(Kein) Sex im Altenheim? - Ruth van der Vight-Klußmann - E-Book

(Kein) Sex im Altenheim? E-Book

Ruth van der Vight-Klußmann

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Beschreibung

kurz und knapp: Sicherheit im Umgang mit der Sexualität der Betreuten Antworten auf ein Tabu-Thema Leitfaden als Orientierungs- und Entscheidungshilfe Alte Menschen in betreuten Wohn- und Lebensituationen haben ebenso das Bedürfnis nach gelebter Sexualität wie jüngere Personen. Dies stellt Pflege- und Betreuungskräfte jedoch vor große Herausforderungen: Wie gehen sie mit den sexuellen Wünschen ihrer Kunden um? Wie reagieren sie auf sexuelle Avancen ihrer Klienten? Wie wehren sie sexuelle Übergriffe ab? Wie gehen sie mit der Sexualität von Demenzbetroffenen um? Was bieten Sexualbegleiterinnen und wie werden sie ggf. engagiert? Auf diese und weitere Fragen bietet das Buch Antworten. In gut verständlicher Sprache werden Probleme erörtert und Perspektiven aufgezeigt - viele Beispiele vermitteln dabei einen direkten Praxisbezug. Das Besondere: Dieses Buch enthält einen praktischen Leitfaden, der Pflegenden als Orientierungs- und Entscheidungshilfe und im Alltag dienen kann.

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Seitenzahl: 144

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Ruth van der Vight-Klußmann

(Kein) Sex im Altenheim?

Körperlichkeit und Sexualität in der Altenhilfe

Ruth van der Vight-Klußmann ist Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin und Master in der Sozialen Arbeit. Neben der breitgefächerten Betreuung von Menschen in schwierigen Lebenslagen bei einem großen Hamburger Arbeitgeber ist sie als gesetzliche Betreuerin selbstständig tätig.

»Nicht der Mensch hat am meisten gelebt, welcher die höchsten Jahre zählt, sondern der, welcher sein Leben am meisten empfunden hat.«

JEAN-JACQUES ROUSSEAU

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-89993-328-4 (Print) ISBN 978-3-8426-8511-6 (PDF)

© 2014 Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. Alle Angaben erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Autoren und des Verlages. Für Änderungen und Fehler, die trotz der sorgfältigen Überprüfung aller Angaben nicht völlig auszuschließen sind, kann keinerlei Verantwortung oder Haftung übernommen werden. Die im Folgenden verwendeten Personen- und Berufsbezeichnungen stehen immer gleichwertig für beide Geschlechter, auch wenn sie nur in einer Form benannt sind. Ein Markenzeichen kann warenrechtlich geschützt sein, ohne dass dieses besonders gekennzeichnet wurde.

Reihengestaltung:

Groothuis, Lohfert, Consorten | glcons.de

Satz:

PER Medien+Marketing GmbH, Braunschweig

Druck:

Druck Thiebes GmbH, Hagen

INHALT

Vorwort

Einleitung

Was möchte dieses Buch?

1Sexualität im Alter – Fragen

2Was ist Sexualität?

2.1Soziobiologische Perspektive

2.2Biologische Perspektive

2.3Geschlechtsspezifische Aspekte

3Sexualität im Alter – Bestandsaufnahme

3.1Gelebte Sexualität

3.1.1Zu Hause

3.1.2In Pflegeeinrichtungen

4Gesellschaftliche Perspektive

4.1Grundverständnis der gesellschaftlichen Entwicklung – Tabuisierung

4.1.1Bedeutungskonstruktionen von Sexualität

4.2Filme

4.2.1»Wolke 9«

4.2.2»Silber Sinnlich Sexy«

4.2.3»Die Heide ruft«

4.3Kampagne

4.3.1»DOCH NOCH – Sex im Altersheim«

5Fokus 1: Einrichtungen der Altenpflegehilfe

5.1Sex im Altenpflegeheim?!

5.1.1Das Team

5.1.2Die betroffenen Bewohner

5.1.3Intimität, Sexualität – tabu!

