem von der Streitfrage, ob es einen Schutz vor Veränderung geben kann.
Ich habe hier mehrere Aspekte miteinander verbunden, die mich auch persönlich sehr stark bewegen: Wie können ständige Veränderungen (kartell-)rechtlich erfasst werden; welche Relevanz und Bedeutung hat Wissen; was ist der Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität und welche Konsequenzen löst die Antwort auf das Recht und die Rechtsfindung aus? Die Erkenntnisse der Arbeit haben ihren letzten Stand zur Abgabe im Dezember 2019, noch bevor der BGH mit seinem bahnbrechenden Facebook-Beschluss eine ihrer wesentlichen Annahmen zum effektiven Wettbewerb und der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten bei der Auslegung der kartellrechtlichen Vorschriften bestätigte.
Ich danke meinem Doktorvater Prof. Dr. Prof. h.c. Jürgen Taeger, dass er mir dieses Vorhaben ermöglicht hat. Auch meiner Korreferentin Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider danke ich für kreative und bereichernde Austausche. Beide haben mich in den letzten Jahren wissenschaftlich und freundschaftlich begleitet und ich bin froh über diese Vorbilder.
Bereits seit mehreren Jahren bin ich Mitglied des Telemedicus-Kernteams und darf damit einem sehr kreativen Umfeld angehören, das sich für diese Arbeit als äußerst produktiv erwiesen hat. Für die zahlreichen tollen Gelegenheiten und die Zusammenarbeit danke ich dem gesamten Team. Mein ganz besonderer Dank gilt dabei meinem Freund und Mentor Dr. Sebastian Brüggemann, M.A., der mir immer wieder helfend zur Seite stand und diese Arbeit durch zahlreiche Diskussionen bereichert hat.
Meinem Schwiegervater Dr. Johannes-Wilhelm Louven danke ich für die sorgfältige und interessierte Durchsicht des Manuskripts.
Mein größter Dank geht aber an meine Frau, Dr. Verena Louven. Ihr verdankt diese Arbeit ihre Existenz, denn ohne ihre Kritik, Motivierung und Offenheit wären viele Gedanken unausgesprochen und fragmentarisch geblieben, die Arbeit möglicherweise erst viel später oder sogar überhaupt nicht fertig gestellt worden. Ich widme diese Arbeit meiner Tochter, der größten Veränderung in meinem Leben, die mich zu einem besseren Menschen macht.
November 2021
Dr. Sebastian Louven
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
A. Heranführung an die Untersuchung
I. Digitale Plattformen als Herausforderer des Kartellrechts
II. Innovation als Herausforderung für die Rechtsanwendung
III. Wettbewerb unter Dynamik, Wissen und Effektivität
B. Innovationserheblichkeit digitaler Plattformen
I. Eingrenzung und technische Hintergründe
1. Internet und Infrastruktur
2. Informationstechnik
3. Protokolle und Schnittstellen
4. Nutzeranwendungen
5. Technische Standardisierung
6. Fortschreitende Digitalisierung
7. Zusammenfassung der technischen Begrifflichkeiten
II. Systematik der Erscheinungsformen von Plattformen
1. Begegnungsorte und physische Plattformen
2. Provisionsvermittler
3. Handelsplattformen
4. Zahlungen und Transaktionen
5. Medienangebote und Rundfunkplattformen
6. Softwareangebote
7. Soziale Netzwerke, Dating-Plattformen und Kommunikationsdienste
8. Sharing-Plattformen
9. Suchmaschinen und Vergleichsplattformen
10. Vernetzte Systeme, Cloud und Smart Home
11. Virtualisierung konventioneller Angebote
III. Plattformspezifische Wettbewerbsphänomene
1. Netzwerkeffekte
2. Henne-und-Ei-Paradoxon
3. Größenvorteile und economies of scale
4. Informationen
5. Multi-homing und Wechselbewegungen
6. Preisverteilung
7. Innovationen
IV. Zusammenfassung der Beobachtungen
C. Annäherung an einen Innovationsbegriff
I. Innovationsausdruck
1. Etymologie
2. Kategorische Eingrenzungen
3. Kategorische Abgrenzungen
II. Wettbewerbstheoretische Innovationserklärungen
1. Statische Erklärungsansätze
2. Dynamische Erklärungsansätze
3. Zwischenergebnisse
III. Innovation als Gegenstand der Wettbewerbsrechtsordnung
1. Innovation in der Wirtschaftsverfassung
2. Innovationserklärung in der Rechtsanwendung
3. Rechtsbindung und Begriffsfindung
IV. Definierbarkeit eines Innovationsbegriffs
D. Innovation in der kartellrechtlichen Methodik
I. Machtkontrolle in Innovationssachverhalten
1. Innovationsbezogene Marktanalyse bei digitalen Plattformen
2. Innovationsbewertung in der Fusionskontrolle
3. Verdrängung durch Plattformen
4. Innovationsrente und Wertbildung
5. Begrenzte Machtkontrolle in Innovationssachverhalten
II. Innovationssachverhalte und mehrseitige Maßnahmen
1. Innovationsbezogene Wettbewerbsbeschränkung
2. Tatbestandliche Ausnahmen für Innovationsstrategien
3. Freistellungsmöglichkeiten
4. Innovationsbeschränkung und Innovationsausnahme
III. Zwischenergebnisse
E. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
Literatur
Webquellen
Vorwort
Inhaltsübersicht
Abkürzungen
A. Heranführung an die Untersuchung
I. Digitale Plattformen als Herausforderer des Kartellrechts
II. Innovation als Herausforderung für die Rechtsanwendung
III. Wettbewerb unter Dynamik, Wissen und Effektivität
B. Innovationserheblichkeit digitaler Plattformen
I. Eingrenzung und technische Hintergründe
1. Internet und Infrastruktur
2. Informationstechnik
3. Protokolle und Schnittstellen
4. Nutzeranwendungen
5. Technische Standardisierung
6. Fortschreitende Digitalisierung
7. Zusammenfassung der technischen Begrifflichkeiten
II. Systematik der Erscheinungsformen von Plattformen
1. Begegnungsorte und physische Plattformen
2. Provisionsvermittler
3. Handelsplattformen
4. Zahlungen und Transaktionen
5. Medienangebote und Rundfunkplattformen
6. Softwareangebote
7. Soziale Netzwerke, Dating-Plattformen und Kommunikationsdienste
8. Sharing-Plattformen
9. Suchmaschinen und Vergleichsplattformen
10. Vernetzte Systeme, Cloud und Smart Home
11. Virtualisierung konventioneller Angebote
III. Plattformspezifische Wettbewerbsphänomene
1. Netzwerkeffekte
2. Henne-und-Ei-Paradoxon
3. Größenvorteile und economies of scale
4. Informationen
5. Multi-homing und Wechselbewegungen
6. Preisverteilung
7. Innovationen
IV. Zusammenfassung der Beobachtungen
C. Annäherung an einen Innovationsbegriff
I. Innovationsausdruck
1. Etymologie
2. Kategorische Eingrenzungen
a) Erneuerung und Veränderung
b) Fortschritt
c) Vorsprung
d) Verdrängung und Exnovation
3. Kategorische Abgrenzungen
II. Wettbewerbstheoretische Innovationserklärungen
1. Statische Erklärungsansätze
a) Gleichgewichtsdogma der klassischen Wettbewerbstheorien
b) Kritik am Konzept des vollkommenen Wettbewerbs
2. Dynamische Erklärungsansätze
a) Schöpferische Zerstörung
b) Unternehmerische Pionierleistungen
aa) Motivation zur wettbewerblichen Selbstverwirklichung
bb) Zufall im monopolistischen Wettbewerb
cc) Bestreitbarkeit im monopolistischen Wettbewerb
c) Entdeckungsverfahren und Wissen
aa) Spontane Ordnungen
bb) Unpersönlicher Veränderungszwang
cc) Unwissens-Dilemma der spontanen Ordnungen
dd) Aufmerksamkeit im Wettbewerb und Dynamik
ee) Angemaßtes Wissen
d) Vom funktionsfähigen zum effektiven Wettbewerbsprozess
aa) Optimale Wettbewerbsintensität
bb) Primat der Wettbewerbsfreiheit
cc) Wohlfahrt und Effizienz
dd) Effektiver Wettbewerbsprozess
e) Effektivität und Effizienz
3. Zwischenergebnisse
III. Innovation als Gegenstand der Wettbewerbsrechtsordnung
1. Innovation in der Wirtschaftsverfassung
a) Innovationsbezug der Wirtschaftsziele in der Europäischen Union
b) Innovation und rechtliche Rückanknüpfung an Wettbewerbsfreiheiten
aa) Objektive Wertsetzungsfunktion der Wettbewerbsfreiheiten
bb) Progressive Wettbewerbsfreiheiten
(1) Freiheit zum Erwerb
(2) Wettbewerblicher Entfaltungsfreiraum
(3) Gleichheitsgrundsatz und Wettbewerb
cc) Schutz vor Veränderung
(1) Wettbewerbsbezogene Institutsgarantien
(2) Schutz einer Innovation
dd) Zwischenergebnisse
c) Erfordernis einer Wettbewerbsrechtsordnung
d) Zwischenergebnisse
2. Innovationserklärung in der Rechtsanwendung
a) Bildung von Innovationsbegriffen im Recht
b) Kartellrechtlicher Positivismus und offene Tatbestände
c) Natur- oder Vernunftrecht des Wettbewerbs
d) Diskurs und Evolution der Dogmatik
aa) Diskursoffenheit der Wettbewerbsrechtsordnung
bb) Dogmatik als Ordnungssystem
cc) Dogmatik als Entdeckungsverfahren
dd) Diskurs und vernünftiger Begründungsprozess im Recht
ee) Dynamik des Wettbewerbs und Begründungsprozess
e) Diskursunfähigkeit des more economic approach
aa) Wertungskonflikte
(1) Zweck-Mittel-Konflikt
(2) Gesamtwohlfahrt und Individualschutz
bb) Teilweise Verwertbarkeit innovationsbezogener Schadenstheorien
(1) Bisherige Behördenpraxis
(2) Innovation theory of harm
(3) Verallgemeinerbarkeit
cc) Erweiterbarkeit auf einen more technological approach
dd) Erweiterbarkeit auf einen more holistic approach
f) Zwischenergebnisse
3. Rechtsbindung und Begriffsfindung
IV. Definierbarkeit eines Innovationsbegriffs
D. Innovation in der kartellrechtlichen Methodik
I. Machtkontrolle in Innovationssachverhalten
1. Innovationsbezogene Marktanalyse bei digitalen Plattformen
a) Marktabgrenzung
b) Marktstellung
c) Bestimmbarkeit der Marktmacht digitaler Plattformen
aa) Defizite konventioneller Methoden
bb) Marktanalyse bei Unentgeltlichkeit
cc) Qualitative Marktanalysen
dd) Getrennte oder einheitliche Marktbetrachtung bei Plattformen
