(KEIN) ZUCKERSCHLECKEN #1 - Lieselore Warmeling - E-Book

(KEIN) ZUCKERSCHLECKEN #1 E-Book

Lieselore Warmeling

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Beschreibung

Sie passieren einfach, diese Geschichten aus dem Leben, die einen berühren und doch werden sie von Lieselore Warmeling mit Witz, Charme und viel Lebenserfahrung erzählt. Der Leser wird diese Geschichten lieben, die zumeist ein gutes Ende finden, auch wenn "Mann" dabei durchaus mal auf der Strecke bleiben kann. Die Buntheit des Lebens wird erzählerisch eingefangen und Unterhaltung pur geboten. Eine unverzichtbare Sammel-Anthologie die es in sich hat und ein absolutes Zuckerschlecken für jeden Leser!

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Seitenzahl: 112

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(KEIN)

ZUCKERSCHLECKEN

#1

Kurzgeschichten

 

 

 

Impressum

Cover: Karsten Sturm – Chichili agency

Foto: Kate Mereand, „Sneaking a Peek Through the Glass“, CC-Lizenz (BY 2.0)

http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de

http://piqs.de/fotos/1473.html

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-416-7

MOBI ISBN 978-3-95865-417-4

 

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Das Hundewäldchen

Zusammengekauert saß der bärtige alte Mann im Nieselregen eines kalten Wintertages vor dem Tor des Tierheims, neben sich in einem kleinen Bollerwagen einen Schäferhund, der sogar aus der Nähe wie ein Bündel alter Kleider wirkte, die jemand achtlos abgelegt hatte.

Die beiden mussten schon eine ganze Weile dort warten, denn als die ersten Angestellten früh um sieben kamen, hatte der Mann Mühe, sich aus seiner Stellung zu erheben, so steif war er geworden.

Der Hund versuchte erst gar nicht auf die Beine zu kommen, er blinzelte nur kurz und schloss dann wieder die Augen, ohne einen Laut von sich zu geben.

"Es ist wegen Harras", der alte Mann sprach die junge Tierpflegerin, die das breite Tor aufschloss, zögernd an, "er ist krank" . und nach kurzem Zaudern, "sehr krank."

Er hatte seinen breitkrempigen, verwitterten Schlapphut gezogen und wartete.

"Dann müssen wir ihn uns wohl ansehen", für das Mädchen schien das ganze eher ein Routinevorgang zu sein. "Kann er noch laufen?"

"Ja schon, aber er hat Schmerzen denke ich, ich werde ihn hineintragen…"

"Aber nein, dafür ist das Tier doch viel zu schwer, sie sah ihn zweifelnd an und setzte hinzu, "und Sie auf keinen Fall kräftig genug."

"Das täuscht, erwiderte der Alte kurz, beugte sich nieder und schob seine beiden Arme wie die stählernen Greifer eines Gabelstaplers unter das Tier, um es dann sanft emporzuheben.

"Wohin?", fragte er und sein Atem schien kaum beschleunigt.

"Erst einmal ins Trockene, der Tierarzt kommt erst in einer Stunde."

Das Mädchen schritt ihm schnell voraus und bog schon wenige Meter weiter in einen kleinen Nebenweg ein, an dessen Ende ein breiter Bungalow stand.

"Hier werden unsere Neuankömmlinge untergebracht", sie schloss die Tür auf und der warme Dunst vieler Tierleiber schlug den Eintretenden entgegen.

"Legen Sie Ihren Hund hierher, Sie können bei der Untersuchung dabeibleiben, sie wies auf eine schmale Pritsche, die vor dem Behandlungsraum stand. "Es sei denn, Sie wollen das Tier nicht mehr haben und er wird ohnehin Dauergast bei uns", sie sah ihn fragend an."

"Das ist Harras und Sie sollten solche Vermutungen erst gar nicht anstellen, er versteht Sie nämlich."

Das Mädchen lächelte, "tut er das? Dann sollte ich wohl etwas vorsichtiger mit meinen Worten sein."

