Mord in Oxford - Veronica Stallwood - E-Book
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Mord in Oxford E-Book

Veronica Stallwood

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Beschreibung

Die Schriftstellerin Kate Ivory erfährt von ihrer Freundin Rose, dass deren Mann Theo sie verlassen hat. Theo hat eine wertvolle Sammlung antiker Emailgefäße aus Roses Familienbesitz mitgenommen und will sie nicht wieder hergeben. Rose, finanziell in Bedrängnis, ist verzweifelt. Kate und ihre Freundinnen beschließen, die Emailgefäße auf eigene Faust zurückzuholen. Wie hätten sie auch ahnen können, dass ihr Diebstahl nur dazu dient, ein viel gravierenderes Verbrechen zu vertuschen? Denn kurz darauf wird eine von Kates Freundinnen tot aufgefunden. Kate beschließt, den Fall selbst zu untersuchen. Ein Wettlauf mit der Polizei beginnt - und mit einem skrupellosen Mörder ...

Ein neuer Fall für die ermittelnde Schriftstellerin Kate Ivory. Eine atmosphärische Kriminalserie mit einer besonderen Heldin, deren scharfe Beobachtungsgabe und ungewöhnliche Methoden die gemütliche britische Stadt Oxford ordentlich durchwirbeln. Perfekt für Liebhaber von intelligenter und charmanter Cosy Crime, für Leser von Martha Grimes und Ann Granger.

"Stallwood gehört zur ersten Riege der Krimiautoren." Daily Telegraph

"Unterhaltung pur!" Daily Mail (über "Ruhe sanft in Oxford")

"Atmosphärisch und fesselnd!" The Sunday Times (über "Der Tod kommt rasch in Oxford")

"Stallwoods Heldin sprüht vor Intelligenz und Witz." The Times

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Seitenzahl: 368

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Inhalt

CoverÜber das BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmung1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel

Über das Buch

Die Schriftstellerin Kate Ivory erfährt von ihrer Freundin Rose, dass deren Mann Theo sie verlassen hat. Theo hat eine wertvolle Sammlung antiker Emailgefäße aus Roses Familienbesitz mitgenommen und will sie nicht wieder hergeben. Rose, finanziell in Bedrängnis, ist verzweifelt. Kate und ihre Freundinnen beschließen, die Emailgefäße auf eigene Faust zurückzuholen. Wie hätten sie auch ahnen können, dass ihr Diebstahl nur dazu dient, ein viel gravierenderes Verbrechen zu vertuschen? Denn kurz darauf wird eine von Kates Freundinnen tot aufgefunden. Kate beschließt, den Fall selbst zu untersuchen. Ein Wettlauf mit der Polizei beginnt - und mit einem skrupellosen Mörder …

Über die Autorin

Veronica Stallwood kam in London zur Welt, wurde im Ausland erzogen und lebte anschließend viele Jahre lang in Oxford. Sie kennt die schönen alten Colleges in Oxford mit ihren mittelalterlichen Bauten und malerischen Kapellen gut. Doch weiß sie auch um die akademischen Rivalitäten und den steten Kampf der Hochschulleitung um neue Finanzmittel. Jedes Jahr besuchen tausende von Touristen Oxford und bewundern die alten berankten Gebäude mit den malerischen Zinnen und Türmen und dem idyllischen Fluss mit seinen Booten – doch Veronica Stallwood zeigt dem Leser, welche Abgründe hinter der friedlichen Fassade lauern.

Veronica Stallwood

Mord in Oxford

Kate Ivorys erster Fall

Ins Deutsche übertragen von Ulrike Werner-Richter

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der englischen Originalausgabe: Death and the Oxford Box

© 1993 by Veronica Stallwood

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2004/2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Gerhard Arth/Stefan Bauer

Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von © shutterstock: Megin

Illustration: © phosphorart/David Hopkins

Datenkonvertierung E-Book:

hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-3461-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Für Guy Peskett

Für ihren fachlichen Beistand danke ich Michael Burden, Glenys Davies, Richard Gartner, Robert McNeil, Roy Preece und Maryanne Tubb.

1. Kapitel

Die Frau zögerte einen Augenblick vor dem Haus Redbourne Road 29, ehe sie klingelte und sofort wieder einen Schritt zurückwich.

»Was gibt’s?«, raunzte er, schon bevor er die Tür öffnete.

»Ich muss dringend mit dir reden. Es geht um meine Emaille-Dosen.« Ihre Stimme war hell und atemlos, fast wie die eines Kindes.

»Unsere Dosen. Wie oft habe ich dir das nun schon gesagt? Deine Großmutter hat sie uns beiden zur Hochzeit geschenkt. Also sind es unsere Dosen. Und wenn ich die Hälfte von ihnen behalten will, dann darf ich das. Ganz und gar rechtmäßig. Und jetzt verschwinde.«

Der Februarwind wirbelte tote Blätter und Plastiktüten durch die schmale Oxforder Vorortstraße. Eine Plastiktüte hatte sich unbemerkt am Absatz der Frau verfangen und raschelte und knatterte über den gepflasterten Gartenweg.

»Bitte, Theo. Ich muss sie zurückhaben. Und zwar alle. Es ist wirklich wichtig. Kann ich nicht kurz reinkommen? Wir sollten vielleicht in Ruhe darüber reden.«

Irritiert starrte Theo auf die Plastiktüte an ihrem Schuh. Er trug Gummihandschuhe. Wahrscheinlich hatte sie ihn beim Abwasch überrascht. Seine große, blaue Hand ruhte auf der Eingangstür, bereit, sie jeden Augenblick zuzuschlagen; in der anderen Hand hielt er ein weißleinenes Geschirrtuch.

»Wir können auch hier reden, wenn du mir was zu sagen hast«, antwortete er, ohne den schneidenden Wind wahrzunehmen, der Regentropfen gegen die Fensterscheiben peitschte und das Haar der Frau zauste, wo es unter ihrer Strickmütze hervorschaute.

»Du musst mir helfen. Oma kommt nach Oxford. Sie will mich besuchen und mit mir über die Dosen sprechen.« Sie blickte zu ihm auf und hielt einen Augenblick inne, als ob sie darauf warte, doch noch ins Haus gebeten zu werden. Schließlich fuhr sie enttäuscht fort: »Sie hat irgendetwas von einer Verkaufsausstellung geschrieben. Ihre Handschrift ist miserabel, deshalb habe ich nicht alles entziffern können. Auf jeden Fall will sie die Sammlung sehen, Theo, und zwar vor allem die Oxford-Dose; das war ziemlich klar.«

»Vermutlich hat sie von der Ausstellung gelesen. Tod als Kunstform. Hast du nicht davon gehört?« Die Frau schüttelte den Kopf. »Die Veranstaltung hat ein reges Interesse an Trauergegenständen aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert hervorgerufen. Letzten Monat wurden sogar einige dieser Döschen bei Christie’s versteigert. Bis dahin war mir gar nicht klar, wie gesucht vor allem die von John Parrish sind. Die Dose auf der Auktion hat jedenfalls einen unglaublichen Preis erzielt. Unsere Oxford-Dose ist eine Masse Geld wert.« Zwischen den Falten des Leinentuchs in seiner rechten Hand glänzte kurz ein Schimmer dunkelblauer Emaille hervor.

»Verstehst du denn nicht? Sie sieht die Dosensammlung nicht als unser Eigentum an. Für sie ist es immer noch ihre. Sie wird fuchsteufelswild, wenn sie in die Rosamund Road kommt und die halbe Sammlung ist nicht mehr da.« Sie hatte die Dose nicht gesehen, die jetzt in der großen blauen Hand verschwand.

