Kein Arzt für eine Nacht - Annabeth Albert - E-Book + Hörbuch

Kein Arzt für eine Nacht Hörbuch

Annabeth Albert

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Beschreibung

Eigentlich trinkt Quinn nie, besonders nicht allein, aber eine hässliche Trennung treibt den Kleinstadtarzt eines Tages doch in die Bar der Rainbow Tavern. Allerdings hat er nicht mit dem jungen sexy Rotschopf hinter dem Tresen gerechnet, der ihm viel zu gute Drinks mixt. Betrunken lässt er sich von Barkeeper Adam nach Hause bringen und in einem Moment der Unachtsamkeit plaudert er eine geheime Vorliebe aus, die er bis jetzt immer unterdrückt hat. Eher unerwartet wirkt Adam ziemlich interessiert und macht ihm kurze Zeit später ein Angebot, das Quinn nicht ablehnen kann: den Sommer über mit Adam als Daddy seinem Verlangen endlich nachgeben zu können. Mit der Zeit kommen sich die beiden Männer immer näher und entwickeln auch außerhalb des Schlafzimmers eine tiefe Bindung zueinander. Sich zu verlieben, war jedoch nicht Teil der Abmachung. Werden ihre Gefühle füreinander auch über den Sommer hinaus alle Herausforderungen des echten Lebens überstehen können? Band 4 der "Rainbow Cove"-Reihe. Buch ist in sich abgeschlossen.

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Zeit:9 Std. 21 min

Sprecher:Julian Mill

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Deutsche Erstausgabe (ePub) August 2022

Für die Originalausgabe:

© 2021 by Annabeth Albert

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Hope on the Rocks«

Published by Arrangement with Annabeth Albert

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2022 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock; AdobeStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: Print Group Sp.z.o.o. Szczecin (Stettin)

Lektorat: Bernd Frielingsdorf

ISBN-13: 978-3-95823-956-2

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Aus dem Englischen von Vanessa Tockner

Liebe Lesende,

vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die*den Autor*in des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer*seiner Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der*des Autor*in und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Euer Cursed-Team

Klappentext:

Eigentlich trinkt Quinn nie, besonders nicht allein, aber eine hässliche Trennung treibt den Kleinstadtarzt eines Tages doch in die Bar der Rainbow Tavern. Allerdings hat er nicht mit dem jungen sexy Rotschopf hinter dem Tresen gerechnet, der ihm viel zu gute Drinks mixt. Betrunken lässt er sich von Barkeeper Adam nach Hause bringen und in einem Moment der Unachtsamkeit plaudert er eine geheime Vorliebe aus, die er bis jetzt immer unterdrückt hat. Eher unerwartet wirkt Adam ziemlich interessiert und macht ihm kurze Zeit später ein Angebot, das Quinn nicht ablehnen kann: den Sommer über mit Adam als Daddy seinem Verlangen endlich nachgeben zu können. Mit der Zeit kommen sich die beiden Männer immer näher und entwickeln auch außerhalb des Schlafzimmers eine tiefe Bindung zueinander. Sich zu verlieben, war jedoch nicht Teil der Abmachung. Werden ihre Gefühle füreinander auch über den Sommer hinaus alle Herausforderungen des echten Lebens überstehen können?

Kapitel 1

Adam

»Sie haben sich die falsche Nacht ausgesucht, um schlecht im Trinken zu sein«, neckte ich den einzigen Gast, der an diesem besonders schläfrigen Montagabend an meiner Bar saß.

»Ich bin nicht schlecht im Trinken«, protestierte der süße Doktor.

In meinen Gedanken war er immer noch neu in der Stadt, obwohl er inzwischen schon über ein Jahr hier wohnte. Mit dieser Neulingsausstrahlung hatte er vor heute Abend wahrscheinlich noch nie den Arsch auf einem Barhocker gehabt.

»Doch, sind Sie.« Ich blieb locker und freundlich, aber auch ehrlich. Er war nicht mein Arzt, aber ich hatte ihn öfter als einmal im Umfeld der Notfallklinik von RainbowCove gesehen. Er wirkte wie ein guter Mann, immer aufmerksam und sorgfältig mit einem schnellen Lächeln. Jemand, den es nicht allzu sehr stören würde, wenn ich so unverblümt war wie immer. »Sie haben gute zehn Minuten auf meine Getränkekarte gestarrt, bevor Sie eine Rum-Cola bestellt haben, ohne Vorliebe für einen bestimmten Rum. Sie trinken wie ein Erstsemester, der auf Zehenspitzen zum Getränkeregal hinüberschleicht. Und schlimmer noch, Sie scheinen nicht gerade zu genießen, was Sie sich ausgesucht haben.«

»Ich weiß nicht, ob ich heute irgendetwas genieße.« Er verzog den Mund. Keine Spur von seinem üblichen Lächeln. Und wie um meine Worte zu bestätigen, verzog er bei dem nächsten Schluck auch das Gesicht.

»Ich kann Ihnen einen Drink machen, der Ihnen schmecken würde.« In den zehn Jahren, die ich verschiedene Barkeeper-Jobs gemacht hatte, hatte ich gelernt, dass es viele Probleme gab, gegen die ich einen verdammten Dreck ausrichten konnte. Aber ich konnte Leute vor schlechten Getränkebestellungen retten. »Es tut mir in der Seele weh, zuzusehen, wie Sie sich zu jedem Schluck zwingen. Wenn Sie den Rausch wollen, kann ich Ihnen einige schmackhaftere Wege dorthin anbieten.«

»Sie sind ziemlich selbstsicher.« Der Doktor neigte nachdenklich den Kopf.

Es war ein hübscher Kopf. Die dunkelbraunen Haare könnten wohl seit ein, zwei Wochen einen Friseurbesuch vertragen und zeigten einen Zottel-Look, für den Hollywoodstars gutes Geld zahlen würden.

Er war vielleicht fünf oder sechs Jahre älter als ich, also Mitte dreißig, aber sein Gesicht war so jugendlich, dass Leute, die ihn noch nie in weißem Kittel und Stethoskop gesehen hatten, auch seinen Ausweis verlangen könnten. Sein schlanker und kleinerer Körperbau trug noch zu dem Eindruck bei und die Hipsterbrille und das schnöselige Poloshirt ließen mich an einen erwachsen gewordenen Studenten aus dem Debattierclub denken.

Er leckte sich die Unterlippe und Hitze blühte in meinem Bauch auf. Attraktive Gäste waren ziemlich häufig, aber dieser heiße Nerd hatte irgendetwas, das mich besonders stark ansprach. Dank dieser Reaktion genoss ich es nur noch mehr, ihn zu einer besseren Getränkewahl zu verleiten.

Ich legte einen zusätzlichen Funken in mein Grinsen und meine Stimme. »Ich bin schon öfter als arrogant bezeichnet worden. Aber das ist reine Ehrlichkeit. Ich habe vor Kurzem den Barkeeper-Wettbewerb einer neuen Destillerie in Portland gewonnen. Fragen Sie Mason. Ich habe einige großartige neue Spirituosen für die Bar bekommen und es war eine tolle Werbung für uns.«

»Zu Werbung sagt niemand Nein.« Schulterzuckend sah er sich in dem beinahe leeren Restaurant um. Zwei Paare hatten es sich mit ihren Desserts an Tischen neben dem Fenster gemütlich gemacht.

Draußen herrschte ein trüber Abend, kälter und feuchter, als ich es Anfang Juni erwartete. Eigentlich sollte die Touristensaison in vollem Gange sein, aber das Geschäft unseres kleinen, für LGBTQ+ offenen Etablissements konnte sehr unberechenbar sein.

»Was meinen Sie? Darf ich Ihnen meine preisgekrönten Fähigkeiten vorführen?« Ich zwinkerte ihm zu und seine Wangen röteten sich, als wäre er beiläufiges Flirten nicht gewohnt, was verdammt niedlich war.