Der Mann legte das Tier unendlich liebevoll auf die Pritsche und setzte sich daneben. Das Mädchen ging geschäftig hin und her, ordnete Instrumente, öffnete Medizinschränke und ließ die beiden dabei nicht aus den Augen. Endlich schien sie mit ihren Vorbereitungen für den tierärztlichen Alltag fertig zu sein und wandte sich dem alten Mann und dem Hund zu.

"Darf ich ihn mir mal ansehen, oder ist er kein Menschenfreund?"

"Er ist mein Freund", das schien dem Alten als Empfehlung für sein Tier zu reichen. Vorsichtig kam das Mädchen heran, sprach mit sanfter, tiefer Stimme beruhigende Worte und streckte ihre offene Handfläche dem teilnahmslos daliegenden Hund behutsam entgegen. Er reagierte nicht.

"Harras, mein Guter", sie versuchte immer noch, die Aufmerksamkeit des Hundes zu wecken, vermied es jedoch, sich ebenfalls auf die Pritsche zu setzen.

"Mein Alter, du darfst", sagte der Mann plötzlich, "sieh doch nur, sie setzt sich nicht".

Das Mädchen lächelte, "sie mögen dass alle nicht, sie fühlen sich wie in einer Falle, wenn sie von zwei Seiten eingekreist werden und dann hat man Mühe, ihr Vertrauen zu gewinnen".

Der Mann erwiderte ihr Lächeln, "mir scheint, Sie sind hier am richtigen Platz, die Tiere werden Sie mögen."

Als wolle der Hund diesen Satz bestätigen, hob er schwach den Kopf und schnupperte an der ausgestreckten Hand, des Mädchens. Ein kaum wahrnehmbares Schwanzwedeln signalisierte, dass die kurze Prüfung befriedigend ausgefallen war.

"Äußere Verletzungen hat er keine, soweit ich sehe, aber er ist wohl schon sehr alt?"

"Das sind wir beide und bisher waren wir trotzdem noch niemals krank“, sagte der Alte und seine Worte klangen wie eine Beschwörung, dass es auch diesmal nichts schlimmes sein möge. Das junge Mädchen füllte eine Schüssel mit Wasser und schob sie sacht in die Nähe der Hundeschnauze, doch der Hund zeigte weiterhin keine Reaktion.

"Nun, was immer es ist, ich fürchte, wir werden ihn röntgen müssen, richten Sie sich schon mal darauf ein, dass unser Doktor nur dann eine wirkliche Diagnose stellen kann."

"Wie ist er? Ein guter Mann, oder einer von der Metzgersorte?"

Das Mädchen überlegte kurz, als wolle es auf keinen Fall etwas falsches sagen und sah den Alten dann voll an: "Er ist eine ehrliche Haut, wenn Ihr Hund keine Chance mehr hat, wird er es Ihnen knallhart sagen, er hält nichts davon, kranke Tiere um jeden Preis am Leben zu erhalten, aber, er tut alles, um das Einschläfern zu vermeiden.“

"Das ist gut", sagte der Alte und sah zum ersten Mal weniger besorgt aus.

"Sie können bei der Untersuchung dabeibleiben, der Doktor findet, das beruhigt seine Patienten und er hat weniger Stress, "das Mädchen strich Harras sanft mit dem Handrücken über die Stirn und verschwand dann im Nebenraum. Kurze Zeit später tauchte sie wieder auf, in der Hand einen dampfenden Becher mit Kaffee, den sie dem Alten ohne ein Wort reichte. Der nahm das Gefäß dankbar entgegen, wandte sich aber keine Sekunde von dem Tier auf der Pritsche ab. Er trank und summte dabei in tiefem Bass eine Melodie, die der Hund zu kennen schien, er öffnete die Augen und wedelte schwach.

"Ja, mein Alter, hab keine Angst, ich bin ja da, es wird dir niemand weh tun", er sang diese Worte fast und seine Stimme zitterte leicht.

Dann ging alles ziemlich schnell. Der Tierarzt, ein grobschlächtiger Mann um die 40, mit überraschend sanften Händen nahm sich viel Zeit für den alten Schäferhund und man sah seinem Gesicht nicht an, zu welchem Ergebnis er gekommen war. Endlich ging er in den Nebenraum, um die Röntgenaufnahme auszuwerten und kam lange Zeit nicht zurück. Als er wieder eintrat war sein Gesicht mehr als ernst.

