»Ich hab's dir doch gleich gesagt, Sebastian.« - Sebastian Lehmann - E-Book

»Ich hab's dir doch gleich gesagt, Sebastian.« E-Book

Sebastian Lehmann

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Beschreibung

Sebastian Lehmann wohnt seit 20 Jahren in Berlin, kommt aber ursprünglich aus Freiburg. Seine Eltern wohnen immer noch im schönen Südbaden und deswegen telefoniert er sehr viel mit ihnen. Die Telefonate schreibt er mit und liest sie auf der Bühne und im Radio vor. Das hat sich als guter Therapieansatz erwiesen. Für ihn. Aber auch fürs Publikum. »Ich bin ein großer Fan von Sebastians Eltern.« Marc-Uwe Kling »Lustig. Besonders das, was ich sage.« Sebastians Vater

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Sebastian Lehmann, im schönen Freiburg geboren, lebt seit knapp 20 Jahren in Berlin, das manche auch als schön bezeichnen, jedenfalls im Sommer, wenn man betrunken ist und kein Geld für Urlaub hat. Auf SWR3 und RBB radioeins läuft seine Radiocomedy über Elterntelefonate. Er hat ein paar Bücher geschrieben, meistens auch über seine Eltern, aber ebenfalls über Jugendkulturen, Elche, Kleingärten und Club Mate. In Berlin ist er Mitglied der Lesebühnen »Lesedüne« und »Fuchs & Söhne«. Mit seinen Soloprogrammen tourt er durch Deutschland und liest teilweise vor mehreren hundert Zuschauern – oder sagen wir: zumindest vor mehreren Zuschauern. 2020 hat er einen Preis gewonnen, doch weil Corona war, hat es leider niemand mitbekommen. Nicht einmal seine Eltern. Wahrscheinlich fragen sie deswegen immer, ob er vielleicht doch noch Lehrer werden will. Will er aber nicht, Papa.

2017 erschien bei Voland & Quist Lehmanns Debütroman: »Parallel leben«.