»Ich schätze, Sie können mir etwas anderes machen.« Er schob seinen kaum angerührten Drink beiseite und holte sein Handy heraus – was fast so war, als hätte er mich davongewinkt.

Aber zu seinem Pech war er die beste Ablenkung, die ich den ganzen Tag gehabt hatte. Das Flirten mit ihm fühlte sich auf einer Ebene gut an, über die ich nicht genauer nachdenken wollte, aber ich wollte auch meine Chance, ihn zu beeindrucken, nicht verpassen.

»Hey, kein Handy«, sagte ich halb neckisch, halb tadelnd. »Zuerst müssen Sie mir ein paar Fragen beantworten.«

»Ach ja?« Er presste die Lippen aufeinander, aber sein neugieriger Blick verriet, dass er mitspielen würde.

»Ja.« Ich lehnte mich vor und senkte die Stimme, als tauschten wir Geheimnisse aus. »Also, ich weiß, dass Sie Süßes mögen…«

»Woher wissen Sie das?« Er runzelte die Stirn und blinzelte mich eulenhaft an.

»Doc, ich habe Augen im Kopf.« Ich war es gewöhnt, unterschätzt zu werden, und das war in Ordnung. Niemand wusste zu schätzen, wie viel ich hinter der Bar sah. Und der Doktor war mir die paar Male, die er sowohl allein als auch mit Kollegen aus der Klinik hereingekommen war, definitiv aufgefallen. »Wenn Sie hierherkommen, bestellen Sie immer etwas mit viel Grünzeug. Etwas Gesundes. Aber Sie starren die Dessertkarte an, als wäre sie der Schlüssel zu einem neuen Pick-up. Und dann seufzen Sie und zahlen, ohne irgendetwas davon zu bestellen. Aber Sie wollen es.«

Ich war mehr einmal versucht gewesen, ihm auf meine Kosten etwas zu gönnen, aber zwischen flirtendem Barkeeper und unheimlichem Stalker war eine Grenze, die ich nicht überschreiten wollte. Sosehr mein Körper auf sexy und intelligente Nerds wie den Doktor ansprach, die meisten waren etwas außerhalb meiner Liga. Außerdem hatten Mason, der andere Inhaber der Bar, Logan und Curtis starke Meinungen dazu, Kunden anzumachen. Also tat ich es nicht, aber das bedeutete nicht, dass der Doktor mir nicht bei jedem seiner Besuche aufgefallen war.

»Sie sind ein guter Beobachter. Das muss ich schon sagen.« Er seufzte, als kostete ihn dieses Zugeständnis mehr, als er herausrücken wollte. »Ja, ich mag Desserts. Aber keine zu süßen.« Er zeigte auf seinen weggestellten Drink. »Das ist fast zu viel. Ich weiß nicht, wie ich es auf dem College vertragen habe.«

»Sehen Sie? Schlechter Trinker.« Ich lachte, während ich in Gedanken schnell die Möglichkeiten durchging, die ihm besser schmecken könnten. »Also süß, aber nicht zu süß. Was halten Sie von Kaffee?«

»Am liebsten intravenös. Vor allem nach vier Zwölfstundenschichten hintereinander. Allerdings trinke ich ihn schwarz, solange er nicht komplett ungenießbar ist.«

»Bewundernswert.« Ich wollte diese Zurückhaltung auf die schlimmste Art und Weise vertreiben und ihm etwas gönnen. Jemand wie er, der so lange und hart arbeitete, sollte verwöhnt werden. »Wenn Sie mich fragen, ist das Leben zu kurz, um nicht etwas Zucker darüber zu streuen. Was halten Sie von Zitrus?«

»In Ordnung.« Er gestikulierte unbestimmt, was mehr sagte als seine Worte.

»Anders gesagt, es ist nicht Schokolade und nicht gerade Ihr Lieblingsgeschmack. Keine Sorge, Doc. Ich mache das schon.«

»Du kannst mich Quinn nennen, bitte. Ich habe noch bis Donnerstag frei.«

»Wie schön.« Meine eigenen freien Tage waren nicht gerade zahlreich, da das Lokal relativ neu war und noch wenig Gewinn abwarf. »Und ich bin Adam. Ich glaube, ich habe, was du brauchst. Gib mir eine Sekunde.« Ich begann, die Zutaten vorzubereiten, bevor ich aufsah. »Erdnuss- oder sonstige Allergien, über die ich Bescheid wissen sollte?«

»Nein. Aber danke fürs Fragen.«

»Kein Problem.« Ich holte einige Dinge aus dem Kühlschrank. »Willst du mir von deinem schlechten Tag erzählen, während ich das hier mixe?«

Quinn stieß einen überraschten Laut aus. »Woher weißt du, dass ich einen schlechten Tag hatte?«

»Guter Beobachter, schon vergessen? Und du bist schlecht im Trinken, das heißt, es ist keine Gewohnheit von dir. Ich wette, du hast nichts Stärkeres daheim als Rotwein. Muss ein verdammt beschissener Tag gewesen sein, wenn du hier bist und deine Studententage wiederaufleben lässt.«

»Vielleicht wollte ich einfach mal eine Veränderung.« Mit hinter der Hipsterbrille sturem Blick reckte er das Kinn.

»Mhm.« Ich war nicht überzeugt. Betont locker redete ich weiter, während ich sein Glas vorbereitete. »Ich habe einen ziemlich robusten Magen. Ich jage. Du kannst es mir erzählen, wenn es etwas Grässliches auf der Arbeit war.«

»Es ist nicht die Arbeit.« Quinn stöhnte und schüttelte dann den Kopf. »Und ich will nicht darüber reden.«

»Ah. Dann bist du hier doch richtig.«

Jepp. Ich hatte recht gehabt. Von dem Moment an, als Quinn hier hereingeschlichen war und sich gesetzt hatte, hatte ich geahnt, dass er irgendeinen Kummer hatte. Die Tatsache, dass viele Leute in der Bar Zuflucht vor ihren Beziehungsproblemen suchten, war ein wichtiger Grund, warum ich langfristige Bindungen mied. Ich trank lieber zur Entspannung als aus medizinischen Gründen.

Ich schob den Cocktail zu ihm hinüber. »Hier, bitte.«

»Was ist das?« Er musterte das Glas.

Meiner zugegeben subjektiven Meinung nach war es ein kleines Kunstwerk. Das Martiniglas hatte einen mit Zucker und Kakaopulver bestäubten Rand und war an den Seiten mit Schokoladensirup in zwei Farben dekoriert. Nachdem ich den gekühlten Wodka und Likör eingeschenkt hatte, hatte ich das Ganze mit einem kleinen Likörtrüffel am Spieß abgerundet.

»Haselnuss-Martini mit dunkler Schokolade. Du glaubst, du bist schlimm und erlaubst dir einen Brownie, aber er gibt dir auch einen guten Kick.« Ich wackelte mit den Augenbrauen, denn ja, ich hatte Quinn durchschaut. Er wollte sich weit mehr gönnen, als er sich offenbar erlaubte. Ich fragte mich, wonach er sich noch sehnte, das er sich nicht erlaubte. Am Ende meiner Wirbelsäule sammelte sich noch mehr köstliche Hitze. »Und er ist nicht zu süß. Ich mache den Haselnusslikör selbst aus regionalen Zutaten. Gutes Zeug. Prost.«

Er nahm vorsichtig einen Schluck. »Oh. Der ist gut.« Sein nächster Schluck war viel größer.

»Vorsichtig. Wie gesagt, er ist stark. Willst du dazu einen Snack bestellen?« Es war spät und die Küche würde bald schließen, aber wahrscheinlich konnte ich Horatio, der am Grill stand, nachdem Logan früh Feierabend gemacht hatte, trotzdem ein paar Trüffel-Fritten entlocken. Essen würde verhindern, dass Quinn sich zu schnell betrank, und mir mehr Zeit zum Flirten geben.

