Kein Grund zur Klage! - Manuela Reibold-Rolinger - E-Book

Kein Grund zur Klage! E-Book

Manuela Reibold-Rolinger

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Beschreibung

»Gut ist, was nicht vor Gericht landet.« (Manuela Reibold-Rolinger)

Vor Gericht zu gehen kostet immens viel Zeit, Geld und Nerven, und ob sich der Einsatz am Ende lohnt, ist mehr als fraglich.
Wie belastend ein Prozess für Menschen ist, weiß Manuela Reibold-Rolinger aus über zwanzigjähriger Erfahrung. Anhand aufrüttelnder Fallbeispiele zeigt die bekannteste Verbraucheranwältin Deutschlands: Nur selten führt eine Klage zu einer befriedigenden Lösung.
Aber es gibt eine Alternative: Eine Schlichtung führt in 90 Prozent der Fälle zu einem Konsens ohne Kadi, der beide Seiten glücklich macht. Dieses Buch ist für jeden, der sich auf die Suche nach seinem Recht macht, ein wertvoller Wegweiser. Und allen, die schon mitten im Scheidungskrieg, Nachbarschaftsstreit, Baudebakel oder Verkehrskonflikt stecken, zeigt es eine erfolgreiche Exit-Strategie raus aus der Prozesshölle.

  • Konsens statt Kadi – praktische Ratschläge für Verbraucher
  • Alles über die Wirklichkeit vor einem Gericht
  • Schlichtung – ein alternativer Weg, sein Recht zu bekommen
  • Von der bekanntesten Verbraucheranwältin Deutschlands

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Seitenzahl: 256

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Manuela Reibold-Rolinger

Kein Grund zur Klage!

Wie Sie ohne Richter zu Ihrem Recht kommen

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2019 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Coverfoto: Stefan Hoening, © privat

ISBN 978-3-641-23991-6 V003

www.gtvh.de

INHALT

VORWORT

KAPITEL 1

»ICH WILL MEIN LEBEN WIEDERHABEN!«

Wie ein neuer Nebenjob

Bis aufs Hemd

Irrtümer und Lügen

KAPITEL 2

DESASTER MIT ANSAGE

Hals über Kopf ins Unglück

Die bittere Reue nach dem Vertrauensvorschuss

So löchrig wie ein Schweizer Käse

KAPITEL 3

»DEN MACH ICH FERTIG!«

Der nackte Nachbar im Garten

Lieber leiden als reden

Unversöhnlich bis zum bitteren Ende

Im Kamikaze-Modus

KAPITEL 4

DAS SCHARFE SCHWERT

Dolmetscher zwischen Mandant und Justiz

Die Axt im Walde

Im Aktenstau

Landunter auf dem Richterstuhl

Die Choreographie, bei der niemand aus der Reihe tanzen darf

KAPITEL 5

ACHTERBAHN-FEELING

Einsteigen und anschnallen! – »Dem werden wir es zeigen!«

Ganz oben – »Das wird ein Spaziergang!«

Berg- und Talfahrt – »Das gibt’s doch nicht!«

Looping – »Niemand weiß, wie ich mich fühle!«

Abrupter Stopp – »War’s das schon?«

Noch eine Runde? – »Das stehen wir nicht noch mal durch!«

Unterm Strich

KAPITEL 6

NOBODY IS PERFECT

Aus freiem Willen und ergebnisoffen

Mediation

Schlichtung

Schiedsverfahren

Umparken im Kopf

»Ich war’s nicht!«

KAPITEL 7

ZUSAMMEN AN EINEM TISCH

Nachhaltigkeit zählt

Gegen alle Widerstände

Schlichten ohne Richten – so funktioniert’s

Eine übersichtliche Runde

Auf neutralem Terrain

Schritt für Schritt

Beste Aussichten

Ein gutes Geschäft

KAPITEL 8

ZURÜCK ZUR SOUVERÄNITÄT

Mit beiden Beinen im Leben

Vier Stützen der Persönlichkeit

»Ich bin es wert, meine eigenen Interessen zu vertreten.«

»Ich gebe zu: Ich bin wütend und enttäuscht!«

»Es ist, wie es ist.«

»Ich will agieren statt reagieren.«

Unterrichtsfach »Glück«

KAPITEL 9

ZWEI ZENTIMETER GRÖSSER

Jedes Mal eine neue Wundertüte

Das liebe Geld

Alle Freiheiten der Welt

Ein Abbruch ist noch nicht das Ende

Eine vielversprechende Erfolgsquote

KAPITEL 10

UND AUF EINMAL IST ALLES GANZ EINFACH …

Streitprävention für alle

Mit Freundlichkeit und Zuvorkommenheit

Vorsorge durch Verantwortung

Auf der kurzen Bank

Einen Gang runterschalten

Fehler zugeben

Gemeinsam stark

Präventives Mitdenken

VORWORT

Viele Länder beneiden uns um unsere Justiz. Hervorragend ausgebildete Juristen und ausgereifte Gesetze sorgen hierzulande dafür, dass wir alle uns auf faire, rechtsstaatliche Gerichtsverfahren verlassen können. Findet jemand sein Urteil ungerecht, verfügt er über eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten, seinen Fall wieder und wieder bewerten zu lassen, bis der Richterspruch endlich rechtsgültig wird. Auch darf jeder jeden verklagen – und das ist auch gut so. Denn all dies gehört zu einem Rechtsstaat untrennbar dazu.

