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Veränderung gelingt nur, wenn Menschen zugehört wird – und, wenn ihnen anstehende Veränderungen als Geschichte erzählt werden. Tobias Grewe beleuchtet das Potenzial von Storylistening und Storytelling als unverzichtbare Instrumente einer empathischen Führungskultur, insbesondere in Situationen, in denen Wandel auf Widerstand trifft. Sein Ansatz macht deutlich, dass Zuhören und Erzählen keine "weichen Faktoren", sondern Kernaufgaben moderner Führung sind. Sein Buch vermittelt praxisnahe Impulse zum Aufbau narrativer Kompetenzen und zur Schaffung von Räumen für offene Kommunikation im Wandel. Anhand anschaulicher Fallbeispiele zeigt er nicht nur die Vorteile für Organisationen, sondern auch den direkten Mehrwert für Mitarbeitende auf. Dabei beschreibt er detailliert die eingesetzten Methoden – vom Setting über Ablauf bis hin zum Zweck. Inhalte: - Storylistening & Storytelling – Schlüsselkompetenzen für Führung - Storylistening: Erzählräume schaffen - Storytelling: Warum Führung im Change Geschichten braucht - Narrative Interventionen: Beispiele aus der Praxis
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Veröffentlichungsjahr: 2025
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ISBN 978-3-648-19001-2
Bestell-Nr. 12232-0001
ePub:
ISBN 978-3-648-19002-9
Bestell-Nr. 12232-0100
ePDF:
ISBN 978-3-648-19003-6
Bestell-Nr. 12232-0150
Tobias Grewe
Kein Change ohne Story!
1. Auflage, Oktober 2025
© 2025 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG
Munzinger Str. 9, 79111 Freiburg
www.haufe.de | [email protected]
Produktmanagement: Mirjam Gabler
Lektorat: Juliane Sowah
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Zu Beginn meines ersten Fachbuches möchte ich direkt eine Story erzählen, die ich dieses Jahr erlebt habe und die mich zu dem Bild auf dem Titel dieses Buches inspiriert hat. Es ist eine Geschichte über Vertrauen, Perspektiven und Co-Kreation.
Es gibt Momente, die bleiben. Nicht, weil sie laut sind – sondern, weil sie etwas in uns berühren. Ein solcher Moment war für mich ein Abend Ende März 2025 in Terrassa bei Barcelona, wo ich einen internationalen Führungskräfte-Workshop moderierte und im Rahmen des Abendprogramms vom Inhaber eingeladen war, einem Training der Minyons de Terrassa beizuwohnen. Das ist eine sogenannte Castellers-Gruppe, die Menschentürme baut, die in Katalonien castells genannt werden. Was ich dort erlebte, hat mich tief berührt, denn diese Menschentürme sind ein Symbol dafür, wie Erfahrung, Kommunikation, Verständnis und Verständigung im Zusammenspiel wirken, um im wahrsten Sinne des Wortes etwas aufzubauen. Genau die Aspekte, die so wichtig sind, damit Veränderung gelingt. Diese Türme entstehen nicht durch Lautstärke, Hierarchie oder heroische Einzelakte. Sie entstehen durch stilles Vertrauen. Durch achtsames Zuhören. Durch präzise Koordination, durch das Einbringen unterschiedlicher Erfahrungen – und durch das Wissen:
Niemand steht oben, wenn nicht viele bereit sind, unten zu tragen.
Der Aufbau dieser Menschentürme folgt in aller Stille einem festen System. Es gibt eine Basis, sie trägt das Gewicht. Hier stehen Erfahrung, Stabilität, Verlässlichkeit. Der Mittelteil lebt von Koordination und gegenseitigem Vertrauen. An der Spitze stehen – im wahrsten Sinn des Wortes – die Jüngsten. Sie bilden mit Leichtigkeit und Mut den Abschluss. Aber nur, weil andere sie stützen. Auf Basis dieser Impressionen entstand in enger Abstimmung mit dem Haufe-Verlag das Konzept für mein Buchcover. Die Kreativen in der Marketingabteilung haben ein synonymes Bild aus Spielfiguren gefunden. Denn ich möchte mir für die Inhalte in diesem Buch nichts aneignen, was sich kulturell über Jahrhunderte entwickelt hat. Aber ich möchte euch die Geschichte erzählen, wie es zu diesem Titel gekommen ist und wozu die Erfahrung in Terrassa inspiriert hat: Die oberste Person mit der Flüstertüte steht für das Storytelling – sichtbar, sprechend, richtungsgebend. Doch ohne all die anderen hätte sie nicht die weitreichende Sichtbarkeit und auch nicht die Tragfähigkeit. Und damit sind wir auch schon beim Thema. Das, was gesendet wird, braucht Tragfähigkeit. Das heißt, es wird von anderen getragen. Warum? Sie wissen, was die Person ganz oben erzählt, haben es mitentwickelt und ihre Gedanken mit hineingelegt. Diese Tragfähigkeit entsteht durch Menschen, die zuhören, sich synchronisieren, einander Raum geben. So entsteht Vertrauen und alle können gemeinsam ein tragfähiges Fundament bauen. Dieses Bild symbolisiert für mich, worum es in diesem Buch geht:
um die verbindende und aufbauende Kraft des Zuhörens,
um das Erzählen als Akt der Verbindung,
um Führung, die nicht vorgibt – sondern mit ihrer Erfahrung einlädt, koordiniert und Resonanz ermöglicht,
um Storys, die durch gemeinsames Reflektieren und Co-Kreieren entstehen und dann mit einer Stimme eine Botschaft senden.