© Verlag Voland & Quist GmbH, Berlin und Dresden 2022

Korrektorat: Kristina Wengorz

Umschlaggestaltung: pingundpong

Satz: Fred Uhde

ISBN 978-3-86391-351-9

www.voland-quist.de

»Ich hab‘s dir doch gleich gesagt, Sebastian.«

Elterntelefonate

Sebastian Lehmann

Inhalt

Vorwort

Mahlzeit

Schwarz

Wahnsinnig interessant

Party

Im Alter

Der Klempner

Die Freundin

Langeweile

Alles kaputt

Steuern und Schokolade

Leichen im Keller

Meine Kinderzeit

Die Drei

Krank

Vater ruft an

Französisch für Anfänger

Andere Kinder haben auch schöne Eltern

Schule

Angebot und Nachfrage

Ein großer Fan

Shopping

Eine gute Ergänzung

Exkurs 1 Andere Eltern haben auch schöne Kinder

Geografische Einordnung

Die andere Seite

Eine Mutter spürt so was

Unbeschriebenes Blatt

Drüben

Sie sind da – der Besuch in Berlin

Mein Stammbaum

Teuer

Ganz in Weiß

Exkurs 2 Die andere Mutter

Der Freund

Der eigene Sohn

Neue Herausforderungen

Ding

Der Weg ist das Ziel

Therapie

Theorie

Exkurs 3 Uber-Eltern

»Is was?«

Urlaub

Elterngewerkschaft

Exkurs 4 Die Geschenke der anderen

Platz drei

Ich bin da

Mama1234

Videoanruf

Der Schnitzelverzicht

Die Hängematte

Die Vorgeschichte: Vorwärts in die Vergangenheit

Kryptisch

Feminismus

Bart

Die jungen Eltern

Alles in Ordnung

Disclaimer

Danksagung

»Your mother should know.«

The Beatles

Vorwort

Aus der Sicht meiner Mutter habe ich mich, seit ich als Einjähriger mit dicker Windel über den Wohnzimmerteppich robbte, kaum verändert. In den knapp vierzig Jahren dazwischen lernte ich aber nicht nur laufen, sondern habe studiert, in verschiedenen Jobs gearbeitet, Bücher geschrieben, mir einen Kleingarten zugelegt und sämtliche Folgen Raumschiff Enterprise geschaut. Trotzdem traut mir meine Mutter immer noch nicht zu, ausreichend Essen für mich selbst zu kochen, damit ich nicht qualvoll verhungere. Gleichzeitig erzählt sie mir ständig, wie dick ich geworden bin. Mein Vater hat dagegen immer noch Angst, dass ich sein Auto zu Schrott fahre. Das Kind seiner Eltern bleibt man eben sein ganzes Leben lang. Und das ist auch gut so.

Ich wohne schon lange nicht mehr bei meinen Eltern. In beiderseitigem Interesse habe ich mir nach der Schule eine eigene Wohnung gesucht. Achthundert Kilometer von meiner Heimatstadt Freiburg entfernt, in Berlin.

Meine Mutter kommentierte das damals so: »Dass du ausziehst, finde ich ja in Ordnung. Aber warum gleich so weit weg?« Sie verdrückte tatsächlich eine Träne.

Sogar mein Vater schniefte traurig. »Allergie«, sagte er.

»Papa, es ist Januar.«

»Ach, Sebastian, es ist einfach traurig. Man gewöhnt sich an alles. Sogar an dich.«

»Wir können ja regelmäßig telefonieren«, sagte ich, um meine Eltern zu trösten.

Und damit nahm das Unglück seinen Lauf. Denn meine Mutter rief an. Häufig. Sehr häufig. Täglich.

Nach ein paar Jahren begann ich, die Telefonate mit meinen Eltern mitzuschreiben und auf Bühnen und im Radio vorzulesen. Dem Publikum gefiel das ganz gut, denn es setzte sich ebenfalls aus Eltern oder Kindern zusammen und schien ganz ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben. Hin und wieder fragten mich sogar mir völlig unbekannte Menschen, ob wir verwandt wären.

Ich stellte ein erstes Buch zusammen. Meine Eltern fanden es stellenweise sogar lustig.

»Vor allem das, was ich sage«, meinte mein Vater.

Meine Mutter machte sich hauptsächlich Sorgen, wie sie den Verwandten erklären sollte, womit ich mein Geld verdiente: »Als sogenannter Schriftsteller wohl kaum. Du warst ja noch nicht mal bei Markus Lanz im Fernsehen.«

»Ich kann sehr gut von meinen Einkünften als Erfolgsautor leben«, antwortete ich. »So drei Wochen lang.«

»Ich hab’s dir doch gleich gesagt, dass das nichts wird mit dem Schreiben«, rief meine Mutter.

Und es stimmte. Sie hatte es mir gesagt. Nicht nur das.

»Werde Lehrer!«, hatte sie gesagt. »Da verdient man gut und hat viele Ferien.«

»Werde auf keinen Fall Lehrer!«, hatte sie ebenfalls gesagt. »Da muss man sich den ganzen Tag mit nervigen Schülern herumschlagen und früh aufstehen, das schaffst du nicht.«

Nach der Veröffentlichung des ersten Buchs hörten wir natürlich nicht auf zu telefonieren. Ich beschloss, ein neues Buch mit transkribierten Telefonaten zusammenzustellen. Dieses Mal wollte ich meine Eltern in den Auswahlprozess einbinden. Damit sie danach nicht sagen konnten: »Sebastian, wir haben dir ja gleich gesagt, das wird so nichts. Das ist nicht lustig genug. Kein Wunder, dass dich der Lanz nicht in seine Sendung einlädt.«

Noch bevor ich meinen Eltern das Manuskript schickte, begannen sie, mich mit Vorschlägen – oder sagen wir: Befehlen – zu bombardieren.