"Wo leben Sie mit dem Hund", er sah den Alten fragend an und mit einem zweifelnden Blick auf dessen Kleidung, "ich meine, hat der Hund ausreichende Pflege?"

"Wir leben zusammen und was ich habe, hat auch Harras", der Alte schien nicht gesonnen, mehr Auskünfte zu geben.

"Es könnte sein, dass das in seinem jetzigen Zustand nicht mehr ausreichen wird, das Tier kann nicht auf der Straße leben, Sie sollten ihn hier bei uns lassen."

"Auf gar keinen Fall“, der alte Mann erhob sich abrupt, "sagen Sie mir nur, was er braucht, er wird es bekommen.“

Der Arzt schwieg eine Weile, seufzte tief und sagte dann rasch:

"Sie sollten wissen, dass Ihr Harras keine Chance mehr hat, ich kann ihn für etwa 24 Stunden schmerzlos halten und das werde ich auch tun, aber dann müssen Sie sich entscheiden, obwohl es eine wirkliche Wahl für jemanden, der sein Tier so liebt wie sie, nicht geben wird, nicht geben sollte.“

Der Alte antwortete nicht sofort, er schien wie betäubt vor Schmerz und sein Bart zitterte. "Und Sie irren sich nicht?" Seine Stimme war fast tonlos.

"Ich denke, Sie wissen die Antwort darauf selbst, dass Sie zu uns gekommen sind, zeigt mir, dass Sie zumindest geahnt haben wie krank Ihr Hund ist. Vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie wissen, dass seine Krankheit nichts mit seinem Leben auf der Straße zu tun hat, das kann auch jedem Wohlstandshund passieren und ist dann ebenso hoffnungslos."

Der Arzt versuchte nicht länger, seine Diagnose erträglich klingen zu lassen, er wandte sich schon seiner nächsten Aufgabe zu, "machen wir weiter Britta", sagte er kurz zu dem jungen Mädchen, das die ganze Unterhaltung in teilnehmendem Schweigen angehört hatte.

"Kommen Sie, ich gebe Ihnen das Schmerzmittel für Harras", sie legte ihre Hand auf seinen Arm und führte ihn zu einem der großen Medizinschränke.

"Sie können das Tier hier lassen“, sagte sie dann und ihre Augen wirkten dunkel vor Anteilnahme, ehe er antworten konnte fuhr sie fort: "Ich weiß, das kommt für Sie nicht in Frage, aber erwähnen muss ich es."

Sie reichte ihm ein kleines Fläschchen, "bitte jeweils dreimal am Tag 10 Tropfen ins Trinkwasser träufeln, oder auch öfter, wenn Sie merken, er hat Schmerzen."

Der Alte griff nach dem Fläschchen mit der trüben Flüssigkeit wie nach einem Rettungsanker, doch sie hielt es fest und sah ihn eindringlich an.

"Ich muss Sie warnen, achten Sie auf die Dosierung, es ist ein überaus starkes Betäubungsmittel, gleichermaßen gefährlich für Mensch und Tier."

"Danke", er verstaute das Fläschchen wie eine Kostbarkeit tief in der Tasche seines abgetragenen Mantels. Ehe er sich abwenden konnte, sagte sie, "kennen Sie die Schrebergartensiedlung am Stadtrand?"

Er schien gar nicht zuzuhören, seine Augen wirkten leer und fast blicklos.

"Sie können dort mit Harras die nächsten Tage verbringen, um diese Jahreszeit ist dort niemand“, sie griff in ihren blauen Kittel und reichte ihm einen großen Schlüssel.

"Der ist für den Eingang zur Anlage. Das Gartenhaus meines Großvaters finden Sie in der dritten rechten Abzweigung vom Tor aus betrachtet, Nummer 11, und der Schlüssel liegt unter dem Blumentopf am Eingang."

Jetzt endlich schien er seine Umgebung wieder wahrzunehmen, er sah sie an, als biete sie ihm nicht nur einen Platz für sich und das kranke Tier, sondern die Rettung aus tiefster Not.

"Mein Gott Kind, das gibt es noch?" Er betrachtete das Mädchen Britta so zweifelnd, als werde das Angebot im nächsten Augenblick zurückgezogen.