ee) Erweiterung des tatsächlichen Prüfumfangs bei Plattformen
d) Relative Marktmacht
aa) Hintergründe und Anwendungsbereich
bb) Etablierte Fallgruppen
cc) Innovative Unternehmen als Betroffene
dd) Neue Fallgruppe der plattformbedingten Abhängigkeit
e) Zeitlich relevanter Markt
f) Innovationsgetriebener Wettbewerbsdruck
2. Innovationsbewertung in der Fusionskontrolle
a) Prognose und kontrafaktische Untersuchung
aa) Zukunftsbezug der Prognosewertung
bb) Eingeschränkter materieller Prognosespielraum
cc) Zeitlicher Prognosespielraum
dd) Prognostische Interessenabwägung
b) Bewertbarkeit des Aufkaufs innovativer Unternehmen
c) Innovationen unter dem SIEC-Test
aa) Tatsachenbezogene Schwächen bei Plattformsachverhalten
bb) Abwägungslösung des effektiven Wettbewerbs
cc) Erheblichkeitsschwelle in Innovationssachverhalten
dd) Unternehmerische Aufkaufintention als Ausstiegsszenario
d) Innovationsförderung durch Zusammenschlüsse
e) Abhilfemaßnahmen
f) Ministererlaubnis und Gemeinwohlbelange
3. Verdrängung durch Plattformen
a) Mögliche Grundlagen für einen Schutz vor Verdrängung
aa) Strukturelle Betrachtung der Missbrauchskontrolle
(1) Mehrseitigkeit der Plattformen
(2) Systematische Übertragung
(3) Zeitliche Übertragung
(4) Aggressive anti-innovative Verdrängungsstrategien
bb) Unterlassung der Verweigerung
cc) Geschäftsverweigerung und Essential-Facilities-Doktrin
dd) Sperrwirkung durch Rechtsgrundverweis bei relativer Marktmacht
ee) Bestimmtheitsgrundsatz und Zukunftsgewandtheit
b) Verdrängung durch Ausschaltung wirksamen Wettbewerbs
aa) Nichtleistungswettbewerb auf Plattformen
bb) Abwägung der Wettbewerbsfreiheiten im Verdrängungsmissbrauch
cc) Zumutbare Replizierbarkeit von Innovationsgegenständen
dd) Kein Erfordernis neuer Marktergebnisse
c) Kartellrechtliche Innovationsgegenstände und Verdrängung
aa) Innovation als Monopol
(1) Rechtlicher Innovationsschutz
(2) Informationelle Innovationsgrundlagen als faktische Monopole
(a) Individuenbezug
(b) Innovationsbezogene nicht-personenbezogene Informationen
(c) Datenpools
(3) Keine allgemeine Innovationsverantwortung
(4) Innovationsvorbehalt und Verzögerung
bb) Integration und Desintegration auf Plattformen
(1) Kopplung
(2) Verändern einzelner Funktionalitäten der Plattform
(a) Strategische Angebotsmodifikation
(b) Verhinderung des Anbieterwechsels
(c) Veränderungsgeschwindigkeit
(d) Kommunikation einer Veränderung
(3) Aneignung von Geschäftsmodellen
(4) Selbstbevorzugung
cc) Zwang zum Wettbewerb zu eigenen Lasten
d) Abwägungsmaßstäbe des Verdrängungsmissbrauchs
4. Innovationsrente und Wertbildung
a) Gegenwerte und Betrachtungsgegenstände
aa) Subsidiarität beim Innovationsrentenmissbrauch
bb) Datenbezogene Verarbeitungsbefugnisse
cc) Aufmerksamkeit
dd) Anwesenheit und Teilnahme im Netzwerk
ee) Nicht-preisliche Erwartungsinvestition
(1) Allgemeine Leistungsverschlechterung
(2) Geplante Obsoleszenz
ff) Vorleistungen auf Innovationen und Monopolrente
b) Betrachtungsmaßstäbe
aa) Wettbewerbstheoretische Anknüpfung des Als-ob-Wettbewerbs
bb) Gegenwärtige Betrachtung
(1) Gesamtbetrachtung des Leistungsbündels
(2) Vergleichsmärkte und Plattformen
(3) Einbringungsfähigkeit von Kosten- oder Gewinnpositionen
(4) Qualitative Betrachtungen
(a) Einbeziehung verhaltensökonomischer Erkenntnisse
(b) Objektive Rechtsverstöße
(c) Wertungen außer-kartellrechtlicher Vorschriften
(d) Differenzierende Abwägung
(5) Innovationsrentenbewertung durch Abwägung
cc) Dynamisch-zeitliche Betrachtung
(1) Sockel-Theorie und vergangener Vergleichsmarkt
(2) Kein unmittelbarer wettbewerblicher Vergleichsmaßstab
(3) Unmöglichkeit des zukünftigen Vergleichsmarkts
dd) Beschränkte Ausbeutungskontrolle in Innovationssachverhalten
c) Zwischenergebnisse
5. Begrenzte Machtkontrolle in Innovationssachverhalten
II. Innovationssachverhalte und mehrseitige Maßnahmen
1. Innovationsbezogene Wettbewerbsbeschränkung
a) Geheimniswettbewerb und Innovationswettbewerb
b) Bezweckte Innovationsbeschränkung
c) Bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen in Plattformsachverhalten
aa) Abschwächen des dynamischen Wettbewerbs
bb) Informationsverhalten über Plattformen
cc) Abgrenzung zum bloß innovativen Parallelverhalten
d) Zwischenergebnisse
2. Tatbestandliche Ausnahmen für Innovationsstrategien
a) Grundlagen einer innovationsbezogenen Tatbestandsreduktion
aa) Keine Möglichkeit zur Rule of Reason
bb) Wettbewerbsimmanenz
cc) Wettbewerbserschließung
b) Maßstäbe zulässiger kollusiver Innovationsabstimmungen
aa) Wettbewerblich notwendiges Wissen
bb) Standardisierung und Normierung
cc) Entwicklungsoffenheit
dd) Schaffung eines neuen Wettbewerbers
c) Schutz vor innovativem Wettbewerb
aa) Kein allgemeiner First-mover-Schutz
bb) Notwendige Nebenabreden
cc) Trittbrettfahrer-Problem
dd) Repressiver Innovationsschutz
ee) Präventiver Innovationsschutz
(1) Förderung des Inter-brand-Wettbewerbs
(2) Nachhaltigkeit
(3) Luxus
ff) Zwischenergebnisse
d) Privilegierung innovationsfördernder Maßnahmen
3. Freistellungsmöglichkeiten
a) Produktive und allokative Effizienz
b) Zeitlich begrenzte Betrachtbarkeit dynamischer Effizienz
4. Innovationsbeschränkung und Innovationsausnahme
III. Zwischenergebnisse
E. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
Literatur
Webquellen
AB
The Antitrust Bulletin
ABl.
Amtsblatt
AcP
Archiv für die civilistische Praxis
AEJ
The American Economic Journal
AER
The American Economic Review
AEUV
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
AG
Die Aktiengesellschaft
ALJ
Antitrust Law Journal
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
APuZ
Aus Politik und Zeitgeschichte
BeckRS
BeckOnline Rechtsprechung
Begr.
Begründer
BPaaS
Business Process as a Service
BT-Drs.
Bundestagsdrucksache
ColLR
Columbia Law Review
CPI AC
Competition Policy International Antitrust Cronicle
CR
Computer und Recht
CRi
Computer Law Review International
DB
DER BETRIEB
DGRI
Deutsche Gesellschaft für Recht und Informatik
DÖV
Die Öffentliche Verwaltung
DSGVO
Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)
DSRI
Deutsche Stiftung für Recht und Informatik
DuD
Datenschutz und Datensicherheit
DVO
Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln
ECJ
European Competition Journal
ECLR
European Competition Law Review
EJ
The Economic Journal
ELJ
European Law Journal
EnZW
Zeitschrift für das gesamte Recht der Energiewirtschaft
ET
Economic Theory
EuCML
Journal of European Consumer and Market Law
EuR
Europarecht
EUV
Vertrag über die Europäische Union
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EWS
Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
F&E
Forschung und Entwicklung
FKVO
Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“)
FRAND
Fair, reasonable and non-discriminatory
FSULR
Florida State University Law Review
GA
Generalanwalt
GRC
Charta der Grundrechte der Europäischen Union
GRUR
Zeitschrift für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht
GRUR Int.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil
GRUR Prax.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht
GVO
Gruppenfreistellungsverordnung
GWB
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
GWR
Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht
HBR
Harvard Business Review
HJLT
Harvard Journal of Law & Technology
HLR
Harvard Law Review
Hrsg.
Herausgeber
HTML
Hypertext Markup Language
HTTP
Hypertext Transport Protocol
IaaS
Infrastructure as a Service
ICC
Industrial and Corporate Change
IIC
International Review of Intellectual Property and Competition Law
IJIO
International Journal of Industrial Organization
InTeR
Zeitschrift für Innovations- und Technikrecht
IP
Internet Protocol
IRLCT
International Review of Computers Technology and the Law
IS
Informatik-Spektrum
IWRZ
Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht
JBE/ZfB
Journal of Business Economics
JBNST
Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik
JCA
Journal of Consumer Affairs
JCLE
Journal of Competition Law & Economics
JECLaP
Journal of European Competition Law & Practice
JEE
Journal of Evolutionary Economics
JEEA
Journal of the European Economic Association
JEL
Journal of Economic Literature
JIE
Journal for Industrial Economics
JIPITEC
Journal of Intellectual Property, Information Technology and E-Commerce Law
JLE
The Journal of Law & Economics
JLEO
Journal of Law, Economics, and Organization
JM
Juris die Monatszeitschrift
JSI
Journal of Social Issues
JZ
Juristenzeitung
K&R
Kommunikation & Recht
LCLR
Loyola Consumer Law Review
MMR
MultiMedia und Recht
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NZG
Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht
NZKart
Neue Zeitschrift für Kartellrecht
OEM
Original Equipment Manufacturer
ORDO
Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft
OTT
Over the Top
PaaS
Platform as a Service
PinG
Privacy in Germany
QJE
The Quarterly Journal of Economics
RabelZ
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht
REStud
The Review of Economic Studies
RFID
Radio Frequency Identification
RIO
Review of Industrial Organization
RIW
Recht der Internationalen Wirtschaft
RJE
The RAND Journal of Economics
RNE
Review of Network Economics
Rspr.