»Wie alt ist sie? Fünfundachtzig? Sechsundachtzig? Jedenfalls war sie in ihrer Jugend anscheinend schlau genug, in Wertgegenstände zu investieren« – seine roten Lippen formten einen spöttischen Kussmund, als er das Wort aussprach. »Damals waren sie nämlich noch erschwinglich. Andererseits bin ich ziemlich sicher, dass sie keine Ahnung vom geltenden Scheidungsrecht hat. Du wirst es ihr halt erklären müssen. Warst du nicht immer ihre Lieblingsenkelin? Lass dir einfach was einfallen, Rose.«

Er schickte sich an, die Tür zu schließen, aber Rose stemmte sich mit beiden Händen dagegen und hielt sie offen. Wohl oder übel musste er ihre Antwort über sich ergehen lassen.

»Ich bin ihr einziges Enkelkind. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie nicht alles ihrer alten Schule vermachen kann, wenn sie will. Und das wird sie wollen, Theo, wenn sie herausbekommt, dass ich mir ihre halbe Dosensammlung von dir habe stehlen lassen.«

»Mach dich nicht lächerlich. Niemand hat hier irgendetwas gestohlen. Allerdings habe ich absolut nicht die Absicht, mich von schönen und wertvollen Dingen zu trennen, die mir von Rechts wegen zustehen.«

Der scharfe Wind trieb Rose Tränen in die Augen. Ihre Stimme wurde noch ein wenig schriller als zuvor. »Aber ich bin angewiesen auf das Geld, das sie mir hinterlassen wird. Vor allem jetzt ...« Sie schniefte vernehmlich, ohne den Satz zu vollenden. »Ich hatte gehofft, sie würde mir vielleicht vorab schon einen Teil überschreiben. Nur so kann ich für das Haus in der Rosamund Road aufkommen, ganz zu schweigen von dem Einstiegskapital für meinen Strick-Shop, und ...«

»Vergiss es, Rose. Wahrscheinlich wirst du auch in zwanzig Jahren noch von deinen großen Plänen faseln. Und wenn ich dir die Oxford-Dose überließe, würdest du sie nur dem erstbesten Gauner für ein paar Pfund in den Rachen werfen. Nein, nein. Sie bleibt hier bei mir. Hier ist sie wenigstens sicher.« Beim Sprechen hatte er ihre Hände von der Tür gelöst, über die er jetzt wieder allein verfügte. Aber Rose trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust und machte fast den Eindruck, als wolle sie ins Haus stürmen und sich der Dinge bemächtigen, die sie für ihr Eigentum hielt. Doch er wehrte sie locker mit der linken Hand ab, während seine rechte das Kleinod hinter dem Rücken verbarg.

»Du hast doch keine Ahnung von der Bedeutung dieser Dosen«, schrie Rose. »Wichtig daran ist das Geheimnisvolle. Man weiß nie, was sich im Innern verbirgt. Nur das zählt. Das Geld ist doch gar nicht so wichtig.«

»Ein gewisser sexueller Symbolgehalt ist sicher dabei«, meinte Theo abweisend, »aber du bist wirklich der einzige Mensch, der so naiv ist, darin keinen Zusammenhang mit Geld zu vermuten. Wir reden über diese Oxford-Dose hier: bescheiden, blau, begehrenswert – und mittlerweile auch alles andere als billig.«

»Sie gehört mir! Widerlicher Kerl! Theo, gib sie sofort her!«, kreischte Rose. »Das wird dir noch Leid tun!«

»Was ist los, Theo?«, rief eine junge Frauenstimme aus dem Innern des Hauses.

»Nichts«, antwortete Theo über seine Schulter hinweg, ehe er sich wieder an Rose wandte. »Verschwinde. Lass uns in Frieden. Und gib dich bloß keinen Illusionen hin: Meine Hälfte der Sammlung bekommst du nie! Falls du auf die Idee kommen solltest, es trotzdem zu versuchen, werde ich keine Sekunde zögern und die Polizei rufen. Ganz ehrlich, Rose, ich will wirklich nicht, dass du wegen dieser Dosen in ernsthafte Schwierigkeiten gerätst.« Mit diesen Worten schloss er die Tür.

2. Kapitel

Theo hat mich verlassen.«

Roses Worte klangen durch die kühle Morgenluft aus der Jogger-Gruppe, die vor Kate Ivory lief.

»Los, komm«, sagte Kate zu ihrer Begleiterin. »Das muss ich unbedingt hören.« Mit diesen Worten beschleunigte sie deutlich. Camilla kam fast aus der Puste bei dem Versuch, Schritt zu halten.

»... mit dieser schrecklichen Lynda«, war gerade Roses hohe, kindliche Stimme zu vernehmen.

»Mir ist kalt. Lust habe ich auch keine mehr«, meinte Camilla. »Lass uns nach Hause gehen.«

»Ausgeschlossen. Um zehn vor sechs aufzustehen und in die dunkle Kälte rauszugehen ist der schrecklichste Moment des ganzen Tages. Das eigentliche Joggen fällt dann doch ganz leicht. Eigentlich fällt alles leicht, was danach noch kommt. Was ist denn los mit dir heute Morgen?«, fragte Kate etwas abgehackt, wie immer, wenn sie sich warm lief. »Normalerweise bin ich doch diejenige, die morgens schlecht gelaunt ist. Im Grunde erwarte ich von dir, aufgeheitert und im Trott gehalten zu werden.« Camilla war Schulleiterin und musste schließlich wissen, wie man Menschen bei Laune hielt.

Schemenhaft tauchten Bäume und Häuser aus dem langsam heraufdämmernden Morgenlicht auf. Wasser plätscherte über den Sportplatz, und Kate konnte eine Möwe erkennen, die sich wie ein weißer Schatten auf einem Torpfosten niederließ. Ein paar Stockenten dümpelten in einer riesigen Lache an der Stelle, wo an Halloween das große Feuer gebrannt hatte.

»Wir haben acht Kilometer vor uns, prall gefüllt mit Roses Beschwerden über Theo«, sagte Camilla. »Ich habe nicht die geringste Lust, mir das anzuhören. Ich würde sogar eine Diskussion über die Nützlichkeit von Prüfungen oder die Aussichten der Zentrumspartei bei den nächsten Wahlen vorziehen.« Sie wurde langsamer, bis Roses Stimme nicht mehr zu verstehen war. »Ich habe mir oft gewünscht, Rose würde ihre Stricknadeln nehmen und den Mann einfach sitzen lassen. Jetzt hat er sie also verlassen. Gut für sie. Aber die Details interessieren mich wirklich nicht.«

Allmählich erwachten die Fenster ringsumher. Eines nach dem anderen leuchtete gelblich auf. Die Menschen standen auf. Sie knipsten Licht an, gähnten, äugten in den stürmischen Morgen hinaus und versuchten einzuschätzen, was der Tag bringen würde. Kate wünschte sich nichts sehnlicher, als drinnen im Warmen zu sein, aber weil das nun mal nicht ging, wollte sie wenigstens den ganzen Klatsch und Tratsch der Jogging-Gruppe von Fridesley aus erster Hand mitbekommen. Normalerweise hatte Camilla genauso viel Spaß daran, intimen Bekenntnissen aus dem Privatleben der anderen Jogger zu lauschen. Körperliche Anstrengung schien etwas Befreiendes an sich zu haben, das Menschen dazu brachte, während des Rennens über ihre Sorgen und Nöte zu sprechen.

