Kartonwand - Fatih Çevikkollu - E-Book

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Fatih Cevikkollu

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Beschreibung

Als Fatih Çevikkollus Mutter starb, war das für ihn ein Wendepunkt. Sie litt an einer Psychose und war im Alter nicht mehr gesellschaftsfähig. Und er fragte sich: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den psychischen Problemen und ihrem Schicksal als sogenannte Gastarbeiterin in den Sechzigerjahren in Deutschland? Alle Arbeitsmigrant:innen kennen sie, denn sie steht symbolisch für den Traum vom baldigen Glück in der Heimat: eine ganze Wand aus Kartons, in denen alles verstaut wurde, was schön und wertvoll war – für das spätere Leben in der Türkei.  Willkommen war man in Deutschland nicht, doch was hält man nicht alles aus, wenn es nur von kurzer Dauer ist? Es lohnte sich weder, die deutsche Sprache zu lernen, noch sich ein Zuhause zu schaffen, schließlich sollte es bald zurückgehen. Die Kinder wurden als Kofferkinder hin- und hergeschickt. Was macht es mit Menschen, wenn sie irgendwann merken: Der Traum zurückzukehren hat sich nicht erfüllt? Fatih Çevikkollu beschreibt sein Leben und das seiner türkischen Familie, die Träume und Enttäuschungen seiner Eltern, und er spricht mit Expert:innen über die Folgen der Arbeitsmigration, die bis heute in den Familien Wunden hinterlassen hat. Ein Thema, das bisher nur in Fachkreisen behandelt wurde und dringend in den Mittelpunkt der Debatten gehört.

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Seitenzahl: 229

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Fatih Çevikkollu

Kartonwand

Das Trauma der Arbeitsmigrant/innen am Beispiel meiner Familie

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Fatih Çevikkollu

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Die Nachricht

Die Zäsur

Das Anwerbeabkommen

Ankunft in Deutschland in den 60ern

Das Provisorium

Kindheitserinnerungen an Adana

Informationslücken

Ercan Amca, Onkel Ercan

Am Tisch der Vergangenheit

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind, es ist der Koffer mit dem Kind

Die Stimmung zu Hause

Der Traum von der Rückkehr

Meine Geschichte so weit

Schlüsselmoment

Sichtbarkeit

Zwei Jahre ohne Bewährung

Der Umzug

Mölln, November 1992; Solingen, Mai 1993 

Jugendtournee-Theater 1993 

Besuch der Mutter in Mersin

Schuld und Scham und die Stiftung

Onkel Ismet und Onkel Selim

Das erste Mal am Grab

Zoom auf Mutter

Die Rückkehr: Die Kartons und Fatih kehren fast zurück

Der Kiosk

Emine

Tante Melike

Ein Albtraum

Gespräch mit Ali Kemal Gün

Ein letzter Versuch

Versuch einer Antwort

Danksagung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Für Rüksan, meine Mutter, Özden, meinen Vater, und meine Tochter Su

Inhaltsverzeichnis

Die Nachricht

Es war an einem späten Vormittag im September 2017, ich lag im Bett in einem Hotelzimmer in Hannover und schlief. Am Abend zuvor hatte ich hier eine Vorstellung gegeben, am heutigen Abend sollte die nächste ebenfalls in Hannover stattfinden, deswegen konnte ich, was selten passiert, im selben Hotel bleiben.

Mein Handy klingelte. Die Vorhänge waren noch zugezogen, aber draußen schien bereits die Sonne. Wie ein angeschlagener Boxer stand ich auf und ging zu dem Tisch, auf dem mein Handy lag. Dem Display entnahm ich, dass mein jüngerer Bruder anrief.

Wenn er und ich telefonieren, begrüßen wir uns grundsätzlich, egal zu welcher Uhrzeit, mit einem lauten »Guten Morgen!«. Je später der Tag, desto lustiger der Gag. Wenn es tatsächlich früh am Morgen ist, dann sagen wir laut: »Feierabend!« Das war Teil unseres Begrüßungsrituals, wir flachsten immer erst ein bisschen herum, bevor wir zum eigentlichen Thema kamen. An diesem Morgen war alles anders. Ich sagte laut »Feierabend!«, mein Bruder schwieg. In diesem Moment wusste ich Bescheid, ich wusste sofort, was diese Stille bedeutete. Das Schweigen dauerte einen Moment, ich setzte mich auf die Bettkante, und keiner von uns sprach. Nach einer Weile sagte er leise und mit brüchiger Stimme: »Mutter ist tot.« Pause. Schweigen.

Die Nachricht vom Tod meiner Mutter kam nicht überraschend, ich hatte sie lange erwartet, aber wie das so ist mit Nachrichten, die man lange erwartet, wenn sie dann eintreffen, ist man nicht darauf vorbereitet. Diese Information traf mich wie ein unterirdischer Atombombentest, an der Oberfläche war nichts zu sehen, aber tief unten: Kernschmelze.