Rechtsprechung
RW
Rechtswissenschaft
SaaS
Software as a Service
SEP
Standardessenzielles Patent
SIEC
Significant Impediment of Effective Competition
Slg.
Sammlung
SLR
Suffolk Law Review
SMJ
Strategic Management Journal
SMU STLR
SMU Science and Technology Law Review
SSNIP
Small but significant and non-transitory increase in price
TCP
Transmission Control Protocol
TKG
Telekommunikationsgesetz
TT
Technologietransfer
UPLR
University of Pennsylvania Law Review
VVDStRL
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
VwVfG
Verwaltungsverfahrensgesetz
WiST
Wirtschaftswissenschaftliches Studium
WLAN
Wireless Local Area Network
WOCO
World Competition: Law and Economics Review
WRP
Wettbewerb in Recht und Praxis
WUJLP
Washington University Journal of Law & Policy
WuW
WIRTSCHAFT UND WETTBEWERB
YJR
Yale Journal on Regulation
YLJ
The Yale Law Journal
ZEuP
Zeitschrift für Europäisches Privatrecht
ZfPW
Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft
ZHR
Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht
ZÖR
Zeitschrift für öffentliches Recht
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
ZUM
Zeitschrift für Urheber und Medienrecht
ZVertriebsR
Zeitschrift für Vertriebsrecht
ZWeR
Zeitschrift für Wettbewerbsrecht
Immer mehr Unternehmen richten ihre Geschäftsmodelle darauf aus, mehrere Kundengruppen gleichzeitig anzusprechen und miteinander zu verbinden.1 Es handelt sich dabei häufig um digitale Plattformen, was aus dem Umstand folgt, dass diese Angebote derzeit im Wesentlichen über das offene Internet mittels des hierfür verwendeten Internetprotokolls erbracht werden. Digitale Plattformen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur verschiedene Kundengruppen, zwischen denen indirekte Netzwerkeffekte wirken, zusammenbringen, sondern sie stellen oftmals konventionelle Geschäftsmodelle digitalisiert dar, virtualisieren sie also. Letzteres meint, dass diese Unternehmen über das Konstrukt einer digitalen Plattform ein Produkt anbieten, das nicht zwingend grundsätzlich neu sein muss, sondern eine Nachfrage befriedigt, die bereits bestand und durch konventionelle Angebote nicht ausreichend befriedigt werden konnte. Dennoch können diese Angebote als neu, erweiternd, revolutionär oder verdrängend anzusehen sein2 – allgemein als „innovativ“. In der Kartellrechtswissenschaft sowie -praxis gewinnen Plattform-Sachverhalte eine zunehmende Bedeutung. Hierbei treten zunehmend Fragen auf, die im weiten wie auch im engeren Sinne mit Innovation in Verbindung gebracht werden. Der Sammelbegriff „digitale Plattformen“ umschreibt also innovationserhebliche Lebenssachverhalte. Erheblich meint hierbei diejenigen den Innovationsbegriff umschreibenden Umstände, die sich im Zusammenhang mit kartellrechtlichen Sachverhalten zur Beeinflussung rechtlicher Entscheidungen eignen. Dabei stellt sich ebenso die Frage, inwiefern diese erheblichen Umstände und auf ihnen basierende Annahmen in rechtliche Entscheidungen übertragen werden können. Ausgehend von einem in dieser Arbeit angenäherten Innovationsbegriff soll die Arbeit eine methodische Einordnung in das geltende europäische und deutsche Kartellrecht vornehmen und neue Denkansätze für innovationsbezogene Sachverhalte vorschlagen.
1
Zusammenfassend für die Diskussion in der deutschen Literatur
Körber
, ZUM 2017, S. 93 (94);
Höppner
/
Grabenschröer
, NZKart 2015, S. 162 (162); die Begriffsumschreibung geht maßgeblich auf die Erkenntnisse bei
Rochet
/
Tirole
, RJE 2006, S. 645 (664f.) zurück.
2
Kurz
, Wirtschaftsdienst 2017, S. 785.
Wirtschaftlich wie politisch haben digitale Plattformen in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen.3 Dies lässt sich besonders an den diversen Social-Media-Netzwerken festmachen, wie zum Beispiel Facebook, Twitter, LinkedIn und weitere. Aber auch Content-Angebote wie auf den Stream-Plattformen oder Handelsplattformen wie Amazon spielen eine wichtige Rolle. Digitale Plattformen erwirtschaften zunehmend höhere Rekordumsätze und gewinnen immer mehr Einfluss. So scheint sich bereits oberflächlich betrachtet der Trend stets zu bestätigen, dass sich, wenn in einem bestimmten Bereich eine Plattform einmal etabliert ist, immer mehr weitere Unternehmen wie auch Kunden auf das Angebot dieser Plattform einstellen.4 Gleichzeitig stehen sie als Unternehmen sinnbildlich für den Erfolg und die Bedeutung im Zeitalter der Informationsgesellschaft.5
Die wirtschaftswissenschaftliche Analyse von Plattformen hat sich seit Beginn des Jahrtausends verstärkt. Erkenntnisse aus der Forschung zu Industrieökonomie und Volkswirtschaft ermöglichen bereits die Erfassung digitaler Plattformen.6 So lässt sich hinsichtlich der Einordnung digitaler Plattformen in das System der Marktabgrenzung und Marktmachtbestimmung auf verschiedene Theorien zurückgreifen, insbesondere das Konzept von Plattformen als „mehrseitigen Märkten“.7 Die Anwendbarkeit dieser wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse wurde bereits in ersten Entscheidungen der europäischen Kommission und des Bundeskartellamts erörtert.8 Auch juristische Arbeiten setzen sich mit diesem Konzept auseinander.9 Dabei sind derzeit einige Fragen noch offen, die für diese Untersuchung relevant sind. Bereits auf der begrifflichen Ebene ist nicht abschließend geklärt, inwieweit das Konzept der mehrseitigen Märkte zur Erfassung von Plattform als solches geeignet ist auch den Begriff Markt auszufüllen.10 Da nämlich der Markt verkürzt gesagt durch Angebot und Nachfrage beschrieben wird11 und diese beiden Merkmale mehrseitigen Wirtschaftszweige regelmäßig mehrfach, nämlich mindestens in der jeweils beschriebenen Plattform-Seite, vorkommen, ist auch das Vorliegen eines oder mehrerer sachlich relevanter Märkte fraglich. So scheint jedenfalls klar, dass das Konzept der mehrseitigen Marktbeziehungen die Feststellung eines Marktes an sich nicht ersetzen kann. Stattdessen müssen auch bei Plattformen zunächst die jeweiligen Plattform-Seiten untersucht werden. Entsprechend ist der Begriff „mehrseitige Märkte“ missverständlich. Geeigneter erscheint hier die Bezeichnung „mehrseitige Wirtschaftszweige“, „mehrseitige Marktbeziehungen“ oder aber „mehrseitige Geschäftsmodelle“.12 Dennoch wird in der neuen Regelung des § 18 Abs. 3a GWB der Begriff „mehrseitige Märkte“ verwendet. Die Arbeit wird hierzu eine Klarstellung vornehmen.
Der wissenschaftliche Diskurs im Kartellrecht beschäftigt sich im Zusammenhang mit digitalen Plattformen mit mehreren grundlegenden Problemen.13 So geht es um das Verhältnis digitaler Plattform zum Begriff des relevanten Marktes. Hier bildet das in der ökonomischen Wissenschaft entwickelte Konzept der mehrseitigen Marktbeziehungen eine prägende Rolle für rechtliche Lösungskonzepte.14 Denn aufgrund der für digitale Plattformen prägenden Matchmaker-Funktionen15 lassen sich diese nicht mehr ohne weiteres in das von einem bipolaren Markt Begriff geprägte Kartellrecht einordnen. Die Tätigkeit der meisten Unternehmen am Markt besteht nicht mehr allein in der Befriedigung spezifischer Produkt- oder Leistungsnachfragen, sondern zunehmend in der Vermittlung unterschiedlicher Interessen oder jedenfalls Verknüpfung mehrerer Marktverhältnisse. Hinzu kommt, dass digitale Plattformen ihr Angebot häufig an eine Nutzergruppe ohne ein unmittelbares monetäres Entgelt bereitstellen. Wenn sich digitale Plattformen aber bereits nicht ohne weiteres in das konventionelle bipolare Marktverständnis, dass nämlich der Markt durch Angebot und Nachfrage geprägt ist, einzuordnen lassen scheinen, ist in der Folge die Bestimmung einer marktbeherrschenden Stellung vor neue Herausforderungen gestellt. Dies ist bereits in einigen Fusionskontroll- bzw. Marktmachtmissbrauchsverfahren zum Gegenstand einer praktischen Entscheidung gemacht worden.16 Hier sind noch Prüfkonzepte zu entwickeln und zu vermitteln, die einer rechtlichen Überprüfung standhalten.
