Kein Bullshit - Markus Baumanns - E-Book

Kein Bullshit E-Book

Markus Baumanns

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Beschreibung

Die dritte aktualisierte Neuauflage! Seit vielen Jahren werden Managementmoden als letzte Wahrheit verkauft. Doch die Ära modischer Heilsbringer, großspuriger Versprechen und kurzfristiger Erfolgsrhetorik geht zu Ende. Gefragt ist heute, wie in Unternehmen langfristig Veränderungen gelingen können. In einer Zeit wirtschaftlicher Umbrüche, scheinbarer Komplexität und unübersehbarer Unsicherheit braucht es einen sicheren Anker, auf den Verlass ist – und nicht tausend Fähnchen im Wind. Mit dem Bullshit banaler Managerpropaganda und seichter Erfolgsratgeber lässt sich keine Zukunft gestalten! Die Autoren hinterfragen deshalb, was Manager wirklich können müssen: entscheiden, Orientierung geben, organisieren, zutrauen und wach halten. Es geht ihnen um die Rückbesinnung auf die Kernaufgaben des Managers, um die Haltung, mit der wir Unternehmen führen. "Umsatz ist kein Ziel, sondern Ergebnis wirksamen Führungshandelns", sagen die beiden und nehmen den Leser mit auf den langen, ungewöhnlichen Weg zum Erfolg.

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Seitenzahl: 232

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Markus BaumannsTorsten Schumacher

Kein Bullshit.

Was Manager heute wirklich können müssen

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass er, sofern dieses Buch externe Links enthält, diese nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung einsehen konnte. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

3. Auflage 2023

Copyright © 2014 Murmann Publishers GmbH, HamburgISBN 978-3-86774-394-5

Lektorat: Peter FelixbergerHerstellung, Umschlaggestaltung, Layout und Satz: Murmann PublishersIllustrationen: Florian Zietz, Hamburg

Besuchen Sie uns im Internet: www.murmann-verlag.deIhre Meinung zu diesem Buch interessiert uns!Zuschriften bitte an [email protected] Newsletter des Murmann Verlags können Sie anfordern [email protected]

Inhalt

Vorwort zur dritten, aktualisierten Auflage

ZUR EINFÜHRUNG: EINE BESTANDSAUFNAHME

Feurige Utopie?

Ernüchternde Realität

Drei Heilsbringer

Was nun?

Kapitel 1 | Entscheiden

1| Entscheiden in Zeiten von Unsicherheit und Krisen, oder: Vom vergeblichen Versuch, die Zukunft beherrschen zu wollen

Vom Wahnsinn der Planungsorgien

Von der Absurdität der Risikomanagementsysteme

Zwei fundamentale Umbrüche

Krisen sind gut

2| Entscheiden! Aber wie?

Benchmarks als Parameter für Entscheidungen?

Bauch- oder Kopfentscheidungen?

3 | Parameter für Entscheidungen

Der übergeordnete Zweck (»purpose«) Ihres Unternehmens

Kundenlösungen

Kunden verändern Märkte

Welche Kundenbedürfnisse erfüllen wir nicht?

Der Versuchung widerstehen

Was Kunden nicht wissen

4 | Entscheidungen revidieren

5 | Fazit

Kapitel 2 | Orientierung geben

1| Allgemeine Orientierungslosigkeit

2| Orientierung für das Unternehmen: Wo geht die Reise hin?

Zukunftsbild entwickeln

Nachhaltigkeit im Zukunftsbild

Strategische Ziele ableiten

Handlungsfelder bestimmen

Maßnahmen definieren und priorisieren

Laufendes Monitoring

Wach halten: Regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung

Bezugsrahmen für Ihre täglichen Entscheidungen

3| Orientierung für den Einzelnen: Was ist mein Beitrag?

4 | Aus Zielen wird ein Erwartungsabgleich

Drei Zutaten für einen professionellen Erwartungsabgleich

5 | Fazit

Kapitel 3 | Organisieren

1 | Die Organisation – ein notwendiges Übel

Ernüchternder Befund

2 | Der Kern des Problems oder die klassische Art, Unternehmen zu managen

Klassische Managementstrukturen sind teuer

Klassische Managementstrukturen bergen hohe Risiken

Klassische Managementstrukturen zementieren alte Denkweisen

Klassische Managementstrukturen blockieren und demotivieren

Klassische Managementstrukturen sind realitätsfern

3 | Netzwerkbasierte Organisation als Lösung?

Netzwerkorganisationen funktionieren – in Einzelfällen

Die soziale Bindekraft eines Unternehmens

4 | Wie es besser geht – Schlussfolgerungen für die Organisationsgestaltung

Matrixorganisation vermeiden – oder aber meistern

So dezentral wie möglich

Gegen aufgeblähte Unternehmenszentralen

Loslassen

Kleine Einheiten etablieren

Echte Lösungspartnerschaften aufbauen

Das Geschäft gemeinsam mit den Kunden entwickeln

Stellenbeschreibungen entsorgen

Erwartungsabgleiche statt Arbeitsverträge

Organigramme abschaffen

5 | Fazit

Kapitel 4 | Zusammenarbeiten

1 | Das Dynamogramm™

Außen- statt Innenorientierung

Dynamik statt Statik

Konnektivität statt Inseldenken

Intelligenz der vielen statt Hierarchiemonopol

Veränderungsbereitschaft statt Zementieren von Strukturen

Unternehmensleitung als Zentrum statt Herrschaftsthron

2 | Interne Monopole aufheben

Das Innovationsmonopol

Das Qualitätsmonopol

3 | Zielsysteme anpassen

4 | Leistungsbewertung kernsanieren

Das Dynamogramm stellt Zusammenarbeit in den Mittelpunkt

Leistung ist niemals eindeutig

5 | Praxis der Personalauswahl verändern

Einstellungen einstellen

Was tun?