5.1.4Bedürfnisse und die Grenzen

5.1.5Demenz und Sexualität

5.1.6Homosexualität

5.1.7Krankheit und Sexualität

6Fokus 2: Altenpflege- und Betreuungskräfte

6.1Perspektiven/Aspekte der Pflegenden

6.1.1Ekel

6.1.2Scham

6.1.3(Gefühls-)Grenzen

6.1.4Gewalt

6.2Herausforderungen

7Exkurs: Exemplarische Darstellung zweier Konzepte

7.1Pflegekonzept Haus Weinberg

7.1.1Grundlagen

7.1.2Umsetzung

7.1.3Fazit

7.2Konzept Sozialer Dienst im Rudolf-Schloer-Stift – Umgang mit demenziell veränderten Bewohnern

7.2.1Grundlagen

7.2.2Umsetzung

7.2.3Fazit

8Ansätze – Schritte – Aufbrüche – Grenzen

8.1Gesundheitsförderung und Pflege – ein komplementäres Verhältnis

8.2Das offene Gespräch und hilfreiche Umgangsformen

8.3Gesprächs- und psychologisch-therapeutische Ansätze

8.4Integrative Validation®

8.5Sexualassistenz/Sexualbegleitung

8.5.1Was ist Sexualassistenz/Sexualbegleitung, welcher Qualifikation bedarf sie und wo sind ihre Grenzen?

8.5.2Sexualassistenz/Sexualbegleitung – Perspektive 1

8.5.3Sexualassistenz/Sexualbegleitung – Perspektive 2

8.5.4Sexualassistenz als Bedürfnisbefriedigung?

8.6Das »Bio-psycho-soziale Modell der Sozialen Arbeit«

9Praxisleitfaden

Praxisleitfaden für den Umgang mit Körperlichkeit und Sexualität in der Altenhilfe

9.1Erläuterungen zum Praxisleitfaden

10Ethische Grenzen!?

11Ergebnis – Ausblick – offene Fragen

Literatur

Internet

Register

VORWORT

Generell erfordert die Pflegepraxis den unermüdlichen Einsatz der pflegenden und betreuenden Menschen: Pflegende sind den erschwerten Bedingungen von Schichtarbeit, Zeitknappheit, großer körperlicher sowie psychischer Anstrengung ausgesetzt und müssen bereit sein, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Nicht selten berichteten Pflegende daher von der Gefahr einer drohenden emotionalen Erschöpfung, dem sogenannten Burn-out-Syndrom.

Zusätzlich zu diesen gewohnten Belastungen stellen sich Fragen, ob und wie kann unter diesen Bedingungen einerseits auch den sexuellen Bedürfnissen der Bewohnenden entsprochen werden und wie können sich andererseits Pflegende gegen alltägliche, sexuelle Übergriffe seitens der Pflegebedürftigen schützen?

Konfrontiert mit der Sexualität der zu pflegenden Bewohner und Klienten sind Mitarbeitende der Pflege und Betreuung häufig ratlos. Sie fühlen sich überfordert und sind angespannt.

Eine Expertin brachte den folgenden Appell zum Ausdruck:»Es muss etwas passieren, mit der Sexualität unserer Alten«.

Das Erkennen dieser Realität – der vorherrschenden, oft desaströsen Zustände sowohl für Bewohner als auch für Personal – sollte zwingend ein Handeln nach sich ziehen. Das vorliegende Buch sensibilisiert daher für die Thematik, gibt einen Einblick und zeigt schließlich Handlungsoptionen auf.

Während meines Master-Studiums in der Sozialen Arbeit forschte ich zum Thema »Sexualität im Alter«, speziell zur »Sexualität der stationären Altenhilfe«, und begann den hier vorliegenden Praxisleitfaden zu entwickeln. Er soll als Orientierungshilfe dienen sowie eine konkrete Unterstützung für das eigene Verhalten bieten. Jetzt ist er als Bestandteil dieses Buches einer breiten Öffentlichkeit zugänglich, um sich als nützliches Instrument für das rat- und hilfesuchenden Pflege- und Betreuungspersonal zu bewähren.

Den Lesern dieses Buches wünsche ich eine spannende Reise durch ein Thema, das vermutlich vielen Menschen in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang begegnen wird. Allen Pflegenden und Betreuenden wünsche ich, dass sie von meiner Arbeit profitieren und eine Möglichkeit der Umsetzung in Praxis finden. Ferner hoffe ich, dass Ihnen mein Buch gefällt und Sie es gerne weiterempfehlen.

Hamburg, Dezember 2013

Ruth van der Vight-Klußmann

Anmerkung

Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Gender- und Queer-Zeitalters sowie einer legalisierten Intersexualität werden aus Vereinfachungsgründen generische Maskulina, also die männliche Formen, wie beispielweise Pfleger, Bewohner etc. in ihrer geschlechtsunspezifischen Bedeutung verwendet.

