Kein Zurück nach Oxford - Veronica Stallwood - E-Book

Kein Zurück nach Oxford E-Book

Veronica Stallwood

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Beschreibung

Kate Ivory ist froh, einmal aus Oxford herauszukommen, auch wenn es nur für kurze Zeit ist. Zusammen mit einem Autorenkollegen namens Devlin Hayle begibt sie sich auf eine Promotion-Tour für ihr neues Buch. Wieder einmal stellt sich heraus, dass Kate ein Talent hat, sich mit den falschen Zeitgenossen zu umgeben. Denn schnell stellt sie fest, dass Hayle offensichtlich eine recht geheimnisvolle Vergangenheit hat und ein gefährlicher Killer hinter ihm her ist - und leider bald auch hinter ihr ...

Ein neuer Fall für die ermittelnde Schriftstellerin Kate Ivory. Eine atmosphärische Kriminalserie mit einer besonderen Heldin, deren scharfe Beobachtungsgabe und ungewöhnliche Methoden die gemütliche britische Stadt Oxford ordentlich durchwirbeln. Perfekt für Liebhaber von intelligenter und charmanter Cosy Crime, für Leser von Martha Grimes und Ann Granger.

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Seitenzahl: 340

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Über das Buch

Kate Ivory ist froh, einmal aus Oxford herauszukommen, auch wenn es nur für kurze Zeit ist. Zusammen mit einem Autorenkollegen namens Devlin Hayle begibt sie sich auf eine Promotion-Tour für ihr neues Buch. Wieder einmal stellt sich heraus, dass Kate ein Talent hat, sich mit den falschen Zeitgenossen zu umgeben. Denn schnell stellt sie fest, dass Hayle offensichtlich eine recht geheimnisvolle Vergangenheit hat und ein gefährlicher Killer hinter ihm her ist – und leider bald auch hinter ihr … Ein neuer Fall für die ermittelnde Schriftstellerin Kate Ivory. Eine atmosphärische Kriminalserie mit einer besonderen Heldin, deren scharfe Beobachtungsgabe und ungewöhnliche Methoden die gemütliche britische Stadt Oxford ordentlich durchwirbeln. Perfekt für Liebhaber von intelligenter und charmanter Cosy Crime, für Leser von Martha Grimes und Ann Granger.

Über die Autorin

Veronica Stallwood kam in London zur Welt, wurde im Ausland erzogen und lebte anschließend viele Jahre lang in Oxford. Sie kennt die schönen alten Colleges in Oxford mit ihren mittelalterlichen Bauten und malerischen Kapellen gut. Doch weiß sie auch um die akademischen Rivalitäten und den steten Kampf der Hochschulleitung um neue Finanzmittel. Jedes Jahr besuchen tausende von Touristen Oxford und bewundern die alten berankten Gebäude mit den malerischen Zinnen und Türmen und dem idyllischen Fluss mit seinen Booten? doch Veronica Stallwood zeigt dem Leser, welche Abgründe hinter der friedlichen Fassade lauern.

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

Titel der englischen Originalausgabe: Oxford Knot

© 1998 by Veronica Stallwood

© für die deutschsprachige Ausgabe 2007 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Anke StockdreherTitelillustration: Dave Hopkins/PhosphorartUmschlaggestaltung: Bianca Sebastian

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN: 978-3-7325-3470-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Kapitel Eins

Das Telefon klingelte.

Von oben rief jemand: »Telefon!«

Kate Ivory hörte Schritte. Eine Tür wurde geöffnet, und eine andere Stimme sagte: »Wie wäre es, wenn du drangehst?« Wieder polterten Schritte über den Flur, eine Tür wurde geschlossen. Das Klingeln des Telefons brach mitten im Ton ab.

Kate überlegte, ob sie die Tür zu ihrem Arbeitszimmer nicht lieber schließen sollte. Früher hatte sie die Verbindung zur der Außenwelt genossen, wenn sie sich zu ihrem Computer in Klausur begab, doch die Umstände hatten sich verändert. Damals befand sich die Außenwelt auf der anderen Seite der Wand, die sie von ihren Nachbarn trennte; heute trampelte sie in ihrem Haus herum und war beim besten Willen nicht zu überhören.

»Für dich, Kate!«, rief eine männliche Stimme die Treppe hinunter.

Oh ja, das wahre Leben hatte in ihrem Haus Einzug gehalten. Es rumorte in ihrer Küche und belegte das Wohnzimmer mit Beschlag.

»Kate!« Die Stimme wurde lauter und kam näher. »Telefon! Für dich!«

»Das ist ja wohl anzunehmen. Immerhin ist es mein Telefon«, grummelte Kate vor sich hin. Sie durchquerte ihr Arbeitszimmer und rief die Treppe hinauf: »Ich rufe später zurück!« Dann schloss sie die Tür. Zum Teufel mit der Verbindung zum wahren Leben. Sie kehrte in ihr erfundenes Leben zurück.

Izanna saß vor dem Spiegel und blickte tief in das Bild ihrer eigenen blauen Augen, schrieb Kate. Sie veränderte die Zeile und davor begann, die letzten Sätze des vierten Kapitels umzustellen. Dann sicherte sie das Kapitel. Noch zwanzig Minuten. Sie gähnte, massierte sich die verspannten Nackenmuskeln, streckte die Beine aus und überlegte, ob ihr neues Buch tatsächlich so schrecklich würde, wie sie befürchtete. Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden: Sie musste alles noch einmal durchlesen. Seufzend blätterte sie an den Kapitelanfang zurück.

War es möglich, dass ein Mann zu viel innige Zuneigung zeigte?, fragte sich Izanna. Sie saß vor dem Spiegel und blickte tief in das Bild ihrer eigenen blauen Augen.

Wieder waren Schritte auf der Treppe zu Kates Arbeitszimmer zu hören. Der Besucher schien kurz zu stutzen, weil ihm die Neuerung der geschlossenen Tür nicht vertraut war, dann klopfte er leise an und trat ohne Aufforderung ein. Kate blickte auf. Ein Mann. Mittelgroß. Rötlichbraunes Haar, das langsam lichter wurde und sich um große Ohren ringelte. Hellblaue Augen. Weiche, weiße Hände. Andrew Grove. Ein alter Freund.