Assessment Center sind von vorgestern

Keine Kompromisse

6 | Zusammenarbeit auch räumlich erleichtern

7 | Gute Zusammenarbeit wachhalten

Führen auf Distanz und Agilität ohne Bullshit

8 | Fazit

Kapitel 5 | Zutrauen

1| Mythos Motivation

Darreichungsformen von Motivation

Konsequenzen der Motivationsrituale

Die Belohnungsmaschinerie und ihre Folgen

Was tun?

2| Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten schaffen

Die Macht der Freiheit

Radikale Umsetzung

3| Teufelszeug Zeiterfassung

Und der Nachwuchs?

Einwände

4| Gute Führungspraxis wachhalten

Gemeinsamen Anspruch an Führung und Zusammenarbeit formulieren

Individuelle Führungsleistung einschätzen

Feedback geben und einfordern

5 | Fazit

Kapitel 6 | Verändern

1 | Warum drei von vier Transformationsvorhaben scheitern

Die Haltung entscheidet

2 | Mit-Autoren gewinnen

Einwände

Drei Reaktionen

Kosten schlechter Führung reduzieren

Ruf nach mehr Kommunikation

3 | Veränderungswillen einstellen

4 | Personelle Veränderungen

Trennungen

Ausflüchte

5 | Das eingefahrene Denken und Handeln verändern: Innovationen ermöglichen

Zum Kern vordringen

Die Mischung macht’s

Zeit

Rückmeldung

Austausch

6 | Die Spielregeln verändern: Branchenparadigmen brechen

Was tun?

Beispiele

7 | Fazit

Ausblick: Es ist machbar

Literaturverzeichnis

Danksagung

Über die Autoren

Vorwort zur dritten, aktualisierten Auflage

Seit dem Erscheinen der Erstausgabe sind zehn Jahre vergangen, in denen sich viel verändert hat. Wir haben eine weltweite Pandemie erlebt, die von einem zuvor undenkbaren Stillstand von Volkswirtschaften begleitet war. In der Folge rütteln die Möglichkeiten von remote work und Homeoffice unsere Zusammenarbeit gründlich durcheinander. Large Language Models wie Chat GPT machen greifbarer und zugleich unklarer, was Künstliche Intelligenz und sich exponentiell weiterentwickelnde Digitalisierung mit unserem Zusammenleben und Geschäftsmodellen machen könnten.

China emanzipiert sich weg von einer verlängerten Werkbank mit billigen Löhnen und Absatzmarkt Nummer eins für deutsche Technologie und Autos hin zu einem Hochtechnologieland, das Deutschland und Europa nicht mehr braucht und sich mit den USA um die Rolle als führende Wirtschaftsmacht der Welt streitet. Die russische Regierung zeigt mit ihrer Invasion in der Ukraine ihr wahres Gesicht als verbrecherischer Kriegstreiber; die wichtigste Quelle für billige Energie als wichtigsten Treibstoff der deutschen Wirtschaft ist versiegt. Der Nahe Osten als massiver Krisenherd. Der Umbau hin zu erneuerbaren Energien beschleunigt sich, begleitet von mittel- bis langfristig hohen Energiekosten. Der Wandel des Weltklimas ist durch die deutliche Zunahme von Extremwetterlagen und Feuersbrünsten mit weiteren extremen Umweltschäden unübersehbar geworden.

Flüchtlingsbewegungen von Süden nach Norden nehmen dauerhaft zu und setzen offene Gesellschaften unter Druck. Inflation und Preissteigerung verändern Konsumentengewohnheiten, was vor allem der E-Commerce schmerzlich zu spüren bekommt. Insolvenzen nehmen zu. Wir schrappen kontinuierlich an einer Rezession.

Bullshitfrei können wir feststellen, dass wir in einer Zeit eines großen Umbruchs unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaften leben. Die 2014 viel besungene VUCA World ist mit Wucht eingetreten, stärker, als wir es uns vor einem Jahrzehnt hätten ausmalen können.

Die Unsicherheit ist hoch. Das ist die beste Zeit, Neues zu gestalten und alte Zöpfe abzuschneiden.

