Katzen und wir - Armin Wöhrle - E-Book

Katzen und wir E-Book

Armin Wöhrle

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Beschreibung

Prof. Dr. Armin Wöhrle ist Sozialwissenschaftler. Er lebt mit seiner Frau auf einem Hof, auf den viele Katzen zuwanderten und ihre Jungen gebaren. Mit einer großen Katzenmeute konfrontiert musste er sich zwangsläufig mit Katzen beschäftigen. In seinem Ruhestand sichtete er seine Beobachtungen und konfrontierte sie mit der aktuellen Forschung über Katzen. Dabei wurde ihm deutlich, dass wir zwar glauben vieles über Katzen zu wissen, unsere Kenntnisse sich aber überwiegend auf einzelne Stubentiger und ihr enges Verhältnis zu uns Menschen beziehen. Katzengemeinschaften werden seltener erforscht. Damit fehlen uns wichtige Erkenntnisse über das Sozialverhalten von Katzen. Hier trägt er einige Beobachtungen und Fragestellungen nach. Der Autor begibt sich in diesem Buch auf eine inhaltliche Entdeckungsreise. Ausgehend von seinen Beobachtungen und den daraus entstehenden Fragen durchsucht er die aktuelle Forschungsliteratur. Dabei werfen sich für ihn immer mehr Fragen auf und sie werden immer grundsätzlicher. Er fragt sich z.B., wie wir historisch mit Katzen in Verbindung kamen und was die enge Verbindung ermöglichte, aber auch, ob wie Katzen und sie uns überhaupt verstehen können. Die Suche nach Antworten auf diese Fragen führt ihn letztlich auch zu den Themen, wie wir als Menschheit generell mit Tieren und unserer Umwelt umgehen. Er plädiert dafür, dass wir grundsätzlich umdenken müssen.

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Das Buch ist meiner Frau Walli gewidmet.

Wir haben zusammen die für uns bedrohlich erscheinende Invasion der Spezies Katze durchlebt, aber auch zusammen die Freuden genossen, die uns unsere Lieben bereiteten.

Katzen und wir

20 Jahre Beobachtungen einer Katzenmeute

Fragen – Recherchen – Reflexionen

Armin Wöhrle

© 2022 Prof. Dr. Armin Wöhrle

ISBN Softcover: 978-3-347-65947-6

ISBN Hardcover: 978-3-347-65940-0

ISBN E-Book: 978-3-347-65952-0

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Inhaltsangabe

Vorbemerkungen

Kennenlernen

Bekanntwerden mit Katzen

Kennenlernen der Spezies

Lebenswelten

Mein Zugang

Lebenswelt Natur

Lebenswelt im Haus

Die Verknüpfung der Lebenswelten

Gibt es Verhaltensunterschiede in den Lebenswelten?

Eingependelter Zustand

Wie erlebte ich einen eingependelten Zustand?

Was ist ein eingependelter Zustand?

Routinen und Rituale entlang von Bedürfnissen

Der Verlust des Matriarchats und der Harmonie im Haus

Das ganze Leben

Wie alles beginnt

Geburten

Aufwachsen

Krankheiten, Alter und Tod

Individuen und Beziehungen

Katzen sind Individuen

„Unsere“ Individuen…

… und ihr Zusammenwirken

Sozialverhalten wissenschaftlich

Fremdheit und Verstehen

Meine Fragestellungen

Fremdheit

Verstehen – wie forschen wir?

Verstehen – die mögliche Brücke

Verstehen – wie geht das?

Kommunikation und Sprache(?)

Mensch – Tiere – Natur – Mensch

Geschichtlich: Verbindung mit dem Göttlichen und Verteufelung

Evolutionsgeschichtlich: Annäherung von beiden Seiten

Verständigung zwischen den Arten?

Ein verengter wissenschaftlicher Zugang mit Folgen

Massentierhaltung und Umweltzerstörung

Einheit des Lebendigen zusammendenken und handeln

Epilog

Anhang: Übersicht über die Akteure und Akteurinnen

Vorbemerkungen

An der Spitze aller Videos, die im Internet aufgerufen werden, stehen solche mit Katzen. Es gibt offensichtlich ein großes Interesse, sich am Verhalten von Katzen zu erfreuen. Es handelt sich dabei meist um lustige und skurrile Situationen, die dokumentiert werden, oder um Katzen, die hinsichtlich ihres Aussehens oder Verhaltens von der Norm abweichen. Alles entspricht dem heute gängigen Schema, Aufmerksamkeit mit Außergewöhnlichem erregen zu wollen. Das mag Klickzahlen bringen und eine Webseite nach oben puschen, aber es trägt nicht viel zum Verständnis von Katzen bei. Darüber hinaus gibt es eine Menge an Literatur, die sich mit Katzen beschäftigt.1

Dabei besteht ein erster Zugang darin, dass Menschen einfach über „ihre“ Katzen berichten, also die, die bei ihnen wohnen (denn Katzen besitzt man nicht). Oft werden diese Erfahrungsberichte mit Empfehlungen für andere Katzenliebhaber angereichert. Und bei diesem ersten Zugang gabeln sich nun die Art der Berichte in solche, die auf Unterhaltung aus sind, mit denen, die wichtige Anregungen weitergeben wollen. Erstere sind zumeist lustige Erzählungen, die davon handeln, wie Katzen alles einnehmen und die Menschen „zurichten“, damit diese auf ihre Bedürfnisse eingehen. Ich nenne diese Blickrichtung die „Dosenöffner*innen-Perspektive“. Hier wird verherrlicht, dass Katzen eigenwilliger sind als Hunde (die anderen Haustierlieblinge der Menschen) und offensichtlich auch Einfluss auf „ihre“ Menschen haben. Die andere Linie verfolgt mehr die Empfehlungen. Hier werden in mehr, aber manchmal auch weniger wissenschaftlich untersetzte Ratgeber erläutert, wie mit Katzen umzugehen ist und wie man auf welche Probleme (von Krankheiten bis zu Verhaltensauffälligkeiten) zu reagieren hat. Hier kann es sich um eine wertvolle „Ratgeber*innen-Betrachtungsweise“ handeln, vorausgesetzt, dass die Autor*innen ihre Erfahrungen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aufgerüstet haben.2 Allerdings ist Vorsicht geboten hinsichtlich aller Verallgemeinerungen, denn es darf nicht übersehen werden, dass es sich bei Katzen um Individuen handelt, wie wir später feststellen werden. Was bei der einen vorzüglich passt, kann bei der anderen schon schiefgehen.

Der zweite Zugang verlässt die unmittelbare Erfahrungsebene (ohne auf die Erfahrungswerte zu verzichten, die mit Katzen gesammelt wurden) und wählt einen Kniff: Es wird so getan, also ob aus der Sicht von Katzen erzählt werden könnte. Also: wie wenn sie sich ihren Zugang untereinander und zu uns Menschen erzählen könnten. Die Geschichten aus diesem Blickwinkel füllen zwischenzeitlich auch Regale. Hier werden oft lustige Erzählungen literarisch aufgewertet. Mittlerweile kommen auch dramatische Erzählungen hinzu. Interessanterweise stehen hier nicht selten rallige, d.h. geile und egoistische Kater oder schlaue Mädels im Vordergrund. Oft sind es Autorinnen und ohne Frage werden hier nicht Katzenthemen, sondern menschliche Themen in verfremdeter Form abgehandelt. Den Zugang nenne ich einfach einmal die „Stellvertreter*innen-Erzählung“.

Beim dritten Zugang handelt es sich um eine „ästhetische Betrachtung“. Vorausgesetzt, dass es sich weder um eine Verkitschung noch um eine ideologische Aufladung von Katzen handelt, halte ich sie für wertvoll, denn in ihrer neutralen Form der Betrachtung, die nur wiedergibt, was gesehen werden kann und eventuell was wir damit assoziieren, kann sie Herangehensweisen und Fragen an die Forschung eröffnen.3

Der vierte Zugang ist die wissenschaftliche Betrachtung. Während mir früher hierzu Bilder von Katzen in schrecklichen Versuchsanordnungen eingefallen wären, entdecke ich heute spannende Untersuchungen, die dem Verhalten und dem Wesen von Katzen gerecht werden.

Was ist nun aber meine Herangehensweise? Wie ist dieses Buch zu verstehen? Eindeutig einer dieser Rubriken zuordnen kann ich mich nicht. Mein Zugang ist ein individueller, den ich erläutern muss. Ganz zufällig sind meine Frau und ich in ein Umfeld geraten, das mir heute, nach mehr als 20 Jahren, die Möglichkeit eröffnet, weit über die Beobachtung einer Katze als Freigängerin hinaus, eine Beschreibung von weit mehr als 30 Katzen in einem natürlichen und häuslichen Umfeld vorzustellen. Erst durch dieses Umfeld mit den beständig zuwandernden Katzen kam ich schon vor vielen Jahren auf die Idee, genauere Beobachtungen anzustellen und Notizen anzufertigen. Nach dieser langen Zeit hat sich einiges an Bildern und Beschreibungen angehäuft und ich fand nun endlich im Ruhestand die Zeit, dies alles zu sichten, zu strukturieren und die aktuelle Literatur über Katzen nachzulesen. Dabei verfolge ich ein erkenntnisleitendes Interesse, das mir erst im Laufe meiner Vertiefung in die Fachliteratur immer klarer geworden ist. Mich interessiert die Fremdheit anderer Lebensformen und wie wir dazu eine Verbindung herstellen können. Deshalb suche ich nach Möglichkeiten, so fremde Lebenswesen wie Katzen, die sich selbst der Mühe unterziehen, mit uns Menschen in Kontakt zu treten, zu verstehen, was impliziert, dass ich verstehen will, ob und weshalb uns das über die Grenze der Spezies hinweg gelingen kann.