»Ich störe dich doch nicht bei der Arbeit?«

Was hätte sie darauf erwidern sollen? »Aber nein«, antwortete sie, während ihr Daumen auf der Leertaste lag und ihr kleiner Finger über der Eingabetaste schwebte. »Müsstest du nicht in der Bodleian Bibliothek sein? Erwartet man an einem normalen Werktag nicht von dir, dass du Bücher zählst oder die Aktentaschen von Lesern durchsuchst?«

»Du weißt doch, dass ich morgen Abend bis zehn Uhr arbeiten muss.« Stimmt, sie hätte es wissen müssen, da er während des Semesters immer am gleichen Tag abends lange Dienst hatte. »Deshalb habe ich mir heute Nachmittag freigenommen, um die Stunden auszugleichen.«

»So wie du aussiehst, scheinst du die freie Zeit in meiner Küche verbracht zu haben.« Kate hatte sich mit ihrem Bürostuhl zu ihm umgedreht und blickte ihn an. Über dem dunklen Anzug trug Andrew eine Schürze. Gott sei Dank nichts Mädchenhaftes mit Rüschen und Blümchen und auch keines dieser unsäglichen Plastikteile mit scherzhafter Aufschrift. Nein, er hatte sich eine einfache, weiße Twillschürze umgebunden, wie ernsthafte Köche sie zu tragen pflegen. Die Schürzenbänder waren ordnungsgemäß mit einer Schleife über Andrews kleinem Bauchansatz zusammengebunden.

»Ich wollte dir lediglich mitteilen, dass ich in etwa zehn Minuten costa-ricanischen Röstkaffee mit simmerndem Leitungswasser aus dem Themsetal übergießen werde und vorschlagen, dass du nach oben kommst, ehe der Kaffee so lange steht, dass sich ungesunde Alkaloide bilden.«

Kate schnüffelte. »Ein wahrhaft köstlicher Duft bei euch da oben!«

»Ich habe ein paar Bleche Plätzchen gebacken«, erklärte er und lächelte sie schüchtern an. Seine Augen blitzten auf. Kate fiel ein, dass sich Andrew erst vor Kurzem von seiner Brille getrennt hatte und seither Kontaktlinsen trug, die je nach Lichteinfall manchmal glitzerten.

»Etwa diese kleinen, knusprigen Mandeldinger?«

»Ja, ein paar tuiles d’amandes sind auch dabei. Aber diese Woche übe ich außerdem Schokoladenplätzchen mit Schokostückchen«, gab er zurück.

»Wundervoll«, schwärmte Kate. Sie stellte sich mürben, köstlichen Teig mit dunkler, schmelzender Schokolade vor. »Was glaubst du? Hält diese Phase eine Zeit lang an?«

»Was meinst du mit Phase? Irgendwie klingt das, als hätte ich alle naselang ein neues Hobby und ließe es nach ein paar Tagen wieder fallen.«

»Mit anderen Worten, dieses Mal ist es das Richtige? Die wahre Liebe?« Unwillkürlich kehrte Kates Blick zum Bildschirm zurück. Sie musste unbedingt noch einmal lesen, was sie an diesem Nachmittag geschrieben hatte, ehe sie nach oben ging und sich mit Plätzchen vollstopfte.

»Störe ich dich wirklich nicht?«, fragte Andrew, ohne auf ihre letzte Bemerkung zu achten. »Irgendwie sieht es nicht so aus, aber bei euch Schriftstellern kann man ja nie wissen.«

»Nein, nein«, wehrte Kate ab. »Ich bin gerade dabei, das Geschriebene noch einmal durchzulesen. Und ich freue mich wirklich darauf, deine Plätzchen zu kosten, Andrew.« Ihr fiel auf, das sein Gesicht leicht mit Mehl bestäubt war; auf seinen ordentlich geputzten, schwarzen Schuhen klebte ein Teigklecks. Gut, dass die Studenten im Lesesaal der Theologischen Fakultät ihn jetzt nicht sehen konnten – seine Autorität wäre auf alle Ewigkeit dahin.

»Ach ja, da hat noch jemand angerufen.«

»Habe ich gehört. Hast du das Gespräch entgegengenommen?«

»Glücklicherweise konnte ich die tuiles gerade noch rollen, ehe sie kalt wurden, und die Plätzchen auf die mittlere Schiene des Backofens schieben. Danach habe ich abgehoben.«

»Und wer war dran?«, fragte Kate geduldig weiter. »Wollte jemand etwas von mir?«

»Es war eine Frau mit einem komischen Namen.«

»Aisling Furnavent-Lawne?«, tippte Kate. Komischer konnte ein Name kaum sein.

»Durchaus möglich. Glaubst du, sie hat sich den Namen selbst ausgesucht? Der ist doch nie und nimmer echt.«

»Ich glaube kaum, dass jemand aus eigenem Antrieb einen derart schauderhaften Namen wählt. Hat sie mir etwas ausrichten lassen?«

»Es ging um einen gewissen Devlin.«

»Devlin? Nie gehört! Ist das überhaupt ein Männername? Könnte ebenso gut ein Ort oder eine Popgruppe sein. Oder ein Küchenutensil.«

»Nein, kein Küchenutensil«, widersprach Andrew ernsthaft. »Das wüsste ich.«

»Hast du Aisling gesagt, dass ich zurückrufe?«

»Ich habe ihr mitgeteilt, dass du zurückrufst, sobald du wieder aus der Versenkung aufgetaucht bist.« Er stand da und blickte sie erwartungsvoll an, doch Kate widerstand ihm. Sie würde noch einige Zeit nicht aus der Versenkung auftauchen.

»Okay, in ein paar Minuten komme ich nach oben. Bis dahin wird sie wohl warten können.«

»Gut, dann überlasse ich dich deiner Arbeit.«

»Mmh«, machte Kate, die bereits wieder zu lesen begonnen hatte und kaum bemerkte, wie er die Tür hinter sich schloss.

War es möglich, dass ein Mann zu viel innige Zuneigung zeigte?, fragte sich Izanna. Sie saß vor dem Spiegel und blickte tief in das Bild ihrer eigenen blauen Augen. Seit ihrem fünfzehnten Geburtstag hatte sie Pläne geschmiedet, wie sie seine Aufmerksamkeit gewinnen könnte. Sie hatte ihre widerspenstigen Locken gebändigt und ihrer Dienerin befohlen, ihre schlanke Taille noch enger zu schnüren. Sie hatte Lieder eingeübt und sich mit Aquarellfarben herumgeärgert; dennoch glichen ihre romantischen Landschaften eher einer Ansammlung schäbiger grauer Tupfer. Sie hatte alles getan, um von Lord Arthur de Gascogne als angemessene Partie wahrgenommen zu werden.

Ob aus Andrew jemals eine angemessene Partie für irgendjemanden werden würde?, überlegte Kate. Die Bodleian Bibliothek bedeutete ihm mehr als jede Frau; außerdem hatte er, was seine Herzdamen anging, einen entsetzlich schlechten Geschmack. Die letzte hatte Isabel geheißen. Doch glücklicherweise war Isabel wieder aus Andrews Leben verschwunden, genau wie Liam – Kates eigener, schrecklicher Fehlgriff – sich aus ihrem Leben verabschiedet hatte. Seither verbrachte Andrew fast jeden Abend bei ihr in der Agatha Street und kochte sich durch die unterschiedlichste Gourmet-Literatur. Eines Tages würde er sich vielleicht daran erinnern, dass sie durchaus in der Lage war, selbst für ihr leibliches Wohl zu sorgen, doch sie verstand, dass er nicht allein sein wollte und ließ ihn gewähren. Der Duft warmer Schokolade kroch unter der Tür her ins Arbeitszimmer. Andrew machte wirklich die köstlichsten Plätzchen der Welt.