Der deutsche Gesetzgeber hat mit der 9. GWB-Novelle im Jahr 2017 neue Regelungen aufgenommen, wie sie zuvor in der Rechtspraxis und insbesondere von den Kartellbehörden diskutiert wurden. Eines dieser Merkmale, dass bei Plattform-Sachverhalten anwendbar sein soll, ist das des „innovationsgetriebenen Wettbewerbsdrucks“ nach § 18 Abs. 3a Nr. 5 GWB. Eine hilfreiche Begründung liefert der Gesetzgeber hierzu nicht, relativiert sich vielmehr selbst, indem in der Gesetzesbegründung die bloße Aussicht auf das zukünftige Wegfallen einer marktbeherrschenden Position als nicht ausreichender Einwand zu sehen ist.17 Es komme stattdessen auf eine nicht nur abstrakte, zeitlich vage Angreifbarkeit der Marktposition an. Für die kartellrechtliche Fallmethodik stellt sich hier zum einen ebenso die Herausforderung der Klärung des Innovationsbegriffs, und zwar als Bestandteil des Kriteriums eines innovationsgetriebenen Wettbewerbsdrucks, zum anderen ist eine Abgrenzung zwischen dem von diesem Kriterium erfassten Druck einerseits und den nicht mehr erfassten abstrakten Veränderungen andererseits vorzunehmen. Die Arbeit soll an dieser Stelle eine aufgreifende Auslegung dieser neuen Vorschrift vornehmen.
Kartellrecht ist bereits innovationsrelevantes Recht unabhängig von dieser konkreten Neuregelung in der Form, dass es aufgrund seiner Zielbestimmung, seines Schutzzwecks und seines Wortlauts innovationserhebliche Sachverhalte miterfasst. Über die Frage nach bestehender Marktmacht hinaus lässt sich Innovation in einen Zusammenhang mit dem tatsächlichen oder erwarteten Verhalten marktmächtiger Unternehmen stellen. Daneben kann Innovation in mehrseitigen Maßnahmen verschiedener Unternehmen eine Rolle spielen. Es handelt sich hierbei um einen sprachlichen Ausdruck, der im Zusammenhang mit kartellrechtlichen Sachverhalten – und insbesondere mit Plattform-Sachverhalten – also vielfältig verwendet wird und dessen begriffliche Einordnung deshalb zu erörtern ist.18
3
Evans
/
Schmalensee
, Was unterscheidet Plattformen von traditionellen Unternehmen? v. 14.7.2016, http://www.harvardbusinessmanager.de/blogs/was-unterscheidet-plattformen-vontraditionellen-unternehmen-a-1102862.html (abgerufen 14.12.2019); auch bereits
Wieddekind
, in: Eifert/Hoffmann-Riem, Innovation und rechtliche Regulierung, 2002, S. 134.
4
Schweitzer
et al., Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen, 2018, S. 15.
5
Dewenter
/
Rösch
, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, 2015, S. 8.
6
Vgl. insbesondere den für die Entwicklung des Konzepts der mehrseitigen Plattformen maßgeblichen Aufsatz von
Rochet
/
Tirole
, JEEA 2003, S. 990ff.; eine historische Darstellung findet sich bei
Evans
/
Schmalensee
, Matchmakers, 2016, S. 14ff.
7
Evans
, YJR 2002, S. 325 (325ff.);
Rochet
/
Tirole
, JEEA 2003, S. 990 (990ff.);
Rochet
/
Tirole
, RJE 2006, S. 645 (645ff.);
Armstrong
, RJE 2006, S. 668 (668ff.);
Armstrong
/
Wright
, ET 2007, S. 353 (353ff.);
Evans
/
Noel
, JCLE 2008, S. 663 (663ff.); grundlegend im deutschsprachigen Raum dazu
Budszinski
/
Lindstädt
, WiST 2010, S. 436 (436ff.);
Dewenter
/
Rösch
, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, 2015, S. 8ff.
8
Bundeskartellamt, Arbeitspapier – Marktmacht von Plattformen und Netzwerken v. 9.6.2016, https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Berichte/Think-Tank-Bericht.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen 14.12.2019), S. 14ff.
9
Siehe insbesondere die Arbeit von
Blaschczok
, Kartellrecht in zweiseitigen Wirtschaftszweigen, 2015.
10
Grave
, in: Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, Kapitel 2, Rn. 15 m.w.N.
11
Podszun
, in: Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, Kapitel 1, Rn. 5;
Podszun
/
Franz
, NZKart 2015, S. 121 (124).
12
Blaschczok
, Kartellrecht in zweiseitigen Wirtschaftszweigen, 2015, S. 25.
13
Vgl.
Wolf
, Kartellrechtliche Grenzen von Produktinnovationen, 2004, S. 72, der ein Ändern „aller essentiellen Variablen einer kartellrechtlichen Überprüfung wie Wettbewerber, Marktdefinition, Wettbewerbsvorteile, Auswirkungen bestimmter Verhaltensweisen und Natur der zu erwartenden Renten“ bereits 2004 voraussah.
14
Bundeskartellamt, Big Data und Wettbewerb v. 6.10.2017, http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Schriftenreihe_Digitales/Schriftenreihe_Digitales_1.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (abgerufen 14.12.2019), S. 5; eine Erörterung und kartellrechtliche Einordnung des Phänomens der mehrseitigen Wirtschaftsbeziehungen erfolgt auch bei
Blaschczok
, Kartellrecht in zweiseitigen Wirtschaftszweigen, 2015.
15
Evans
/
Schmalensee
, Matchmakers, 2016, S. 16.
16
Siehe vor allem Kommission, Entsch. v. 6.12.2016 – M.8124 (Microsoft/LinkedIn); Kommission, Entsch. v. 3.10.2014 – M.7217 (Facebook/WhatsApp); BKartA, Beschl. v. 20.4.2015 – B6-39/15 (Online-Immobilienplattformen), nicht veröffentlicht; BKartA, Beschl. v. 24.7.2015 – B8-76/15 (Online-Vergleichsplattformen), nicht veröffentlicht.
17
Regierungsbegründung zur 9. GWB-Novelle, BT-Drs.18/10207, S. 51.
18
Einführend zur Bedeutung sprachlicher Ausdrücke und ihrer Funktion der Rechtswissenschaft:
Rüthers
/
Fischer
/
Birk
, Rechtstheorie, 2018, Rn. 155a.
Gegenwärtige wissenschaftliche Auseinandersetzungen beschäftigen sich bereits partikular mit einzelnen Aspekten dieser Untersuchung.19 So werden der Plattform-Begriff und das Konzept der mehrseitigen Märkte in den letzten Jahren bereits allgemein unter rechtlichen Aspekten diskutiert, zunehmend speziell in kartellrechtlicher Hinsicht.20 Auch rechtswissenschaftliche Innovationsforschung wird bereits seit mehreren Jahrzehnten mit unterschiedlichen Schwerpunkten betrieben, vorangetrieben insbesondere von Hoffmann-Riem.21 Besonders stark in der Diskussion stehen hier die Ausgangstheorien von Schumpeter zu Innovation und Wirtschaft, auf die es besonders ankommen wird.22 Jedoch gibt es für Plattform-Sachverhalte in der Digitalwirtschaft bislang noch kein Bindeglied zwischen Innovationstheorie und Kartellrecht in Form einer substantiierten Aufarbeitung eines eigenständigen kartellrechtlich fassbaren Innovationsbegriffs. Vereinzelten Darstellungen zu Einzelproblemen fehlt es an ganzheitlich verwertbaren Erkenntnissen, die sich methodisch abstrakt-generell auf andere innovationserhebliche Sachverhalte übertragen lassen.23 Insbesondere beschränken sich bisherige Forschungen sehr stark auf dynamische Effizienz und lassen dabei den Aspekt der Effektivität außer Acht.24Hoffmann-Riem weist hierzu darauf hin, dass regelmäßig nicht zwischen Effizienz und Effektivität unterschieden wird, dies aber zur Klärung einer Innovationstheorie erforderlich sei.25 Dies erscheint noch deutlicher angesichts des von der EU-Kommission vorangetriebenen More Economic Approach, der sehr stark auf die Betrachtung von Effizienzen abstellt.26 Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage nach der Geltung von Recht in dynamischen Wettbewerbssachverhalten und einem eigenständigen rechtstheoretischen Begründungsansatz. Dies ist mit dem Problem sich stark verändernder Sachverhalte und weitgehend offener und unbestimmter Rechtsbegriffe des Kartellrechts konfrontiert. Effektivität kann als Maßstab des Wettbewerbs die Grundlage seiner Innovationsgeneigtheit darstellen. Offen ist bislang seine rechtliche Rückanbindung. Diese Arbeit soll die Lücke schließen und methodische verallgemeinerungsfähige Argumentationsinstrumente bereitstellen, indem sie eine kartellrechtliche Innovationstheorie für digitale Plattform-Sachverhalte entwickelt und dabei gleichzeitig eine dogmatische Abgrenzung zwischen Effektivität und Effizienz vornimmt. Untersucht wird auch die Auswirkung des Umstands Dynamik in kartellrechtlich zu bewertenden Sachverhalten. Dynamik ist die Grundannahme der Untersuchung in tatsächlicher Hinsicht, ausgehend von der ein rechtliches Innovationsverständnis aus dem Rechtsbegriff Wettbewerb abgeleitet wird. Grundlage ist hierbei die von Möschel entwickelte Theorie der beweglichen Schranken, die ein auf die Effektivität der ausgelebten Wettbewerbsfreiheiten gestütztes materielles Abwägungskonzept ermöglicht und angesichts der jüngeren BGH-Rechtsprechung erneute Bedeutung gewinnt.27
Die technische Umsetzung von digitalen Plattform-Geschäftsmodellen erfolgt über das Internet und die damit verbundenen Protokolle. Auf eine grundsätzliche Erläuterung der technischen Voraussetzungen wird es hierbei aus kartellrechtlicher Hinsicht zwar nicht ankommen. Gleichwohl ist es für die Klärung einiger sich aus Plattform-Sachverhalten ergebender Fragen erforderlich, Grundbegriffe aus der Informatik und Fernmeldetechnik mit Bezügen zur Digitalisierung und der Internetstruktur zu erläutern. Hier soll auf gesicherte Erkenntnisse zurückgegriffen werden. Dies betrifft ebenso sämtliche Schlagworte, die im Zusammenhang mit dem Lebenssachverhalt der digitalen Plattformen stehen könnten. Hierzu zählen unter anderem „Internet“, „IP“, „Digitalisierung“, „virtuell“ und „Over the Top“. Dogmatisch steht dies bei dieser Untersuchung im Zusammenhang mit der Vermittlung von Informationen durch digitale Plattformen. Informationen, Daten und übergreifend Wissen gewinnen in einem dynamischen Wettbewerb weitere Bedeutung und damit für diese Untersuchung.