Der breite reflektierende Streifen, der Camillas dunkelgrün eingehüllten Oberkörper wie ein Rettungsring umgab, bewegte sich gleichmäßig im Rhythmus ihrer Füße auf und ab. Camilla trug kein Wort zur Unterhaltung bei, und Kate musste sich eingestehen, dass Camilla eine Ausnahme bei der allgemeinen Seelenentrümpelung bildete.

Langsam wurden Kates Muskeln warm. Sauerstoff durchflutete Gehirn und Füße. Sie fühlte sich immer besser. Zwar wünschte sie immer noch, sie könnte in Richtung ihres gemütlichen Hauses abbiegen und das Paket mit den zimtbestäubten Doughnuts anbrechen, das sie eigentlich am Vortag nicht hätte kaufen dürfen und deshalb ganz hinten im Schrank versteckt hatte. Aber sie wollte auch wirklich gern mehr über Rose und Theo erfahren. Das war wohl ihrer schriftstellerischen Neugier zu verdanken, sagte sie sich.

Die ersten Pendler machten sich auf den Weg in die Innenstadt von Oxford. Ihre Autos wirkten in der trüben Morgendämmerung wie dunkelgraue Schemen, deren Abblendlichter goldene Kegel in den Dunst zauberten.

»Wir müssen verrückt sein. Da stehen wir zu einer absolut unchristlichen Zeit auf, nur um die anderen nicht hängen zu lassen«, sagte Camilla. »Wenn wir dann draußen sind und laufen, überkommt uns dieses warme, kameradschaftliche Gefühl für Leute, mit denen wir doch eigentlich gar nichts zu tun haben, und plötzlich bekommen wir den Eindruck, sie seien unsere ältesten und besten Freunde.«

»Wir sind eine tolle Truppe, findet ihr nicht?« Gavins bommelbemützter Kopf tauchte neben Camilla aus der Dämmerung auf. »Ich verdanke meine sämtlichen Rennerfolge dem Lauftreff Fridesley.«

»Erfolge?«, brummte Camilla. »Was für Erfolge?«

»Nun, ich plane, dieses Jahr am New-York-Marathon teilzunehmen«, antwortete Gavin. Er klang beleidigt.

»Ist das nicht erst im November?«, fragte Kate. Sie spürte die Sockennaht, die unangenehm an ihrem kleinen Zeh scheuerte, und war froh, dass sie nicht noch 40 Kilometer vor sich hatte wie bei einem Marathonlauf.

»Ich brauche Zeit für das Vorbereitungs-Training. Ganz zu schweigen von der Planung.« Und als wäre ihm der Gedanke gerade erst gekommen, fügte er hinzu: »Außerdem muss ich natürlich auch für die Reise sparen.«

»Mir ist schlecht«, sagte Camilla. »Ich will heim.«

»Wie viele Biskuits hast du heute Morgen vor dem Laufen wieder gegessen?«, fragte Kate unfreundlich.

»Nur ein paar. Und einen Haferkeks. Mit Marmelade drauf.«

»Du weißt doch ganz genau, dass einem übel wird, wenn man vor dem Joggen isst. Warum tust du es also?«

»Weil ich Hunger habe. Außerdem trinkst du Kaffee«, fügte sie vorwurfsvoll hinzu.

»Mit entrahmter Milch. Das zählt nicht. Du solltest dir die Biskuits verkneifen und dich auf dein Frühstück nach dem Rennen freuen wie wir anderen auch.«

Gavin beschleunigte mit großen Schritten, als wolle er demonstrieren, dass er längst fit genug war für einen Marathon. Er überholte Sophie und Yvonne, Rose und Penny und gesellte sich zu Barbara Davies, die an der Spitze der Gruppe trabte.

Wieder war Roses Stimme zu vernehmen, aber so sehr sich Kate auch anstrengte, sie verstand nicht ein einziges Wort. Sie beschloss, Camilla sich selbst zu überlassen und sich darauf zu konzentrieren, Rose einzuholen. Gleich würden sie die Fridesley Road überqueren und nach links auf den schmalen Treidelpfad abbiegen, auf dem sie nicht mehr nebeneinander laufen konnten. Sie musste sich also eilen, näher an Rose und Penny Dale mit ihrer herrisch kommentierenden Stimme heranzukommen, sonst würde es zu auffällig aussehen. Tapfer ignorierte sie ihre schmerzhaft protestierenden Kniegelenke und zwang ihre Beine in einen schnelleren Takt. Sie zog gleich mit Sophie Baight, deren Schuhe derb auf den Asphalt klatschten. Ihr Schritt ist nicht elastisch genug, dachte sie. Sophie trug dunkelgraue, feste Joggingschuhe mit vielen Polstern und einer soliden Sohle. Sie sahen aus, als würden sie ein Vielfaches der bunten Laufschuhe wiegen, die von den meisten Frauen der Gruppe bevorzugt wurden, aber vielleicht täuschte dieser Eindruck. Der graue Trainingsanzug war zwar farblich abgestimmt, ließ Sophies Beine jedoch wie dick isolierte Rohre wirken, die oben in feuerroten Satinshorts steckten. Wie üblich lief Sophie dicht neben ihrer Mutter Yvonne.

»Es ist viel zu kalt zum Joggen«, nörgelte Sophie. »Ich hätte zu Hause bleiben und mich stattdessen eine halbe Stunde an das Rudergerät setzen sollen. Mir fallen gleich die Ohren ab.«

»Hier, Schatz«, sagte Yvonne, »nimm das!« Mit diesen Worten kramte sie eine handgestrickte, gelb-braune Mütze mit einem dicken Bommel aus ihrer Jacke und hielt sie ihrer Tochter hin. »Die hat mir die gute alte Mrs. Exeter gestrickt. Zum Dank für eine nicht mehr klappernde Zahnprothese. Nett, nicht?«

Na ja, vielleicht nicht ganz so nett, dachte Kate. Vielleicht hoffte die alte Dame, dass du sie tatsächlich trägst, liebste Yvonne, und endlich nicht mehr so unerträglich perfekt aussiehst. Die Mütze wirkte wie eine Karikatur der Kreationen von Rose. Sie war mit gelben Punkten verziert, die auf fäkalbraunem Untergrund eine entfernte Ähnlichkeit mit Blumen aufwiesen. Sophie setzte die Mütze auf und zog sie tief in die Stirn. Jetzt sah sie aus wie einer der sieben Zwerge.

»Niedlich, Schatz«, sagte Yvonne. »Sie steht dir. Es ist wirklich gesünder für dich, in der frischen Luft zu laufen, als immer nur an deinen Maschinen zu trainieren.«

Kate beschlich das ungute Gefühl, dass es Yvonne gefiel, Sophie zur Witzblattfigur zu erniedrigen.

Yvonne selbst schwebte geradezu mühelos voran. Sie atmete ruhig und leise. Ihre Beine steckten in strahlend buttergelben Leggins aus Lycra. Der teure Schnitt ihres dunklen Haars sah aus, als wäre die Frisur genau so gedacht gewesen, wie sie jetzt lag: kunstvoll mit Perlen aus Morgentau geschmückt.

»Sophie hat gerade wieder einen wundervollen neuen Apparat bekommen, der ihr hilft, fit und schlank zu werden. Nicht wahr, mein Schatz? Erzähl Kate doch davon, Sophie.«

Sophie starrte grimmig vor sich hin und blieb stumm.