In der Managementwelt sehen wir, dass der Zustrom an Bullshit in den vergangen zehn Jahren nicht versiegt ist. Wir nennen als Beispiel das Wort Agilität, das sich in den vergangenen Jahren zum Heilsbringer unerfüllter Träume frustrierter Manager gemausert hat. So erlebt man Geschäftsführer, die mit »agil« die Tatsache beschreiben, dass sie dasselbe wie immer tun, aber schneller, und entscheiden, aber zügiger. Damit zementieren sie dysfunktionale Abläufe und Prozesse und sind zu bequem, um an die Wurzel des Übels zu gehen und sich damit zu konfrontieren, dass das Gleiche nicht mehr gut genug sein könnte. Oder nehmen wir das allgemeine Gejammere über den Fach- und Führungskräftemangel. Bullshit. Den gibt es zwar. Aber nur für alle anderen.

Fachkräftemangel gibt es nicht. Nicht für die Besten und veränderungsbereiten Unternehmen.

Das Klagen über den Fachkräftemangel zeugt vielmehr von Denkfaulheit, mangelnder Veränderungsbereitschaft und Umsetzungsschwäche. Denn wer sagt, dass wir die Fachkraft von heute noch morgen brauchen? Vielleicht ist das, was wir heute tun, morgen nicht mehr überlebensfähig? Stattdessen brauchen wir womöglich andere Kompetenzen oder andere Teamkonstellationen, um die völlig veränderten Situationen zu gestalten, in denen sich unsere Unternehmen befinden. Im allgemeinen Gequake des Mainstreams geht dieser entscheidende Aspekt unter.

In diesem Buch geht es darum, etablierte Unternehmen angesichts der großen Veränderungen veränderungsbereit zu halten und zu den besten zu machen. Und es geht darum, Start-ups zu verhelfen, ihre Flexibilität nicht zu verlieren, wenn sie als Folge ihres schnellen Wachstums mehr Struktur brauchen. Zu unserer eigenen Verblüffung haben sich die Antwortvorschläge zu diesen wichtigen Gegenwarts- und Zukunftsfragen der Unternehmen seit Erscheinen der ersten Auflage des Buches nicht verändert. Im Gegenteil. Sie sind noch aktueller und bedeutsamer geworden.

Bei der kompletten Aktualisierung des Buches für diese dritte Auflage sind wir deshalb behutsam vorgegangen.1 So haben wir vor zehn Jahren aufgestellte – und mittlerweile eingetretene – Vorhersagen zu Entwicklungen in der Organisation von Zusammenarbeit in Unternehmen stehen gelassen: Etwa die Selbstverständlichkeit, mit der Teams heute in flexibler Zeiteinteilung aus dem Homeoffice heraus und standortübergreifend zusammenarbeiten. Oder die Ansprüche, die eine nun auf den Arbeitsmarkt kommende neue Generation an die Sinnhaftigkeit ihres Tuns stellen. Oder die Tatsache, dass Verantwortliche spüren, dass das klassische Organigramm mit dem dahinterstehenden hierarchischen Führungsverständnis ausgedient hat.

1 Wo passend, sind wir beim geschlechtsabstrahierenden generischen Maskulinum geblieben.

An passenden Stellen ergänzen wir neu entstandene Formen des Umgangs mit Unsicherheit, mit guten Modellen anderer sowie mit eigenen Vorgehensweisen und Erfahrungen, die wir im vergangenen Jahrzehnt in unserer Arbeit gemacht haben. Wir berücksichtigen Vor- und Nachteile der jüngsten Entwicklungen im Bereich people analytics, durch intelligente software-gestützte Instrumente der Personalführung, in denen wir selbst unternehmerisch unterwegs sind. Wir aktualisieren das Literaturverzeichnis mit Belegen und sorgfältig durchdachten Empfehlungen zum Weiterlesen. Diese überarbeitete Neuausgabe bildet zugleich den Auftakt für ein in 2024 erscheinendes Handbuch zum Dynamogramm™ im Murmann Verlag.

Was uns aus Sicht auf die Entwicklungen in der Unternehmenswelt in den letzten zehn Jahren besonders freut, ist die Tatsache, dass die Bedeutung von guter Zusammenarbeit und Führung endlich in den Vorstandsetagen angekommen ist. Selbst die Letzten haben erkannt, dass das Gerede von den »weichen Faktoren« Bullshit ist. Sondern dass die Frage, wie wir in unserem Unternehmen zusammenarbeiten und Führung leben, als harte Faktoren über dessen Existenz entscheidet.

Wie gut und wie richtig!

Hamburg, im Oktober 2023

Markus Baumanns und Torsten Schumacher

Zur Einführung: Eine Bestandsaufnahme

Feurige Utopie?

Am Eingang begrüßt Sie eine künstlerische Installation, mit der Sie spielerisch das Produkt des Hauses erleben. Die Wartezeit wird zur Erlebniszeit. In hellen, nach oben hin offenen Sälen sehen Sie Arbeitsgruppen an Stehtischen, die konzentriert und vom Trubel um sie herum unbeeindruckt an gemeinsamen Projekten arbeiten. In größeren, voneinander getrennten Arbeitsbereichen stehen Schreibtische einander gegenüber. Lachen und Gemurmel erfüllen die Räume. Die Wände dienen als Schreibfläche. Bunte Post-it-Felder dehnen sich auf ihnen aus, die trotz ihrer Farbenvielfalt einer Ordnung zu folgen scheinen. Dazwischen Separees mit Stehtischen, an denen kleine Teams über einer Sache brüten. Eine schallgepufferte Kabine, in der jemand telefoniert. Ein verglaster Raum, in dem gerade mit einem Kunden eine Stehung stattfindet: Einige der Teilnehmer stehen und lehnen sich an den Tisch an, andere sitzen auf den Barhockern, einer lehnt an der Wand. Eine größere Fläche in der Mitte eines Stockwerks, auf der eine Gruppe von Mitarbeitern auf Sitzsäcken mit Kaffeetassen versammelt ist und plaudert. Und ganz hinten in der Ecke ein Napping-Room, vor dessen Eingang eine Uhr hängt, die anzeigt, dass der Kollege noch fünf Minuten die Liege belegt.