Oben läutete die Türglocke. Aisling würde doch nicht etwa selbst vorbeikommen? Unmöglich. Sie bewegte sich allenfalls im Umkreis von London. Oxford stand sicher nicht auf ihrem Besuchsprogramm. Kate hörte, wie die Haustür geöffnet wurde und eine leise, kurze Unterhaltung stattfand. Dann wurde die Tür wieder geschlossen. Sie widerstand der Versuchung, hinaufzugehen und nachzusehen, wer es gewesen war. Im Augenblick zählte nur Izannas Geheimnis. Irgendwie kam ihr der Titel plötzlich verdächtig vertraut vor.

War es die Mühe wirklich Wert gewesen?, las sie. Sie arbeitete weitere fünf Minuten an ihrem Manuskript.

Die Hintertür wurde vernehmlich zugeschlagen. Polternde Schritte durchquerten die Küche und donnerten die Treppe hinunter auf ihre Tür zu. Kates Konzentration zerplatzte wie eine Seifenblase. Dieses Mal machte sich der Eindringling nicht einmal die Mühe anzuklopfen; er trat einfach ins Zimmer. Dabei öffnete er die Tür mit so viel Schwung, dass sie mit voller Wucht gegen einen Aktenschrank knallte. Ein Splitter cremefarbener Lack fiel auf den Teppich.

»Hallo Harley«, sagte Kate, ohne sich umzudrehen.

»Hey, Kate!«

»Einen schönen guten Tag, Harley«, antwortete Kate mit betonter Höflichkeit. »Hattest du einen produktiven Tag in der Gesamtschule von Fridesley?«

»Was?«

»Schon gut.«

»Ich dachte, es interessiert dich, dass ich eine supergute Mathenote bekommen hab«, sagte Harley.

Ihr kühler Empfang hatte ihn verletzt. Sie drehte sich zu ihm um und lächelte ihn warm an. »Das finde ich ganz toll, Harley. Wirklich!«

»Ich auch.«

Harley, der halbwüchsige Sohn aus dem Nachbarhaus, hatte sich in einen langen, schlaksigen jungen Mann verwandelt. Seine knochigen Schultern wurden allmählich breit. Er trug das dunkle Haar extrem kurz – aber wenigstens rasierte er sich den Schädel nicht mehr. Sein Gesicht nahm männliche Züge an, und eines Tages würde er sicher auch den Stahlstift entfernen, den er in einem Nasenflügel trug. Seine hohen Wangenknochen wirkten durchaus attraktiv, und er hatte viel Mühe darauf verwendet, etwas gegen seine Pickel zu tun, die man kaum mehr wahrnahm.

»War das die Arbeit, für die Paul mit dir geübt hat?«, fragte Kate.

»Jep. Dieser Paul kann supergut erklären. Jetzt versteh ich das alles, Matrizenrechnung und so.«

Matrizen?, überlegte Kate. Was hatten denn die mit Mathematik zu tun? Sie wollte lieber nicht nachfragen.

Harley schlenderte durch ihr Arbeitszimmer, begutachtete die an den Wänden aufgereihten Bücher und nahm das eine oder andere aus dem Regal. »Was ist denn das? Die illustrierten Tagebücher von Samuel Papys? Wieso hast du nichts richtig Gutes?« Er ging weiter. »Shakespeare.« Seine Stimme drückte die ganze Langeweile aus, die er in der Schule bei der Lektüre von Julius Cäsar empfunden haben musste. »Wilkie Collins. Wer ist denn das? Nie gehört!«

»Du kannst dir gern etwas ausleihen, wenn du möchtest«, sagte Kate. Es war sicher angebracht, Harley zu ermutigen, so lange er sich in Leselaune befand – auch wenn er ihre Bücherauswahl nicht unbedingt zu schätzen schien. »Die Taschenbücher stehen da drüben am Fenster.«

»Nee, ich hab schon ein Buch.«

»Du hast eins? Was für ein Buch denn? Ich dachte, du liest nur, wenn ein böser, strenger Lehrer dich dazu zwingt.«

»Ich lese Bücher«, erklärte Harley entrüstet. »Viele sogar!«

»Das freut mich. Ich gehöre nämlich zu den Leuten, die glauben, dass Bücher der Schlüssel zum Leben sind«, sagte Kate ein wenig wichtigtuerisch.

»Na ja, das musst du wohl sagen. Schließlich mischst du ja mit in dem Geschäft rum.«

»Dann erzähl mal von deinem Buch.«

»Jace hat es mir zum Geburtstag geschenkt«, begann Harley.

»Jace?«

»Der neue Typ von meiner Mutter.«

»Ach, natürlich. Jason. Der mit der Halbglatze und dem Pferdeschwanz.«

»Der keine Hunde leiden kann«, vervollständigte Harley.

»Dem ich den guten Dave verdanke, der sich Tag und Nacht unter meinem Küchentisch herumlümmelt.« Dave war Harleys roter, wolliger Hund undefinierbarer Rasse, den Kate eigentlich nur ein bis zwei Tage hatte hüten sollen, der aber nun schon mehrere Monate in Kates Haus residierte.

»Dieser faschistische Hundehasser!«, ereiferte sich Harley. »Kommandiert uns rum wie sonst was. Shaylas Rekorder hat er einfach kaputt gemacht, weil er die Musik nicht mochte.«

Aha, daher also die ungewohnte Ruhe nebenan. Vielleicht war dieser Jace ja doch nicht so übel! »Und wie geht es dem kleinen Krötengesicht – entschuldige, ich meine natürlich Tyler? Ich habe lange nichts mehr von ihm gehört.« Kein Gepolter, kein Geschrei, keine Wutanfälle. Ein wahrer Segen!

»Jetzt, wo du es sagst: Du hast Recht, er sieht tatsächlich ein bisschen wie eine Kröte aus. Jace hat dafür gesorgt, dass Mum ihn in den Kindergarten steckt.«

»Ach wirklich? Und wie macht er sich da?«

»Ein paar Kinder haben sich beschwert, aber ihm geht es gut.«

Harleys verschlossene Miene erklärte Kate mehr als seine Worte. Der Junge war zu Hause nicht mehr glücklich, seit sein Vater Trevor die Familie verlassen hatte. Kate nahm den Umstand, dass Jace auf einer gemüsefreien Ernährung aus fetttriefendem Junkfood bestand, zum Anlass, Harley fast jeden Abend zu einem vernünftigen Abendessen einzuladen. Hinzu kam die unausgesprochene Tatsache, dass Kates Haus im Vergleich zum nachbarlichen Domizil für Harley eine Zuflucht voller Ordnung und Bildung darstellte. Kate und ihre Freunde mochten eine merkwürdige Gesellschaft sein, die oft viel zu lange Worte benutzte, aber sie schrien einander nicht an und prügelten nicht herum, wenn sie Alkohol getrunken hatten.