Ein herzlicher Dank geht an Dr. Gunther Wobser, in dessen Auftrag ich die Castell-Begegnung erleben durfte – eine Begegnung mit großer Symbolkraft sowohl für die Erfahrungen und Perspektiven als auch für die Anwendungsfälle, die ich in diesem Buch teile. Im Rahmen dieses Buches möchte ich insbesondere meinen Co-Autor:innen danken – Kund:innen und erfahrene Kolleg:innen, für die oder mit denen ich die beschriebenen Aufträge in diesem Buch beraten und begleitet habe. Diese Praxisfälle nenne ich in diesem Buch neudeutsch Cases. Der beschriebene Case von Christine Erlach und Michael Müller bildet eine Ausnahme: Ich habe nicht direkt daran mitgearbeitet – allerdings haben wir für denselben Kunden an einem anderen Projekt zusammengearbeitet. Ich lege großen Wert darauf, dass die Beispiele in diesem Buch reale Prozesse abbilden – und euch hoffentlich einen Einblick geben, wie Storylistening und Storytelling als Instrumente in Transformations- und Change-Prozessen wirken – und damit empathische Führung unterstützen, wenn nicht erst ermöglichen.
Daher an dieser Stelle ein herzlicher Dank an Christine Erlach. Sie gilt als wahre Wegbereiterin der narrativen Arbeit im Unternehmenskontext. Als Gründerin von Narrata Consult und Pionierin der ersten Stunde erkannte sie bereits in den 1990er-Jahren, wie wertvoll es ist, verborgene Erfahrungen und Wissen in Organisationen durch Geschichten ans Licht zu heben. Sie selbst sagt: »Es steckt so viel Weisheit, Erfahrung und tiefes Wissen in jedem Einzelnen, dass es eine wahre Wonne ist, diese Wissensschätze gemeinsam zu heben und mit anderen zu teilen!« (vgl. narrata.de, 2025). Diese Haltung des einfühlsamen Zuhörens hat mein Denken und Arbeiten geprägt. Mit zahlreichen Publikationen und als Mitinitiatorin einer universitären Weiterbildung zur Narrativen Organisationsberatung hat Christine unzählige Menschen für Storytelling begeistert und gezeigt, dass in jeder erzählten Erfahrung ein Schatz liegt. Für mich war diese Weiterbildung ein echter Gamechanger. Christines Leidenschaft und ihr Glauben an die Kraft der Geschichten ziehen sich inspirierend wie ein roter Faden durch dieses Buch.
Mein großer Dank gilt auch Prof. Dr. Michael Müller, der gemeinsam mit Christine Erlach maßgeblich die Grundlagen für narratives Arbeiten in Organisationen geschaffen hat. Er zählt seit Jahren zu den führenden Experten für Storytelling und narrationsbasierte Veränderungsprozesse. Als Medien- und Narrationsforscher, Organisationsberater, Coach und Autor verbindet er Theorie und Praxis auf einzigartige Weise. Seine Bücher über narrative Ansätze gelten heute als Grundlagenwerke einer wachsenden Beratungs-Community. Zudem gründete er das Institut für Angewandte Narrationsforschung (IANA), um die Macht von Geschichten wissenschaftlich zu ergründen und praktisch nutzbar zu machen. Michaels großes Erfahrungswissen war und ist richtungsweisend für mich und meine Arbeit. Er hat mir gezeigt, wie wir Organisationen helfen können, durch Geschichten Change-Prozesse und Zusammenarbeit fruchtbar zu gestalten – seine Mischung aus Forschergeist und Erzählleidenschaft hat dieses Buch maßgeblich geprägt. Christine und Michael sind für mich wie geistige Eltern – für das Lernen und Arbeiten in der Narrativen Organisationsberatung. Die von ihnen ins Leben gerufene gleichnamige zertifizierte Weiterbildung war für mich das fehlende Scharnier zwischen zwanzig Jahren Kommunikationspraxis und meiner systemischen Arbeit in Veränderungsprozessen. Durch sie habe ich gelernt, wie mit Storylistening verborgene Erfahrungen in Unternehmen sichtbar gemacht und wie mit Storytelling gemeinsame Bedeutungen co-kreiert werden können. Sie haben mir gezeigt, wie narrative Methoden nicht nur analysieren, sondern auch verbinden: zwischen Wahrnehmung und Struktur, Emotion und Strategie. Vieles von dem, was ich heute weitergebe und einsetze, hat hier seinen Ursprung.
Den nächsten herzlichen Dank richte ich an Frank Behrendt – inzwischen ein langjähriger Weggefährte. Kennengelernt in der Zusammenarbeit bei Serviceplan, ist Frank für mich ein unerschöpflicher Quell der Inspiration. In diesem Buch geht es viel um Multiperspektivität – eine Führungsprämisse, die in komplexen Situationen essenziell ist. Frank ist Multiperspektivität in Person: ehemaliger CEO, Bestseller-Autor, PR-Profi, Kommunikationsexperte, Vater – und vor allem ein Mensch, der Menschen liebt. Seine Fähigkeit, durch unterschiedlichste Brillen gleichzeitig zu blicken, hat mich stets beeindruckt. In seinem Gastbeitrag »Die Macht der Worte« beleuchtet Frank eindrucksvoll, wie Sprache in Veränderungsprozessen wirkt – und was es bedeutet, mit Haltung und Klarheit zu kommunizieren. Seine zehn Prinzipien und zehn Lieblingsworte, wenn in Veränderungen kommuniziert wird, sind für dieses Buch ein große Bereicherung.