Wir sprachen nicht viel miteinander. Mein Bruder sagte, dass er mit der nächsten Maschine in die Türkei fliegen werde, über die Umstände ihres Todes wusste er selbst noch nicht viel. Ihre Nachbarin hatte sich, nachdem sie meine Mutter mehrere Tage nicht gesehen hatte, gewundert und Hilfe geholt. Als man die Türe aufbrach und die Wohnung betrat, lag sie im Schlafzimmer neben dem Bett auf dem Boden und war tot. Wenn Menschen allein sterben, ist es in der Türkei üblich, eine Obduktion durchzuführen, um die Todesursache festzustellen. Es stellte sich heraus, dass sie nachts auf dem Weg zur Toilette gestürzt war und sich dabei am Kopf verletzt hatte. Als sie gefunden wurde, war sie bereits vier Tage tot.

Meine Mutter war psychisch krank und verbrachte ihre letzten Lebensjahre in der Türkei. Sie lebte dort allein in einer Eigentumswohnung in Mersin, bekam eine kleine Rente, die für sie ausreichte, und konnte sich selbst versorgen. Da sie nie beim Arzt war, kann ich nicht genau sagen, worunter sie vor ihrem Tod gelitten hatte. Ich kann nur umschreiben, wie sie auf mich und ihre Umwelt wirkte: Sie sprach mit sich selbst, oder besser noch, mit Stimmen, die nur sie hören konnte. Sie schrie ganz unvermittelt herum und verhandelte irgendwas mit irgendwem. Sie erkannte uns manchmal nicht. Oder sie sah uns dort, wo wir nicht waren. Zwischendurch amüsierte sie sich auch und lachte laut auf, worüber sie lachte, wusste nur sie selbst.

Sie war in diesem Zustand nicht gesellschaftsfähig. 

Inhaltsverzeichnis

Die Zäsur

Der Tod eines nahen Angehörigen kann eine Zäsur sein. Ich hätte aber nie gedacht, dass ich den Tod meiner Mutter, die in meinem Alltag in Deutschland eigentlich keine Rolle gespielt hatte, als einen solch tiefen Riss erleben würde. Mir wurde klar: Vor ihrem Tod war ich auf der Flucht gewesen, ich hatte immer nur weggewollt, weg aus diesen Verhältnissen, aus dieser Ordnung, aus diesem Druck. Weg von einer Familie, mit der mich wenig verband. Die Nachricht traf ein, ich blieb stehen und schaute mich um. Wo befand ich mich, und wovor rannte ich weg? Was ich heute weiß, ist, dass die Flucht mit der Nachricht vom Tod meiner Mutter ein Ende hatte.

Ich machte mir zunächst Vorwürfe, dass ich nach dem Telefonat mit meinem Bruder nicht sofort alles stehen und liegen ließ, um in die Türkei zu fliegen. In meiner Vorstellung muss ein Kind eigentlich sofort hineilen und sich um alles kümmern. Und selbstverständlich an der Beerdigung teilnehmen. So sind die gesellschaftlichen Konventionen, und an die hat man sich zu halten, das wird von dir erwartet. Ich tat es aber nicht. Ich blieb in Köln und erzählte erst mal keinem davon, dass meine Mutter gestorben war. Stand ich unter Schock? Oder woran lag dieses Verhalten?

 

Mein Alltag als Kabarettist bestand darin, von einer Stadt in die nächste zu fahren und auf Bühnen mein Programm zu präsentieren. Natürlich gab es immer Pausen dazwischen, aber im Durchschnitt hatte ich zehn bis zwölf Vorstellungen im Monat. Da konnte ich nicht einfach so weg. Sagte ich mir. Aber wer hätte es mir verübelt, wenn ich zur Beerdigung meiner Mutter ein paar Vorstellungen verschoben hätte?

Dass mein jüngerer Bruder im Gegensatz zu mir sofort in die Türkei geflogen war, nahm mir die Verantwortung ein bisschen von den Schultern. Ich versuchte, mein schlechtes Gewissen zu beruhigen: Einer ihrer Söhne war ja sofort losgefahren. Ich fühlte mich dennoch schlecht: Einfach nichts zu tun, war falsch. Es war eine Mischung aus Schuld, Scham und Trauer. Diese unterschiedlichen Gefühle waren so stark, dass ich selbst meiner damaligen Ehefrau nichts vom Tod meiner Mutter sagte, erst einige Tage später konnte ich es ihr erzählen. In diesem Schmerz wollte ich instinktiv alleine sein. Aus Angst, Menschen könnten unangemessen, unsensibel reagieren, behielt ich die Nachricht für mich. Hinzu kam eine tiefe Scham, denn meine Mutter hatte seit vielen Jahren große psychische Probleme. »Meine Mutter war psychisch krank« ist kein Satz, der mir leicht über die Lippen ging. Als ich aber nach einiger Zeit hier und da den Mut aufbrachte, darüber zu sprechen, überraschte es mich, wie viele mir erzählten, dass ihre Eltern auch psychische Probleme haben oder hatten. Es waren alles Menschen wie ich, mit internationaler Biografie, und vor allem wie ich Kinder von Arbeitsmigrant:innen.