Über allen Sinneseindrücken liegt eine faszinierende Atmosphäre aus Offenheit, Neugier und Konzentration. Die Menschen, denen Sie begegnen, schauen Sie offen und wach an, sie sind sichtbar neugierig und selbstbewusst. Hier entstehen neue Gedanken. Fortlaufend. Und in der Luft liegt etwas von Verbindlichkeit, eine Art Regelwerk, das alle, die Sie treffen, verinnerlicht zu haben scheinen. Sie können das nicht richtig fassen, aber Sie ahnen es. Sie haben das Gefühl, sich in einem lebendigen Organismus zu befinden, der strotzt vor Energie. Ein Organismus, der voller Überraschungen ist und trotzdem einer inneren Ordnung zu folgen scheint. Was ist das für ein Gebilde, fragen Sie sich. Wie funktioniert das? Ein Traum?

Schnitt.

Eine höfliche Empfangsdame empfängt Sie und bittet Sie einen Moment Platz zu nehmen. Sie zücken Ihr Smartphone und erledigen noch schnell ein paar Mails, um die Wartezeit zu nutzen. Ihr Gastgeber führt Sie durch dunkle gerade Flure, von denen rechts und links Türen zu Einzel- oder Zweierbüros abgehen, die offen stehen und einen kurzen Blick auf Menschen zulassen, die schweigend vor Ihren PCs sitzen und auf ihre Bildschirme starren. Die Türschilder sind mit Titeln und Hierarchiebezeichnungen bestückt. Vorbei geht es an geschlossenen Türen, hinter denen sich Konferenzräume befinden. Ein Raum ist offen, wohl eine Sitzungspause. Sie sehen eine Gruppe dunkler Anzugträger mit grauen Gesichtern, die vom langen Sitzen erschlafft sind, und mit schlechter Haltung; jeder starrt schweigend in sein Smartphone und tippt darauf herum. Ein mit Keksen und Kaffeekannen übersäter riesiger Konferenztisch, vor dem scheinbar bequeme Ledersessel stehen.

Die Wände sind akkurat mit schicken, im Firmenlogo gestalteten Plakaten bestückt. Sie lesen: »Unsere Werte: Vertrauen, Transparenz und Ergebnisorientierung.« »Unser Führungsleitbild: Wir kommunizieren zeitnah, offen und ehrlich. Wir bringen unsere Mitarbeiter zur Wirkung. Wir sind Vorbild.« Sie fühlen: austauschbares, nichtssagendes Geschwafel. Stolz berichtet Ihnen Ihr Gastgeber von dem gnadenlos ehrlichen 360°-Feedback für seine Führungskräfte, das er gerade eingeführt hat. Vom Grading System, mit dem er die Leistung der Führungskräfte endlich objektiv messbar gemacht hat. Von dem achtseitigen Fragebogen, den alle Mitarbeiter – »sogar die am Band« – alle sechs Monate ausfüllen, um differenziert zu sagen, wie Sie sich fühlen. Von den zahlreichen HR-Tools, die das Unternehmen in den letzten Jahren eingeführt hat. »Denn«, so fügt der erfahrene Manager mit bedeutungsschwangerem Augenaufschlag hinzu: »Unsere Mitarbeiter sind das wichtigste Asset, das wir haben.« Es folgen noch ein paar Plattitüden über die »Ressource Mitarbeiter«, »Führung ist alles« und so weiter und so fort. Sie denken daran, dass Assets in der Bilanz aktiviert und über die Jahre hinweg abgeschrieben werden. Und Ressourcen – klar, die werden verbraucht.

Ihr Gastgeber präsentiert Ihnen die neue Prozessorganisation, die alle Arbeitsabläufe nach einem standardisierten Verfahren dokumentiert. »Ein Team von drei Leuten hat über drei Jahre daran gearbeitet. Ausgedruckt wäre unser Prozesshandbuch tausend Seiten dick«, berichtet er stolz. Dass kein Mensch in dieses Handbuch hineinschaut, es nach drei Monaten schon überholt ist, weil sich die ersten Abläufe verändert haben, davon sagt er nichts.