»Zeig mir dieses Buch doch einmal«, sagte Kate.

Harley drückte Kate ein dickes, sehr buntes Taschenbuch in die Hand, auf dessen Einband Goldlettern auf schillerndem Rot prunkten. Kate studierte die Illustration. Zwei Frauen, deren ansehnliche Busen aus äußerst knappen Miedern quollen, lächelten mit schmollenden, sehr roten Lippen einen prahlerischen Helden mit windzerzausten, dunklen Locken an.

»Sieh an, ein echter Herz-Schmerz-Mantel-und-Degen-Roman«, staunte sie. »Ich wusste gar nicht, dass es heute noch so etwas gibt. Wer hat ihn geschrieben?«

»Devlin Hayle«, antwortete Harley. »Kennst du ihn?«

»Devlin?« War das nicht der Name, den Aisling erwähnt hatte? Konnte es sich um die gleiche Person handeln? Merkwürdig – hatte man einen Namen ein Mal gehört, schien er plötzlich an jeder Ecke aufzutauchen. »Ich glaube nicht. Wie sieht er denn aus?« Kate prüfte den Druckvermerk. Das Buch war bei Fergusson verlegt worden, ihrem eigenen Verlag. Sie blätterte zum Schwarz-Weiß-Foto des Autors auf der letzten Seite weiter.

Stechende, schwarze Augen blickten ihr direkt ins Gesicht. Eine sorgfältig platzierter Scheinwerfer hatte für Lichtreflexe in der Pupille gesorgt. Der Mann trug einen Bart und eine Künstlermähne, deren Locken ihm malerisch ins Gesicht fielen. Er sah aus, als wäre er etwa Anfang dreißig; eine empfindsame, kreative Seele, gewürzt mit einer Prise Don Juan. Kate suchte nach dem Namen des Fotografen und stellte fest, dass es sich um einen derjenigen handelte, die gerne schmeichelhaft vom Airbrush Gebrauch machten. Dachte man sich ein oder zwei Fältchen dazu, hatte dieser Devlin Hayle etwas entfernt Vertrautes.

»Könnte sein, dass ich ihn kenne«, sagte Kate vorsichtig. Ihr wurde bewusst, dass sie Harley gegenüber einen Ruf zu verteidigen hatte. Aus den Tiefen ihres Gedächtnisses kramte sie eine vage Erinnerung an einen ausgesprochen lauten Mann namens Hayle hervor, der sich in den Glauben verstiegen hatte, er wäre attraktiv für das andere Geschlecht. Kate hatte ihn auf einer Autorenparty bei Fergusson getroffen.

»Wie ist er? Was sagt er so? Hast du vielleicht ein Autogramm von ihm?«

»Er ist sicher sehr nett.« Kate blieb auf der Hut. »Ich kann mich nicht genau erinnern, was er sagte, aber ich glaube, es war eine Bemerkung über die Kleinlichkeit des Kellners, der die Weingläser auffüllte. Leider habe ich ihn nicht um ein Autogramm gebeten; ich wusste ja nicht, dass du ein Fan von ihm bist.«

»Er ist echt geil!«, sagte Harley. Das Wort war sein derzeitiger Favorit, wenn es um höchstes Lob ging. »Absolut geil!«

»In dem Buch geht es sicher um viel Sex und Gewalt, nicht wahr?«, erkundigte sich Kate.

»Klar. Voll geil! Du solltest vielleicht auch so ein Zeug schreiben«, fügte er freundlich hinzu. »Du würdest sicher total berühmt und eine Menge Knete verdienen.«

»Schon möglich.« Kate gab sich Mühe, ein unwillkürliches Zähnefletschen zu unterdrücken.

»Arbeitest du gerade?«, erkundigte sich Harley.

»Ich versuche es.« Kates Augen wanderten zurück zum Bildschirm.

»Was du da machst, diese Schreiberei, ist sicher kinderleicht, oder? Also manchmal, wenn du behauptest, du arbeitest, sitzt du mit geschlossenen Augen in deinem Sessel rum.«

»Das nennt man ›Nachdenken‹«, sagte Kate, »und es ist manchmal ganz schön anstrengend, das darfst du mir glauben. Schriftsteller müssen es die ganze Zeit über tun, und man kann dabei die Augen schließen oder auch nicht. Aber jetzt muss ich wirklich noch ein bisschen arbeiten, Harley.« Harleys Gesichtsausdruck sprach Bände. Sie hatte ihn nicht überzeugen können. Er zuckte mit den Schultern.

»Schon gut. Ich bin dann weg.«

»Oben gibt es frisch gebackene Plätzchen. Du kannst welche probieren, wenn du magst.« Kate unterstrich ihren Vorschlag mit einem Lächeln.

»Hab ich schon«, sagte Harley, ging durch die weit geöffnete Tür, ohne sie weiter zu schließen. »Sie sind voll geil. Als Nächstes probiere ich die mit den Nüssen drauf.«

»Die Tür, Harley!«, rief Kate hinter ihm her.

»Stimmt«, sagte Harley, kehrte um und warf sie krachend ins Schloss.

»Danke, Harley«, murmelte Kate in die bebende Stille. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Bildschirm zu.

War es die Mühe wirklich Wert gewesen? Er hatte ihr seine Liebe erklärt und um ihre Hand angehalten. Errötend hatte sie seine Werbung angenommen. Und nun schien es, als erwarte er von ihr, dass sie zu Hause blieb und sich um sein Wohlergehen kümmerte, während er das Leben in vollen Zügen genoss. Zwar hatte ihre Mutter gesagt, dass es sich so gehöre; trotzdem verursachte ihr diese Aussicht großes Unbehagen. Sie spürte seine Liebe und Fürsorge sogar hier in ihrem Zimmer wie ein unsichtbares Gewicht, das ihren Kopf nach unten drückte und sie für den Rest ihres Lebens an Ort und Stelle festnagelte.

Harley polterte die Treppe hinauf und streckte den Kopf durch die Küchentür. Beim Anblick seines Herrchens begann Dave, aufgeregt zu winseln.

»Ist mein Tee fertig?«, wandte sich Harley an Andrew.

»In fünf Minuten. Du hast gerade noch Zeit, dir Gesicht und Hände zu waschen, ehe du zu uns ins Wohnzimmer kommst.«

»Nee, ich muss erst mit Dave raus«, antwortete Harley schnell, nahm den Hund an die Leine und öffnete die Hintertür.