EINLEITUNG

Alte Menschen haben Sex.

Die Erkenntnis, dass auch betagte und pflegebedürftige Menschen ihre Sexualität ausleben möchten, ist in den Altenpflegeeinrichtungen bisher nicht konzeptionell übersetzt worden. Das macht nach bisherigem Kenntnisstand sowohl die Pflegenden als auch die Gepflegten hilflos und ohnmächtig. Um aus dieser defizitären Situation Konsequenzen ziehen zu können, muss das Problem bewusst werden, Betroffene müssen darüber ins Gespräch kommen und ein Prozess der Enttabuisierung eingeleitet werden.

Vor diesem Hintergrund stellen sich die folgenden Fragen:

• Soll etwas an dieser »defizitären Situation« verändert werden?

• Wenn ja: In welcher Art und Weise werden Veränderungen benötigt?

• Oder: Sollte man den Status quo belassen, und wenn ja, warum?

Erst, wenn im Verlauf dieser Auseinandersetzung die Grenzlinien zwischen allen Beteiligten definiert werden und die Vor- und Nachteile einer Veränderung oder auch einer Beibehaltung der bisherigen Situation abgewogen worden sind, lässt sich offensiv an die Erarbeitung herangehen und mögliche neue Lösungsansätze konzeptionell umsetzen.

Was möchte dieses Buch?

Mit den vielen Beispielen aus der Praxis versucht dieses Buch, die Realität aus zwei Perspektiven darzustellen:

1. Hinsichtlich des Status quo, wie alte Menschen in Alten- und Pflegeeinrichtungen ihre Sexualität aktuell leben.

2. Bezüglich dessen, wie das Pflegepersonal diesbezügliche unausweichliche Situationen (mit)erlebt.

Dabei gliedert sich das Buch entlang der folgenden Struktur: In Vorwort, Einleitung und erstem Kapitel wird auf das Thema hingeführt, die Struktur vorgestellt und die Brisanz und Wichtigkeit der Thematik erläutert. Wesentliche Fragen werden aufgeworfen, um im Verlauf des Buches Antworten zu geben.

Das zweite Kapitel berücksichtigt eine multidisziplinäre Vorgehensweise: Soziobiologische, biologische und psychologische Aspekte des Begriffs Sexualität werden beleuchtet, um das Phänomen Sexualität zu fassen. Dabei wird der Begriff Sexualität als Arbeitsbegriff bestimmt und ein relativ weiter Bogen geschlagen, um all diese Zugänge zu berücksichtigen. Denn durch eine begriffliche Vorauswahl sollen keine Ergebnisse vorweggenommen werden.

Im dritten Kapitel wird eine Erklärung dazu gegeben, was unter Sexualität im Alter zu verstehen ist. Anschließend werden Vorfälle der alltäglichen Pflegepraxis aufgezeigt, um die Praxisrelevanz zu verdeutlichen. Dabei handelt es sich um Beispiele, die in Altenhilfeeinrichtungen zu drastischen Problemen führen können. Unzählige, eher unauffällige Beispiele aus dem Bereich der Sexualität im Alter sind nicht Bestandteil dieser Publikation.

Das vierte Kapitel stellt die gesellschaftliche Wahrnehmung des Themas dar. Es beinhaltet eine Auswahl von Filmen und Kampagnen, die sich mit dem Thema befassen. Sie werden benannt, kurz erläutert und dienen u. a. der Darstellung des gegenwärtigen gesellschaftlichen Umgangs mit der Thematik.

Das fünfte Kapitel dient der Problematisierung. Hierzu wird die Altenpflegehilfe bezüglich der sexuellen Bedürfnisse ihrer Bewohner und Bewohnerinnen unter die Lupe genommen. Dabei werden einerseits einzelne Aspekte der Sexualität, andererseits die damit verbundenen, einzelnen Gefühle thematisiert.

Da es in dieser Lektüre nicht nur um Sexualität im Alter im Allgemeinen geht, sondern speziell um die in der stationären Altenhilfe, erfolgt im sechsten Kapitel eine exemplarische Darstellung zweier Konzepte der Altenhilfe. Sie werden hinsichtlich der Aspekte Körperlichkeit und Umgang mit der Sexualität ihrer Bewohner und Bewohnerinnen untersucht.