Zum Schluss ihres Rundgangs erklärt Ihr Gastgeber Ihnen in entwaffnender Offenheit, dass er eines auch nicht verstehe: »Jetzt haben wir alles gemacht: Wir haben Schnittstellen bereinigt. Unser SAP-System samt CRM läuft ordentlich. Wir haben Tools eingeführt. Wir haben Unternehmenswerte erarbeitet und verkündet. Wir haben im Vorstand eine Strategie entwickelt. Und trotzdem stimmen die Zahlen nicht. Wir sind zu langsam, zu bürokratisch. Unsere letzte wirkliche Innovation liegt lange zurück. Unsere Mitarbeiter sind nicht unternehmerisch genug.«

Ernüchternde Realität

Willkommen in der Realität. So sieht es vielfach aus in unseren Unternehmen. Im besten Fall. Wir packen Menschen in Kästchen, versuchen Abläufe zu standardisieren, schreiben Prozesse mit dämlichen graphischen Darstellungen, die keiner zur Kenntnis nimmt, erfinden aufwändige Messverfahren und wundern uns, dass wir zu bürokratisch sind. Wir führen Matrixorganisationen ein und stellen fest, dass die nach innen gerichteten Organisationsdebatten von Einzelinteressen, Schuldzuweisungen und Grabenkriegen geprägt sind. Wir messen uns zu Tode mit immer kleinteiligeren Verfahren und Instrumenten, und wir sind erstaunt, dass die Kreativität auf der Strecke bleibt. Damit wir planbar und möglichst risikofrei Innovationen generieren, führen wir Innovationsabteilungen und -prozesse ein. Doch genau damit ersticken wir jede Innovation. In unserer Gier nach Sicherheit orientieren wir uns an Standards, folgen blind Zertifizierungen und normieren unsere Unternehmen bis zur Bewegungsunfähigkeit. Wir verkünden Unternehmenswerte, hängen sie in den Fluren auf und spüren dumpf, dass diese wolkigen Gebilde nicht das Papier wert sind, auf dem sie stehen. Wir beschäftigen uns mit großer Hingabe und gewaltigem Zeitaufwand mit uns selbst. Wir führen endlose Diskussionen um Zuständigkeiten, verbrennen Zeit in nutzlosen Meetings, richten den Fokus auf den eigenen Machterhalt und -ausbau und sind andererseits verblüfft, dass die Profitabilität nicht stimmt.

Es kommt hinzu, dass wir davon überzeugt sind, in einer immer komplexeren Zeit zu leben. Wir glauben, dass alles viel komplizierter sei als früher. Dass man gar nichts mehr vorhersagen könne, dass alles so unsicher sei.

Was für ein Bullshit! Als wenn die Zeit unserer Vorgänger für deren Zeitgenossen nicht komplex gewesen wäre, oder weniger unvorhersagbar oder gar sicherer!

Bei aller Dichte der Umbrüche, die wir erleben: Die Ansicht, dass heute alles größer, komplizierter, schwieriger ist, ist Ausdruck einer Mischung aus Überheblichkeit und Geschichtsvergessenheit.

Ein Mythos, mit dem wir in diesem Buch aufräumen werden.

Dennoch: Die Überforderung zahlreicher Führungskräfte ist vielfach belegt. In einer Führungsstudie der Stiftung Neue Verantwortung haben intensive Interviews mit Unternehmensvorständen, Ministern und Leitern von gemeinnützigen Organisationen zwei wesentliche Erkenntnisse gebracht. Erstens: Durch steigende Komplexität nimmt der Druck auf Entscheidungen im Führungsalltag erheblich zu. Zweitens: »Wir sind völlig überfordert.« In jedem Interviewraum war sie nach spätestens zwei Stunden mit Händen greifbar: die nackte Orientierungslosigkeit. Und das bei denjenigen, die in ihren Organisationen für Orientierung sorgen sollen! Darin liegt die eigentliche Dramatik der Situation. Und natürlich auch das: »Wir haben keine Zeit; der Tag braucht 48 Stunden, um diese Anforderungen zu bewältigen.« Keine Zeit haben. Dabei haben wir alle die gleiche Zeit zur Verfügung, es kommt nur darauf an, sie richtig einzusetzen. Wir kommen darauf zurück.

Drei Heilsbringer

Wie Ertrinkende im Meer der Ausweglosigkeit greifen wir nach jedem Strohhalm. Und natürlich sind die Heilsbringer zur Stelle. Sie haben viele Gestalten, wir erwähnen nachfolgend drei mit besonders hohem Verbreitungsgrad.

So kommen uns als erstes die Patentrezepte der herkömmlichen Managementliteratur gerade recht: »In drei Schritten zum Erfolg«, »Die 10 goldenen Regeln für Change Management«, »Erfolgsregeln im Management« – wie wohltuend klar. Scheinbar. Mit einfachen Botschaften und pseudo-wissenschaftlichen Untersuchungen lullen uns die Autoren – sogenannte Wissenschaftler, Berater, Experten – ein. Sie haben eine Anzahl von x Unternehmen über einen Zeitraum von y Jahren beobachtet und bringen daraus Erkenntnisse hervor, deren Abstraktionsgrad so hoch ist, dass sie alles und nichts bedeuten. Schon auf die Frage, wie sich der »Erfolg« der untersuchten Unternehmen bemisst, bleiben die Autoren eine differenzierte Antwort schuldig.

