Keltenzauber - Manuela Tietsch - E-Book

Keltenzauber E-Book

Manuela Tietsch

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Beschreibung

Ein nebliger kalter Abend im schottischen Hochland des Jahres 844 n. Chr. Feindselig werden die MacDougals von den MacBochras in den heiligen Steinkreis gezerrt, wo sie der Druide Gemmán erwartet. Dougal und seine Brüder Gavin und Calum befürchten das Schlimmste. Durch die dunkle Magie des Druiden, werden sie durch die Zeit geschleudert und in die Jetztzeit, ins 21. Jahrhuntert verbannt. Nichtsahnend erwachen sie einem großen Gebäude in einer lärmenden und auch des Nachts hell erleuchteten Welt. Wie nehmen sie das 21. Jahrundert wahr? Und welche Gefahren müssen sie bewältigen? In all ihrer Verzweiflung gibt es nur einen Halt, Flanna, die versucht, ihnen aus ihrer Not zu helfen. Wird es ihnen gelingen zu ihrer Familie ins schottische Reich zurück zu kehren?

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Seitenzahl: 466

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Manuela Tietsch

Keltenzauber

Zeitreise ins 21. Jahrhuntert

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kleine Worterklärung und Aussprachehilfe:

Weißheit

1 Verraten, Schottland 844 n. Chr.

2 Weihnachtsbummel, Hannover 2005 n. Chr.

3 Wo sind wir

4 Die zweite Begegnung

5 spurlos

6 Fremd

7 Die Füchsin

8 Das Lager der MacBochras

9 Gefangen und Verlassen

10 Mittelalter?

11 Die Siedlung

12 Finde die Kinder

13 Nur bis zum Licht – Wie ist das möglich?

14 Wärme in der Fremde

15 Karsten

16 Ein MacBochra

17 Sie sind tot

18 Ein verpatztes Frühstück

19 Ein Feind unter ihnen

20 Lieber in den eigenen Schuhen

21 Daheim

22 geheime Zeichen

23 Ein Geständnis

24 Fearchar

25 Zwei neue Freunde

26 Keltenfernsehen und Sackpfeifen

27 Ein giftiger Plan

28 Der neue Druide – Duncan und Eithne

29 Blut muß fließen

30 Liebe

31 Der Pakt

32 In guter Hoffnung

33 Elriam – Abschied

34 Frieden

35 Angst und Trauer

36 Gefahr

37 Noch ein MacDougal

38 Ossians Kraft

39 Ohne Abschied

40 Zuhause

41 Zu Früh

42 Schlagt mich

43 Tanz und Kampf

44 Schänder!

45 Das Urteil

46 Lebenswert

47 Ein Traum?

48 Keine heiligen Steine - Stolz und gequälte Töne (13 Jahre später)

Manuela Tietsch

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Impressum neobooks

Kleine Worterklärung und Aussprachehilfe:

Beltaine - Bjealtin (das e wird ein bisschen verschluckt)

Die in diesem Buch verwendeten Namen stammen aus verschiedenen Zeitaltern und Ländern (Irland und Schottland). Sie werden daher in anderen Schriften vielleicht abweichend geschrieben, was deshalb nicht falsch sein muß. Für meine Geschichte gefielen mir diese Namen, doch ich erhebe keinen Anspruch auf Geschichtstreue. Die meist hier angewandte Schreibweise stammt aus neuerer Zeit, denn wie die Namen damals ausgesprochen wurden, weiß niemand wirklich genau. Manche Namen habe ich für den besseren lesefluß in ganz neuer Schreibweise benutzt.

So können die meisten Namen in etwa so gelesen/ausgesprochen werden, wie sie im Buch stehen, bis auf folgende:

Eithne - Enje

Fearchar - Ferachar

Uisdean - Uischjan, weiches J

Coinneach MacAilpin - Konniach MachkAilpin, ch wie in Acht

Weißheit

Leben

ist mein wirklicher Besitz.

Die Ewigkeit dieses Augenblicks,

dieses Raumes,

dieses Gefühls.

Ein sanfter Laut

kommt von den heiligen Höhen,

Wäldern,

Seen.

Er spricht

von einer heiligen Art zu leben,

dem Weg des Friedens

und des Lichtes,

der allen Geschöpfen

Freiheit bringt,

so dass sie sehen,

Leben ist ewig.

Hopi Indianer

1 Verraten, Schottland 844 n. Chr.

Ich wollte hinausschreien: Ich bin Dougal MacDougal ein ehrenhafter Mann; doch ich schluckte nur, bemühte mich, meine Gedanken in andere Bahnen zu lenken. Beharrlich drängte sich mir das Wort Schänder auf, und der Schmerz ließ sich nicht wegdenken. Weshalb hatte Fearchar MacBochra mich so genannt? Ich begriff nicht, was er mir unterstellte. Fearchar spuckte auf die Erde. „Mißratener Schänder!“ schrie er mir erneut ins Gesicht. Er grinste mich hämisch an und zischte mir ins Ohr: „Es wird mir die größte Freude bereiten dich für diese Tat zu bestrafen!“ Er lachte höhnisch: „Du weißt doch was mit einem Schänder geschieht?!“ Sein Lachen erstarb, das Grinsen blieb.

Der Regen fiel wieder stärker und kälter. Ich fröstelte und zerrte an meinen Fesseln. Die Anstrengung trieb mir den Schweiß auf die Stirn und meine Rippen schmerzten noch mehr. Fearchars Worte ließen mich innerlich zittern. Ich fragte mich, ob es je ein Clangericht geben würde, vor dem ich meine Unschuld beweisen konnte. Wenn es nach Fearchar und seiner Familie ging bestimmt nicht! Ich hielt inne, die Luft blieb einen Atemzug lang weg. Wieder der Schwertknauf, den er mir in den Rücken gestoßen hatte. Ich konnte mit Mühe einen Aufschrei unterdrücken. Fearchar war ein Mann ohne Ehre!

Mit den Augen folgte ich jeder Bewegung meiner Feinde. Bochra MacBochra stand breitbeinig, die Hände in die Seite gestützt, und starrte uns haßerfüllt an. Usdean MacBochra stand rechts neben seinem Vater. Er war vermutlich kaum älter als mein Bruder Calum, doch schon versuchte der Bart sein Gesicht zu beherrschen. Auf der linken Seite erkannte ich Duncan MacBochra. Er paßte nicht zu dem ungepflegten Äußeren seiner Familie. Seine dunkelblonden Haare waren trotz des schlechten Wetters ordentlich geflochten. Fearchar trat neben Duncan, den selben haßerfüllten Ausdruck wie sein Vater im Gesicht. Seine Haare waren am Hinterkopf zusammengebunden und zwei Zöpfe hingen zu beiden Seiten über die Schläfen bis auf die Schultern. Oh, ich war sicher, wenn MacBochra ihn lassen würde, sein Sohn Fearchar würde uns mit wachsender Begeisterung foltern und umbringen. Allen guten Geistern Dank, hatte MacBochra offensichtlich anderes mit uns vor. Ich begriff nicht warum uns der MacBochra Clan so schlecht behandelte. Es war unehrenhaft einen Feind oder einen Gefangenen auf diese niederträchtige brutale Art zu behandeln! Mein Magen rumorte. Ich spürte den heiligen Stein darin und er wog schwer, obwohl er kaum größer war als eine Haselnuß. Die MacBochras würden ihn dort nicht vermuten und dieser Gedanke war tröstlich.

Duncan trat auf den scharfen Befehl seines Vaters vor. Er packte mich an den Ellenbogen und zerrte mich weiter nach vorn. Er griff lange nicht so grob zu wie seine Brüder. Egal was geschah, ich durfte es ihnen nicht sagen! Würde ich einer Folterung standhalten?

MacBochra starrte mich an, ehe er überraschend mit der Rückhand zuschlug. Ich strauchelte, fing mich aber wieder, da mich zwei Hände abfingen. Erstaunt sah ich Duncan an.

„Widerliches MacDougalpack!“ MacBochra spuckte vor mir auf die Erde. „Wo ist der Stein?“

Ich erwiderte seinen Blick abweisend, konnte fühlen wie der Trotz in mir die Oberhand gewann und grinste ihn überheblich an.

Von hinten rief Calum: „Sag ihm nichts!...“ Seine Worte erstarben. Ich hörte ihn aufstöhnen.

Ein Schlag von rechts ließ mich halb nach vorne kippen. Eine heiße Welle zog mir über den Nacken. Nicht ohnmächtig werden! Nur nicht diese Schande! Ich sammelte mich und warf Fearchar einen bösen Blick zu, sah auf den Schwertknauf, den er spürbar gern einsetzte. Wieder überzog ein gemeines Grinsen sein Gesicht.