»Ich habe nichts dagegen, dass er schnell wirkt.« Entschlossen trank er einen weiteren Schluck.

»Wenn du es auf einen richtigen Rausch abgesehen hast, ich habe auch ein Rezept für einen Zartbitterschokolade-White Russian, das ich in letzter Zeit perfektioniert habe. Vielleicht versuche ich den als Nächstes, wenn das hier nicht das Richtige ist, aber wie wäre es, wenn du mir zuerst erzählst, wie du nach Hause kommen wirst?«

»Nach Hause?« Er runzelte die Stirn und leckte sich dann etwas Schokolade von der Unterlippe. Diese neugierige pinke Zunge brachte mich allmählich um. »Ich will nicht nach Hause gehen.«

»Ja, das habe ich schon verstanden. Aber ich kann nicht dich volllaufen und dann Autofahren lassen.« Ich hatte absolut kein Problem, anderen dabei zu helfen, sich zu besaufen, wenn das ihr Ziel war, aber bei Trunkenheit am Steuer zog ich die Grenze.

»Oh. Das klingt vernünftig.« Er lächelte verlegen. »Ich bin zu Fuß gegangen. War etwas weiter als gedacht, aber ich habe ohnehin frische Luft gebraucht.«

»Da hast du gut vorausgeplant.« Die Chancen standen gut, dass ich ihm später eine Mitfahrgelegenheit besorgen würde. Es würde sich nicht richtig anfühlen, ihn durch RainbowCove zurückstolpern zu lassen.

»Ich versuche es. Manchmal ohne Erfolg.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Manchmal ist es beschissen, derjenige zu sein, der immer alles plant.«

»Das verstehe ich.« Ich beschäftigte mich damit, die Bar abzuwischen, damit ich nicht der Versuchung nachgab, seine Hand zu tätscheln. »Deshalb versuche ich, das Leben mehr auf mich zukommen zu lassen. Planung ist nur eine Gelegenheit, am Ende enttäuscht zu werden.«

Mit ihm konnte ich ehrlicher sein als mit einem Freund, denn wahrscheinlich würde er sich ohnehin nicht an die Details unseres Gesprächs erinnern.

»Jepp.« Nach einem weiteren großen Schluck wurde er beharrlicher und tippte auf die Bar. »Ich bin fertig mit Planen.«

»Mhm.« Das bezweifelte ich stark. Jemand, der so klug war, dass er es durch ein Medizinstudium schaffte und als Arzt arbeitete, war nicht der Typ, der plötzlich über Nacht spontan wurde. Aber ich nickte, denn es war mein Job, der mitfühlende Barkeeper zu sein, nicht sein Lebensberater. Und wenn diese neue Einstellung ihn davon abhielt, zu der Person zurückzugehen, die ihm diesen Kummer bereitet hatte, umso besser.

»Wirklich«, beharrte er, bevor er den Cocktail austrank. »Von jetzt an nur noch spontane schlechte Entscheidungen.«

Er bedachte mich mit einem abschätzenden Blick, fast als würde er mich zum ersten Mal sehen. Zweifellos sah sogar ich durch den Wodkaschleier besser aus. Seine Lust war vielleicht nicht echt, aber meinem Ego gefiel die Anerkennung in seinem Blick trotzdem: wie er den Blick langsam über mich hinwegwandern ließ, als wollte er jede Muskelgruppe kategorisieren.

Mein Blut strömte zwischen meine Beine und mein Körper war mehr als bereit, sich freiwillig für die erste dieser Entscheidungen zu melden, die er später bereuen würde, aber leider schlug zugleich auch mein persönlicher Moralkodex Alarm. Er hatte bereits irgendeinen emotionalen Schlag eingesteckt. Er brauchte morgen früh nicht noch mehr Gründe, sich selbst zu hassen. Ich war nicht für Quinn verantwortlich. Egal, welche schlechten Entscheidungen er treffen wollte, es ging mich nichts an. Trotzdem hatte er etwas an sich, das meinen Beschützerinstinkt weckte, auch wenn ich ihn vor allem vor sich selbst schützen musste.

Kapitel 2

Adam

Wie erwartet spielte ich den restlichen Abend lang Quinns Babysitter. Je mehr er trank, desto mehr flirtete er und ich hielt ihn vor allem am Reden, um ihn von seinem Handy fernzuhalten. Keine betrunkenen Textnachrichten oder verhängnisvolles App-Wischen, solange ich es verhindern konnte.

»Bist du sicher, dass du nichts essen willst?«, schlug ich wieder vor, während ich die letzten sauberen Gläser wegräumte. »Die Küche ist schon geschlossen, aber es gibt immer irgendwelche Reste, vor allem nach einem ruhigen Abend. Ich könnte Horatio dazu bringen, dir etwas aufzuwärmen.«

»Ich habe keinen Hunger. Aber das ist gut.« Er hielt sein fast leeres Glas hoch. Ich hatte damit gerechnet, dass er nach zwei Cocktails beschwipst wäre, aber erst nach vier richtig betrunken. Das war allerdings Drink Nummer drei und zusammen mit den anfänglichen Schlucken von der Rum-Cola war er weit, weit besoffener, als ich erwartet hatte. Die niedrige Toleranz war ein weiteres Zeichen, dass er so etwas nur selten tat, und ein Grund mehr für meinen Beschützerinstinkt.

»Danke. Und genieß deinen letzten Drink, denn das war's für dich.« Ich sagte es in scherzhaftem Ton, obwohl ich es ernst meinte, dass jetzt Schluss war.

»Aber es gefällt mir.« Er schmollte attraktiv, mit voller Unterlippe und Welpenblick, aber ich blieb ungerührt. Fast. Mein Körper mochte verdammt noch mal alles an ihm, aber mein Kopf wusste es besser.

»Erstens schließen wir gleich und zweitens bist du schon seit einer Weile über beschwipst hinaus.«

»Ich weiß. Es ist wundervoll.« Sein Lächeln war jetzt viel unsicherer als im nüchternen Zustand, aber die Grübchen brachten mich immer noch dazu, es erwidern zu wollen.

»Freut mich, dass du glücklich bist.«

»Bin ich nicht.« Er seufzte dramatisch und die Grübchen verschwanden sofort, als seine Miene sich verdüsterte. »Aber ich kann eine Weile lang so tun.«

»Ja. Das ist wahrscheinlich alles, was die meisten Leute können.« Ich schluckte schwer.

Er mochte betrunken sein, aber in seinen Worten lag ein wahrer Kern. Ich kannte viele glückliche Leute, vor allem in letzter Zeit, nachdem meine Freunde alle Partner gefunden hatten und ich als letzter Single übrig war. Aber echtes Glück? Das war bestenfalls flüchtig und ich wusste mehr darüber, sich etwas vorzumachen, als ich erzählen wollte.

»Auf verdammt gute Schauspielfähigkeiten.« Er leerte den Drink in einem Schluck und stellte das Glas dann unter unsicherem Klirren ab.

»Trink wenigstens etwas Wasser, wenn du schon nichts isst.« Ohne sein Ja abzuwarten, stellte ich ein großes Glas vor ihn. »Dein Körper wird es dir später danken.«

»Du bist nett.« Sein Ernst war niedlich. Später könnte Gefühlsduseligkeit an seine Stelle treten, aber in diesem Moment machte es ihn genauso schlecht im Flirten, wie er im Trinken war.

»Ich gebe mir Mühe«, sagte ich, obwohl ich es manchmal verdammt leid war, immer der Gute zu sein. Ein weniger ehrbarer Mann würde Quinn in seiner Gutmütigkeit unweigerlich zu einer dieser schlechten Entscheidungen führen, die er so unbedingt machen wollte.