Ein besonderer Dank gilt auch Christiane Windhausen, die mich gelehrt hat, wie wichtig echte Dialoge und emotionale Klarheit für gemeinsames Wachstum sind. Als erfahrene Diplom-Psychologin, systemische Coachin und Ausbilderin verbindet sie Tiefgang mit Menschlichkeit – bei ihr beginnt Führung immer bei der eigenen Person. Christiane zeigt, dass das Verstehen der »Logik der Gefühle« und der achtsame Umgang damit eine neue Beziehungsqualität ermöglichen – zu sich selbst und zu anderen (vgl. Windhausen/Reifferscheidt, 2012). Mit ihrem Brave Dialog Process® fördert sie mutige Gespräche über Hierarchiegrenzen hinweg und schafft Vertrauen, wo zuvor Barrieren waren. Das Konzept entstand im Rahmen der Cultural Journey – einer groß angelegten Transformationsinititative der Unternehmenskultur bei der Lufthansa Group. Ich hatte die Ehre, diesen Prozess als Teil des Kernteams mitzubegleiten. Unsere gemeinsame Arbeit hat eindrucksvoll gezeigt, welch starken Einfluss es auf die Kultur hat, wenn Führungskräfte lernen, sich selbst zuzuhören – also ihre eigenen Emotionen überhaupt wahrzunehmen, um bewusst mit ihnen umgehen zu können, statt sich von ihnen steuern zu lassen. Eine Grundvoraussetzung für gute Führung. Ein herzlicher Dank gilt in diesem Zusammenhang Jürgen Siebenrock, Head of Culture & Top Executives Programs, Lufthansa Group, der Christiane und mir die Möglichkeit gegeben hat, diesen inspirierenden Case in diesem Buch zu teilen. Ein weiterer Dank geht an Larissa Armstrong, die als Strategy Lead, Cultural Journey, Lufthansa Group, maßgeblich die Platzierung des Brave Dialog als festes Instrument in der Kulturarbeit unterstützt hat. Mein Dank geht ebenso an Sabine Curtius, Senior Transformation Expert und Lead Facilitator BRAVE DIALOG PROCESS®, Lufthansa Systems. Als echtes Role Model hat sie mit ihrer Unermüdlichkeit und spürbaren Leidenschaft die Begeisterung für dieses Format in der gesamten Lufthansa Group entfacht – und damit Führung wieder zum Dialog gemacht.
Für mich war klar: Dieses Konzept gehört in dieses Buch. Denn mutige Dialoge sind der Schlüssel, um Kommunikation in Unternehmen wieder menschlich zu gestalten – jenseits von angenehmen oder unangenehmen Botschaften.
Mit einer besonders unangenehmen Botschaft hatte Oliver Gödde zu tun, geschäftsführender Inhaber der Gödde GmbH. Mit ihm durfte ich einen der intensivsten Change-Prozesse der letzten Jahre begleiten. In einem Moment unternehmerischer Verantwortung, der alles andere als leicht war, hat er Haltung bewiesen. Mit viel Mut und Weitblick hat er den Weg gewählt, die notwendige Auflösung einer Abteilung nicht nur strategisch umzusetzen, sondern menschlich zu gestalten – getragen von Empathie, Reflexion und einem starken Führungskreis. Dass ich diesen Prozess mitgehen durfte, in dem Storylistening und Storytelling nicht nur Methode, sondern Haltung wurden, erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. Es war Oliver Gödde, der gesagt hat: »Wir sind Göddianer – wir lassen niemanden im Regen stehen.« Diese Haltung hat uns durch den gesamten Prozess getragen – und sie spiegelt sich in vielem wider, was ich in diesem Buch teile.
Mein nächster Dank geht an Stefan Lange von MTU Aero Engines AG sowie an meine Kollegin Prof. Dr. Karin Thier. Stefan ist für Standortausbau und Bauprojektmanagement verantwortlich und hat Karin und mir mit viel Experimentierfreude ein Projekt anvertraut, um Change mit Storytelling vorzuerleben, also bevor er passiert. Mehr dazu erfahrt ihr in Kapitel 6.2. Karin als promovierte Medienpädagogin und Autorin ist Pionierin zu »Storytelling in Unternehmen«. Sie gründete gemeinsam mit Christine Erlach das Beratungsnetzwerk Narrata Consult und entdeckt seit den 1990er-Jahren das Potenzial von Geschichten für Change-, Marken-, Projekt- und Wissensmanagement. Das gemeinsame Projekt für die Abteilung Standortausbau und Bauprojektmanagement der MTU Aero Engines AG erforderte aufgrund seines Experimentier- und Pioniergeists viel Vertrauen in mich als Facilitator und Berater dieses narrativen Prozesses. Dafür möchte ich mich einfach nur bedanken.
Ein herzlicher Dank an Dr. Klaus Geissdörfer, CEO der ebm-papst Gruppe, dass ich mit dem ebm-papst-Case in diesem Buch zeigen darf, wie Storytelling mit den richtigen Geschichten weltweit wirkt. An dieser Stelle ein herzlicher Dank für die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen von ebm-papst in den Regionen APAC, USA und Europa: Thomas Nürnberger, CSO und CEO Air Technology APAC, Raymond Engelbrecht, seinerzeit CCO Air Technology Europe, und Mark Shiring, CEO Air Technology Americas, sowie Sarah Worden, Vice President Human Resources für die Region Americas, für diesen vertrauensvollen, co-kreativen Prozess. Ein besonderer Dank gilt Hauke Hannig, VP Communications & Global Affairs, der mir mit Rat und Tat zur Seite stand – sowohl bei der Abstimmung des Praxisfalls in diesem Buch als auch mit wertvollen Impulsen für diesen Case.
Hier möchte ich mit einem besonders herzlichen Dank an meine Kollegin Pivi Scamperle anknüpfen. Wir haben viele Projekte bei ebm-papst und anderen Kund:innen gestemmt, in denen wir ihre langjährige Change- und meine Storylistening- und Storytelling-Erfahrungen verbunden und für eine gelungene interne Kommunikation als Teil von Organisationsentwicklungsprozessen mitgedacht und integriert haben, damit Veränderungsvorhaben gelingen. In Kapitel 4.2 teile ich die gemeinsamen Erfahrungen mit ihr zu einem globalen Projekt bei der Hirschvogel Group. Für mich ist dieser Case ein Beispiel par excellence dafür, wie viel Unterschied es macht, wenn ein Führungsteam die Change-Story in Co-Kreation entwickelt. Mein Dank gilt in diesem Zusammenhang auch Jörg Ringmeir, Global Head of IT der Hirschvogel Group, der sich in diesem Prozess selbst als »Global Head of Story« verstand und gemeinsam mit seinem Team, mit Pivi und mir ganz im Sinne meines Mottos »Trust the Process« auf die co-kreative Reise gegangen ist.