»Ins Buch kommen aber keine Telefonate, bei denen wir über unsere Krankheiten sprechen«, verfügte meine Mutter. »Ebenso möchten wir nichts über unser leicht fortgeschrittenes Alter lesen.«

»Und auch nichts über unsere Hobbys«, rief mein Vater.

»Ihr habt doch gar keine Hobbys«, sagte ich. »Oder meinst du etwa …«

»Pscht«, unterbrach mich mein Vater.

»Die Telefonate übers Wetter lässt du auch weg«, ließ sich meine Mutter nicht beirren. »Da werden die Leute nur neidisch, weil bei uns in Freiburg immer die Sonne scheint.«

»Und über unseren Englischkurs an der Volkshochschule auch kein Wort!«

»Liebe Eltern, dann ist ja gar nichts mehr übrig.«

»Ich bitte dich, Sebastian, höre wenigstens dieses eine Mal auf deine armen, alten Eltern! Das ist unser Privatleben.«

Natürlich folge ich allem, was meine Eltern sagen.1 Deswegen musste ich das ursprünglich auf zwölf Bände und achttausend Seiten angelegte Projekt auf dieses eine Buch reduzieren.

Darüber hinaus habe ich mit anderen Eltern telefoniert – und einige dieser Telefonate als kleine Exkurse eingestreut. Schließlich haben auch andere Kinder schöne Eltern. Außerdem erläutere ich noch ein paar wichtige Sachverhalte, die meine Eltern und ich nicht zur vollständigen Zufriedenheit am Telefon klären konnten. Zum Beispiel meinen komplizierten Familienstammbaum und meine verwirrende Kindheit.

Meine Eltern und ich wünschen viel Spaß bei der Lektüre.

1 Außerdem haben sie mit ihrem Anwalt gedroht.

Mahlzeit

Meine Mutter ruft aus meiner Heimatstadt Freiburg an.

»Wir essen gerade«, sagt sie sofort, nachdem ich mich gemeldet habe.

»Warum rufst du mich dann an?«, frage ich verwirrt.

»Normalerweise isst du immer, wenn ich anrufe«, beschwert sie sich. »Und willst deswegen nicht mit mir telefonieren.«

»Ja, das sind immer so seltsame Zufälle.«

»Sebastian, ich muss jetzt auflegen, das Essen wird kalt.«

»Was gibt’s denn Leckeres?«, frage ich.

»Salat.«

»Der Salat wird kalt?«

»Es gibt Schnitzel dazu«, ruft mein Vater von hinten ins Telefon. Ich höre, wie er laut schmatzt. »Und Putenstreifen.«

»Ein ganz normaler badischer Salat«, sage ich. »Ein paar grüne Blätter und dazu ganz viel Fleisch. Ihr würdet wahrscheinlich sogar Pizza ausschließlich mit Fleisch belegen.«

»Na, klar: mit Speck«, sagt mein Vater. »Das heißt dann Flammenkuchen.«

»Ihr müsst mal ein bisschen auf eure Ernährung achten. So viel Fleisch ist wirklich nicht gesund.«

»Als Kind hast du auch jeden Tag Fleisch gegessen, und geschadet hat’s dir nicht.«

»Na ja, irgendwas muss ja falsch gelaufen sein«, wendet mein Vater ein.

»Vielleicht liegt es daran, dass er mit drei Jahren von der Schaukel direkt auf den Hinterkopf gefallen ist?«

»Was soll denn bitte überhaupt in meiner Kindheit falsch gelaufen sein?«, unterbreche ich meine Eltern.