»Du hast immer so einschüchternd gewirkt. Groß und verdrießlich.« Bei seinem verträumten Ton klang ich wie ein Kerl aus einem schlechten Liebesroman und ich unterdrückte ein Lachen. »Aber aus der Nähe bist du nicht so beängstigend.«

Das hatte ich schon ein oder zwanzig Mal gehört. Ich war groß und kräftig und mein Bart trug noch zu dem Look bei, aber eigentlich war ich eher kuschelig als knallhart. »Freundlichkeit bringt mehr Trinkgeld als Angsteinflößen.«

»Ha. Du täuschst nicht nur Nettigkeit vor, um Trinkgeld zu bekommen. Glaub mir. Das würde ich merken.«

»Nein, würdest du nicht«, sagte ich mild.

Auch völlig betrunken war Quinn die Sorte Mensch, die immer das Beste in anderen sah. Er würde erst merken, dass er ausgenutzt wurde, wenn es zu spät wäre. Dieselbe natürliche Güte, dank der er bestimmt ein großartiger Arzt war, machte ihn auch verletzlich und mich zornig auf alle, die das ausnutzen würden.

»Und so heiß, wie du bist, würdest du trotzdem Trinkgeld bekommen.« Er sah mich weiterhin an, als wäre ich ein köstliches Sandwich und er hätte gerade erkannt, dass er einen Monat lang nichts gegessen hatte.

»Ich bin heiß?« Ich zog eine Braue hoch. »Wie betrunken bist du wirklich?«

»Ups.« Er lief reizend rosarot an. »Das wollte ich nicht laut sagen.«

»Das ist in Ordnung. Ich werde es dir nicht vorhalten.« Ich lächelte, schraubte aber mein Flirten von vorhin zurück. Das war der Teil des Abends, an dem ich der Gute sein und Quinn darauf hinweisen musste, dass er sich in seinem Zustand nicht an mich heranmachen sollte, auch wenn es verdammt noch mal zu einfach wäre, ihn zu ermutigen.

»Ich sollte wahrscheinlich gehen.« Er kramte nach seiner Geldbörse und hielt mir ungeschickt seine Karte hin. Ja, er war eindeutig über betrunken hinaus und auf keinen Fall sicher genug auf den Beinen, um zu seinem Haus oder seiner Wohnung zurückzugehen, wo auch immer das war.

»Es regnet. Warte kurz, dann nehme ich dich mit dem Auto mit. Das ist wahrscheinlich schneller, als mit einer App eine Mitfahrgelegenheit zu finden.« RainbowCove hatte einige Fahrer für verschiedene Taxi-Apps, aber sogar während der Touristensaison war der Service bestenfalls sporadisch. Außerdem war ich wahrscheinlich die sicherste Option. Nicht alle würden sich so um Quinn kümmern wollen wie ich. Es gab mehr als genug Leute auf der Welt, die andere nur ausnutzten. Ich wäre beruhigter, wenn ich wüsste, dass er sicher dort angekommen war, wo er hingehörte.

Daher erledigte ich schnell meine letzten Arbeiten, damit ich Quinn zur Tür hinausscheuchen konnte. Mein Chevy stand hinter dem Lokal. Während ich Quinn dorthin führte, beäugte ich den verdammt abgenutzten Pick-up und erinnerte mich, dass im Fahrerhaus überall Werkzeug und Klamotten verstreut lagen. Wahrscheinlich brauchte ich ein Fahrzeugupgrade, aber das wenige Geld, das ich hatte, hatte ich genauso wie Mason und Logan ins Lokal gesteckt. In letzter Zeit lief es zwar besser, aber ich hatte auch eine sture Anhänglichkeit zu meinem alternden Wagen entwickelt.

»Nimmst du mich mit heim?« Quinn schien sich nicht an den Dellen oder dem Chaos zu stören. Er blickte zu mir hoch und als ich mich bewegen wollte, damit er einsteigen konnte, berührte er meinen Arm. Ich hatte mir den ganzen Abend lang die größte Mühe gegeben, ihn nicht zu berühren und nicht einmal seine Hand zu streifen, wenn ich ihm ein Glas gereicht hatte. Irgendwie hatte ich es gewusst, aber die Elektrizität überraschte mich trotzdem. Bei dem kleinen Schock horchte jede einzelne Zelle in meinem Körper auf.

»Heim zu dir, ja.« Es war eine Leistung, dass ich überhaupt Worte herausbrachte, vor allem da seine Hand noch immer auf meinem Unterarm lag. Sein Griff war warm und stark und ich wollte seine langen, eleganten Finger wandern lassen, wohin sie wollten.

»Gut.« Er warf mir einen Blick zu, der vor zwei Gläsern viel verführerischer gewesen wäre. »Du kannst mit mir hochkommen. Für… etwas.«

Sein betrunkenes Kichern gab mir den Anstoß, den ich brauchte, um mich loszureißen. Ich drängte ihn sanft auf den Beifahrersitz und gurtete ihn an, bevor ich zur Fahrerseite ging. Es fühlte sich ebenso befriedigend an, mich um ihn zu kümmern, wie das Flirten vorhin – andere, aber ebenso starke Wärme.

»Ich bringe dich zu dir nach Hause. Wo du deinen Rausch ausschlafen wirst.« Das mussten wir schnell klarstellen. »Also, wie ist die Adresse?«

»Vielleicht bin ich noch nicht bereit fürs Bett.« Er griff über die Mittelkonsole und ließ die Finger meinen Arm hinaufwandern.

»Doch, das bist du.« Ich nahm seine Hand weg und legte sie auf seinen Schoß zurück, bevor ich den Pick-up startete. Je schneller wir zu ihm fuhren, desto besser. Ein Kerl konnte nur ein gewisses Maß an Versuchung ertragen, bevor er nachgab.

»Sieh an, wie streng und sexy du sein kannst.«

Das Kompliment und die Bewunderung in seiner Stimme gefielen mir weit mehr, als sie sollten, gut genug, um den strengen Ton beizubehalten. »Wie wäre es, wenn du dich benimmst und mir sagst, wohin wir fahren?«

»Aber es fühlt sich viel besser an, schlimm zu sein.« Er rutschte auf seinem Platz herum und ich war froh, dass ich ihn selbst angegurtet hatte. »Vielleicht muss ich öfter schlimm sein.«

Gott, hab Erbarmen. Mein Antrag auf Heiligenstatus sollte wirklich genehmigt werden, und zwar schnell. Ich steuerte den Pick-up in Richtung der neueren Wohngegend. Wenn er mir eine richtige Adresse gab, konnte ich ja immer noch umdrehen. RainbowCove war keine große Stadt. Früher oder später würden wir an seinem Wohnort vorbeikommen, aber es würde wirklich helfen, wenn er mir sagen würde, wo der war.

»Sei ein guter Junge.« Das Junge rutschte mir heraus. Ich hatte vor einer Weile entdeckt, dass eine gewisse Sorte jüngerer Kerle auf das Wort ansprach, aber ich kannte Quinns Kinks nicht und wir waren nicht in meinem Schlafzimmer. Ich wollte mich gerade entschuldigen, als er einen glücklichen kleinen Laut ausstieß, den ich direkt im Schritt spürte.

»Das ist es ja. Mit dir will ich nicht gut sein. Vielleicht solltest du mir den Hintern versohlen. Ich wette, du wärst gut darin.« Er warf mir einen weiteren abschätzenden Blick zu, einen von der Sorte, die ich liebend gerne nüchtern von ihm bekommen hätte.

Es war mehr als faszinierend, dass der gute Doktor vom Hinternversohlen sprach, ebenso wie seine Reaktion darauf, dass ich ihn Junge genannt hatte. Ich wollte mehr darüber wissen, was ihm noch gefallen könnte. Aber ich musste auch morgen in den Spiegel sehen können.

»Hör mal, Quinn. Es ist spät. Wenn du nüchtern immer noch über Kink-Aktivitäten reden willst, wäre ich mehr als bereit dazu.« Er würde sich nicht daran erinnern, dass ich das gesagt hatte. Und wenn doch, wäre er zu verlegen, um es je anzusprechen. Ich wusste, wie das lief. »Aber ich werde mich nicht an dir vergreifen, solange du betrunken bist. Niemals. Also bringen wir dich heim.«

»Du bist gemein.« Schmollend ließ er sich im Sitz zurückfallen.