»Er besteht aus einer Menge Federn und Drähten«, erklärte Yvonne. »Ich bin sicher, er wird ihrer Figur gut tun. Irgendwann jedenfalls.«

»Hör endlich auf damit«, stieß Sophie hervor.

»Ach was, Schätzchen! Ich mache doch nur Spaß«, erklärte Yvonne.

Sophies Füße setzten ihr schwerfälliges Klatschen fort. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt, die sie sehr hoch schwang. Bei jedem Tritt stieß sie sich fast selbst vors Kinn. Kate strengte sich an, noch schneller zu werden. Camilla trabte getreulich an ihrer Seite, obwohl sie schwer schnaufte.

»Warum wohnen die beiden wohl immer noch zusammen?«, flüsterte Kate Camilla zu. »Sophie geht doch bestimmt auf die dreißig zu.«

»Vermutlich Gewohnheit. Auf jeden Fall erfordert es weniger Einsatz, als jemand anderen zum Zusammenleben zu suchen oder womöglich allein zu bleiben. Glaubst du ernsthaft, Sophie wäre in der Lage, allein zu leben? Jedenfalls scheint mir Yvonne recht fürsorglich; und das, obwohl sie Zahnärztin ist. Ich könnte mir schlimmere Kandidaten für ein Zusammenleben vorstellen.«

»So, jetzt kann ich Rose verstehen«, flüsterte Kate Camilla zu und fädelte sich hinter Rose und Penny ein. Dabei verlangsamte sie ihren Schritt ein wenig, um hinter den beiden Frauen bleiben zu können.

»... diese Lynda. Ich glaube, es hat kurz vor Weihnachten angefangen«, sagte Rose gerade.

»Ich dachte immer, es hätte an dem Tag begonnen, als Rose mit zurückgeschlagenem Schleier durch die Kirche ging und mit ihren kleinen, feuchten Fingern Theos große, fette Hand umklammerte«, raunte Camilla Kate zu.

»Pst, ich höre zu! Außerdem hieß er noch Keith, als sie geheiratet haben. Er hat sich erst Theo genannt, nachdem seine Glückssträhne abgerissen war.«

Bei dem Versuch, ein lautes Auflachen zu unterdrücken, gab Camilla ein explosionsartiges Geräusch von sich. »Viel hast du von der Geschichte anscheinend nicht verpasst«, kicherte sie.

Vor ihnen klagte Rose noch immer. »Was konnte ich schon groß tun?« Sie trug ein unförmiges schwarzes Sweatshirt und eine noch unförmigere schwarze Trainingshose aus Baumwolle, die ihr nicht gerade besonders vorteilhaft standen. Ihr Outfit ließ eher vermuten, dass sie sich selbst auf einer von eins bis zehn reichenden Skala des Selbstwertgefühls nicht einmal unter den positiven Zahlen einordnen würde. Ihr Haar hatte sie unter einer gelben, mit Blumen und Blättern verzierten Wollmütze verborgen, in deren Ohrklappen, die Rose gegen den schneidenden Wind heruntergeschlagen hatte, grellrosa Nelken als Muster eingestrickt waren. Sie lief ausgesprochen schwerfällig, denn ihre Nike-beschuhten Füße schwangen bei jedem Schritt fast genauso weit seitwärts wie vorwärts. Sie könnte ganz schön schnell sein, wenn sie die ganze vergeudete Kraft in eine Vorwärtsbewegung brächte, dachte Kate, die genau hinter ihr lief.

Vielleicht hatte Penny Rose besänftigen wollen, aber Camilla platzte dazwischen. Durch die Anstrengung gleichzeitigen Redens und Rennens klang ihre Stimme rau und abgehackt.

»Du solltest dem Himmel danken, dass er dich von diesem Schwergewicht Theo erlöst hat. Immerhin hast du ihn die ganzen letzten sieben Jahre mit dir rumschleppen müssen.«

»Also ehrlich, Camilla«, murmelte Kate, »du gehst ja nicht gerade besonders zartfühlend mit dem armen Mädchen um.«

»Jemand musste ihr das einmal klar und deutlich sagen«, erklärte Camilla. »Wie soll sie denn im Leben zurechtkommen, wenn sie sich nicht allmählich den Tatsachen stellt und mit der praktischen Seite der Geschichte beschäftigt?«

Sie bogen von der Hauptstraße ab. In der stillen, lauschigen Umgebung des Treidelpfads trat das Summen des Verkehrs immer weiter in den Hintergrund.

»Du solltest dein eigenes Leben leben«, dozierte Camilla, die immer mehr in Fahrt kam. Yvonne und Sophie liefen direkt hinter ihnen, während Gavin und Barbara weit voraus joggten und ihren angestrebten Sechs-Minuten-pro-Kilometer-Schritt übten.

»Finde raus, wer du wirklich bist und was du vom Leben erwartest. Bis jetzt hast du schließlich nichts anderes getan, als dich Theos Erwartungen zu fügen«, fuhr Camilla fort.

Von den Bäumen triefte Feuchtigkeit. Man hatte den Eindruck, auf den Ästen säßen Massen von unsichtbaren, aber inkontinenten Vögeln.

Rose schniefte wie ein kleines Kind. »Du hast leicht reden, Camilla. Schließlich bist du erfolgreich, und die Leute hören auf dich. Außerdem arbeitest du in einem gut bezahlten Job. Niemandem würde je im Traum einfallen, dich zu beschimpfen, du wärst ein Hemmschuh, und es wäre kein Wunder, dass dein Mann dich verlassen hat.«

»Wenn jemand so etwas täte«, gab Camilla zurück, »der bekäme eine gepfefferte Antwort, verlass dich drauf.«

»Außerdem hat Lynda gesagt, dass ich mir jede Art von Unterstützung getrost abschminken könnte. Die Gerichte hätten keine Zeit für junge – na ja, mitteljunge Frauen ohne Kinder. Aber wie soll ich die Zinsen für mein Haus abzahlen, wenn kein Geld reinkommt?«

»Such dir halt einen Job«, sagte Camilla. »Was hast du denn gelernt?«

»Gar nichts«, antwortete Rose kleinlaut. »Ich wollte immer nur heiraten.«

»Was ist mit deiner Strickerei? Sicher würden Leute dafür bezahlen, wenn du ihnen Mützen mit Blumen drauf strickst oder Pullover mit Teddybären oder was sonst gerade in ist. Du entwirfst die Muster doch selbst, nicht wahr?«, fragte Penny.

»Eigentlich hatte ich auch vor, irgendwas mit meiner Strickerei anzufangen. Aber natürlich brauche ich erst mal Startkapital und Geld zum Leben, ehe das Geschäft Profit abwirft. Ich wollte meine Großmutter bitten, mir vorläufig auszuhelfen, aber so, wie es aussieht, werde ich da auch kein Glück haben.«

»Fang endlich an, dich zu wehren, Rose.« Camilla klang, als wolle sie eine Schüler-Hockey-Mannschaft anfeuern.