Für die materiell-rechtliche Analyse soll im Weiteren die Entwicklung in der jüngeren Rechtsprechung des BGH zum Marktmachtmissbrauchsverbot aufgegriffen werden, das positive Kartellrecht unter Berücksichtigung von außerhalb dieses Rahmens liegenden Wertungen auszulegen.28 Dies könnte auf eine Auslegung des Kartellrechts hindeuten, die nicht allein nach wirtschaftlichen statistischen oder verallgemeinerten Erkenntnissen erfolgt, sondern eine einzelfallbezogene Wertung vornimmt und dabei wiederum stärker auf das geltende Recht und den Zweck des Kartellrechts als Entscheidungsgrundlage abstellt.29 Eine ähnliche Entwicklung zeichnete sich im Bereich des Verbots wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen zwischen mehreren Unternehmen ab, indem die möglichen wettbewerbsimmanenten Zwecke hier deutlich mehr herausgearbeitet wurden.30 Hieraus kann wiederum auf ein eigenständiges rechtliches Verständnis des Innovationsbegriffs innerhalb der Rechtsordnung zu schließen sein.
19
Zur Übersicht auch mit den historischen Bezügen der Forschung
Kerber
, Competition, Innovation, and Competition Law: Dissecting the Interplay, MAGKS Joint Discussion Paper Series in Economics v. 6.10.2017, https://www.uni-marburg.de/fb02/makro/forschung/magkspapers/paper_2017/42-2017_kerber.pdf (abgerufen 14.12.2019); Siehe auch
Ellger
, ZWeR 2018, S. 272 (274) mit einer anschließenden Einordnung in das allgemeine Kartellrecht.
20
Vgl. bereits
Volmar
, Digitale Marktmacht, 2019; BKartA, Beschl. v. 22.10.2015 – B6-57/15 (Online-Datingplattformen), BeckRS 2016, 1137, Rn. 72;
Blaschczok
, Kartellrecht in zweiseitigen Wirtschaftszweigen, 2015;
Assion
, Must Carry, 2015;
Kumkar
, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017;
Bardong
, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 18 GWB, Rn. 159;
Zimmerlich
, Marktmacht in dynamischen Märkten, 2007.
21
Hoffmann-Riem
, Innovation und Recht, Recht und Innovation, 2016; siehe in diesem Zusammenhang aber auch
Wieddekind
, in: Eifert/Hoffmann-Riem, Innovation und rechtliche Regulierung, 2002, S. 134;
Wolf
, Kartellrechtliche Grenzen von Produktinnovationen, 2004, S. 72f.;
Fleischer
, Behinderungsmissbrauch durch Produktinnovation, 1997.
22
Schumpeter
, Konjunkturzyklen, 1961, S. 95ff.;
Schumpeter
, in: Stolper/Seidl, Aufsätze zur Wirtschaftspolitik, 1985, S. 226;
Schumpeter
, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1993.
23
Zuletzt siehe den Aufsatz mit einem Schwerpunkt auf einer innovationsbezogenen Effizienzeinrede von
Holzweber
, in: Maute/Mackenrodt, Recht als Infrastruktur für Innovation, 2019, S. 41; vgl. auch die längeren Arbeiten von
Leber
, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018;
Wurmnest
, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, 2012;
Schuhmacher
, Effizienz und Wettbewerb, 2011;
Gauß
, Die Anwendung des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots nach Art. 82 EG (Art. 102 AEUV) in innovativen Märkten, 2010;
Heidrich
, Das evolutorisch-systemtheoretische Paradigma in der Wettbewerbstheorie, 2009;
Brinkmann
, Marktmachtmissbrauch durch Verstoß gegen außerkartellrechtliche Rechtsvorschriften, 2018;
Volmar
, Digitale Marktmacht, 2019.
24
Podszun
, in: Surblytė, Competition on the Internet, 2015, S. 101;
Podszun
, Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte, 2014;
Leber
, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018;
Zimmerlich
, Marktmacht in dynamischen Märkten, 2007;
Holzweber
, in: Maute/Mackenrodt, Recht als Infrastruktur für Innovation, 2019, S. 41; kritisch hierzu aufgrund der schwierigen Feststellbarkeit
Kerber
, Competition, Innovation, and Competition Law: Dissecting the Interplay, MAGKS Joint Discussion Paper Series in Economics v. 6.10.2017, https://www.uni-marburg.de/fb02/makro/forschung/magkspapers/paper_2017/42-2017_kerber.pdf (abgerufen 14.12.2019); ähnlich
Schmidt
, in: Joost/Oetker/Paschke, Festschrift für Franz Jürgen Säcker zum 70. Geburtstag, 2011, S. 937 (942f.).
25
Hoffmann-Riem
, Innovation und Recht, Recht und Innovation, 2016, S. 369.
26
Einführend
Kersting
/
Walzel
, in: Busche/Röhling, Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art. 101 AEUV, Rn. 527ff.;
Böni
/
Regenthal
, WuW 2006, S. 1230;
Hildebrand
, WuW 2005, S. 513;
Schmidtchen
, WuW 2006, S. 6;
Basedow
, WuW 2007, S. 712;
Zimmer
, WuW 2007, S. 1198 (1203); zu den historischen Hintergründen siehe
Witt
, The more economic approach to EU antitrust law, 2016, S. 54ff.
29
Podszun
, in: Kokott/Pohlmann/Polley, Europäisches, deutsches und internationales Kartellrecht, 2018, S. 613 (632);
Müller-Graff
, EuR 2014, S. 3 (13).
Ausgehend von diesen Darstellungen ergeben sich folgende Ausgangsthesen und Annahmen, die in dieser Arbeit untersucht werden:
• Bei dem Ausdruck „digitale Plattformen“ handelt es sich um einen möglichen Sammelbegriff für besonders innovationserhebliche Lebenssachverhalte;
• Kartellrecht als abgrenzbare rechtliche Materie ist innovationsrelevantes Recht31;
• Wettbewerb als Schutzgut des Kartellrechts ist dynamisch und muss deshalb erstens ständig unter Berücksichtigung neuer wettbewerbstheoretischer Erkenntnisse und Empirie und zweitens unter Berücksichtigung einer Abwägung seiner jeweiligen Zwecke ausgelegt werden;
• Ein dynamischer Wettbewerb kann rechtlich nicht allein an einem Ziel gemessen werden, sondern muss im Rahmen einer an vielfältigen Prinzipien sich orientierenden graduellen Abwägung auf seine Effektivität hin betrachtet werden;
• „Innovation“ ist ein kartellrechtlich erfassbarer Begriff, der über eine bloße Sachverhaltserfassung hinaus einer eigenständigen Einordnung in das geltende Rechtssystem bedarf;
• „Innovation“ kann Entfaltungsfreiraum und Grad des effektiven Wettbewerbs sein;
• Digitale Plattformen sind nach dem geltenden Kartellrecht bereits grundsätzlich erfassbar, jedoch bedarf es hierfür den Besonderheiten mehrseitiger Geschäftsmodelle Bedeutung tragende methodische Argumentationsstrukturen;
• Das Streben nach Monopolstellungen oder Vorsprüngen ist dem effektiven Wettbewerb immanent, kann also nicht durch das geltende Kartellrecht verhindert werden, sondern nur durch den Wettbewerb selbst, der deshalb als Auf- und Abbauprozess zu schützen ist;
• Der Forderung nach einem „perfekten Wettbewerb“ kann als Einwand das Risiko eines innovationsfeindlichen Zustands entgegengehalten werden, der den eigentlichen Zielen des geltenden Kartellrechts zuwiderlaufen würden;
• Ein Prima-facie-Kartellrechtsverstoß kann im Zusammenhang mit Innovationen tatbestandlich ausgeschlossen sein;
• Kartellrechtlich tatbestandliche Maßnahmen können im Zusammenhang mit Innovationen freigestellt sein.
Dabei beschränkt sich die Untersuchung in materiellrechtlicher Hinsicht auf die drei Kernbereiche des Kartellrechts, nämlich das Verbot wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen zwischen mehreren Unternehmen gemäß Art. 101 AEUV bzw. § 1 GWB, das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gemäß Art. 102 AEUV bzw. §§ 19, 20 GWB sowie die Zusammenschlusskontrolle nach der EU-Fusionskontrollverordnung bzw. §§ 35ff. GWB. Nicht untersucht werden soll das Beihilfenrecht. Sektorspezifische Vorschriften mit marktregulatorischen Bezügen sollen nur betrachtet werden, soweit sich hieraus Rückschlüsse auf den Untersuchungsgegenstand ziehen lassen. Diese „drei Säulen“ des Kartellrechts können in ihrem überschaubaren Wortlautbestand ausgelegt werden, wobei sie sich besonders stark durch unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln auszeichnen. Dies betrifft unter anderem die Begriffe „Wettbewerb“, „Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung“, „bezwecken oder bewirken“ beim Verbot wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen zwischen mehreren Unternehmen, „missbräuchliche Ausnutzung“, „unbillige Behinderung“, „ohne sachliche gerechtfertigten Grund“, „hohe Wahrscheinlichkeit bei wirksamem Wettbewerb“, „abweichen“ beim Marktmachtmissbrauchsverbot sowie „abhängig“, „ausreichende und zumutbare Ausweichmöglichkeiten“ bei der Sondervorschrift des § 20 Abs. 1 S. 1 GWB zu relativer Marktmacht und schließlich „erhebliche Inlandstätigkeit“ und „erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs“ bei der Fusionskontrolle.
Ziel ist dabei zum einen eine Auslegung der für eine derartige Berücksichtigung von Innovation maßgeblichen rechtlichen Vorschriften. Zum anderen wird die rechtliche Bedeutung von Innovation im europäischen und deutschen Kartellrecht analysiert. Da Innovation in einem Zusammenhang mit Wettbewerb steht, setzt sich ein wesentlicher Teil dieser Arbeit mit der Definition des Begriffs „Wettbewerb“ auseinander und nimmt eine Einordnung des wettbewerblichen Innovationsbegriffs vor. Hierbei soll das Verhältnis zwischen Wettbewerbs- und Rechtsordnung erörtert werden und hieran anknüpfend die Frage diskutiert werden, ob sich überhaupt ein fassbarer Innovationsbegriff ableiten lässt. Im Ergebnis können sich im Zusammenhang mit der hier entwickelten kartellrechtlichen plattformbezogenen Innovationstheorie verallgemeinerbare und auf andere Sachverhalte übertragbare Auslegungs- und Abwägungskriterien ergeben. Methodisch wird angesichts des überschaubaren positiv geregelten Vorschriftenbereichs und der enthaltenen Generalklauseln und offenen Tatbestandsmerkmale eine Wortlautanalyse oder systematische Auslegung eine geringere Bedeutung haben als eine teleologisch-historische Auslegung am eigentlichen Gesetzeszweck. Dabei soll sich diese Arbeit nicht von anekdotischer Evidenz der zunehmenden behördlichen und gerichtlichen Kasuistik leiten lassen, sondern diese vielmehr in einen allgemeinen dogmatischen Zusammenhang stellen und anhand dessen vertretbare Argumentationen für innovationserhebliche Plattformsachverhalte ableiten.