Mit diesen Erweiterungen und Vertiefungen führt dieser Band über das illustrierte Erzählen von Geschichten „meiner“ Katzen hinaus. Mit der Sortierung des Materials und den dabei zwangsläufig entstehenden Fragestellungen sowie der Weiterverfolgung dieser unter Heranziehen von wissenschaftlichen Untersuchungen erhält die vorliegende Arbeit zunehmend einen wissenschaftlichen Charakter. Nachdem ich viel einschlägige Literatur gelesen habe, glaube ich, dass ich mich mit meinen Beobachtungen in einer Grauzone bewege, zu der wenige Untersuchungen vorliegen. Bei den meisten Fragestellungen stehen einzelne Katzen im Fokus. Ich hatte es aber mit bis zu 14 Katzen zu tun, die zur gleichen Zeit um uns waren. Die Beobachtung solcher Katzen-Menschen-Gemeinschaften ist wenig erforscht. Und so würde es mich freuen, wenn ich mit Bildern und einigen Beobachtungen zur Erweiterung des Blickfeldes der Katzenforschung beitragen könnte. Wir werden im zweiten Kapitel sehen, dass bis zu sieben Katzen mit mir weite Spaziergänge unternahmen. Wir werden im zweiten und fünften Kapitel sehen, dass Katzen zusammen jagten und anderweitig zusammenwirkten. Usw.

Die Dramaturgie dieses Buchs sucht die Logik meines Erkenntnisgewinns nachzuzeichnen:

• Begonnen wird mit der Perspektive meiner Frau und mir als unbedarften Menschen, die erst einmal zufällig mit einer Katze eng in Berührung kamen, wenige Jahre später aber voll konfrontiert, überrascht und überfordert wurden von der Wucht der Spezies, weil viele Katzen uns zuwanderten und es plötzlich viele Geburten gab (siehe Kapitel „Kennenlernen“).

• In den folgenden Kapiteln versuche ich dann die Blickrichtung zu weiten und zunächst die Lebenswelt zu verstehen, in denen sich unsere Katzen bewegen, wobei ich feststelle, dass es mehrere Lebenswelten sind, die sie zu meistern haben. Dabei vollziehen sie eine Trennung zwischen den Lebenswelten außer Haus und im Haus bei uns, aber sie übertragen auch Erfahrungen von der einen in die andere Lebenswelt (siehe Kapitel „Lebenswelten“).

• Verstört durch die in unseren Augen aus den Fugen geratenen Ereignisse einer „Geburtenexplosion“ von zugelaufenen Katzenmüttern suchten wir nach einem überschaubaren Zustand, der für die Katzen und für uns Menschen als befriedigend empfunden werden kann. Ich suche ihn hier mit dem Begriff „eingependelter Zustand“ zu fassen. Im Fortgang meiner Beobachtungen muss ich allerdings erkennen, dass dies kein langfristig stabiler sein kann. Wenn sich die Zusammensetzung der Katzen verändert, muss sich alles immer wieder neu einpendeln. Dabei stellt sich die Frage nach der spezifischen Konstellation, die einen solchen Zustand begünstigt. Mir drängte sich hier die Hypothese vom Matriarchat auf, für die ich Anhaltspunkte in der Fachliteratur fand, aber leider keine endgültigen Beweise (siehe Kapitel „Eingependelter Zustand“).

• Waren bis dahin die Gesamtsituation und damit die vielen Katzen, die miteinander und mit uns lebten, im Blickfeld, so wurden die einzelnen mit ihren Besonderheiten und in ihrer Einmaligkeit nur ansatzweise gewürdigt. Sie als einmalige Wesen vorzustellen, bedarf wiederum eine Veränderung des Blickwinkels. Mit dem Fokus auf jede einzelne muss von ihrem ganzen Leben (von der Geburt bis zum Tod) erzählt werden (siehe Kapitel „Das ganze Leben“).

• Die Lebensgeschichten unserer Lieben, ihre Vorlieben und hervorstechenden Merkmale verdeutlichen extreme Unterschiede, die erst im Vergleich deutlich hervortreten. Mit diesen Gegenüberstellungen entsteht ein Bild von Individuen und ihren Beziehungen zu anderen Katzen und uns Menschen (siehe Kapitel „Individuen“).

• Wiederum ein anderer Blickwinkel bringt eine neue Erkenntnis: Eine genauere wissenschaftliche Beschäftigung mit Katzen macht deutlich, dass sie ganz andere Lebewesen sind als wir. Sie haben eine völlig andere Wahrnehmung und verarbeiten diese auch anders. Eigentlich können wir uns gegenseitig gar nicht verstehen. Die zentrale Frage ist deshalb, wie es gelingen kann, diese Fremdheit zu überwinden und eine Brücke zwischen Menschen und Tieren zu bauen (siehe Kapitel „Fremdheit und Verstehen“).

• Nun hätte es auch gut sein können, aber der Forschergeist gab keine Ruhe und ich wollte mir nochmals den Hintergrund anschauen, der mit der möglichen Verbindung zwischen uns Lebewesen auftaucht. Dabei gehe ich erst einmal historischen Linien nach, z.B. seit wann und wie wir mit Katzen in Verbindung kamen. Aktuelle Fragen der Erderwärmung und des Artensterbens sowie der Corona-Pandemie weiten den Blickwinkel aber auch in eine andere Richtung aus. Mit der Erkenntnis, dass wir in die Natur eingebunden sind, werfen sich Fragen auf, weshalb wir die Bedeutung anderer Lebewesen unterschätzen und sie unserem Verwertungsinteresse unterordnen, überhaupt natürliche Ressourcen grenzenlos ausbeuten. Dabei wird mir die eigene Spezies zunehmend als der Störfaktor des natürlichen Gleichgewichts deutlich. Da wir allerdings eingebunden sind, werden wir zu Gefährder*innen unserer eigenen Lebenssicherung! (siehe Kapitel „Mensch – Tiere – Natur – Mensch“).

Da es möglich sein kann, dass einzelne Leser*innen im Laufe meiner Schilderungen mit all den vielen eingeführten Katzen den Überblick verlieren, habe ich im Anhang eine Übersicht über die 27 wichtigsten Akteur*innen eingefügt. Diese folgt nicht der chronologischen Reihenfolge, wie im Text, sondern ist zum Zwecke des leichteren Nachschlagens alphabetisch aufgebaut.

1 Gab man am 23.10.2020 unter der Rubrik „nur gute Bücher“ das Stichwort „Katzen“ ein, so hatte man 4879 Treffer. Bei anderen Suchmaschinen sieht das nicht anders aus.

2 Lesen Sie dazu unbedingt das 6. Kapitel oder gleich: Brensing, Karsten (2018): Die Sprache der Tiere. Wie wir einander besser verstehen, Berlin (Aufbau Verlag).

3 Dazu lassen sich sehr schöne Bildbände bewundern: McKenna, Rachael (2012): Katzen. Französische Landsitze und ihre Bewohner, München (Knesebeck), 2. Auflage; Süße-Krause, Uta (2018): Katzen in Rom auf dem »Nicht-Katholischen Friedhof«, Petersberg (Imhof Verlag); Bonnefoy, Alexandre/ Vaufrey, Dephine (2015): Katzen in Japan. Eine Reise durchs Land der Schmusetiger, Aschaffenburg (Edition Reuss).