In mir kam der Verdacht auf, dass es eine Verbindung geben könnte zwischen psychischer Krankheit und unserer Migrationsgeschichte.

Um den Zusammenhang zu verstehen, um herauszufinden, was meine Mutter krank gemacht haben könnte, möchte ich anhand meiner eigenen Biografie und der meiner Eltern erzählen, was los war. Ich möchte verstehen, was für ein Leben meine Eltern hier in Deutschland geführt haben. Wie war es für sie in der Fremde, und was hat das alles mit ihnen am Ende ihrer Tage gemacht? Warum sind manche Arbeitsmigrant:innen psychisch krank geworden und andere nicht? War in meiner Familie nur meine Mutter krank? Aber was ist in diesem Zusammenhang gesund? Was hat das mit mir gemacht, was mit meinem Vater? Mit anderen Worten: Ich möchte Ursache und Wirkung verstehen.

Zunehmend kommen die ersten Generationen der Arbeitsmigrant:innen ins Rentenalter. Mitte der 90er-Jahre lebten etwa 500.000 Migrant:innen im Alter von über 60 in Deutschland, 2030 werden es etwa 2,8Millionen sein.[1] Die erste Generation der damaligen »Gastarbeiter:innen« tritt langsam ab, danach können wir sie nicht mehr befragen und nicht mehr herausfinden, wie belastend die Zeit hier in Deutschland für sie war. Vereine wie DOMID, das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland, leisten wertvolle Arbeit, damit dieser Teil der deutschen Geschichte nicht verschwindet.

Meine Eltern sind aus der Türkei mit dem festen Plan gekommen, nach wenigen Jahren zurückzukehren, diesen Plan, diesen Traum habe ich auch lange Zeit gepflegt, bis mir klar wurde, ich kann nirgendwohin zurückkehren, wo ich nie gelebt habe.

Ich möchte meine persönliche Geschichte erzählen in dem Wissen, dass sie exemplarisch ist. Ich möchte auf ein paar Fragen Antworten bekommen. Warum entwickelte meine Mutter im Alter diese Psychose? Gab es einen Auslöser? Ab wann haben die Menschen in ihrem Umfeld gemerkt, dass etwas nicht stimmt? Wann wurde mir das bewusst, und warum habe ich nichts unternommen? Und vor allem: Wie viel an ihrer Krankheit ist individuell, und wie sehr hängt sie mit der Situation zusammen, in der sie sich jahrzehntelang befand?

Inhaltsverzeichnis

Das Anwerbeabkommen

Das Anwerbeabkommen, das mit der Türkei im Oktober 1961 abgeschlossen wurde und bis 1973 Bestand hatte, spielt für die Geschichte meiner Eltern eine große Rolle. Als Anfang der 1950er-Jahre das sogenannte Wirtschaftswunder begann, fehlten massenhaft Arbeitskräfte: 1960 standen 150.000 Arbeitssuchenden rund 650.000 offene Stellen gegenüber.[2] Lange Zeit wurde der Bedarf mit geflüchteten Arbeitskräften aus der DDR gedeckt, doch als 1961 die Mauer gebaut wurde, war damit Schluss. Arbeitskräfte mussten nun aus dem Ausland rekrutiert werden.

Das klingt erst einmal plausibel. Doch um zu verstehen, in welches Deutschland meine Eltern damals kamen, muss ich an den Anfang zurück, ins Deutschland der 40er-, 50er- und 60er-Jahre. Welche Stimmung herrschte damals vor, welche Gesinnung?

Nazideutschland hatte das Projekt Weltherrschaft krachend an die Wand gefahren, Europa in Schutt und Asche gelegt und 60Millionen Menschen getötet. Es war ein Kapitalverbrechen an der Menschheit, ausgedacht und ausgeführt in Deutschland und von Deutschen. Die Alliierten setzten diesem Horror ein Ende, Hitler beging Selbstmord, manch andere Nazischergen entkamen nach Argentinien oder Brasilien, die meisten Bürgerinnen und Bürger taten so, als hätten sie von nichts gewusst.