»Komm nicht zu spät«, rief Andrew hinter ihm her. »Denk dran, du hast nur fünf Minuten!«

»Ich geh nur zum Spielplatz und wieder zurück«, sagte Harley über die Schulter hinweg. »Aber Dave muss pinkeln.«

»Hast du schon deine Hausaufgaben gemacht?«, ertönte eine Stimme aus dem Wohnzimmer.

Das Ärgerliche an Paul Taylor war, dass er auch hinten im Kopf Augen zu haben schien, dachte Harley. Es musste mit der ständigen Herumschnüffelei in seinem Job als Polizist zu tun haben.

»Mach ich nach dem Tee«, rief Harley und knallte die Tür hinter sich zu, dass der Türrahmen bebte. Vernehmlich trampelte er den Gartenpfad hinunter.

»Gut, dass ich kein Soufflé im Ofen habe«, murmelte Andrew vor sich hin und beobachtete, wie Kates Pinnwand hin und herschaukelte. Er rieb sich das linke Auge, das ihn juckte, und beugte sich über den Herd, um in einem Topf etwas Helles, Sämiges, Cremiges umzurühren. Genüsslich leckte er den Holzlöffel ab. »Ich glaube, da fehlt noch eine Spur saure Sahne.« Te pom pom te pom pom te pom pom te pom. La Traviata. Kochen machte wirklich Freude; vor allem hier in Kates Küche, die angesichts von Kates unbedarften Kochkünsten erstaunlich gut ausgestattet war. Sie hatte die Wände erst vor Kurzem in einem heiteren Gelbton gestrichen und ein hübsches, grün-blaues Rollo am Fenster angebracht. Ihre Kochbücher standen ordentlich im Regal. An den Wänden hatte sie gerahmte Poster aus dem Museum aufgehängt. Andrew liebte die Geräusche des Lebens, das rings um ihn herum im Haus stattfand. Ein wenig war es so, als hätte er eine eigene Familie. Nachdem Isabel nach Phoenix in Arizona gegangen und die süße Marielle wieder nach Brüssel abgereist war, kam ihm sein eigenes Haus ziemlich einsam vor. Trotzdem verspürte er im Augenblick keinen Drang, sich nach einer anderen Frau umzusehen. Im Augenblick genügte es ihm, zu kochen und die selbst produzierten Mahlzeiten zu genießen. Befriedigender konnte auch Sex nicht sein; eher war das Gegenteil der Fall.

Andrew zwinkerte. Plötzlich schien er alles verschwommen zu sehen. Doch alles Blinzeln half nichts. Vor seinen Augen zitterten zwei Töpfe statt des einen. Ein unangenehmer Gedanke durchfuhr ihn. Eilig schaltete er die Herdplatte unter der Brokkolisuppe ab. Wenn man eine Kontaktlinse verlor, war das Dumme, dass man nicht genügend scharf sah, um sie wiederzufinden. Langsam führte Andrew den Löffel durch die Suppe und blinzelte mühsam in die sämige Brühe. Ob er sie vielleicht durch ein Sieb gießen sollte? Möglicherweise konnte er die verlorengegangene Linse so wiederfinden.

Doch dann erkannte er ein Glitzern im hellen Grün. Mit einem Teelöffel rettete Andrew seine Kontaktlinse aus der Suppe. Da er keine Reinigungsflüssigkeit bei sich hatte, hielt er die Kontaktlinse kurz entschlossen unter den Wasserhahn, setzte sie wieder ein und hoffte das Beste.

Erneut waren auf der Treppe zu Kates Arbeitszimmer Schritte zu hören. Leichte, federnde Schritte. Ein kurzes Klopfen, eine angemessene Pause, dann trat Paul Taylor ein. Ein adretter, in sich ruhender Mensch. Hätte er sein Haar wachsen lassen, würde er mit einer Fülle rotgoldener Locken wahrscheinlich einem jungen Don Juan gleichen, ging es Kate durch den Kopf, und sie unwillkürlich über diesen Gedanken lächeln. Pauls Haar war militärisch kurz und sehr ordentlich geschnitten. Mit einer Spur Gel hielt er es in Form. Seine grauen Augen gaben nichts preis; sein Gesicht wirkte wie das eines geübten Pokerspielers. Selbst seine Freizeitkleidung war sauber und gebügelt. Seine Jeans sahen aus, als hätte er sie gestärkt. Kate fragte sich, ob er sich so gab, weil er Polizist war, oder ob seine gestärkte und gebügelte Grundhaltung ihn diesen Beruf hatte ergreifen lassen.

»Entschuldige die Störung«, sagte er.

»Schon gut.« Der Satz kam ihr inzwischen wie selbstverständlich über die Lippen – Übung macht den Meister.

»Ich denke, du solltest dringend die Publicity-Dame deines Verlags anrufen, Aisling Furnavent-Lawne.« Mein Gott, er sprach den Namen der Frau tatsächlich ohne zu zögern richtig aus! »Sie hat den ganzen Nachmittag versucht, dich zu erreichen. Als sie das letzte Mal anrief, sagte sie, dass sie nur noch zwanzig Minuten im Büro wäre.«

»Wahrscheinlich muss sie zu einer Champagner-Empfang mit einem ihrer Bestseller-Autoren. Warum tut sie nie etwas für mich?«

»Ich glaube, sie versucht es gerade. Aber du müsstest zurückrufen. Von den zwanzig Minuten sind höchstens noch fünf oder zehn übrig.«

»Gib mir zehn Minuten«, sagte Kate. »Danach komme ich nach oben und rufe sie an. Versprochen.«

»Was ist los mit dir? Wieso versteckst du dich hinter verschlossenen Türen? Da oben sind Leute, die sich nach deiner Gesellschaft sehnen, und eine Werbefrau, die dich berühmt machen möchte.«

»Ich versuche zu arbeiten.«

»Du sitzt nur da und starrst grimmig auf deinen Bildschirm. Ich glaube, du hast heute Nachmittag noch nicht einen einzigen vernünftigen Absatz geschrieben. Warum lässt du es nicht für heute sein und kommst zu uns nach oben?«

»Wahrscheinlich hast du Recht. Ich sichere nur eben meine Datei, dann komme ich.«

»Post ist auch gekommen, unter anderem ein kleines Päckchen. Und der Tee ist so gut wie fertig.«

»Nach dem Tee müssen wir uns um Harleys Hausaufgaben kümmern«, seufzte Kate resigniert.

»Unsere Bemühungen um Harley zeigen die ersten Resultate«, versuchte Paul, sie aufzuheitern. Er drehte sich um und verließ den Raum so unaufdringlich, wie er gekommen war. Einen Moment lang starrte Kate die geschlossene Tür an. Ein Päckchen? Kate liebte Päckchen. Und wollte sie wirklich, dass ihr Haus so leer wäre wie das von Andrew?