Kennenlernen

 

Bekanntwerden mit Katzen

Momo

Am Anfang war Momo. Ein pechschwarzes Wesen, dessen Vorfahren eigentlich schon im Mittelalter ausgerottet hätten sein müssen, da sie damals den Hexen zugerechnet wurden, die ja auch Jahrhunderte später noch in den Märchen mit einer schwarzen Katze auf der Schulter dargestellt werden.4 Gibt es eigentlich noch ganz schwarze Katzen? Hat nicht jede der heutigen zumindest ein paar weiße Haare am Hals? Und wenn ich schon glaube, ich hätte eine ganz schwarze entdeckt, dann hat sie doch noch rosa Hautballen an den Pfoten. Im Internet findet man tatsächlich Bilder und Einträge, in denen ein Exemplar vorgestellt wird, das nur schwarz ist, doch das ist sehr selten. Bettina von Stockfleht hält alle „rein schwarzen Katzen, d.h. solche ohne jegliche Weißfärbung, (für) so gut wie ausgerottet.“5 Desmond Morris geht der Frage auch nach, merkt allerdings auch an, dass Rückzüchtungen stattgefunden haben.6 Der Aspekt könnte eigentlich egal sein, er ist es aber nicht, weil dieser Einzelfall nur ein Beispiel für das Vernichtungspotential gegenüber Tieren ist, das von Menschen ausgeht. Momo hatte jedenfalls ein weißes Haarbüschel auf der Brust und ihre Ballen an den Pfoten waren hell. Sie war also nicht zurückgezüchtet. Sie war plötzlich da, weil neue Nachbarn in die Doppelhaushälfte neben uns einzogen. Es gab ein Fest, weil eine recht illustre Gemeinschaft aus extrem unterschiedlichen Berufsgruppen und Typen aus dem Westen in einen Wohnkomplex in den neuen Bundesländern eigezogen war. Alle hatten in den 1990er Jahren nach einem Wohnraum gesucht, der dem neuesten Standard entsprach und gleichzeitig nicht beziehungslos in die Landschaft gebaut sein sollte. Es war eine Anlage, die wie ein Dreiseithof gebaut worden war. Dort gab es einen Innenhof, um den die Häuser standen und in dem man Feste feiern konnte. Also wurden auch Neuankömmlinge mit einem Fest im Innenhof begrüßt. Momo war dabei und sofort auf meinem Schoß. Den ganzen Abend lang, was andeuten könnte, dass ich nicht tanzte oder mich anderen Anstrengungen hingab, sondern halt viel redete, trank und sie streichelte. Da sich diese Wohnanlage auf dem Land befand, konnte Momo eine Freigängerin sein. Immer wenn ich im Garten war, den ich gerade neu anlegte, war sie auch bei mir. Sie beobachtete mich, suchte aber auch mitzuhelfen: Wenn ich grub, war sie nicht müßig und half mit. Sie scharrte dann auch in der Erde. Meist aber wollte sie nur eines: Auf mich steigen, irgendwie in meinen Armen landen und getragen werden. Wenn das nicht möglich war, setzte sie sich halt auf meine Schulter.

Momo war also im Nachbarhaus angekommen. Sie aß und schlief dort zusammen mit Barry, einem schwarzen Kater, mit dem sie wie mit einem Bruder verbunden war. Irgendwie passte ihr aber etwas nicht an ihrem Heim oder sie rechnete unser Nachbarhaus mit Garten – und insbesondere mich – zu ihrem Heim dazu. Meine Frau und ich suchten ihre Anhänglichkeit zu ergründen und erfuhren folgendes zu ihrer Geschichte: Jemand hatte sie in einer Mülltonne gefunden und ins Tierheim gebracht. Unser Nachbar wollte seine Frau trösten, die ihren schwarzen Kater verloren hatte und holte sie als Geschenk für sie ab. Doch seine Frau trauerte noch um ihren Kater und konnte das neue Wesen nicht als Ersatz akzeptieren, eigentlich gar nicht annehmen. Es war nicht ihr Kater. Damit konnte sich Momo auch nicht angenommen fühlen. Raus aus dem Tierheim war ja gut. Freigängerin zu sein, ganz prima. Aber sie schaute sich dann nach neuen Möglichkeiten um.

Momo und ich vor 25 Jahren.

Von wegen: Katzen sind an ihren Ort gebunden. Natürlich drehen sie ihre Erkundungskreise um den Punkt, an dem sie geboren oder irgendwie anders in die Welt geworfen werden. Aber sie können wechseln. Momo wechselte unproblematisch mehrmals. Erstmals wechselte sie, als wir ein Jahr in unserem neuen Domizil gewohnt hatten. Die Nachbarn überreichten sie mir mit einer weißen Schleife und der Aussage: „Das ist doch ohnehin Deine Katze. Jetzt gehört sie Dir.“ Momo kapierte das vermittelt durch mein Verhalten. Hatte ich zuvor darauf geachtet, dass sie ihre Besitzer nicht vernachlässigte, durfte sie jetzt bei mir bleiben. Und sie blieb! Sie wechselte unproblematisch das Haus und wohnte fortan bei uns. Sie schlief jede Nacht bei mir im Bett. Und sie wechselte nochmals das Haus als wir an einen anderen Ort umzogen. Doch diese Geschichte wird an späterer Stelle erzählt. Aus dieser Zeit, in der sie gerade zu uns ins Nachbarhaus gewechselt war und so gerne auf meine Schulter kletterte, fällt mir eine Geschichte ein, die sich zu den schwarzen Katzen, zum Mittelalter und zur Katze auf der Schulter fügt. Wir lebten, bevor wir in den Osten und aufs Land zogen, mehr als ein Jahrzehnt in München. Dort prägte sich in den 1990er Jahren eine besondere Mode aus. Nach dem bunten „Miami-Vice-Look“ der 1980er Jahre trug man nun gerne schwarze Kleidung. Im Osten, wo über lange Jahre eher das Grau und Beige vorgeherrscht hatte, zog man sich in der Zeit bunt und sportlich an. Jedenfalls kleidete ich mich unüblich für den Landstrich im Osten der Republik Mitte der 1990er Jahre, weil man dort weder in schwarz gekleidet war noch lange Mäntel und einen Hut trug. Schon gar nicht hatte man dann auch noch eine schwarze Katze auf der Schulter. Jedenfalls fuhr eines frühen Morgens so gegen zwei Uhr ein Auto fast in den Graben. Als der Fahrer mich erblickte wirkten offensichtlich die Mythen des Mittelalters nach: Hexer, ganz in schwarz mit schwarzer Katze auf der Schulter und das nach Mitternacht mitten auf dem Land. Der Erschreckte wusste ja nicht, dass ich lediglich morgens um zwei Uhr noch Zigaretten vom Automaten holen war, da ich noch weiterarbeiten musste und Momo mich, wie immer, begleitete.

Ich bin von vielen Mythen über Katzen geprägt. Weil ich mit Hunden aufwuchs, kannte ich deren Fähigkeiten, jedoch nicht die von Katzen und saß dabei den Vorurteilen auf, die über sie existieren. Sie seien ortsgebunden, Einzelgänger und damit weniger soziale und lernfähige Wesen als Hunde. Die Abfolge der Geschichten kennzeichnet meinen Lernprozess, in dem ich herausfand, was in Katzen steckt und was wir Menschen davon haben, mit ihnen in einer Gemeinschaft zu leben.

Mimmi

Mimmi mit Maus.

Mimmi war nicht viel älter als ein Jahr als wir sie kennen lernten. Sie lebte auf einem Vierseithof in einem kleinen Dorf etwa 10 Kilometer von der bereits geschilderten Doppelhaushälfte entfernt. Meine Frau und ich lernten sie kennen, weil wir den Hof kauften und Mimmi mit übernahmen. Als wir sie zum ersten Mal sahen, war Sommer und diese graugetigerte Hübsche sprang vergnügt auf der Wiese daher und war zutraulich zu allen. Auffällig war, dass sie viel „redete“. Sie gab nicht nur Töne von sich, die wir von Katzen kannten, sie konnte vergnügte und grantige Töne von sich geben und tat dies mit Vorliebe gegenüber allen Wesen, die sie als lebend erkannte. Gut, es war auch mal eine Gießkanne darunter oder ein Gartengerät, das ihr im Weg stand. Sie übertrug dies übrigens auf ihre Nachfahren.

Als wir mit dem Umbau des Hofs begannen, war sie bereits fürsorgliche Mutter, was wir nicht wussten. Über so etwas redete man damals nicht bei einem Hofverkauf. Denn Katzen hatten in dem Zusammenhang keine Bedeutung. Indem wir uns auf dem Hof öfters aufhielten, bekamen wir mit, dass dort nicht nur Mimmi lebte, sondern auch andere Katzen und wir entschlüsselten so langsam deren Verbindung zueinander.

Jetzt folgen Vermutungen: Wie in dieser Region auf dem Land damals leider üblich war, durfte sie den ersten Wurf Kinder bekommen, jedoch wurden davon alle bis auf ein Junges gleich nach der Geburt getötet. Vermutlich blieb ihr ein Kind, der Kater, den wir später Kini tauften. Da sie schlau war, hatte sie ihre späteren Geburten (später von uns Butzi und Sophie genannt) versteckt und wir bekamen sie dann nach und nach mit, weil sie nach Essen suchten. Es hingen jedenfalls drei über den Schüsseln.

Kini in der Mitte, links von ihm Butzi, rechts von ihm Sophie.

Mit Beginn der Umbaumaßnahmen war ich täglich auf dem Hof. Tagsüber waren bis zu 10 Bauarbeiter und Handwerker zugange. Mimmi ließ sich nur zum Essen sehen. Wenn ich allein war – und ich war meistens bis in die späte Nacht hinein da – kam sie nachsehen, was ich tat. Als es Winter wurde und ich mir einen Ofen aufstellte und mit Holz heizte, kam sie zu mir ins Haus, in das sie vorher nie durfte und blieb lange Stunden bei mir. Bevor ich ging, machte ich mir noch eine Flasche Bier auf und rauchte ein paar Zigaretten. Sie lag dann am Ofen bis ich ging. Sie durfte auf meinen Schoß. Still schauten wir zusammen in die Flammen der offenstehenden Ofentür. Wir verließen dann gemeinsam das Haus, denn ich konnte die freilebende Katze ja nicht einschließen.