»Hört sich ganz schön mies an, diese Lynda«, erklärte Penny und kam damit auf das eigentliche Thema zurück. Sie trug einen leuchtend blauen Jogginganzug, eine knallrote Mütze, weiße Socken und knallrote Laufschuhe. Ihr dunkles Haar und ihre frische Hautfarbe ließen Rose neben ihr noch blasser und unbedeutender erscheinen. Pennys Hüften waren ein wenig fülliger, als es ihren Vorstellungen von Schönheit entsprach, und das ärgerte sie, weil ihr sehr wohl bekannt war, wie man gesund und schlank lebt. Fast den ganzen Tag ernährte sie sich von komplexen Kohlehydraten, ungesättigten Fettsäuren, Karotten und entrahmter Milch. Ihrer Meinung nach hätte sie gertenschlank sein müssen. Was ihrer Aufmerksamkeit allerdings entging, waren die Chips, geeisten Marsriegel und Erdnussbutterbrote, mit denen sie sich abends beim Fernsehen voll stopfte.

»Diese Lynda hat ein Spatzenhirn. Nimm sie einfach nicht zur Kenntnis«, meinte Camilla. »Vielleicht solltest du einen Einsteigerkurs für Selbstständige an der Volkshochschule belegen. Dann hast du ein Konzept, das du deiner Oma vorlegen kannst. Sie wird merken, dass es dir wirklich ernst mit der Sache ist.«

Der Pfad lag ein Stück oberhalb der überschwemmten Wiesen und vermittelte ihnen den Eindruck, über Wasser zu laufen. Zauberhaft, dachte Kate. Ihre Laune besserte sich zusehends. Jedes Mal, wenn sie die ersten 20 Minuten Jogging geschafft hatte, ging es ihr besser; das Ende der Schinderei war abzusehen. Wenn sie es recht betrachtete, war die Schinderei eigentlich gar nicht so schlimm. Und ihre Lunge arbeitete jetzt auch erheblich effizienter. Nur weiter so, motivierte sie sich selbst. Du kannst es. Du schaffst es. Insgeheim dankte sie dem Lauftreff Fridesley aus tiefstem Herzen. Die in weitem Abstand voneinander dahinzockelnde Truppe merkte nichts von der Welle aus Kameradschaftsgefühl und Dankbarkeit, die über sie hinwegschwappte. Gleich würde die Stadt Oxford mit ihren Bäumen und Türmen jenseits der Wiese aus der Dämmerung auftauchen. Über den Anblick freute Kate sich jedes Mal wieder aufs Neue.

»Lass den Mann doch sausen«, sagte Penny gerade. »Geh runter zum Supermarkt, hol dir ein paar leere Kartons und dann pack seinen ganzen Krempel da rein. Seine Streifenhemden, am besten ungewaschen, seine Seidenkrawatten, seine Unterhosen. Immer rein damit. Falte sie nur, wenn du es gar nicht lassen kannst. Weg mit seinen blöden Science-Fiction-Büchern, weg mit den Batman-Comics und diesen scheußlichen viktorianischen Glasvasen ...«

»Die viktorianischen Vasen gehören aber mir«, wandte Rose gekränkt ein.

»So ein Pech. Dann wirst du sie wohl oder übel behalten müssen, nehme ich an. Aber wenn du den Kram zusammengepackt hast, schmeißt du einfach alles auf die Straße. Äußerst therapeutische Maßnahme. Wenn du Lust hast, kannst du auch noch drauf rumtrampeln.«

Irgendetwas musste dran sein am Joggen, dachte Kate. In Penny und Camilla brachte es jedes Mal ziemlich aggressive Seiten zum Vorschein. Allerdings wirkte Penny immer ein wenig herrisch. Camilla hingegen zeigte sich sonst eher still und sehr zurückhaltend. Kate erinnerte sich des scheuen Kindes, das sie vor mehr als 20 Jahren kennen gelernt hatte und das von allen Leuten nur Millie genannt wurde. Heute behandelte man sie in ihrer Eigenschaft als Schulleiterin mit erheblich mehr Respekt. Vielleicht lag es an den Anforderungen ihrer Arbeit, am sozialen Engagement und der Pflicht, sich selbst immer im Zaum halten zu müssen, dass sie sich beim Joggen manchmal so gehen ließ.

»Dafür ist es zu spät«, sagte Rose. »Er hat seine Sachen längst gepackt.«

»Am Fluss müssen wir rechts abbiegen«, erklärte Penny. »Wir könnten zwar am Postle vorbeilaufen, aber auf der Wiese steht das Wasser noch zu hoch. Wir nehmen den Weg über die Folly Bridge.«

»Die Sache ist die«, fuhr Rose fort, nachdem alle Pennys Vorschlag zugestimmt hatten, »Theo ist im Haus gewesen, als ich zum Großeinkauf war. Ich fahre nämlich immer zum Supermarkt in Abingdon«, fügte sie hinzu. »Dafür brauche ich mindestens anderthalb Stunden, manchmal auch länger, wenn ich mir zwischendurch eine Tasse Kaffee leiste. Theo hat gewartet, bis ich weg war, ist mit einem gemieteten Lieferwagen vorgefahren, hat die Hälfte der Möbel eingeladen und sie in die Redbourne Road gebracht.«

»Das ist bestimmt mindestens zweihundert Meter entfernt«, sagte Camilla sarkastisch.

»Also wohnt er schon bei ihr?«, wollte Yvonne wissen. Wieder fiel Kate ein Anflug von Belustigung in ihrer Stimme auf.

»Ja, er wohnt bei Lynda. Ich vergesse ständig ihren Nachnamen, aber ihr wisst schon, wen ich meine. Massen von sehr blondem Haar. Sie ist Sprecherin bei irgendeinem Aufnahmestudio.«

»Bodybuilding-Schultern und Strumpfhosen mit Marinemuster«, sagte Camilla. »Gilman oder Gorman oder Kernan oder so.«

»Große Füße und dicke Knöchel«, sagte Kate und hoffte, die unglückliche Rose damit ein wenig aufheitern zu können.

»Mal ganz ehrlich, wer guckt bei der schon auf die Füße?«, fragte Camilla.

Ihre eigenen Füße klapperten auf dem Weg vom Kanal zum Fluss über die Holzbrücke. Das Echo hallte vom Wasser wider; aus den Bäumen flatterten erschrockene Tauben auf. Die Jogger liefen zwischen den noch tief überschwemmten Wiesen auf die verschlossenen Fensterläden des Peacock Inn zu, ließen Wolvercote rechts liegen und wandten sich wieder Oxford zu.

»Du solltest deine Strickmaschine in sein Arbeitszimmer verfrachten, Rose«, riet Kate. »Breite deine Klamotten im Schrank aus und stell die Möbel im Wohnzimmer um. Mehr Platz zu haben kann was ganz Tolles sein. Und Camilla hat Recht: Rechne aus, wie viel du brauchst und bitte deine Großmutter um eine Kapitalspritze für einen eigenen Laden.«

»Aber er hat ihre Dosen gestohlen!« Roses Stimme wurde schrill. Ein wütendes Aufstampfen auf dem Trimmpfad unterstrich jedes einzelne Wort. »Sie wird mir nie und nimmer auch nur zuhören.«

»Dosen? Was für Dosen?«, fragte Camilla. »Und was um alles in der Welt haben sie mit dem Ganzen zu tun?«

»Na, Emaille-Dosen!«, schrie Rose.

»Ach, du meinst das Zeug aus Battersea?«, fragte Camilla.

»Die Battersea-Manufaktur hat nur sechs Jahre lang gearbeitet«, erklärte Rose. Plötzlich klang ihre Stimme ungewöhnlich gebieterisch. »Echtes Battersea ist sehr selten und furchtbar teuer. Meine sind aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert, aber auch ganz schön wertvoll.«

»Na, dann nimm dir einen Rechtsanwalt und fordere sie zurück«, riet Camilla.

