(KEIN) ZUCKERSCHLECKEN #3 - Lieselore Warmeling - E-Book

(KEIN) ZUCKERSCHLECKEN #3 E-Book

Lieselore Warmeling

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Beschreibung

Lieselore Warmeling zeigt uns auch im 3. Band, wie das Leben seine nachhaltigen Geschichten schreibt. In ihren Kurzgeschichten steckt nicht nur viel Lebenserfahrung, sondern auch hintergündiger Witz und eine gehörige Portion Liebenswürdigkeit.

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Seitenzahl: 84

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(KEIN) ZUCKERSCHLECKEN

TEIL 3

 

 

VON

LIESELORE WARMELING

 

 

Impressum:

Cover: Karsten Sturm-Chichili Agency

Foto: Kate Mereand, „Sneaking a Peek Through the Glass“, CC-Lizenz (BY 2.0)

    http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de

    http://piqs.de/fotos/1473.htm

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-420-4

MOBI ISBN 978-3-95865-421-1

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

 

Der Rosenkavalier

„Starren Sie nicht den Mond an, das ist auch nur eine galaktische Geröllhalde“, sagte Angela und ihre Mundwinkel senkten sich dramatisch, was ihr das Aussehen einer betagten Katze gab, der soeben trotz stundenlanger Belagerung eine fette Maus entwischt war.

„Sie sollten ab und an mal zukunftsträchtige Visionen haben“, sprach sie weiter und ordnete die Tagesration ihrer Tabletten auf dem blanken Abendbrottisch der Seniorenresidenz sorgsam zu einem Clownsgesicht, in dem die bunten Vitaminpillen die Augen darstellten und die länglichen Schmerzhämmer Ohren glichen.

„Zukunftsträchtig? In welche Richtung? Möchten Sie gerne hören, dass jemand erfunden hat, mit welcher zusätzlichen Pille Sie wieder wie 30 aussehen? Oder wär´s Ihnen lieber, man konzipiert Ihnen einen Roboter mit Schwesternhäubchen, der einen 24-Stundendienst bei Ihnen abreißt und nicht anfängt in den Scharnieren zu quietschen, wenn Sie ihm zum 99stenmal erzählen, wie sie 1945 überlebt haben.“ Oberst a.D. Frank Fahrian sah Angela spöttisch an.

„Soweit ich weiß, ist ein solcher Roboter bereits in der Erprobung, selbstverständlich nicht, ohne dass die Herren Erfinder für Ihresgleichen fleißig die Leistungspalette erweitert hätten. Zur medizinischen Versorgung männlicher Nutzer gehört also auch das sexuelle Spektrum, was immer das auch heißt!“ Angela spuckte ihre Verachtung regelrecht in Fahrians Richtung.

„Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Aspekt Ihnen ein Leben lang Schauer der Abneigung verursacht hat. Die Chance, ein schrecklich böses Mädchen zu sein, haben sie somit ungenutzt vertan. Sie kamen wahrscheinlich bereits verheiratet auf die Welt, was ja kein Problem ist, wenn der Partner von der Sorte war, die ohnehin den Slogan Treuer Johannes auf seinem T-Shirt stehen hatte. Aber ehe ich mich da unergiebigen Einzelheiten widme, gebe ich zu bedenken, dass Ihre Bissigkeit darauf schließen lässt, dass es noch nicht ausgeschöpfte Sehnsüchte geben könnte, und biete Ihnen an, beim späten Ausleben derselben behilflich zu sein.“ Fahrian grinste von einem Ohr zum anderen, und als Angela ihren Rollator griff und erbost aus dem Raum steuerte, lachte er laut.

Elke Hilde zog ihren blonden Kopf von der Anreiche in den Küchenbereich zurück und sagte erheitert: „Diese beiden sind eine wahre Freude, auf die Weise möchte ich auch mal alt werden, so luxuriös untergebracht sein wie hier und dann noch einen späten Lover am Start, das wär´s doch.“

„Wieso?“, wunderte sich Bruno der Altenpfleger. „Die beiden streiten sich doch immer und von Lover keine Spur.“