Kini – vertauschtes Geschlecht

Vom Vorbesitzer war uns angezeigt worden, dass Mimmi eine Tochter geboren hat. Wir sahen ein grau-braun und weiß gemustertes Wesen und hielten es, wie angezeigt, für ein weibliches. Wir beobachteten dieses zurückhaltende Wesen als ein liebenswertes älteres Geschwister, das bei den jüngeren sitzt, ihnen immer den Vortritt beim Essen lässt und sie bemuttert, wenn die Mama weg ist. Das Verhalten interpretierten wir als eindeutig weiblich.

Nun war die ehemals Sissi getaufte Katze schon älter als ihre Geschwister und kam in die Monate, in denen sie hätte Kinder kriegen können. Wir ließen uns vom Tierarzt beraten und er empfahl uns die Pille, die wir ihr denn auch fleißig zu geben versuchten. Nun war das auf einer Baustelle, auf der man nicht wohnt, wo Bauarbeiter aktiv sind und die Katzen vor diesen flüchten und gleichzeitig, wenn es Essen gibt, mehrere Katzen darüber herfallen, nicht einfach. Dennoch hat die damalige Sissi ihre Pille bekommen. Immer mit der Befürchtung, ob sie ihr nicht von anderen weggefressen wird.

Eines Tages besah ich mir unsere „Sissi“ von hinten und musste bemerken, dass sie enorme Eier ausgebildet hatte. Das war kein Mädchen. Das war ein Kater, auch wenn er – und das ohne Kastration – alle Verhaltensmerkmale eines Mädchens aufwies. Aus der ursprünglichen Sissi wurde also der Kini.

Er war zurückhaltend gegenüber den Geschwistern und scheu uns gegenüber. Er konnte nie festgehalten oder hochgehoben werden. Eine Sterilisation war somit außerhalb der Möglichkeit. Vermutlich hatte er als potenter Kater Einfluss auf den weiteren Zuwachs um und auf dem Hof.

Kini und Butzi am Fenster, links daneben Sophie.

Butzi und ihre Jungen – Annäherung trotz Fremdheit in Not

Butzi ein Verlegenheitsname, wenig passend für das wunderschöne Wesen. Der überwiegend weißen, mit ein paar bunten Flecken und einem grauen Schwanz versehenen Butzi hätte der Name Sissi voll zugestanden. Sie war nicht nur sehr schön, sondern auch von ihrem Wesen her eine sanfte und feine, eine wirkliche Prinzessin. Aber den Namen an sie weiterzugeben war ja nicht möglich, weil wir ihren Bruder zuvor Sissi gerufen hatten. Der Name wanderte somit weiter und wurde später an eine Tochter von Zenzi vergeben (eventuell war da Kini beteiligt), die wiederum ähnliche Merkmale aufwies.

Butzi war scheu, da im Umbruch aufgewachsen. Sie gebar vier Kinder und versteckte sie. Wir bekamen deren Existenz erst mit, als sie eines Tages laut schreiend vor mir stand, was nicht ihre Art war. Sie wollte mich auf etwas aufmerksam machen. Ich verstand nicht. Es war kein Hunger, es war kein Durst. Sie wollte mir offensichtlich etwas zeigen. Ich sollte mitgehen. Also folgte ich ihr. Sie führte mich in unsere große Scheune. Dort lag viel Heu auf verschiedenen Ebenen. Ich entdeckte, indem ich ihr in das obere Stockwerk folgte, ein Geheimnis. Die Katzen hatten sich in dem Heu verzweigte Gänge angelegt und Lager eingerichtet.

Butzi hatte sich ein Nest mit ihren Kindern eingerichtet.

Dort hatten ihre Kinder fantastische Spielmöglichkeiten.

Sie wollte mir zeigen, dass eines ihrer Jungen aus diesem Nestausgang und mehr als zwei Meter heruntergefallen war. Ein unglaublich schönes, gerade mal zehn bis fünfzehn Zentimeter langes Wesen, zudem ein „Glückskätzchen“. So nennt man dreifarbige Katzen. Diese sind immer weiblich.

Die Kleine, die sie mir zeigte, war rot, weiß und schwarz gemustert. Und sie war zutraulich. Ich konnte sie also in die Hand nehmen, auf den Wagen steigen und sie wieder ganz oben in den Ausgang des Nestes setzen, wo schon alle drei anderen standen und auf ihr Geschwisterchen wartete. Alle waren sehr schöne kleine Wesen, entweder rötlich-weiß gemischte oder grau-weiß gefleckte Kitten. Na ja, bei der Mutter!

Ich war erstaunt und gleichzeitig fasziniert, dass neben der unseren eine komplexe Wohnwelt existierte. Da gab es ein Wohnsystem mit Gängen in unserer unmittelbaren Umgebung, das wir zu beachten hatten und in das wir nicht einfach ohne bessere oder zumindest gleich gute Angebote eingreifen durften. Die hatten wir nicht, weil wir auf diesem Hof noch nicht wohnten, nicht ständig da waren und die Umbauarbeiten eher Chaos verursachten.

Das folgende Bild zeigt den Ort, an dem sich das Geschehen abspielte.

Der Eingang zu einem Labyrinth.

Völlig perplex war ich, weil Butzi mich geholt hatte und mir den Ort zeigte. Offensichtlich war ihre Verzweiflung so groß, dass sie sogar wenig vertraute Lebewesen wie mich einband, damit sie ihr in ihrer Not helfen. Etwas verwirrt war ich dann schon, dass die Jungen von Butzi nun jeden Tag mehrmals herunterpurzelten und von mir hinaufgesetzt werden mussten und dennoch keinen Schaden nahmen. Ich schaute jeden Tag mehrmals nach und fand jeweils eines der Kleinen, die auf die Zwischenebene eines dort stehenden Karrens gefallen waren oder ganz nach unten. Und sie waren vergnügt und wurden fröhlich von den oben wartenden Geschwistern erwartet. Es sah so aus, wie wenn das zu einem Spiel geworden war.

Ein besonders wildes von Butzis Jungen purzelte beständig aus dem Nest.

Ich habe die Katzen damals nicht systematisch dokumentiert. Da standen Bauprobleme im Vordergrund. Aber ein paar Bilder konnte ich nachträglich aus der Zeit doch finden. Neben den bereits benannten waren mit der Zeit auch die Kleinen von Butzi mit an den Futternäpfen (siehe Bild unten).

Von links nach rechts: Kini, Sophie, Butzi und zwei der Jungen von Butzi.

Natürlich machte ich mir so meine Überlegungen, ob es nicht besser wäre, Butzi würde ihre Jungen näher bei unseren Versorgungsmöglichkeiten unterbringen. Aber ich hatte zu viel Ehrfurcht vor der Natur und glaubte, da nur wenig eingreifen zu dürfen, weil die Mamas das schon richtig machen würden. Vermutlich schützten die freilebenden Katzen ihre Jungen vor Feinden schon seit Generationen, indem sie diese Gänge im Stroh weit über der Erde anlegten. Die Möglichkeit, sie einzufangen, hatte ich nicht und selbst wenn: Wie hätte ich sie einsperren können?

Erste tote Katzenkinder

Es wurde Winter und die Katzenkinder wurden größer. Die Umbaumaßnahmen gingen zäh voran. Dennoch war ich täglich da. Plötzlich erlebte ich tödliche Überraschungen. Zwei Tage nacheinander lag ein kleines Wesen irgendwo auf dem Grundstück tot da. Ich hob kleine Gräber bei Frost aus und begrub sie in unsere Nähe.

Später erfuhren wir von den Handwerkern das Schicksal des „Glückskätzchens“. Das aufgeweckte, das auch als erstes aus dem Nest fiel, war nie scheu gewesen. Es lief auch auf alle Menschen zu, die auf den Hof kamen. Und die begegneten ihm alle freundlich. So einen Zwerg kann man ja nur liebhaben. Natürlich war diese Baustelle mit ihren beständigen Gefahrenquellen eine unmögliche Rahmenbedingung für das Aufwachsen von Katzenbabys. So geschah denn auch das Unglück. Der Zwerg sprang einem hereinfahrenden Auto entgegen und suchte den aus dem Auto steigenden Handwerker zu begrüßen. Der konnte damit nicht rechnen und trat auf das Baby. Es konnte nur noch humpeln. Uns hat dies niemand gesagt. Die Bauarbeiter – mit der damals überkommenen Logik der Menschen vom Land versehen – dachten nicht an einen Tierarzt, sondern wollten ihm weitere Leiden ersparen und schlugen es mit einer Schaufel tot. Ich habe keine Ahnung, wo sie das kleine Wesen begraben haben.

Ich hatte, ohne von diesem Tod zu wissen, so langsam Panik. Das Glückskätzchen fehlte, zwei rotweiß gefleckte musste ich begraben. Butzi umsorgte nur noch eines.