In dem folgenden ersten untersuchenden Abschnitt wird der Lebensbereich digitale Plattform mit seinen gesellschaftlichen und ökonomischen Besonderheiten erläutert. Dabei soll diese Untersuchung zunächst deduktiv ausgehend von gegenwärtigen Beispielen typische Gemeinsamkeiten bei Plattform-Sachverhalten darstellen, anhand derer sich das in der Wirtschaftswissenschaft entwickelte Konzept der „mehrseitigen Wirtschaftszweige“ erörtern lässt und in das geltende europäische und deutsche Kartellrecht eingeordnet werden soll. Er schließt mit der Feststellung, dass digitale Plattformen aufgrund technischer Entwicklungen und sozialer Veränderungen einen besonderen wettbewerblichen Bezug zu Innovation haben. Dieser Ausdruck wird im Weiteren genauer auf ein rechtlich erhebliches Verständnis hin diskutiert. Dabei soll ausgehend von einem sprachlichen Verständnis zunächst ein allgemeiner rechtstheoretischer Ansatz erarbeitet werden, anhand dessen ein allgemeiner sprachlicher Ausdruck rechtlich erheblich sein kann. Unter Berücksichtigung des hierbei erzielten Verständnisses und damit einhergehender Begriffseingrenzungen sollen verfassungsrechtliche Grundlagen sowie philosophische, sozialwissenschaftliche und wettbewerbstheoretische Konzepte zur Innovationstheorie erörtert werden. Diese setzten sich mit der Fragestellung auseinander, wie in innovationserheblichen Sachverhalten überhaupt Recht gefunden und kartellrechtliche Fälle entschieden werden können. Schließlich sollen die jüngeren Entwicklungen in der Rechtspraxis im Zusammenhang mit Plattform-Sachverhalten daraufhin untersucht werden, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen eine innovationsbezogene Schadenstheorie bereits besteht oder noch entwickelt werden kann, es also nicht nur um „Innovation und Kartellrecht“ geht, sondern um einen Aspekt der „Innovation im Kartellrecht“. An diesen kartellrechtlichen Schnittstellen anknüpfend wird sich der letzte Abschnitt mit der kartellrechtlichen Bewertung des Verhältnisses zwischen Plattform-Sachverhalten und Innovation befassen.
31
Vgl. zu dieser Aussage bereits
Hoffmann-Riem
, in: Hoffmann-Riem/Schneider, Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 11.
In der Rechtspraxis der letzten Jahre haben digitale Plattformen und damit besonders verbunden datengetriebene Geschäftsmodelle ein zunehmend bedeutenderes Gewicht in der kartellrechtlichen Dogmatik gewonnen.32 Eine einheitliche rechtliche Bewertung oder ein dieser vorausgehendes Verständnis fehlt bislang noch. Evans/Schmalensee sehen die Besonderheiten der Plattform-Wirtschaft in den technischen Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien in Form eines zunehmend kommerziell offeneren Internets seit den mittleren 1990er Jahren sowie dem zusätzlichen Ausbau mobiler Breitbandnetze und damit verbundenen gesunkenen Transaktionskosten.33 Diese Besonderheiten rücken digitale Plattformen in eine besondere Nähe zu innovationsbezogenen Technologien, indem sie diese einerseits als Vehikel für ihren wirtschaftlichen Erfolg nutzen, andererseits das Begriffspaar Innovation und Wettbewerb durch ständig sich wandelnde Geschäftsmodelle und ihre enge Verzahnung untereinander in neue Verhältnisse untereinander bringen, die mit dieser Untersuchung beleuchtet werden sollen.34 Plattformen umschreiben also innovationserhebliche Sachverhalte. Datengetrieben meint dabei, dass diese Plattformen in besonderer Weise mit dem gestiegenen Interesse an einem Austausch an Informationen und Daten in einem weiteren Sinne verbunden werden können.35 Plattformen machen sich die technologischen wie wirtschaftlichen und wettbewerblichen Vorteile der Entwicklungen in der Internetwirtschaft zu eigen.
Plattformen sind als solche keine völlig neue Erscheinungsform.36 Bereits vor dem sogenannten „digitalen Zeitalter“ gab es Unternehmen, die Netzwerkeffekte für sich ausnutzten und verschiedene Nutzergruppen mit unterschiedlichen Interessen miteinander verbanden, zum Beispiel im Zusammenhang mit Software, Medienportalen, Zeitschriften und Zahlungsdiensten.37 Mit zunehmender Digitalisierung und größerer Wertschöpfung in der Online- und Digitalwirtschaft gewinnen Plattformen ebenso weitere wie neue Bedeutungen.38 Dies liegt an den mit dem Internet verbundenen Vorteilen, insbesondere den noch aufzuzeigenden Kostenvorteilen, besserer Verteilung nachgefragter Produkte und Vermittlung von Informationen und damit Wissen, sowie einer schnellen Erschließung nächster Kapitalisierungsmöglichkeiten.39 Besonders stark zeigt sich dies in technischer Hinsicht darin, dass die neuen Technologien vor allem auf eine schnellere und wirtschaftlichere Verarbeitung von Informationen ausgerichtet sind, weshalb digitale Plattformen als besonderes soziales Phänomen des sogenannten „Informationszeitalters“ angesehen werden können. Eine besondere Bedeutung haben hier zudem Netzwerkeffekte, die in Zusammenhang mit den Entscheidungen einzelner Individuen einer bestimmten Nutzergruppe und deren Auswirkungen auf andere Individuen derselben oder einer anderen Nutzergruppe stehen. Die beiden wesentlichen Herausforderungen für Plattform-Anbieter liegen hier einerseits darin, verschiedene Nutzergruppen zu adressieren und Nutzerbeziehungen zu generieren, und andererseits in einem hiermit einhergehenden Henne-Ei-Paradoxon hinsichtlich der zuerst präsenten Nutzergruppe.40 Dabei kann der Zusatz „digital“ ebenso wenig wie bereits der Plattformbegriff fest definiert werden, sondern dient vielmehr einer ersten Annäherung an den Untersuchungsgegenstand und seiner Eingrenzung, um daraus die für eine rechtliche Bewertung erheblichen Besonderheiten herauszuarbeiten.
33
Evans
/
Schmalensee
, Matchmakers, 2016, S. 19.
34
Bester
, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 185; Bundeskartellamt, Arbeitspapier – Marktmacht von Plattformen und Netzwerken v. 9.6.2016, https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Berichte/Think-Tank-Bericht.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen 14.12.2019), S. 84; bereits
Boehme-Neßler
, ZÖR 2009, S. 145 (149).
35
Telle
, in: Blocher/Heckmann/Zech, DGRI Jahrbuch 2016, 2017, S. 143;
Graef
, EU competition law, data protection and online platforms, 2016;
Drexl
, JIPITEC 2017, S. 257;
König
, in: Hennemann/Sattler, Immaterialgüter und Digitalisierung, 2017, S. 89;
Louven
, NZKart 2018, S. 217;
Schweitzer
, GRUR 2019, S. 569; die Bedeutung und weitere Einzelaspekte dazu auch darstellend
Kaben
, in: Körber/Immenga, Daten und Wettbewerb in der digitalen Ökonomie, 2016, S. 123;
Mayer-Schönberger
/
Ramge
, Das Digital, 2017;
Richter
/
Slowinski
, IIC 2019, S. 4;
Sattler
, in: Sassenberg/Faber, Rechtshandbuch Industrie 4.0 und Internet of Things, § 2;
Schweitzer
/
Peitz
, NJW 2018, S. 275;
Körber
, NZKart 2016, S. 303;
Körber
, NZKart 2016, S. 348.
36
Vgl. zu dieser Aussage kritisch
Dewenter
/
Rösch
, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, 2015, S. 8.
37
Rochet
/
Tirole
, JEEA 2003, S. 990 (990);
Rochet
/
Tirole
, RJE 2006, S. 645 (646);
Dewenter
/
Rösch
/
Terschüren
, NZKart 2014, S. 387 (388).
38
Einführend dazu
Henseler-Unger
, in: Sassenberg/Faber, Rechtshandbuch Industrie 4.0 und Internet of Things, § 1, Rn. 6ff.;
Scheer
, IS 2016, S. 275 (277); Nach
Körber
, ZUM 2017, S. 93 (94) sind mehrseitige Geschäftsmodelle wie Plattformen „im Internet“ die Regel und nicht die Ausnahme.
39
Rochet
/
Tirole
, JEEA 2003, S. 990 (990).
40
Dewenter
/
Rösch
, Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte, 2015, S. 4f;
Blaschczok
, Kartellrecht in zweiseitigen Wirtschaftszweigen, 2015, S. 111ff.; dies zurückführend auf die Untersuchungen ausgehend von
Rochet
/
Tirole
, JEEA 2003, S. 990 (990).