»Na, dass du Vegetarier geworden bist.«

Ich stöhne auf. »Sehr witzig, liebe Eltern. Hat euer Hausarzt nicht gesagt, dass ihr mehr auf eure Fettwerte achten sollt?«

»Wir achten genau auf die«, ruft mein Vater. »Heute sind sie zum Beispiel sehr hoch.«

»Warum seid ihr immer so unvernünftig? Und das in eurem fortgeschrittenen Alter. Ihr müsst euch wirklich mal gesünder ernähren!«

»Wann ist das eigentlich passiert, dass die eigenen Kinder plötzlich die Eltern erziehen wollen?«, fragt meine Mutter. »Als du neulich bei uns zu Besuch warst, hast um zehn Uhr gesagt, wir sollen ins Bett gehen. Und sogar kontrolliert, ob wir unsere Zähne putzen.«

»Ich mache mir eben Sorgen um euch.«

»Sebastian, das ist mein Satz. Mütter machen sich Sorgen um die Kinder – nicht andersrum.«

»Aber ich bin inzwischen erwachsen, Mama.«

»Wir sind auch erwachsen! Seit über fünfzig Jahren!«

»Jaja, trotzdem müsst ihr ein wenig mehr auf eure Gesundheit achten. Papa hat in letzter Zeit wirklich zugenommen. Deswegen habe ich euch bei so einem Nordic-Walking-Kurs angemeldet …«

»Der Schnitzelsalat wird kalt!«, ruft mein Vater und legt schnell auf.

Schwarz

Meine Mutter ruft aus meiner Heimatstadt Freiburg an.

»Ich esse gerade«, sage ich sofort.

»Ich glaube dir gar nichts mehr, Sebastian.«

»Na gut, Mama, was ist los?«

»Uns ist leider etwas Dummes passiert.«

Ich seufze. Immer das Gleiche. »Wie oft habe ich euch schon erklärt, dass ihr nicht auf diese ominösen Mails antworten sollt, bei denen ihr von einem Investmentbanker aus Singapur ›ausgewählt‹ wurdet, zwei Millionen Dollar zu ›gewinnen‹.«

»Ach, nicht das«, ruft mein Vater von hinten ins Telefon. »Da ist unser Anwalt eh schon dran.«

Wenn ich mit meiner Mutter telefoniere, spreche ich in Wahrheit immer auch mit meinem Vater. Meine Eltern brauchen dafür nicht einmal die Lautsprecher-Funktion an ihrem Telefon. Es ist so laut eingestellt ist, dass mein Vater alles mithören kann, was ich sage. Nur ich verstehe ihn leider schlecht, deswegen ruft er besonders laut.

»Jetzt geht es darum, dass wir unser Wohnzimmer haben streichen lassen«, sagt meine Mutter.

»Was kann denn dabei schiefgehen, Mama?«

»Na ja, wir hatten den Maler gefragt, ob er es schwarz machen kann.«

»Und was ist daran das Problem? Macht doch jeder so.«

»Ich persönlich find’s etwas deprimierend.«

Ich verdrehe die Augen. »Na klar! Der Maler hat euer Wohnzimmer schwarz angemalt. Was wollt ihr mir noch erzählen? Dass ich gar nicht euer Kind bin?« Ich lache.

Meine Eltern lachen nicht.

»Und Steuern fürs Schwarzmalen hat er auch noch verlangt«, beschwert sich mein Vater.

»Was wollt ihr jetzt mit eurem Grufti-Wohnzimmer machen?«, frage ich. »An Satanisten vermieten?«

»Vielleicht könntest du das wieder überstreichen, Sebastian? Du bist doch handwerklich so talentiert.«

Im Hintergrund höre ich meinen Vater laut auflachen.

»Außerdem kann das dein Vater ja nicht mehr. Mit seinem Rücken.«

»Ich hab auch keine Lust!«, ruft er.

»Willst du blaumachen, Papa?« Ich muss kichern.

»Nee, deine Mutter will Eierschale …«

»Na gut, ich malere für euch. Aber ihr müsst mich bezahlen.«

»Selbstverständlich, Sebastian. Wir warten nur noch auf die zwei Millionen aus Singapur.«

»Das könnt ihr mir nicht weismachen«, sage ich und kichere wieder.

Aber meine Mutter hat schon aufgelegt.