Butzi versorgte ihre viele Kleinen so gut es ging (hier eines, das morgens tot da lag).

Butzi konnte der Verlust ihrer drei Kinder nicht angelastet werden, denn sie war eine treusorgende, liebevolle Mutter. Sie hatte alles versucht, ihre Jungen gut zu verstecken, hatte mich als Fremdling zur Hilfe zugezogen und beschützte alle einzelnen fürsorglich. Natürlich war sie mit ihrem ersten Wurf überfordert, aber sie meisterte die Herausforderung mit ihren Möglichkeiten vorzüglich. Wir erlebten später, wie wenig sich andere Mütter um ihre Jungen kümmerten. Es war schon unserer fehlenden Voraussicht anzulasten, dass es so viel Tote gab. Ich kann uns nur damit entschuldigen, dass wir selbst wenig vor Ort waren, keine Ahnung von jungen Katzen hatten und uns diese Umstände der Renovierung unter Zeitdruck neben der eigentlichen Arbeit völlig überforderten.

Dori – allein in einer fremden und gefährlichen Welt

Der rötlich-weiße Spross, der das große Sterben dieses dritten Wurfs auf dem Hof überlebte, wurde Dori getauft, eigentlich Dorian in Anlehnung an Dora, in Ableitung des Namens der Mutter meiner Frau. Dies, nachdem wir endlich herausgefunden hatten, dass es ein kleiner Kater war.

Erst jetzt, nach dem ganzen Unglück, griffen wir wirklich ein. Seine Mama umsorgte ihn ohnehin beständig, denn sie musste jetzt ja keine vier Wusel im Zaum halten, sondern konnte sich auf ihn konzentrieren. Und auch wir wollten nicht auch noch ihn verlieren.

Butzi beschützt …

und putzt ihren Dori.

Er krabbelt auf meiner Frau.

Jetzt erst, als es für die Geschwister von Dori zu spät war, begann unsere umfassende Sorge. Ich suchte ihn jeden Tag und nahm ihn immer mit ins Haus. Ich hatte ja noch keine Ahnung davon, dass junge Katzen auch durch Würmer sterben können. Ich dachte, es wäre die Kälte gewesen oder wilde Tiere, weshalb ich seine Geschwister tot aufgefunden hatte. Weshalb das mehrfarbige Kätzchen starb, wusste ich damals noch nicht. Ich nahm an, es sei auch der Kälte zum Opfer gefallen. Er saß jede Nacht sehr verstört allein in dem großen Haus. Er hatte Essen und ein Katzenklo, das er auch benutzte, war sonst aber sehr einsam. Aber er überlebte! Dori wuchs bei uns auf und hatte tagsüber ja seine Mama.

Butzi und ihr bereits großer Sohn Dori kuscheln.

Nachdem wir eingezogen waren, erlebten wir das Mutterglück von Butzi umfassend. Sie zeigte ihm alles und spielte mit ihm ausgiebig. Sie brachte ihm extra kleine Mäuschen und zeigte ihm, wie man sie erlegt. Auch als er schon fast erwachsen war, putzte sie ihn noch und sie kuschelten jede Nacht zusammen, als er schon größer war als sie.

Mit zunehmendem Alter wurde er ihr nur insofern lästig, dass er nicht nur mit seinen Kumpels aus der Nachbarschaft, sondern auch mit ihr immer wildere Spiele aufzuführen trachtete. Sie wehrte sich dagegen, wies ihn in seine Grenzen. Dann wurde er geschlechtsreif und ging seiner Wege.

Der erste Machtkampf um Nähe zu uns Menschen

Ich habe bereits angedeutet, dass Momo zweimal umzog. Wir wollten sie nicht in dem angemieteten Haus zurücklassen, als wir nach einem Jahr Bauzeit auf dem Hof wenigstens ein Gebäude renoviert hatten und umzogen. Wir hatten sie immer mal wieder mit auf den Hof genommen, damit sie die neue Umgebung kennen lernen konnte. Ins Freie ließen wir sie zunächst nicht, oder nur in Begleitung. Aber im Haupthaus durfte sie ungestört herumspazieren. Sie eignete sich also das Gebäude langsam an. Als wir mit allem, was Momo kannte, umzogen, war es ohnehin klar, dass das ihr neues Zuhause war, denn es war ja alles da. Zwar musste sie sich alles neu zusammensuchen, die Ordnung war durcheinander, aber sie brachte das schon auf die Reihe, nachdem sie das Haus jeden Tag zig Mal inspiziert hatte. Ihr Herrschaftsgebiet fügte sich langsam wieder zusammen. Und außerhalb des Hauses eroberte sie sich jeden Tag ein Stück dazu. Sie war im besten Alter mit etwa fünf Jahren, schon erfahren, aber auch noch sehr neugierig.

Mimmi war schon da. Sie hatte beim Vorbesitzer des Hofs nie in die Wohnräume gedurft. Wie berichtet, war sie aber bei mir in der Umbauzeit mit im Haus. Besonders in den kalten Tagen, wenn ich mit ihr noch am Feuer saß. Sie wähnte sich als Hausherrin. Für sie kamen immer nur neu gestaltete Räume hinzu, die sie sich langsam aneignen konnte. Dann kamen auch noch die Möbel und mit ihnen waren wir ständig da. Aber dann war plötzlich auch Momo im Haus.

Beide potentiellen Matriarchinnen begegneten sich und gingen sich aus dem Weg, wie wenn es da eine sonderbare Erscheinung geben würde, einen bösen Traum, der im Wachzustand aufblitzte. Aber dann verhielten sie sich auch wieder, wie wenn das nicht ernst zu nehmen wäre. Bei Menschen würde man sagen: Sie verdrängten das Unangenehme. Mit der Zeit wuchsen die Ansprüche über die an Futter und Raumkontrolle hinaus. Beides war genügend da und musste nicht geteilt werden. Der Anspruch auf Zuneigung und Nähe zu den Personen wurde auch erfüllt, jedoch muss das Verlangen bei Katzen sofort bei Auftreten erfüllt werden und die Situationen, in denen sie ihre Befriedigung suchen, lassen sich nicht aufschieben oder gar planen.

Eine sich zuspitzende Situation beschreibt das Ausmaß des Dilemmas und eine ungewöhnliche Lösung. Allabendlich lag Momo gegen acht Uhr, wenn wir die Tagesschau ansahen, auf mir. Erst stampfte sie mindestens eine viertel Stunde auf mir. Dieses Verhalten ist kein Milchtritt, denn gegessen hatte sie da immer schon, es ist eher eine schlafvorbereitende Handlung. Sie stampfte sich auf mir in eine Art Trance, in der sie gut schlafen konnte. Nun wollte aber auch Mimmi bei mir liegen. Und weil ich da mit einer Decke lag, wollte sie auch auf mich und die Decke. Momo schlief schon und Mimmi legte sich etwas tiefer auf mich. (Bilder von ähnlichen Situationen finden sich im dritten Kapitel.) Momo merkte nichts. Irgendwann, dem Fernseher wird wohl ein ungewohntes Geräusch entströmt sein oder ich mag mich gedreht haben, wurde Momo wach und nahm Mimmi wahr. Eine extreme Erregung erfasste Momo, die heftiges Schwanzschlagen zu Folge hatte. Problematisch war nun aber, dass Momos Schwanz wie eine Peitsche auf Mimmi eindrosch. Mimmi schreckte aus dem Schlaf hoch und ich erwartete – ihrer Art entsprechend – jetzt eine Gefühlsexplosion, einen Angriff oder zumindest ein Davonrennen. Aber nichts von dem fand statt. Mimmi ignorierte die Störung, fand sich einfach damit ab und tat so, wie wenn sie ungehindert weiterschlafen könnte. Und auch Momo, die gerne andere vertrieb, ignorierte den Zwischenfall und versuchte weiter zu schlafen. Ein für mich völlig überraschender Vorgang.

Wie ich später mit Josi noch beschreiben werde, kann der Anspruch, Vorrang bei seinem Lieblingsmenschen zu haben, bei manchen Katzen intensive Aggressionen gegenüber Konkurrenten auslösen. Wir Menschen würden hier von Eifersucht sprechen. Wie wir aber auch noch sehen werden, können Katzen offensichtlich auch Kompromisse eingehen. Die Hauptsache ist, sie dürfen bei ihren Lieblingsmenschen sein. Es gibt also spannende Beobachtungen, die uns Rätsel über das Wesen der Katzen und ihr Verhaltensspektrum aufgeben.

Mimmi – der erste schlimme Verlust

Bereits in der Schilderung der ersten Jahre meiner Begegnungen mit Katzen kann ich den Tod nicht aussparen. In unserem neuen Zuhause hatte ich die Kleinen von Butzi schon beerdigt. Das tat weh, aber zu ihnen bestand noch keine so enge Beziehung. Wir kannten sie noch nicht als Hausgenossen. Sie waren uns noch nicht so sehr ans Herz gewachsen.