MacBochra trat näher. Er legte seine Hand unter mein Kinn und zwang mich, ihm ins Gesicht zu sehen. Seine Worte waren leise, doch gefährlich wie das Gift einer Schlange.

„Du und deine Brüder werdet eure Familie nie wiedersehen! Es wird eine Zeit kommen, da du darum betteln wirst zu reden.“ Wieder spuckte er aus. „Welcher Dreckskerl von euch hat meiner Tochter Gewalt angetan?“

Seiner Tochter? Ich bemühte mich, meine Schmerzen nicht weiter zu beachten und wand mich aus dem unangenehmen Griff des Mannes. Ich richtete mich auf. Endlich begriff ich, was er zu glauben schien. Doch er irrte sich, kein MacDougal hätte eine Frau geschändet!

„Das ist ein Irrtum!“

„Schweig!“

„Wir haben eure Töchter seit dem letzten Treffen der Clans nicht mehr gesehen.“

MacBochra sah mich wütend an. „Einer von euch hat Maili vor wenigen Tagen geschändet!“

Er spuckte, traf meine Füße. „Dafür wirst du bezahlen! Und wenn du nicht redest, werdet ihr alle bezahlen.“ Er schaute in den Himmel.

Mir schien der Mann war den Tränen nahe.

Jäh warf er mir wieder einen verhaßten Blick zu. „Maili ist beinahe verblutet! Du wirst die Strafe eines Schänders erhalten!“

Ich atmete tief ein. Oh, aye, ich wußte was mit einem Schänder geschah! Und mir stand nicht im Geringsten der Sinn danach mit meinem männlichsten Körperteil im Hals zu ersticken. Ich schluckte unruhig. „Ich schwöre bei allem was mir heilig ist, wir haben deine Tochter nicht gesehen, geschweige denn sie angefaßt.“

MacBochra schnaufte abfällig. „Sollte mir eine MacDougal Frau vor die Füße kommen, ich werde sie damit niedertreten, nachdem ich sie meinen Männern vorgeworfen habe.“ Er wandte sich ab, während er Duncan und Fearchar zurief: „Packt sie, wir gehen zu den Steinen. Sicherlich kann Gemmán ihnen die Zunge lösen.“

Fearchar stieß mich mit der Faust vorwärts. Duncan, der noch schräg hinter mir ging, hielt meine Arme weiterhin fest und wüßte ich nicht, daß er mir genauso feindlich gesonnen war wie alle MacBochras, dann hätte ich beinahe das Gefühl haben können, er stützte mich, anstatt mich zu treiben.

Ich wagte hinter mich zu sehen, zu meinen Brüdern Gavin und Calum. Je zwei Männer zerrten sie weiter. Mir wurde übel bei dem Gedanken, meine kleine Schwester wäre in die Hände dieses haßerfüllten Mannes gefallen. Eithne war zu Hause in Sicherheit, wenigstens das. Allen guten Geistern Dank, die abgewendet hatten, daß Eithne sich gegen Vater durchsetzte. Diese Reise war zu gefährlich, um uns begleiten zu dürfen. Ich fühlte mich schlecht, wünschte mir, ich wäre an diesem verhängnisvollen Morgen nie aufgestanden, wünschte, daß alles nur ein böser Traum war. Was hatte MacBochra mit uns vor? Waren unser Vater und die anderen MacDougals unterwegs? Wußten sie von der Gefahr, in der wir schwebten? Und daß die MacBochras uns gefangen hielten? Und was würde geschehen, wenn die Feinde erfuhren wo sich der heilige Stein befand? Würden sie mir den Magen aufschlitzen? Wie sollte der König ohne den Krönungsstein aus der Anderswelt gekrönt werden?

Ich spürte einen heftigen Schmerz im Nacken. Mein Kopf wurde an den Haaren nach hinten gezogen.
Fearchar hielt mich fest. „Geh schneller!“
Mit einem harten Ruck stieß er meinen Kopf wieder nach vorn und ließ endlich los.
Duncan mischte sich ein, redete leise, jedoch entschieden. „Laß das!“
Ich wagte es, die MacBochra Brüder aus den Augenwinkeln zu beobachten.

Fearchar lachte seinen Bruder offensichtlich aus. „Warum gehst du nicht unsere Mutter fragen, ob sie Arbeit für dich hat?"

Duncan presste die Lippen fest zusammen und schwieg. Seine Gesichtszüge verbargen seine wahren Gefühle.
Usdean erschien. „Was ist los?“
Fearchar schüttelte den Kopf. „Duncan redet dummes Zeug.“
Usdean sah zu Duncan herüber, der den Blick herausfordernd erwiederte, aber nichts sagte.

Wütend zischte Fearchar: „Sie sind des Lebens nicht wert! Sie haben unsere Schwester geschändet und töten unsere Leute.“

„Fearchar!“ warf Duncan ein.
Fearchar sah ihn zornig an. „Ich vergesse gleich, daß wir eine Familie sind.“

Duncan begegnete seinem Bruder eisig. „Ich weiß, damit hast du keine Schwierigkeiten.“ Bevor Fearchar antworten konnte, ließ Duncan MacBochra mich los und trat an die Seite.

Der feine Regen drang in jede Faser meiner Kleidung ein und wie mir schien sogar in meine Haut. Jeder Schritt fiel mir schwer. Ich schaffte es nicht einmal mehr nach hinten zu sehen, wie es meinen Brüdern erging.

Es gab zu viele Menschen in diesem Land, die nicht vereint werden und schon gar nicht einem einzigen Herren die Treue schwören wollten. Was wäre, wenn der heilige Stein nicht rechtzeitig zur Krönungsfeier bei den Druiden war? Würden sie Coinneach MacAlpine trotzdem zum König machen? Es lag an Ossian, den anderen hohen Druiden und an den Männern und Frauen, die ihn als verantwortlichen Herrscher anerkennen mußten.

Eine Weile beobachtete ich Duncan aus den Augenwinkeln. Dieser große Mann schien alles andere als ein weichlicher Kerl, doch in den Augen seiner Brüder Fearchar und Usdean schien er dies zu sein.

In der Ferne sah ich die großen heiligen Steine. Ich schluckte. Wieso brachten die MacBochras uns hierher? Ahnten sie etwas? Hatten sie uns womöglich beobachtet? Nebel zog auf. Grau und riesig stachen die hohen Steine vom dämmrigen Himmel ab. Die Nebelschwaden strichen durch sie hindurch wie hungrige Wölfe. Schritt für Schritt kamen wir dem Hügel näher. In meinem Kopf schwirrten die Gedanken durcheinander. Gab es einen Ausweg? Konnte ich Duncan überzeugen uns freizulassen? Sein Ausdruck war verdrossen, obwohl er mitfühlender wirkte als seine Brüder, so gehorchte er doch seinem Vater und würde in jedem Fall tun, was dieser befahl, um nicht als Weichling dazustehen.

Es gab keine Hoffnung. Oh, verdammt, wie konnten wir uns von den MacBochras einfangen lassen? Das Schandhafteste, was mir je widerfahren war. Wenn durch unsere Schuld der Stein in die falschen Hände gelangte? Nicht auszudenken! Der Trick den heiligen Gegenstand im Wechsel von verschiedenen Männern zum Zielort zu bringen, mußte verraten worden sein

Ich holte scharf Luft, so heftig zog es durch meinen Körper. Ein grober Schlag war auf meiner Schulter gelandet. Fearchar stieß mich vor sich her.

„Meine Urgroßmutter geht schneller als du!“

Ich erwiderte nichts und starrte mit wachsendem Unbehagen die hohen Steine an, die uns lauernd erwarteten.

Aus dem Nebel tauchte Gemmán auf und sah uns entgegen.

MacBochra verneigte sich verhalten vor Gemmán. Mir schien, als wäre ihm dieser Druide, der sich der dunklen Seite zugewandt hatte, nicht geheuer, genauso wenig wie mir.

„So, da bringst du mir die MacDougals?“ fragte Gemmán mit schneidender Stimme.

„Das tue ich“, antwortete ihm MacBochra.

„Es wird mir eine Freude sein.“ Gemmán lachte unangenehm leise. „So soll es sein.“

„Vielleicht habt ihr ein Mittel sie zum Reden zu bringen?“

Gemmán nickte. „Wenn sie wollen, können sie reden, wir haben noch Zeit.“ Er schaute in den dunkelgrauen Himmel und winkte Fearchar heran: „Folgt mir und bringt die Drei mit.“

Ich begriff nicht. Wütend sah ich Gemmán an, doch ich konnte ihn weder mit meinen Blicken noch mit meinen Gedanken außer Kraft setzen.