»Wenn es darum geht, dass du in Sicherheit bist, jepp, dann bin ich das.« Das kam weit bissiger heraus als geplant.

Ich konzentrierte mich eine Weile aufs Fahren und atmete dann tief durch, bevor ich mich entschuldigte. »Tut mir leid…«

Rumms. Ich sah auf, gerade als Quinns Kopf ans Fenster sank. Er hatte sich entspannt und ein ausgewachsenes Schnarchen drang aus seinem geöffneten Mund.

»Quinn«, sagte ich laut.

Keine Antwort. Und jetzt? Sollte ich durch die Gegend fahren, bis er aufwachte?

»Ach, fuck. Du schläfst bei mir.« Ich fuhr in Richtung Norden zum See und der kleinen Siedlung am Ufer. Dort befand sich das Haus, an dem ich gerade für meine Mom arbeitete, die einige Ferienhäuser mit Seeblick hatte. Dort konnte ich wenigstens für seine Sicherheit garantieren und es wäre jemand in der Nähe, wenn ihm unweigerlich übel wurde.

»Ach ja?« Quinn klang schläfrig, aber neugierig.

»Du schläfst. Alleine.« Ich hielt meine Stimme weiterhin streng, da das bei ihm offenbar wirkte. »Morgen früh mache ich dir mein berühmtes Katerheilmittel und du wirst mir dankbar sein.«

Das hoffte ich jedenfalls. Und nüchtern konnten wir vielleicht wieder ansprechen, welche Kinks ihn interessierten. Zum Teufel damit, wie sehr ich das wollte, ihn wollte, obwohl ich auch nicht den Atem anhielt.

»Ich wäre dir dankbarer, wenn du mich ficken würdest«, verkündete Quinn, gerade als ich in meine Einfahrt einbog. Er hob die Hand und streckte sie nach mir aus, aber ich zwang mich, sowohl die Einladung zu ignorieren als auch den Schauder, den seine Berührung bei mir auslöste.

»Du bist richtig schlecht für meine guten Absichten, Doc.« Ich parkte, schaltete den Motor ab und stieg hastig aus. Ich musste ihn ins Haus und mich selbst unter eine kalte Dusche bugsieren. Ich umrundete den Pick-up und öffnete die Beifahrertür.

»Ich will jetzt nicht Dr. Strauss sein. Der ist ein Langweiler. Ich will…« Er versuchte, wieder nach mir zu greifen, und stolperte beim Herausklettern.

Das war auch besser so. Ich war vielleicht, was er jetzt gerade wollte, aber bald würde er wieder Dr. Strauss sein und ich wäre immer noch der Kerl aus der Bar mit dem klapprigen Pick-up.

»Hey. Immer langsam.« Ich stützte ihn, bevor er der Länge nach hinfallen konnte, und führte ihn in das kleine Haus.

Ich arbeitete erst seit ein, zwei Wochen daran, daher war es noch ziemlich spärlich eingerichtet. Im Eingangsbereich stand eine Kiste Wasserflaschen, die ich für einen Campingausflug gekauft hatte. Ich nahm eine Flasche für ihn heraus, bevor ich ihn in Richtung Schlafzimmer führte. »Fang jetzt an zu trinken. Ich überlasse dir das Bett, weil es näher beim Badezimmer ist, und ich habe so eine Ahnung, dass du das noch brauchen wirst.«

»Wir könnten es uns teilen.« Sein Lächeln war etwas traurig. Jepp. Die rührselige Phase war nicht mehr weit. Aber wenn ich ihn tröstete, würde das für keinen von uns gut enden.

»Nein, könnten wir nicht.«

»So ein gemeiner Daddy.« Er ließ sich auf das Bett fallen.

»Ach nein, ich bin ein netter.«

Nicht, dass ich Quinn das erzählen würde, aber Nettigkeit konnte auch ein Problem sein. Genau die jungen Kerle, die es mochten, wenn ich sie Junge nannte, und deren Dating-App-Profile verrieten, wie gerne sie einen Daddy im Schlafzimmer wollten, machten sich in der Regel rar, wenn sie entdeckten, dass ich jünger und kuscheliger war, als sie sich erhofft hatten.

»Ich will einen.« In seinem Seufzer lag so großes Verlangen, dass mir der Atem stockte. Vielleicht wäre Quinn anders als die Jungen. »Du wärst so ein guter Daddy.«

Er hatte recht, aber seine nüchterne Meinung wäre verdammt noch mal wichtiger. Ich unterdrückte mein eigenes Verlangen und kniete mich vor ihn. »Lass mich dir die Schuhe ausziehen.«

»Oh.« Er stieß einen weiteren erfreuten Laut aus, der mir direkt in den plötzlich sehr wachen Schwanz fuhr, während ich seine sehr praktischen, ärztlich getesteten Sneakers aufschnürte. »Danke, Daddy.«

»Du bringst mich noch um.« Stöhnend ließ ich den Kopf neben ihm auf das Bett sinken. Er streichelte leicht meine Haare, fuhr mit den Fingern über meine Kopfhaut. Die Berührung fühlte sich so verdammt gut an, dass ich nicht zurückweichen konnte.

»Ich will dich nicht umbringen. Ich will dich küssen. So sehr. Und…«

Mit angehaltenem Atem wartete ich darauf, dass er mich mit einer Wunschliste, mit der ich verdammt noch mal gar nichts anstellen würde, noch mehr folterte. Aber stattdessen hielt seine Hand inne und er fiel wieder schnarchend auf das Bett zurück.

»Gute Nacht, Quinn.« Ich stemmte mich vom Boden hoch, pflückte ihm die schiefe Brille vom Gesicht und deckte ihn zu. Vielleicht würde er den Gedanken morgen früh beenden. Und vielleicht würde er mir erzählen, was ihn zum Trinken getrieben hatte. Die Traurigkeit in seinen Augen war ebenso unwiderstehlich wie die versteckten Kinks, die er vielleicht hatte, und irgendetwas in mir wollte über beides weit mehr wissen, als klug wäre.

Kapitel 3

Quinn

Ich lag nicht in meinem eigenen Bett. Zum einen war da zu viel Licht. Mein Schlafzimmer hatte Verdunkelungsvorhänge – eine Nebenerscheinung der unberechenbaren Arbeitszeiten und lebenslanger Schlaflosigkeit. Aber hier drang selbst durch meine geschlossenen Augen aggressiv helles Licht ein. Und das Bett roch holzig und nicht nach dem Lavendel-Waschmittel, das ich verwendete, da Lavendel angeblich beim Schlafen half, genau wie meine teuren Vorhänge. Ha. Keins von beidem hatte bisher geholfen.

Aber ich fühlte mich zur Abwechslung einmal so, als hätte ich zu viel geschlafen anstatt zu wenig. Blinzelnd öffnete ich die Augen und versuchte, meine Situation einzuschätzen.

»Mein Kopf.« Das Sonnenlicht stach mir in die Augen, ein scharfer, sengender Schmerz im Kopf, zu dem sich ein dumpferes, aber trotzdem lautes Pochen gesellte, als ich mich aufzusetzen versuchte. Schwindel. Mir war eindeutig schwindlig. Ich rollte den Kopf. Meine Ohren schienen nicht verstopft, also war eine Allergie als Ursache eher unwahrscheinlich. Es war fast so, als hätte ich…

Einen Kater.

Oh Gott. Ich weitete schmerzhaft die Augen, als der gestrige Abend bruchstückhaft zurückkehrte.

Die Bilder.

Die erdrückende, unerträgliche Trauer.

Wie einsam meine Wohnung sich angefühlt hatte.

Die offensichtlich schlechte Entscheidung, in der RainbowTavern etwas trinken zu gehen.