Im siebten Kapitel wird versucht, die wichtigsten Problemfelder zu beschreiben, die sich im Umgang mit sexuellen Bedürfnissen in Altenpflegeheimen ergeben. Hierbei wird vorrangig der Frage nachgegangen, welche Möglichkeiten es gibt, diese Probleme zu bewältigen. Es werden verschiedene Ansätze vorgestellt und ihre Vor- und Nachteile erläutert. So sind dies die Veränderungen im Gesundheitswesen, das sich verstärkt um ein komplementäres Verhältnis zwischen Gesundheitsförderung und Pflege bemüht und somit den Blick von der Defizitorientierung hin zu einer Ressourcenförderung versucht. Es werden verschiedene Erkenntnisse erhoben: über das offene Gespräch hin zu gesprächs- und psychologisch-therapeutischen Ansätzen, zur integrativen Validation bis zur Sexualassistenz/Sexualbegleitung. Zudem wird der Fragestellung nachgegangen, weshalb die Probleme der Sexualität im bio-psycho-sozialen Modell der Sozialen Arbeit nicht ausreichend erfasst und bearbeitet werden

Das achte Kapitel unterbreitet schließlich einen praktischen Vorschlag – den Leitfaden für den Umgang mit Sexualität von alten Menschen in Altenpflegeeinrichtungen und in der ambulanten Pflege. Er wird vorgestellt und ausführlich erläutert.

Im neunten Kapitel schließlich wird ein schwieriger Bereich der Thematik fokussiert: ethische Grenzen, die dieses Thema impliziert. Um die Arbeit allerdings im Umfang nicht völlig zu sprengen, muss sich hier auf wenige Aspekte beschränkt werden.

Im zehnten und letzten Kapitel, werden konzeptionelle Ansätze, Entwicklungsschritte, Aufbrüche, Grenzen und das Ergebnis erörtert.

1SEXUALITÄT IM ALTER – FRAGEN

Vor dem Hintergrund, wie die Sexualität alternder, pflegebedürftiger Menschen aktuell in unserer Gesellschaft wahrgenommen wird, stellen sich viele Fragen, die einen weiten Bogen um das Thema spannen und unterschiedliche Perspektiven beleuchten:

• Was geschieht in den einzelnen Einrichtungen der Altenhilfe und Sozialen Arbeit in punkto Bewohner- bzw. Klientensexualität?

• Wie kann oder soll(te) mit den sexuellen Bedürfnissen der Klienten umgegangen werden?

• Was kann in den Einrichtungen angeboten werden?

• Was sollten Einrichtungen vermeiden?

• Wie ließe sich ein entspannter Rückzug der Klienten organisieren, um ihre Sexualität auszuleben?

• Wo und wann hat diese intime »Privatsache« der Bewohner in einem Heim seinen Platz?

• Wie kann ein Pflegeteam den sexuellen Bedürfnissen von Bewohnern gerecht werden?

• Wie können Pflegende auf körperliche Übergriffe reagieren, die direkt auf sie selbst abzielen?

• Was tun, wenn Pflegende und Bertreuende Ekel, Abscheu oder Scham empfinden?

• Wie können die persönlichen Grenzen oder Grenzen anderer Klienten gewahrt und geschützt werden?

• Was tun mit Bewohnern, die kognitiv nicht mehr in der Lage sind, Sexualität als Intimität zu verstehen?

Fakt ist: Mit dem Einzug in eine Einrichtung der Pflegehilfe verändert sich das Leben der Betroffenen radikal. Sie können nicht mehr daheim in der vertrauten intimen Atmosphäre der eigenen Wohnung leben, sondern sind genötigt, die Tage und Nächte in einer Pflegeeinrichtung zu verbringen. Ein bewusstes Ausleben der Sexualität, wie im eigenen Zuhause, ist nicht mehr möglich, denn alltagsbedingte Störungen und nicht abschließbare Türen sind im institutionalisierten Umfeld der Normalfall. Oft sind zudem der Partner oder die Partnerin nicht mehr vorhanden – der Fokus sexueller Begierden verschiebt sich daher oft auf das Pflegepersonal oder andere Bewohner und Bewohnerinnen, die dies als übergriffig und bedrohlich empfinden.