Gemmán trug einen höhnischen Zug um die Mundwinkel, während er Fearchar und Duncan mit Gesten befahl, mich rücklings auf den großen Altarstein zu legen. „Fesselt ihm die Füße.“

Fearchar versuchte sich ans Werk zu machen, doch ich trat nach ihm. Ich traf ihn am Kinn, sah wie sich sein Gesicht vor Schmerz und Zorn verzerrte. Er winkte weitere Männer heran. Es waren einfach zu viele. Weitere MacBochras zerrten Calum auf den Stein. Seine Nase trug Reste von getrocknetem Blut und sein rechtes Auge war dunkel überschattet.

„Was ...?“ warf ich verzweifelt ein. Angst kroch meinen Nacken hinauf.

Gavin warf sich wütend zwischen die Männer. Sie hatten alle Hände voll zu tun ihn ruhig zu stellen, doch plötzlich wurde sein Körper schlaff. Sie zogen ihn auf meine Beine, er war bewußtlos. Der Überwurf seines großen Tuches hing bis auf die Erde hinunter.

Wenn nur der Schmerz in der Seite nicht wäre! Es war hoffnungslos, wir hatten keine Gelegenheit uns zu wehren. Ich sah mich auf dem Platz um. In der hereinbrechenden Dunkelheit konnte ich zu wenig erkennen. Es gab keinen Weg in die Freiheit. Der Nebel verbreitete einen feuchten Geruch, ebenso wie die feinen Moose, welche den Steinen einen zarten, grünen Schimmer verliehen, obwohl sie ansonsten still, grau und gewaltig gegen den dämmrigen Himmel und die dunklen Schattenrisse der Bäume abstachen. So wie die fahlen Gesichter der anwesenden Männer, gut zwanzig an der Zahl, die vom weiß schimmernden Licht des gerade aufgehenden Mondes, erhellt wurden.

Meine Aufmerksamkeit wurde wieder auf Gemmán gelenkt, als dieser sorgfältig, beinahe zärtlich unsere Schwerter und Messer neben uns auf dem Stein ablegte, fortwährend ein selbstgefälliges Grinsen im Gesicht. Ich hätte es ihm so gern weggeschlagen!

„Damit ihr nicht wehrlos seid in eurem neuen Leben! Wo auch immer das sein wird! Noch bleibt Zeit! Ein Wort und ich lasse euch gehen!“

„Nie!“ schrie ich ihm ins Gesicht. Was hatte er vor? Gemmán war ein mächtiger und finsterer Druide. MacBochra hatte uns sicher nicht grundlos an diesen heiligen Ort gebracht und daß Gemmán uns auf den Altarstein legte, bedeutete bestimmt nichts Gutes! Wollte er uns seinen unheimlichen Göttern opfern? An den hellseherischen Fähigkeiten des Druiden zweifelte ich allerdings. Hätte er sie, wüßte er längst, wo der Stein versteckt war. So konnte ich hoffen. Er würde ihn nicht finden. Trotz der Schmerzen mußte ich innerlich über ihn lachen.

Wo blieben nur unser Vater und die anderen Männer? Es machte mir Angst, daß Gemmán ständig zum Mond hinaufsah, als warte er auf ein Zeichen! Erfolglos suchten meine Augen Gemmáns Gewand und Gürtel nach einem Opferdolch ab. Er würde uns doch nicht mit einem gewöhnlichen Messer umbringen wollen? Die winzige Hoffnung, daß er uns doch nicht töten wollte, keimte in mir auf. Die Schmerzen zwangen mich immer öfter die Augen zu schließen.

Anscheinend hatte Gemmán sein erwartetes Zeichen erhalten, denn er beugte sich mit einem boshaften Grinsen herunter, bis sein Gesicht dicht über meinem schwebte.

„Es ist soweit“, brachte er erregt hervor. „Eure letzte Gelegenheit ist vertan!“

Gemmán stieß mir seinen stinkenden Atem ins Gesicht. Ich hielt die Luft an, war bemüht, mich aus seiner Reichweite zu drehen, doch Gemmán griff mich fest am Kinn, zwang mich, ihm in die Augen zu sehen und sagte:

„Deine Leute kommen zu spät, du wirst sehen! Du wartest doch auf sie, oder?“ Er lachte trocken. „Wer weiß, vielleicht kommen sie rechtzeitig um zu sehen, wie ich euch an einen anderen Ort schicke!“ Während er sich aufrichtete und endlich mein Gesicht losließ, wurden seine Züge ernst. Er begann unverständliche Worte zu raunen.

Was hatte er gesagt? Mir schauderte. Ein anderer Ort? Was meinte er damit? Den Tod? Calum neben mir zitterte.

Ein Schrei ließ mich zur Seite sehen. Oh, verflucht! Nicht unsere Schwester! Nicht Eithne!

„Wir sind die MacDougals!“ Sie warf sich gegen Duncan MacBochra. Fearchar griff ein. Er warf sie auf den Boden, schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Doch bevor er sich weiter an ihr zu schaffen machen konnte, griff Duncan sie, nahm ein Seil und schnürte sie zusammen. Er hob sie auf und legte sie zwischen uns auf den Stein. Ich sah sie wütend und traurig zugleich an, kam jedoch nicht dazu, etwas zu sagen. Blut rann ihr aus der Nase.

„Wunderbar, nun möchte sogar eure Schwester die Reise antreten.“ Gemmán lächelte gefühllos. Unvermittelt schlug er Eithne mit der Rückhand ins Gesicht. „Dummes Ding!“

Sie stöhnte leise auf. Sie war eine Kämpfernatur, doch bisher hatte ihr auch noch niemand ernsthaft wehgetan. Ich konnte ihre Verzweiflung, Wut und Verständnislosigkeit nachempfinden.

MacBochra trat heran, wandte sich an Fearchar. „Hol sie da herunter, ich hab anderes mit ihr vor.“

Mir wurde erneut übel. Ich unterdrückte meine Unruhe, denn sie half mir nicht weiter. Ich spürte ein eigenartiges Kribbeln durch meine Glieder wandern. Mit gefesselten Händen faßte ich nach Eithne und bekam ihr Kinn zwischen meine Finger. Heiße Tränen rollten ihr über die Wangen auf meine Hände. Ich hatte solche Angst um sie.

Duncan schüttelte den Kopf. „Zu spät, Vater.“

Gemmán nickte. „Dein Sohn hat Recht, es ist zu gefährlich, sie jetzt noch zu berühren.“

Das Kribbeln wurde stärker. Ein Schmerz zog durch meine Glieder, als würden sie auseinander gerissen. Der Nebel in meinem Kopf trübte die Wahrnehmung. Was meinte Gemmán? Ich wehrte mich mit der letzten Freiheit die mir blieb. Ich schrie so laut ich konnte, „Wir sind die MacDougals!“

Ein schwarzer Schleier legte sich vor meine Augen; alles verschwamm, rückte in weite Ferne. Ich wußte, daß niemand mehr kommen würde, um uns zu retten! Was Gemmán mit uns vorhatte, es war ihm gelungen. Das Kribbeln wurde unerträglich, der Nebel vor meinen Augen dichter. Ich hörte Gavin stöhnen. Eithne schluchzte. Ich kämpfte nicht weiter dagegen an und ließ mich in die tiefe Dunkelheit fallen. Die Schwärze umhüllte mich.

2 Weihnachtsbummel, Hannover 2005 n. Chr.

Flanna drückte ungeduldig auf die Hupe. Endlich ging es weiter, wenngleich bedeutend langsamer als sie es gern gehabt hätte. Sie fuhr schließlich auf den Parkplatz und fand schnell eine freie Stelle. Sie haßte diesen dämlichen Weihnachtsrummel. Jedes Jahr zur Weihnachts- und auch Osterzeit taten die Leute so, als würde der nächste Weltkrieg vor der Tür stehen. Sie sah nach hinten auf die Tüten und Kisten; hatte sie an alles gedacht? Sigrid würde ihr die Ohren lang ziehen, wenn sie etwas übersehen hätte. Lieber wäre es ihr gewesen die Feiertage ohne Gäste zu verbringen, doch Sigrid bekam nie genug. Das hatte sie nun davon. Es war nicht besonders angenehm mit Hüftbruch im Krankenhaus zu liegen. Hätte Sigrid nur auf ihre Hilfe gewartet, dann wäre sie sicher nicht die Treppe heruntergefallen. Aber geschehen war nun einmal geschehen. Den Gästen konnte sie so kurzfristig nicht mehr abzusagen. Und womöglich mußte Sigrid noch zur Kur.

Sie drängte sich durch die Menschenmassen, die alle kurz vor dem Fest Geschenke kaufen mußten. Egal, wenn sie schon in Hannover war, wollte sie auf jeden Fall in ein Fachgeschäft. Sie konnte außer für sich selbst, ein oder zwei CD’s und Hörbücher für Sigrid kaufen, damit ihr die Zeit im Krankenhaus nicht so langweilig wurde.

