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„Wenn wir die Katze zugrunde richten, dann fragt uns wenigstens keiner mehr, wann wir denn endlich Kinder kriegen“, sagt meine Freundin ...
Sebastian will weg. In Berlin sind alle so erwachsen geworden und langweilig. Dabei versucht er doch einfach nur einen Elch zu finden – oder wenigstens den Sinn des Lebens. Also raus aus Berlin und rein in die Welt. Er sucht das Unbekannte und eine Antwort darauf, wie man zwischen Biokiste und Ironic Wedding überleben soll. Aber findet zwischen Stockholm und New York immer nur die gleichen Probleme, mit denen er sich schon zu Hause nicht herumschlagen will. Trotzdem sucht er weiter. Weil er gerne mal irgendwo ankommen würde. Das scheint fast genauso schwer, wie einen Elch zu finden. Denn vielleicht gibt es gar keine Elche.
„Sebastian Lehmann hat ein Auge für die Stadt und ein Ohr für die Sprache der Nacht.“ Berliner Zeitung.
„Lakonische Aufzeichnungen, deren Witz in der ironischen Selbstreflexion bestehen.“ Kölner Stadtanzeiger zu: Genau mein Beutelschema.
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Seitenzahl: 205
Sebastian Lehmann
Kein Elch.Nirgends
Geschichten von Zuhause und von weit weg
Inhaltsübersicht
Weit weg: Manchmal kommt man an
Zuhause: Das Glück ist mit den Dummen
Schweden: Stockholm Syndrom
Zuhause: Hotline
Zuhause: Tage, an denen etwas passiert
New York: Oh, it’s so great
Zuhause: Väterwitze
Zuhause: Die fette Katze
Island: Das Nichts
Zuhause: Die Tiere sind unruhig
Zuhause: Immer und überall
Paris: Mein Leben als Nouvelle-Vague-Film
Zuhause: Langweilig
Bali: Der magische Elch
Zuhause: Macht es nicht selbst
Freiburg: Das Kaffeekränzchen
Freiburg früher: Krieg und Krieg
London: Anorak City
Zuhause: Überall und immer
Zuhause: Langweilig 2 – The Return of the Sonderangebotswägelchen
Kopenhagen: Line
Freiburg früher: Jenseits des Kanals
Zuhause: Morgen werde ich Vegetarier
Zuhause: My ironic Wedding
New York: Vin Diesel kauft sich eine Hose und geht mit mir essen
New York: Excuse me, Lou
New York: Total Recall
Los Angeles: Mein Leben als Action-Film
Zuhause: Wie ich versuchte, etwas Sinnvolles in einer absurden Welt zu tun
Zuhause: Im Hinterzimmer meiner geschundenen Seele
Lissabon: Auf der anderen Seite
München: Da bin ich lieber arm
Zuhause: Langweilig 3 – Ich kann nicht Emoticon
Istanbul: Alles, was ich mir je gewünscht habe
Zuhause: Die verflixte Biokiste
Die Hölle: Metamorphosen
Zuhause: Mein Leben als Kafka-Roman
Zuhause: Langweilig 4 – Jetzt geht’s erst richtig los
Zuhause: Die Vergangenheit ist nur eine wogende Nussschale …
Finnland: Kein Elch. Nirgends
Zuhause: Manchmal kommt man an
Quellen
Anmerkungen
Informationen zum Buch
Über Sebastian Lehmann
Impressum
Leseprobe aus: Sebastian Lehmann – Genau mein Beutelschema
Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …
MANCHMAL KOMMT MAN AN
Ein Zug fährt in den Bahnhof ein, ein Flugzeug senkt sich im Landeanflug über der Stadt, Autos scheren aus und verlassen langsamer werdend die Autobahn. Weiter durchs Industrieviertel, durch triste Außenbezirke, vorbei an Fast-Food-Ketten und Baumärkten, schließlich die hellen Lichter der Innenstadtpromenaden.
Ständig komme ich irgendwo an.
Das Rattern meines Rollkoffers auf dem unebenen Asphalt. Die Einheimischen beäugen mich misstrauisch. Ich studiere den fremden U-Bahnplan und verstehe nichts. Excuse me, I’m looking for …
Suche ich hier, was ich Zuhause vermisse? Ohne zu wissen, was das überhaupt ist. Weit weg. Ich fange immer wieder von vorne an. Ein seltsames Hochgefühl vermengt mit Unsicherheit. Die Möglichkeiten beginnen jetzt, und Erwartungen werden bestätigt oder enttäuscht.