Wie der Name schon sagt, wurde Deutschland von den Siegermächten besiegt und nicht etwa befreit. Die Alliierten teilten Deutschland auf und waren daran interessiert, das Land »great again« zu machen und dabei schneller zu sein als die Russen. Für die Entnazifizierung nahm sich niemand wirklich Zeit, es gab offenbar Wichtigeres zu tun. Achim Dörfer beschreibt in seinem Buch »Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen«, dass gerade mal 3,6 % der Naziverbrecher zur Rechenschaft gezogen wurden.[3] Nazideutschland war besiegt, das musste reichen. So entstand ab 1949 eine Bundesrepublik Deutschland, die von ehemaligen NSDAP-Parteimitgliedern, Parteifunktionären und Gauleitern nur so wimmelte. Zur Vergegenwärtigung: Allein der SS gehörten 1Million Personen an (Dörfer S. 110). Sie waren Nazis gewesen. Besiegte, nicht befreite Nazis. Und erst recht nicht geläuterte. Auch in der Bevölkerung steckte noch viel Nazigift, wo sollte der plötzliche Sinneswandel auch herkommen?

Der Publizist Max Czollek schrieb einmal treffend: Die einzige erfolgreiche Integrationsleistung in Deutschland sei die Wiedereingliederung alter Nazis nach dem Krieg gewesen.[4] Einer von ihnen wurde 1966 sogar Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Kurt Georg Kiesinger. Kiesinger war als junger Rechtsreferendar begeistert der NSDAP beigetreten. Nach dem Krieg behauptete er, dass er die Nazis von innen habe verändern wollen. Wenig glaubhaft erschien das den kritischen Geistern, unter anderem Beate Klarsfeld, die ihn 1968 öffentlich ohrfeigte.

Das Land nannte sich seit 1949 also Bundesrepublik Deutschland, aber es war noch sehr viel Drittes Reich drin. Wirtschaftlich ging es steil nach oben. Wie bereits erwähnt, gab es ab 1950 mehr Arbeitsplätze als -kräfte, nicht wenige der deutschen Arbeiter waren auf europäischen Schlachtfeldern als Soldaten ums Leben gekommen. Auf der Suche nach Werktätigen wandte sich die Bundesrepublik zunächst an Italien. Politisch hatte das Land, in dem die Zitronen blühen, mit Mussolini ähnlich getickt wie Nazideutschland, es gab sogar noch ein Abkommen über die Entsendung von Arbeitern aus dem Jahr 1937, damals hießen sie noch »Fremdarbeiter«.

Die junge Bundesrepublik unterzeichnete also am 20. Dezember 1955 einen Anwerbevertrag mit Italien.

Es folgten weitere Länder. Vielleicht ist es ein Zufall, dass nach dem faschistischen Italien das nicht minder faschistische Spanien drankam, mit dem am 29. März 1960 ein weiteres Anwerbeabkommen geschlossen wurde.

Am 30. März 1960 wurde ein Kontrakt mit Griechenland abgeschlossen, und als abzusehen war, dass das immer noch nicht reichen würde, kam es am 30. Oktober 1961 zu einem Vertragsabschluss mit der Türkei.

Es strömten also innerhalb kurzer Zeit sehr viele »Ausländer« nach Deutschland. Und sie trafen auf ehemalige Nazis, die aufgrund von unleugbaren »Führungs«-Kompetenzen das Sagen hatten: In den Schulen, auf den Ämtern, in den Arztpraxen und selbst im Karneval saßen dieselben Leute am Schalthebel wie zur Nazizeit. Man muss kein Kommunikationsgenie sein, um auf die Idee zu kommen, dass nicht gerade eine Willkommenskultur herrschte.

Massen von Menschen wurden ins Land geholt, und diese Menschen sollten hier arbeiten. Das war der Gedanke, einen anderen gab es nicht. In den Augen der Deutschen wurden diese Arbeitsmigrant:innen als vorübergehende Aushilfen betrachtet, die, wenn sie nicht mehr gebraucht würden, zurückgeschickt werden konnten. Ein rechtliches Instrument dafür war der limitierte Aufenthaltsstatus: Der musste immer neu beantragt und verlängert werden, es gab jederzeit die Möglichkeit, die Erlaubnis zu entziehen, die Leine war kurz. Man gab den Arbeiter:innen den Namen »Gastarbeiter«, um ihren Status und ihre Aufgabe genau zu definieren. Um den Übergangsstatus aufrechtzuerhalten und jegliche Verbindung mit Deutschland zu verhindern, wurde zunächst nach dem Rotationsprinzip vorgegangen: Das bedeutete, dass jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin für eine Dauer von zwei Jahren arbeiten durften, dann kamen neue Arbeiter:innen, die wieder für zwei Jahre beschäftigt wurden. Die Unternehmen stellten aber ganz schnell fest, dass Rotation einfach zu viel Geld kostete. So wurde eine Grundlage geschaffen mit Annahmen, die sich nie bewahrheiten sollten. Ja, die Arbeiter wollten nur kurz bleiben und in ihre Heimat zurückkehren, und ja, die deutsche Wirtschaft wollte sie nur vorübergehend beschäftigen, so weit die Win-win-Theorie. In der Praxis stellte sich heraus, dass die Wirtschaft noch viel mehr Arbeiter brauchte und deshalb immer mehr Menschen angeworben wurden, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, was das sozial bedeutet.