Wäre sie vielleicht glücklicher auf einer einsamen Insel, weit weg vom Getümmel Londons? Sie könnte ihre neuen Kleider einpacken und nur ihre Dienerin und ihre geliebte Katze Pilgrim mitnehmen, damit diese ihr in der Einsamkeit Gesellschaft leisteten. Ein Kiste Bücher würde sie ebenfalls mitnehmen und sich darauf konzentrieren, ihren Geist weiterzubilden. Wer brauchte schon einen Mann?

Kate las den Abschnitt noch ein weiteres Mal und hoffte, dass er ihr wenigstens jetzt interessant und gut geschrieben vorkäme. Nein, sie fand ihn immer noch schrecklich. Und was noch viel schlimmer war: So würde sich das Buch nie und nimmer verkaufen. Niemand würde einen romantischen Roman lesen wollen, dessen Heldin den Männern abschwor. Selbst ihr treuester Leser würde über den Satz Wer brauchte schon einen Mann? nicht hinauskommen. Er würde das Buch zuklappen und umgehend in die Bibliothek zurückbringen. Empfehlen Sie mir bloß nie wieder ein Buch von dieser Ivory, würde der treue Leser zum Bibliothekar sagen, ich mag diese aggressiven modernen Feministinnen nicht. Kate markierte den Absatz, löschte ihn, ging eine Seite zurück, las sie durch und entschloss sich, sie ebenfalls zu löschen. Dann verließ sie das Programm. Nachdenklich blätterte sie in ihrem Notizbuch. Wie viele Worte hatte sie heute zustande gebracht? Welche Anzahl konnte sie notieren? Es lief tatsächlich auf minus dreihundert hinaus!

Trübsinnig blickte Kate aus dem Fenster auf das struppige Gras, das vom betonierten Gartenweg aus steil nach oben anstieg. Harley bezeichnete den Pfad als Veranda. Es war drei Minuten vor vier an einem Nachmittag im Februar. Über der Stadt hingen dicke Wolken und verbargen die Sonne. Mit zunehmender Dämmerung stieg von der Themse her Nebel auf und beschlug die Fenster der Vorstadtsiedlung. In ganz Oxford träumten jetzt wahrscheinlich Menschen davon, sich bei Tee und frisch gebackenen Plätzchen vor einem warmen Kaminfeuer zu räkeln – genau das, was sie oben erwartete.

Nebel waberte gegen die Eingangstür und um das graue Schieferdach. Im Haus brannte Licht – ein gelber Schein, der den sanften, grauen Kokon zu durchdringen versuchte. Einen Augenblick lang spielte Kate mit dem Gedanken, ihre Jogging-Schuhe anzuziehen und über die Port Meadow ins Zentrum von Oxford zu laufen. Doch irgendwann würde sie wohl oder übel heimkommen müssen.

Sie lehnte sich in ihrem Arbeitssessel zurück und kaute auf einem mitgenommen aussehenden Stift herum.

Kapitel Zwei

In der Küche hatte Andrew auf dem Tisch das Tablett bereitgestellt. Er bedeckte es mit einem weißen Leinentuch und stellte die Teller mit den kleinen, blauen Blümchen und dem Goldrand sowie die passende Milchkanne darauf. Wenn er Kate das Decken des Tisches überließe, würde sie sicher die Milch in der Flasche auf den Tisch stellen. Pom pom te pom te te da, sang er. Woher stammte noch diese Melodie? Etwa aus Hochzeit des Figaro? Er fand einen großen, blauen Teller, den er mit einer Serviette bedeckte. In Reih und Glied ordnete er die Plätzchen an. Sie waren noch warm.

Der Kessel kochte. Andrew goss Wasser in die vorgeheizte Kanne. Hatte er an alles gedacht? Filter, Tassen, Untertassen, Zucker für Harley. Ach ja, und der Kaffee für Kate. Noch immer hatte er es nicht geschafft, sie von ihrem Nachmittagskaffee abzubringen, obwohl er diese Angewohnheit für ziemlich unzivilisiert hielt. Zwar wusste er ganz genau, dass sie lieber aus einem ihrer Becher getrunken hätte, doch an diesem Nachmittag sollte sie eine Porzellantasse mit Untertasse benutzen wie alle anderen auch.

Er trug das Tablett ins Esszimmer. Der Raum wurde nur selten benutzt und war kühl. Andrew schaltete die Elektroheizung ein. Ein paar Blumen auf dem Tisch hätten sich sicher nett gemacht, doch Andrew hatte keine Lust, im nassen Gras des Gartens nach den vereinzelten Schneeglöckchen und Krokussen zu suchen, die alles waren, was um diese Jahreszeit dort wuchs. Er holte die vorbereiteten Sandwichs und den angeschnittenen Obstkuchen vom Vortag. Kate sollte dieses Zimmer wirklich öfter nutzen. Es war zwar klein, aber die Wände waren in einem satten, grünlichen Blau gestrichen und die niedrig hängende Lampe verwandelte den Tisch in eine sonnige Insel mitten in einem tropischen Ozean. Zum nächsten Geburtstag würde er Kate ein paar tief orangefarbene Servietten und ein dunkelgrünes Tischtuch schenken. Die Servietten würden sich wie exotische Blüten in der üppigen Vegetation der Insel ausnehmen. Er lächelte über den für ihn ungewohnten Anflug von Fantasie und kehrte in die Küche zurück.

Im Backofen befand sich noch Harleys Pizza. Sie war üppig belegt mit nahrhaften Proteinen und Gemüse, doch Andrew hatte sie auch unter einer dicken Schicht Cheddarkäse vergraben, damit sie nicht selbstgemacht, sondern wie aus dem Supermarkt aussah. Der Käse war zu einer goldenen Kruste zerlaufen, wie der Junge es liebte. Noch immer hegte Harley ein tiefes Misstrauen gegenüber richtigem Essen, obwohl Andrew die Hoffnung nicht aufgab, ihn eines Tages doch noch zu einem besseren Geschmack bekehren zu können. Nachdem er auch die Pizza auf den Tisch gestellt hatte, warf er einen prüfenden Blick auf sein Werk. Es entsprach zwar nicht ganz seiner tropischen Fantasie, aber es würde gehen.

Andrew steckte den Kopf um die Ecke ins Wohnzimmer. »Tee ist fertig!« Er öffnete die Hintertür und rief in die Dämmerung hinaus: »Tee ist fertig, Harley.« Dann benachrichtigte er Kate: »Kaffee! Plätzchen!«, schallte sein Ruf die Treppe hinunter.

Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er schob das Päckchen, das am Nachmittag gekommen war, neben Kates Teller. Den Rest der Post würde er ihr erst nach dem Tee geben, weil sie sich sonst wahrscheinlich in ihren Briefen vergrub und kaum mit ihnen redete.