In eine unbekannte Stadt zu kommen, ist wie ein neues Buch aufzuschlagen.
DAS GLÜCK IST MIT DEN DUMMEN
Die Party ist vorbei. Das sollte ich langsam einsehen. Sex, Drugs and Rock’n’Roll war früher. Inzwischen werde ich zu Spieleabenden eingeladen.
»Schön, dass du auch mal dabei bist«, sagen die Freunde, als ich ihre Wohnung betrete. »Dann können wir sofort anfangen zu spielen!«
»Auch wenn ich nur ein Meter vierundsiebzig groß bin, bedeutet das nicht, dass ich erst neun Jahre alt bin und bei eurem Kinderkram mitmache«, sage ich.
»Du bist doch nie und nimmer ein Meter vierundsiebzig groß«, rufen die Freunde, lachen und tätscheln mir auf dem Kopf rum.
Es gibt wenig, was ich mehr hasse als Spieleabende. Wenn man sich sowieso nichts zu sagen hat, dann braucht man sich ja erst gar nicht zu treffen. Den ganzen Abend ein vollkommen hirnrissiges Spiel zu spielen, nur um nicht miteinander reden zu müssen, ist doch wirklich die Höhe des Sozialfaschismus.
»Man kann doch so viele andere Dinge tun, wenn man sich mit Freunden trifft«, sage ich. »Sich betrinken und auch … äh …« Ich verliere den Faden.
Die Freunde beginnen unbeeindruckt das riesige und hochkomplizierte Spielbrett aufzubauen, sowie seltsame Plastikfiguren und mit Sagengestalten bedruckte Karten zu verteilen.
Ich spiele auch deswegen nicht gern, weil ich keinen Ehrgeiz habe und mir vollkommen egal ist, ob ich gewinne. Blöderweise geht es beim Spielen immer ums Gewinnen.
»Wir wollen doch nur gemeinsam eine Stadt errichten und eine überlegene Zivilisation aufbauen«, höre ich schon die Strategiespiel-Fetischisten widersprechen. »Und erst danach mit unseren riesigen Armeen die Städte unserer Mitspieler verbrennen, niederwalzen, ausrotten, vernichten und auslöschen. Harharhar1.«
Schon in meiner Kindheit mochte ich keine Brettspiele. Einmal überredeten mich meine Freunde aber nach der Schule mit ihnen Risiko zu spielen. Da musste man Länder mit Streitheeren erobern. Indem man würfelte! Hallo, geht’s noch langweiliger? Also war mir völlig egal, ob ich gewann, war doch ohnehin reines Glück, und ich erntete verständnislose Blicke, als ich alle meine Einheiten auf einem Land anhäufte.
»Jetzt marschier endlich in Alaska ein, Dirk hat da nur ein Pferd stehen und du hast schon dreihundert Einheiten in Kamtschatka gebunkert! Das ist doch Irrsinn!«, rief mein Freund Florian verzweifelt.
»Nein«, sagte ich, »ich mag es hier in der beschaulichen russischen Steppe.«
Bei Risiko geht es am Ende immer um die Weltherrschaft. Die konnte allerdings nie jemand erreichen, da ich ja dreißig Kanonen auf Kamtschatka stehen hatte. Selbst Amis und Russen zusammen hatten da keine Chance.
Später wurde ich dann nicht mehr eingeladen.
Die Risiko-Spieler waren ohnehin die uncoolen Nerds, die sonst nur auf ihrem 4/86er Computer langweilige Adventures spielten. Wir – die Coolen – betranken uns dagegen lieber und machten auch … äh … andere coole Sachen. Inzwischen sind die Risiko-Nerds alle Senior-Creative-Game-Assistant-Manager bei Sony, verdienen zehnmal soviel wie ich und kriegen alle hübschen Mädchen ab, weil sie deren Modeblogs pimpen. Irgendwas muss da falsch gelaufen sein in den letzten Jahren. Oder Jahrzehnten.