Es gibt allerdings auch Probleme, und zwar ziemlich große: Die Gerichte sind seit vielen Jahren völlig überlastet und für Kläger wie Beklagte sind Gerichtsprozesse langwierig und teuer. Nicht selten wird auch die schwächere Partei benachteiligt, indem die stärkere Partei die Gerichtsurteile unangemessen hinauszögert. Der größte Stolperstein ist aber, dass der Gang vor Gericht den Beteiligten und ihren Familien viel Durchhaltevermögen abverlangt.

Ich will zeigen, dass vor Gericht die Suche nach Gerechtigkeit eine Tour de force ist, die ihre Spuren hinterlässt. Eine Anwältin, die davon abrät, vor Gericht zu gehen? Das macht Sinn, denn die Verzweiflung mancher Mandanten, die sich auf eine Klage eingelassen haben, sich der Tragweite ihrer Entscheidung im Vorfeld aber nicht im Geringsten bewusst waren, ist manchmal kaum auszuhalten. Leider ist der Ruf nach dem Kadi eingeübt; wer einen Konflikt nicht selber lösen kann, schaltet eine Autoritätsperson ein: Eltern fragen, Chef fragen, Richter fragen … Dabei müsste das Ergebnis längst klar sein: Wird eine Auseinandersetzung autoritär beendet, ist das nur selten befriedigend. Der Gang vor Gericht ist leider Routine – dabei gibt es hier meist nur Verlierer, keine Gewinner.

Ich will dem Leser keine Angst vor Gerichtsverfahren machen. Ich möchte ihn aber darüber aufklären, was auf ihn zukommt, wenn er sich für diesen Schritt entscheidet. Und ich will zeigen, dass es für die meisten Streitigkeiten eine bessere Alterative gibt: die außergerichtliche Streitbeilegung in Form von Mediation und Schlichtung.

• Im gerichtlichen Verfahren ist man der Autorität des Gerichts und der Unpersönlichkeit der Gesetze und Paragrafen ausgeliefert, • in Mediation und Schlichtung gestaltet man eigenverantwortlich und gemeinsam mit der Gegenseite die individuelle Lösung des Konfliktes.

Im Vergleich zu den gerichtlichen Verfahren bedeuten Mediation und Schlichtung für die streitenden Parteien weniger Zeitaufwand, geringere Kosten, überschaubaren Nerveneinsatz und nachhaltigere Lösungen, bei denen sich beide Seiten als Gewinner fühlen können. Es gilt also, verhängnisvolle Denkroutinen aufzubrechen – »Ich will eine gute Lösung« statt »Den verklag ich!« – und mehr auf Eigenverantwortung zu setzen. So geht es gemeinsam Schritt für Schritt in eine neue Streitkultur.

Die Fallbeispiele in diesem Buch beruhen auf tatsächlichen Ereignissen und rechtlichen Auseinandersetzungen, die aber aus Gründen des Schutzes von Persönlichkeitsrechten verfremdet wiedergegeben werden.

KAPITEL 1

»ICHWILLMEIN LEBENWIEDERHABEN!«

Ein Rechtsstreit kostet Kläger und Beklagte viel Energie, Zeit und Geld. Vor allem die Ungewissheit sorgt für stressige Tage und schlaflose Nächte. Deshalb ist selbst für denjenigen, der vor Gericht voll obsiegt, ein Prozess unterm Strich oft ein Minus-Geschäft.

Als ich meine Mandantin im Foyer des Gerichtsgebäudes begrüße, zögert sie einen winzigen Moment, mir die Hand zu geben. Ich kann mir denken, warum: Ihre Hände sind feucht. Tapfer bemüht sie sich, einen zuversichtlichen Eindruck zu machen, doch das leichte Zittern der Unterlagen in ihrer Hand zeigt mir, unter welch hohem Druck sie steht. Leider ist ihre Aufregung völlig normal. Nach Monaten der intensiven Vorbereitung könnte sich gleich heute, beim ersten Gerichtstermin, alles entscheiden.

Noch eine Viertelstunde. Als wir auf den Gerichtssaal zugehen, packt mich meine Mandantin plötzlich ganz fest am Arm. Autsch! »Da! Da ist er! O Gott, mir wird ganz schlecht!«, stöhnt sie. Am Ende des Flurs hat sich die gegnerische Partei zusammengefunden. Der Beklagte und sein Anwalt stecken die Köpfe zusammen. Meine Mandantin ist ganz bleich geworden, ihr Prozessgegner ist genauso verunsichert und weiß gar nicht, wo er hinschauen soll.

Da ist sie wieder, die schier unüberwindliche Mauer zwischen Klägern und Beklagten, auf die ich so oft treffe.