Wahnsinnig interessant

Meine Mutter ruft aus meiner Heimatstadt Freiburg an.

»Dein Vater und ich haben vorhin Frau Schmidt von gegenüber getroffen«, sagt sie. »Die Schmidts sind wirklich eine sehr nette Familie. Der Sohn ist während der schlimmen Lockdowns in der Corona-Zeit sogar für uns einkaufen gegangen.«

»Das ist aber nett.«

»Gleich am Anfang hat er uns zehn Kästen Rothaus2 gebracht«, ruft mein Vater von hinten.

»Ihr habt Rothaus gehamstert? Was ist mit Schwarzwälder Schinken?«

»Haben wir sowieso grundsätzlich zwanzig Kilo in der Tiefkühltruhe.«

»Ich bin beeindruckt, liebe Eltern. Kaum jemand kam so gut mit dem Ausnahmezustand zurecht wie ihr.«

»Ach, Ausnahmezustand kannten wir ja auch noch von damals«, sagt meine Mutter.

»Na ja, so alt seid ihr ja auch wieder nicht.«

»Mit dir als Kind war früher immer Ausnahmezustand.«

»Was soll das denn heißen?«

»Du warst kein einfaches Kind, Sebastian. Ständig war was los. Weißt du noch, als du deine Blockflöte verschluckt hast?«

»Wie soll denn das gehen, Mama?«

»Ein Ausnahme-Kind eben. Einmal hast du beim Fußball mit so viel Schwung neben den Ball getreten, dass du dir die Hüfte gebrochen hast.« Meine Mutter stöhnt theatralisch auf. »Jedenfalls hat Frau Schmidt erzählt, dass ihr Sohn sein Medizinstudium erfolgreich abgeschlossen hat und Hirnchirurg an der Uniklinik in Freiburg wird. Sehr gut bezahlt ist das.«

»Das ist ja alles wahnsinnig interessant«, sage ich.

»Ja, fand ich auch. Aber dann hat Frau Schmidt leider gefragt, was du beruflich machst.«

»Und was hast du geantwortet?«

»Ich habe gesagt, dass du Lehrer bist.«

»Ich war ja eher für Rechtsanwalt«, ruft mein Vater.

»Du hast Frau Schmidt angelogen, Mama? Warum denn das? Ist dir mein Beruf peinlich?«

»Was für ein Beruf denn, Sebastian?«

»Ich bin freischaffender Schriftsteller«, sage ich empört. »Ich schreibe Bücher und humorvolle Kurzgeschichten für die Bühne und das Radio. Das kannst du doch Frau Schmidt einfach sagen.«

»Das versteht die doch nicht. Die denkt doch dann, dass du arbeitslos bist.«

»Warum soll die denn das denken?«

»Denken wir ja auch«, ruft mein Vater.

»Lehrer ist also okay, aber Schriftsteller nicht, oder was?«

»Für ein Jurastudium ist es noch nicht zu spät, Sebastian!«, wirft mein Vater ein.

»Welche Fächer unterrichte ich denn?«, frage ich dann.

»Mathe und Physik«, sagt meine Mutter »Und natürlich an einem Gymnasium.«

»Na, immerhin …«

»Und dann hat Frau Schmidt gefragt, ob du ihrem Enkel vielleicht Nachhilfe in Mathe geben könntest. Deswegen rufe ich an.«

»Mama, meine beste Note in Mathe war eine Fünf plus. Ich kann dem Kind keine Nachhilfe geben.«

»Der ist in der zweiten Klasse. Die machen gerade Plusrechnen …«

»Als Gymnasiallehrer ist das aber unter meiner Würde!«

»Außerdem gibt es zwanzig Euro die Stunde …«

»Na gut«, sage ich. »Ich bring meinen Taschenrechner mit.«

2 »Rothaus. Badische Staatsbrauerei. Das beste Bier der Welt.« Fußnote von meinem Vater.

Party

Meine Mutter ruft an.

»Gestern sind dein Vater und ich ausgegangen«, sagt sie.