Flanna fragte sich, ob ihr das Weihnachtsfest nicht furchtbar einsam erscheinen würde. Um so wichtiger, daß sie sich mit guter Musik eindeckte, um das Alleinsein zu vertreiben. Die Mittelaltermarktleute wollte sie nicht stören, und außerdem hatte sie zur Zeit die Nase voll von kalten Märkten und dem Drumherum.

Sie ging durch die Glastür, die sich von alleine öffnete und hinter ihr wieder schloss, geradewegs auf die CD Abteilung zu. Ein merkwürdiges Kribbeln durchzog ihren Magen, wenn sie an die tiefe wohltönende Stimme von Cathi Ann Macphee dachte. Richtig hieß sie Catriona Anna Nic a Phì, doch das konnte hier niemand aussprechen. Die Stimme der Schottin löste ein seltsames Fernweh in ihr aus. Wenn sie darüber nachdachte, hatten die gälischen Lieder sie von jeher zutiefst berührt, schon bevor sie diese Sprache erlernt hatte. Sie wurde von einem Verkäufer angesprochen und wandte sich ihm zu. Innerlich lachte sie über den seltsamen Ausdruck des Mannes, als er ihr mittelalterliches Gewand musterte. Es machte ihr Spaß diese Kleider auch dann zu tragen, wenn sie nicht auf einem Mittelaltermarkt herumlief.

3 Wo sind wir

Vorsichtig öffnete ich die Augen. Ich zitterte wie Espenlaub und das lag nicht nur an der Kälte. Ich sah nichts, erst allmählich lichtete sich der Nebel vor meinen Augen und ich schaute auf das graue schmutzige Mauerwerk eines mächtigen Gebäudes.

Schwerfällig drehte ich mich zu den anderen um. Sie lagen noch genauso wie die Männer der MacBochras sie hingelegt hatten, und doch wurde ich das Gefühl nicht los, schon seit Stunden hier zu liegen. Mit Entsetzen nahm ich wahr, daß ununterbrochen Schneeflocken auf uns niederfielen. Ein Schauer lief durch meinen Körper und ließ mich frösteln. Ich verdrängte meine Schmerzen und streichelte Eithne im Gesicht, bis sie erwachte. Ich wandte mich Calum und Gavin zu. Gavin lag noch schwer auf meinen Beinen. Eithne sah sich mit großen Augen um.

Ich kam mir vor wie ein alter Mann, als ich meinen Oberkörper ächzend aufrichtete. Meine schmerzende Seite nahm mir die Luft zum Atmen. Ich legte meine gefesselten Hände um Gavins Gesicht, strich den Schnee mit den Daumen von Augen und Wangen und schüttelte seinen Kopf sachte hin und her. Warum wachte er nicht endlich auf? Die Schneeflocken fielen inzwischen dichter und es würde nicht lange dauern, bis die kalte weiße Schicht alles bedeckte; wie ein Mantel, der uns begrub, wenn wir nur lange genug liegen blieben, ging es mir bitter durch den Kopf.

Calum bewegte sich, richtete seinen Oberkörper auf und fragte: „Wo sind wir?“

Ich zuckte entmutigt die Schultern. „Keine Ahnung!“

Als sich zwischen meinen Handflächen Gavins Gesicht regte, starrte ich ihn flehentlich an.

Calum rutschte näher.

„Gavin! Wach auf!“ Ich schüttelte ihn. „Gavin!“ Ich wurde lauter und ärgerte mich über den mutlosen Unterton in meiner Stimme. Am liebsten hätte ich laut losgeheult, so elend fühlte ich mich.

„Gavin!“ Mein Bruder hatte kein Recht uns alleine zu lassen. Kein Recht sich zu entziehen, um uns in unserer Not im Stich zu lassen. Schließlich flatterten seine Augenlider und öffneten sich. Noch wie benebelt sah er uns an.

Ich merkte erst jetzt wie lange ich schon die Luft angehalten hatte und atmete endlich erleichtert aus. Wir hatten ihn wieder.

Calum griff mit starren Fingern nach seinem Messer, das rechts neben Dougal auf der Erde lag. Nacheinander zerschnitt er die Fesseln seiner Geschwister, dann reichte er sein Messer Dougal, damit er ihn befreite. Calum grinste froh, die Handlung weckte seinen Lebensmut. Er schaute Eithne an. Aye, sie waren Zwillinge! Mußte sie deshalb dauernd tun, was sie nicht sollte? Sie wäre ein besserer Kerl geworden als ein Mädchen. Calum seufzte und drückte sie an sich. Sie sträubte sich, es war ihm egal.

Gestärkt, wenngleich noch wankend, als hätte ich zuviel vom Wasser des Lebens getrunken, erhob ich mich, um die Gegend genauer in Augenschein zu nehmen. Ich stand, um Luft ringend, von Calum gestützt und haßte es in meiner körperlichen Freiheit und Tätigkeit eingeschränkt zu sein. Wahrscheinlich war mindestens eine Rippe angebrochen. Ich sammelte meinen Dolch und mein Schwert auf.

Den Kopf in den Nacken gelegt, betrachtete ich das schmutziggraue Gebäude vor uns, während der Schnee auf mein Gesicht niedertanzte und mich zwinkern ließ. Woher kam der Dreck? Ein Turm, so hoch wie ein Felsen, allerdings nicht einmal halb so breit wie ein Brooch, beherrschte das Bild. Hohe, schmale Lichteinwürfe, die nach oben hin spitz zuliefen, ließen mich zweifeln, ob es sich tatsächlich um einen Wohnraum handelte. Wie riesig mußten die Menschen sein, wenn sie nur an die unterste Kante der Lichteinwürfe reichen wollten.

Zögerlich begannen wir das Gebäude zu umrunden und es dauerte nicht lange, bis wir ein großes Tor erreicht hatten. Ein ohrenbetäubender Ton ließ mich zusammenfahren und innehalten. Bestürzt sah ich in die Höhe, von wo der Ton zu kommen schien. Der Klang ließ die Luft erzittern und sogar den Boden erbeben.

Calum verzog sein Gesicht vor Schmerzen. Wahrscheinlich dröhnte sein Kopf noch von den Schlägen der MacBochras.

Eithne legte ihm tröstend ihre Hand auf die Schulter. Sie sehnte sich nach ihrer Mutter. Sie war sich im Klaren darüber, daß sie dieses Mal den Bogen überspannt hatte. Trotzdem, es war aufregend. Neugierig sog sie alles auf und konnte ihre Wißbegier, die nicht einmal vor ihrer Angst halt machte, nicht bremsen.

Ich zählte mit; nach dem vierten Ton hörte der Lärm auf. Allmählich entspannte ich mich. Ich bemühte mich das Unbehagen abzuschütteln, das mich seit unserem Erwachen nicht mehr verlassen wollte. Nach einem weiteren Rundblick erschauerte ich jedoch. Das große Gebäude war von weiteren, viel mächtigeren umgeben. In helles Licht getaucht, als würde die Sonne darauf scheinen. Als hätten die Bewohner die Sonne darin eingefangen. Über den Wegen zwischen den erleuchteten Gebäuden hingen lange Seile mit Sternen und Kränzen aus Nadelbaumästen, an denen wiederum ebenfalls helle und bunte Lichter leuchteten. An allen Ecken standen kleine Nadelbäume, die mit merkwürdigen Lichtern und bunten Gegenständen behängt waren. Ich wagte eines dieser Lichter zu berühren. Kein Feuer brannte mich!? Ich zog die Hand dennoch schnell zurück. Auf dem Weg tummelten sich Massen von Menschen, in offensichtlicher, gehetzter Betriebsamkeit.

Während wir betäubt von den Eindrücken vor dem Tor standen und darüber nachdachten, wohin uns Gemmán geschickt hatte, öffnete sich das große Tor und Menschen in dunklen, eigenartigen Gewändern traten heraus. Zielstrebig und sich unterhaltend, gingen die Leute in Gruppen an uns vorbei, als wären wir gar nicht vorhanden. Ich verstand nicht ein einziges Wort von dem was sie sagten. Wir drängten uns enger zusammen und fühlten uns alle gleich elend. Es dauerte nicht lange, trotzdem erschien es mir wie eine Ewigkeit, bis sich die vielen Menschen in alle Richtungen zerstreuten und das Tor mit einem lauten Krachen wieder schloss.

Ich sah in die erstarrten Gesichter von Eithne, Calum und Gavin, deren Hautfarbe inzwischen große Ähnlichkeit mit dem Schnee hatte. In ihren Augen las ich das gleiche Entsetzen und dieselben Fragen, die mich bewegten. Eithne schaute betreten auf den Boden. Sie wagte nicht mir in die Augen zu sehen. Sollte ich ihr die Meinung sagen? Ich entschied mich dagegen. Es würde nichts mehr ändern. Entschlossen sagte ich:

„Wir folgen denen da!“ und zeigte auf zwei junge Männer, die sich aus unserem Blickfeld fort bewegten, hinein in das schrecklich unübersichtliche Getümmel aus Menschen, Licht und Lärm. Calum und Gavin nickten, Eithne sah mich zweifelnd an.