»Er hat mir die halbe Sammlung dagelassen«, gestand Rose.

»Das war doch eigentlich fair, oder?«

»Aber die Dosen gehören meiner Großmutter. Als kleines Mädchen durfte ich immer damit spielen, wenn ich besonders brav gewesen war. Sie hat mir immer Geschichten darüber erzählt, wo sie jede einzelne herhatte. Auf dem Deckel meiner Lieblingsdose stand ›Lebe, um zu sterben, und stirb, um zu leben.‹ Aber die hat Theo mitgenommen.«

»Das war gemein von ihm«, ließ sich Kate vernehmen.

»Meine Großmutter hat sie uns zur Hochzeit geschenkt und daher meint Theo, dass er ein Anrecht auf die Hälfte hat. Hat er aber nicht! Sie gehören Oma und mir. Nächsten Monat will sie nach Oxford kommen und mich besuchen. Sie rastet aus, wenn sie erfährt, dass Theo mich wegen einer anderen Frau verlassen hat. Aber wenn sie rauskriegt, dass er auch noch die Hälfte der Dosen hat mitgehen lassen, trifft sie der Schlag. Sie wird mir erklären, bei mir wäre sowieso Hopfen und Malz verloren und alles sei allein meine Schuld. Auf keinen Fall wird sie Geld rausrücken.«

Sie klang, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen.

»Ganz schön kompliziert«, sinnierte Kate.

»Vor allem hat er die Oxford-Dose gestohlen«, fuhr Rose mit finsterer Stimme fort. Sie schien vorauszusetzen, dass sie alle wussten, was das war.

»Doch nicht etwa eine von diesen Trauer-Dosen?« Yvonne klang plötzlich sehr interessiert. »Willst du etwa behaupten, du besitzt eine von John Parrish hergestellte Dose?«

»Könnte uns anderen vielleicht mal jemand erklären, wovon ihr da redet?«, schimpfte Camilla.

»Man nennt sie Oxford-Dosen, weil sie zwischen 1825 und 1835 von einem gewissen John Parrish in Wolvercote hergestellt wurden«, klärte Rose sie auf. »Später verlor sich das Interesse an Emaille-Dosen, und die Manufaktur wurde geschlossen.«

»Und was hat das mit Trauer zu tun?«, wollte Camilla wissen.

»Die Döschen waren als Erinnerung gedacht«, dozierte Yvonne. »Zum Beispiel an einen lieben Verstorbenen oder auch an die eigene Sterblichkeit. Die Oxford-Dosen stellten so etwas wie Souvenirs für Touristen dar, aber mit moralischem Hintergrund.«

»Eine geradezu unschlagbare Kombination«, stellte Camilla fest. »Vielleicht sollte man sich überlegen, sie wieder in den Andenkenläden von Oxford zu verkaufen.«

»Die Manufaktur von Oxford war auf eine tiefblaue Farbe mit winzigen dunkelroten Sprenkeln spezialisiert. Man nannte es Oxford-Blau. Die Details wurden mit Gold hervorgehoben. Meine Dose hat die Form der Radcliffe Camera1«, sagte Rose.

»Gott, wie kitschig«, stöhnte Camilla.

»Aber von hohem Sammlerwert«, konstatierte Yvonne. »Hat der Deckel Scharniere? Und ist eine Inschrift drauf?«

»Du scheinst dich ja wirklich auszukennen, Yvonne«, wunderte sich Kate.

»Nur ein bisschen«, sagte Yvonne. »Unter Sammlern haben diese Dosen einen guten Ruf. Vor allem seit der großen Ausstellung.«

»Die Inschrift lautet: Lebe, um zu sterben, und stirb, um zu leben«, gab Rose Auskunft. »Und wenn man den Deckel hochhebt, ist darunter eine kleine Elfenbeinschnitzerei.«

Yvonnes Atem beschleunigte sich hörbar.

»Ein Totenschädel«, fuhr Rose fort, und Yvonnes Ausatmen klang fast wie ein Pfiff.

»Ist der Totenkopf immer noch in der Dose?«, wollte sie wissen.

»Sicher. Zumindest war er das, als ich sie das letzte Mal gesehen habe.« Wieder schniefte Rose.

»Dann ist sie ja genau wie die Dose, die sie letzten Monat bei Christie’s für ...«

»Eine Masse Geld versteigert haben. Ja, sie sieht genauso aus.«

»Wenn sie mir gehörte, würde es mir wahrscheinlich nicht besonders viel ausmachen, wenn der Schädel verloren ginge«, sagte Kate. Sie interessierte sich selbst für die kleinen Sammel-Dosen, hatte aber nie eine besessen. Jedoch ständig an die eigene Sterblichkeit erinnert zu werden würde sie vermutlich eher stören.

»Innen im Deckel ist noch eine andere Inschrift: Mem. Mori W. S. Ob 6 Feb. 1831 steht da«, sagte Rose. »Es bedeutet wohl, dass sie zur Erinnerung an den Tod von jemandem mit diesen Initialen gemacht wurde.«

»Doch nicht etwa ...?«, fragte Camilla.

»Falsches Jahrhundert«, grinste Kate.

»Aber ein Parrish der mittleren Periode«, japste Yvonne.

»Statt der Oxford-Dose hat Theo mir ein kleines Mitbringsel aus Tunbridge Wells dagelassen.«

»Na, wenigstens etwas«, sagte Kate.

»So ein Mist«, sinnierte Camilla.

Ein Stück voraus waren Barbara und Gavin stehen geblieben, um ein Durchgangstor zu öffnen. Sie warteten darauf, dass der Rest der Gruppe aufholte. Ein Jogger benutzte den Pfad in entgegengesetzter Richtung. Sie traten beiseite, um ihn durchzulassen. Er war hoch gewachsen, sehr schlank und hatte ein knochiges Gesicht. Sein dunkles Haar fiel ihm immer wieder in die Stirn. Wie harmonisch er sich bewegt, dachte Kate. Genau mein Typ. Gedankenverloren sah sie ihm nach.

»Hier rechts, hinter den Weiden, fängt das Erschließungsgebiet an«, sagte Gavin gerade, als Kate durch das Tor kam.

»Weder hier noch irgendwo anders, wenn es nach uns geht«, fauchte Yvonne. »Ich werde dafür sorgen, dass Tom Grant mit seinen Plänen auf keinen Fall durchkommt. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!«

»Yvonne scheint nicht gerade besonders gut auf Grant zu sprechen zu sein«, stellte Camilla fest.

»Muss ganz schön schwierig sein für Gavin. Er sitzt doch im Gemeinderat. Muss er da nicht eigentlich neutral bleiben?«

»Er gehört den Unabhängigen an, aber er ist nicht neutral«, sagte Barbara leise missbilligend. Kate fiel ein, dass Barbaras Mann im gleichen Gemeinderat saß, allerdings als Abgeordneter der konservativen Partei.

»Du musst es ihm klar machen«, sagte Penny zu Rose. »Du willst sie haben. Schließlich ist es doch nur der alte Theo. Entschließ dich. Geh hin und fordere deine Dosen zurück.«

»Vor allem die Oxford-Dose«, murmelte Yvonne gedankenverloren.