Zwangsläufig wird so auch die eigene Sexualität der Pflegenden zum Thema. Denn finden regelrecht körperliche Übergriffe statt, werden die Grenzen der Scham, des Ekels, der Abscheu überschritten. Pflegende fühlen sich angesichts dieser Situationen ohnmächtig, ihre eigenen sexuellen Werte und Anschauungen geraten auf den Prüfstand:

• Was können und sollten sie tun, um sich selbst mit ihren dazu gehörenden Gefühlen zu schützen?

• Welche Möglichkeiten tun sich auf, um im Team anerkannt zu bleiben, um weder als prüde, noch als zu frei und fortschrittlich zu gelten.

• Wie können vor allem die persönlichen Grenzen gesichert werden?

Auch, wenn Betreuende nicht selbst Adressaten sexueller Wünsche werden, sind sie häufig Zeugen sexueller Handlungen und wiederum Gefühlen von etwa Scham oder Ärger ausgesetzt. Ihre Grenzsetzungen oder Bitten, diese Handlungen vor ihren Augen oder direkt an ihrem Körper zu unterlassen, werden krankheitsbedingt häufig nicht befolgt. Was können sie also tun, um sich in ihrem Team gut aufgehoben zu fühlen und nicht damit allein zu bleiben? Was kann ein Team selbst bewirken und was kann jeder einzelne in dieser Angelegenheit zu einem guten Arbeitsklima beitragen?

Sexualität kennt jeder. Trotzdem scheint es sinnvoll, sich vor Augen zu führen, was Sexualität eigentlich ist und welche Aspekte gerade hinsichtlich der Sexualität im Alter und in der Altenhilfe bekannt sein sollten. So lässt sich beispielsweise vor dem Hintergrund der Asymmetrie der Geschlechter auch in der Altenhilfe ein unterschiedliches Verhalten von Mann und Frau ableiten. Vermutlich wird eine Vielzahl von Problemen verständlicher werden, wenn etwa diese Unterschiede bewusst gemacht werden.

Daher soll im Folgenden erklärt werden, was unter Sexualität verstanden wird.

2WAS IST SEXUALITÄT?

Sexuelles Verhalten von Menschen, auch in Altenhilfeeinrichtungen, ist in der basalen Funktion von Sexualität begründet, wie diese sich im Verlaufe einer langen evolutionären Stammesgeschichte herausgebildet und stabilisiert hat. Es ist deshalb notwendig, sich wenigstens »im Vorübergehen« der Grundfunktion von Sexualität und ihren geschlechtsspezifischen Ausprägungen zu erinnern.

Alles individuelle Leben ist zeitlich begrenzt und muss bei zweigeschlechtlichen Lebewesen – um artspezifisch erhalten zu werden – durch das Nadelöhr der Sexualität von Mann und Frau. Durch diesen »Umweg« der zufälligen Mischung von Erbanlagen zweier Menschen (Mann und Frau) können adaptive genetische Anpassungsprozesse an veränderte Umweltbedingungen in langen Zeiträumen ablaufen und »die Art«, in diesem Fall die Spezies Mensch, bleibt lange erhalten.

2.1Soziobiologische Perspektive

Da die einschlägige Idee zur biologischen Evolution von Geschlechtsunterschieden von Darwin abstammt, wird hier erkennbar, dass eine Erkenntnisquelle nicht dem allerneusten Datum entsprechen muss, zumal es sich hierbei um grundlegende Erkenntnisse handelt.

Männer und Frauen sind dabei biologisch unterschiedlich ausgestattet (vgl. Bischof 1980). Neben anderen haben bedeutende Soziobiologen und Evolutionäre Psychologen1 in vielen Untersuchungen plausibel gemacht, dass daraus auch unterschiedliches, also geschlechtsspezifisches Verhalten wahrscheinlich wird – auch und gerade, was die Sexualität betrifft.