"Warum tun Sie das?"

Sie zuckte die Achseln, "wahrscheinlich weil ich gerade meine Hündin Tess verloren habe und die Erinnerung noch frisch genug ist, echte Gefühle um mich herum nicht achtlos zu übersehen. Ich arbeite hier weil Tiere nun einmal meine Welt sind, aber glauben Sie mir, oft genug würde ich das alles gern hinschmeißen beim Anblick all der vernachlässigten und misshandelten Kreaturen. Kommt dann aber Jemand wie Sie und Harras, dann weiß ich wieder, es lohnt sich", sie stockte einen Moment und fügte dann hinzu; "Liebe lohnt sich."

Der alte Mann lächelte und sah für einen Moment weniger unglücklich aus.

"Ich wünsche Ihnen, dass immer Jemand in ihrem Leben sein wird, der diese Ansicht mit Ihnen teilt“, sagte er dann und dem Mädchen war für einen Moment so, als habe der Alte sie gesegnet.

***

Der alte Ölofen in der Gartenlaube gab eine köstliche Wärme ab und die Eisblumen an den kleinen Butzenscheiben schmolzen zusehends. Beide, der alte Vagabund und sein Hund waren restlos erschöpft, es war ein weiter Weg gewesen bis hier heraus und nur auf dem letzten Stück hatte ein LKW das Wägelchen und die beiden mitgenommen. Den ganzen restlichen Weg hatte der Alte das Gefährt gezogen und von mal zu mal längere Pausen einlegen müssen.

Gierig trank das Tier das leicht erwärmte Wasser in das der alte Mann nun die vorgeschriebene Dosis der Schmerztropfen hinein gegeben hatte. Schon Minuten später streckte der Schäferhund sich seufzend wie ein alter Mensch auf der breiten Liege aus, die mitten im Raum stand und der Mann deckte ihn behutsam mit einer alten Schafwolldecke zu, die er in einem der Schränke gefunden hatte.

"Es ist soweit mein Freund, nur noch kurze Zeit und wir beide werden im ewigen Sommer auf die Jagd gehen", liebevoll strich er dem Tier über den Kopf.

"Aber jetzt muss ich dich ganz kurz allein lassen, du weißt, den letzten Gang wird ein Team wie wir beide es sind, so antreten, wie es sich für freie und stolze Geschöpfe gehört. Ich habe also noch einiges zu tun, schlafe mein Kleiner, schlafe, ich werde hier sein, wenn du erwachst, ich werde immer hier sein, immer, immer…“, seine Stimme versagte und der Hund, als habe er die beschwörende Stimme absolut verstanden, stöhnte tief und schwer und schlief ein.

***

In der Kneipe der kleinen Siedlung, die direkt hinter den Schrebergärten lag, ging´s an diesem Abend hoch her. Es war Freitag und das bevorstehende Wochenende sorgte bei allen für eine Bombenstimmung. Den alten Mann, der plötzlich in der Tür stand, bemerkten die Zecher erst, als er seine Mundharmonika ansetzte und die neuesten Hits aus den Charts zu spielen begann. Im Nu wurden Tische und Stühle beiseite geräumt und der Tanz ging los. Der Alte spielte ausgezeichnet und der Wirt sah sein Geschäft blühen.

"Spiel, spiel Alter, es soll dein Schaden nicht sein!"

Und der Alte spielte als hänge sein Seelenheil davon ab. Zwei Stunden später steckte er erschöpft und taumelnd vor Müdigkeit die Mundharmonika in die Tasche, nachdem er als letztes Lied das bekannte "muß i denn zum Städele hinaus", intoniert hatte.

Der Wirt winkte ihn an den Tresen und wollte ihm ein wirklich gut bemessenes Trinkgeld in sein Hutband stecken, aber der Alte wehrte ab.

"Das habe ich gern getan, wenn auch nicht umsonst, alles was ich von Ihnen dafür verlange, ist ein Pfund rohes gehacktes Fleisch aus Ihrer Küche, er sah den erstaunten Wirt beschwörend an, nur das, nicht mehr."

"Sollst Du haben Alter, wenngleich du dir für das Geld gewiss hättest Hackfleisch für eine ganze Woche kaufen können.“