»Habe ich schon gemacht«, sagte Rose. »Aber es hat nicht funktioniert. Er hat mich noch nicht mal ins Haus gelassen. Theo kann ganz schön anmaßend sein. Als ich ging, habe ich mich überflüssiger gefühlt denn je.«

»Warum gehst du nicht einfach hin, wenn er außer Haus ist? Streite dich doch mit Lynda.«

»Dazu bin ich nicht in der Lage. Sie könnte mich wieder so herablassend behandeln.«

»Du musst dich auf ihre dicken Fußgelenke konzentrieren«, sagte Penny, deren eigene Fesseln weiß über den knallroten Laufschuhen leuchteten. »Wo mag sie diese Farbe nur gefunden haben?«, überlegte Kate. »Bestimmt ist sie eigens dafür nach London gefahren und hat eine Menge Geld hingeblättert.«

»Ich könnte ihr nicht in die Augen sehen. Wirklich nicht. Bestimmt würde ich sofort losheulen und mich saublöd fühlen«, erwiderte Rose gerade.

»Stell dich nicht so an«, grunzte Camilla. »Immerhin scheint es mir, als ob diese Dosen der Schlüssel für dein Überleben in einer kalten, grausamen Welt wären.«

»Sei nicht so ein Weichei, Rose«, rügte Yvonne. »Es gibt immer eine Möglichkeit, das eigene Hab und Gut zurückzubekommen. Man muss sich nur ein paar Gedanken machen. Mit List und Tücke geht’s bestimmt.«

»Andrerseits«, mischte sich nun auch Gavin ein, »ist Theo vielleicht gar nicht so im Unrecht. Wenn die Dosen tatsächlich ein Hochzeitsgeschenk für euch beide waren, darf er durchaus die Hälfte der Sammlung behalten.«

»Ach, Gavin, halt doch die Klappe«, sagte Penny.

»So redet also ein ›Neuer Mann‹«, grinste Kate.

»Was ist denn schon so neu daran, wenn einer unter dem Pantoffel steht?«, raunte Camilla Kate zu.

»Ist dir schon mal aufgefallen, dass Pantoffelhelden sich immer Bärte wachsen lassen?«

»Und einsfünfundsiebzig groß und ein bisschen dicklich sind?«

»Sich den Bart abzurasieren scheint einen männlichen Befreiungsakt darzustellen.«

»Armer alter Gavin.«

»Fällt dir nicht vielleicht etwas Kreatives ein, wie wir Rose helfen können, ihre Dosen zurückzubekommen? Es scheint ja wirklich so zu sein, dass sie Ärger mit ihrer Oma bekommt, wenn sie sie nicht mehr hat. Und dann kann die arme Maus ihr Haus nicht behalten, ganz zu schweigen von ihrer Idee mit dem Laden für Designer-Strickwaren.«

»Mit tollen Ideen ist es im Augenblick bei mir nicht so weit her«, sagte Kate. »Jedes Mal, wenn bei mir zu Hause das Telefon klingelt, ist es entweder mein Agent oder der Verleger, die wissen wollen, wie weit ich mit dem Buch bin und ob ich nicht bald mal einen Entwurf schicken könnte und ob mir nicht klar wäre, dass die Leser mich vergessen, wenn mehr als ein Jahr zwischen den Büchern läge. Sollte ich also innerhalb der nächsten zehn Minuten eine gute und kreative Idee haben, würde ich sie sofort in mein Exposé übernehmen. Rose wird sich wohl eine eigene Lösung für ihr Problem stricken müssen.« Ihre Gedanken schweiften ab zu den leeren weißen Blättern, unberührten Notizblöcken und jungfräulichen Disketten, die in ihrem Arbeitszimmer auf sie warteten.

Sie liefen den flachen, federnden Weg am Kanal entlang Richtung Oxford. Penny konsultierte ihre Stoppuhr und erklärte, sie müssten ein bisschen auf die Tube drücken, wenn sie es in der üblichen Zeit schaffen wollten. Die Gespräche schliefen ein, als sich alle mehr auf das Laufen konzentrierten. Sie joggten durch die leeren Seitengässchen der Stadt, über Kopfsteinpflaster und vorbei an Colleges, die seit vielen hundert Jahren ihr Aussehen nicht verändert hatten. Aus der Küche des Lincoln College drang ein köstlicher Duft nach frischem Kaffee und gebratenem Speck, bei dem Kate fast schwarz vor Augen wurde. Wie sie Camilla jetzt um ihren frühen Imbiss beneidete!

Zwanzig Minuten später formierten sie sich wieder zu einer homogenen Gruppe, um gemeinsam die Fridesley Road zu überqueren und die verbleibenden wenigen hundert Meter durch die Straßen der Vorstadt zu joggen, wo sie alle wohnten. Kate hatte mittlerweile einen Zustand von Hochstimmung erreicht, der ihr unbegrenztes Vertrauen in ihre körperliche Leistungsfähigkeit einflößte. Nach dem Überqueren der Straße sprintete sie los, einfach nur, um das Vergnügen an der Geschwindigkeit auszukosten. Aber die Hochstimmung dauerte nur ein paar Minuten. In ihrer Geschwindigkeitseuphorie geriet sie auf eine Unebenheit im Straßenpflaster und verdrehte sich ziemlich schmerzhaft das Fußgelenk. Eine Weile hüpfte sie auf einem Bein vorwärts, ehe sie ganz langsam und vorsichtig weiterjoggte.

»Das sollte dir eine Lehre sein«, rief Camilla, als sie überholte.

»Habt ihr nicht Lust, auf einen Kaffee zu mir nach Hause zu kommen?«, fragte Rose mit hoher und wegen der Aufregung über den unüblichen Vorschlag schriller Stimme.

»Aber höchstens zehn Minuten«, sagte Kate, die an ihren wartenden Computer und den zwar fernen, aber ungeduldigen Agenten dachte. Trotzdem wollte sie Rose nicht vor den Kopf stoßen. Um sich herum vernahm sie das Murmeln von Leuten, die zwar viel lieber in ihren eigenen Küchen Kaffee getrunken hätten, es aber nicht übers Herz brachten, ein hilfsbedürftiges Gruppenmitglied zu enttäuschen. Selbst Yvonne meinte: »Ach ja, zehn Minuten kann ich erübrigen. Und schließlich müssen wir irgendwas wegen dieser Oxford-Dose unternehmen, nicht wahr, Rose?«

Noch immer gefiel Kate ihr merkwürdiger Ton nicht.

1 Berühmter, sehr auffälliger Kuppelbau in Oxford

3. Kapitel

Sie gingen zu Rose nach Hause und standen verlegen in der Küche herum, während Rose Tassen und Pulverkaffee zusammensuchte. Natürlich hatte Theo den elektrischen Wasserkocher mitgehen lassen, daher musste Rose sich mit einem großen Topf behelfen, um das Wasser zu erhitzen. Allen fiel auf, wie leer und öde das Haus wirkte. Trotz Pennys tröstlicher Worte erinnerte hier nichts an das von ihr heraufbeschworene Bild von viel Raum und minimalistisch schicker Möblierung. Überhaupt – schick war wirklich anders. Rose hatte einen Hang zu Laura Ashleys Blümchenkitsch, und die Rüschen und Spitzen betonten auf fatale Weise die leeren Stellen, wo Theo vermutlich ein Möbelstück entfernt hatte. Auf den verbliebenen Ablageflächen lagen entweder Wollknäuel oder ein Stück Gestricktes samt Nadeln herum.

»Lass nur, Rose, ich verteil das schon«, sagte Yvonne und nahm Rose die Tassen ab. »Hast du irgendwo Zucker und Milch?« Kate sah sich um. An den Wänden hingen Schaubilder und Skizzen; sie stellten Ausschnitte von Blumen, Blättern oder auch Vögeln dar, die Rose in Strickmuster für ihre Rundnadeln übersetzt hatte.