Es fiel mir nicht leicht, mich dem strammen Schritt der anderen anzupassen, der sonst auch mir zu eigen war. Meine Seite schmerzte zu stark. Vermutlich umso mehr, weil ich mich so trostlos und verraten fühlte. Eithne folgte dicht auf.

Glücklicherweise holten wir die Männer schnell ein, die inzwischen auf einem großen Platz angelangt waren, auf dem eigenartig geformte, wagengroße, bunte Karren mit schwarzen Rädern standen. Ich sah, daß die Menschen diese Karren durch Klappen öffneten und sich hineinsetzten. Lediglich ihre Köpfe waren zu sehen, da die seltsamen Wagen nur zur Hälfte offen zu sein schienen. Überall leuchteten Lichter auf, die wie Augen aus den Karren herausstarrten. Ein seltsames Brummen ertönte und die Luft füllte sich mit einem widerlich stinkenden, grauen Nebel. Ich mußte husten, kämpfte dagegen an, weil meine Seite schmerzte. Die Menschen schlossen die Klappen laut krachend wieder und wurden von den eigenartigen, schmucklosen Dingern geschluckt. Starr sahen wir dem Schauspiel zu, während ein Wagenkasten nach dem anderen laut brummend in einer langen Reihe vom Platz entschwand. Konnten das wirklich Wagen sein? Wo waren die Menschen, Pferde oder Ochsen, die sie zogen?

„Und jetzt?“ Calum sah mich fragend an.

Gavin schüttelte den Kopf. „Wir haben sie verloren.“

„Das ist der schlimmste Platz auf Erden.“ Eithne schauderte.

Calum nickte. Leise, aus Angst dadurch böse Geister zu erwecken, fragte er: „Was sind das für seltsame Wagen?“

„Ich habe nie davon gehört“, erwiderte Gavin.

Ich nickte. „Nicht einmal Breidhgar habe ich davon erzählen hören und wenn einer von Wagen wüßte, die ohne Zugkraft fuhren, dann er!“ Schließlich war er als Barde schon durch die halbe Welt gereist.

Mit einem Mal schien es noch kälter zu werden, fröstelnd rieb ich mir die Oberarme.

„Verdammt, was gäb’ ich für mein dickes wollenes großes Tuch und ein wollenes Hemd!“ Verdrossen sah ich mich nach allen Seiten um und entschied „Wir gehen weiter!“

„Wir müssen auf ein freies Feld, von da finden wir wahrscheinlich wieder zurück!“ Gavin klang wenig hoffnungsvoll, obwohl er sich mühte, uns, und am meisten wohl sich selber, Mut zuzusprechen.

„Woher sollen wir wissen, in welche Richtung wir laufen müssen? Wer sagt, daß wir uns nördlich halten müssen, um das Hochland zu erreichen? Und wie können wir unter diesem ganzen Licht erkennen wo Norden ist?“ Calum ließ seine Augen ängstlich suchend umherwandern. „Vielleicht sind wir bereits viel zu weit nördlich?“ Er zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag abbekommen. Eithne legte ihm entschlossen die Hand auf die Schulter.

Ich wußte keine Worte die ihn hätten trösten können, denn im Inneren erging es mir nicht besser. Betroffen sah ich Gavin an und wußte er empfand den selben Kummer. Nur mit Willenskraft widerstand ich der Versuchung laut loszuschreien. Wir mußten einen kühlen Kopf bewahren, das Beste aus unserer aussichtslosen Lage machen. Ich sah Eithne an, warum war sie bloß so störrisch? Wenigstens sie könnte sicher zu Hause bei unseren Eltern sitzen.

Mutig tat ich den ersten Schritt in die uns unbekannte, fremde Welt. Ich dankte allen guten Geistern, daß sie mich nicht alleine auf den Weg geschickt hatten, und war mir wohl bewußt, wie eigennützig das von mir war.

Wir folgten dem harten, schwarzen Weg und immer mehr dieser seltsamen bunten Wagen mit Menschen darin sausten mit hoher Geschwindigkeit an uns vorbei. Es war unheimlich. Ich würde freiwillig niemals in ein solches Ding einsteigen. Es mußte ein mächtiger Zauber in ihnen stecken. Mit gemischten Gefühlen folgten unsere Blicke jedem dieser Gefährte. Ein riesiger Wagen, mit mindestens zwanzig Menschen darin, sauste in so hoher Geschwindigkeit an uns vorbei, daß der widerliche, graue Schneematsch bis an unsere Knie hochspritzte und unsere Beine naß und kalt werden ließ. Wütend hob Calum die Faust und schimpfte leise hinter dem Gefährt her.

Mein ganzer Körper schmerzte. Das Unbehagen über die zunehmenden Menschenmassen, die seltsamen Gebäude um uns herum und die eigenartigen Gefährte, jagten mir Angst ein. Niemand kümmerte sich um uns, obwohl einige Leute offensichtlich über uns lachten. Keiner sprach uns an, fragte nach wer wir waren oder woher wir kamen!

Wir liefen ohne zu zögern in das helle Kerngebiet, um welches die Gebäude gebaut waren. Unmittelbar in die Massen von Menschen hinein. Ich wunderte mich. Ich konnte nicht begreifen, wie wenig die Leute uns wahrnahmen, sie mußten doch bemerken, daß Fremde unter ihnen weilten! Ich hatte das Gefühl, daß diese Menschen sich nicht einmal untereinander kannten. Weder grüßten sie sich, noch beachteten sie die anderen mehr als uns, die Fremden. Was war das nur für ein seltsamer Ort, an den uns Gemmán geschickt hatte. Kannte er ihn? Hatte er gewußt wohin er uns brachte? Oder entsprang der schreckliche Zauber nur unserer Einbildung? Hatte Gemmán uns Kräuter eingegeben damit wir unter Wahnvorstellungen litten? Lagen wir in Wahrheit noch auf dem Altarstein des Steinkreises und träumten, während unser Vater und unsere Leute um uns herum standen und nicht eingreifen konnten? Mein Herz lag schwer in meiner Brust. Womöglich kämpften unser Vater und die anderen mit den MacBochras und wir lagen untätig daneben. Unfähig eine Bewegung zu machen oder eingreifen zu können?

Der Marsch strengte mich an. Nur gut, daß der Schnee nicht mehr so heftig fiel. Doch so lange wir liefen, und so weit wir den Wegen folgten, es wurde nur schrecklicher. Lauter und unheimlicher. Nichts deutete auf einen Ausweg oder ein freies Feld hin. Inzwischen gestand ich mir ein; wir hatten uns verirrt.

Drei Männer in grellroten Gewändern, die einen weißen, pelzigen Besatz an den Säumen hatten, gingen mit starren Gesichtszügen an uns vorbei. Auf den Köpfen trugen sie rote Mützen, denen der Wikinger ähnlich. Ich konnte erkennen, daß ihre langen weißen Haare und Bärte gar nicht echt waren. Was waren das nun wieder für Gestalten? Sie sahen so ganz anders aus, als die Menschen bisher.

Ich hielt Calum und Gavin am Arm zurück. Ich brauchte dringend eine Rast. Wir standen vor einer durchsichtigen Wand, hinter der sich ebenfalls die Menschenmassen tummelten. Gezwungen innezuhalten, beobachtete ich das Treiben im Inneren des Gebäudes. Niemand wunderte sich darüber, daß wir in den Wohnraum der Leute starrten. Einige Männer und Frauen in schwarzer, enganliegender Kleidung, schienen anderen Menschen Dinge zu zeigen, sie herumzuführen.

Da standen kleine silberne, schwarze und bunte Truhen, auf welchen die Leute herumdrückten, oder Klappen öffneten um silberne Scheiben hinein zu legen. Die anderen Menschen, die sich offensichtlich herumführen ließen, setzten sich eigenartige schwarze Hüte auf den Kopf, so daß ihre Ohren vollkommen davon bedeckt waren. Daraufhin bewegten sich einige auf der Stelle, als tanzten sie. Meine Gefühle vollführten ebenfalls einen wilden Tanz, in einer Mischung aus Angst und Neugierde, während ich das Treiben beobachtete.

Mir fiel eine Frau auf. Sie stand ebenfalls an einer dieser kleinen Truhen, in der Hand zwei silberne Scheiben und über den Ohren einen dieser seltsamen Hüte. Sie bewegte sich nicht in der selben Weise wie die anderen, sondern sah eher andächtig, nachdenklich ins Leere. Ihre kastanienroten Locken hingen ihr Gesicht umrahmend bis weit über die Schultern. Ich mußte bei ihrer Erscheinung an eine Füchsin denken. Sie trug ein wadenlanges Kleid aus einem rostroten Stoff und einen dunklen, den Farben der MacBochras ähnlichen, Umhang mit Ärmeln. Ihre Kleidung erinnerte mich trotz des ungewohnten Schnittes schmerzhaft an meine Heimat.