Ich wünsche euch eine inspirierende Lektüre. Und einen kleinen Perspektivwechsel – vom Erzählen zum Zuhören. Und zurück.
Tobias Grewe
Köln und Lanzarote, Juli 2025
Wie ich das Zuhören neu gelernt habe – und warum es heute mein Beruf ist
Wenn mich vor acht Jahren jemand gefragt hätte, ob ich einmal große Veränderungsprozesse in Unternehmen begleiten und Führungskräfte beraten würde, hätte ich vermutlich gelacht. Warum? Weil ich selbst immer Angst vor Veränderungen hatte und am liebsten die hundertprozentige Kontrolle darüber behalten wollte, was als Nächstes passiert.
Ich bin im ländlich geprägten Sauerland aufgewachsen und habe – wie es in meinem Umfeld üblich war – BWL studiert, um eine »solide Basis« für meine Zukunft zu haben. Kreativität war zwar schon immer eines meiner Talente und Leidenschaften, aber sie galt in meiner Sozialisierung eher als »nettes Hobby«. Wenn jemand künstlerische Ambitionen hatte, wurde man sofort gewarnt, dass kreative Berufe »brotlose Kunst« seien, weil man damit kein Geld verdienen könne. Also entschied ich mich für den vermeintlich sicheren Weg.
Doch das Leben hatte andere Pläne und die Kreativität wurde trotz BWL-Studium nicht komplett aus meinem Leben gestrichen. Ein Praktikum führte mich Ende der 1990er-Jahre in die kreative Werbebranche. Dort lernte ich in der Beratungsabteilung, die strategische Seite von Kreativität zu managen, statt selbst Kunst zu schaffen. In der anschließenden Festanstellung als Junior-Berater begleitete ich Kunden in puncto Konzept und Strategie, drehte TV-Spots – die Zusammenarbeit mit kreativen Menschen im Bereich Text und Art Direction bereitete mir große Freude. Ihnen bei Kunden das zu ermöglichen, was ich mir selbst verwehrt hatte, empfand ich als unglaublich sinnvoll. So fühlte sich für mich mein Berufseinstieg wie eine Befreiung an. Und so blieb ich 20 Jahre in diesem Geschäft, arbeitete mich »hoch« – denn ich hatte gelernt: Wenn du Geschäftsführer bist, bist du angekommen. Die letzten fünf Jahre dieser Zeit war ich das dann auch, in einer großen Agentur inklusive Gründung eines eigenen Standorts. Ich war also oben – aber war ich auch angekommen? Ich fühlte mich eher an einem Abgrund. Denn es ging für mich nicht weiter.
Abb. 1:
Vom Abgrund zur Absprungkante (eigene Darstellung)
Alles, was mir zuvor Freude gemacht hatte – Kund:innen beraten, Konzepte entwickeln und Kreativität managen –, hatte sich in der Geschäftsführungsposition langsam, aber sicher in das Führen von Menschen, das Erstellen von Reportings und die Neukundenakquise am Fließband verwandelt. Und das alles immer unter immensem Zeitdruck – gefordert nicht nur von anspruchsvollen Kund:innen, die die Aufträge bezahlen, sondern ebenso von der Holding-Geschäftsführung, der Finanzabteilung und vor allem den Mitarbeitenden. Gefühlt waren sie alle Kund:innen, denen ich gerecht werden musste.
Irgendwann merkte ich, dass mich das überforderte und nicht mehr erfüllte. Morgens brauchte ich vier Stunden Anlaufzeit, damit ich um 9 Uhr am Schreibtisch sitzen konnte. Wenn ihr das erlebt, seid gewiss: Dann ist etwas nicht mehr richtig – und es braucht Veränderung.
Vom Festhalten an der Sicherheit zur Erkenntnis »Es ist deine Box«
Christine Knauf beschreibt in ihrem Box-ModellBox-Modell, wie Menschen in ihren gelernten Überzeugungen regelrecht feststecken können, ohne es zu merken. Wir bauen uns eine scheinbare Komfortzone – eine Box –, die uns limitiert, aber sicher vorkommt. Erst wenn wir aus dieser Box herauskatapultiert werden, erkennen wir, was alles möglich gewesen wäre – und was sonst noch möglich ist (vgl. Knauf, 2006, in: Probst & Windhausen, 2024, S. 24–29).
Meine gelernten Glaubenssätze – dass ein BWL-Studium eine sichere Basis bietet und man als Geschäftsführer oben angekommen ist – hatten mich lange in meiner Box, sprich Komfortzone, gehalten. Mit einem guten Gehalt und diversen Annehmlichkeiten konnte ich den unterschwelligen Stress und den Impuls, etwas Neues wagen zu wollen, gut betäuben. Ich hatte nicht gemerkt, dass diese Glaubenssätze mich in meinen Möglichkeiten begrenzten.
Das ist das Gefährliche daran!