Der heiße Holzfäller-Barkeeper.

Sein Geplänkel, das ebenso gute Ablenkung gewesen war wie seine vielen Muskeln.

Ich hätte mich schon daran berauschen können, ihm einfach beim Arbeiten zuzusehen. Aber ganz offensichtlich hatte ich auch etwas Stärkeres genossen. Da war etwas Süßes und Schokoladiges gewesen, extra für mich gemacht. Und…

Und an diesem Punkt wurden meine Erinnerungen unklar. Ich will dich küssen. Die Worte hatte ich ausgesprochen, aber vor wem? Offensichtlich vor jemandem, vor allem da ich jetzt in diesem seltsamen Bett lag. Hatte ich in der Bar jemanden getroffen? Ich war fast komplett angekleidet – Hose, Socken, kein Shirt, aber ich erinnerte mich vage, dass das mit Erbrechen anstatt mit Leidenschaft zu tun gehabt hatte. Nichts peinlich Klebriges in meiner Hose oder empfindlichen Intimzone. Ungeschützten Sex musste ich wahrscheinlich nicht auf meine Liste an Sünden setzen.

Aber wo zum Teufel war ich, wenn nicht zu Hause oder bei irgendeinem One-Night-Stand? Ich war verwirrt und die fehlende Brille half nicht gerade. Der Raum war genauso verschwommen wie meine Erinnerungen. Und der Schwindel blieb weiterhin ein Faktor, der mich davon abhielt, das Bett zu verlassen.

»Hallo?«, rief ich und hoffte wirklich, dass sich das nicht zu einer Szene aus einem schlechten Horrorfilm entwickeln würde.

»Du bist wach.« Eine massige Gestalt erschien in der Tür. Der Raum war leer wie das Heim eines Serienmörders, bis hin zu dem Mangel an Vorhängen, Nachttisch und anderen Möbeln abgesehen vom Bett, aber die Stimme war freundlich, nicht bedrohlich. Und vertraut.

Ich blinzelte und versuchte, meinen Blick auch ohne Brille scharf zu stellen. »Meine… äh… ich sehe dich nicht.«

»Hier. Ich hab deine Brille aufs Fensterbrett gelegt, damit sie in Sicherheit ist.« Eine große Hand setzte sie mir sanft auf, anstatt sie mir in die ausgestreckte Hand zu legen. Fürsorglich. Irgendwie fühlte sich auch die unerwartete Geste seltsam vertraut an.

Ich blinzelte wieder. Die Gläser waren sauber, nicht verwischt. Böse Kerle putzten bestimmt keine Brillen. Etwas beruhigt hob ich den Blick zu…

Dem freundlichen Barkeeper. Er war noch attraktiver als in meiner verschwommenen Erinnerung: breite Arme und dicke Schenkel und grüblerische Holzfäller-Aura mit seinem roten Bart, der abgenutzten Jeans und dem Karohemd.

»Ich weiß deinen Namen nicht mehr.« Meine Stimme kam etwas unsicher heraus, als wäre ich immer noch betrunken, aber daran war seine blendende Attraktivität schuld.

»Adam.« Etwas huschte über sein Gesicht. Vielleicht Enttäuschung. Verdammt. Warum hatte mein Gedächtnis mir ausgerechnet dieses Detail nicht geben können?

»Tut mir leid.« Ich widerstand dem Drang, mich auf das Bett zurücksinken zu lassen. Adam und all diese robusten Muskeln waren verdammt unvergesslich und er war offenbar viel freundlicher gewesen, als ich verdient hatte. Mich an seinen Namen zu erinnern, war das Mindeste, was ich hätte tun können. Und jetzt war mir noch übler. Ich rieb mir die Schläfe.

»Schon gut.« Er hielt mir eine Wasserflasche und zwei Tabletten hin, die nach Schmerzmittel aussahen. »Hier. Nimm die, bevor du aufstehst.«

»Danke.« Ich musterte die Tabletten, nicht sein Gesicht, aus Angst, ihn wieder zu enttäuschen.

»Das sind ganz normale Paracetamol. Ich kann dir die Packung zeigen.«

»Nein, ich glaube dir.« Ich schluckte sie und trank mehr von dem Wasser. Gott, war ich je so durstig gewesen?

»Vorsichtig. Du willst dich nicht noch mal erbrechen.«

»Noch mal?«, wimmerte ich. Ich musste bei dem Grund für mein fehlendes Shirt richtig geraten haben. Scham überwältigte mich. Solche Dinge tat ich nicht. Nie. Ich trank nicht. Hatte keine Filmrisse. Ging nicht mit hinreißenden Fremden nach Hause. Nur dass ich das offenbar doch getan hatte.

»Jepp.« Er nickte. »Du warst ziemlich mitgenommen. Dein Shirt auch. Aber ich hab eins, das du dir ausleihen kannst.«

Er warf mir ein schwarzes RainbowTavern-T-Shirt zu. Viel zu groß, was bei einem Mann, der wie ein Profi-Wrestler gebaut war, keine Überraschung war, aber ich zog es trotzdem an.

»Danke. Du bist sehr nett.«

»Das hast du ja schon gesagt.« Sein Lächeln war mehr als nur ein wenig angespannt.

»Tut mir leid. Ich bin dir anscheinend zur Last gefallen.« An das meiste konnte ich mich nicht erinnern, aber das bedeutete nicht, dass es nicht passiert war.

»Ach wo.« Er winkte meine Sorge ab. »Versuch, aufzustehen und ins Bad zu gehen, und ich fange mit meinem berühmten Katerfrühstück an.«

»Ich glaube wirklich nicht, dass ich etwas essen kann.«

»Kannst du doch.« Er klopfte mir auf die Schulter, seine Hand war groß und warm. »Essen wird helfen, glaub mir.«

»Na gut«, sagte ich kleinlaut. Es fühlte sich gut an, auch nur seinen schlichten Befehlen zu folgen – es brachte meine rasenden Gedanken zum Verstummen. Und es war seltsam sexy, dem schroffen Barkeeper mit meinem Gehorsam zu gefallen. Was lächerlich war. Das war nur Barmherzigkeit, nicht der Anfang von irgendetwas anderem, und ich musste mich nicht für seine Freundlichkeit revanchieren, indem ich all diesen verirrten lüsternen Ideen Platz in meinem Kopf einräumte.

Während ich versuchte, meine lästige Anziehung zu Adam beiseitezuschieben, schleppte ich mich unsicher ins nahe Badezimmer, wie er gefordert hatte. Ich nahm mir einen Moment, um mich frisch zu machen, und rieb mir mit Zahnpasta auf dem Finger über die Zähne, um etwas gegen den schrecklichen Geschmack im Mund zu tun. Sein T-Shirt war weich und roch genauso wie die Bettwäsche, irgendwie nach Berg. Vielleicht musste ich meine Waschmittelwahl überdenken, denn seines inspirierte mich weiterhin zu unangebrachten Gedanken.

Oder vielleicht war das der Mann selbst. Verdammt, warum konnte ich mich nicht erinnern, ob wir uns wirklich geküsst hatten? An den Übelkeitsteil des Abends wollte ich mich nicht unbedingt erinnern, aber mehr Details aus unserem Gespräch wären hilfreich. Und in letzter Zeit küsste ich so selten Leute, dass ich mich gern daran erinnern würde, falls ich es mit dieser perfekten Quelle für Holzfällerfantasien getan hatte.

Ich ging in den Wohnbereich des Hauses. Es war älter, vielleicht aus der Jahrhundertmitte, mit kleinen, schachtelartigen Räumen, in denen die vielen Fenster mit Blick auf den nahen See hervorstachen. Immerhin war die Lage ausgezeichnet. Das einfallende Sonnenlicht ließ meinen Kopf noch stärker pochen, aber es war nicht ein Vorhang in Sicht. An Möbeln oder Dekoration gab es auch nicht viel. Ein altes Sofa im Wohnzimmer, ein kleiner Tisch mit zusammengewürfelten Stühlen im Essbereich und dahinter eine schmale Küche, in der Adam etwas in einer Pfanne umrührte.