 

Solange die Wirtschaft brummte, war alles in Ordnung, erst als es zu Rückläufen in der Auftragslage kam, stellten die Arbeiter:innen plötzlich eine Belastung dar. Im November 1973gab es einen Anwerbestopp, und damit die Leute nicht alle sofort und auf einen Schlag zurückkehrten, räumte die Bundesregierung in einem zweiten Schritt den Familiennachzug ein. So konnten sich viele Arbeiter:innen hier aus ihrer Einsamkeit befreien, weil sie nicht mehr von ihren Familien getrennt waren, doch gab es Auflagen: Die Familienmitglieder, die nachkamen, durften nicht arbeiten. Das schuf neue Probleme.

 

Der Anwerbestopp brachte aus verschiedenen Gründen nicht die gewünschte »Reduktion« der türkischen Arbeiter in Deutschland, der Familiennachzug sorgte zusätzlich dafür, dass weiterhin viele Menschen nach Deutschland kamen. Somit stieg die Spannung in der Bevölkerung, und es wurde schon vom »Türkenproblem« gesprochen – die Stimmung war bisweilen aggressiv.

Die ausländerfeindliche Atmosphäre, die sich von den 60er-Jahren bis heute durchzieht, hatte mehrere Höhepunkte. Einer davon war 1983 das Rückkehrförderungsgesetz. Mit diesem Gesetz sollten finanzielle Anreize geschaffen werden, damit die ungeliebten »Ausländer« das Land für immer verlassen. Es gab tatsächlich eine rassistische Haltung, die salonfähig war, auch wenn sie damals nicht als Rassismus, sondern als Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit bezeichnet wurde, nachzulesen in Aladin El-Mafaalanis Buch »Wozu Rassismus«. »Das Boot ist voll« – das war die Meinung sehr vieler Menschen in Deutschland in den 90er-Jahren. In dieselbe Zeit fällt auch die Kampagne von Roland Koch (CDU) in Hessen, der eine Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft von Türken in Deutschland startete – was sehr viele Türkinnen und Türken damals sehr verletzte.

 

Die ablehnende, offen diskriminierende Haltung gegenüber den Arbeitsmigrant:innen in Deutschland fing jedoch schon Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre an. Presseartikel aus dieser Zeit veranschaulichen das: In Bonn-Bad Godesberg verweigerte der Wirt einem Türken in der Kneipe ein Bier, in Mainz wurden Flugblätter verteilt, die gegen die Beschäftigung eines türkischen Bademeisters protestierten, in Hannover flogen Steine in türkische Schaufenster, in Hamburg, Kiel, Bochum oder Frankfurt gingen rechte Bürgerinitiativen für Ausländerbegrenzung oder »Ausländer Stopp«-Initiativen auf Stimmenfang. »Türken-Witze« erfreuten sich großer Beliebtheit, und die Parole »Türken raus« tauchte immer öfter auf Gebäudefassaden auf. »Die Zeit« schreibt im Januar 1981, die Ausländerfeindlichkeit wachse bedrohlich schnell.

In einer Umfrage aus dem Jahre 1983gaben 83 % der Migrant:innen an, Diskriminierungserfahrungen gemacht zu haben, überwiegend im öffentlichen Raum, also in öffentlichen Verkehrsmitteln, am Arbeitsplatz oder beim Einkaufen.

