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Verstehen Sie Katze? Schnurren, Fauchen, Miauen, Kratzen, Ohren anlegen, Duftmarken setzen, Schwanzwedeln und Kopfstoßen – Katzen sind unglaublich ausdruckstark, doch uns Menschen ist meist nicht klar, was ihr Verhalten bedeutet. In farbigen Erzählungen von ihren eigenen Katzen und mit informativen Erläuterungen zu spannenden Katzenstudien öffnet uns die Verhaltensforscherin und Katzenexpertin Sarah Brown die Augen: Sie übersetzt die Signale, die Katzen für die Kommunikation untereinander und mit uns Menschen im Laufe ihrer sozialen Evolution entwickelt haben, und beschreibt Merkmale verschiedener Persönlichkeitstypen. Sie schenkt uns damit vor allem eines: den Schlüssel zu einer noch tieferen Beziehung zu unseren geliebten Haustieren.
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Seitenzahl: 441
Veröffentlichungsjahr: 2024
Hauskatzen haben eine lange Geschichte der Sozialisation hinter sich. Sie stammen von nordafrikanischen Wildkatzen ab, von scheuen Tieren, die ein Leben als Einzelgänger in der Wildnis führen. Im Gegensatz dazu teilen wir heute unser Zuhause mit Katzen, die wir als anschmiegsame Wesen kennen und lieben. Als solche haben sie gelernt, sich zu verständigen – untereinander sowie auch mit uns Menschen.
Die Katzenexpertin und Verhaltensforscherin Dr. Sarah Brown schildert kenntnisreich und anschaulich, was sie und andere Wissenschaftler über die Kommunikationsfähigkeit von Katzen in Erfahrung bringen konnten. In farbigen Erzählungen von ihren eigenen Katzen und mit zahlreichen informativen Erläuterungen zu spannenden Katzenstudien übersetzt Dr. Sarah Brown das nuancenreiche Kommunikationsrepertoire aus Körper-, Laut- und Duftsignalen, mit dem Katzen ihre Stimmungen und Intentionen ausdrücken. Sie fasst zusammen, welche Schlüsse die Wissenschaft auf verschiedene Persönlichkeitstypen von Katzen zulässt, und liefert mit ihren Ausführungen vor allem eines: den Schlüssel zu einer noch tieferen Beziehung zu unseren geliebten Haustieren.
Sarah Brown
Was sie uns mit ihrem Verhalten sagen
Aus dem Englischen von Elisabeth Liebl
Widmung
Inhalt
Einführung
Kapitel 1 Wildkatzen und Hexen
Kapitel 2 Duftspuren legen
Kapitel 3 Liebe auf das erste Miau
Kapitel 4 Die Sprache von Katzenschwanz und Katzenohr
Kapitel 5 Die Macht der Berührung
Kapitel 6 Auf Augenhöhe
Kapitel 7 Das Rätsel ihrer Persönlichkeit
Kapitel 8 Das Vergnügen ihrer Gesellschaft
Nachwort Anpassungskünstlerin Katze
Dank
Sachregister
Den Katzen
Ende der 1980er-Jahre begab ich mich als junge Wissenschaftlerin auf ein faszinierendes Abenteuer: das Studium von Hauskatzen. Ich begann mit in Gruppen zusammenlebenden kastrierten Tieren und sollte herausfinden, wie sie miteinander interagierten und wie Katzen im Allgemeinen mit Menschen kommunizierten. Heute, über dreißig Jahre und unzählige Katzen später, begeistert mich dieses Thema noch genauso wie am ersten Tag.
Katzen und ihr Verhalten zu studieren kommt einem schwierigen Balanceakt gleich. Einerseits geht man einer nüchternen, exakten Wissenschaft nach, andererseits ist die Entzückung angesichts des Untersuchungsgegenstands recht groß. Edward Thorndike, einer der Pioniere der experimentellen Psychologie, beschrieb in seinem 1911 erschienenen Buch Animal Intelligence ein wenig geringschätzig »die nahezu universelle Tendenz der menschlichen Natur, wo immer möglich etwas Wunderbares in den Dingen zu entdecken«. Seiner Ansicht nach führe diese Neigung unweigerlich zu Voreingenommenheit sowohl bei der Auswahl des Studienobjekts als auch bei der Interpretation der Ergebnisse. Anders ausgedrückt: Ein ernsthafter Verhaltensforscher sollte so unvoreingenommen wie möglich sein und es unbedingt vermeiden, Lobeshymnen über die studierten Geschöpfe zu singen.
Zu Beginn meiner Dissertation und meiner Forschungen wollte ich unbedingt Neues über Katzen entdecken. Mit Thorndikes Worten im Ohr bemühte ich mich, meine Studien sorgfältig zu planen und die Ergebnisse gewissenhaft zu analysieren, damit sie als »korrekte« Wissenschaft gelten konnten. Ich sammelte akribisch Daten, zog daraus Schlussfolgerungen und arbeitete insgesamt ganz den Regeln von Wissenschaft und Vernunft gehorchend. Und dennoch: Vom ersten Tag meiner Arbeit und den ersten Katzen an merkte ich, dass mich diese rätselhaften Geschöpfe mit ihrer Anpassungsfähigkeit, ihrem Einfallsreichtum und ihrer Resilienz in ihren Bann zogen.
Dieses Buch zeichnet nach, wie Hauskatzen, die Nachfahren solitär lebender nordafrikanischer Wildkatzen, sich bei ihren ergebenen Besitzern in aller Welt ein Zuhause geschaffen haben. Allein in den USA gibt es über fünfundvierzig Millionen Haushalte, in denen mindestens eine Katze lebt.[1] Wie haben die Tiere das geschafft? Wie haben diese einst stolzen Wildkatzen Zugang zu unseren Häusern und Herzen bekommen? Wie haben sie uns dazu gebracht, dass wir es ihnen warm und gemütlich machen, sie füttern und verwöhnen? Ganz einfach: Sie haben gelernt, mit uns zu kommunizieren. Darüber hinaus haben sie auch gelernt, sich untereinander auszutauschen. Diese Tatsache wird häufig übersehen, wenn Katzen mit Hunden verglichen werden, im ewigen Streit, wer nun wirklich des Menschen bester Freund ist. Hunde stammen vom Wolf ab, einer durch und durch sozialen Art, von der sie ein fein abgestimmtes Repertoire interaktiver Verhaltensmuster geerbt haben, quasi ein Handbuch der Kommunikation. Katzen hingegen haben von ihren Pokerface-Ahnen in der Wildnis, wo sie eher selten einem Artgenossen begegnet sind, nur wenige soziale Fähigkeiten mit auf den Weg bekommen. Sie mussten also in Bezug auf das Sozialverhalten einen viel weiteren Weg zurücklegen als Hunde.
Meine Forschungsarbeiten wie auch die anderer Wissenschaftler zeigen, wie Katzen ihre ursprünglich nur auf Duftmarken beruhende Sprache um neue Signale und Laute erweitert haben, um mit Menschen und anderen Katzen zusammenleben zu können. Trotz dieser immensen Anstrengung ihrerseits, eine effektivere Kommunikation herzustellen, kann man sich fragen, inwieweit wir ihre Sprache wirklich verstehen und umgekehrt. Wie nehmen Katzen uns wahr? Sehen sie uns als ihre »Besitzer« oder eher als große, zweibeinige Katze mit einem kümmerlichen Sinn für Duftnoten? Dieses Buch geht wissenschaftlichen Erkenntnissen nach, die Antwort auf diese und viele andere Fragen geben – unter Zuhilfenahme von Porträts jener faszinierenden Fellnasen, die uns zu diesen Erkenntnissen verholfen haben.
Der in die Jahre gekommene fahrbare Untersatz, in dem ich mich als Studentin fortzubewegen pflegte, stotterte um die Kurve und nahm die letzte Steigung des Hügels. Hinter der Kuppe tauchte langsam ein imposantes Gebäude auf: ein viktorianischer Ziegelbau mitten im Nirgendwo, der unweigerlich an das Setting eines klassischen Schauerromans erinnerte. Ich rollte in die Einfahrt und sah mich um. Das Krankenhaus war 1852 eröffnet worden. Damals trug es die wenig schmeichelhafte Bezeichnung »Bezirksirrenanstalt«. Gut 130 Jahre später wurde es immer noch genutzt, nur dass es mittlerweile etwas angemessener »Psychiatrische Klinik« hieß. Ich allerdings interessierte mich mehr dafür, was sich draußen, um das Haupt- und die Nebengebäude herum, abspielte: Ich war hier, weil ich nach Katzen suchte, die ich beobachten konnte.