Unerwartet wandte sie mir ihr Gesicht zu und sah mich geradewegs an. Ihre hellbraunen, glänzenden Augen trafen mich in meinem Innersten. Wäre ich nicht sowieso in dieser schlechten Verfassung und Lage, hätte mich spätestens jetzt der Blitzschlag getroffen. Sie schaute mich geradewegs an, folglich nahm sie mich wahr! Sie war bisher die erste in dieser eigenartigen Welt, die uns bemerkte.

Gavin räusperte sich neben mir. Ich wandte mich ihm kurz zu. Auch er starrte auf die Frau hinter der durchsichtigen Wand.

4 Die zweite Begegnung

Flanna hörte sich die CD von Cathi Ann MacPhee an und sah abwesend hinaus. Die Stimme dieser stämmigen Sängerin ließ sie gedanklich in schottische Gefilde tauchen. Im nächsten Augenblick erschrak sie. Vor dem Schaufenster standen vier Schotten in alten Kilts. Ein Schauer lief über ihren Rücken. Diese Männer, und, da war auch eine Frau dabei, sie wirkten, als wären sie den Highlander - oder Braveheard - Filmen entstiegen. Unverschämt neugierig starrte sie einer von ihnen an. Er stand so nahe an der Scheibe, als wollte er deren Vorhandensein leugnen. Seine vom Schnee durchnäßten, dunkelbraunen Haare fielen strähnig gewellt bis über seine Schultern und umrahmten sein Gesicht. Ein Gesicht so wohlgeformt, daß es auch einer Frau hätte gehören können, wenn da nicht das kantige Kinn und die starken Wangenknochen gewesen wären. Seine dunkelbraunen Augen musterten sie durchdringend, aufdringlich. Sie fühlte sich ausgezogen und ja, tief berührt.

Und endlich erkannte sie ihn! Sie war sicher, sie hatte ihn vor einigen Jahren schon einmal gesehen! Auf dem Busparkplatz des Bahnhofes! War das ein Zufall!? Er war der Grund, daß sie sich seither noch mehr für Schottland begeisterte, als zuvor. Der Grund, daß sie nicht nur Zuhörerin von gälischen Liedern geblieben war, sondern diese alte Sprache gelernt hatte und, daß sie seitdem als Sängerin auf mittelalterlichen Märken mitwirkte.

Dieser Mann schien ebenso wenig in diese Welt zu passen, wie ein Fisch nicht in die Luft gehörte. Wieder lief ein Schauer durch ihren Körper. Und wie seltsam, daß diese Leute aufgetaucht waren, als sie die CD zu hören begann. Sie zwang sich die Blickverbindung abzubrechen und nahm sich vor weiter nach hinten in den Laden zu gehen. Diese Leute waren ihr unheimlich. Das ganze war ihr unheimlich. Obwohl sie im Grunde ihres Herzens am liebsten zu ihm gegangen wäre, um ihm zu sagen, daß sie ihn schon einmal gesehen hatte, und, daß sie seine Sprache gelernt hatte, um dieses Mal mit ihm reden zu können. Sie hatte sich doch fest vorgenommen ihn anzusprechen, wenn sie das Schicksal ein zweites Mal zusammenführt! Doch jetzt fehlte ihr der Mut.

Der Blickwechsel war so eindringlich. Ich fühlte meine Glieder zucken, um zu ihr in den eigenartigen Wohnraum zu laufen, um nur nah genug bei ihr zu sein. Ich ertappte mich bei dem Gedanken ihr die Kleider vom Leib zu reißen, um ihre nackte Haut fühlen und den Anblick ihres Körpers genießen zu können. Ich stellte mir vor, wie meine Hand ihre wohlgeformte Brust umhüllte und an ihrem Hals hinauf wanderte, um zärtlich ihre Lippen zu berühren. Ich schüttelte den Kopf um die Gedanken loszuwerden. Sie paßte nicht zu den anderen. Gehörte sie nicht hier her, so wie wir?

Gavin zog mich unsanft am Arm, riß mich von ihr los. „Komm!“

Ich sah ihn ärgerlich an, ehe ich mich erneut der Füchsin zuwandte; doch sie war inzwischen weiter nach hinten gegangen und sprach mit einem der Männer in schwarz. Abwägend sah sie von einer silbernen Scheibe zur anderen hinunter. Doch plötzlich drehte sie mir ihr Gesicht erneut zu, als wollte sie sich versichern, daß ich sie beobachtete. Ebenso plötzlich sah sie wieder weg. Widerstrebend ließ ich mich von Gavin weiterziehen. Der Zauber schien gebrochen; die Füchsin beachtete mich nicht mehr. Hatte ich mir ihren durchdringenden Blick nur eingebildet?

Nach einigen Schritten blieb Calum unerwartet stehen, er zitterte. „Seht!“ Bestürzt zeigte er auf schwarze und silberne Kastentruhen, die hinter der Wand auf Ständern standen und auf einer Seite geöffnet waren, sodaß wir hineinsehen konnten.

In diesen Truhen bewegte sich etwas, das hatte ich bereits zuvor wahrgenommen, doch nun erkannte ich, was sich dort bewegte. Menschen! Das Grauen lief mir über den Rücken. In den kleinen Truhen lebten offensichtlich winzige Menschen! Oder handelte es sich um Zwerge? Elfen? Trolle? Ich entdeckte Tiere, konnte Pferde erkennen, welche über die Heide galoppierten. Betroffen trat ich einige Schritte von der durchsichtigen Wand weg. Es war zu ungeheuerlich.

Wie ein Blitz traf mich der nächste Schock; Da waren Scoti. Da ritt tatsächlich ein Scote in den Farben der MacLeods. Ein Scote, fast so wie wir welche waren. Er ritt unmittelbar in eine Schlacht hinein. Ich sah das Blut spritzen, als ein Mann geköpft wurde.

Eithne zog scharf die Luft ein.

Ich legte erschüttert die Hand auf meine Brust. Mein Herz pochte so stark, als wollte es herausspringen. Wie war das möglich? Wie war es bloß möglich, daß Menschen in solch kleinen Truhen lebten? Wie kamen sie dort hinein? Das war der Beweis! Ich war mir plötzlich sicher. Gemmán gaukelt uns das alles vor. Nie und nimmer konnten Menschen oder Tiere so klein gezaubert werden.

Während wir fassungslos beobachteten; und sicherlich nicht nur mir das Herz wild bis hinauf in den Hals schlug, als wollte es meinen Körper sprengen, kamen zwei Männer in schwarz aus dem Inneren des Raumes auf uns zu. Wir konnten den Ablauf der Schlacht und das ganze Schlachtfeld übersehen und trotzdem konnten wir nicht eingreifen! Die Männer gingen geradewegs hinüber zu einer dieser kleinen Truhen, in der sich die Menschen hinmetzelten, doch anstatt einzugreifen, nahm sich einer der Männer einen schwarzen Stab, drückte darauf herum und zeigte auf die kämpfenden Männer, derweil sie herzlich lachten als einer der Scoten von einem Schwert durchbohrt wurde. Unerwartet erschien ein anderes Bild; zwei Menschen die sich leidenschaftlich liebten. Die beiden Männer schenkten dem keine Beachtung.

Ich atmete ein paarmal tief durch, um Geist und Körper wieder in die Gewalt zu bekommen. Wie gebannt starrte ich in die Truhe, in der das Bild wechselte, sobald einer der Männer den flachen Stab berührte. Ich sah die anderen an.

Eithnes Gesicht war leichenblaß. Gavin ging an der Wand entlang. Ich zog die anderen hinterher. Ich zitterte unter meinem Hemd vor unterdrückter Wut und Verzweiflung. Ich spürte, daß es Calum genauso erging. Gavin ging schnell. Wir folgten.

Schließlich erreichten wir einen durchsichtigen, sich auseinander schiebenden Eingang. Menschen gingen ein und aus, ohne Hand anzulegen. Eine unheimlicher Zauber, trotzdem wir gingen mutig hinein.

Gavin hielt sich rechts. Irgendwann mußten wir auf die kleinen Truhen stoßen! Eine Unmenge an Gegenständen, Stoffen und Kleidern stand und hing uns im Weg. Irgendwie gelang es Gavin sich zurechtzufinden. Wir folgten ihm.

Endlich traten wir um die Ecke und vor uns standen die Truhen. Wir liefen zu der Truhe, die wir von draußen gesehen hatten. Doch die beiden Männer waren fort. Irgendwo mußten sie doch sein? Ich suchte den Kasten von vorn und von hinten ab. Da war ein Bild, doch nicht das, was ich suchte. Wo hatten die Kerle die Scoten hingebracht? Ich suchte den Raum nach den Männern ab. Fort, sie waren alle fort!