»Anscheinend seid ihr aber inzwischen wieder an.« Ich kichere.

»Haha, du bist ja so witzig, Sohn. Warst du mit Peter Hartz duschen?«

»Das heißt: ›Warst du mit Peter Lustig duschen?‹«

»Nein, ich meine schon den Peter Hartz. Bei so schlechten Witzen brauchst du ja bestimmt bald seine Hilfe.«

»Wo wart ihr denn gestern?«, ignoriere ich sie. »Als ihr ausgegangen seid?«

»Wir haben Party gemacht.«

»Das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen.«

»Es war doch die Abschlussparty von unserem Tangokurs an der Volkshochschule …«

»Was ist denn mit euch los? Letztes Jahr der Englischkurs – und jetzt Tango?«

»Auch deine Eltern schwingen gern mal das Tanzbein. Und es war wild gestern. Dein Vater hat sogar eine Rose gegessen.«

»Wieso denn das?«

»Eigentlich sollte er sie nur zwischen seine Zähne klemmen, aber er hatte dem Tanzlehrer nicht richtig zugehört.« Meine Mutter lacht. »Gehst du denn auch manchmal tanzen, Sebastian?«

»Aus dem Alter bin ich raus. Aber manchmal laden wir ein paar befreundete Pärchen zum Spieleabend ein.«

»Das ist ja lame«, sagt sie.

»Wie bitte?« Ich schaue schockiert den Telefonhörer an. Manchmal habe ich das Gefühl, meine Mutter hat sich ganz schön verändert, seit ich zu Hause ausgezogen bin. Sie scheint jünger geworden zu sein.

»Lame heißt ›langweilig‹. Hatten wir in unserem Englischkurs. Morgen ist übrigens unser Bodypainting-Kurs. Und am Wochenende wollten wir zum Craft-Beer-Festival.«

»Mama, hast du einen Hipster gefrühstückt?«

»Mach dich doch mal locker«, sagt sie. »Früher, in unserer Jugend, haben wir auch einige Feten gerockt.«

»Die Siebziger sind vorbei, liebe Eltern.«

»Dafür sind wir jetzt in den Siebzigern!«, ruft mein Vater.

»Rosen, Rothaus und Rock ’n’ Roll?«, frage ich. »Ist das euer zweiter oder vielleicht eher vierter Frühling?«

»Besser als gleich Herbst wie bei dir, Langweiler!«, ruft mein Vater und legt auf.

Ich blicke mich traurig in meinem leeren Zimmer um. Meine Freundin zieht heute mit ein paar Freundinnen um die Häuser. Ich nehme einen Schluck lauwarmen Kamillentee und spiele weiter Solitär.

Im Alter

»Ich habe ganz vergessen, warum ich dich angerufen habe«, sagt meine Mutter sofort, nachdem ich ans Telefon gegangen bin.

»Ach, da gibt’s sonst einen Grund?«

»Das ist nicht lustig, Sohn! Ich mach mir Sorgen, ständig vergesse ich alles. Gestern habe ich sogar vergessen, das Bad zu putzen.«

»Och, da brauchst du dir keine Sorgen machen, das vergesse ich schon seit vier Monaten.«

»Und heute Morgen habe ich vergessen, deinem Vater seine Kleidung rauszulegen. Er ist den ganzen Tag im Pyjama-Oberteil rumgelaufen.«

»Was haben da nur die Nachbarn gesagt?«

»Sie beglückwünschten ihn zu seinem neuen Holzfällerhemd.«

»Es ist ganz normal, dass man mal was vergisst«, beruhige ich sie. »Ich vergesse auch total oft etwas, nicht nur Badputzen. Auch mal Küche- und Wohnzimmerputzen. Oder meinen Haustürschlüssel. Der Mann vom Schlüsseldienst meinte kürzlich, mit meiner Vergesslichkeit habe er seiner Tochter das Studium finanziert.«

»Du meinst, wir haben ihr das Studium finanziert«, ruft mein Vater von hinten. »So wie deins. Hoffentlich hat sie wenigstens etwas Vernünftiges studiert.«

»Medizin, glaube ich.«

»Was ist bei uns in der Familie nur falsch gelaufen?« Mein Vater seufzt.