Erleichtert nahm ich zur Kenntnis, wie freundlich und hilfsbereit der Pförtner John war. Er führte mich sofort überall herum und erklärte mir, dass die berühmt-berüchtigte Katzenpopulation, die sich hier angesiedelt hatte, eine Kreuzung aus unnahbaren Wildtieren und einer Gruppe freundlicherer Katzen war, die manchmal sogar vorbeikamen, um Hallo zu sagen. Dieser Mix hatte sich etabliert, weil das Krankenhausgelände aufgrund seiner Abgeschiedenheit seit Jahren als Entsorgungsstelle für unerwünschten Katzennachwuchs diente. Die ersten Ausgesetzten hatten sich untereinander gepaart, und da die Tiere keinerlei Kontakt zu Menschen hatten, war der Nachwuchs von Generation zu Generation immer mehr verwildert. Allerdings kamen immer wieder neue Tiere zu der Population hinzu, wenn Katzenbesitzer im Schutze der Dunkelheit ihre armen, arglosen Hausgenossen, die ihnen lästig geworden waren, dort aussetzten. Die Neuen waren die Netten. Sie kamen aus einem Menschenhaushalt und waren daher einem gelegentlichen Plausch mit Menschen nicht abgeneigt.
John war sich nicht sicher, seit wie vielen Jahren diese Katzen schon hier lebten, aber bereits in den 1960er-Jahren hatten Krankenschwestern berichtet, die Katzen in der Pause zwischen ihren Schichten gefüttert zu haben. Es hatte wiederholte Versuche gegeben, alle Katzen kastrieren zu lassen, da aber ständig neue Tiere dazukamen, war dies ein endloses Unterfangen.
An jenem Tag sahen wir sehr viele Katzen. Wie John bereits erwähnt hatte, waren einige von ihnen gut genährt, zufrieden und offensichtlich an Menschen gewöhnt. Sie näherten sich uns, während wir an Stellen vorbeigingen, an denen sie sich sonnten. Andere wiederum zogen sich so schnell zurück, dass wir sie beinahe übersahen, wir nahmen nur eine schnelle Bewegung aus dem Augenwinkel wahr.
Das Krankenhausgelände war sehr weitläufig und die einzelnen Gebäude so gegeneinander versetzt, dass sich veritable Innenhöfe bildeten. Dadurch waren einzelne Katzenkolonien entstanden, sodass sich die gesamte Population in Untergruppen aufteilte. Das Gebäude war weiträumig unterkellert, und im Keller verliefen riesige Heizungsrohre – eine Art altmodisches System der Fußbodenheizung. Die Luftschächte mündeten in Öffnungen in den Ziegelmauern, die die Höfe umgaben. Hier lagen die Katzen am liebsten. Während wir daran vorbeigingen, lugte aus jeder Öffnung ein wildes Katzengesicht hervor. Andere harrten in der Nähe der Öffnung aus und hofften, auch ein Plätzchen im Warmen zu ergattern. Für meine Forschungsarbeit zur Katzenkommunikation hatte ich schon seit Längerem nach einer stabilen Population verwilderter Tiere gesucht. In der vielköpfigen Population auf dem Krankenhausgelände gab es gleich mehrere solcher Gruppen. Als ich an jenem Tag wieder abfuhr, stand für mich fest, dass dies der ideale Ort für meine Studien war.
Nun hatte ich also eine enorm große Ansammlung Katzen zur Verfügung. Herauszufinden, welches die richtige Untergruppe für mich war, war – gelinde gesagt – eine Herausforderung. Ich machte Patrouillengänge auf dem Gelände und hatte einen Stapel leerer Konturzeichnungen von Katzen dabei. In diese leeren Vordrucke zeichnete ich die Fellmarkierungen ein, von links, von rechts und von vorne, bis ich für jede Katze eine Art »Fahndungsbild« besaß, um sie wiedererkennen zu können. Nach einigen Wochen hatte ich eine Vorstellung von der Population – welche Katzen wo lagen, welche herumstromerten und welche immer am gleichen Ort blieben. Ich machte mir dazu Notizen, die heute noch eine höchst interessante Lektüre sind. Während mein Eintrag zur »Boilerraumkatze« sich so liest: »schwarz und weiß, roter Halsring, freundlich«, steht bei der »Elektrikerkatze«: »groß, schwarz mit weißer Halsmarkierung, mag keine Frauen.« Aber es gab auch nur eine einzige Beobachtung der offensichtlich frauenfeindlichen Katze des Elektrikers zu vermelden.
Allmählich zeichnete sich ein Muster ab, wie sich die Katzen auf dem Krankenhausgelände verteilten, und dabei erregte eine Gruppe meine Aufmerksamkeit besonders. In diesem Hof wurde jeden Tag um dieselbe Zeit gefüttert: Man stellte den begierig wartenden Katzen Essensreste hin. Da es also regelmäßig etwas zu fressen gab und der Hof auch allerlei schöne Ruheplätze bot, hielt sich die Gruppe meist im gleichen Umfeld auf, was hieß: Sie war vergleichsweise stabil. Von den fünf »Kernmitgliedern« ging ein Kater, den ich »Frank« taufte, regelmäßig auf Tour, war aber immer zurück, um mit den anderen vier zu fressen. Ich stellte fest, dass ich mich darauf verlassen konnte, dass sie Tag für Tag dort anwesend waren. Da ich dazu noch einen guten Beobachtungsposten hatte, war dies die ideale Gruppe, um genaueren Einblick in die sozialen Interaktionen von Katzen zu bekommen. So wurden Betty, Tabitha, Nell, Toby und Frank zu meiner ersten Studiengruppe – Sie werden sie im Laufe der folgenden Kapitel immer besser kennenlernen.
Neben meinen Katzen auf dem Krankenhausgelände sah ich mich nach einer zweiten Kolonie verwilderter Katzen um, die ich studieren konnte. Zu jener Zeit arbeitete ich als Forschungsassistentin am Anthrozoology Institute der University of Southampton, Großbritannien. Eines Tages erhielten wir einen Anruf, eine Gruppe Katzen lebe unter dem Gebäude einer örtlichen Schule. Der Schulleiter und die Kuratoriumsmitglieder wollten sie loswerden, also organisierten wir zusammen mit dem örtlichen Tierheim, dessen Mitarbeiter sich mit dem Einfangen solcher verwilderter Tiere auskannten, eine Rettungsmission. Mit mehreren Autos, voll beladen mit Lebendfallen für Katzen und haufenweise Thunfisch in Dosen, trafen wir am Abend vor Ort ein. Einige Stunden später sollte es weitergehen: Die Fallen waren mit appetitlichem Köder gefüllt. Nun hieß es nur noch abwarten, ob die Katzen genug Hunger entwickeln würden, um sich auch in die Fallen hineinzuwagen. Die folgenden Tage gaben uns Aufschluss über die Persönlichkeitsmerkmale der einzelnen Gruppenmitglieder. Manche ließen sich leicht übertölpeln und leisteten kaum Widerstand, wenn wir sie ins nahe Tierheim verfrachteten, wo sie gegen Würmer und Flöhe behandelt, geimpft, kastriert sowie gefüttert und mit Wasser versorgt wurden. Andere waren eher eine Herausforderung und mussten erst einmal überzeugt werden. Und dann war da noch Big Ginger. Dieser große, rote Kater mit dem zerkratzten Gesicht starrte uns tagelang aus verschiedenen unzugänglichen Ecken und Winkeln an, bevor er sich eines Nachts dann doch durch eine Sardinendose verführen ließ. Wir hatten sie also alle erwischt.
Auch wenn die Katzen nun nicht mehr ganz frei waren, hatten Ginger und seine Gang Glück. Einige der Weibchen waren trächtig und konnten ihren Nachwuchs in der Wärme und Sicherheit des Tierheims großziehen. Alle Katzenkinder fanden ein schönes Heim – und sie waren jung genug, um zu ihren Menschen soziale Kontakte aufzubauen. Die erwachsenen Katzen waren allerdings viel zu sehr an ihr früheres wildes Leben gewöhnt, um noch an Menschen vermittelt werden zu können. Auf einem alten Bauernhof, der mittlerweile als Baumschule genutzt wurde, fanden wir ein neues Outdoorheim für sie. Dort durften wir eine Forschungshütte aufstellen und konnten so die Katzen tagtäglich füttern und beobachten. Wenn ich nicht selbst dort sein konnte, übernahmen meine Kollegen die Fütterung, aber meistens war ich vor Ort und beobachtete ein paar Stunden lang die Kolonie. Gefüttert wurde dann kurz vor meiner Abfahrt. Auch diesen Katzen gab ich Namen: Sid, Blackcap, Smudge, Penny, Daisy, Dusty, Gertie, Honey, Ghost, Becky und natürlich Big Ginger.
In den nächsten Jahren bestimmten die Katzen auf dem Krankenhausgelände und die Bauernhofkolonie mein Leben. Höchst distanziert und einigermaßen asozial hielten sie sich von mir fern. Sie reagierten kaum auf meine Anwesenheit. Aber das war es ja, was ich wollte – sie beobachten, um herauszufinden, was Katzen tun, wenn sie andere Katzen um sich haben.