Die Hintertür flog auf. Ein keuchender Dave stürmte herein und zerrte Harley hinter sich her.

»Die Tür, Harley«, sagte Andrew automatisch.

Krachend flog die Tür ins Schloss.

Kate tauchte aus ihrem Arbeitszimmer auf.

»Wir trinken den Tee heute im Esszimmer«, verkündete Andrew.

»Ich rufe besser zuerst bei Aisling an«, erwiderte Kate und verschwand im Wohnzimmer. Andrew suchte nach einem Kaffeewärmer für die Kanne, fand aber keinen.

»Aisling? Hier ist Kate. Kate Ivory.«

»Ach, richtig. Kate. Ich habe nur ein paar Minuten Zeit, daher mache ich es kurz. Ich habe gute Neuigkeiten für Sie.«

»Und die wären?«

»Wir würden gern die Verkaufszahlen Ihres neuen Buches steigern und ein wenig mehr Reklame machen. Es heißt Frühlingsgrollen, nicht wahr?«

»Genau. Das sind ja wirklich gute Neuigkeiten. Und wie kommt es zu dieser Änderung der Taktik?«

»Weil Sie inzwischen ein Markenzeichen sind.«

»Ach, bin ich das?« Kate wünschte, sie hätte ihre Kaffeetasse mitgenommen. Wenn Aisling weiter in dieser Manager-Manier mit ihr redete, würde es sicher länger als ein oder zwei Minuten dauern.

»Das sind Sie, Kate. Und aus diesem Grund haben wir eine Lesereise für Sie arrangiert.«

Kate stellte sich vor, wie sie neben mehreren hundert Ausgaben ihres neuesten Hardcovers saß und mit einem warmen Lächeln und einem Füller mit goldener Feder ihre Bücher signierte. Harrods, Hatchards, Waterstones, Dillons … wie eine Königin würde sie sich vor ihren jubelnden Fans verneigen.

»London lassen wir natürlich aus«, sagte Aisling gerade, als Kate wieder hinhörte.

»Warum ›natürlich‹?«, fragte Kate kühl. Ihre Träume zerplatzten wie eine Seifenblase.

»In der Hauptstadt ist man Autoren gegenüber gleichgültig geworden. Das Gleiche gilt übrigens für andere Großstädte wie Oxford, Cambridge, York und Edinburgh. Wir schicken Sie in Orte, wo Sie Wertschätzung erfahren. Sie möchten doch sicher nicht riskieren, ganz allein bei Hatchards herumzusitzen, ohne dass ein einziger Kunde aufkreuzt, oder? Schließlich gibt es noch viele andere Städte, die nie von berühmten Autoren besucht werden.«

»Sind Sie ganz sicher, dass man in diesen Orten überhaupt Bücher liest?«

Aisling ließ ein perlendes Lachen hören. »Sie sind immer so amüsant, Kate! Die Leute werden Sie lieben, das weiß ich genau.«

»Und wohin geht es?«, fragte Kate. »Brauche ich meinen Pass? Und wo wir gerade dabei sind: Wann geht es los?«

»Oh, es geht von einer Buchhandlung zu nächsten«, antwortete Aisling leichthin. »Ich schicke Ihnen die Liste zu. Und was den Zeitpunkt angeht, wie wäre es mit nächster Woche?«

»Wie bitte?«

»Wissen Sie, wir haben eine fertig ausgearbeitete Tour für Sie.«

»Mit anderen Worten: Jemand ist im letzten Augenblick abgesprungen, und jetzt suchen Sie händeringend nach einem Ersatz?«

»So würde ich es nicht unbedingt darstellen.« Aisling war eine miserable Lügnerin. Kate konnte geradezu spüren, wie sie bis über beide Ohren errötete. »Wir glauben wirklich, dass Sie mit diesem Buch den Durchbruch schaffen, Kate.«

Vielleicht den Durchbruch zur Zahlungsfähigkeit. »Sagen Sie mir wenigstens, wer da ausgestiegen ist. Wen ersetze ich?« Es wäre nicht schlecht, sich im Voraus ein Bild machen zu können, wie enttäuscht Käufer und Fans auf ihre Anwesenheit reagieren würden.

»Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Kate. Sie haben sicher ohnehin noch nie von ihr gehört. Es ging sozusagen um ihr Erstlingswerk. Wahrscheinlich wird jedermann entzückt sein, Sie an ihrer Stelle zu sehen. Außerdem reisen Sie nicht allein. Sie werden mit einem Kollegen fahren, einem sehr netten Menschen namens Devlin Hayle. Kennen Sie ihn? Nein? Oh, er ist ungeheuer charmant und ungeheuer beliebt. Sie werden sich sicher prächtig miteinander amüsieren und Hunderte von Büchern verkaufen, liebste Kate. Sind Sie noch dran? Sie klingen irgendwie komisch.«

»Der Gedanke an die Tour hat mich nur gerade überwältigt«, sagte Kate. »Erzählen Sie mir mehr von diesem Hayle.«

»Nun, er schreibt historische Romane, genau wie Sie. Oder eigentlich eher nicht wie Sie. Seine Bücher sind weniger gut recherchiert, wenden sich mehr an die breite Masse.«

»Also Herz-Schmerz-Mantel-und-Degen-Bestseller?«, fragte Kate.

»Nicht unbedingt Bestseller. Das gibt der Markt in diesem Bereich augenblicklich nicht her. Und ›Herz-Schmerz‹ hören wir nicht gern; es klingt so gewöhnlich. Man nennt Hayle den ›Mann, der Frauenherzen versteht‹.

»Wer ist ›man‹? Wer nennt ihn so?«

»Na, einfach jeder. Sie sind aber wirklich in einer merkwürdigen Laune. Die Tour wird Ihrer Karriere auf die Sprünge helfen, Kate. Und natürlich auch der von Devlin.«

»Und Sie sagen, dass er umgänglich ist?«

Am anderen Ende der Leitung entstand eine kurze Pause. »Das glaube ich ganz sicher. Außerdem kommt er aus Ihrer Gegend.«

»Aus Oxford? Dann würde ich ihn sicher kennen.«

»Nicht aus Oxford selbst. Aus einer Stadt in der Nähe. Er wohnt in Swindon.«

»Ach, Swindon! Die berühmte Stadt der Türme, der Universitäten und der Boote auf dem Fluss. Ja, natürlich!«

»Sie brauchen nicht sarkastisch zu werden! Ich glaube, Swindon ist berühmt für seinen Bahnhof, und daran ist absolut nichts auszusetzen, oder? Auf der Karte jedenfalls liegen Oxford und Swindon ziemlich nah beieinander.«

»Haben Sie auf den Maßstab der Karte geachtet?«

»Was? Ach so, ein Scherz! Ha ha. So, ich muss mich jetzt wirklich sputen. Die Einzelheiten gehen noch heute mit der Post an Sie. Ich werde Ihnen Devlins Adresse und Telefonnummer mitschicken, dann können Sie selbst mit ihm Kontakt aufnehmen und sich auf einen Treffpunkt einigen. Es war nett, mit Ihnen zu plaudern. Ciao!«

Wenn Kate etwas hasste, dann waren es Leute, die ciao statt Auf Wiederhören sagten.