Abb. 2:
Box-Modell in Anlehnung an Christine Knauf (eigene Darstellung)
Genauso wie an positive Umstände können wir uns daran gewöhnen, dass sich etwas nicht mehr gut anfühlt. Meine alten Überzeugungen sagten mir: Bleib, wo du bist – hier ist es sicher. Aber was sich sicher anfühlte, war in Wirklichkeit nur vertraut. Echte Sicherheit liegt in der Fähigkeit, auch mit Unsicherheit umgehen zu können. Doch das erkannte ich erst, als ich aus der Box geworfen wurde. In meinem Fall waren es zunehmende Differenzen mit Kolleg:innen der Geschäftsführung, die mich dazu zwangen, mich mit meiner beruflichen Zukunft auseinanderzusetzen. Tom Andersen beschreibt dieses Phänomen treffend: »Menschen, die sich als in etwas festgefahren erleben, was sie selbst als problematische Situation definieren, waren es gewohnt, sich immer wieder dieselben Fragen zu stellen.« (Andersen, 1990, S. 54)
Auf den Punkt
Erst wenn dieser innere Dialog unterbrochen wird – nicht selten durch äußere Ereignisse –, öffnet sich ein Raum für neue Fragen. Und manchmal auch für neue Antworten.
Meine äußeren Umstände hatten mich plötzlich in eine Phase des Nichtwissens katapultiert und daher musste ich mir neue Fragen stellen: Was mache ich als Nächstes? Was will ich machen? – Ein »fraglicher« Zustand, den ich immer gefürchtet und darum sehr lange hinausgezögert hatte.
Ich gebe zu, es ist nicht einfach, und alles in uns versucht, die alte Box wiederherzustellen. Gerade in solchen unsicheren Zeiten klammern wir uns an das Bekannte, selbst wenn es sich nicht mehr richtig anfühlt.
Employer Branding – Vorbote für mein nächstes Lebenskapitel
Ein Highlight hatte ich mir über die Jahre in der Agenturarbeit dennoch erhalten: meine Leidenschaft für Employer BrandingEmployer Branding. Es war in der Agentur damals neu, also hatte ich als Geschäftsführer den Auftrag, dieses Feld operativ und strategisch als Agenturleistung zu entwickeln. Wir konzipierten Workshop-Formate, in denen wir Mitarbeitende des beauftragenden Unternehmens einluden, ihre Erlebnisse zu erzählen. Diese Geschichten analysierten wir mit unseren Konzeptioner:innen, um authentische Kommunikation für die jeweilige Arbeitgebermarke zu entwickeln. Ich liebte diesen Prozess – aber ich hatte bei meinen Kund:innen nicht das Mandat, tiefer als bis zur Arbeitgeberkommunikation zu gehen. Ein großer Teil dieser Arbeit war zwar das Zuhören, wie Menschen über ihre Organisation sprachen und dachten, was sie bewegte, was sie frustrierte, welche Veränderungsprozesse funktionierten und welche nicht – aber mein Job endete bei der Kommunikationskonzeption, um die Arbeitgebervorteile nach außen darzustellen und neue Bewerber:innen anzuziehen. Dabei hatte ich durch die Erzählungen der Mitarbeitenden schon längst gesehen, dass hinter den Kulissen oft Verhältnisse mit strukturellen und kommunikativen Blockaden herrschten, die Fortkommen, Weiterentwicklung und nötige Veränderungen verhinderten. Ich musste mich auf die authentischen positiven Erlebnisse fokussieren, obwohl ich bereits spürte: Da braucht es Change im System selbst.
Im Rückblick war das der Vorbote dessen, was das nächste Kapitel meiner beruflichen Laufbahn werden sollte.
Vom Verlassen der Komfortzone und der Kraft des Nichtwissens
Im Jahr 2018 verließ ich die Agenturwelt und nutzte ein Jahr Sabbatical, um meinen Kopf auf null zu stellen. Ich wusste: Ich will selbstständig sein. Ich wusste nur noch nicht, mit was. Denn nur das, was ich bisher gemacht habe, nun als Freelancer zu tun, schien mir nicht mehr passend. Ich befand mich in einem Zustand des Nichtwissens – einem Zustand, vor dem ich regelrecht Panik hatte. Genau in dieser Zeit erhielt ich »natürlich« Angebote für ähnliche Jobs und Positionen. Mich dagegen zu entscheiden, fiel mir nicht leicht, da ich mich unterbewusst in meine alte Box zurücksehnte. In dieser Phase war mir ein Zitat von Goethe eine Art Kompass, der mich daran erinnerte, dass das Unbekannte oft schon in uns liegt – lange bevor wir es greifen können.
Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen, Vorboten desjenigen, was wir zu leisten imstande sein werden. Was wir können und möchten, stellt sich in unserer Einbildungskraft außer uns und in der Zukunft dar; wir fühlen eine Sehnsucht nach dem, was wir schon im Stillen besitzen. So verwandelt ein leidenschaftliches Vorausgreifen das wahrhaft Mögliche in ein erträumtes Wirkliches.
Johann Wolfgang von Goethe
Und genau dort – im Nichtwissen – beginnt Wachstum.
In dieser Phase kam auch der Wandel. Durch einen Tipp kam ich auf das Institut Almut Probst (heute Wandelplan) und machte während der Pandemie eine Ausbildung zum systemischen Coach, danach zum systemischen Organisationsentwickler. Aber irgendetwas fehlte noch. Da entdeckte ich über das Buch »Narrative Organisationen« von Christine Erlach und Michael Müller die Möglichkeiten der Narrative OrganisationsentwicklungNarrativen Organisationsentwicklung (Erlach/Müller, 2020) und absolvierte die entsprechende Ausbildung. Plötzlich ergab alles Sinn. Es war, als hätte ich das fehlende Bindeglied gefunden – zwischen meiner Laufbahn in der strategischen Kommunikation und meiner Zukunft als freier Berater und Organisationsentwickler. Die narrativen Methoden des Storylistening und Storytelling gaben mir ein zusätzliches systemisches Werkzeug an die Hand, das sich wie ein Scharnier anfühlte: Es verband meine bisherigen Erfahrungen mit strategischer Kommunikation sowie als Führungskraft mit einer neuen, wirkungsvollen Form der Begleitung von Veränderungsprozessen.