Deswegen helfen uns drei goldene Regeln und sechs Weisheiten nicht weiter bei der Führung von Unternehmen – auch nicht, wenn es über 25 000 Unternehmen sind, die ein Team 44 Jahre beobachtet hat, wie zuletzt zwei Manager einer internationalen Beratungsgesellschaft. Auch das ist Bullshit. Abhandlungen wie diese verkaufen ihre Leser für dumm. Jeder erfahrene Praktiker weiß, dass Rahmenbedingungen für unternehmerische Entscheidungen uneindeutiger und die Unternehmenswirklichkeit mit all ihren Unzulänglichkeiten, Reibungsverlusten und eingeprägten Verhaltensmustern komplizierter sind, als es uns diese neunmalklugen Ratschläge weismachen wollen.

Patentrezepte sind pseudowissenschaftlich legitimierte Gehirnverseuchung.

Ein weiterer Heilsbringer sind Vergleiche mit anderen Unternehmen in vermeintlich vergleichbarer Situation. »Benchmarking« heißt das im Managementdeutsch. Solche Vergleiche sollen das Gefühl geben, dass wir auf dem richtigen Weg sind. »Wenn die das auch so machen, wird es schon stimmen.« Oder: »Die machen das so und haben Erfolg. Das sollten wir auch so machen.« Auch hier: Bullshit. Denn für die vor mir liegende Entscheidung hilft mir das nicht. Im Gegenteil: Oftmals führen solche Vergleiche in die Irre. Im dringenden Wunsch nach schnellen und einfachen Antworten nehmen wir das Naheliegende als 1 : 1-Blaupause. Wer von uns kennt nicht die endlosen Ausführungen von Beiräten und Aufsichtsräten aus vergangenen – natürlich stets erfolgreichen – Entscheidungssituationen und Projekten, die belegen sollen, warum dieser oder jener Weg, den das Unternehmen jetzt gehen will, aufgrund der eigenen Erfahrung nicht funktionieren kann; oder warum wir es jetzt genau so wieder machen müssen wie damals. Jeder im Raum hört respektvoll zu, fühlt aber insgeheim, dass die Situation, vor der wir jetzt stehen, die Branche, die Zeit und die Rahmenbedingungen ganz andere sind. Und: Wir haben alle Hände voll zu tun, zu erklären, warum dies oder jenes nicht verglichen werden kann, und sind am Ende so klug wie zuvor.

In der Unternehmenswirklichkeit sind Entscheidungen immer einzigartig. Es ist eine Entscheidung in einem einzigartigen Moment, unter einzigartigen Bedingungen und Konstellationen mit einer einzigartigen Fragestellung, die es genauso noch nicht gegeben hat. In einem Unternehmen mit einer einzigartigen Entwicklungsgeschichte. Mit Akteuren vor und hinter den Entscheidungen, die einzigartige Menschen mit ihrer einzigartigen persönlichen und beruflichen Entwicklung sind. Geld und Zeit für die Erstellung von Benchmarks sind rausgeschmissen.

Entscheidungen treffen wir unter einzigartigen Bedingungen ohne Blaupausen. Immer.

Der dritte Heilsbringer ist der teuerste: große Beratungsgesellschaften. Wer kennt nicht das Gefühl, das sich einstellt, nachdem die Berater weg sind? Wie nach einem zerstörerischen Orkan ist der Boden übersäht mit Trümmerteilen und Scherben, die bei jedem Schritt knirschen. Mühsam bahnt man sich einen Weg durch die Trümmer, die die Berater hinterlassen haben. Zu fünft waren die Juniorberater da, sechs Monate lang, vier Tage in der Woche. Sie haben sich im Kontrollraum eingeschlossen, immer mal wieder mit diesem und jenem gesprochen, um dann wie Kai aus der Kiste ihr Konzept in einer großen Abschlusspräsentation vor dem versammelten Vorstand zu ziehen. Und dann geht sie los, die Power Point-Schlacht mit 80 Folien, von denen die ersten zehn die großen Erfolge der Beratungsgesellschaft bei anderen Unternehmen unterstreichen und mithin mehrfach erfolgreich erprobt wurden. »Hoffentlich hat das Backoffice daran gedacht, das richtige Kundenlogo einzusetzen«, denkt sich der Partner, der seit dem Vertragsabschluss mit dem Kunden das Haus zum ersten Mal wieder betritt. Dann folgen 30 Seiten Benchmarking, die der Berater so schon 1 : 1 bei zahlreichen anderen Firmen einsetzen konnte. Auf den vorletzten 25 Seiten folgt das Konzept dafür, wie die Strukturkosten am besten zu senken sind. In eingeübter Dramaturgie erklärt der Partner, dass das Einsparziel nach diesem Konzept sogar deutlich übertroffen wird: Statt der zwölf Millionen Euro könne das Unternehmen 18 Millionen Euro einsparen. Es müsse nur der Empfehlung folgen und in allen Bereichen 20 Prozent kürzen: Vertrieb, Marketing, Verwaltung und Produktion. Auf den letzten fünfzehn Seiten folgt ein Feedback über den Zustand des Unternehmens aus der Feder der neunmalklugen Juniorberater, die im besten Fall drei Jahre dabei sind und natürlich noch nie, auch nicht ansatzweise, irgendeine Form von unternehmerischer Verantwortung hatten. Das Unternehmen sei »zu bürokratisch«, »zu innovationsfeindlich«, die Schnittstellen in den Abläufen seien »unklar«. »Daher empfehlen wir dringend eine Restrukturierung. Das Angebot dafür schicken wir gerne nächste Woche zu.«

Es ist ein reales Beispiel. Bullshit.