Ernest Hemingway hielt fest: »Eine Katze führt stets zu einer anderen«, und so kommen in diesem Buch auch noch andere Katzen vor, die ich über die Jahre kennengelernt habe und die mir geholfen haben zu verstehen, wie es für Katzen ist, mit anderen Katzen oder mit Menschen zusammenzuleben. Als ich später Verhaltenstherapeutin wurde, traf ich auf ganz wunderbare Katzenbesitzer und ihre Tiere. Von ihnen lernte ich unendlich viel darüber, welche Beziehungen Menschen zu Katzen haben. Mrs Jones und ihr süßer Cecil waren so ein Paar. Ich stelle sie Ihnen in Kapitel 2 vor. Und auch meine eigenen Hauskatzen – Bootsy, Smudge, Tigger und Charlie – kommen hin und wieder vor. Sie sind vermutlich die Katzen, die ich am besten kenne. Wenn man mit Katzen unter einem Dach lebt, wird es sehr viel einfacher, ihre Sprache zu lernen. Das ist ein bisschen so, als würde man in ein fremdes Land fahren und versuchen, ganz in dessen Sprache und Kultur einzutauchen.
Hier und da melden sich in den einzelnen Kapiteln auch unvergessliche Katzen zu Wort, die ich kennengelernt habe, als ich in Tierheimen aushalf – Ginny, Mimi, Pebbles und Minnie. Nicht zu vergessen Sheba, die ich bei mir zu Hause aufnahm, als sie ihre Kleinen großzog. Meine Arbeit mit den Katzen auf dem Krankenhausgelände und jenen auf dem Bauernhof hatte mir gezeigt, wie schwierig es für Katzen mitunter ist, einen sicheren Ort und ausreichend Futter zu finden, von der Behandlung durch einen Tierarzt ganz zu schweigen. Nachdem ich bei der Rettung der Bauernhofkatzen schon mit einem Tierheim zusammengearbeitet hatte, wurde mir klar: Wenn ich tatsächlich Katzen und ihre vielfältigen Lebensstile begreifen wollte, musste ich mehr Zeit im Tierheim verbringen. Ich nahm mir vor, es eines Tages zu tun. Doch erst gut dreißig Jahre später meldete ich mich bei dem Katzenheim an meinem Wohnort als Mitarbeiterin an und tauchte ganz in diese Welt ein.
Im Katzentierheim zu arbeiten war eine Offenbarung. Dieses mulmige Gefühl, das einen überkam, wenn man morgens eine große Schachtel auf der Schwelle des Tierheims vorfand. Darin dann ein mürrischer Kater mit zerfetzten Ohren oder – im Frühling – ein Wurf magerer Kätzchen mit Flohbefall. Diese Tierheimkatzen beeindruckten mich zutiefst und verstärkten meine Bewunderung für diese resilienteste aller Tierarten und ihre unglaubliche Begabung, im Laufe einer Woche von der wildlebenden Streunerin zum Schoßkätzchen zu mutieren.
Es wird in diesem Buch auch kurz um zwei Hunde gehen, Alfie und Reggie, die zu verschiedenen Zeiten mit meinen Katzen Bootsy und Smudge zusammengelebt haben und dabei buchstäblich zu Schmusekatzen wurden. Sie vertrugen sich mit den beiden Katzen so gut wie mit ihren Hunde- und Menschenfreunden, auch wenn alle Beteiligten eine neue Sprache lernen mussten, damit das klappt.
Das imposante Krankenhaus, auf dessen Gelände ich meine erste Katzenkolonie studierte, wurde 1996 geschlossen, wenige Jahre, nachdem ich meine Doktorarbeit beendet hatte. Die Gebäude wurden in eine Wohnanlage mit wunderschönen Apartments mit hohen Decken umgewandelt. Was aus den Katzen wurde, bleibt allerdings ein Rätsel. Ich stelle mir gerne vor, sie haben woanders Unterschlupf gefunden und wurden von netten Menschen gefüttert. Auch die Bauernhofkatzen zogen später auf eine neue Farm um. Dort konnte ich sie zwar nicht mehr so gut beobachten, aber meine Studien waren ohnehin fast abgeschlossen. Sie durften den Rest ihres Lebens in einer friedlichen Umgebung verbringen, wo sie regelmäßig gefüttert und versorgt wurden – wie es allen Katzen zusteht.
Die Katze sagte: »Ich bin kein Freund und ich bin kein Diener. Ich bin die Katze, die frei umherstreift, und ich möchte in deine Höhle kommen.«
Rudyard Kipling, Die Katze, die frei umherstreifte
Ich stand im Flur vor dem begehbaren Katzengehege und blinzelte durch die Maschendrahttür. Drinnen, vor einem gewaltigen Rotschopfkater mit wütend funkelnden Augen, der wirklich furchterregend knurrte und fauchte, stand Anne, die Leiterin des Tierheims. Anne ließ sich vom Fauchen nicht beeindrucken. Furchtlos und mit geschickter Hand jagte sie dem Wüterich die Nadel der Spritze unters Fell. Big Ginger, wie wir ihn später taufen sollten, machte einen gewaltigen Satz – aber nicht etwa auf Anne zu. Nein, schnell wie der Blitz raste er die Wand hinauf, spurtete die Decke entlang, kam auf der anderen Seite wieder herunter und versteckte sich in einer Kiste. Ich hatte seine Fluchtbahn staunenden Auges verfolgt und fragte Anne einigermaßen verdattert: »Ist er gerade wirklich die Decke entlanggerannt?« Sie lächelte: »Ja, wilde Katzen machen das häufig.« Als junge Doktorandin, die ich damals war, gestand ich Anne, dass dies meine erste Begegnung mit verwilderten Katzen war. Damit sind nicht sozialisierte Hauskatzen gemeint, die ein halb wildes Dasein führen. Wenn ich irgendwo erzählte, dass ich über das Verhalten von Hauskatzen promovieren würde, hieß es regelmäßig: »Hauskatzen?! Wirklich? Sind die nicht ein bisschen langweilig? Möchtest du nicht lieber ins Ausland gehen und wilde Großkatzen studieren?« Nun, Big Ginger war mir wild genug.
Während Big Ginger und der Rest seiner Kolonie im Tierheim versorgt wurden, besichtigten meine Kollegen und ich das künftige Zuhause der Katzen, einen Bauernhof. Wir errichteten eine Hütte, vor der wir sie füttern würden. Die Innenwände versahen wir mit Regalbrettern, auf die wir Katzenbettchen stellten. Dann sägten wir ein Loch in die Tür, damit die Tiere immer Zugang zu diesem Unterschlupf haben konnten. Einige Monate später bauten wir ein zweites solches Refugium: einen quadratischen Kasten mit einem aufklappbaren Deckel. Sein Inneres teilte sich in vier Gemächer, von denen jedes einen eigenen Eingang hatte. Und wir gaben unserer Konstruktion einen etwas hochtrabenden Namen: Katzorama.
Am Tag, als die Katzen auf dem Bauernhof freigelassen wurden, stand ich hoffnungsfroh an der Hütte, eine Dose Katzenfutter in der Hand, und ließ meinen Blick über das Gelände schweifen. Nicht eine Katze in Sicht. Hin und wieder erblickte ich etwas Schwarz-Weißes oder Rotes, das durch die Büsche huschte, ehe es wieder verschwand. Irgendwann merkte ich, wie mich zwei kleine Augen aus einem nahen Strauch beobachteten. Hmm, dachte ich, meine Katzenkolonie-»Studien« lassen sich ja gut an. Werde ich jemals wieder eine dieser Katzen zu Gesicht bekommen?
Als ich damit begann, Katzen und ihre Kommunikation zu erforschen, war die einschlägige Literatur geprägt von Begriffen wie zahm, wild, domestiziert oder Wildkatze, ohne dass je klar geworden wäre, was sie tatsächlich bedeuten. Kann man eine Wildkatze zähmen? Was ist ein domestiziertes Tier? Und ist eine verwilderte Katze immer noch eine Hauskatze? Je mehr ich aber über Big Ginger, seine Katzenkumpel und ihre Vorfahren erfuhr, desto mehr Antworten fand ich auf meine Fragen. Ich begriff: Wenn ich verstehen wollte, wie die Tiere meiner Katzenkolonie miteinander kommunizierten, musste ich die Geschichte der Katzen kennen und damit die Geschichte ihrer Wandlung und Anpassung. So ist beispielsweise das Leben einer Wildkatze grundverschieden von dem einer Hauskatze. Dementsprechend musste es auch Unterschiede in der Kommunikation geben.
Ist die Hauskatze tatsächlich domestiziert? Diese Frage kam immer wieder auf und wurde weltweit zum Auslöser für heftige Debatten zwischen Katzenfans und Katzenhassern. Wenn wir hierauf eine Antwort finden wollen, dann müssen wir erst klären, welche Unterschiede es zwischen zahmen und domestizierten Tieren gibt und wo in diesem Spektrum die moderne Hauskatze anzusiedeln ist.