Laut Bischof erfordert schon die innere Brutpflege (Schwangerschaft) ein hohes »Parental Investment«, eine hohe elterliche »Investition«. Das weibliche Geschlecht muss ein nicht unterschreitbares Mindestmaß an »Parental Investment« mit Eintreten der Befruchtung erbringen, das höher liegt als der minimal mögliche Beitrag im männlichen Geschlecht. Die Natur zwingt die Frau, ihre Investitionen »in großen Portionen« zu verteilen, sie wird kaum 20 Kinder gebären können. Beim Mann ist die Zahl möglicher Nachkommen praktisch unbeschränkt. Auch während der Geburt muss die Frau (als Mutter) – aber auch, wenn sie stillt – die ersten Jahre nach der Geburt, mehr in die genetische Replikation investieren als der Mann (als Vater). Weil die Frau das »knappe Gut« (befruchtungsfähiger Eiszellen) verwaltet, müssen Männer dagegen dafür im Rahmen der sexuellen Selektion mehr investieren. Schon auf dieser Ebene lassen sich deutlich geschlechtsspezifische Verhaltensweisen unterscheiden. Sie können im Einzelfall individuell oder kulturell überformt oder verändert werden; im Durchschnitt und auf lange Sicht dürften sich solche geschlechtstypischen Verhaltensweisen auch bis hinein ins hohe Alter durchsetzen.

Mit anderen Worten, laut Bischoff: Die »Weibchen« sind selektiver als die »Männchen« und die »Männchen« sind kompetitiver als die »Weibchen«2. Das bedeutet, dass die Weibchen die Kinderzahl rationieren und die Männchen, um etwas von der rationierten Kinderzahl abzubekommen, um die Weibchen buhlen müssen. Gewissermaßen »prügeln« sie sich um die knappen Fortpflanzungschancen. Mit Bezug auf die Rivalität mit dem gleichgeschlechtlichen Artgenossen um den andersgeschlechtlichen Artgenossen, die Partnerrivalität, verhalten sich die Männchen weitaus aggressiver als die Weibchen. Die Weibchen suchen sich ihren Partner aus, weil sie das knappe Gut verwalten und gleichzeitig mehr in Schwangerschaft und Geburt investieren. Wenn sie bei der Partnerwahl einen Fehler machen, bezahlen sie das teurer, als wenn dem Männchen ein Fehler unterläuft (vgl. Bischof 1980, S. 34).

Weil Frauen einen hohen Reproduktionsaufwand betreiben, werden sie umworben, so Voland. Und weil Männer lediglich ihre Spermien produzieren und nicht viel in die Reproduktion investieren müssen, konkurrieren sie um die Frauen, die lange und ausgiebig mit ihrem Nachwuchs beschäftigt sind. Aus der Asymmetrie der Kosten für die Fortpflanzung resultieren unterschiedliche strategische Verhaltensweisen zwischen Frauen und Männern. Typischerweise verhalten sich Frauen in der Auswahl ihres Gatten eher selektiv und Männer in der Auswahl ihrer Partnerin eher günstig an die jeweilige Situation angepasst (vgl. Voland 2007, S. 50 f.).

So finden Männer jene Frauen sexy, postuliert der Biologe und Sozialwissenschaftler Eckart Voland in seinem Kapitel »Auf dem Markt der Liebe« (2007), die eindeutige Anzeichen von Gesundheit und Fruchtbarkeit zur Schau stellen, wie beispielsweise die Gesichtssymmetrie. Hingegen suchen Frauen bei den Männern eher Hinweise in der Kategorie der sozialen Platzierung, die eine Absicherung des Nachwuchses sicherstellen, wie etwa Macht, Geld, Ehrgeiz (vgl. Voland 2007, S. 57).

Da Traumpartner und Traumpartnerinnen in der Regel aber nicht zu bekommen sind, regeln Kompromisse auf dem Markt die Nachfrage und das Angebot von Sexualität und Partnerschaft. So stellen ältere Frauen laut Volant weniger Ansprüche an die gesuchten Männer, Männer mit zunehmendem Alter werden hingegen anspruchsvoller. Auch Frauen mit Kindern verfügen über einen reduzierten »Marktwert« und fordern weniger als ungebundene. Je unattraktiver Frauen sich selbst bewerten, desto weniger Ansprüche stellen sie an ihre Sexualpartner. Und je attraktiver sich Männer selbst bewerten, desto mehr sind sie bereit in sexuelle Abenteuer zu investieren und die väterliche Fürsorge zu reduzieren (vgl. Voland 2007, S. 59 f.).

Soziobiologisch sind die Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen laut Volant so zu erklären, dass im Kern gleiche Genotypen (erblich identische Organismen) auf unterschiedlich vorgefundene sozioökologische Rahmenbedingungen und Entwicklungswege Antworten in Form von Verhalten entwickeln. Somit ist die Soziobiologie eine Milieutheorie menschlichen Verhaltens, die auf einer genetischen Basis beruht (vgl. Voland 2007, S. 61).

2.2Biologische Perspektive