• Der Mitarbeiter, dem gekündigt werden soll, lässt sich krankschreiben, um seinem Chef nicht begegnen zu müssen. Zuhause driftet er allein durch den Tag, seine Gedanken drehen sich nur noch um den bevorstehenden Prozess. Der Kontakt zu seinen Arbeitskollegen geht verloren.• Weil zwei Nachbarn sich um die Parkplätze vor dem Haus streiten, sind ihre aneinander grenzenden Gärten zum Niemandsland mutiert. Unmöglich für sie, dort unbeschwert ihren Feierabend zu genießen, sie wären ja im Blickfeld des »Feindes«. Sie gehen auch nur noch mit Magengrummeln auf die Straße, weil sie dort ihrem Prozessgegner in die Arme laufen könnten. • Eine Frau war in einen Skiunfall verwickelt, bei dem ein anderer eine komplizierte Verletzung am Knie erlitt. Sie ist sich sicher, dass der Unfall nicht ihr Verschulden war, ein Zeuge hat aber ausgesagt, dass sie unkontrolliert und mit viel zu hohem Tempo gefahren sei. Das Verfahren ist noch im Gang und belastet sie sehr. Mehrere Freunde haben sie schon darauf angesprochen, dass sie sich seit dem Unfall zunehmend misstrauisch und zurückhaltend verhält. Mit dem Geschädigten hat sie nie ein persönliches Wort gewechselt.• Weil es wegen der dauerhaft im Hausflur abgestellten Kartons Ärger mit der Hausverwaltung gibt, erzeugt jedes Klingeln an der Haustür beim Mieter eine Schrecksekunde. Als er durch den Türspion tatsächlich den Vermieter im Hausflur stehen sieht, wagt der Mieter kaum zu atmen, damit der Vermieter nicht merkt, dass jemand zu Hause ist. Die Tür bleibt geschlossen.• Der Onkel geht nicht zur Abifeier seiner Nichte, obwohl die beiden eigentlich ein sehr gutes Verhältnis haben. Er hat einfach keine Lust, seiner Schwester zu begegnen, die ihn verklagt hat, weil sie sich von ihm beim Verteilen des Erbes ihrer Eltern über den Tisch gezogen fühlt. Dass er nicht gekommen ist, verzeiht ihm seine Nichte nie.

Statt miteinander im Gespräch zu bleiben, gehen sich Prozessgegner konsequent aus dem Weg – auch wenn das eine fühlbare Einschränkung ihrer Lebensqualität zur Folge hat.

Wenn sich die Parteien dann vor Gericht zum ersten Mal nach langer Zeit Auge in Auge gegenüberstehen, ist das ein Moment von großer emotionaler Wucht. Genau das erfährt auch gerade meine Mandantin, mühsam kämpft sie mit den Tränen. Wir setzen uns erst mal auf eine Bank. »Ich kann nicht mehr! Irgendwie ist mir das alles über den Kopf gewachsen«, sagt sie. »Abends kann ich nicht einschlafen, weil mir der Prozess nicht aus dem Kopf geht. Und er ist auch das erste, woran ich morgens beim Aufwachen denke. Das geht jetzt schon seit Monaten so. Ich wünschte, es wäre alles endlich vorbei!«

Ich habe dieser Mandantin mit Bedacht keinen Namen gegeben. Denn sie steht für alle Mandanten, die ich in den vergangenen 25 Jahren vor Gericht vertreten habe. Sie alle befanden sich mehr oder weniger im Ausnahmezustand – nicht nur am Tag einer Gerichtsverhandlung, sondern an jedem einzelnen Tag, den das Verfahren dauerte. Es ist ja oft so schon schwer genug, sein Leben zu meistern; in vielen Familien sind Zeit, Geld und Energie knappe Güter. Wenn dann die Belastung eines Gerichtsverfahrens dazukommt, knirscht es schnell im Getriebe. Alles, was das Leben schön und besonders macht – Eis essen gehen mit der Familie, Treffen mit Freunden, die Einschulung des kleinen Sohnes, die Hochzeit der Schwester, eine Beförderung im Beruf, ein langersehnter Urlaub –, ist dann wie überschattet. Manchmal lässt die Belastung sogar langjährige Beziehungen in die Brüche gehen.

Für viele Menschen erzeugt ein Rechtsstreit so viel Druck, dass ihr Alltag aus dem Gleichgewicht gerät. So manchem zieht es früher oder später den Boden unter seinen Füßen weg.

Das heißt natürlich nicht, es wäre besser, bei jeder Ungerechtigkeit den Kopf einzuziehen und im Streit mit anderen immer zurückzustecken. Ich möchte in diesem Kapitel zeigen, dass der Gang vor Gericht eine anstrengende Sache ist, die gut überlegt sein will. Es gibt ja Alternativen zu einem Gerichtsverfahren, die weniger »überwältigend« und gleichzeitig sehr wirkungsvoll sind. Wie die genau aussehen, dazu komme ich später in diesem Buch.

Nur wenn der Mandant genau weiß, was ihn erwartet, kann er eine kluge und verantwortungsbewusste Entscheidung treffen, ob er einen Prozess führen will oder nicht. Deshalb gehört eine ausführliche Belehrung zu den gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten jedes Anwalts. Neue Mandanten, die sich auf keine Alternative einlassen und unbedingt vor Gericht ziehen wollen, kläre ich also gleich beim Erstgespräch ausdrücklich auf:

1. über den Zeitaufwand, der auf sie zukommt,2. über die Kosten, die entstehen und auf denen sie sitzenbleiben könnten, und3. über das Prozessrisiko, das sie eingehen.