„Was, was sollen wir tun?“ Eithne schaute zunächst mich, dann die anderen bedrückt an.

„Ich muß hier raus! Vielleicht fangen sie uns?“ sagte Calum leise.

Gavin nickte. „Calum hat Recht. Dann könnten wir den verwunschenen Menschen noch weniger helfen!“

Es mußte doch einen Ausweg geben! Eine Möglichkeit dem Traum zu entrinnen und Gemmán ins Gesicht zu spucken! Was hatte er sich da ausgedacht?

Gavin wandte sich bereits, um zu gehen. „Es hat keinen Sinn, wir müssen gehen.“

„Und wohin?“ fragte Eithne bissig.

„Vater wird uns helfen!“ Gavin war davon überzeugt.

Niedergeschlagen liefen wir weiter, ohne auf den Weg zu achten. Der stramme Schritt kostete mich viel Mühe. Doch ich schmähte die Stiche in meiner Seite und die Trauer in meinem Herzen. Den Schwertknauf fest gegriffen, bis meine Knöchel weiß hervortraten, lief ich weiter. Ab und zu blickte ich zum Himmel, jedenfalls versuchte ich es, doch unter den starken Lichtern und dem wieder fallenden Schnee, konnte ich nichts erkennen, weder ob es dunkel war, noch ob ich einen Stern als Wegweiser hätte nutzen können. Mir blieb nur die Hoffnung, daß Ossian gegebenenfalls einen Weg wußte, um uns zu befreien.

So bedrückt hatten wir noch nie miteinander geschwiegen, doch keinem von uns war nach reden zu Mute. Ich wußte einer fühlte wie der andere. Wir wollten nur wieder nach Hause. Dem Schrecklichen, Unaussprechlichen entfliehen. Ich konnte nicht verstehen weshalb die anderen Menschen uns dermaßen übergingen, uns zum größten Teil nicht einmal ansahen und wenn doch, mit einem so mitleidigen Lächeln, als wären wir nicht mehr klar im Kopf, und das obwohl doch genaugenommen diese Leute eigenartig waren. Immer wieder liefen uns Männer in roten Gewändern mit falschen weißen Bärten über den Weg. Was hatte das zu bedeuten? Ich hatte keine Ahnung. Sicher wußte ich nur eines; wenn mich jetzt einer dumm ansprach, dann würde ich nicht zögern mein Schwert zu ziehen.

Ich wandte mich um. Hatte Gavin es auch bemerkt? Ich wurde das Gefühl nicht los, daß uns jemand folgte. Die ganze Zeit ging es mir so, doch wer sollte uns folgen? Womöglich die Füchsin? Wahrscheinlich nicht.

Wir erreichten einen weiten Platz, in dessen Mitte ein Brunnen mit einem Becken stand. Das Wasser hatte sich gesammelt, und umschloss halbgefroren und eiskalt meine Finger, als ich sie hineintauchte. Ich beugte mich hinunter um einen Schluck zu trinken. Meine Kehle kratzte und war wie ausgedörrt. Ich spuckte; es schmeckte abscheulich.

„Was ist?“ fragte Calum.

„Versuchs lieber nicht!“

„Ich hab‘ Durst.“ Calum griff nach dem Wasserschlauch, der an seinem Gürtel hing: „Vollkommen leer! MacBochra muß das Wasser ausgegossen haben.“

„Er hat an alles gedacht!“

Gavin nickte niedergeschlagen. „Und jetzt?“

Eithne zog ihren Wasserschlauch nach vorne. „Ich habe etwas.“ Sie zog den Riemen über den Kopf und reichte das Wasser herum.

Bedächtig trank jeder ein paar Schlucke.

Ich starrte eine Weile ins vereiste Wasser. Schaute mir die Leute an, die sich in der Nähe des Brunnens aufhielten. Fünf junge Menschen standen in einem Kreis zusammen. Sie hielten seltsame Dinger in den Händen, die beinahe so lang wie die Hände selber waren und tippten mit den Fingern darauf herum. Ihre Gesichter waren befremdlich regungslos, starr auf die Teile gerichtet. Hatten sie sich denn nichts zu sagen? Warum standen sie dann zusammen? Ich fand ihr Benehmen merkwürdig. Sie schauten sich nicht an und sie lachten nicht miteinander, so wie wir das taten, wenn wir mit Freunden im Kreis standen.

Calum berührte mich an der Schulter. Er blickte stur in eine Richtung. Ich sah hinüber. Als hätte ich sie durch meine Gedanken herbeigerufen, schoß es mir durch den Kopf. Eine Gruppe von sechs jungen Männern in schwarzer, enger Kleidung, mit geschorenen schwarzen und bunten, wild abstehenden Haaren trat uns entgegen. In ihren Lippen, Augenbrauen und Ohren steckten Nadeln, Metallringe und Ketten. Der offensichtliche Anführer hielt einen an der Spitze glühenden Stab zwischen den Fingern. Plötzlich steckte er ihn zwischen seine Lippen und zog anscheinend die Luft dadurch ein. Die Glut entfachte, der Mann bekam Rauch in den Mund. Doch er hustete nicht. Statt dessen schluckte er den Rauch herunter und stieß ihn aus der Nase wieder aus. Waren hier alle irrsinnig? Wie konnte er sich freiwillig Rauch in die Lunge ziehen? Es schauderte mich. Waren sie Leibeigene oder Gefolterte? War dies womöglich eine Strafe? So kurzgeschoren wie sie ihre Haare trugen, konnten sie nur Gesetzesbrecher sein oder Leibeigene. Und was maßten sie sich an? Wie konnten sie uns in so herausfordernder Art entgegentreten? Sie mußten doch sehen, daß unsere großen Tücher mehr als drei Farben trugen, daß wir von hoher Geburt waren? Es war nicht schwer, ihrer Körpersprache zu entnehmen, daß sie einen Vorwand suchten, um sich zu prügeln. Ich biß die Zähne fest zusammen, die kamen mir recht! Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen wie Calum und Gavin bereits ihre Schwerter aus den Scheiden zogen, nur ein kleines Stück, doch sie waren so bereit wie ich. Endlich bekamen wir die Möglichkeit in unser Schicksal einzugreifen und nicht nur wie Puppen darin herumzulaufen. Ich sah Eithne entschieden an. Sie sollte nicht wagen sich einzumischen. Sie hielt mir eine Weile stand, doch dann nickte sie schwach, senkte ihre Lider und trat einen Schritt zur Seite.

Der Anführer stellte sich breitbeinig vor uns hin, schnippte gekonnt den glühenden Stab auf den Boden und begann zu sprechen:

„SchmeckteuchunserWassernich? WasseidnihrfürKasper, he? Rollenspielerscheißeroderwas? HalteteuchwohlfürBravehearts?“

Die anderen lachten. Einer warf mutig ein paar Worte ein: „HabteuchwohlinderZeitgeirrt!“

Ich verstand kein Wort. Mir war jedoch klar, daß die Kerle auf eine hitzige Antwort warteten, um loszuschlagen. Beinahe war mir leichter ums Herz. Endlich die Gelegenheit meiner verzweifelten Wut nachzugeben! Ein Kampf machte den Kopf wieder frei und klar. Er würde unsere Gemüter beruhigen. Ich zog mit einem Zug mein Schwert aus der Scheide. Verdammt! Ich sackte mit dem Oberkörper zusammen. Ein schmerzhafter Stich in der Seite zwang mich in die Knie! Wie sollte ich kämpfen, wenn mich womöglich andauernd Stiche quälten?

Calum und Gavin hatten ihre Schwerter fast gleichzeitig gezogen; sie stellten sich schräg rechts und links von mir auf. Eithne trat unwillig einen weiteren Schritt zurück.

Die Kerle beobachteten uns überheblich lächelnd, doch auf den Zügen von dreien konnte ich Unsicherheit erkennen. Sie hatten keine Schwerter. Dafür hatten sie andere Waffen, was beunruhigend war, denn ich kannte sie nicht. Der Anführer zog als erster eine Kette mit einem Stock daran aus seinem Obergewand. Die anderen holten ebenfalls Ketten und Knüppel aus ihren schwarzen, seltsamen Gewändern. Feindselig schlug sich der Kerl mit dem Stock auf die Handfläche. Warum begannen sie nicht einfach?

Da kam der erste Schlag. Ich war vorbereitet, doch nicht auf die Heftigkeit meiner Verletzung. Ich schaffte den Schlag abzuwehren, als bereits der Zweite folgte. Neben mir kämpften Calum und Gavin mit zwei der anderen. Ich riß mich zusammen, verdrängte den Schmerz und schlug zurück. Das Holz krachte laut, ich fühlte wie die Breitseite meines Schwertes auf dem weichen Arm meines Gegners landete. Der schrie auf. Ich holte ein weiteres Mal aus, schlug mit Wucht zu und traf erneut mit der flachen Schwertseite. Mein Gegner jaulte laut und wütend auf, während er seine schmerzende Schulter rieb.