In Umfragen kam heraus, dass 53 % der Befragten die Auffassung vertraten, die fremden Arbeiter:innen würden den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen, gleichzeitig sagten 58 % der Befragten, die Arbeitsmigranten machten genau die Arbeiten, die sie selbst gar nicht machen wollten. Es gab also keine rational nachvollziehbare Grundlage für diese Haltung der Menschen, es war schlicht Rassismus. Ein Grund für diese Spannungen lag in der Arbeitsmarktlage, doch wurde diese in den Diskussionen gar nicht als Hauptproblem gesehen. Wie immer bei rassistischen Begründungen entstanden die »Probleme« wegen der Unvereinbarkeit der verschiedenen Kulturen. Kategorisierung, Abwertung, Ausgrenzung[5] – diesen Dreiklang konnte man in dieser Zeit geradezu in seiner Reinform beobachten. Das Muslimische wird gegen das Christliche gestellt, wobei alles Christliche rein und fortschrittlich und alles Muslimische als schlecht und rückschrittlich bewertet wird. Und in der gesamten Berichterstattung, ganz gleich, ob in konservativen oder in liberaleren Blättern, wird auf den kulturellen Unterschieden herumgeritten, sodass der Eindruck entsteht: Diese Menschen, diese Türken, passen hier nicht hin, sind nicht wie wir (Deutschen). Verschwiegen wurde dabei, dass die Arbeitsplätze knapp wurden und sich daraus enorme Spannungen ergaben. Nicht nur rechte und rechtsextreme Stimmen, sondern auch konservative wie aus der CDU benutzten damals die Begriffe »Überschwemmung«, »Unterwanderung« und verwiesen auf die starke Geburtenrate der Arbeitsmigrant:innen, um ein weiteres Schreckensszenario zu malen, nämlich den Bevölkerungsaustausch, gegen den es die deutsche Reinheit zu verteidigen galt. Das Buch »Nächstes Jahr kehren wir zurück« von Karin Hunn fasst die damalige Entwicklung sehr präzise zusammen und analysiert, dass es sich dabei um Nebelkerzen handelte, die geworfen wurden, um der eigenen Bevölkerung das Gefühl zu vermitteln, mit der Wirtschaftskrise klarzukommen und darüber hinaus für die Krise im Land auch eine Lösung zu haben. Natürlich gab es auch Gegenstimmen, in Köln wurden Bündnisse für Ausländerinitiativen gebildet, Kirchen, Gewerkschaften und Einzelpersonen ergriffen das Wort, wie etwa Heinrich Böll, der am 9. November 1983 zum Jahrestag der Reichskristallnacht den Oberbürgermeister dazu aufrief, die ausländerfeindlichen Parolen an den Fassaden beseitigen zu lassen. Auch die Presse hielt bisweilen dagegen, führte aus, dass die Deutschen »lernen« müssten, die ethnischen und religiösen Minderheiten, die sie zu sich gerufen hatten, um ihnen zu helfen, den Wohlstand wiederherzustellen, in ihren kulturellen Besonderheiten zu achten, das Zusammenleben könne zu einer gegenseitigen sozialkulturellen und religiösen Bereicherung führen. Bis heute ist es ein beliebtes Mittel in der Politik, die Rassismus-Karte zu ziehen, um über soziale oder wirtschaftliche Probleme, Misswirtschaft und politische Fehlentscheidungen hinwegzutäuschen. Beim Mauerfall, dieser deutsch-deutschen Herausforderung, sprach die CDU-Regierung Anfang der 90er-Jahre immerzu davon, das Problem in Deutschland seien die Asylanten. Aber niemand erwähnte laut, dass mit dem Zusammenbruch der DDR von Millionen Arbeitsplätzen nur wenige, etwa 100.000 an der Zahl, übrig bleiben würden und deshalb ein großer Teil der Bevölkerung in existenzielle Nöte geraten würde. Um dieses Problem hätte sich die Politik kümmern müssen, stattdessen präsentierte sie einen Sündenbock. Volker Rühl schickte an die Innenminister der CDU-geführten Länder einen Brief, in dem er darauf hinwies, dass das nächste Thema auf der Agenda des Asylantenproblem sein müsse. Ganz offen spekulierte er darüber, dass man dadurch von den innerdeutschen Problemen ablenken könne: Der Ausländer habe Schuld, deswegen gehe es Deutschland so schlecht. Wie auf Kommando brannte die Republik: In Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen oder Mölln liefen alle Anschläge auf Ausländer nach dem gleichen Muster ab. Rassismus tötet – länderübergreifend.[6]

Der Holocaust war noch nicht lange her, die Menschen hatten in puncto Rassismus nichts dazugelernt.

In der Dokumentation »Hadi Tschüss« aus dem Jahr 2015, in der Grenzgänger zwischen Deutschland und der Türkei porträtiert werden, wird aus einem Anwaltsschreiben aus dem Jahr 1982 zitiert. Es geht darum, dass sich ein (deutscher) Mann von seiner (türkischen) Frau getrennt hat. Damit die Frau mit dem Kind in der Wohnung bleiben kann, soll ihr im Scheidungsverfahren die Wohnung als Mieterin zugewiesen werden. Der Antragsgegner im Scheidungsprozess ist besagter Ehemann, der will, dass seine Frau und das Kind in der Wohnung bleiben können, die Beteiligte, deren Zustimmung hierzu benötigt wird, ist die Vermieterin, dies zum besseren Verständnis. Der Anwalt schreibt: »Der Antragsgegner hat gegenüber der Beteiligten bei Abschluss des Mietvertrages kein Wort davon erwähnt, dass er verheiratet ist, und zusätzlich, dass er mit einer Türkin verheiratet ist. Es soll hier vorab ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die Beteiligte nicht grundsätzlich ausländerfeindlich ist. Sie hat jedoch bisher in ihrem eigenen Haus immer darauf geachtet, dass keine Ausländer einziehen. Wäre ihr daher zu Beginn des Mietverhältnisses mitgeteilt worden, dass eine Türkin als Ehefrau einzieht, hätte der Antragsgegner diese Wohnung nicht zur Miete erhalten. […] Es handelt sich um einen Stadtteil, der gut bürgerlich bewohnt wird. Die Antragstellerin des Scheidungsverfahrens würde daher als »Fremdkörper« in der Wohnanlage wirken, besonders dann, wenn ihr deutscher Ehegatte nicht mehr anwesend bzw. nicht mehr dort wohnhaft ist.