Warum ich dieses Buch geschrieben habe
Während meiner Zeit in der Werbeindustrie war ich oft frustriert darüber, dass ich »nur« für die Kommunikation zuständig war. Ich konnte beobachten, welche Dynamiken in Organisationen wirkten – auch in der eigenen –, und erhielt durch den informellen Austausch mit Kund:innen einen tiefen Einblick: Was fehlt? Was blockiert? Was wäre möglich? Im Gegensatz zu damals habe ich heute das Mandat, daran zu arbeiten. Und genau das macht meine Arbeit für mich so sinnvoll.
Heute begleite ich Organisationen dabei, Veränderung nicht nur auf dem Papier zu denken, sondern sie so zu gestalten, dass sie von den Menschen in der Organisation verstanden, mitgetragen und umgesetzt wird.
In den letzten fünf Jahren habe ich weltweit Erfahrungen gesammelt, wie stark Storylistening und Storytelling Veränderungsprozesse und Führungskräfte beflügeln können. Für mich sind sie zentrale Bausteine Führung, empathischeempathischer Führung – besonders in Situationen, in denen Richtung fehlt, Unsicherheit dominiert oder Entscheidungen schwer zu kommunizieren sind.
Vor allem zu Storytelling gibt es oft eine grobe Vorstellung davon, was sich dahinter verbirgt. Dass es aber nicht nur darum geht, wirksam Geschichten zu erzählen, sondern darum, diese in gemeinschaftlicher Arbeit entstehen zu lassen, ist vielen nicht bewusst. Denn erst wenn Führungskräfte bereit sind, in Co-Kreation zu gehen, entsteht ein ResonanzraumResonanzraum – ein Raum, in dem spürbar wird, was überhaupt erzählt werden sollte, wie es verstanden werden kann und wo Beteiligung möglich ist. Nur so haben Mitarbeitende die Chance, sich angesprochen, gemeint und mitgenommen zu fühlen und den größeren Zusammenhang zu erkennen – egal, ob es um ein einzelnes Projekt oder eine umfassende Transformation geht.
Ohne Storytelling besteht die Gefahr, dass Orientierung fehlt – und Menschen nicht wissen, woran sie sich halten sollen. Ohne Storylistening besteht die ebenso große Gefahr, dass Führungskräfte nicht spüren, was im System gerade wirklich wichtig ist – und worauf sie bei ihren Storys und beim Erzählen achten sollten. So entstehen blinde Flecken und Erzählungen, die ins Leere laufen. Storytelling ohne Storylistening ist wie Senden ohne Empfang.
Der Schlüssel für empathische Führung in Veränderungen
Veränderung kann nur gelingen,
wenn sie erzählt wird,
wenn Menschen gehört werden und
wenn daraus verstanden wird, was es braucht, um mitzugehen.
Es klingt so einfach – ist allerdings schwierig vermittelbar, wenn intern wie extern Zeitdruck, Budgetverantwortung und hoher Erwartungsdruck auf den Führungskräften lasten. Solange Unternehmen weiterhin glauben, sie könnten große Transformationen einfach durch bestehende Prozesse, Strukturen und Kommunikationswege drücken, werden sie scheitern.
Mein Ziel mit diesem Buch ist es, konkrete Erfahrungen aus der Praxis zu teilen,
um aufzuzeigen, wie Storylistening und Storytelling als Instrumente empathischer Führung wirken können – gerade dann, wenn es schwierig wird,
um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Zuhören und Erzählen keine weichen Faktoren sind, sondern zentrale Führungsaufgaben,
um Inspiration zu geben – für Führungskräfte und Berater:innen – für neue Wege, wo alte nicht mehr tragen.
Dafür teile ich nicht nur Cases, sondern stelle innerhalb der Kapitel auch die narrativen Methoden dar, die ich angewendet habe – mit Setting, Ablauf und Zweck. Ich nenne diese gesonderten Darstellungen Methodenkoffer. Koffer, weil sie einfach und praktisch zum Mitnehmen sind. Diese Koffer sind keine Blaupausen – sie sind Einladungen. Ihr könnt sie als Impulse für persönliche Situationen, euer Projekt oder eure berufliche Herausforderung nutzen. Die Methoden sind so beschrieben, dass sie ein nachvollziehbares Bild davon geben, wie narrative Interventionen in der Praxis umgesetzt werden können – und welche Wirkung sie entfalten. Ich erzähle auch, wo es schiefgegangen ist oder wo ein anderes narratives Vorgehen wirksamer oder schneller gewesen wäre.
Christine Erlach hat mir im Entstehungsprozess dieses Buches zu den Methodenkoffern gespiegelt, dass mein Input für eine 1:1-Anwendung vielleicht »zu wenig« sei. Und sie hat recht – das ist aber auch nicht mein Ziel. Ich möchte keine Gebrauchsanweisung liefern, sondern Impulse geben, wie narrative Kompetenzen aufgebaut und die Räume für Zuhören und Erzählen in Transformationsprozessen wirksam werden können. Die Anwendungsbeispiele in den Kapiteln 4.2 und 6.1 bis 6.5 zeigen deshalb immer auch den konkreten Nutzen für die Menschen in der Organisation – direkt in der Kapitelüberschrift benannt.
Zunächst steige ich in die Grundlagen ein, um eine gemeinsame Absprungstelle in die Fallbeispiele zu haben. Es geht um eine neue Haltung – und das Verständnis, welche Bedeutung Zuhören und Erzählen im Führen von Veränderungsvorhaben haben.
Andersen, T. (Hrsg.) (1990): Das Reflektierende Team. Dialoge und Dialoge über die Dialoge. Systemische Studien, Bd. 5, Dortmund: Verlag Modernes Lernen.
Erlach, C./Müller, M. (2020): Narrative Organisationen. Wie die Arbeit mit Geschichten Unternehmen zukunftsfähig macht. Wiesbaden: Springer Gabler.