Mit einem Mal erstarb der Kampf, und wir standen uns wie lauernde Wölfe gegenüber. Unsere Gegner hatten wohl nicht mit soviel Wut gerechnet. Allerdings waren auch sie nicht ohne Kampfgeist und sie hatten den Krieg begonnen. Wie durch einen Nebel nahm ich wahr, daß sich um uns herum eine Menschengruppe gesammelt hatte. Überrascht entdeckte ich sie. Die Füchsin! Sie stand abseits der Menschengruppe am Rand, nah genug um zusehen zu können. Ich wunderte mich. Wie fand ich jetzt die Zeit einen Menschen so aufmerksam wahrzunehmen. Wir sahen uns an und es ging mir durch Mark und Bein.

Flanna glaubte nicht was sie sah. Diese drei Kerle kämpften mit Breitschwertern! Eine unsichtbare Faust wütete in ihrem Magen. Woher kamen diese Leute? Das war doch Irrsinn! Sie mußte Runa anrufen, vielleicht wußte die Rat?

Verständnislos hob die Füchsin ihre Hände an die Lippen. Ich schaffte es mich abzuwenden, um mich wieder meinen Gegnern zu widmen. Merkwürdig! Nie bisher hatte ich Schwierigkeiten mich in meinen Gegner zu versetzen, diese Frau jedoch, die uns bereits das zweite Mal über den Weg lief und das trotz der Menschenmassen, warf mich vollkommen aus der Bahn.

Der Anführer fauchte uns an: „Scheißkerle! Warumverpisstihreuchnichteinfach soschnellihrkönnt! IchwerdeEuchnichtmehrschützen!“ er wendete sich seinen Leuten zu, holte mit dem Arm aus: „Losjetztmachenwirsiefertig! Allesisterlaubt!“

Wütend stürmten sie gleichzeitig auf uns zu. Von ehrenhaftem Kampf konnte nicht mehr die Rede sein. Ich drängte weiterhin meine Schmerzen zurück und hieb drauflos.

Ich schrie unseren Clansruf in den Himmel. „Wir sind die MacDougals!“

Calum und Gavin folgten meinem Ruf. „Wir sind die MacDougals!“ wir stürmten den Angreifern entgegen, schwangen mit Wucht unsere Schwerter.

Ich hatte es geschafft meine Schmerzen zu verdrängen, meine Gedanken voll auf den Kampf zu sammeln. Mein Schwert sauste mit ungeheurer Kraft auf den Arm meines Gegners nieder. Das harte Holz des Schlagstockes traf mich wuchtig an der Schulter.

Wieder schlug ich mit dem Schwert zu, bemühte mich, meinen Gegner so empfindlich zu treffen, daß dieser seinen Stock mit der Kette loslassen mußte, doch der Kerl hatte mehr Mumm in den Knochen, als ich dachte. Ein weiteres Mal sauste die Kette mit dem Stock herab. Meiner schnellen Auffassungsgabe verdankte ich, daß mich das Holz lediglich am Hals traf und nicht wie beabsichtigt am Kopf. Doch es war knapp gewesen. In meiner Wut spürte ich den Schmerz nicht mehr. Ich hatte das Gefühl ein Gewitter tobte in mir und entlud sich kraftvoll. Ich schleuderte meinem Gegner die ganze Erbitterung entgegen, die ich gegen die ungastliche Behandlung, den kühlen Empfang und unsere Verbannung durch Gemmán empfand. Diese Kerle, nicht älter als Calum wahrscheinlich, hatten es nicht besser verdient. Und trotzdem, mein Inneres hinderte mich daran, ihm das Schwert tödlich in den Körper zu stoßen. Ich hatte doch nichts gegen sie, warum ließen sie uns nicht in Ruhe?

Plötzlich hörte ich einen lauten Knall! Sogleich spürte ich einen heftigen Schmerz und wurde ein Stück zurückgeworfen. Etwas hatte mich jäh an der Schulter getroffen, wie ein Hammerschlag. Ein dunkelroter Fleck sammelte sich auf meinem Hemdsärmel. Ich suchte einen Pfeil, konnte jedoch keinen entdecken. Woher kam der Schmerz? Ich sah in die Augen meines Gegners und bemerkte den siegessicheren Ausdruck auf seinem Gesicht, ehe er ein schwarzes, handgroßes Stück Irgendetwas in sein Wams schob und seinen Gefährten hinterherlief, die flüchteten wie Hasen.

Ich hielt die Hand auf die blutende Wunde. Mit einem Mal war mir speiübel. Ich sackte nach hinten auf den Brunnenrand. Eithne bewahrte mich vor dem Sturz, ehe Calum und Gavin mich stützten.

Calum fragte bestürzt: „Was war das für ein Knall?“

Ich schüttelte unsicher den Kopf. „Mein Oberarm brennt wie Feuer!“

Die Leute waren inzwischen näher gekommen, drängten sich um uns, neugierig und schaulustig.

Sonderbar, so bemerkten sie uns doch. Ich ließ meinen Blick schweifen, um mich abzulenken. Da! Die Farben der MacBochras in der Menge! Die Füchsin? Schon war nichts mehr zu sehen. Ich suchte den Kreis nach ihr ab.

Ein schrilles Geräusch im Hintergrund wurde lauter, als käme es geradewegs auf uns zu. Es war unangenehm, den Körper durchdringend und rieb meine Nerven auf.

Ich sah die Leute wütend an. Unerwartet sprang Calum auf, fuchtelte wild mit seinem Schwert in der Luft herum und schrie: „Verschwindet! Wir haben euch nicht gerufen!“ er tat einen Ausfallschritt in ihre Richtung. „Grrar! Verschwindet, hab ich gesagt!“

Die Leute zuckten zusammen, traten zurück. Sie hatten sicherlich nicht die Worte verstanden, die Gebärde dafür um so besser. Schließlich zerstreuten sich einige wieder, doch andere blieben in sicherer Entfernung stehen.

Ich sah auf, unmittelbar in die hellbraunen Augen der Füchsin, die sich anscheinend durch Calum nicht hatte einschüchtern lassen. Sie tat ein paar Schritte auf mich zu. Gavin bemühte sich an die Wunde heranzukommen. Das laute Geräusch im Hintergrund zerrte weiter unnachgiebig an meinen Nerven. Konnte es nicht endlich schweigen!

Die Füchsin kam näher. Ich war verwirrt. Eben hatte ich die Farben der MacBochras auf der gegenüberliegenden Seite gesehen, wie konnte sie jetzt hier sein?

Calum sah sie wütend an: „Ich habe gesagt ihr sollt alle verschwinden, das gilt auch für dich!“ sagte er böse.

Ich schob die Hand von Gavin beiseite, da dieser sinnlos an meinem Hemd herumfingerte, ohne wirklich etwas zu erreichen. Sie sollte nicht verschwinden. Nicht die Füchsin!

Flanna wollte so gern mit ihm reden, doch sie traute sich nicht. Eine ungewisse Angst hinderte sie. Was wußte sie denn über diese Leute? Nichts, außer daß einer mit einer Streifschußverletzung am Brunnenrand saß und sie mit großen verwunderten Augen ansah. Und, daß sie ihn bereits einmal gesehen hatte und er ebenso verloren gewirkt hatte wie jetzt. Damals hatte sie sich geschworen ihn anzusprechen! Weshalb tat sie es nun nicht?

Ein grünweißer Wagen mit einem flackernden grell-blauen Licht auf dem Dach, fuhr ohne Umweg auf uns zu. Ich begriff, daß der unangenehme Ton und das Licht zusammengehörten. Ich richtete mich auf. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf; wie wir alle vier von diesem Wagen und seinen Insassen eingefangen wurden und darauf hin zu Zwergen geschrumpft in einer dieser schwarzen kleinen Truhen gefangen gehalten wurden. Vermutlich fingen sie Fremde hier stets so ein, damit der Nachschub an Zwergen gedeckt war? Ich sah die anderen an und mir wurde klar, daß ihnen die gleichen Gedanken gekommen waren. Sie halfen mir auf.

„Wir müssen weiter.“ Ein letztes Mal sah ich die Füchsin an.

Überraschend lächelte sie und dieses Lächeln wärmte mich. Es war so herzlich, daß mir für wenige Augenblicke heiß wurde und weder die Kälte, noch der Schnee, der stetig fiel, oder meine Schmerzen mir etwas anhaben konnten. Es war widersinnig, doch ich fühlte mich durch dieses Lächeln für all die Härte der letzten Stunden entschädigt.

„Komm!“ drängte Gavin.