Alle drei Punkte werden von Laien in der Regel stark unterschätzt. Aber der Reihe nach.

1. Zeitaufwand

2. Kosten

3. Prozessrisiko

Wie ein neuer Nebenjob

»Machen Sie mal, Frau Anwältin! Und sagen Sie mir dann bitte Bescheid, wie es ausgegangen ist.« So geht das leider nicht. Über die gesamte Dauer eines Verfahrens sind Mandanten eng in die Abläufe eingebunden, ausklinken können sie sich nicht. Schon allein deswegen, weil während eines Verfahrens immer wieder Ergänzungsfragen auftauchen, zu denen sie Stellung beziehen müssen. Ihr Anwalt allein kann sie nicht beantworten, denn er ist ja beim Geschehen, um das es geht, nicht dabei gewesen.

Der Mieter einer Wohnung verlangt von seinem Vermieter, dass er endlich etwas gegen den Schimmel in Küche und Bad unternimmt. Dessen Anwalt schickt einen Schriftsatz an das Gericht, in dem der Prozessgegner behauptet, dass der Schimmel nur deswegen da ist, weil der Mieter nie lüftet. Bestreitet der Mieter das nicht innerhalb einer gewissen Frist, geht die Zivilprozessordnung davon aus, dass er dem sogenannten Vortrag des Prozessgegners zugestimmt hat. Er hätte also durch sein Schweigen zugegeben, dass er nie lüftet und so für den Schimmel verantwortlich ist. Die Konsequenz: Er selbst müsste für den Schaden aufkommen. Kann aber der Anwalt des Mieters nach Rücksprache mit seinem Mandanten zurückschreiben: »Der Mandant lüftet mindestens dreimal die Woche.« – im besten Fall kann er auch Zeugen benennen, die das bestätigen –, dann ist diese Gefahr abgewendet.

In einem Rechtstreit gilt: »Nicht bestreiten heißt zugestehen.« Beide Parteien müssen also sehr gut aufpassen, was die jeweilige Gegenseite behauptet – und gegebenenfalls den Sachverhalt richtigstellen. Das geht nur in enger Zusammenarbeit von Mandant und Anwalt.

Auf den Mandanten kommt also einiges an Arbeit zu. Hier die üblichen Zeitfresser:

• Die Akten werden im Prozessverlauf immer dicker, denn jedes Telefonat, jede mündliche Aussage wird verschriftlicht. Wenn Gutachten in Auftrag gegeben werden, schwillt der Papierkram noch einmal an; ich habe schon Gutachten lesen müssen, die 400 Seiten dick waren. Der Mandant kann sich natürlich darauf verlassen, dass sein Anwalt in dem anfallenden Papierwust nichts übersieht, die vorgeschriebene Form wahrt und auch keine Fristen versäumt. Doch auch er selbst muss die Schriftstücke zumindest oberflächlich lesen, um auf dem Laufenden zu bleiben. • Dazu kommen die Telefonate mit seinem Anwalt – hier mal zehn Minuten, dort eine Stunde …• Auch die Beschaffung von beglaubigten Kopien, Unterlagen wie Quittungen und Rechnungen, Adressen von möglichen Zeugen usw. kann sehr zeitintensiv sein.• Die erste Gerichtsverhandlung ist fast immer ein Gütetermin, zu dem der Mandant anwesend sein muss. Bei allen weiteren Verhandlungen ist seine Anwesenheit nicht erforderlich, aber ratsam. Bei Ortsterminen ist es ebenfalls wichtig, dass beide Parteien anwesend sind. • Auch der ständige Austausch mit Freunden, Arbeitskollegen und Familienmitgliedern über das anhängige Verfahren kostet Zeit. Vom Gedankenkarussell in schlaflosen Nächten gar nicht zu reden.

Insgesamt verlangt ein Prozess vom Mandanten einen intensiven Arbeitseinsatz. Jede Stunde, die er in sein Verfahren steckt, muss er woanders abknapsen.

Ganz allgemein gilt: Auch ein als kurz und schmerzlos geplantes Verfahren kann durch Verzögerungen verschiedenster Art aus dem Ruder laufen und über Jahre hinweg Nerven schreddern.

• Es muss nur einer der Beteiligten krank werden oder sich in einen längeren Urlaub verabschieden, und schon verlängert sich der Prozess um Wochen. • Wenn der Mandant seinen Anwalt wechselt, muss sich der neue Rechtsvertreter erst mal in den Fall einlesen. Je dicker die Akte bereits geworden ist, desto länger dauert das. • Ein weiterer Zeitfresser: Eine Gerichtsverhandlung wird nach fünf Minuten vertagt, weil der Richter erst jetzt weitere Unterlagen anfordert. Damit hat er den Fall erst mal wieder vom Tisch und sich so etwas Freiraum in seinem engen Tagesablauf geschaffen. Doch Kläger und Beklagter sowie ihre Anwälte müssen eine Extrarunde drehen, bis alle wieder im Gerichtssaal zusammenkommen. Das führt gleich zum nächsten Punkt: • Terminschwierigkeiten können dafür sorgen, dass ein Verfahren für längere Zeit ausgesetzt wird.