„Bruno du hast den falschen Beruf!“ Elke stellte bereits das Geschirr fürs Frühstück am nächsten Morgen zusammen. „Sein größtes Vergnügen in unserer Luxusbude ist diese Frau und wehe, es funkt ihm jemand dazwischen, dann dauert es keine drei Tage und er hat den Konkurrenten lahmgelegt. Erst gestern hat er Geheimrat Rekelsen, der mit Angela flirten wollte, zurückgebissen, aber so was geht alles an dir vorbei du verhinderter Schnellmerker“, sie klopfte Bruno freundschaftlich auf die gut gepolsterte Schulter, „aber dafür bist du ein As im pflegerischen Bereich, also sorge dich nicht, du wirst das Examen mit links bestehen.“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, knurrte Bruno und belud seinen 3-Etagenwagen, auf dem die Abendessen auf Warmhalteplatten für die Bewohner bereitstanden, die auf ihren Zimmern speisen wollten oder mussten,

Als er das letzte der Zwei-Zimmer-Appartements verließ, hatte er allen, die schon auf die Neuigkeiten des Hauses warteten, die Lovestory zwischen Fahrian und Angela Wendel mit Rouladen und Wirsing serviert und aufmerksame Zuhörer hinterlassen.

So was musste sein!, fand Bruno, es ließ diejenigen, denen es gerade nicht so gut ging wehmütige Reminiszenzen ziehen, oder je nach Veranlagung auch Sprüche klopfen, die von Neid nicht weit entfernt waren. Bruno war zufrieden, immerhin hatte er nicht jeden Abend eine so brandheiße Neuigkeit abzuliefern, und dazu noch eine, bei der die ansonsten üblichen Jammertöne der Bewohner auf ein Mindestmaß schrumpften. Er wusste, am kommenden Morgen würde er nur die Hälfte der Zimmer zu beliefern haben, denn jeder, der noch einigermaßen fit war, würde im Frühstücksraum erscheinen, um die beiden Liebenden zu beobachten.

In kürzester Zeit machte die Affäre, die gar keine war, die Runde im Haus, aber es kam niemand auf seine Kosten, denn Angela hatte einen schlimmen Arthritisanfall und blieb schmerzgeplagt in ihrem Appartement. Oberst a.d. Frank Fahrian sah an diesem Morgen zwar aus, als vermisse er etwas, aber niemand hätte so genau sagen können, ob das nur seine Brötchensorte war, die man an diesem Tag nicht geliefert hatte, oder etwa doch die tägliche Diskussion mit Angela.

Es blieb von allen unbeobachtet, dass Fahrian an diesem Tag auf seinem Laptop sehr intensiv die medizinischen Ratgeber für Arthritiskranke anklickte und sich konzentriert einlas. Am zweiten Tag von Angelas unfreiwilliger Isolierung lag auf ihrem Frühstückstablett eine wundervolle rote Rose und Bruno beteuerte glaubhaft, er wisse nicht, wer sie aufs Tablett gezaubert hat. Sie habe plötzlich da gelegen und so serviere er sie eben auftragsgemäß. Angela war noch die ganze Woche außer Gefecht und an jedem Morgen lag eine weitere rote Rose auf ihrem Tablett und Bruno versicherte erneut, trotz sorgfältiger Kontrolle den Rosenkavalier nicht bei der Deponierung gesehen zu haben.

Aus dem Krankenzimmer kommt keine Reaktion ... oder doch? „Wie gut, dass ich meinen Laptop habe“, sagt Angela und sieht Bruno aus ihren dunklen Augen aufmerksam an, ohne das Ding würde ich hier ja glatt versauern. Du erzählst mir ja auch nichts Neues mehr.“

„Würde ich ja gerne“, erwidert Bruno, „aber den Rosenkavalier erwische ich nie, der ist schneller als der Blitz, gerade noch umgesehen, nichts liegt da und einmal umgedreht und schon ist es passiert und niemand in der Nähe, der dafür in Frage käme. Wer immer es also ist, er muss sehr beweglich sein, ein Tattergreis also schon mal nicht!“ Bruno lächelt Angela freundlich an und hofft, ihren Tag erhellt zu haben.

Elke Hidde meint am Abend lakonisch: „Den Kerl hätte ich längst erwischt, du bist zu langsam Bruno.“

„Mit dieser Einschätzung wirst du irgendwann auf dem Arsch landen“, knurrte Bruno beleidigt.

„Der ist wenigstens gut gepolstert, willst du ihn küssen, lachte Elke und amüsierte sich köstlich als Bruno feuerrot wurde.