Was nun?

Wir spüren dumpf: Irgendetwas stimmt nicht in unseren Unternehmen. Und die Heilsbringer taugen auch nichts. Hier liegt nicht die Lösung. Aber wo liegt sie dann? Gibt es einen gangbaren Weg hin zu dem eingangs skizzierten Unternehmen? Oder bleibt es doch Utopie?

Dies ist unsere Kernfrage:

Wie wird aus der unbeweglichen Bürokratie, die sich vorwiegend mit sich selbst beschäftigt, wieder ein lebendiger, vor Kraft strotzender Organismus?

Wir gehen davon aus, dass das eingangs geschilderte Unternehmen realisierbar ist, in jeder Branche, (fast) egal bis zu welcher Größe des Unternehmens. Der Weg dorthin ist nicht einfach – so wenig, wie es simple Lösungen gibt – aber machbar. Hierzu entfalten wir praxistaugliche Lösungswege.

Dieses Buch handelt nicht von einfachen Lösungen und eindeutigen Antworten, sondern von der Wirklichkeit. Es beschäftigt sich beim Herausarbeiten guter Unternehmensführung mit dem Ringen um die jeweils beste Lösung unter Abwägung der bestehenden Handlungsalternativen. Wir helfen Ihnen, die richtigen Fragen zu stellen, statt allgemeingültige Antworten vorzugeben. Wir ermutigen zum eigenständigen Urteil bei der Abwägung von Handlungsalternativen und geben Ihnen Handlungsgerüste für die Führung Ihrer Unternehmen beziehungsweise Verantwortungsbereiche an die Hand.

Unser Buch ist nach den sechs aus unserer Sicht wichtigsten Handlungsfeldern erfolgreicher Unternehmensführung gegliedert:

Entscheiden

Im ersten Teil zeigen wir auf, dass die gängigen Parameter, nach denen wir Entscheidungen treffen (wenn wir es überhaupt tun), in die Irre führen. Lassen Sie sich nicht leiten von den Zahlenfriedhöfen der Planungsorgien, den Prognosen sogenannter Experten oder nichtssagenden Benchmarking-Analysen. Es gibt nur einen legitimen Parameter für Ihre Entscheidungen.

Orientierung geben

Besonders anspruchsvoll sind Entscheidungen, die die mittel- bis langfristige Ausrichtung Ihres Unternehmens betreffen. Wo geht die Reise hin, wenn wir über den Tellerrand des Tagesgeschäftes hinausblicken? Der Durst nach dieser Art von Orientierung ist in den allermeisten Unternehmen mit Händen greifbar; vor allem bei den besonders leistungsbereiten und -fähigen Menschen in Ihrem Unternehmen – sie lechzen danach. Daher legen wir im zweiten Teil ein praxiserprobtes Gerüst vor, an dem Sie Ihre längerfristig wirkenden Entscheidungen spiegeln können.

Organisieren

Es stellt sich drittens die Frage, wie die Organisation beschaffen sein muss, damit sie Ihre geschäftlichen Ziele bestmöglich unterstützt. Wie gelingt Ihnen der Balanceakt zwischen Freiraum auf der einen und einem notwendigen Maß an Regeln und Leitplanken, die jede Organisation braucht, auf der anderen Seite? Wir entwickeln Vorschläge, wie zukunftsfähige Organisationsgestaltung aussieht. Dabei entsorgen wir das Organigramm. Es hat gute Dienste geleistet in einer Zeit, in der es primär darum ging, arbeitsteilige Massenprozesse effizient zu organisieren. Heute wirken sie wie ein einziger Anachronismus. An ihre Stelle setzen wir das »Dynamogramm«. Es ersetzt die starren hierarchieorientierten Organigramme mit den blödsinnigen Kästchen. Es ist Abbild eines lebendigen Organismus, der fortlaufend veränderungsfähig und -bereit ist.

Zusammenarbeiten

Dieser lebendige Organismus zieht seine Vitalität wesentlich aus der Qualität der Zusammenarbeit. Übergreifende Zusammenarbeit nach innen zu ermöglichen, gehört zu den wichtigsten Führungsaufgaben überhaupt. Was das Dynamogramm symbolhaft abbildet, zieht weitreichende Konsequenzen nach sich. Zusammenarbeit stärken heißt zunächst, die internen Monopole aufzulösen. Das heißt, dass Sie Ihre Abteilungen für Innovation und Qualitätsmanagement abschaffen. Überdies: Bewerten Sie die Leistung jedes Einzelnen – wenn sie überhaupt isoliert werden kann – primär danach, welche Beiträge derjenige zur Zusammenarbeit geleistet hat. Passen Sie die Ziele entsprechend an. Der wichtigste Hebel zur Stärkung der Zusammenarbeit liegt schließlich in einer Personalauswahl, die hierauf ihren Schwerpunkt legt. Wir werden aufzeigen, dass Sie hierfür die gängige Praxis der Personalauswahl auf den Kopf stellen müssen.