Allerdings hatte ich den Schmerz und die Trauer schon erlebt, als Momo nicht heimkam und ich eine tote schwarze, teilweise plattgefahrene Katze auf der Fahrbahn fand und dachte, es könnte Momo sein. Da war aber noch Hoffnung: Vielleicht ist sie das nicht. Und sie war es nicht. Als dann allerdings Mimmi tot auf der Straße lag, war dies ein tiefer Schmerz, da ich mit ihr eine Geschichte hatte und tiefe Verbundenheit spürte. Es gab keine Hoffnung, dass ich diesen Ton, den sie immer von sich gab, wenn sie mich sah, noch einmal hören würde.

Es war eine einsame Beerdigung mit vielen Tränen. Den Ort habe ich mir nach meinen Vorstellungen ausgesucht, wo ich gerne sitze und sie in meiner Nähe haben möchte. Später habe ich festgestellt, dass ich meine Lieblingsorte wechsle. Deshalb habe ich später meine toten Katzen eher an Stellen beerdigt, an denen sie sich gerne in ihrem Leben aufgehalten haben. Auch das erinnert einen an sie.

Sonderbarerweise ist ein Zeichen auf der Straße entstanden, das mich bei jeder Anfahrt zu unserem Hof an sie erinnert. Ist es ein Loch oder nur eine andere Einfärbung an der Stelle, wo sie überfahren wurde? Gut, es kann auch einige Meter daneben sein, aber ungefähr dort. Dort wurde schon mehrmals geflickt, aber es blieb immer eine auffällige Stelle sichtbar. Wie ein Zeichen, das aber zwischenzeitlich nicht nur an sie als überfahrene Katze erinnert.

 

Kennenlernen der Spezies

Obwohl wir schon mehrere Katzen kennengelernt hatten, dachten wir immer noch in den Kategorien der meisten Katzenliebhaber. Wir orientierten uns an einer, dann an mehreren einzelnen. Wir saßen dabei der irrigen Vorstellung auf, Katzen zu kennen. Jedenfalls wurden wir plötzlich mit der Spezies konfrontiert. Dabei entsteht eine ganz eigene Dynamik, die einerseits mit einer explosionsartigen Vermehrung aufwartet und andererseits aus einer beständigen Infiltration besteht. Wie jeder Horrorfilm beginnen die sich zuspitzende Ereignisse ganz harmlos, ja sogar bitterschön, wie es bei der Jungen von Butzi beschrieben wurde.

Als Leser und Leserin kennen Sie bereits die Katzen, die zum damaligen Zeitpunkt anwesend waren: Momo, die wir mitgebracht hatten, Mimmi mit ihren Kindern Kini, Butzi und Sophie. Wir hatten das Sterben der ersten Kleinen von Butzi erlebt. Dori war übriggeblieben.

Paula zieht zu uns

Im Fortgang kann nun auf einem Hof, der mitten in der Landschaft steht, nicht bloß von den vorhandenen Katzen berichtet werden, denn der Hof ist ja von allen anderen freilaufenden auch erreichbar. Als erste entdeckte diesen Umstand Paula, eine pechschwarze Katze mit einem weißen Latz auf der Brust. Sie war auf dem Nachbargrundstück zur Welt gekommen und hatte dort ihre Kinder geboren.

Paula zur Zeit ihrer Annäherung über den Blumenkasten, den sie plattgelegen hatte.

Besitzverhältnisse sind zwar in diesem Zusammenhang völlig irrelevant, denn man unterstellt dabei, dass man diese eigenständigen Wesen wie Sachen behandeln könnte. Allerdings entscheiden sie meist selbst darüber, wo für sie geeignete Rahmenbedingungen gegeben sind. Die Nachbarn hatten noch in den 1990er Jahren sehr überkommene Vorstellungen im Verhältnis zu Katzen. Heute haben sich ihre Vorstellungen auch verändert, aber damals waren folgende Ansichten maßgebend: Katzen gehören zu einem Hof, um Mäuse zu fangen. Ins Haus dürfen sie nicht. Wenn es wenig Nahrung im Freien gibt, dann stellt man ihnen Essensreste aus der Küche hin. Kastration oder Sterilisation waren damals Fremdworte. Es war natürlich, dass alle Katzen immer gebären. Eine Begrenzung der Population wurde dadurch vorgenommen, dass den Katzen von den Jungen, die sie auf die Welt brachten, gar keine oder eine bestimmte Zahl gelassen wurde. Wenn Junge zur Welt kamen, dann war die Jahreszeit nicht unerheblich. Herbstkatzen galten als schwächlich und chancenlos, um durch den Winter zu kommen. Sie wurden gleich umgebracht. Bei den Sommerkatzen kam es auf den Bestand an. Waren genügend Katzen auf dem Hof, wurden sie auch gleich getötet. Konnte der Hof noch welche vertragen, ließ man eine bestimmte Anzahl am Leben. Die Tötung wurde vorgenommen so lange die Babies noch blind waren und noch nicht ganz wie kleine Katzen aussahen. Man haute sie einfach gegen einen harten Gegenstand. Es brauchte ja nicht viel Aufwand, um sie zu töten. Und wir kennen ja auch Erzählungen, dass Katzen in einem Sack ersäuft wurden.

Da es immer Wechselwirkungen zwischen den Verhaltensweisen von Lebewesen gibt, kann diese von Menschen erdachte Strategie auch misslingen. Wenn Mutterkatzen entsprechende Erfahrungen machen, so können sie Schlüsse daraus ziehen. Getrieben von ihrem mütterlichen Schutzinstinkt, misstrauen sie Menschen und verstecken ihre Jungen vor ihnen.

Paula war dauernd auf unserem Hof und schlief sogar in einem Blumenkasten, wo sie alle Blumen plattdrückte (siehe Bild oben), offensichtlich um zu dokumentieren, wo sie hingehören wollte. Aber wir nahmen sie als ziemliche Kratzbürste wahr. Misstrauisch war sie uns gegenüber ohnehin. Und später enträtselten wir auch den Hintergrund. Offensichtlich war sie zu vertrauensselig gewesen. Ihre Jungen wurden gefunden und es wurde ihr nur eines gelassen. Nun war Paula nicht blöd, was die Menschen offensichtlich unterstellten. Sie packte ihr junges Mädel im Genick und zog mit ihm zu uns um. Sie versteckte es auf unserem Hof. Unklar ist allerdings, weshalb mir Paula mehr traute als den Menschen, die ihre Jungen umgebracht hatten, und mir sogar ihren späteren Nachwuchs zeigte. Das hat offensichtlich mit einer Verständigung zu tun, die Spezies übergreift und wir noch nicht entschlüsselt haben.7

Paula blieb auch uns gegenüber kratzbürstig. Erst nach vielen Jahren wurde sie zu einer Hauskatze, die dann auch mal mit den anderen spielte.

Zenzi

Die graugetigerte Tochter von Paula trat in Erscheinung als ihre Mutter sie nicht mehr säugte. Sie war auf unserem Hof geboren worden und gehörte damit logischerweise hier her. Das putzige Wesen hatte ja keine andere Chance und obwohl wir, von unserem Zuordnungsdenken geprägt, sie eigentlich den Nachbarn zuordneten, gab es keinen Weg dahin. Wir mussten sie aufnehmen. Wir sträubten uns anfänglich, insbesondere weil Momo neu zugezogen war, aber auch, weil Mimmi und ihre Kinder hier lebten. Aber was tun, wenn draußen Frost ist und das kleine Wesen, das von der Mutter verstoßen war, Zuflucht sucht? Also durfte Zenzi tagsüber ins Haus. Da das Mädel aber nicht sauber war, musste es nächtens in den Keller. Der Keller hatte immerhin 15 Grad, wenn draußen Frost war und es gab ein schnuckeliges Körbchen mit Decke, Essen und Trinken dazu, auch ein Katzenklo, was allerdings nicht benutzt wurde.

Verständlicherweise sperrte sich Zenzi, in den Keller zu gehen. Ich suchte es zu erleichtern, indem ich mit ihr immer noch spielte, sie auf mir eine Weile rumtollen oder ruhig liegen durfte, aber wahrscheinlich verschlimmerte ich es dadurch, denn sie musste danach in den Keller. Dabei hatte sie eine Exklusivität, die ich erst mit der Zeit entdeckte: Sie konnte durch ein kleines Loch, das der Belüftung diente, heraus und herein, wie es ihr beliebte. Sie nutzte diesen Vorzug, aber blieb immer ein bisschen grantig, wie wenn sie mir etwas vorzuwerfen hätte. Vermutlich bildete ich mir das nur ein, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte.

Plötzliche „Explosion“ des Kindersegens

Die Spezies unterschätzend und immer noch in der völlig unbegründeten Erwartungshaltung befangen, es würde sich jemand für Katzen, die nicht zu unseren zählten, aber bei uns waren, zuständig fühlen, waren wir nachlässig. Nun kamen die Tage, an denen die Kater hinter allen Katzen her waren, die sich zunächst zierten, aber auch rollten. Irgendwann war es passiert. Beide, Mutter Paula und Tochter Zenzi wurden gleichzeitig schwanger.