Zähmung bezeichnet einen Prozess, bei dem ein Tier während seiner Lebenszeit fügsam gemacht wird und seinem Betreuer folglich freundlich begegnet. Der Begriff bezieht sich auf einzelne Tiere, nicht auf eine Population oder eine Art. Einzelne Exemplare der unterschiedlichsten Arten von Wildtieren wurden und werden seit Jahrtausenden vom Menschen gezähmt.
Unter Domestikation hingegen versteht man einen Prozess, der sich über einen sehr viel längeren Zeitraum erstreckt und die Genetik einer ganzen Population verändert. Menschen haben jahrtausendelang versucht, Tiere zu domestizieren mit dem Ziel, sie an unseren Lebensstil zu gewöhnen. Bei einigen Tieren (etwa dem Hund) ist uns dies ganz gut gelungen, bei anderen Arten hingegen waren alle Bemühungen vergeblich. Häufig ist das beste Ergebnis die Zähmung einzelner Tiere, und bei manchen Tierarten ist selbst dies kaum je geglückt.
Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Tiere bestimmte Eigenschaften besitzen müssen, soll ihre Domestikation gelingen. Die wichtigste ist, dass das Tier eine gewisse »Offenheit« zeigt. Es muss also die Möglichkeit akzeptieren, mit Menschen in Kontakt zu treten – die Anlage zur Zähmung besitzen. Damit aus der Zähmung eine Domestikation werden kann, müssen die Tiere in der Lage sein, soziale Gruppen beziehungsweise Herden zu bilden, die ein Leittier haben (und sie müssen Menschen in dieser Rolle akzeptieren). Sie müssen ferner in ihren Nahrungsgewohnheiten flexibel sein und fressen, womit wir sie füttern. Damit die Domestikation fortgesetzt werden kann, müssen die Tiere in der Lage sein, in Gefangenschaft Nachwuchs zu zeugen – auch dies unter der Kontrolle des Menschen, der jene Tiere auswählt, die die gewünschten Eigenschaften besitzen. Alles in allem ist das von den meisten Tierarten ganz schön viel verlangt – vor allem von der Katze.
Woher wissen wir nun, dass eine Art domestiziert ist? 1868 bemerkte Charles Darwin interessiert, dass domestizierte Säugetiere im Vergleich zu ihren wilden Vorfahren bestimmte Gemeinsamkeiten in Körperbau und Verhalten besitzen.[2] Neben der erwarteten gesteigerten Freundlichkeit Menschen gegenüber zeigten sich auch merkwürdige Charakteristika wie ein kleineres Gehirn und einige Fellfarbenvariationen. Neunzig Jahre später begann in einer abgelegenen Forschungsstation in Sibirien das vermutlich berühmteste Domestizierungsexperiment der Geschichte.[3] Die russischen Genetiker Dimitri Beljajew und Lyudmila Trut stellten den Domestikationseffekt nach: Sie begannen mit einer in Gefangenschaft lebenden Population von Silberfüchsen, die wegen ihres wunderschönen Pelzes gezüchtet worden waren. Obwohl die Füchse sehr wild waren, wiesen sie Unterschiede in ihrem Verhalten gegenüber Menschen auf. Beljajew wählte jene Füchse aus, die am geringsten auf die Nähe der Menschen reagierten, und nutzte sie zur Zucht. Aus den Nachkommen wählte er wiederum die zahmsten für die Fortführung der Zucht aus und so weiter. Nach nur zehn Generationen hatte er eine kleine Population von Silberfüchsen, die ihre Menschen mit Schwanzwedeln und freudigen Lauten begrüßten und auch sonst mit ihnen interagierten. Nach weiteren Kreuzungen zeigten sich bei den Füchsen auch Veränderungen in der Fellfarbe. Das Fell bekam dunkle Flecken, sie entwickelten Schlappohren und einen kürzeren, mitunter sogar geringelten Schwanz. Erstaunlicherweise ergaben sich diese Veränderungen einfach als Nebenwirkung der Selektion auf Zahmheit.
Das Domestikationssyndrom, wie man es heute nennt, beschreibt die physischen und physiologischen Veränderungen, die sich bei einer domestizierten Art einstellen. Die Liste dieser Merkmale ist mittlerweile angewachsen, denn die Fuchsstudie von Beljajew sowie andere Studien haben weitere Merkmale entdeckt: kleinere Zähne, die Tendenz zu kindlichen Zügen in Gesicht und Verhalten, geringere Stresshormonausschüttungen und Veränderungen im Reproduktionszyklus.
Die meisten domestizierten Tierarten weisen mehrere dieser Merkmale, aber fast nie alle auf einmal auf. Welche Merkmale dies sind, variiert von Art zu Art. Angesichts dieser Vielfalt stellten immer mehr Wissenschaftler das Domestikationssyndrom als solches infrage. Selbst die ursprünglichen Studien von Beljajew wurden einer kritischen Prüfung unterzogen, als man entdeckte, dass die erste Silberfuchsgeneration aus Kanada stammte und möglicherweise schon dort aufgrund besserer Handhabbarkeit ausgewählt worden war.[4] Die Debatte, ob es sich tatsächlich um ein umfassendes »Syndrom« handelt, geht also weiter. Es bestehen allerdings kaum Zweifel daran, dass die Domestikation körperliche und genetische Veränderungen hervorruft, vor allem im Vergleich mit den wilden Vorfahren derselben Art.
Interessanterweise wurden solche Veränderungen auch bei modernen Populationen bestimmter nicht domestizierter Tiere beobachtet. Da immer mehr Arten sich daran gewöhnen, in der Nähe des Menschen zu leben, zeigen auch sie Merkmale, die jenen domestizierter Arten ähneln. In Großbritannien zum Beispiel durchstreifen immer mehr Rotfüchse die Städte und zeigen dabei wenig Angst vor Menschen. Einige dieser Stadtfüchse haben kürzere und breitere Schnauzen und verglichen mit Landfüchsen eine schmalere Hirnschale.[5] Diese körperlichen Veränderungen ähneln jenen, die man bei domestizierten Tieren anderer Arten festgestellt hat.
»Domestizierte« Katzen zeigen ebenfalls körperliche Merkmale, die sie ein bisschen von ihren Wildkatzenvorfahren unterscheiden, allerdings nicht sehr. Ihre Beine sind ein wenig kürzer, das Gehirn ist einen Tick kleiner und ihr Darm länger. Die Fellfarben von Hauskatzen weisen eine enorme Vielfalt in puncto Farbe und Zeichnung auf. Wildkatzen zeigen hier ein einheitlicheres Bild: die klassischen Tabby-Mackerel-Streifen (Tigerkatzenfärbung). Schlappohren kommen nicht vor, außerdem ist der Schwanz länger und nicht geringelt. Aber im Grunde sind die augenfälligen körperlichen Unterschiede zwischen Haus- und Wildkatzen so gering, dass man sich schon gefragt hat, ob Hauskatzen überhaupt domestiziert sind.
Wie gut eignen sich Katzen überhaupt zur Domestikation? Ganz sicher besitzen sie Eigenschaften, die es ermöglichen, sie zu zähmen. Alles in allem fressen sie, was wir ihnen servieren (von jenen Exemplaren einmal abgesehen, die die Kunst der Mäkeligkeit zur Vollendung gebracht haben). Ihr längerer Darm hat sich wohl entwickelt, weil sie sich von dem ernährt haben, was die Menschen ihnen übrigließen. Sie haben sich daran gewöhnt, in Gruppen zu leben, allerdings meist nur, wenn es nötig oder vorteilhaft ist. Und damit ist die Liste der Voraussetzungen, die für eine Domestikation erfüllt sein müssen, bei den Samtpfoten schon erschöpft. Dass Katzen Menschen als ihr »Leittier« betrachten, ist ausgesprochen fragwürdig. Und schon tut sich da ein weiteres, noch größeres Loch bei der Domestikationseignung auf. Katzen sind zwar fähig, sich in Gefangenschaft zu reproduzieren, aber dass sie züchterisch vermehrt werden, ist ein vergleichsweise junges Phänomen, das erst im späten 19. Jahrhundert eingesetzt hat. Die Beliebtheit dieser Rassekatzen hat zwar in den letzten Jahren zugenommen, aber Umfragen zeigen, dass in den USA[6] nur 4 Prozent der Katzenbesitzer und in Großbritannien nur 8 Prozent ihr Tier von einem Züchter haben.[7] Die meisten Hauskatzen sind züchterisch also ein Zufallsprodukt und ihre Vorfahren weitgehend unbekannt. Manche haben das Glück, als gut versorgte Haustiere zu leben, entweder als reine Wohnungskatze oder mit Freigang. Aber Millionen Katzen weltweit haben kein Heim und führen ein völlig anderes, vom Menschen unabhängiges Leben. Hauskatzen sind häufig kastriert, ebenfalls eine Form der Nachwuchskontrolle durch den Menschen, auch wenn diese eher vorbeugend als selektiv ist. Doch auf viele Hauskatzen trifft dies nicht zu. Wenn sie Freigang haben, können sie sich draußen frei bewegen, sodass diese Katzen mit den Millionen Streunern eine reproduktiv intakte Katzenpopulation bilden, deren Mitglieder ständig auf Partnersuche sind. Diese Katzen paaren sich wahllos, ihre Vermehrung unterliegt keineswegs unserer Kontrolle, wenn sie auch häufig buchstäblich vor unserer Nase stattfindet. Dieses Fehlen menschlichen Einflusses auf die Paarungswahl der Katzen wird von manchen als Anzeichen gewertet, dass Katzen eben nicht domestiziert sind. Also beschreibt man Katzen häufig als halb domestizierte oder teildomestizierte Tiere, deren einzigartige Beziehung zum Menschen durch Kommensalismus bedingt sei – die Tiere haben demnach die Nähe des Menschen gesucht, weil sie dort mehr Futter fanden.