Bei einem Baurechtsfall stehen der beklagte Handwerker und sein Anwalt, der zuständige Richter sowie mein Mandant und ich auf der Baustelle. Es hat sich herausgestellt, dass eine zweite Ortsbegehung nötig ist, also wischen nun fünf Menschen auf ihren Smartphones herum, um möglichst bald einen gemeinsamen Termin zu finden. Monat für Monat blättern wir weiter nach hinten. Endlich haben wir einen Tag gefunden, an dem alle noch ein paar unbelegte Stunden haben. Ich kann es kaum fassen: Unser nächstes Treffen wird erst in einem guten halben Jahr stattfinden.

Richter und Anwälte können bei solch langen Pausen den Fall auf Wiedervorlage legen – doch die Mandanten schleppen ihn Tag für Tag mit sich herum, bis es endlich weitergeht.

• Auch das Spiel mit Gutachten und Gegengutachten verschlingt jede Menge Zeit – schon allein deswegen, weil manche Gutachter ein volles Jahr brauchen, um eine Beurteilung fertigzustellen. Oft beauftragt jede Seite auch noch einen zweiten und dritten Gutachter, um die jeweilige Sichtweise zu untermauern. Selbst die Aussage eines vom Richter bestellten Obergutachters ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Die Parteien können ihn mit weiteren Gutachten in Zweifel ziehen. Wenn sich Kläger und Beklagter auf einen gemeinsamen Gutachter einigen, spart das Zeit und Kosten. Doch leider gelingt das nur in wenigen Fällen, denn es ist nicht einfach, einen Experten zu finden, dem beide Seiten gleichermaßen vertrauen. • Oder der Prozessgegner spielt auf Zeit: »Mal sehen, ob der andere genug Nerven hat und es bis zum Ende durchzieht.« Oft ist es die prozesserfahrenere Partei, die selbst simple Fälle kompliziert macht. Ich persönlich finde so eine Zermürbungstaktik ehrenrührig. Doch ich erlebe es immer wieder, dass der Prozessgegner bedenkenlos jeden Kniff anwendet, wenn es ihm nur einen Vorteil bringen könnte.

Es muss sich also niemand wundern, wenn es Jahre dauert, bis in einem Prozess endlich ein Urteil gesprochen wird. Und die ganze Zeit über lässt Kläger und Beklagten die Thematik nicht los. Eine Wahnsinnsbelastung! Und je länger der Prozess dauert, umso größer wird sie! Irgendwann sind die Mandanten ausgebrannt und wollen nur noch, dass es vorbei ist. Das gilt übrigens auch für diejenigen, die als Privatpersonen den Prozess erst angestoßen haben – auch den größten Streithansel nimmt eine Auseinandersetzung mit.

Kläger und Beklagte können sich nicht zurücklehnen und alles ihren Anwälten überlassen; sie müssen in ihrem Prozess mitziehen und Verantwortung übernehmen. Egal, ob der Prozess über Monate oder Jahre geht – der Zeitaufwand ist für die Mandanten erheblich und wird von ihnen als belastend wahrgenommen.

1. Zeitaufwand

2. Kosten

3. Prozessrisiko

Bis aufs Hemd

Recht haben und Recht bekommen sind zwei Paar Schuhe – diesen Spruch kennt jeder. Doch die meisten Mandanten glauben: »Bei mir ist das anders. Mein Fall ist ja eindeutig, den kann ich gar nicht verlieren!« Trotz eingehender Belehrung über die möglichen Folgen blenden Kläger wie Beklagte einen negativen Prozessausgang aus und stürzen sich in einen Prozess, der sie finanziell überfordern könnte. Sie übersehen zum Beispiel, dass die Rollen von »Bösewicht« und »Unschuldslamm« vor Gericht nur äußerst selten eindeutig verteilt sind. Deshalb sehen viele Gerichtsurteile die Quotelung der Kosten vor – die angefallenen Kosten werden also auf beide Parteien aufgeteilt. Dann gibt es keine Gewinner, nur Verlierer.

»Was ist, wenn ich bezahlen muss?« – dieser Gedanke geht an die Substanz. Denn die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise tragen zu müssen, kann für einen Mandanten sogar existenzbedrohend sein.

Deshalb ist es so wichtig, dass sich die Mandanten schon im Vorfeld klar machen: »Wenn es schief geht, wie viel Geld muss ich maximal bezahlen? Und könnte ich diesen Betrag überhaupt stemmen?«

• Bis ein Urteil gesprochen wird, fallen auf jeden Fall Anwalts- und Gerichtskosten an. Es ist ganz einfach, sie zu berechnen, denn im Wesentlichen hängen sie vom Streitwert ab. Im Internet gibt es von verschiedenen Anbietern Eingabemasken, die innerhalb weniger Sekunden diese Kosten berechnen.

Wenn Bausachen vor Gericht kommen – das ist mein Spezialgebiet – ist der Durchschnitts-Streitwert relativ hoch: 42.000 Euro. Schnell diesen Betrag in die Maske eingetippt und schon zeigt der Bildschirm die Honorare des eigenen und des gegnerischen Anwalts in der ersten Instanz zu je 3.260 Euro an. Dazu kommen Gerichtskosten von 1.533 Euro. Unterm Strich sind das über 8.000 Euro. Geht es auch noch in die zweite Instanz, kommen insgesamt knapp 17.400 Euro zusammen.