Goethe, J. W. von (2002): Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. In: Werke, 14 Bde. (Hamburger Ausgabe). Bd. 9: Autobiographische Schriften I. 14. Auflage. München: C.H. Beck, S. 386.
Knauf, C. (2006): Box-Möglichkeit-Modell. In: Probst, A./Windhausen, C. (Hrsg.) (2024): Seminarunterlagen CA32 – Systemisches Coaching und Veränderungsmanagement. Alzenau: Wandelplan GmbH, Modul 1, S. 24–29.
Storylistening und Storytelling sind mehr als Methoden
StorylisteningStorytellingWer in Change- und Transformationsprozessen führt, braucht aus meiner Sicht narrative Kernkompetenzen – die Führung neu denken und Veränderung überhaupt erst erfahrbar machen. In den letzten Jahren habe ich erlebt, wie kraftvoll diese Fähigkeiten wirken können – wenn es gelingt, zuzuhören, bevor man erzählt. Und wenn Erzählräume entstehen, bevor Maßnahmen beschlossen werden. Dieses Kapitel zeigt, warum genau das heute entscheidend ist – und welche Haltung es dafür braucht.
Die Zukunft gleicht – für Mitarbeitende und Führungskräfte – inzwischen einem täglichen Aufbruch ins Unbekannte. Diese Metapher ist kein Zufall: Sie ist eine klassische Station in der universellen Erzählstruktur der Heldenreise (Kap. 6.2) – jenem Muster, das vielen Geschichten zugrunde liegt und sinnbildlich für den Beginn von Transformation steht. Auch organisationaler Wandel folgt dieser Logik: Eine vertraute Welt gerät ins Wanken – und Führung steht vor der Herausforderung, das Unbekannte zu betreten und Orientierung zu geben (Erlach/Müller, 2020, S. 171–172). Gerade in Zeiten, in denen sich eine Krise an die nächste reiht und klare Antworten fehlen, verlangt dieser Schritt Mut – denn Führungskräfte selbst haben in solchen Momenten oft (noch) keinen Handlungsrahmen.
Abb. 3
:
Aufbruch ins Unbekannte
in Anlehung an die Heldenreise (eigene Darstellung)
In solchen Momenten wird deutlich, worauf es ankommt:
Halt und Orientierung zu geben, wo noch keine vorhanden ist,
Mitarbeitende emotional zu binden,
Zuversicht zu vermitteln und
Vertrauen aufzubauen.
Dass das in den nächsten Jahren besonders wichtig wird, macht der Gallup Engagement Index Deutschland 2024 mit erschreckender Deutlichkeit sichtbar: Der Anteil der emotional stark gebundenen Beschäftigten ist erstmals in den einstelligen Bereich auf neun Prozent gefallen. Dem gegenüber stehen 78 Prozent, die lediglich Dienst nach Vorschrift machen. Diese Entwicklung, die Gallup selbst als »Erdrutsch« bezeichnet, spiegelt sich auch im drastisch gesunkenen Vertrauen wider: Nur noch 21 Prozent der Beschäftigten vertrauen ihrer direkten Führungskraft uneingeschränkt – und das Vertrauen in die finanzielle Zukunft des eigenen Arbeitgebenden ist mit 34 Prozent auf den tiefsten Stand seit der Banken- und Finanzkrise 2008 gesunken (vgl. Gallup, 2024).
In Zeiten von Polykrisen, geopolitischen Spannungen, Digitalisierungsdruck und künstlicher Intelligenz (KI) – in denen sich laut Studie bereits bei 56 Prozent der Befragten Arbeitsabläufe und Geschäftsmodelle massiv durch KI verändert haben – begegnen mir in der Begleitung von Führungskräften immer wieder diese zentralen Fragen:
Wie nehme ich Mitarbeitende mit?
Wie begeistere ich alle für Veränderung, wenn der Ausgang ungewiss ist?
Was sage ich, wenn ich es selbst (noch) nicht wirklich weiß?
Wie gehe ich mit möglichen Widerständen um?
Diese Liste ließe sich gefühlt unendlich fortsetzen. Die Gallup-Studie mahnt unmissverständlich:
»Eines ist klar: Unternehmen müssen umdenken.« (Gallup, 2024, S. 5)
Denn eine rein funktionale Führung, die nur auf Schadensbegrenzung und das Vermeiden von Demotivation abzielt, vernachlässigt die engagierten Mitarbeitenden (vgl. Gallup, 2024). Genau in solchen Zeiten werden Storylistening und Storytelling zu Schlüsselkompetenzen, um den Marathon aus Transformationsprozessen und Veränderungen erfolgreich zu meistern. Ich nenne das narrative Kompetenz oder narrative Führung – eine Fähigkeit, die Führungskräfte in Zukunft dringend brauchen. Storylistening hilft, Unsichtbares sichtbar zu machen, um Orientierung in komplexen Situationen zu schaffen. Storytelling ermöglicht es, diese Erkenntnisse in Co-KreationCo-Kreation in die Story einfließen zu lassen, wie die anstehende Veränderung erzählt werden soll, um sie für die Menschen im Unternehmen greifbar zu machen.
StorylisteningWörtlich übersetzt: Geschichten zuhören. Der Begriff ist in der Management- und Führungsliteratur noch vergleichsweise jung.
Storylistening
»Storylistening bezeichnet all jene narrativen Methoden, die sich dem Sammeln von Erzählungen widmen, und basiert auf der narrativen Grundhaltung, eine wertschätzende, wirklich interessierte Zuhörsituation herzustellen, damit der Gesprächspartner ins Erzählen kommt.« (Erlach/Müller, 2020, S. 93)
Konkret bedeutet das: Es geht darum, Räume zu schaffen, in denen Menschen über ihre eigenen Erfahrungen sprechen können – ohne Bewertung, ohne Zweckbindung, aber mit echter Resonanz. Typische Formate des Storylistening wie narrative Interviews und Erzählworkshops (Erlach/Müller, 2020) beschreibe ich im Verlauf noch ausführlicher.