Wie auch immer wir das bezeichnen mögen, die moderne »Hauskatze« ist genetisch prädisponiert für eine freundliche Beziehung zum Menschen. Aber es handelt sich dabei nur um eine genetische Neigung. Katzen stehen dem Menschen also nicht vom Moment ihrer Geburt an freundlich gegenüber. Katzenkinder müssen den Menschen schon recht früh – zwischen der zweiten und siebten Lebenswoche – kennenlernen, um uns als erwachsene Katze tolerant oder freundlich zu begegnen.[8]
Nehmen wir mal folgendes Szenario. Eine freundliche und voll sozialisierte Hauskatze, die wir Molly nennen wollen, erlebt schwere Zeiten. Mollys Besitzer ziehen um und lassen die Katze zurück. Also lebt sie künftig auf der Straße und muss fressen, was sie auftreiben kann. Wurde sie nicht kastriert, kann sie von einem herumstreunenden Kater trächtig werden und irgendwo, wo sie sich sicher fühlt, mehrere Kätzchen zur Welt bringen. Diese Kätzchen haben in den ersten Lebenswochen vermutlich keinen Kontakt zum Menschen, da Molly Menschen zwar freundlich begegnet, aber ihre Kleinen zu deren Sicherheit verstecken wird. Wenn die Kätzchen lange Zeit keinen Kontakt zum Menschen haben, werden sie Zeichen von Anspannung zeigen, wenn sie Menschen wahrnehmen. Sie halten sich zwar in deren Nähe auf, weil sie dort Futter vermuten, aber sie werden jegliche Interaktion vermeiden. Wenn sich die erwachsenen Kätzchen dann mit anderen Streunern paaren, werden die Nachkommen und alle folgenden Generationen den Menschen eher mit Vorsicht begegnen.
Das sind dann verwilderte Katzen. Genetisch sind sie mit Hauskatzen identisch. Sie behalten auch die Fähigkeit von Hauskatzen, zur Not mit anderen Katzen zusammenzuleben. Das passiert vorzugsweise, wenn es irgendwo viel Futter gibt, etwa in der Nähe von Restaurants oder Mülltonnen. Gruppen solcher verwilderter Katzen siedeln sich häufig in einem bestimmten Gebiet an. Wenn sie sich ungehemmt vermehren können, entstehen dabei große Katzenkolonien.
Aber der Prozess verläuft nicht nur in eine Richtung. Mollys Nachkommen verwildern innerhalb einer Generation, weil es nicht zur Sozialisation mit dem Menschen kommt. Doch als Hauskatzen bleibt ihnen immer noch die Fähigkeit erhalten, freundliche Beziehungen zum Menschen einzugehen, wenn sie sozialisiert werden. Diese wird im Übrigen auch genetisch weitergegeben. Die Nachkommen dieser verwilderten Tiere können also, wenn sie früh Kontakt zu Menschen haben, durchaus sozialisiert und wieder zur zufriedenen Hauskatze werden, wie ihre Großmutter Molly es war.
Big Ginger jedenfalls begann sein Leben in solch einer Kolonie. Wir wissen nicht, wie viele Generationen verwilderter Katzen bereits unter dem Schuldgebäude gelebt hatten, als wir Ginger und seine Kumpels kennenlernten, aber eines können wir mit Sicherheit sagen: Big Ginger war Menschen gegenüber sehr misstrauisch. Wie die meisten anderen erwachsenen Katzen. Vier der Weibchen brachten im Tierheim einen Wurf Katzen zur Welt. Nach der Fellfarbe – Rot und Schildpatt – zu urteilen, war Big Ginger der Vater von einigen. Trotz ihres asozialen Papas waren diese Kätzchen jung genug, um im Tierheim sozialisiert zu werden und zu Menschen ein gutes Verhältnis aufzubauen, bevor man sie an neue Besitzer abgab. Bei Big Ginger wäre dies unmöglich gewesen. Er hätte einen so engen Kontakt zu Menschen schlicht nicht ertragen, auch wenn er mit der Zeit lernte, meine tägliche Anwesenheit auf dem Bauernhof zu akzeptieren. Er ließ sich in sicherer Entfernung zu mir nieder und wartete auf sein Abendessen.
Wo aber fing sie denn nun wirklich an, die Beziehung zwischen Katze und Mensch? Die wahren Ursprünge der Hauskatze wurden erst in den letzten zwanzig Jahren entdeckt. Davor konnten wir den zahlreichen Darstellungen von Katzen in ägyptischen Gräbern und Tempeln nur entnehmen, dass es vor 3500 Jahren wohl eine besondere Beziehung zwischen Katze und Mensch gegeben hatte. Bilder von Katzen, die unter dem Stuhl von Menschen saßen oder gar auf deren Schoß, ließen vermuten, dass es die alten Ägypter waren, die die Katze domestiziert hatten. Aber welche »Katze« haben sie domestiziert? Und fand die Katzendomestikation wirklich nur im alten Ägypten statt?
Der erste Schritt hin zu einer Antwort auf diese Fragen erfolgte 2007. Untersuchungen der DNS der gesamten Katzenfamilie – der Felidae – offenbarten, dass diese aus acht verschiedenen Gruppen oder Linien bestand.[9] Diese Gruppen sonderten sich zu unterschiedlichen Zeiten vom Genom des gemeinsamen Vorfahren – des katzenähnlichen Pseudaelurus – ab.[10] Das begann vor über zehn Millionen Jahren mit der Linie der Pantherini oder Großkatzen (zu der beispielsweise Löwen und Tiger zählen). Die letzte Gruppe, die sich vor rund 3,4 Millionen Jahren vom Stammbaum abnabelte, umfasste einige kleinere Wildkatzen – die Linie der Felis. Genetische Vergleiche innerhalb dieser Studien machten deutlich, dass die Hauskatze zu dieser Linie gehört.
Es schien also wahrscheinlich, dass die Hauskatze sich aus einer oder mehreren Arten der Wildkatze entwickelt hat. Carlos Driscoll und Kollegen konnten in einer bahnbrechenden Untersuchung schließlich feststellen, wer dieser ominöse Vorfahr tatsächlich war.[11] Sie verglichen in einer umfassenden Studie die Gene von 979 Haus- und Wildkatzen und fanden so heraus, dass alle heutigen Hauskatzen von der Afrikanischen Wildkatze (Felis lybica lybica) abstammen.[12] Das aber warf eine Frage von erheblicher Tragweite auf: Warum ließ sich von den etwa vierzig Arten von Wildkatzen innerhalb der Felidae-Familie nur eine einzige domestizieren?
Der Mensch war seit jeher von Katzen fasziniert – von den laut brüllenden Großkatzen bis hin zur kleineren Wildkatze. Lange bevor wir Hauskatzen hatten, zähmten wir überall auf der Welt wilde Katzenarten. Eric Faure und Andrew Kitchener schätzen, dass nahezu 40 Prozent aller Felidenarten irgendwann einmal vom Menschen gezähmt worden sind.[13] In vielen Fällen sollten sie dem Menschen bei der Jagd helfen oder dabei, Krankheiten wie die Pest zu bekämpfen, die von Nagetieren verbreitet wurden, oder um Beutetiere wie Gazellen zu erlegen. Andere wurden für Unterhaltungszwecke gezähmt – in Indien etwa wurden Wetten abgeschlossen, wie viele Tiere eines am Boden sitzenden Taubenschwarms ein Karakal mit einem einzigen Pfotenhieb töten konnte.