Der Kläger muss die Gerichtskosten vorstrecken. Lässt er sich von einem Anwalt vertreten, ist mit Einreichung der Klage auch gleich noch das Honorar fällig. Für die Rechnungen des gegnerischen Anwalts kommt zunächst der Beklagte auf. Beide müssen also von vornherein Geld bezahlen, ob sie es zurückbekommen, hängt vom Ausgang des Verfahrens ab.

• Werden Sachverständige für die Beweisaufnahme benötigt, kommen deren Honorare noch dazu. Sie können ein bedeutender Kostenfaktor sein: Im Baurecht zum Beispiel sind Gutachter-Honorare im hohen fünfstelligen Bereich keine Seltenheit. • Für Zeugen gibt es Aufwandsentschädigungen in der Größenordnung von etwa 100 bis 150 Euro. Nach dem Prinzip der Beweislastverteilung muss jede Partei seine Gutachter und Zeugen erst einmal selbst bezahlen. Ob man sein Geld wiedersieht, ist ungewiss. • Und noch ein Kostenfaktor kommt dazu, den viele nicht mit auf der Rechnung haben: der eigene Aufwand. Dazu gehören Fahrtkosten und Übernachtungen im Hotel, aber auch entgangener Verdienst. Wenn zum Beispiel ein Selbstständiger einen halben Tag beim Ortstermin verbringt, ist das für ihn nicht billig.

Auf die Bausache mit 42.000 Euro Streitwert bezogen heißt das: In erster Instanz sind mit Gesamtkosten von etwa 20.000 Euro zu rechnen, in zweiter Instanz ist die 30.000-Euro-Marke schnell überschritten.

Je nach Streitwert kann ein Prozess sehr teuer werden. Zu den Gerichts- und Anwaltskosten kommen weitere Posten dazu, die der Mandant anfangs nicht auf dem Schirm hat.

Und was ist mit der Rechtsschutzversicherung? Ich finde es gut, wenn sich Mandanten nur wenig Sorgen um die Prozesskosten machen müssen, weil ihre Versicherung sie übernimmt. Ich habe es allerdings schon oft erleben müssen, dass Rechtsschutzversicherungen zwar gerne die Beiträge kassieren, sich aber im Leistungsfall um die Zahlung drücken wollen. Später mehr zu diesem Thema, an dieser Stelle aber schon mal die folgende Geschichte:

Eine Mutter und ihr Sohn haben gemeinsam ein Haus gekauft, dann gab es Streit mit dem Verkäufer. Als sich die Mutter bei ihrer Rechtsschutzversicherung erkundigte, ob sie eine Deckungszusage für einen Prozess bekommt, fiel die Antwort positiv aus. Doch die Sache hatte einen Haken: Weil der Sohn keine Rechtsschutzversicherung hat, er aber mit im Kaufvertrag steht, wurden nur 50 Prozent der Anwaltskosten übernommen. Diese Sichtweise ist absolut unüblich – andere Versicherer haben in vergleichbaren Fällen ganz selbstverständlich die Gesamtkosten übernommen. Meine beiden Mandanten hatten einfach Pech. Um an ihr Geld zu kommen, hätten sie einen weiteren Prozess führen müssen, und zwar gegen ihre Rechtsschutzversicherung. Aber das ging über ihre Kräfte, das Verfahren gegen den ehemaligen Hausbesitzer hatte sie schon ausgelaugt.

Kläger und Beklagte sollten sich sehr gut überlegen, ob sie einem Gang vor Gericht finanziell gewachsen sind. Selbst eine Rechtsschutzversicherung kann sie im Regen stehen lassen.

1. Zeitaufwand

2. Kosten

3. Prozessrisiko

Irrtümer und Lügen

Die größte Belastung für Mandanten besteht darin, dass der Ausgang ihres Verfahrens nicht vorhersagbar ist. Anfangs sind sie noch meist guten Mutes – sie fühlen sich ja im Recht. Doch je länger sich das Verfahren hinzieht, umso mehr kommen sie ins Grübeln und die Erkenntnis macht sich breit, dass das Urteil auch ganz anders als erwartet ausfallen kann. Wie ist es möglich, dass trotz hervorragender Gesetze bis zum Ende offen ist, wie der Richter entscheiden wird? Einer der wichtigsten Gründe hierfür lautet: Nirgendwo wird so viel gelogen wie vor Gericht. Das Lügen fängt mit »kleinen Unwahrheiten« an. Ein ganz typischer Fall:

Der Käufer eines Oldtimers hat dessen Verkäufer verklagt. Fünf Mängelpunkte stehen auf seiner Liste, für die er Nacherfüllung oder Schadenersatz verlangt. Einer dieser Punkte lautet: In der Rückbank ist ein Riss. »Was hat das mit mir zu tun?«, ist die Reaktion des Beklagten vor Gericht. »Die Abmachung war: gekauft wie gesehen. Mit der kaputten Rückbank habe ich nichts zu schaffen.«