»Setz dich.« Er zeigte zum Tisch, wo bereits zwei Wassergläser warteten.

Mein Magen wusste nicht, wie er auf den Essensduft reagieren sollte, aber ich gehorchte. Anstatt ihn beim Kochen anzustarren, betrachtete ich die Küche, soweit ich hineinsehen konnte. Die Schränke waren wahrscheinlich noch die Originale. Auf dem älteren weißen Kühlschrank hingen Magnete von verschiedenen Spirituosenmarken und ein Foto von einem Kind im Grundschulalter, das in die Kamera strahlte.

Mein Magen protestierte erneut. »Du hast ein Kind?«

»Ha.« Er schnaubte. »Teddy ist nicht meiner, sondern der Sohn meiner Schwester. Als er klein war, habe ich bei ihnen gewohnt und ausgeholfen, aber jetzt geht meine Schwester schon seit einer Weile mit diesem Kerl aus, der einen befristeten Job in Alaska bekommen hat. Sie verbringen den Sommer dort. Sind gleich nach Schulende gefahren. Aber verdammt, ich vermisse den kleinen Kerl.«

»Ja.« Meine Brust schmerzte und ich senkte den Blick auf meine Hände, wand sie auf dem Schoß. »Das kann ich mir vorstellen. Deine Schwester hat Glück, dass sie dich hat.«

»Ach. Das gilt auch für mich. Was ist mit dir? Hast du Kinder?«, fragte er beiläufig, ohne auch nur vom Herd aufzusehen, aber ich konnte nicht antworten. Nicht einmal schlucken.

»Nicht mehr«, konnte ich schließlich murmeln.

»Oh, verdammt.« Adam erblasste und seine Sommersprossen traten hervor. »Ich hätte nicht fragen sollen. Entschuldige. Und mein aufrichtiges Beileid. Verdammt, Mann. Ich habe gedacht, du hättest eine frische Trennung hinter dir. Ich hatte ja keine Ahnung…«

Mist. Jetzt musste ich etwas sagen und die Annahme korrigieren. »Paloma ist nicht gestorben. Und es war eine Trennung. Schon vor einiger Zeit.«

»Klingt trotzdem beschissen. Sorgerecht ist kein Witz.« Er stellte einen weiteren Topf mit einem dumpfen Geräusch ab. »Meinem alten Herrn war das Besuchsrecht scheißegal. Und der Ex meiner Schwester zahlt gerade mal die Unterstützung, die er muss, aber dann hatte er doch eine verdammt starke Meinung dazu, dass sie für den Sommer nach Alaska geht.«

»Es gab keinen Sorgerechtsstreit«, sagte ich müde, denn das war etwas, über das ich mit anderen Leuten in meinem Leben immer wieder gesprochen hatte. »Wir waren nicht verheiratet. Und wie gesagt, inzwischen ist es praktisch ein alter Hut.«

»Alte Hüte können trotzdem beschissen sein«, sagte er und schüttelte den Kopf, bevor er eine erschreckende Anzahl Eier in eine Schüssel schlug. »Was hat sich gestern geändert?«

»Wer sagt, dass etwas passiert ist?« Seine Fähigkeit, meine Gedanken zu lesen, wurde langsam ein wenig unheimlich.

»Irgendetwas ist passiert, das dich zum Trinken getrieben hat. Ich würde ja wetten, dass es Stalking in den sozialen Medien war. Dieser Mist ist immer ein Fehler. Gebrochene Herzen können gutes Geschäft für die Bar bedeuten, aber es ist trotzdem eine verdammt schlechte Idee, sich das Profil eines Ex anzuschauen.«

»Ich habe mir nichts angeschaut. Eine gemeinsame…« Ich verstummte, als ich erkannte, dass ich kurz davor war, das ganze chaotische Drama zu erzählen, anstatt stumm dankbar zu sein, dass er mir Essen machte. »Du musst die unschönen Details nicht hören. Warum erzähle ich dir das alles?«

»Weil Zuhören mein Job ist.« Er sah mich an und machte eine »Nur zu«-Geste. »Rede ruhig weiter. Ich bin hier fast fertig. Du kannst dich für das Frühstück revanchieren, indem du mir deine Leidensgeschichte erzählst.«

»Leiden ist richtig.« Ich rieb mir den schmerzenden Kopf. »Wie auch immer, eine gemeinsame Bekannte hat Fotos gepostet. Ich habe niemanden gestalkt. So etwas mache ich nicht.«

Ich könnte es gar nicht. Zum einen tat es zu weh. Am Anfang hatte ich vielleicht ein wenig virtuelle Detektivarbeit betrieben, aber dann hatte ich schnell erkannt, dass dieser Weg nur zu Leid führte. Besser, so mit dem Kummer umzugehen, wie ich es ohnehin getan hatte: wegzuziehen, dieses Kapitel meines Lebens abzuschließen und nicht wieder aufzuschlagen.

»Es ist in Ordnung, auch wenn du dir das Profil angesehen hast. Ist vielleicht eine schlechte Idee, aber du darfst auch mal menschlich sein. Hier.« Er schob mir eine Tasse Kaffee und einen Teller mit einer riesigen Portion von irgendetwas mit Eiern hin.

»Was ist das?« Moment mal. Das war unhöflich. Ich holte Luft. »Entschuldige. Danke. Das sieht… speziell aus.«

»Ha. Das ist ein Omelett mit Eiern, Speck und Spaghetti. Die Nudeln sind meine Geheimzutat. Es hat genug Kohlenhydrate, um den Kater zu vertreiben, ist aber auch mild genug, dass du nicht gleich aufs Häuschen zurückrennst.«

»Aha.« Ich stupste es probeweise an. Ich war überhaupt nicht sicher, wie mein Magen reagieren würde.

»Normalerweise habe ich noch Nudeln übrig, aber diesmal hatte ich keine, darum musste ich neue kochen. Deshalb hat es länger gedauert.« Er nahm einen zweiten Teller aus dem Schrank.

»Du hast Pasta für mich gemacht?« Der Gedanke, dass er sich die zusätzliche Mühe für mich gemacht hatte, machte mich seltsam emotional. Ich war ihm bereits so zur Last gefallen. Hatte seinen Abend ruiniert. Hatte mich erbrochen. Gott wusste, was noch.

»Na ja, und für mich.« Er grinste schief, während er sich mir gegenübersetzte. Dieses Grinsen stellte gewisse Dinge mit meinem Inneren an. Ich wäre jedem Fremden dankbar für solche Freundlichkeit, aber dass er praktisch meinen Fantasien entsprungen war, machte meine aufgewühlten Gefühle noch komplexer. Die selbstverständliche Art, auf die er sich um mich kümmerte, von meiner Brille bis hin zu dem extra zubereiteten Frühstück, sprach genau die tiefen Sehnsüchte an, die ich sonst ignorieren konnte.

»Danke.« Ich aß einen kleinen Bissen, hauptsächlich aus Höflichkeit, und erkannte, dass er recht hatte. »Das ist gut. Wie Pasta Carbonara als Omelett.«

»Jepp. Hab's dir ja gesagt. Ich habe vielleicht keinen Kater, aber es schmeckt trotzdem gut. Also, erzähl mir von diesen Fotos. Ich sage dir, Trennungen waren bestimmt leichter, als Leute noch nicht jedes Detail aus ihrem Leben online geteilt haben.«

»Ja«, sagte ich und seufzte. Ich konnte ihm genauso gut erzählen, was er wissen wollte. »Das hätte auch ohne die Fotos wehgetan. Eine gemeinsame Bekannte aus meiner Zeit in Eugene ist vor Kurzem von einer Hochzeit zurückgekommen. Der Hochzeit meines Ex. Eine große, schicke Feier. Niemand hat mir davon erzählt. Keine einzige Person hat daran gedacht, es mir zu sagen.«

»Verdammt. Das ist eiskalt, Mann.« Adam sah von seinem Essen auf und schüttelte den Kopf. Seine Augen waren verblüffend blau: die frische Farbe des Crater Lake oder eines anderen Naturwunders. Aber es war das Mitgefühl darin, das mich weiterreden ließ.