Die Ehewohnung ist aber auch zu groß. Die Antragstellerin benötigt für sich und das gemeinsame Kind keine Dreizimmerwohnung. Hier ist eine Zweizimmerwohnung völlig ausreichend und angemessen.«

Wie sicher muss sich ein Jurist fühlen, um solche rassistischen Briefe zu verfassen? Ganz offenbar war diese Haltung in bestimmten Milieus salonfähig und Mainstream.

Den in Deutschland lebenden Türken wurde unmissverständlich gesagt, dass sie zurückzugehen haben. Auch das kann man bei Karin Hunn nachlesen. Da die Türkei aber für die meisten hier arbeitenden Menschen keine Alternative bot, blieben sie. Die politischen Unruhen in der Türkei fanden kein Ende, 1980 hatte ein Putsch stattgefunden. Dass die Anzahl der Asylbewerber aus der Türkei in die Höhe schoss, benutzte die Politik als ein weiteres Argument, um sich gegen diese Zuwanderung zu sträuben. Dass der Putsch die Ursache war, interessierte nicht. So entstand eine Gemengelage, in der das Aufnahmeland nicht länger Aufnahmeland sein wollte und das Entsendeland nichts dafür tat, um für seine Exilarbeiter attraktiv zu sein. Die Türk:innen mussten in Deutschland bleiben, ob sie wollten oder nicht.

 

Warum ich das alles erzähle? Meine Eltern kamen in ein Land, das sich mit allen Mitteln gegen die Integration ihrer Arbeitsmigrant:innen stemmte. Abwertung und Ausgrenzung waren an der Tagesordnung, mit jedem Jahr, das sie länger in Deutschland blieben, wurden sie als größeres Problem gesehen – dabei hatten sie zum Wohlstand einen überragenden Beitrag geleistet. Diese Diskrepanz zwischen Wert und Wertschätzung spielte unterschwellig eine große Rolle, auch bei uns Kindern, und sie zahlte ein auf ein wenig positives Lebensgefühl. Der Wunsch, dieses unwirtliche Land zu verlassen, um endlich auch so etwas wie Anerkennung zu bekommen, wurde größer, der Frust darüber, abwarten zu müssen, auch.

Inhaltsverzeichnis

Ankunft in Deutschland in den 60ern

Wollte man in Deutschland arbeiten, musste man sich zwei ärztlichen Untersuchungen unterziehen: eine im Herkunftsland, in unserem Fall in Istanbul, eine in Deutschland. Die ärztliche Untersuchung war für viele Migrant:innen traumatisch, das beschreibt Ali Kemal Gün in seinem Buch »Interkulturelle therapeutische Kompetenz«. Sie war brutal und unsensibel – die Männer und Frauen mussten sich nackt ausziehen, sie wurden eher wie Vieh untersucht und nach Tauglichkeit einsortiert. Das war ein Vorgeschmack auf den Stellenwert, der ihrem Wohlergehen beigemessen wurde.

Meine Mutter war Jahrgang 1944 und kam 1968 nach Deutschland, nach Köln, da hatte mein Vater bereits zwei Jahre hier gearbeitet. In den Ferien heirateten sie in der Türkei, dann kam meine Mutter mit nach Deutschland. 1969 kam mein älterer Bruder hier zur Welt, ich wurde hier 1972geboren und mein jüngerer Bruder 1979.

Das sind die Eckdaten, und sie sind schnell erzählt.

Das Grundkonzept der Arbeitsmigrant:innen war: Wir machen das hier vorübergehend, und dann kehren wir zurück. Also: Wir arbeiten jetzt und leben später. Aber dieses Zurückgehen wurde nie umgesetzt, weder konkret geplant noch verworfen, das Ziel blieb eine Fata Morgana. Wir kehren zurück. Aber wie und wann und was dann geschieht, wurde nie explizit thematisiert. Es gab nur diese vage Behauptung, die zu nichts anderem taugte, als Sehnsüchte zu entwickeln. Ein Strohhalm im Meer der deutschen Gesellschaft, eine Krücke auf dem Weg nach Hause. In vielen Religionen winkt das Paradies, wenn man sich vorher gut verhält. Für die Arbeitsmigrant:innen winkt die paradiesische Heimat, wenn man vorher brav schuftet.