Der wirtschaftliche Erfolg vieler Plattformen hängt mit den zunehmend besseren, schnelleren und kostengünstigeren Möglichkeiten zusammen, Informationen zu verarbeiten, zu transportieren und zu teilen.41 Dies lässt sich an den im ausgehenden 20. Jahrhundert eintretenden Entwicklung der Informationstechnologie beobachten, die schließlich in die als solche genannte „digitale Revolution“ überging.42 Es besteht also ein erster enger Zusammenhang zwischen Innovation und den technischen Entwicklungen der letzten Jahre und dem Erfolg einiger Plattform-Unternehmen.43 Informationstechnologie beschreibt dabei den Oberbegriff für eingesetzte physische Informationstechnik bzw. -infrastruktur sowie standardisierte Protokolle und Anwendungen.44 In den letzten Jahren kamen weitere Entwicklungen wie die Blockchain-Technologie oder andere vernetzte Systeme, virtuelle oder augmentierte Realität und schließlich im weitesten Sinne künstliche Intelligenz hinzu. Allen diesen technischen Entwicklungen und Eigenschaften gemein ist, dass sie nicht im herkömmlichen Sinn wie physische Produkte verschleißen, und dass sie alle Akteure zu ständig neuen Entwicklungen herausfordern.45
Ausgang nahmen diese Entwicklungen etwa in der Mitte des 20. Jahrhunderts anlässlich durch das US-Militär aufgrund seines Bedarfs nach einem informationstechnischen Vorsprung gegenüber den damaligen Ostblock-Staaten im kalten Krieg vorangetriebener Forschungsprojekte, mittels derer eine verbesserte Vernetzung der Kapazitäten bereits vorhandener Computer erzielt werden sollte.46 Dies bezog sich zunächst ausschließlich auf vorhandene Computer des Militärs, sowie anderer staatlicher und wissenschaftlicher Einrichtungen. Die Vernetzung ließ sich dabei über bereits bestehende Telekommunikationsinfrastrukturen herstellen. Später wurde die Internettechnik entwickelt, die sich von der herkömmlichen Leitungsvermittlung durch die Verwendung der auf Paketvermittlung ausgerichteten Protokollfamilie TCP/IP unterscheidet.47 Die dadurch geschaffene Internet-Infrastruktur wurde zu Beginn der 1990er Jahre für den kommerziellen Betrieb geöffnet.48 Hauptsächlich erfolgt dies über das sogenannte World Wide Web (WWW), das eine einheitliche Darstellungsform für im Internet übertragene Inhalte ist und dem Nutzer die einfache Wahrnehmung von über das Internet bereitgestellten Inhalten mittels einer Browser-Anwendung ermöglicht.49 Die Nutzung erfolgte dabei zunächst hauptsächlich statisch in Form der einfachen Bereitstellung und Verwaltung von Inhalten.50 Es handelte sich also zunächst um ein alternatives Medium, über das sich Nutzer Informationen beschafften. Zunehmend wandelte sich dieses Nutzungsverhalten und Anbieter wie Nutzer gingen zu einem stärkeren Austausch an Informationen untereinander und einer stärkeren Vernetzung miteinander über, wobei sie sich immer mehr der Funktionen von Intermediären wie zum Beispiel Forenbetreibern, Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken bedienten. Für diese Entwicklung wird auch die Bezeichnung Web 2.0 verwendet.51 Zunehmend werden unter dem Schlagwort „Internet der Dinge“ neuere technologische Entwicklungen zusammengefasst, die sich mit der Vernetzung weiterer Akteure, Gegenständen oder Maschinen befassen.52 Außerdem werden in der Internet-Wirtschaft zunehmend Ressourcen oder Kapazitäten vernetzt, um sie in einem größeren Zusammenhang nutzen zu können, wie dies bei Cloud- oder Distributed-Ledger-Technologien der Fall ist. Die Nutzung digitaler Plattformen durch ihre Nutzer wird damit stetig dynamisiert.
Das Internet ist die grundlegende Infrastruktur der Digitalisierung und der „digitalen Revolution“.53 Es ermöglicht den Austausch von als binären Codes abgespeicherten Informationen, sogenannter Bits54, zwischen verschiedenen an das Internet angebundenen Computern oder anderen Endgeräten. Dies erfolgt zum einen über ein weltweites dezentrales Netzwerk an miteinander verwobenen physischen Kommunikationsinfrastrukturen und zum anderen durch die Verwendung einheitlicher Transportprotokolle aus der sogenannten Internetprotokollfamilie. Typische physische Infrastrukturen sind zum Beispiel Kabel oder Funkmasten zur Realisierung von Festnetz- und Mobilfunk-Telekommunikation.55 Mit dem Internet verbundenen Geräten wird eine IP-Adresse zugewiesen, mittels derer sie über das Internet Informationen austauschen können.56 Hierbei wird das sogenannte Internet Protokoll (IP) verwendet, das eine verbindungsunabhängige Adressierung der Daten ermöglicht.57 Verbindungsunabhängige Adressierung bedeutet, dass diese Weiterleitung nicht über eine spezifische für diese konkrete Informationsübermittlung vorgesehene Leitung erfolgt. Stattdessen werden die Datenpakete über alle zum Übermittlungszeitpunkt zur Verfügung stehenden Infrastrukturen als ein einheitlicher Bitstrom transportiert.58 Hierfür werden die über das Internet zu transportierenden Informationen in bestimmten Formaten abgespeichert, den Paketen. Die einzelnen Pakete werden dabei mit den nötigen Informationen versehen, die den mit dem Internet verbundenen Infrastrukturen eine Weiterleitung an das vorgesehene Ziel ermöglicht. Moderne internetgestützte Angebote wie unter anderem Streaming-Plattformen oder Internet-of-Things-Dienste benötigen dabei zunehmend höhere Übertragungsraten. Verbindungsunabhängig bedeutet für den weiteren Verlauf dieser Untersuchung, dass darauf aufbauende Geschäftsmodelle nicht mehr aus technischen Gründen den Betrieb einer eigenen Verbindungsinfrastruktur voraussetzen, sondern auf den öffentlich bereitgestellten physischen Infrastrukturen anderer Anbieter aufbauen können.59
Die Telekommunikationsinfrastruktur hat sich dabei in den letzten Jahrzehnten ebenso stark verändert. Die meisten Netze wurden mittlerweile auf einen IP-basierten Datenaustausch umgestellt, sodass der Datentransport nunmehr flächendeckend paketorientiert erfolgt. Auch die physischen Möglichkeiten der Infrastruktur haben sich entwickelt. Herkömmliche Kupferkabel können mittels neuerer DSL-Technologien für höhere Bitraten verwendet werden, also mehr Informationen schneller transportieren. Die bereits für das Angebot von Kabel-Fernsehen bestehende Infrastruktur, also ursprünglich für Pay-TV verwendete monodirektionale Koaxialkabel60, konnte durch die Einführung eines Rückkanals auch für das Internet aufgerüstet werden. Besonders hohe Bitraten lassen sich mit Glasfaserkabeln, sogenannten Lichtwellenleitern, erzielen. Ebenso steigen die Übertragungsraten im Mobilfunkbereich zunehmend und ermöglichen für mobile Endgeräte den schnellen Austausch hoher Datenmengen unter Teilnahme einer großen Nutzeranzahl.61 Damit einher gehen sinkende Kosten für den Betrieb dieser Infrastrukturen bei gleichzeitig steigender Flexibilität hinsichtlich der übertragbaren Daten.62
Als Informationstechnik können für den Zweck dieser Untersuchung diejenigen physikalischen Ressourcen und Kapazitäten zusammengefasst werden, die der Verarbeitung von Informationen oder allgemein der Bewältigung von Rechenaufgaben dienen. Hierzu gehören zunächst Computer sowie weitere Geräte, die mittels Chip-Technologie nach einer Eingabe vorgegebene Aufgaben selbstständig lösen können. Werden Daten über das Internet, also durch IP-Routing, ausgetauscht, müssen die aufgrund des Transportprotokolls vorgegebenen Informationen durch selbstständig im Netzwerk angeschlossene Computer, zum Beispiel Router, Server oder Switche, umgesetzt werden.
Etwa seit Beginn des 21. Jahrhunderts werden zunehmend Technologien zur mobilen Internetanbindung und -nutzung eingesetzt. Dies hat zu einer Entwicklung von leistungsstärkeren Computer-Chips für mobile Endgeräte geführt.63 Zum Beispiel werden Rechner nicht mehr bloß stationär an einem Schreibtisch verwendet, sondern können von dem jeweiligen Nutzer transportiert werden. Smartphones kombinieren bisherige Mobilfunk-Telefone mit Computer-Technologie und Breitband-Internetanbindung. Dies führte zu einer noch stärkeren persönlichen Vernetzung der Smartphone-Nutzer mit der weiteren Folge, dass eine Vielzahl an Internetdiensten ihr Angebot auf diese Endgeräte erweiterte und Apps für Smartphones anbot. Die zunehmend mobile Anbindung der Informationstechnik ist Ausdruck der Dynamisierung der Nutzung digitaler Plattformen.
Damit Telekommunikationswege und Informationstechnik flexibel und einfach Daten transportieren oder verarbeiten können, benötigen sie Protokolle wie zum Beispiel das bereits erwähnte Internet Protokoll. Bei diesen handelt es sich um Anwendungsregeln für spezifische vorgegebene technische Standardsituationen, die entweder einseitig durch ein Unternehmen als Anwender gesetzt werden oder aber kooperativ durch mehrere Anwender entwickelt und akzeptiert werden. Protokolle stellen technische Regelwerke für die Kommunikation dar und legen Formate sowie Austauschinformationen fest.64 So schreibt das Internet Protokoll die Zerlegung der einzelnen Informationen in Pakete und ihren anschließenden leitungsunabhängigen Transport vor. Daneben werden über die Ausgestaltung der Protokolle logische Schnittstellen bereitgestellt, über die andere Aufgaben erfüllt werden können.65 Das bedeutet, dass Protokolle Spielräume eröffnen, um neue Funktionen anbieten zu können. Dies ist insbesondere in komplexen Wirkungszusammenhängen zwischen unterschiedlichen technischen Kapazitäten der Fall, die mit unterschiedlichen Protokollen arbeiten. Um den Austausch von Daten oder Informationen zwischen unterschiedlichen Akteuren zu ermöglichen, werden Schnittstellen eingesetzt, die ebenso häufig standardisiert sind.
Anwendungen stellen den Oberbegriff für internet- oder softwaregestützte Hilfsmittel dar, die durch Benutzer zur Lösung von Aufgaben nach individuellen Vorgaben verwendet werden. Zahlreiche digitale Plattformen bieten eigene Anwendungen zur Inanspruchnahme ihrer Angebote an.
Die für den grundlegenden Betrieb des Internets bedeutendste Anwendung ist das World Wide Web (WWW), ein über das Internet durch Protokolle vernetztes System an Inhalten und Hyperlinks, das dem Nutzer den Zugriff zu im Internet bereitgestellten Inhalten ermöglicht.66 Die für seinen Betrieb maßgeblichen Anwendungsprotokolle sind Hypertext Transfer Protocol (HTTP) und Hypertext Markup Language (HTML). Das WWW wird häufig mit dem Internet gleichgesetzt, setzt dieses aber voraus und stellt lediglich eine über das Internet vermittelte Anwendung dar.67 Für den Internetnutzer stellt sich das World Wide Web als „Oberfläche“ des Internet dar, das durch „browsen“ erkundet werden kann.