»Früher habe ich nie was vergessen«, unterbricht uns meine Mutter.

»Na ja, das stimmt nicht ganz. Einmal in den Neunzigerjahren habt ihr mich auf der Fahrt nach Italien auf einem Parkplatz vergessen.«

»Das war Absicht!«, ruft mein Vater.

»Vielleicht war es ja auch Absicht, dass du vergessen hast, das Bad zu putzen, Mama? Damit Papa auch mal was im Haushalt macht. Und beim Kleidung-Rauslegen auch! Damit er mal lernt, sich allein anzuziehen.«

»Ich kann allein meine Kleidung aussuchen!«, sagt mein Vater. »Ich ziehe einfach ein Holzfällerhemd an.«

»Jetzt fällt mir wieder ein, warum ich dich angerufen habe«, ruft meine Mutter erleichtert. »Wir wollen eine WG gründen.«

Ich bin verwirrt. »Was? Jetzt?«

»Nein, natürlich nicht jetzt, sondern erst später. Im Alter.«

»Ich will euch ja nicht zu nahe treten: In eurem Alter ist man jetzt ›im Alter‹.«

»Wir dachten da an eine Mehrgenerationen-Wohngemeinschaft. Da wohnt dann die ganze Familie!« Sie lässt eine Kunstpause. »Auch du, mein Sohn!«

Mir fällt das Telefon aus der Hand. Dann atme ich tief durch und hebe den Hörer wieder auf. »Ich ziehe mit euch in keine Mehrgenerationen-WG.«

»Es hat auch viele Vorteile, mit seinen Eltern zusammenzuwohnen. Wir könnten zum Beispiel auf die Enkelkinder aufpassen.«

»Mama, ich habe noch keine Kinder.«

»Enkelkinder wären natürlich wichtig, sonst ist es ja nur ein Zwei-Generationenhaus. Bei Schmidts gegenüber leben sogar vier Generationen unter einem Dach.«

»Ich habe Angst vor deinem WG-Putzplan«, sage ich. »Vor allem, wenn du jetzt immer aus Versehen vergisst, das Bad zu putzen. Gibt’s nicht ein günstiges Seniorenheim für euch?«

»Wir haben dich früher auch nicht in ein Kinderheim abgeschoben, du Rabensohn!«, ruft mein Vater.

»Die andere Möglichkeit ist, dass du uns die Seniorenresidenz Zum goldenen Lebensabend bezahlst. Aber ich sag mal so: Der Name hält, was er verspricht. Die haben da sogar ein eigenes Schwimmbad mit Wellness-Oase und einen Golfplatz.«

»Seit wann spielt ihr denn Golf?«

»Vielleicht sind wir jetzt im Alter für Golf?«

»Wollt ihr nicht mit Tante Hilde und Onkel Hubert in eine Mehrgenerationen-WG ziehen? Die sind doch fast eine andere Generation.«

»Die sind drei Jahre jünger … Entscheide dich, Sohn: zahlen oder mitbewohnen!«

»Ach, ihr seid noch gar nicht in dem Alter für ein Seniorenheim. Sondern total jung!«

»Also doch! Du Schleimer«, ruft meine Mutter und legt auf.

Hoffentlich vergisst sie die Idee mit der Mehrgenerationen-WG schnell wieder, denke ich. Dann putze ich das Bad.

Der Klempner

Ich stehe in meinem Badezimmer und schaue dem Klempner zu, wie er den Abfluss am Waschbecken abmontiert. Mit seinen lehmverschmierten Schuhen hat er das ganze Bad wieder dreckig gemacht. Warum habe ich es bloß gestern geputzt? Warum treffe ich immer die falschen Entscheidungen? Wahrscheinlich ist es besser, einfach nichts zu machen. Eigentlich bin ich in meinem Leben mit dieser Einstellung bis jetzt sehr gut gefahren.