„Dann will ich dem Rosenkavalier mal helfen, Mühe und Kosten zu sparen“, sagte Angela am gleichen Abend und bestellte sich ihr Frühstück für den kommenden Morgen wieder im Gemeinschaftssaal, am Vierertisch mit Ingrid van Ameln, Geheimrat Rekelsen und Oberst a.D. Frank Fahrian.

Der Rosenspender schien gut informiert zu sein, die Rose lag an diesem Morgen nicht mehr auf dem Frühstückswagen, sondern auf ihrem Platz im Esssaal.

„Donnerlittchen!“, knurrte Bruno, „das dürfte dann wohl die letzte Rose gewesen sein, denn hier hat man ja alles viel besser im Blick.“

„Hat man“, lächelte Elke wissend.

„Aha, du hast ihn also gesehen, wer war es“, Bruno war ganz Ohr.

„Das bleibt sein und mein Geheimnis!“ Elke hatte somit nicht vor, mehr dazu zu sagen und nahm gelassen Brunos schlechte Laune hin.

Angela nahm die Rose, brach den Stil ab und steckte sich die Blüte ins Haar.

„Dir scheint es ja wieder gut zu gehen“, sagte Ingrid van Ameln neidisch und ließ sich mit einem Plumps auf ihren Stuhl am Vierertisch fallen.

„Das täuscht“, Angela zog die Mundwinkel nach oben, was ihre Aussage Lügen strafte.

„Warum soll‘s mit mir anders sein als mit jedem alten Gemäuer, an mir wird ebenso pausenlos repariert wie am Kölner Dom. Nur leider habe ich nicht dessen Standfestigkeit. Irgendwann wird also auch bei mir der letzte Stein aus dem Mörtel rutschen. Bleibt noch der Wunsch nach hemmungslosem Sex ...!“

„Was ist eigentlich hemmungslos?“, sagte Rekelsen und tat so, als sei sein Vorstoß in keine bestimmte Richtung gedacht.

„Keine Ahnung antwortete Ingrid, Hemmungslosigkeit kenne ich nur von meiner Versicherung, die hat schon wieder die Prämie erhöht.“

Und nun geschah etwas, das in der Seniorenresidenz Roseneck noch Jahre danach Gesprächsstoff war:

Fahrian, der bisher außer einem kurzen „Guten Morgen“ nichts zur Unterhaltung beigetragen hatte und von dem Moment an, als Angela sich die Blüte ins Haar steckte, seltsam entrückt schien, unerwartet aufstand, sich vor Angela auf ein Knie niederließ und in die jäh eingetretene Stille mit fester Stimme sprach: „Die Zeit vergeht, die letzten 45 Jahre kommen mir vor wie Rauch durch ein Schlüsselloch. Ich möchte aber, dass das was noch kommt - was hoffentlich noch kommt - mein Dasein nicht nur erhellen, sondern mit dir an meiner Seite auch fest in meiner Erinnerung bleiben wird, bis ich die Augen schließe, ich liebe dich Angela.“

Wenn Bruno später diese Geschichte erzählte, hatte Angela ausgesehen wie vom Donner gerührt und Fahrian entschlossen wieder auf die Beine geholfen, ohne auf seinen Antrag einzugehen. Aber wenn Elke Hidde darüber sprach, war die Entscheidung bereits gefallen, als Angela die Blüte ins Haar steckte. Fahrian hatte das Signal verstanden und seine Chance entschlossen genutzt.

Am Heiligenabend - Zwei Episoden

EPISODE 1

Sie hatten ihm mal wieder die Aufsichtsbehörde auf den Hals geschickt, aber die würden - wie immer - auf Granit beißen. Dabei war der Prozess doch erst für das kommende Jahr anberaumt, das Ganze hätte also Zeit gehabt bis nach den Weihnachtsfeiertagen. Doch sie saßen bereits im Vernehmungsraum, als sei er ein Verbrecher, der keine andere Behandlung erwarten durfte als all die Gauner, die er während seiner 40-Jährigen Dienstzeit verhaftet und der Gerichtsbarkeit zugeführt hatte.

Sie vermuteten die Wahrheit, danach sah es aus, aber es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn sie ihn je dazu brachten, einzugestehen, dass er das Hemd des ermordeten Jungen in der Mülltonne der Nachbarschaft entdeckt hatte und nicht - wie es in seinem mit viel Akribie verfassten Bericht stand - im Wagen des Täters.