Kurz zuvor nistete sich ein schwarzer Kater bei uns ein. Er benahm sich in etwa so scheu bzw. zutraulich wie Paula, so dass ich ihn für sie hielt. Erst nach einer Woche bemerkte ich, dass es ein Kater war. Daraus erklärt sich der Name Paul, nicht wissend, dass aus Paul und Paula ein Paar wurde, was dann aber passte.8 Allerdings könnte auch Kini bei Paula mitgemischt haben. Für Kini spricht wiederum, dass nur eine der Kleinen von Paula schwarz war, die beiden anderen aber graue Tigerchen. Aber das schwarze sprach für Paul.

Nun gab es ja neben Kini und Butzi noch eine weitere Schwester aus der Reihe von Mimmis Kindern. Sophie (siehe Bild rechts), eine graugetigerte, war noch scheuer als Butzi, aber auch mit dem Hof verbunden. Und auch sie wurde schwanger und hatte drei Kinder.

Jedenfalls überstürzten sich die Geburten. Ihre Beschreibung und die Umstände nach den Geburten spare ich an dieser Stelle aus. Ich komme darauf ausführlich im Kapitel „Das ganze Leben“ zurück.

Nun können wir den Katzenbestand und den Kindersegen mal zusammenrechnen. Wir hatten bereits Momo, Mimmi, Kini, Butzi, Sophie, Dori, zugelaufen war Paula und ihre Tochter Zenzi sowie der nicht zutrauliche Paul und nun wurden von Paula drei und von ihrer Tochter Zenzi zwei Junge geboren.

Ein Wunder, dass Butzi nicht auch wieder Junge bekam. Vermutlich war sie mit ihrem Dori immer noch beschäftigt.

Wir waren jetzt bei 17 Katzen angekommen. Und wir konnten uns die Steigerungsrate ausrechnen. Wenn nur zwei von drei Neugeburten Mädels sein sollten und die im Takt von einem Jahr zwei mal drei bis vier Junge gebären würden, dann hätten wir in wenigen Jahren einige Hundertschaften auf dem Hof. Die folgende Grafik zeichnet ein deutliches Horrorszenario:

Die Grafik macht deutlich, wie unkontrolliert sich Katzen vermehren, wenn nicht dagegen gesteuert wird.9

Gut, Krankheiten und Unfälle reduzieren den Zuwachs, aber will man darauf setzen? Wir mussten eingreifen. Alle zutraulichen Muttertiere und ihre Kinder wurden sterilisiert. Bei diesem Zeitaufwand hinsichtlich der Fahrten zum Tierarzt und der darauf folgenden Rechnung bekamen wir die Krise und verfluchten die Nachbarn, aber auch uns. Wir wurden Mitglied in einem Tierheim-Verein und holten uns allen möglichen Rat ein. Zutrauliche Babys versuchten wir an Bekannte, die wir als verantwortliche Katzenliebhaber einschätzten, abzugeben. Letztlich war dies dann nur ein Kater aus dem Wurf von Zenzi. Ihre zwei anderen, Burle und Sissi, blieben bei uns wie alle scheuen Neugeborenen von Paula (Josi, Liesl und Kola). Sophie war allerdings zu spät dran. Wir waren so genervt über alle diese Neugeburten, dass wir alle ihre Jungen abgaben. Allerdings war dies eine aufwendige Aktion, denn ihre Jungen waren wirklich wild. Wir mussten also drei wilde kleine Kätzchen mit einer Falle nacheinander eingefangen, um sie in unserem Tierheim abzugeben. So etwas bedeutet eine Woche Arbeit. Zwischendurch waren wir der Verzweiflung nahe. Glücklicherweise konnten wir alle im Verbund auf einen Bauernhof vermitteln, denn wilde Katzen nimmt niemand gern. Wir waren sehr beruhigt, dass alle zusammenbleiben und weiterhin Freigänger sein durften.

Wir hatten immer noch genügend, also 13 Katzen im Haus und auf dem Hof. Das folgende Bild zeigt einen Ausschnitt von neun Vertreter*innen der Population.

Die Kleinen von Paula und Zenzi essen mit ihren Müttern. Kini thront in der Mitte und Sophie ist noch rechts am Rand zu sehen (von links nach rechts: Josi, Kola, Liesl, Paula, Burle, Zenzi, Kini, Mimmi und Sophie).

Die beständige Infiltration

Die explosionsartige Vermehrung der Katzen auf unserem Hof dachten wir in den Griff bekommen zu haben, indem wir alle sterilisieren ließen. Das war ein guter Ansatz, er übersah aber die Möglichkeit des beständigen Zulaufs. Auch nachdem wir unsere Population als geschlossen definiert hatten, alle sterilisiert waren und eine gewisse Stabilität einkehrte, hörte damit ja die Zuwanderung nicht auf.

Farin verteidigt den Zugang zum Haus im Keller.

Unser Hauptproblem war und ist, dass unsere Katzen gutes Futter bekommen, dies reichlich vorhanden ist und sie es manchmal stehen lassen. Fremde folgen den Katzenwegen, die aufs Haus zuführen und gelangen durch das kleine Fenster im Keller oder durch offene Türen direkt an die Fressnäpfe.

Beständig sind deshalb auch fremde Katzen bei uns auf dem Hof oder kommen gar über den Keller ins Haus.

Manchmal sieht man nur eine vorbeihuschen. Voll erschrocken rennen sie die Kellertreppe hinunter, manche kriegen kaum die Kurve und schliddern durch den Flur beim Abbiegen zum Keller. Sie folgen der Essenspur, rechnen aber nicht mit uns und sind überrascht. Mit Sicherheit spielt dabei keine moralische Kategorie eine Rolle. Sie haben keine Vorstellung davon, sie würden anderen etwas klauen. Auch wäre es ein aussichtsloses Unterfangen, mit ihnen Zugehörigkeitsfragen klären zu wollen. Ganz im Gegenteil, mit der Zeit gewöhnen sie sich daran, etwas abzubekommen und bilden einen Anspruch quasi auf der Basis eines Gewohnheitsrechtes aus. Sie fordern uns dann geradezu auf, die Töpfe nachzufüllen.

Es ist meist schwierig, herauszubekommen, wo die Zulaufenden herkommen. Kater ziehen teilweise enorme Radien und wandern aus mehreren Kilometern an. Es ist unmöglich, alle Bewohner von Höfen und Häusern im Umkreis anzufragen. Manchmal lassen sich Eindringlinge aber auch hinsichtlich ihrer Herkunft identifizieren, insbesondere, wenn es sich um junge Katzen aus der direkten Nachbarschaft handelt.

Junge Katzen aus der Nachbarschaft stürmen das Haus über die Katzentreppe am Fenster.

Vor mehr als einem Jahrzehnt musste ich mich mit klaren Worten an die direkten Nachbarn wenden. Bei einem besonders augenfälligen Zulauf (siehe Bild) schrieb ich einen scharfen Brief, in dem ich sie auf ihre Verantwortung aufmerksam machte. Heute sind wir in diesen Fragen mit der Nachbarschaft im Reinen. Eine junge Generation hält dort auch Katzen und hat die älteren Generationen hinsichtlich eines heutigen Verständnisses von Katzenhaltung aufgeklärt.

Nicht verschwiegen werden kann allerdings eine besondere Gattung von „Katzenfreunden“, die Neuankömmlinge ihrer Katzen oder auch Katzen, die sie nicht mehr versorgen können, nicht zu einem Tierheim bringen, sondern bei echten Katzenfreunden, zu denen wir wohl zählen, absetzen. Tierheime berichten ja auch von einer Menge bei ihnen nicht abgegebenen, sondern vor der Türe abgesetzten Katzen. Wir werden auch immer wieder mit solchen Gaben bedacht. Plötzlich krabbeln ganz süße Zwerge vor der Haustüre herum, gleich nach einem Finger greifend, darin eine Zitze vermutend, einfach hungrig. Vermutlich gerade dann abgegeben, wenn sie Katzenfutter beanspruchen würden, weil die Mutterkatze sie nicht mehr säugt. Schon aus diesem Grund hatten wir Mitglied in einem Verein zur Förderung eines Tierheims werden müssen. Da solch süße Wesen ein gutes Zuhause verdienen, benötigt man verantwortungsvolle Fachleute, die sich auf eine gute Vermittlung verstehen.

Im übernächsten Kapitel schildere ich dann, dass wir offensichtlich mit der Zeit wieder unvorsichtig wurden, so dass uns weitere Mutterkatzen mit ihren Babys beschenkten.