In den verschiedenen Linien der Felidae scheint es eine Mischung zu geben zwischen zähmbaren und nicht zähmbaren Tieren.[14] Zahme Felidenarten tauchen überall auf der Welt auf. Die stärkste Konzentration aber findet sich in Zivilisationen, wo Katzen und andere Tiere eine kulturelle Bedeutung erlangten. Der Jaguarundi beispielsweise ist nur eines von vielen Wildtieren, die seit präkolumbianischer Zeit in den Gesellschaften am Amazonas gezähmt und zur Jagd auf Nager eingesetzt wurden. Die meisten wurden als Jungtiere vom Menschen aufgezogen, nachdem man ihre Mütter getötet hatte.
Eine der am leichtesten zu zähmenden Katzenarten ist der höchst elegante Gepard. Manche Historiker gehen davon aus, dass die Beziehung zwischen Mensch und Gepard vor gut 5000 Jahren bei den Sumerern begann. Ganz sicher aber hielten die alten Ägypter Geparden für die Jagd. Außerdem glaubten sie, dass Geparden die Seelen der Pharaonen ins Jenseits brachten. Auch in den folgenden Jahrhunderten blieb der Gepard weiter an den Menschen angeschlossen. Im 11. und 12. Jahrhundert schätzten russische Prinzen ihn als Jagdgefährten, im 15. Jahrhundert war es dann die armenische Königsfamilie. Die Mode, Geparden zur Jagd einzusetzen, verbreitete sich später auch im europäischen Adel. Die »Jagdleoparden«, wie man sie nannte, saßen hinter dem Jäger mit auf dem Pferd. In Indien war es Akbar der Große, Mogulkaiser von 1556 bis 1602, der sich für Jagdgeparden begeisterte. Er bildete die Tiere sogar häufig selbst aus.
Und doch wurden diese eleganten, hochbeinigen Tiere nie domestiziert. Die Gründe dafür können wir den Aufzeichnungen von Jahangir entnehmen, dem Sohn Akbars des Großen. Er schrieb 1613: »Es ist eine bekannte Tatsache, dass Geparden an ihnen ungewohnten Orten sich nicht paaren. Mein verehrter Vater hat einmal tausend Geparden besessen. Er wollte sie unbedingt zur Paarung anregen, doch ließ sich dies einfach nicht bewerkstelligen.«[15]
Jahangir sollte recht behalten: Geparden sind in Gefangenschaft kaum je zu paaren. Selbst Zoos hatten damit große Schwierigkeiten, zumindest bis in die frühen 1960er-Jahre. Da die Geparden zu scheu sind, um sich im Umfeld von Menschen zu paaren, gelang es nie, die Art zu domestizieren. Die Geparden, die im Laufe der Jahrtausende bei Menschen lebten, waren durchweg einzeln gezähmt worden.
Nichtsdestotrotz waren die alten Ägypter sehr geschickt darin, die unterschiedlichsten Katzenarten zu zähmen. Neben den Geparden und der Afrikanischen Wildkatze zähmten sie Karakale, Servale und die heimische Rohrkatze (Felis chaus). Da sich jedoch im Genom unserer modernen Hauskatzen kein bisschen Genmaterial von diesen Tieren findet, nahmen diese Zweckgemeinschaften wohl bald ein Ende. Niemand kann wirklich erklären, woran es lag. Waren die anderen Felidenarten wie Geparden einfach weniger aufgeschlossen für eine Nähe zum Menschen als die Wildkatze? Vielleicht waren sie einfach nicht so nett.
Da die Afrikanische Wildkatze so unglaublich erfolgreich war, fragte man sich, wie das mit ihren nahen Verwandten war und warum sich im Genom heutiger Hauskatzen kein Hinweis auf diese findet. Die Europäische Wildkatze (Felis silvestris) ist ihrer afrikanischen Cousine in Größe und Aussehen ungeheuer ähnlich. Ganz sicher ist sie eine ebenso gute Mäusefängerin. Warum also haben wir nicht sie domestiziert? Das erklären verschiedene Versuche, sie zu zähmen. Die nördlichste Version der Europäischen Wildkatze lebt in Schottland. Hier dokumentierte die britische Wildlife-Fotografin Frances Pitt1936 einen ihrer Versuche, die Kätzchen einer Schottischen Wildkatze zu zähmen: »Dann kam Satan. Er war nur ein Häufchen gelb-grauen Tabbyfells, ein so kleines Kätzchen, wie ich es mir nur wünschen konnte. Aber sein Name war Programm.«[16] Satan war nicht zähmbar.
Im Gegensatz zu Satan, der Schottischen Wildkatze, und seinen europäischen Verwandten gibt es andere Felidenarten, die sich ausgesprochen leicht zähmen lassen. Trotzdem fehlen historische Aufzeichnungen über solche erfolgreichen Zähmungen weitgehend. Obwohl diese Katzen sich als absolut zähmbar erwiesen, lagen die von ihnen bewohnten Weltregionen fernab jeder alten Zivilisation. Der Luchs ist ein klassisches Beispiel – dort, wo diese Katzen lebten, fanden Menschen ihre Anwesenheit nicht weiter nützlich, sie erlegten sie, um an ihr Fleisch und Fell zu kommen.
Obwohl es also so viele Feliden gibt, die um unsere Zuneigung konkurrieren könnten, war es die Afrikanische Wildkatze, die eine Reise um die Welt antrat und so ihren Weg an unsere Tür und in unser Heim fand. Ihre Geschicklichkeit bei der Jagd, ihre kleine Statur und die einfache Transportierbarkeit (zu Land und zu Wasser) waren zusammen mit ihrer Zähmbarkeit ideale Merkmale für Katzengefährten. Ebenso wichtig war aber, dass sie im Umfeld von wachsenden menschlichen Gemeinschaften gelebt und sich ihre Präsenz als nützlich erwiesen hat. Die Afrikanische Wildkatze war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort – und sie brachte die passenden Voraussetzungen mit.
Die Entdeckung von Driscoll und Kollegen, dass die Afrikanische Wildkatze die einzige Ahnherrin unserer Hauskatzen ist, erregte die Aufmerksamkeit anderer Wissenschaftler, die diese Beziehung genauer unter die Lupe nahmen. Die Folgestudien beschäftigten sich mit genetischen und archäologischen Daten und offenbarten, dass der Genpool unserer modernen Hauskatzen aus Genmaterial besteht, das zwei geografisch entfernten Populationen dieser Wildkatze zugeordnet werden konnte.[17] Eine dieser Populationen lebte, wie zu vermuten war, im alten Ägypten. Die andere kam aus einer weiter nördlich gelegenen Region, die heute als Fruchtbarer Halbmond bekannt ist: der Nahe Osten, die »Wiege der Schöpfung«.
Die beiden Einflüsse für den Genpool der Hauskatze scheinen zu verschiedenen Zeiten erfolgt zu sein: In der Region des Fruchtbaren Halbmonds lebte die Vorfahrin der Hauskatze vermutlich bereits 3000 Jahre vor derjenigen in der ägyptischen Kultur. Doch sobald sich die ägyptische Katze zu verbreiten anfing, wurde sie zum häufiger anzutreffenden Subtypus.
Die Geschichte der Hauskatze ist also deutlich komplexer als das simple Modell »domestizierte Hauskatzen der alten Ägypter«. Wenn man das Puzzle nun zusammensetzt, können wir nachvollziehen, wie die Domestikation der Katze verlief.
Vor etwa 10000 Jahren begannen Gruppen jungsteinzeitlicher Jäger und Sammler in den Ebenen des Fruchtbaren Halbmonds mit der Zucht von Getreide aus wilden Samenkörnern zu experimentieren. Sie lernten allmählich, wie man Getreide erfolgreich anbaut und aufbewahrt. Damit reduzierte sich die Notwendigkeit langer Wanderungen für die Jagd und das Sammeln von Nahrungsmitteln. Die ersten Siedlungen entstanden, und die Bauern fingen an, über das Getreide hinauszudenken. Zunächst setzten sie auf lokale Wildtiere, die man jagte oder hielt, um Fleisch, Milch, Haut und Fell zu nutzen. Die Vorfahren unserer heutigen Ziegen, Schafe und Kühe wurden auf diese Weise langsam domestiziert. Diese »Bauernhoftiere« hatten viele Merkmale gemeinsam, die sie für die Domestikation geeignet machten:[18] Sie lebten bereits in Herden und waren soziale Tiere, die nichts dagegen hatten, wenn man sie zusammen in einen Pferch sperrte. Sie gewöhnten sich relativ schnell an das vorhandene Futter. Und sie folgten instinktiv ihrem »Leittier«, in diesem Fall dem Bauern, der auch ihre Zucht kontrollierte.