Beim Spieleabend heute wird allerdings nicht Risiko, sondern so ein seltsames Fantasy-Ritter-Spiel gespielt, dessen Namen ich mir nicht merken kann, Die Rache der Wanderhure oder so. Der Gastgeber erklärt mir die Spielregeln, aber ich verstehe kein Wort. Eigentlich höre ich gar nicht zu. Es geht wohl darum, Burgen zu bauen, Zauberbäume zu pflanzen und Hexen zu verbrennen.
Irgendwie komme ich mir verarscht vor. Ich meine, ich habe neunzehn Semester Philosophie studiert. Ich kann eine druckreife Rede über das Leib-Seele-Problem bei Leibniz halten, und jetzt soll ich mit einem lila Zauberwürfel Feen und Orks töten?
Das Spiel beginnt. Alle anderen denken stundenlang über irgendwelche Strategien nach und wägen jeden Zug ab. Ich setze meine Spielfiguren einfach da hin, wo gerade frei ist, und trinke in großen Schlucken den Lidl-Rotwein, den ich selbst als Gastgeschenk mitgebracht habe. Rock’n’Roll.
»Gib dir doch wenigstens ein bisschen Mühe«, sagt der Gastgeber herablassend. »Du kannst deinen Zauberlehrling nicht auf dieses Feld setzen. Mit meiner Hexe verwandle ich den doch sofort in eine einäugige Waldeule.«
»Ich setze meinen Harry Potter hin, wo ich will!«, rufe ich und schütte Rotwein über das Spielfeld. »Und dann fickt der deine einäugige Waldhure bis sie …« Ich verliere den Faden.
Doch dann passiert etwas, was bei solch elaborierten Spieleabenden eigentlich nicht vorkommen sollte: Ich habe Glück. Und gewinne. Die ganze Zeit.
Der Gastgeber und die zwei anderen professionellen Wanderhuren-Spieler sind schon ganz verzweifelt. Einer beginnt leise vor sich hinzuwimmern, der andere redet wild auf seine Plastikspielfigur ein: »Du schaffst das, mein großer Magier.« Nur der Gastgeber bleibt trotzig, weicht nicht von seinem komplizierten Plan ab und sieht stoisch mit an, wie ich ihn so richtig fertigmache.
»Ich habe schon wieder den Maximum-Zauber gewürfelt«, lalle ich. »Ihr seid alle tot!« Ich fege mit meiner Hand die ganzen Figuren vom Tisch und kotze dann aufs Spielfeld.
»Ein magischer Todesregen geht auf Hogwarts nieder. Lord Vandalismus kriegt sie alle!«
»Das Glück ist halt mit den Dummen«, sagt der Gastgeber und wirft mich aus seiner Wohnung.
»Während ihr euch mit eurem blöden Harry-Potter-Spiel beschäftigt habt«, rufe ich noch im Treppenhaus, »habe ich das Leib-Seele-Problem bei Leipzig gelöst. Und zwar ist es so …« Ich verliere den Faden.
STOCKHOLM SYNDROM
Wenn in Berlin Schnee liegt, ist er nach zwei Tagen so grau wie die Häuser, Straßen und Gesichter der ewig missmutig vor sich hinstarrenden Berliner. Unter den kahlen Bäumen schimmert er manchmal sogar gelblich, weil zu viele stinkende Hunde oder besoffene Partytouristen darauf gepinkelt haben. In Stockholm dagegen glitzert der Schnee den ganzen Winter über perfekt weiß, wie ein frisch zusammengebautes Billy-Regal.
Es war die richtige Entscheidung, mal wieder Berlin zu verlassen und nach Stockholm zu fahren. Seit Jahren komme ich schon nach Schweden, erst mit meinen Eltern, dann allein, immer mit der Hoffnung, einen Elch zu sehen. Aber noch nie ist mir einer über den Weg gelaufen. Auch in den letzten Tagen bin ich wieder durch die Wälder gefahren, doch kein Elch, nirgends. Ich könnte es auch einfacher haben, in Stockholm gibt es einen großen Naturpark namens Skansen, in dem zwischen alten, roten Holzhäuschen einheimische Tiere in Gehegen leben. Bis jetzt habe ich mich jedoch immer geweigert, dorthin zu gehen, ich möchte meinen ersten Elch nicht in Gefangenschaft sehen.
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