Zuwanderungsentscheidungen

Auch wenn nach über zwanzig Jahren der Zulauf weniger geworden ist, abgestellt ist er bis heute nicht. Meist handelt es sich um streunende Kater, die halt auch hier wie anderswo nach Futter suchen, aber es gibt auch die Fälle, wo sie sich einzunisten versuchen, was manchen (siehe Giorgio, Farin, Willi u.a.) auch gelingt. Außer Momo, die wir mitgebracht haben, und Jule, die wir als Baby im Straßengraben aufgelesen haben, sind alle in diesem Buch beschriebenen Katzen Zuwanderer bzw. durch ihre zugewanderten Mütter auf unserem Hof geboren. Und der Zulauf wird nicht aufhören solange in unserem Umfeld Katzen nicht so behandelt werden, wie es ihnen zusteht. Hier können nicht alle aufgezählt werden, die bei uns schon Zuflucht suchten. Im Verlauf der Erzählung wird von verschiedenen Zuwanderern aber noch ausführlich berichtet werden.

Es ist schwer, hungrige, insbesondere schwangere Katzen abzuweisen oder hart zu bleiben, wenn Katzenindividuen nicht nur penetrant bettelnde, sondern sogar emotional überrumpelnde Strategien an den Tag legen. Dennoch müssen wir – die Gefahr der explosionsartigen Vermehrung im Hinterkopf – sehr genau hinsehen, wer da Einlass begehrt. Man kommt sich ja schon wie eine Zuwanderungsbehörde vor und muss speziell zugeschnittene Entscheidungen hinsichtlich der „individuell berechtigten“ Zuwanderung fällen.

Unter dem Strich waren es wenige Katzen, die wir weggegeben haben. Wie schon berichtet, kamen Sophies Kleine zum falschen Zeitpunkt auf die Welt und waren auch noch scheu. Nicht nur einmal haben „mitfühlende Katzenliebhaber“ völlig zutrauliche kleine Wesen vor unserer Haustüre ausgesetzt, sicherlich in der Annahme, dass es ihnen bei uns gut gehen würde. Auch die brachten wir ins Tierheim und sie wurden gut vermittelt. Wir haben ein Katerchen, ein Geschwister von Sissi und Burle an Freunde weitergegeben. Alle Kinder von Phleggie, von der noch die Rede sein wird, haben wir an Freunde abgegeben. Als Bulli, von der ich auch noch berichten werde, uns ihre drei Kinder anschleppte, brachten wir sie zu unserer Nachbarin zurück, die sie ja gar nicht loshaben wollte. Das war ja bloß Bullis Idee gewesen, umzuziehen. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass Bulli uns ihren Sohn Ali dann doch noch unterjubelte.

Ich will mit einer Geschichte enden, die deutlich macht, wie schwer es uns immer fiel und fällt, notwendige Grenzen zu setzen und einzuhalten. Wieder einmal war eine kleine rote Katze der Nachbarn nicht zu verscheuchen. Sie suchte sich eine Heimstatt in unserer Scheune, um schnell an der Haustüre sein zu können. Sobald diese geöffnet wurde, war sie da und bettelte. Vertreiben ließ sie sich nicht, da sie offensichtlich einmal Essen abbekommen hatte, das vermutlich für Liesl nach außen gestellt worden war. Da sie eine Jammergestalt war, im Verhältnis zu unseren Katzen klein und unendlich dünn und offensichtlich schrecklichen Hunger hatte, gaben wir ihr dann halt doch Reste, die unsere Katzen hatten stehen lassen. Sie schlang alles gierig weg. Auch wenn wir sie zehnmal am Tag fütterten, es blieb nichts übrig. Entsprechend nahm sie denn auch langsam eine normale Form an und wir erlebten nach Monaten, dass sie auch mal etwas vom Essen übrigließ. Nun zeigten sich die ersten Anzeichen eines Problems, auf das wir irgendwie reagieren mussten. Fremde Kater bewegten sich ums Haus und gaben jaulende Geräusche von sich, auch unser Ali (der erst später eingeführt wird) wurde ganz kirre. Die Kleine wurde offensichtlich geschlechtsreif. Und wir hatten eine Entscheidung zu treffen.

Wir hatten diesem lieben Kätzchen keinen Namen gegeben. Hatten wir Giorgio noch aufgenommen, weil er keine Heimat mehr hatte, so wussten wir, dass sie eine hat und wir in die Falle laufen, in die wir schon davor gelaufen waren. In der Situation nützte es nichts, dass wir wussten, wo sie hingehört. Sie hätte ihre Jungen auf unserem Hof bekommen und die hätten sich hier daheim gefühlt. Die Nachbarn zuckten mit den Schultern, wie die Male davor auch. Also gab es nur die Alternative, sie sterilisieren zu lassen und bei uns aufzunehmen oder sie wegzugeben. Da es sich bei ihr um kein Problemkind handelte, entschieden wir damals ganz rational: Sie war hübsch und zutraulich. Sie ließ sich streicheln und auf den Arm nehmen. Sie war folgsam. So hatte sie im Gegensatz zu Bulli die Türschwelle nie übertreten, hatte sich nicht heimlich ins Haus geschlichen, um sich einfach Essen zu nehmen. Sie musste ein leicht zu vermittelnder Fall sein. Ich habe mit der Tierheimleiterin über sie gesprochen und ihre Antwort war: „Die Besitzer erschießen und das Kätzchen zu uns bringen. Ich habe gerade wenige. Die wird vermittelt.“ Ich kam nicht gleich dazu, sie hinzubringen. Zwei Tage später, an einem milden Februartag arbeitete ich draußen. Ich hörte ständig Alis Gesang bzw. Gejammer und er war dabei unentwegt der Roten ohne Namen hinterher. Als ich eine Schubkarre Holz in die Scheune fuhr, sah ich ihn auf ihr sitzen. Und sie hielt still. Das war das Zeichen. Aufschub konnte es jetzt nicht mehr geben. Sie ließ sich auf den Arm nehmen. Ich brachte sie in unser Tierheim, zu dessen Leitung ich großes Vertrauen habe.

Dennoch kamen die Gefühle. Meine Frau wollte gar nicht mit. Ich trauerte schon beim Hinfahren. Dann sah ich sie in einem Käfig, in den sie ja zunächst musste. Und da waren noch andere liebe Geschöpfe. Wird sie auch wirklich schnell vermittelt? Bekommt sie wieder ihre gewohnte Freiheit? Die Rückfahrt war schlimm. Und danach fehlte sie bei jedem Schritt aus dem Haus, bei jedem Ankommen mit dem Auto. Sie war damals immer die Erste im Begrüßungskommando. Natürlich war es die einzig richtige Entscheidung. Wir können nicht unendlich vielen Katzen gerecht werden. Aber die Emotionen sprechen eine andere Sprache. Obwohl wir der Kleinen schon gar keinen Namen gegeben hatten, obwohl klar war, dass wir sie nicht auch noch aufnehmen wollten, stellten wir fest, dass sie sich bereits wieder klammheimlich in unser Herz geschlichen hatte.

Die Geschichte kann auch verdeutlichen, dass Entscheidungen nur individuell getroffen werden können, abhängig von unserer subjektiven Einschätzung. Hätte die kleine Rote ein Handicap gehabt, so dass wir hätten annehmen müssen, sie wäre schlecht zu vermitteln, wäre die Entscheidung anders ausgegangen. In diesem Fall wurde sie aufgrund mehrfach falscher Voraussetzungen sehr gut vermittelt. Offensichtlich war sie untersucht worden und weil sie bereits Mangelzustände (kaum mehr gesunde Zähne) aufwies, als alte Katze eingestuft und an ein älteres Ehepaar vermittelt worden. Da sie so genügsam, anhänglich und wenig wild war, passte das prima. Sie hatte ein optimales Zuhause gefunden.

Dagegen wollten wir Giorgio, der hier schon lange lebte und sich heimatlos über Jahre selbst durchschlug, nicht mehr verpflanzen. Er hätte auch ein Kandidat sein können. Vermutlich war seine Strategie der Annäherung zu charmant und wir hatten damals keinen Kater. Bei Ali dachten wir, er sei ausgesetzt worden. Auch hielt ich ihn für zu tollpatschig, um klarzukommen. Aber ich sehe schon, dass ich Rechtfertigungen suche, warum wir die Rote abgegeben haben. Vielleicht war es nur ein Zeichen für uns selbst, dass wir Grenzen hinsichtlich des Zuzugs aus dem Nachbarhof setzten, und sie war das Opfer. Trauer und Zweifel bleiben zurück. Aber auch Ärger kommt auf, dass uns andere Menschen durch ihren unverantwortlichen Umgang mit Katzen immer wieder in diese Gewissenskonflikte stürzen.

4 Siehe bei Helga Hoffmann: Die Katze und das Christentum, S. 13 ff, in: Hoffmann, Helga (1994): Katzen richtig verstehen. München (Mosaik Verlag); ausführlich dazu Johanna Fürstauer: Im Würgegriff des Bösen, S. 103 ff: Fürstauer, Johanna (2011): Wie kam die Katze auf das Sofa - Eine Kulturgeschichte, St. Pölten/Salzburg (Residenz Verlag).

5 Zitat der Übersetzerin Bettina von Stockfleht in ihrer Anmerkung auf Seite 107 zu: Bradshaw, John (2015): Die Welt aus Katzensicht. Wege zu einem besseren Miteinander – Erkenntnisse eines Verhaltensforschers, Stuttgart (Franck-Kosmos-Verlag).

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