An den Rändern dieser frühen Bauernhofgemeinden wurden bald kleine Beobachter gesichtet, die auf ihre Chance warteten: Afrikanische Wildkatzen. Diese lebten von Natur aus allein. Sie jagten allein in ihrem Revier und vermieden normalerweise instinktiv jede Interaktion mit anderen Wildkatzen, abgesehen von dem ein oder anderen Paarungsvorhaben. Die Kommunikation verlief über große Distanzen durch das Setzen von Duftmarken. Aber da Katzen hungrig und neugierig sind, zogen die menschlichen Siedlungen sie an. Vielleicht wollten sie ja noch den ein oder anderen Fetzen Fleisch von den Knochen schälen, die die Dörfler wegwarfen. Oder sie interessierten sich für die immer zahlreicheren Nagetiere, die sich in den anwachsenden Getreidespeichern gütlich taten. Diese üppigen lokalen Futtervorkommen waren groß genug, um für mehrere Wildkatzen etwas abzuwerfen. Vielleicht bildeten sich auch hier Gruppen, die auf die nächste Mahlzeit warteten. Während sie die Dörfer durchstreiften, begegneten sie Artgenossen öfter, als dies in der freien Natur der Fall war. Obwohl Duftmarken sich hervorragend für die Kommunikation über größere Distanz eigneten, waren für die Nähe schnellere und klarere Signale erforderlich, um eine Konfrontation zu vermeiden. Die Katzen mussten also neue Wege finden, um sich untereinander auszutauschen.
Aus der Sicht der Bauern waren diese Wildkatzen der absolute Gegensatz zum Vieh auf den Höfen, vor allem in puncto Eignung für die Domestikation. Die Katzen hatten keinerlei soziale Eigenschaften. Sie fraßen nur ganz bestimmte Dinge, vorzugsweise Fleisch. Und sie befolgten ganz sicher keine Befehle. Obwohl also keine erkennbare Chance bestand, diese Tiere in Herden zu halten, tolerierten die Bauern sie, weil sie merkten, dass sie die Anzahl der Nager verringerten, was letztlich auch Kammerjägerdienste waren, die unsere Hauskatzen noch heute im Angebot haben.
Und so begann eine vorsichtige Beziehung wechselseitiger Unterstützung zwischen Mensch und Wildkatze. Und wie es bei den Populationen aller Arten der Fall ist, waren manche Wildkatzen mutiger als andere. Sie ertrugen mehr Nähe zu Menschen und Artgenossen als andere, um diese neue Futterquelle ganz auszuschöpfen. Die zahmeren Wildkatzen paarten sich vielleicht untereinander und hatten Vorteile gegenüber den wilderen, was die Fütterung anging. Das wiederum verstärkte die Neigung zur Zähmung beim Nachwuchs. So begann eine natürliche Auslese im Hinblick auf eine freundliche Beziehung zum Menschen, die wiederum zum Beginn des Domestikationsprozesses wurde.
Diese Beziehung zwischen Wildkatze und Mensch bildete sich in verschiedenen Siedlungen im Fruchtbaren Halbmond heraus. Archäologische und genetische Studien legen zudem nahe, dass die Katzen dem Menschen folgten, wenn eine jungsteinzeitliche Siedlung verlegt wurde. So hielten die Wildkatzen schon vor 4000 bis 6000 Jahren Einzug in manche Regionen des kontinentalen Europa.[19] Wann genau Menschen die Katzen in ihr Heim aufnahmen, ist nicht gesichert. Vielleicht war es in diesem Stadium noch gar nicht der Fall.
Etwas ganz Ähnliches geschah im alten Ägypten, wo die einheimischen Wildkatzen gezähmt wurden, vermutlich damit sie die Getreidespeicher von Mäusen, Skorpionen und sogar Schlangen säuberten. Hier aber nahm die Entwicklung, im Vergleich mit den einfachen Wildkatzen in der Region des Fruchtbaren Halbmonds, einen anderen Weg. Denn ägyptische Katzen waren nicht nur die Kontrolleure der Nagerpopulation. Sie wurden bald mit den unterschiedlichsten ägyptischen Gottheiten assoziiert, vor allem mit Bastet, der Göttin der Fruchtbarkeit.
Bastet
Die Bedeutung und Verehrung der Katzen nahm in Ägypten immer mehr zu. Gesetze verboten, dass man ihnen Schaden zufügte. (Auf das Töten einer Katze stand die Todesstrafe.) Immer häufiger wurden Katzen als Gefährten geschätzt und als Haustiere gehalten. Starb eine Hauskatze eines natürlichen Todes, bestattete man sie aufwendig. Zum Zeichen der Trauer rasierten sich die Menschen ihres Haushalts die Augenbrauen.[20] Darstellungen von Katzen in häuslichen Szenen zeigen, dass die Wildkatzen schon vor 3500 Jahren ihre Nasen und Pfoten in menschliche Behausungen steckten.
Das Katzenleben im Tempel hingegen war gar nicht so rosig. Zum Kult scheinen häufige und umfangreiche Opfergaben gehört zu haben, die die Göttinnen und Götter bei Laune halten sollten. Bastet brachte man mumifizierte Katzen dar. Ganz im Gegensatz zu dem Schutz und der Verehrung, die sie anderswo genossen, wurden Katzen in den Tempeln massenhaft gezüchtet, bereits früh getötet und einbalsamiert an die Gläubigen als Opfergabe an die Göttin verkauft. Einige der jungen Katzen ließ man am Leben, damit sie für Nachwuchs sorgen konnten.
Eric Faure und Andrew Kitchener vergleichen diese Zucht von Generationen zahmer Wildkatzen in ihrem klugen Aufsatz über die Beziehung zwischen Mensch und Katze mit den Silberfuchsexperimenten von Dimitri Beljajew. Faure und Kitchener bezeichnen dies als »Betriebsunfall der Geschichte«: Die ägyptischen Tempelwächter haben so vermutlich unwissentlich dafür gesorgt, dass eine stärker domestizierte Form der Wildkatze entstand.[21] Ob von den Tempelkatzen gelegentlich eine entkam und sich mit einer Hauskatze paarte, weiß man nicht, aber es scheint durchaus möglich, dass die Tempelwächter ihre Lieblingskatzen mit nach Hause nahmen.
Diese Gruppenhaltung in beengter Umgebung führte dazu – mehr noch als im Fruchtbaren Halbmond –, dass neue, effektive Methoden der Kommunikation zwischen den Katzen entstanden. Möglicherweise waren es also diese Gruppen, die neue Signale zur Verständigung innerhalb der Katzenpopulation entwickelten – einfach zu erkennende visuelle Zeichen wie verschiedene Haltungen des Schwanzes, aber auch taktile Signale wie das Putzen und Umschmeicheln.
In den folgenden Kapiteln werden wir erfahren, wie sich diese Signale entwickelt haben, wie Katzen sie einsetzen, um miteinander zu kommunizieren, und wie sie sie für die Kommunikation mit dem Menschen abändern.
Während die Katzenpopulation im Nahen Osten ihren Menschen über den Landweg folgte, fanden die ägyptischen Feliden einen schnelleren Weg, um sich in der Alten Welt auszubreiten: Schiffe. Obwohl der Export von Katzen gesetzlich verboten war, entkamen sie aus Ägypten auf den Kaufmannsschiffen, die an den Küsten des Mittelmeers entlangsegelten. Überhaupt waren Katzen die besten Anhalter: Sie verdienten sich ihr täglich Brot, indem sie einen neuen Plagegeist dezimierten: die Hausmaus. Außer einem gelegentlichen Fisch brauchten Katzen kein weiteres Futter, denn sogar ihren Flüssigkeitsbedarf konnten sie mit dem Mäusefang decken. Da sie klein waren und nicht viel Platz brauchten, wurden sie bald zu engen Freunden der Seefahrer. Auch wenn sie die Gestade Ägyptens mittlerweile hinter sich gelassen hatten, wurden die Schiffskatzen hoch geachtet. Wo auch immer sie an Land gingen, betrachtete man sie als kostbare Ressource, denn die meisten Menschen hatten Güter, die vor Nagetieren geschützt werden mussten: Seidenraupenkokons in China, Manuskripte in Japan und Getreidespeicher in Italien und Griechenland.
Es hört sich eigentlich ganz einfach an – als hätte es für Katzen in jedem Land Jobangebote gegeben, die sie gern angenommen haben. Aber so einfach war es dann doch nicht. Denn in vielen neuen Ländern stießen die Katzen auf Konkurrenz. Die maritimen domestizierten Wildkatzen aus Ägypten mussten feststellen, dass es neben ihnen noch andere Tiere gab, die sich auf die Kontrolle von Nagern spezialisiert hatten. So haben Wissenschaftler Belege dafür gefunden, dass in der Jungsteinzeit im heute chinesischen Raum die Bengalkatze (Prionailurus bengalensis) mit Menschen zusammenlebte.[22] Trotzdem findet sich keinerlei Genmaterial der Bengalkatze bei den heutigen Hauskatzen in dieser Region. Die Afrikanische Wildkatze hat diese anderen Katzenarten vermutlich Schritt für Schritt aus der Beziehung zum Menschen hinausgedrängt.[23] Gerade die Griechen und Römer waren schwer zu überzeugen, hatten sie doch bereits geschickte Rattenmörder in Form von abgerichteten Marderarten wie Iltis und Wiesel. Doch so gut diese auch waren, am Ende wurden sie trotzdem von den Katzen verdrängt, obwohl diese weniger geschickte Jäger sind. Der Grund dafür ist immer noch unklar. Vielleicht waren die Marder distanzierter und weniger offen für den Kontakt mit Menschen als die Katzen.