Hier geht es mir zunächst um die Haltung dahinter. Denn diese unterscheidet sich grundlegend von dem, was viele aus dem Unternehmensalltag kennen: Effizienz und Ergebnisorientierung. Storylistening hingegen fokussiert sich auf Perspektivenvielfalt, subjektives Erleben und Sinnstiftung. Jede Geschichte zählt – und jede Perspektive bekommt ihren Raum.
Die narrative Superpower
Unterschiedliche Wahrnehmungen und Perspektiven zu dem gleichen Sachverhalt – zum Beispiel einer bevorstehenden Veränderung – werden auf den Tisch gebracht, ohne sie gegeneinander auszuspielen oder sie zu bewerten. Warum es so wichtig ist, unterschiedliche Wahrnehmungen zuzulassen, bringt eine zentrale Aussage aus dem Seminar »Strukturaufstellungen im Raum der Werte« des SySt® Instituts (2025) auf den Punkt – dokumentiert im offiziellen Fotoprotokoll:
Unterschiede verbinden – absolute Werte trennen.
Matthias Varga von Kibéd
Durch Storylistening entsteht genau diese verbindende Qualität: eine MultiperspektivitätMultiperspektivität auf denselben Sachverhalt, die nicht separiert, sondern verbindet. Sie ist die Voraussetzung dafür, sich gemeinsam in Richtung Zukunft zu bewegen. Gerade in Change-Prozessen ist genau das unerlässlich. Nicht selten erlebe ich in meinen Projekten, dass diese Multiperspektivität durch Storylistening zu einem echten Shift führt: Menschen tauschen sich anders aus, entwickeln mehr Verständnis füreinander – und gewinnen gemeinsam neue Sichtweisen (vgl. Erlach/Müller 2020, S. 92). Verständnis füreinander bedeutet dabei nicht zwangsläufig Zustimmung. Hören wir einander nicht zu, werden kleine Unterschiede schnell zu unüberbrückbaren Gegensätzen – und damit zu Konflikten. Hören wir jedoch bewusst zu, wird Unterschiedlichkeit zu einem gemeinsamen Erkenntnisraum.
Storylistening ermöglicht es, unterschiedliche Perspektiven – etwa von allen Kolleg:innen in einem Team – zu hören und stehen lassen zu können, ohne sie sofort zu bewerten, richtigzustellen oder die eigene Meinung rechtfertigen zu müssen. So entsteht durch das geführte Zuhören ein Raum für neue Lösungen und wird zu einer Ressource für Gestaltung. Das ist die Grundlage, um Diversität als Kreativitäts- und Innovationsbooster zu nutzen. In Kapitel 3 zeige ich anhand konkreter Beispiele, wie ihr mit welchen Storylistening-Formaten den Schatz der Unterschiedlichkeit durch konkrete narrative Interventionen heben könnt.
StorytellingWörtlich übersetzt: Geschichten erzählen. Im geschäftlichen Kontext erlebe ich weiterhin, dass Fakten und Bulletpoints auf PowerPoint-Seiten die gewohnte Art der Kommunikation von Führungskräften in Meetings, Townhalls oder auf anderen kommunikativen Anlässen sind.
Storytelling
»Storytelling umfasst die kommunikatorische Seite der narrativen Interventionen, der gezielte Einsatz von Geschichten in der Unternehmenskommunikation bzw. als rhetorisches Mittel, die eigenen Kommunikationsakte emotional wirksam an die Zielgruppe zu vermitteln, stehen hier im Vordergrund.« (Erlach/Müller, 2020, S. 94)
Erzählen und Zuhören – das eine nicht ohne das andere
In diesem Buch ist es mir ein besonderes Anliegen, im Kontext von Change- und Transformationsprozessen den Fokus bei Storytelling auf das Zusammenspiel von Storylistening und Storytelling zu setzen – und insbesondere auf die Bedeutung des Storytelling als kollektiver, co-kreativer Prozess und wie sich dieser gestalten lässt. Denn um in Veränderungsvorhaben wirksam führen zu können, braucht es beides: das strukturierte, kollektive ZuhörenZuhören (Storylistening) und das gemeinsame Erarbeiten einer Erzählung (Storytelling). Erzählen und Zuhören gehören untrennbar zusammen. »Und je mehr Geschichten er hört, je besser der Storyteller lernt, zuzuhören, desto schärfer wird sein Gespür für das Besondere, ›Zündende‹ mancher Geschichten, für Zusammenhänge und Querverbindungen zwischen Geschichten, für Inhalte, Erkenntnisse, Wissen, das ihn ihnen schlummert.« (Frenzel/Müller/Sottong, 2006, S. 6)
Im Storylistening fließen die subjektiven Wahrnehmungen Einzelner zu einem gemeinsamen Bild zusammen – Multiperspektivität entsteht.
Im Storytelling fließen subjektive Wahrnehmungen, Empfindungen und Erfahrungen in einen co-kreativen Prozess ein, werden gemeinsam verhandelt und erzählbar gemacht. So entsteht die Geschichte einer Veränderung nicht im Alleingang, sondern im Dialog.
Storytelling, co-kreativesCo-kreatives Storytelling bedeutet: Die Führungskraft erzählt nicht einfach – sie lädt ein, mitzugestalten. Und so wird eine Story tragfähig für die Organisation.
Basis für erfolgreiches Storytelling – die Haltung
Um Storytelling als Prozess wirksam einzusetzen, braucht es eine bestimmte Haltung zu Kommunikation und Wissen. Grundvoraussetzungen, um das Potenzial von professionell eingesetztem Storytelling zu entfalten, sind:
Freude an offener Kommunikation,
Wertschätzung gegenüber Mitarbeitenden und Kund:innen,