»Was wirklich wehgetan hat, war, Paloma zu sehen. Sie ist jetzt so groß. So ein süßes Blumenmädchen. Sie erinnert sich bestimmt nicht an mich. Sie wird nie wissen…« Ich musste innehalten und wieder schlucken. Ich nahm einen großen Schluck Kaffee, um mich zu beruhigen.

»Vielleicht doch. Kinder sind manchmal so. Ich weiß nicht mehr, welches Hemd ich vor drei Tagen anhatte, aber ich erinnere mich immer noch an diesen einen Freund meiner Mom, der nach einer bestimmten Zigarillomarke gerochen und mir das Jagen beigebracht hat. Sie waren nicht mal zwei Jahre zusammen, aber ich erinnere mich an ihn.«

»Danke.« Es gefiel mir, wie locker Adam über sein Leben und seine Vergangenheit erzählte. Er war zweifellos ein guter Zuhörer, aber ich schätzte auch, wie bereitwillig er von sich selbst erzählte. »Aber nein, so ist es nicht. Sie war ein Baby. Ich hatte gerade meine Assistenzzeit als Arzt hinter mir und hab in der Notaufnahme in Eugene gearbeitet, in der Nähe der Universität. Nach dem Abschluss hatte ich endlich genug Raum, um an Dates zu denken. Ich habe diesen tollen Kerl getroffen…«

Adam spießte seinen nächsten Bissen ziemlich heftig auf. »Irgendetwas sagt mir, dass ich ihn am Ende dieser Geschichte gar nicht so toll finden werde.«

»Nein, das ist er wirklich. Ein brillanter Wissenschaftler. Er war Doktorand in Mikrobiologie. Wir haben uns schnell und heftig ineinander verliebt. Als wir schon einige Monate miteinander ausgingen, hat Luke herausgefunden, dass eine Kommilitonin, mit der er vor mir kurz zusammen war, schwanger war. Sie wollten nicht wieder zusammenkommen, aber er wollte eine Rolle im Leben des Babys spielen.«

»Das ist das Mindeste, was er tun konnte, sich wie ein Vater zu verhalten. Glaub mir. Wie gesagt, ich kenne auch ganz andere Männer.«

»Na ja, Luke wollte keiner von denen sein oder überhaupt abwesend. Also habe ich geholfen, wo ich konnte. Ich musste viel arbeiten, aber ich habe meine Schichten umgeordnet und mehr abends gearbeitet, damit ich tagsüber aushelfen konnte. Da sowohl Luke als auch seine Ex kurz vor der Verteidigung ihrer Dissertationen standen, mussten wir uns zu dritt arrangieren, damit immer jemand beim Baby war. Einige Wochen lang habe ich bestimmt mehr Zeit mit dem Baby verbracht als Luke.«

»Ich weiß noch, wie es war, als Teddy klein war.« Adams Miene wurde weich und die Vertrautheit darin brachte auch meinen Schmerz zurück. »Meine Schwester und ich waren wie Schichtarbeiter in einer Fabrik. Wir hatten schnelle Übergaben, aber nie genug Zeit, um wirklich stehen zu bleiben und länger zu reden.«

»Genau. Unsere Beziehung war nicht mehr idyllisch, sondern angespannt, aber so ist das nun mal bei frischen Eltern. Die Kinder kommen an erster Stelle. Dann die Beziehung. Ich dachte, früher oder später würde es sich wieder einrenken. Wir drei verstanden uns so gut, ich hätte nie gedacht…«

»Dass sie wieder zusammenkommen würden?«

»Verdammt. Du bist gut im Raten, das muss ich schon sagen.« Ich pfiff leise, bevor ich mich zwang, schnell die restliche Geschichte abzuarbeiten. »Ja, letztendlich haben sie sich ineinander verliebt. Sie hat ein prestigeträchtiges Stipendium in Barcelona bekommen und er stammt von dort. Er hat eine Post-Doc-Stelle in der Nähe gefunden und beschlossen, mit ihr zu kommen.«

»Wow. Und du hast keine Zeit mehr mit dem Kind bekommen, nehme ich an. Fuck. Das ist eiskalt.« Adams Ton hatte sich von sanft zu wütend gewandelt.

Ich war dankbar für seine Empathie, aber die Gefühle, die sie hervorrief, waren schmerzhaft und betonten jeden einzelnen Fehler, den ich dabei begangen hatte. Deshalb sprach ich fast nie über die Situation. Ich hasste es, Luke und Julia zu den Bösen zu machen, hasste meine eigene Naivität noch mehr und vor allem hasste ich es, wie stark meine Gefühle jetzt, fast zwei Jahre später, immer noch waren.

»Ja. Keine Zeit mehr mit dem Kind. Sie waren einfach weg. Ich habe gefragt, ob ich sie besuchen könnte, aber sie haben abgelehnt. Sie wollten sich auf ihre Partnerschaft konzentrieren. Wollten Paloma nicht verwirren.«

Adam runzelte die Stirn. »Babys werden nicht verwirrt. Normalerweise mögen sie es, wenn sie mit neuen Leuten spielen können. Du hättest ein Familienfreund sein können oder so.«

»Ich weiß. Das habe ich auch angeboten. Sie waren nicht interessiert. Und gestern habe ich die Hochzeitsfotos gesehen. Paloma ist jetzt so groß. Ein richtiges Mädchen, kein Baby. Sie hat sich so verändert…«

»Klingt, als würdest du sie mehr vermissen als diesen Arsch von Ex. Was auch verständlich ist.«

»Luke ist kein schlechter Mensch. Ich glaube nicht, dass er vorhatte, sich in Julia zu verlieben. Es ist einfach passiert. Und jetzt kann Paloma mit Eltern aufwachsen, die sie lieben, mit Großeltern und anderen Verwandten in der Nähe, an einem wunderschönen Ort. Es ist wahrscheinlich das Beste für sie.« Ich hatte es schon so oft gesagt, dass ich es halb glaubte, aber Adam schüttelte den Kopf, als würde er es mir nicht abkaufen.

»Und das Schlimmste für dich.« Er griff über den Tisch und legte die Hand auf meine. Mit einem mächtigen Wusch wich alle Luft aus meinen Lungen. So viel Verständnis zusammen mit dem bösen Kater war mehr, als meine kargen emotionalen Reserven vertragen konnten. Wie oft hatte ich mir insgeheim gewünscht, dass jemand mich so verteidigen würde? Dass jemand es verstand und für mich eintrat, auch wenn ich versuchte, meinen Schmerz abzutun.

»Mehr oder weniger«, flüsterte ich, ohne die Hand wegzuziehen, und ließ den Moment andauern, um die wenigen Sekunden der Berührung zu genießen, bevor er sich wieder seinem Essen zuwandte.

»Und ich bin nicht sicher, ob egoistische Eltern das Beste für irgendein Kind sind.« Er stach wieder auf sein Essen ein. »Wie auch immer, das ist beschissen, Mann. Ich verstehe, warum du gestern getrunken hast.«

»Ich hatte nichts anderes zu tun.«

»Jepp. Liebe kann das mit dir anstellen.« Er gestikulierte mit seiner Gabel. »Deshalb meide ich sie. Keine Expartner, denen ich nachweinen kann.«

»Ich weine ihm nicht nach.« Mein Kopf schmerzte wieder, so fest hatte ich die Zähne zusammengebissen.

»Das habe ich nicht gesagt«, meinte Adam nachsichtig und deutete auf mein Glas. »Trink mehr Wasser.«