Und so eroberten die Katzen allmählich die Welt. Und man brachte sie mit neuen Gottheiten in Verbindung: Artemis in Griechenland, Diana in Italien und auch mit der nordischen Göttin Freya. Von circa 500 vor unserer Zeitrechnung bis zum Jahr 1200 breiteten die Katzen sich in allen europäischen Ländern aus. Sie folgten den Römern in alle Winkel des wachsenden Römischen Reiches, befuhren mit den Wikingern die See und besiedelten immerfort neue Länder. Genmutationen sorgten für neue Fellfarben und -muster: Rot, Schwarz, Weiß und später eine neue Zeichnung für die Tigerkatze (gestromt), die sich von den Streifen der Tabby-Vorfahren unterschied.
Wie viele Hauskatzen es um das Jahr 1000 gab, ist schwer zu sagen. Allerdings wurden sie in ihren neuen Heimatländern kaum je so verehrt wie im alten Ägypten. In Europa setzte sich zumindest die Zweckbeziehung fort, denn Katzen waren wie gesagt gute Mäusefänger. Sie hatten also einen gewissen Wert, auch wenn dieser eher pekuniärer als sentimentaler Natur war. Howell der Gute tat viel, um die Katzen in seinem Reich in Wales zu schützen. Im Jahr 936 erließ er ein Gesetz, das die Preise für Katzen festsetzte. Neugeborene Kätzchen waren einen Penny wert, auch wenn sie ihre Augen noch gar nicht geöffnet hatten. Zwei Pennys bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihre erste Maus getötet hatten. Von da an war die Katze vier Pennys wert. Der Preis für eine erwachsene Katze kam dem für ein Schaf oder eine Ziege gleich. Das steigerte den Wert der einfachen Hauskatze erheblich.
Doch zu jener Zeit hatten es nicht alle Katzen gut. Sie waren ja nicht nur Jäger. Die Menschen entdeckten allmählich ihre Vorliebe für Pelze, was heißt, dass man viele Tiere um ihres Fells willen tötete. Offensichtlich wählte man dafür eher junge Tiere aus, weil da der Pelz noch weicher und ohne Schäden war.
Und allmählich schlug auch die Stimmung in Europa um. Das Christentum breitete sich aus und sorgte dafür, dass »heidnische« Bräuche zunehmend weniger toleriert wurden. Und plötzlich gereichte es den Katzen zum Nachteil, dass man sie mit Göttinnen wie Diana assoziierte. Die Gerüchteküche begann zu brodeln, und bald brachte man Katzen – vor allem schwarze – in Verbindung mit bösen Geistern, ja dem Teufel selbst. Man beschuldigte Frauen der Hexerei, und ihre Katzen wurden als böse Helfershelfer, als Familiar bezeichnet.
Die zunehmende Hysterie wurde noch weiter angeheizt, als Papst Gregor IX. sein Schreiben Vox in Rama veröffentlichte und der Tötung aller Katzen seinen Segen erteilte. Vom 13. bis zum 17. Jahrhundert wurden Katzen in Europa gnadenlos massakriert. Frauen, die man der Hexereibezichtigte, wurden erbarmungslos verfolgt, gefoltert und zusammen mit ihren Katzen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Dessen noch nicht genug, briet man Katzen auch am Spieß, warf sie von hohen Türmen und verbrannte sie bei lebendigem Leib in großen Weidenkörben.
In Spanien wurden sie gegessen, wie eines der ersten spanischen Kochbücher zeigt, die uns überliefert sind. Im Libro de Guisados von 1529 führt der Küchenchef Ruperto de Nola verschiedene Rezepte an: Neben »Schafsfuß-Eintopf« und »Engelsgericht« oder »Pfau oder Kapaun im Speckmantel« findet sich auch Rezept Nr. 123: »Gato Asado como Se Quiere Comer«. Zu übersetzen mit: »Gegrillte Katze, ganz nach Ihrem Geschmack«.
Zu etwa derselben Zeit – Ende des 15. beziehungsweise Anfang des 16. Jahrhunderts – schafften es einige glückliche Katzentiere auf die Schiffe des Kolumbus und segelten davon in die Neue Welt. Zwischen 1620 und 1640 segelten noch mehr Schiffe von England los, und mit ihnen trafen die Pilgerväter in der Neuen Welt ein. Obwohl das für die Katzen ein Neuanfang war, war der alte Aberglaube mit an Bord. Auch in der neuen amerikanischen Population kam es zur Hexenjagd, die ebenfalls viele Katzenleben forderte. Doch die Ausbreitung der Katze war nicht aufzuhalten. Im 19. Jahrhundert gelangte sie mit den Schiffen europäischer Siedler bis nach Australien.
Im alten England aber reichte es den Leuten nicht, die Tiere zu verbrennen und sie von Türmen zu werfen. Man beschuldigte sie (und im Übrigen auch die Hunde), 1665 die Große Pest in London verbreitet zu haben. Man schlachtete Tausende Katzen einfach ab. Erst später bemerkte man, dass die eigentlichen Überträger die Flöhe der Ratten waren. Tatsächlich wären die Katzen da eine wichtige Hilfe gewesen.
Aber die Katzen wurden nicht ausgerottet. Die Renaissance war für Katzen zwar weiterhin keine gute Zeit, aber zumindest was die Hexenprozesse anging, gab es Anzeichen für einen Gesinnungswandel. Diese Mischung aus Grausamkeit und Freundlichkeit gegenüber der Katze lässt sich an einem Kinderreim aus dem ausgehenden 16. Jahrhundert ablesen, in dem ein Kätzchen vor dem Ertränktwerden gerettet wird mit dem Hinweis, dass Katzen keinen Schaden anrichten, sondern in der Scheune die Nager in Schach halten:
Ding dong bell, kitty’s in the well.
Who put her in? Little Johnny Flynn.
Who pulled her out? Little Tommy Stout.
What a naughty boy was that, try to drown poor kitty-cat,
Who never did any harm
But killed all the mice in the farmer’s barn.
Vom späten 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wandelte sich die Einstellung gegenüber Katzen allmählich wieder zum Positiven. Künstler malten sie, Dichter und Gelehrte wie Christopher Smart und Samuel Johnson lobten sie in ihren Schriften. Einmal mehr kamen Katzen in Mode. Das gestiegene Interesse führte dazu, dass man gezielt züchtete: Man wählte bestimmte Katzen für die Paarung aus, weil man Kätzchen mit einem bestimmten Aussehen wollte. Trotz ihrer Popularität sind Rassekatzen jedoch immer noch in der Minderheit, verglichen mit den Hauskatzen, die unsere Häuser, Straßen, Städte, Bauernhöfe und Landschaften bewohnen.
Können wir also nach all der Liebe, dem Hass und der Folter tatsächlich sagen, dass wir die Katze domestiziert haben? Wir wissen ungefähr, wo und wann die Beziehung zwischen Mensch und Katze ihren Anfang nahm. Aber über die Frage, wie oder sogar ob die Wildkatze je wirklich domestiziert wurde, gibt es immer noch heftige Debatten. Die frühen Beziehungen zwischen Wildkatze und Mensch im Fruchtbaren Halbmond respektive im alten Ägypten führten sicher mit der Zeit zu einer engeren Bindung. Aber im Vergleich mit den bewusst vorgenommenen Domestizierungsversuchen anderer Tierarten blieb unsere Beziehung zur Wildkatze doch eher zufällig. Wir mussten sie ja nicht unter Kontrolle bringen, um uns ihre Fähigkeiten als Jägerinnen zunutze zu machen. Vermutlich haben die Wildkatzen sich durch ihr eigenes Verhalten eher selbst domestiziert. Und als die zahmeren Geschöpfe in die Siedlungen der Menschen kamen und sich untereinander paarten, profitierten die Kätzchen davon, dass sie in menschlichen Behausungen Futter und Obdach fanden.
Die Domestikation der Wildkatzen war also ein langsamer und ganz natürlicher Prozess, der von ihnen selbst ausging. Der Mensch hatte damit eher wenig zu tun. Man spricht hier tatsächlich von »Selbstdomestikation«. Zumindest wurde diese Theorie für unseren anderen besten Freund, den Hund, aufgestellt,[24] und sogar für uns Menschen selbst. So wie freundlichere Wildkatzen und Wölfe es leichter hatten als ihre feindseligen Artgenossen, so hat sich auch der Homo sapiens gegenüber anderen Hominiden seiner Zeit