Der Anwalt blättert kurz im Papierstapel vor sich, holt den Kaufvertrag hervor und legt ihn dem Verkäufer vor. Da steht klipp und klar: Der Riss in der Rückbank wird noch vor der Übergabe des Oldtimers vom Verkäufer fachmännisch repariert. Der Mann wirft einen kurzen Blick auf den Vertrag und sagt kleinlaut: »Ach so, ja, richtig.«

Hat der Autoverkäufer bewusst gelogen? Wer weiß. Vermutlich war es eine Schutzbehauptung – also eine bewusste Lüge, in der Hoffnung, dass er mit seiner Version durchkommt und er nicht nacherfüllen muss. Dass ihm die Feinheiten des Vertrages entfallen waren, ist weniger wahrscheinlich. Schließlich lagen ihm und seinem Anwalt ja die fünf strittigen Punkte vor.

Das erlebe ich vor Gericht immer wieder: Jemandem schwant, dass er Unrecht hat; doch statt seinen Fehler zuzugeben und die Konsequenzen zu tragen, flüchtet er sich in Lügen. Dieses Verhalten ist leider nur allzu menschlich. Umso wichtiger ist es, Beweise zur Hand zu haben, die solche Behauptungen schnell widerlegen.

Das beste Gegenmittel gegen Lügen sind hieb- und stichfeste Beweise.

Wie können solche Beweise aussehen? Richter entscheiden im Wesentlichen aufgrund der drei folgenden Beweismittel:

• Urkundenbeweis – dazu gehören Verträge und beglaubigte Kopien.

Achtung: Dateien, Fotos, Kopien, Videos usw., aber auch zum Beispiel der wahrgenommene Lärm bei einem Ortstermin gelten nicht als Urkundenbeweis, sondern als »Augenschein«. Es handelt sich hierbei zwar auch um Beweismittel, doch sie werden vor Gericht als sehr viel weniger aussagekräftig bewertet.

• Zeugenbeweis – Aussagen von Menschen, die aus eigenem Erleben etwas zum Hergang der strittigen Sache beitragen können.• Gutachterbeweis – Aussagen von unabhängigen, fachlich kompetenten Personen.

Davon, dass manche Menschen aus Eigennutz die Wahrheit verdrehen, war bereits die Rede. Doch es gibt noch einen weiteren Grund für die Unzuverlässigkeit von Zeugenaussagen: Menschen interpretieren Geschehnisse ganz allgemein ihren Erwartungen und Wünschen entsprechend. Sobald das »modifizierte« Erlebnis im Gehirn abgespeichert ist, sind sie von ihrer Version in der Regel so fest überzeugt, dass sie sich durch kein Argument mehr von ihr abbringen lassen.

Ein Mann soll am 15. September des vergangenen Jahres über eine Hecke in den Garten seines Nachbarn gestiegen sein und dort einen kleinen Obstbaum gefällt haben. Der Bewohner des Hauses gegenüber, der mit dem Kläger befreundet ist, sagt aus, dass er den Beklagten an diesem Tag im Garten des Geschädigten gesehen hat – mit einem Beil in der Hand. Für den Beklagten sieht es nicht gut aus, obwohl er versichert, dass er unschuldig ist. Doch dann verwickelt sich der Zeuge in Widersprüche. Der Richter fragt eingehend nach: »Gerade haben Sie ausgesagt, dass der Beklagte ein Beil in der Hand hatte, nun reden Sie von einer Säge. Mir ist es lieber, sie sagen nichts, als dass Sie hier die Unwahrheit sagen!« Doch der Zeuge bleibt jetzt bei der Version mit dem Beil. Kurze Zeit später, als der Anwalt des Beklagten noch einmal nachhakt, wann genau der Zeuge die Beobachtung gemacht hat, wird dessen Aussage immer diffuser: »Naja, ob das jetzt der 14. oder der 15. September gewesen war, weiß ich nicht mehr genau. Aber es muss der 15. gewesen sein, denn da ist der Baum ja umgehackt worden.« Der Richter bewertet seine Aussage als nicht sehr glaubwürdig. Den Zeugen bringt das zur Weißglut. Er ist sich ja sicher, dass der Beklagte schuldig ist und seine Aussage ihn überführt. »Die stecken doch alle unter einer Decke!«, schimpft er.

Jede Erinnerung ist eine neue Inszenierung. Trotzdem ist neben dem Urkundenbeweis vor allem der Zeugenbeweis von Bedeutung – eine der ersten Fragen vor Gericht lautet oft: »Wer war denn noch mit dabei?«

Anhand der Aussage eines Zeugen zur Wahrheit vorzustoßen, ist schon schwierig genug. Noch komplizierter wird es, wenn mehrere Zeugen sich widersprechen. Der eine schwört Stein und Bein, dass die Ampel auf »Grün« stand, der andere ist sich absolut sicher, dass es »Rot« war. Klar ist nur: Einer von beiden lügt. Ist das nicht ein bisschen übertrieben, in so einem Fall von Lüge zu sprechen? Man kann sich doch mal irren! Doch genau das ist ja das Besondere vor Gericht: Von einer Zeugenaussage kann sehr, sehr viel abhängen. Manchmal stehen Existenzen auf dem Spiel oder auch das Sorgerecht für Kinder, bei Strafprozessen droht sogar der Freiheitsentzug. Deshalb werden Zeugen eindringlich belehrt, bevor sie ihre Aussage machen: Sie sollen nur das aussagen, was sie ohne jeden Zweifel gesehen und erlebt haben. Irrtümer entstehen dann, wenn sich jemand nicht ganz sicher ist. Ein Zeuge, der vor Gericht die Unwahrheit sagt, irrt also nicht – er lügt. Denn er sagt: »Ich weiß es genau«, obwohl das definitiv nicht stimmt.