Endlich gewann der Kaffeeduft Oberhand über das Müffeln verschwitzter Jogginganzüge, feuchter Schuhe und ungeputzter Zähne. Sie standen um den Tisch herum (wo es statt der ursprünglichen vier nur noch zwei Stühle gab) und sahen Rose an, deren Augen feucht wurden. In einem Augenwinkel sammelte sich eine Träne und kollerte über ihr Gesicht.

»Oma wird mir das nie verzeihen«, murmelte sie. »Was soll ich nur tun?«

»Vielleicht solltest du aufhören zu jammern und dich darauf konzentrieren, die verdammten Dinger zurückzukriegen«, schlug Camilla vor. Die Anregung wurde mit allgemein zustimmendem Gemurmel begrüßt.

»Wir sind alle auf deiner Seite, Rose«, erklärte Penny.

»Theo hat mich gewarnt, nur ja keinen Blödsinn zu machen«, sagte Rose. »Er hat mir gedroht, zur Polizei zu gehen, wenn ich versuchen sollte, sie zurückzuholen.«

»Aber es wäre doch kein Diebstahl, wenn du hingehst und dir dein Eigentum wiederholst, oder?«, fragte Yvonne und sah dabei Gavin an. »Schließlich muss man doch seine eigenen Interessen vertreten dürfen. Habe ich Recht, Gavin?«

»Das ist wirklich eine gute Idee«, stimmte Gavin zu. »Geh einfach hin, Rose. Stiehl sie zurück!«

»Aber so habe ich das doch nicht gemeint!«, rief Camilla. »Außerdem hast du selbst vor ein paar Minuten erst gesagt, dass Theo im Recht ist, wenn er sie behält.«

»Äußerst zuvorkommend von dir, deine Meinung zu ändern und mir zuzustimmen, Gavin«, säuselte Yvonne.

»Auf jeden Fall unterstützen wir dich alle«, sagte Barbara hinter ihm.

»Reden wir davon, die Tür aufzubrechen und reinzugehen?«, fragte Camilla. »Einbruch? Diebstahl? Ihr seid ja wohl alle verrückt, auch nur daran zu denken!«

»Quatsch«, sagte Yvonne mit einem Lächeln, das Kate an Boshaftigkeit und üble Machenschaften denken ließ. »Rose muss ihre Oxford-Dose zurückbekommen. Und die anderen Dosen natürlich auch. Hast du nicht eben selbst gesagt, Camilla, dass du auch auf Roses Seite stehst? Ich dachte, du als emanzipierte Frau würdest uns zustimmen.«

Zu Kates grenzenlosem Erstaunen errötete Camilla leicht und verstummte.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte Kate sie so grob, wie es nur unter langjährigen Freunden gestattet ist. Aber Camilla wich ihren Augen aus.

»Wenn wir hier schon von Diebstahl sprechen, was ist denn dann mit Theo? Immerhin ist er derjenige, der die Dosen an sich gebracht hat, und nicht etwa Rose. Sie holt doch nur ihr Eigentum zurück«, sagte Penny. »Ich glaube, Yvonne hat Recht.«

»Ich wusste, dass du das sagen würdest, Süße.« Yvonne lächelte sie aalglatt an.

»Ich könnte es nie und nimmer tun«, erklärte Rose zitternd. »Ich wüsste gar nicht, wie. Ich müsste ein Fenster einschlagen oder so. Vermutlich würden mich sämtliche Nachbarn erkennen. Und was, wenn Theo und Lynda zu Hause sind und mich erwischen? Aber selbst, wenn das nicht der Fall wäre, wüsste Theo sofort, wer es gewesen ist, und würde mir schnurstracks die Polizei auf den Hals hetzen.«

»Könntest du dir nicht irgendwie den Haustürschlüssel besorgen?«, fragte Kate, die der Versuchung nicht widerstehen konnte, ein so kleines praktisches Problem sofort zu lösen. »Du hast doch zwangsläufig noch Kontakt zu Theo. Klau ihm doch den Ersatzschlüssel und lass dir einen nachmachen. Wenn Theo und Lynda dann unterwegs sind, gehst du ganz einfach rein und holst dir deine Dosen.«

»Liebste Kate, du und deine oberschlauen Ideen«, sagte Yvonne. »Wo nimmst du die bloß immer her?«

»Und die neugierigen Nachbarn sehen nichts, wenn du es nach Einbruch der Dunkelheit machst«, meinte Penny. »Schließlich wird es um fünf dunkel.«

»Und wenn du dir dann noch einen Abend aussuchst, wo die beiden ausgehen ... Sie gehen doch manchmal aus, oder?«, fragte Gavin. Er zog einen der beiden übrig gebliebenen Stühle heran und ließ die tränenüberströmte Rose Platz nehmen. Ziemlich ungünstig für Rose, dachte Kate. Jetzt blickten nämlich alle anderen mit ihren Kaffeetassen und dampfenden Haaren auf sie herab und dominierten noch mehr als sonst über das arme Mädchen.

»Die Idee ist wirklich gut, weißt du das, Rose?«, sagte Gavin. »Danach könnte einer von uns die Dosen für ein paar Tage in seine Obhut nehmen. Sollte Theo die Polizei schicken, würde sie nichts bei dir finden.«

»Genau, Gavin«, lobte Yvonne. »Ich wusste, du würdest dich unserer Ansicht anschließen.«

»Das Wichtigste ist, ein Datum auszumachen«, sagte Barbara. »Danach können wir alles andere darauf abstimmen. Wir brauchen ein Ziel für unsere Planungen.«

Kate fiel ein, dass Barbara die örtliche Organisatorin eines Projekts war, das gelangweilten Hausfrauen bei morgendlichen Kaffeekränzchen scheußliche Tonfiguren verkaufte.

»Sechsundzwanzigster Februar«, sagte Yvonne.

»Wieso?«, unterbrach Sophie ihre Mutter. »Warum schmieden wir eigentlich solche Pläne? Die Idee ist schlicht blödsinnig. Rose könnte eine Menge Ärger bekommen. Wir sollten es besser sein lassen.«

»Auf keinen Fall. Natürlich müssen wir es tun!« Gavin schrie fast. Pennys Gesicht über ihrer Kaffeetasse blickte beinahe furchtsam drein.

»Und wenn wir es tun«, sagte Camilla langsam, ohne Yvonne aus den Augen zu lassen, »dann ist der sechsundzwanzigste ebenso gut wie jeder andere Tag.«

»Ganz richtig«, meinte Penny. »Weit genug entfernt, um alles genau zu planen, aber nicht so weit, dass wir es auf die lange Bank schieben und schließlich vergessen. Auf mit dir, Rose. Kämpfe für dein Recht.«

»Nein«, jammerte Rose. Sie riss sich die Wollmütze vom Kopf und zerknüllte sie zwischen beiden Händen, ehe sie sich die feuchten Augen damit wischte. »Armer Theo. Ich kann es nicht tun. Nicht an dem Tag. Es ist sein Geburtstag. Er feiert ihn doch so gern. Abends gingen wir immer im Mogul Star indisch essen. Es war sozusagen unser Restaurant. Sieben Jahre lang habe ich jedes Mal Chicken Dansak gegessen, und er aß immer Beef Vindaloo. Er liebte scharfen Curry.« Wieder begann sie zu weinen. »Dieses Jahr geht er mit ihr