Meine Eltern in Köln nach der Geburt meines Bruders

Die Rückkehr wäre für uns Kinder gar nicht so einfach geworden, und je länger wir in Deutschland lebten und je älter wir wurden, desto mühsamer wäre das Unterfangen gewesen. Es war auch von Anfang an kein »Zurück«, weil wir in Deutschland geboren und aufgewachsen sind.

Allein das zu verstehen, kostete mich schon mein halbes Leben. Ich kehre nicht zurück, ich bin von hier. Wobei die deutsche Gesellschaft diesem Zugehörigkeitsgefühl mit aller Macht entgegentrat. Also: in Deutschland nicht gewollt, trotz eigentlicher Heimat, die versprochene Heimat als reale Fremde. Dazu kam ein Loyalitätskonflikt: Durfte ich meinen Eltern widersprechen? Durfte ich eine andere Meinung haben und ein anderes Lebenskonzept? Wenn der Glaubenssatz immer lautet: Selbstverständlich sind wir türkisch, und selbstverständlich kehren wir zurück. Selbstverständlich kommen wir aus der Türkei. Wir sind Türken, die sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten. Das führt zu schizophrenen Empfindungen, deshalb ist die Frage nach der psychischen Belastung der zweiten und auch der dritten Generation legitim und wichtig, sie wird viel zu wenig thematisiert.

Ali Kemal Gün, mit dem ich ein langes Gespräch führen durfte, sagt dazu, dass sich jetzt erst diese Sichtweise etabliert. Die Beziehung zwischen Migration und Krankheit muss weiter erforscht werden. Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland leiden deutlich häufiger an psychischen Erkrankungen als der Bevölkerungsdurchschnitt. Auf fast allen Gebieten weisen Menschen mit internationaler Geschichte höhere Risiken auf: Stoffwechselerkrankungen, depressive Störungen, Schmerzzustände, Verschleißerscheinungen etc. Es gibt viele Studien in Einwanderungsländern wie Kanada, USA, Australien, und es wird immer wieder festgestellt, dass Migration eine Indikation ist, also ein zusätzlicher Faktor, der die Entstehung der Krankheiten begünstigt. Unter Migrant:innen in Deutschland sind nachweislich psychosomatische Erkrankungen viel häufiger im Vergleich zur sonstigen Bevölkerung, bei weiblichen Türkeistämmigen oder Migrant:innen ist die Zahl höher als bei den männlichen. Psychosomatische Erkrankungen sind körperliche Erkrankungen, die aus seelischen Belastungen, aus psychischen Konflikten resultieren. Warum ist das so? Wenn ein Mensch seine Sprache nicht benutzen kann, um sein Leiden darin verbal auszudrücken, dann benutzt der Körper den Schmerz als Sprache, um sich in einen Dialog zu bringen. Die Krankheit ist die Sprache des Körpers.

Für Ali Kemal Gün ist es wichtig, dass insbesondere Therapeut:innen diese Zusammenhänge verstehen, sonst werden falsche Diagnosen gestellt: »Es gibt viele Fälle, in denen Aggressionsdiagnosen gestellt werden oder sogar unterstellt wird, der Patient simuliere und wolle frühzeitig in Rente oder krankfeiern. Aber die Menschen täuschen nichts vor, sie sind krank. Bei den Fortbildungen für Psychologen und Psychiater zeigt sich oft, wie wenig allein über die diskriminierenden Untersuchungsmethoden bekannt ist. Und auch die Wohnbedingungen waren katastrophal. Erwartungen erzeugen Stress. Es ist wichtig zu eruieren, mit welchem Auftrag die Menschen hergekommen sind. Wer waren die Entscheidungsträger? Kamen sie selbstmotiviert und aus freien Stücken, oder wurden sie instrumentalisiert, um der Familie zu Hause das Leben zu erleichtern? Oft wird die Aufgabe, die Angehörigen zu ernähren, internalisiert. Da kann ein kleiner Unfall schon die Gefahr bedeuten, die Mission nicht erfolgreich umsetzen zu können. Diese Menschen sind zum Funktionieren verdammt, sie haben erfolgreich zu sein. Deutsche Psychiater und Psychologen können diesen Ansatz nicht nachvollziehen, wenn sie nicht geschult sind, dazu müssen sie die Biografie ihrer Patienten kennen.«

Inhaltsverzeichnis

Das Provisorium