Einen wesentlichen Anteil an den vorausgehend beschriebenen wirtschaftlichen Entwicklungen im Zusammenhang mit der „digitalen Revolution“ bilden Initiativen, die zu einer Standardisierung beitragen.68 Standards sind Regelwerke, die unabhängig von staatlichen Regelungsvorgängen durch ihre Anwender selbst geprägt werden können und der einheitlichen Bewältigung eines bestimmten Vorgangs dienen.69 In der Internetwirtschaft beschreiben technische Standards Vorgaben, die der Interoperabilität und Kompatibilität beteiligter Kapazitäten, Ressourcen oder Akteure dienen.70 Die EU-Kommission beschreibt dies unter dem Begriff „Normen“ und grenzt demgegenüber „Standardbedingungen“ als gleichförmig verwendete Kauf- und Verkaufsbedingungen ab.71 Die Anwender eines Standards können sich also darauf verlassen, dass andere Anwender sich an ihre jeweils einschlägigen technischen Vorgaben halten werden. Dabei kann grob zwischen durch Normierungsgremien kooperativ beschlossenen Standards und von Unternehmen eigenständig gesetzten De-facto-Standards unterschieden werden.72 Sie können offen oder nicht-offen ausgestaltet sein. Offene Standards können von allen Anwendern zu gleichen Bedingungen genutzt werden. Nichtoffene Standards können dagegen aus technischen oder rechtlichen Gründen nicht von jedem Anwender genutzt werden. Nicht aufgrund kooperativer Abstimmungen zustande gekommene Standards können aufgrund ihrer Akzeptanz und Durchsetzung in der Branche sowie im Wettbewerb zu verbindlichen Defacto-Standards werden.73
Über die Verwendung von Standards lassen sich Effizienzvorteile und damit positive wettbewerbliche Effekte erzielen, wenn hierdurch technische Barrieren abgebaut werden und Wissen verteilt wird.74 Sie stehen deshalb in einem möglichen Zusammenhang mit den Freistellungswirkungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV. Die Einhaltung von technischen Standards bei der Entwicklung von Technologien führt dazu, dass die neue Entwicklung mit anderen Technologien zusammenwirken kann.75 Dies ist gerade bei internetgenutzten Technologien der Vorteil, da keine Lösung für eine „Übersetzung“ notwendig ist und damit Informationsverluste geringer ausfallen. Indem dort standardisierte Kommunikationsprotokolle zur Anwendung kommen, wird zum einen sichergestellt, dass überhaupt ein Datenaustausch stattfinden kann und nicht verschiedene technologische Entwicklungen ohne Vernetzung existieren. Standardisierung ist damit gerade im digitalen Bereich ein wichtiger Faktor für einen erleichterten Informationsaustausch. Zum anderen werden Kosten für die Entwicklung von individuellen Übersetzungs- oder Vermittlungstechnologien vermieden oder gesenkt, indem der dafür erforderliche Entwicklungsaufwand gesenkt wird. Offene Standardisierungsinitiativen können damit in der Internetwirtschaft verhindern, dass jeder Akteur eine eigene technische Lösung für ein spezifisches Kompatibilitäts- oder Interoperabilitätsproblem entwickeln muss und stattdessen auf einer abgestimmten Entwicklung aufbauen kann und sie über eine abstrakte logische Schnittstelle weiterentwickeln kann. Auf der anderen Seite bedeutet die Durchsetzung eines Standards die gleichzeitige Verhinderung anderer, nicht mit ihm konformgehender Lösungen. Die EU-Kommission sieht deshalb bei kooperativ gesetzten Standards das grundsätzliche Risiko von Wettbewerbsbeschränkungen, lässt aber eine Untersuchung im Einzelfall offen.76 Maßgeblich seien dabei die Auswirkungen der gesetzten Standardbedingungen auf Produktqualität, Produktvielfalt und Innovation.77
Die grundlegende Architektur des Internet sowie die Treiber der Digitalisierung verändern sich fortwährend.78 So zeichnet sich in den letzten Jahren eine neue Entwicklung in der internetgestützten Wirtschaft ab, das Internet der Dinge. Der deutsche IT-Gipfel beschreibt dieses Phänomen als „massive Vernetzung unterschiedlichster Dinge und Geräte und deren virtuelle Erreichbarkeit über das Internet“.79 Es geht also um die Anbindung von anderen physischen Gegenständen als Computern an das Internet. Dies erfolgt auf verschiedene Weisen. Zum einen ist es möglich, andere Maschinen als Computer mit internettauglicher Technologie auszustatten oder bereits vorhandene Technologie aufzurüsten. So werden mittlerweile marktgängige Lichtsysteme angeboten, bei denen die einzelnen Leuchtmittel über technische Schnittstellen oder einen WLAN-Router mit dem Internet verbunden werden und durch eine App gezielt gesteuert werden können.80 Alternativ können Gegenstände mit bestimmten Chips ausgestattet werden, die eine Erkennung und Auswertung über kurze Distanzen ermöglicht. Dies erfolgt derzeit hauptsächlich mittels der sogenannten RFID-Technologie.81 Unterstützend wird dabei häufig die Blockchain-Technologie herangezogen.
Das Besondere an diesen Entwicklungen im Zusammenhang mit dieser Untersuchung ist zum einen, dass eine weitere Vernetzung stattfindet und zwar von Objekten. Das bedeutet im Vergleich zu dem vorherigen Internet, das zunächst vor allem auf die Darstellung von Inhalten ausgerichtet war und anschließend mehr für Kommunikationsaustausch verwendet wurde, eine noch tiefere Durchdringung des alltäglichen menschlichen Lebens.82 Das Internet ist nicht mehr nur Medium oder Kommunikationskanal, sondern dient als Träger für eine Vielzahl an darüberhinausgehenden alltäglichen Vorgängen. Das zieht wiederum neue Angebote und Wertschöpfungsmöglichkeiten nach sich.83 Gegenstände können erfasst werden und Informationen über ihren gegenwärtigen Zustand und den gesamten „Lebenszyklus“ in Echtzeit erhoben, transportiert und ausgewertet werden.84 Hierauf aufbauend könnten neue oder bessere Angebote zur Verfügung gestellt werden, zum Beispiel weil sich neue Erkenntnisse über bestimmtes Nutzerverhalten oder Bedarfe ergeben. Der steigende Informationsbedarf wird als ein weiterer Faktor die Nachfrage nach höherbitratigen Telekommunikationsinfrastrukturen steigern.
Zum anderen lassen sich eine Vielzahl dieser neuen Produkte und Leistungen wiederum erneut über Plattformen vertreiben oder abbilden oder werden von diesen gar allein vorangetrieben. Industrielle Plattformen könnten einen noch schnelleren Informationsaustausch zwischen vernetzten Maschinen oder Produktionsstätten zu Lieferanten oder Abnehmern ermöglichen, zu verarbeitende Güter könnten schneller und effizienter zugeordnet werden oder beim Endkunden verwendete Maschinen könnten einfacher mit Gütern versorgt oder gewartet werden. Für Endkunden und Verbraucher könnten zusätzliche Bedarfe bestehen, diese neuen Angebote mit anderen Angeboten zu verbinden. Als ein einfaches Beispiel ließe sich hierfür der vernetzte Kühlschrank in einem Privathaushalt anführen, der aufgrund des bisherigen datenmäßig erfassten Einkaufsverhaltens und einer ständigen Überwachung seines Inhalts feststellen kann, wann ein bestimmtes Produkt aufgebraucht ist und hierdurch ausgelöst einen automatischen Vorgang auslöst, der zur Nachlieferung des fehlenden Produktes – gegebenenfalls wiederum über einen vernetzten Supermarkt – führt. Ähnlich können vernetzte Garagentoröffner mit einem internetgebundenen Lokalisierungsdienst eines bestimmten in der Garage zu parkenden Fahrzeugs verknüpft werden und sich bei Annäherung automatisch öffnen.
Schließlich nehmen kryptografische und algorithmische Technologien zunehmend Platz in der Diskussion ein. Ersterer Umstand erfährt seinen derzeit prominentesten Anwendungsfall in den immer mehr verwendeten Blockchain-Technologien. Hierbei handelt es sich ebenso um Netzwerke, die zusätzlich über ein besonderes kryptografisches Verfahren, das sogenannte Hashing, miteinander verbunden sind.85 Hierfür werden wiederum Algorithmen verwendet, bei denen es sich um vorbereitete Anwendungsmuster zur Lösung von Aufgaben handelt, die selbstständig durch Computer ausgeführt werden.86 Diese werden auch in Technologien eingesetzt, die allgemeinhin als „Künstliche Intelligenz“ oder „Autonome Systeme“ beschrieben werden. Hier regeln Algorithmen die Zusammenarbeit verschiedener Kapazitäten, meistens besonders umfangreicher wie zum Beispiel Netze, Rechnerressourcen oder Datenbanken.
Voraussetzungen dafür, dass man von einer „digitalen“ Plattform sprechen kann, sind also zum einen der Einsatz von internettauglicher Infrastruktur und zum anderen für die Verarbeitung digitalisierter Informationen geeigneter Informationstechnik. Beides hat sich in den letzten Jahrzehnten rapide verändert. Die Übertragungswege sind schneller geworden und ermöglichen den Transport großer Datenmengen in kurzer Zeit. Gleichzeitig finden sich stets neue Methoden des Austauschs und der Verwendung von Informationen. Dies wiederum fördert und fordert die Weiterentwicklung bereits vorhandener Technologien.87 Dabei sind diese Entwicklungen in technischer Hinsicht insofern stark miteinander verbunden, als dass sich eine sogenannte Pfadabhängigkeit ergibt.88 Das bedeutet, dass sich Entscheidungen für bestimmte Optionen nicht nur nach ihrer konkreten Auswirkung bewerten lassen, sondern vielmehr auch eine Entscheidung für ein technologisches Regime ausdrücken können.89
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Vgl. zur Übersicht hierzu:
Henseler-Unger
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