Trotz der Belehrung der Zeugen kommt es immer wieder zu Aussagen, die sich widersprechen. In solchen Situationen für Klarheit zu sorgen, ist sehr zeitaufwendig, und nicht immer können die Widersprüche zufriedenstellend aufgelöst werden.

Der Prozess meiner Mandantin zieht sich schon über Jahre, es geht um Mängel an der von ihr gekauften Wohnung. Kürzlich fand wieder einmal eine Zeugenvernehmung statt. Geschlagene sechs Stunden lang erklärten die fünf Zeugen des Prozessgegners dem Gericht, wie der Zustand der Wohnung am Einzugstermin im Jahr 2014 ausgesehen hat. Der Tenor ihrer Aussagen lautete: »Die Wohnung war bezugsfertig. Alles tipptopp. Da wär ich selber gerne eingezogen.« Die Sache hatte nur zwei Haken. Erstens: In Detailfragen widersprachen sich die Zeugen gegenseitig. Und zweitens: Ihre Aussagen waren das krasse Gegenteil zu den Aussagen der Zeugen meiner Mandantin. Die hatten beim vorherigen Gerichtstermin keinen Zweifel daran gelassen, dass die Wohnung zum Einzugstermin fast noch ein Rohbau gewesen war. »Noch nicht mal Wasserhähne waren installiert, das kann ich beschwören!«

Eine der kompliziertesten Aufgaben eines Richters ist es, die Glaubwürdigkeit von Zeugen zu bewerten.

Noch schwieriger wird die Wahrheitsfindung, wenn Zeugen ganz bewusst lügen. Denn so mancher Kläger und so mancher Beklagte ist so überzeugt von seinem Recht, dass er nichts dabei findet, mit Hilfe eines Freundes oder Bekannten eine kleine Abkürzung zu nehmen: »Hör mal, ich hab da ein Problem. Kannst du mir einen kleinen Gefallen tun?« Dann kann der Prozessgegner nur noch hoffen, dass sich der Zeuge in Widersprüche verwickeln lässt.

Georg hat seinem Freund Max 5.000 Euro geliehen. »In zwei Wochen hast du das Geld wieder, keine Sorge! Ich hab nur gerade einen kleinen finanziellen Engpass.« Georg hat ein paar Monate Geduld, doch weder Max noch sein Geld sieht er wieder. Als er ihn ein halbes Jahr später zu fassen bekommt, behauptet Max, dass er Georg das Geld schon längst wiedergegeben hat. »Das wüsste ich aber!«, meint Georg und verklagt Max. Dieser präsentiert einen Kumpel als Zeugen, der aussagt: »Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Max dem Georg das Geld zurückgegeben hat.« Wenn den beiden nicht noch ein dummer Fehler unterläuft, zum Beispiel, dass der eine sagt, es war ein dickes Bündel 50-Euro-Scheine, und der andere, dass es zehn 500-Euro-Scheine in einem Umschlag waren, hat Georg keine Chance, sein Geld wiederzubekommen.

Für Mandanten ist es schwer zu ertragen, wenn ihr Gegner einen Zeugen organisiert hat, der zu einer Falschaussage bereit ist. Typisch ist so ein Vorgehen bei Streitigkeiten nach Autounfällen. War der Geschädigte allein im Auto und der Unfallverursacher zaubert einen Zeugen aus dem Hut, der den Unfallhergang ganz anders beschreibt, hat die Wahrheit kaum eine Chance. Nur selten sind Indizien so aussagekräftig, dass sie eine dreiste Lüge auffliegen lassen. Richter und Anwälte können in solchen Fällen an das schlechte Gewissen des falschen Zeugen appellieren, meiner Erfahrung nach allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Einen spürbaren Effekt hat dagegen die Vereidigung des Zeugen.

Lügen vor Gericht ist ein riskantes Spiel: Wer als Zeuge oder Sachverständiger uneidlich falsch aussagt, wird mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Wurde er vereidigt, beträgt die Mindeststrafe ein Jahr, in weniger schweren Fällen sechs Monate (§ 153 f. Strafgesetzbuch).

Der Unterschied zwischen den Strafen für eine uneidliche und eine eidliche Falschaussage ist also gar nicht so groß. Und doch ändert sich die Atmosphäre im Gerichtssaal schlagartig, wenn der Zeuge vereidigt wird. Es gehört schon einiges dazu, unter Eid zu lügen. Ich wundere mich, dass die meisten Anwälte nur sehr selten von diesem Werkzeug Gebrauch machen. Dabei können sie jederzeit den Antrag auf Vereidigung stellen.