Zutrauen

Im fünften Teil geht es um die Menschen innerhalb der Organisation. Wir werden aufzeigen, wie schädlich die gängigen Motivationsanstrengungen, Belohnungsrituale und Schemata der Leistungsbewertung sind. Sie gehen, unterstützt durch eine Fülle schwachsinniger personalwirtschaftlicher Instrumente, vom Mitarbeiter als unmündigen Idioten aus, der nicht selbstverantwortlich zu handeln in der Lage ist. Wir sehen das entschieden anders. Allerdings: Kosmetik hilft nicht weiter. Wir müssen die gängige Führungspraxis radikal verändern. In diesem Teil wollen wir zeigen, wie das funktioniert. Wie Sie die Selbstverantwortung jedes Einzelnen in der Organisation stärken.

Verändern

Warum scheitern drei von vier Veränderungsvorhaben? Wir gehen im abschließenden Teil der wesentlichen Ursache hierfür auf den Grund und zeigen auf, wie es gelingt, eine Unternehmensorganisation als lebendigen Organismus zu gestalten: Dauerhaft veränderungsbereit und -fähig, mit wachem Blick für das Machbare und gleichzeitig mit klarem Kurs.

Kapitel 1 | Entscheiden

1| Entscheiden in Zeiten von Unsicherheit und Krisen, oder: Vom vergeblichen Versuch, die Zukunft beherrschen zu wollen

Die ersten 20 Jahre des 21. Jahrhunderts erleben wir als Umbruchphase in jeder Hinsicht: geopolitisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich und technologisch. Wir fühlen uns als hilfloser Beobachter, der in den verhängnisvollen Lauf der Dinge nicht eingreifen kann. Vor diesem Hintergrund begreifen Führungskräfte unsere Zeit als unübersichtlicher als je zuvor und sich selbst als überfordert. Wir fühlen uns ausgeliefert.

Entscheidungen zu treffen, scheint angesichts der vielen Ungewissheiten schwieriger als je zuvor. Die amerikanische Glücksforscherin Carol Graham zeigt, dass dem Menschen nichts so viel Unglück bereitet wie eine ungewisse Zukunft. Ein Mensch, dem der Arm abgenommen wird, ist statistisch nach kurzer Zeit wieder so glücklich wie vor der Amputation. Ein Mensch, der in Unsicherheit leben muss, dass eine Amputation folgen könnte, verfällt nach kurzer Zeit in eine Depression.

Reflexhaft reagieren wir deshalb auf die Unsicherheit mit dem Verlangen, die Zukunft berechenbarer zu machen. Wir klammern uns an Expertenmeinungen und Prognosen – um dann erkennen zu müssen, dass Prognosen keine Bedeutung haben. Das gilt für Wahlprognosen ebenso wie für gesamtwirtschaftliche Prognosen. Jeder weiß, dass sie nur in halbwegs stabilem makroökonomischen Umfeld Aussagekraft haben. Sie berechnen – nomen est omen – nicht das Unberechenbare und unterstellen zum Beispiel, dass der Konsument oder Kunde am Markt ausschließlich rational agiert. Sie nutzen die Daten und Erfahrungen der Vergangenheit, um die Zukunft vorherzusagen. Wer glaubt ernsthaft, dass die Frühjahrs- und Herbstgutachten der sogenannten »unabhängigen« Wirtschaftsinstitute nicht minutiös untereinander abgestimmt sind, bevor sie bedeutungsschwanger verkündet werden? Die Unabhängigkeit der Institute ist eine Suggestion, die verdeckt, dass die Experten genauso wie alle anderen auch im Dunkeln stochern. Die Feststellung, dass keiner der sogenannten Experten die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 oder den Ukrainekrieg Russlands vorhersagen konnte, mag frustrierend sein. Verwunderlich ist sie nicht. Philip Tetlock, Professor in Berkeley, hat seit 2003 insgesamt 82 000 Vorhersagen von knapp 300 Experten über einen Zeitraum von zehn Jahren ausgewertet. Das ernüchternde Resultat: Die Prognosen trafen kaum häufiger zu, als wenn man einen Zufallsgenerator befragt hätte. Als besonders schlechte Prognostiker erwiesen sich ausgerechnet die Experten mit der stärksten Medienaufmerksamkeit, insbesondere die Propheten des Untergangs. Es gilt das alte Wort des Ökonomen John Kenneth Galbraith: »Es gibt zwei Arten von Leuten, die die Zukunft vorhersagen: Jene, die nichts wissen, und jene, die nicht wissen, dass sie nichts wissen.« Letztere sind die Experten.

Kaufen Sie sich einen Zufallsgenerator. Er ist wesentlich günstiger, als Prognosen in Auftrag zu geben.

Das Versagen der Wirtschaftswissenschaften und der Business Schools der letzten Jahrzehnte in der Ausbildung derjenigen, die Kapitalmarkt- und andere hausgemachte Krisen mit zu verantworten haben, hat dazu geführt, dass Heerscharen von Lemmingen im Mainstream unterwegs sind.