»Willst du das letzte Plätzchen?«, fragte Harley.

»Was?« Erst jetzt wurde Kate bewusst, dass sie seit ihrem Telefonat nur stumm dagesessen und ihrem Kaffee beim Kaltwerden zugesehen hatte.

»Es heißt ›möchtest du‹, und nicht ›willst du‹«, korrigierte Andrew.

Mit einem Löffel rührte Kate in ihrem Kaffee. Als sie aufblickte, sah sie in drei besorgte, männliche Gesichter.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Andrew.

»Hast du schlechte Nachrichten bekommen?«, erkundigte sich Paul.

»Ich habe dir ein Schokoladenplätzchen übrig gelassen«, teilte Harley ihr mit.

»Entschuldigt«, sagte Kate. »Ich habe nachgedacht.«

»Das ist die anstrengende Sache, die du manchmal mit geschlossenen Augen macht, nicht wahr?«, stellte Harley unschuldig fest.

»Harley!«, warnte Andrew.

»Was wollte die Frau denn?«, fragte Harley.

»Aisling? Oh, sie möchte, dass ich eine Lesereise durch verschiedene Buchhandlungen mache. Mit den Kunden reden, das neue Buch signieren – solche Dinge eben.«

»Das ist bestimmt nicht schlecht«, sagte Paul.

»Nein, natürlich nicht.«

»Du hast doch nicht etwa Angst, vor fremden Leuten zu sprechen, oder?«, fragte Andrew.

»Nein, ich glaube nicht.«

»Wo hakt es dann?«

»Die Tour beginnt bereits nächste Woche und führt nicht nach London. Ich nehme an, jemand hat im letzten Augenblick abgesagt, und sie dachten, dass ich einspringen könnte, weil ich ungebunden bin.« Selbst für die eigenen Ohren klang sie kindisch und gereizt.

»Immer mit der Ruhe, Kate«, besänftigte Paul sie. »Auch wenn du nicht die erste Wahl warst – man hat dir eine Chance geboten, also greif zu. Mit beiden Händen! Geh hin und begeistere dein Publikum.«

»Gewagte Outfits, meinst du? Und das Schamloseste, was meine Prosa zu bieten hat?« Bei dem Gedanken an extrem kurze Röcke und abgefahrene Ohrringe begann sich Kate, für die Reise zu erwärmen, ganz zu schweigen von der Vorstellung, die unverschämtesten Passagen ihrer Bücher laut vorlesen zu dürfen.

»Etwas in der Art«, bestätigte Paul. »Du brauchst ja nicht gleich aus dem Rahmen zu fallen.«

»Sie hat außerdem gesagt, dass noch ein Kollege mitfährt«, fuhr Kate fort. »Angeblich ein absolut charmanter Mensch. Sie behauptet, dass man ihn geradezu lieben muss!«

»Na, das klingt nach einem ziemlichen Früchtchen!«, sagte Paul.

»Und wer ist es?«, erkundigte sich Andrew.

»Der ›Mann, der Frauenherzen versteht‹. Devlin Hayle.«

»Der helle Wahnsinn!« Harley starrte sie mit offenem Mund bewundernd an.

»Ich werde das unangenehme Gefühl nicht los, dass du mit dem Ausdruck nicht ganz Unrecht haben könntest«, sagte Kate, die sich an das Glitzern in Hayles Augen erinnerte und sich inzwischen fragte, ob es tatsächlich auf den Scheinwerfer des Fotografen zurückzuführen war. Jedenfalls könnte es die Reise deutlich interessanter machen.

»Ich stimme Paul in jeder Hinsicht zu«, erklärte Andrew. »Du solltest diese Möglichkeit wahrnehmen und das Beste daraus machen. Wenn wir unseren Tee ausgetrunken haben, sollten wir ins Wohnzimmer gehen und die praktische Seite deiner Abwesenheit organisieren. Zum Beispiel: Wer kümmert sich um Dave, wenn Harley in der Schule ist? Und wer überwacht Harleys Hausaufgaben?«

»Ich bin sicher, dass du und Paul diese Dinge zwischen euch ausmachen könnt«, sagte Kate. »Ihr werdet bestimmt auch dafür sorgen, dass Harley genügend Vitamine isst und seine Fußballschuhe nicht verliert.«

»Hey«, protestierte Harley. »Ich brauche keine Aufpasser! Lasst mich einfach nur in Frieden.«

»Warum machst du eigentlich dein Päckchen nicht auf, Kate?«, fragte Paul. »Während du dich um deine Post kümmerst, werden Andrew und ich im Einzelnen diskutieren, wie wir die Verantwortlichkeiten während deiner Abwesenheit aufteilen. Allerdings muss ich nächste Woche selbst ein paar Tage wegfahren.«

»Wo fährst du hin?«, wollte Harley wissen.

»Nach London. Zu einer Fortbildung.«

»Ach, tatsächlich?« Interessiert blickte Andrew ihn an. »Was für eine Fortbildung?«

»Ein Kurs über den Umgang mit schwierigen Menschen. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass zwei Tage nicht ausreichen, um das Thema grundlegend zu erörtern.«

Kate blickte ihn scharf an. Es war nicht leicht festzustellen, ob und wann Paul scherzte. Doch Paul sah sie nur unschuldig an, und so griff sie nach dem kleinen Päckchen neben ihrem Teller und drehte es um.

»Kein Absender. Und den Stempel kann man auch nicht lesen. Die Handschrift ist mir völlig unbekannt.« Kate legte das Päckchen wieder hin.

»Für eine Bombe ist es meiner Meinung nach zu klein«, ließ sich Paul vernehmen. »Und die richtige Form hat es auch nicht. Vielleicht ist es ein kleines Andenken von einem deiner Fans. An deiner Stelle würde ich es riskieren!«

Kate zerriss das Paketband und das braune Packpapier. Ein winziges, rotes Pappschächtelchen kam zum Vorschein.

»Was’n das?«, fragte Harley.

Kate hob den Deckel ab. Auf schwarzem Samt lag ein Ring.

»Er ist aus echtem Gold«, sagte Kate und nahm ihn aus dem Kästchen. Die anderen beugten sich nach vorn, um besser sehen zu können.

»Neun Karat«, schätzte Paul.

»Wer um alles in der Welt könnte mich so sehr lieben?«, überlegte Kate laut.