Während er am Abfluss zugange ist, raunt der Handwerker immer abwechselnd: »Nee, nee, nee!«, und: »Dit passende Ersatzteil dafür hab ick aba nicht dabei.«

Menschen, die berlinern, verunsichern mich. Als zugezogener Süddeutscher in Berlin werde ich nie dazugehören. Das erinnert mich an früher, als ich mich auf dem Schulhof zu den coolen Kiffern gestellt habe. Damals gehörte ich auch nicht dazu. Vor allem, weil ich erst neun Jahre alt war.

Ich beobachte weiter den Klempner, wie er stoisch irgendwas abschraubt. Warum kann man Handwerker nicht einfach arbeiten lassen und sich in den entgegengesetzten Winkel der Wohnung zurückziehen und ein bisschen Solitär spielen, bis sie fertig gewerkelt haben? Woher kommt mein seltsames Bedürfnis, ihnen bei ihrer Tätigkeit zuzuschauen, die ich nicht einmal im Ansatz verstehe?

»Nee, nee, nee!«, murmelt der Klempner wieder, schraubt aber trotzdem weiter.

Ich bewundere seine Arbeitshose und seinen aufwendig bestückten Werkzeuggürtel. Ich wünschte, solche Insignien der Arbeit gäbe es auch für Schriftsteller wie mich: Seht her, ich arbeite, ich trage meine Schreibhandschuhe und meine Schreibhose mit den Taschen für Feder und Tintenfass. Vielleicht würden meine Eltern meinen Beruf dann endlich ernst nehmen.

»Haben Sie das passende Ersatzteil nicht dabei?«, frage ich, weil der Klempner aufgehört hat zu schrauben und bewegungslos vor dem Waschbecken verharrt.

»Sag ick doch!«, ruft er.

Wir blicken uns schweigend an, dann klingelt zum Glück mein Telefon.

»Ich muss da mal rangehen, ist sehr wichtig«, entschuldige ich mich.

»Mama, es ist gerade schlecht«, flüstere ich in den Hörer. »Ich habe einen Handwerker im Haus.«

»Oje, was hast du denn jetzt wieder kaputt gemacht?«, ruft sie dafür umso lauter.

»Warum soll ich denn was kaputt gemacht haben? Der Abfluss im Waschbecken ist verstopft.«

»Das kann man doch selber machen«, ruft mein Vater von hinten.

»Ich nicht. Und ich will es auch nicht selber machen!«

»Dein Vater gibt nur an, er macht ja auch nichts selber.« »Ich habe Rücken«, ruft er.

»Die Fensterrahmen könntest du trotzdem mal streichen!«, beschwert sich meine Mutter.

»Besser, als wenn ihr es wieder schwarz machen lasst.«

Mein Vater schnaubt beleidigt. »Die Fensterrahmen sind doch noch gut!«

»Habt ihr mich nur angerufen, damit ich euch beim Streiten zuhören kann?«

»Wir streiten nicht, wir diskutieren«, sagt mein Vater.

»Nein, wir streiten!«, ruft meine Mutter.

»Streitet ihr euch jetzt auch noch darüber, ob ihr euch streitet? Redet doch lieber über etwas, worüber ihr euch einig seid.«

»Vielleicht, dass ein Kind gereicht hätte?«, fragt meine Mutter.

»Übrigens sind das die zwei Vätersätze schlechthin«, ignoriere ich sie. »›Das kann man doch selber machen.‹ Und: ›Das ist doch noch gut.‹ Der zweite hebt auch den ersten auf.«

»Kommen Se mal bitte, Herr Lehmann«, ruft plötzlich der Klempner aus dem Badezimmer.

Meine Mutter kichert. »Es klingt einfach komisch, wenn dich jemand ›Herr‹ nennt.«