Keltisches Totenbuch - Phyllida Anam-Aire - E-Book

Keltisches Totenbuch E-Book

Phyllida Anam-Áire

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Beschreibung

Um unser Leben voller Freude und erfüllt zu leben, müssen wir zuerst einmal den Tod verstehen und willkommen heißen. Tod ist ein Übergang von einem Augenblick zum anderen, von einem Zustand des Seins in einen anderen. Sterben ist der natürlichste Schritt, den wir je in unserem Leben vollziehen werden. Auf der Grundlage ihrer spirituellen Erfahrungen und der langjährigen praktischen Hospizarbeit hat die Irin Phyllida Anam-Aire die keltische Tradition und Kultur des bewussten Lebens und Sterbens wiederentdeckt. Sie zeigt, wie körperlicher und seelischer Frieden für Menschen, die diese Welt verlassen, durch die bewusste Zuwendung von Verwandten und Freunden möglich werden. Man spürt, wie dieses Buch vor allem auch den Lebenden eine starke Liebeskraft vermittelt. Neben vielen Fallbeispielen enthält es Übungen und Rituale zum Loslassen sowie Segensgebete für Sterbende.

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Seitenzahl: 274

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Phyllida Anam-Áire

Keltisches Totenbuch

Wachen mit den Sterbenden, die Toten auf ihrem Weg begleiten

Übersetzung aus dem Englischen: Wulfing von Rohr

ENNSTHALER VERLAG STEYR

Anmerkungen zur Übertragung aus dem Englischen:

Der englische Begriff spirit ist oft auch im Deutschen so belassen worden als Spirit, weil er inzwischen weit verbreitet und dabei aussagekräftiger ist als nur »Geist«. Das englische Wort mind wird je nach Kontext als Bewusstsein, Geist, Verstand und bisweilen auch als Gemüt übertragen. Der mythologische Fachbegriff cauldron wird meist als »heiliger Kessel« übersetzt, weil das Deutsche mit dem Wort Kessel sowohl Braukessel, Wasserkessel oder Zauberkessel meinen kann, cauldron jedoch eher dem Abendmahlskelch oder dem heiligen Gral entspricht. Auch mit manchen ungewohnten Wortzusammenfügungen ist die Übertragung bemüht, der für uns neuen Sichtweise des Themas in der englischen Vorlage gerecht zu werden, zum Beispiel Erdenleben, Erdenverstand und so fort. Manche Eigenarten ließen sich nicht übertragen, zum Beispiel etliche Wortspiele (soul – sole; embody – in-body etc.) oder die weibliche Bezeichnung von Worten, die im Deutschen das männliche Geschlecht tragen (z.B. Tod: »der Tod«, in der Vorlage jedoch »die Tod«). Der englische Begriff to project wurde mit »manifestieren« übertragen, weil den Worten »projizieren« und »Projektion« im Deutschen eher etwas Abfälliges anhaftet, während es hier aber positiv im Sinne von erzeugen und erschaffen gemeint ist. Die Bezeichnung von Menschen, zum Beispiel »die Sterbebegleiterin« oder »der Sterbende«, wird wechselweise weiblich oder männlich übertragen, weil eine ständige Doppelnennung beider Geschlechter den Lesefluss doch stark behindern würde. In der Regel, wenn nicht anders vermerkt, sind aber immer beide Geschlechter gemeint.

Titel der englischen Originalausgabe: »A Celtic Book of Dying«

© der englischen Originalausgabe: Phyllida Anam-Áire, Turiff, Schottland, 2004

First published by Findhorn Press in 2005, 305a The Park, Findhorn

Forres IV36, 3TE, Scotland, UK

www.ennsthaler.at

ISBN 978-3-7095-0108-5

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2019 by Ennsthaler Verlag, Steyr

Ennsthaler Gesellschaft m.b.H. & Co KG, 4400 Steyr, Österreich

Umschlaggestaltung: Thomas Traxl & Ennsthaler Verlag

Coverbilder: © S-Thomas / iStockphoto.com, © revel.stockart / iStockphoto.com

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Dank

Einführung

Begegnung mit den Weisheitslehren

Meine eigene Geschichte: Meine Mutter empfing mich in Trauer

Brigit, die den heiligen Kessel entfacht und »aufrührt«

Teil 1: Tod und Sterben in der keltischen Kultur

Das Herz für den Tod öffnen

Leben wird nicht durch den Verlust einer Form bedroht

Unendliches Leben

Tod als Mysterium in der keltischen Tradition

Zeit zur Verwandlung

Die Geschichte vom Sterben und der keltische Glaube

Tod, der große Katalysator

Gestaltwechsel

Eine neue Sprache

Die Áite oder Übergänge von Geburt und Tod

Das Áite der Geburt

Das Áite des Todes

Jenseits-Reisen jener, die vom Erdenbewusstsein geführt werden

Teil 2: Wie Sie mit Ihrem eigenen Prozess von Tod und Sterben umgehen

Natürliche Transformationen, wenn der Tod näher kommt

Wege nach Hause

Fortgleiten

Ich habe einen Traum

Nach dem Tod des Körpers

Wie können wir bewusst leben und sterben?

Einige Lektionen, die wir lernen sollten, während wir noch im Körper sind

Keltische Feste der Verwandlung

Wenn wir jeden Tag Schritt für Schritt leben, ist der Tod einfach der nächste Schritt

Lektionen schwieriger Liebe

Lernen, Liebe anzunehmen

Teil 3: Einem sterbenden Menschen und seinen Verwandten helfen

Wie können wir einer Person helfen, einen glücklichen Übergang zu erleben?

»Ich habe Angst vor Schmerzen«

Die Stufen des Loslassens in die Heilung hinein

Die Kraft der Musik: Eine Medizin für das Herz

Die Arbeit einer Anam-Áire

Der Dienst eines Begleiters der Toten

Einige wichtige Dinge, an die man sich erinnern sollte

Beachtung der Umgebung, wenn ein Mensch stirbt

Hinweise für die Begleitung nach dem Tode

Den Körper segnen

Die Betttücher nach einem Todesfall versorgen

Das Wasser, mit dem ein toter Körper gewaschen worden ist, versorgen

Die Beerdigung von Ringen

Die Vergangenheit loslassen

Fernhilfe für Sterbende durch Imagination und Meditation

Vorschläge für Gebete für Sterbende

Tun Sie einfach das, was natürlich ist

Ethische Aspekte, wenn es um die Hilfe für jemanden geht, der sterben möchte

Teil 4: Geschichten aus dem Herzen des Todes

»Tut das häufig füreinander; wartet nicht damit …«

Angst oder Liebe

Weitere Rituale, um verschiedene Stationen und Übergänge des Lebens zu feiern

Anhang

(Glossar gälischer Begriffe, Literaturhinweise, Adressen)

Über die Autorin

Weiters erschienen

Endnoten

Opening the heart to death

Can you be with me

in the cold morning of dying

when the fire in me is out

and nothing warms my blood?

Can you watch me with the eye of a mother

when the candle is burnt

and the friends have gone?

Can you just be

not wishing one more breath in me?

And when my eyes are closed shut

glad of the long quiet rest

will you then travel still with me

as I close this door behind

and open into the open heart of death?

Sweet love call that brought me birth

now calls me safely back in earth.

Die deutsche Übersetzung dieses schönen, tröstlichen gälischen Gedichts – »Das Herz für den Tod öffnen« – finden Sie zu Beginn von Teil 1 (Tod und Sterben in der keltischen Kultur).

Widmung

Dieses Buch ist Hannah gewidmet, die im Hinblick auf das Leben und das Sterben meine erstaunliche und wunderbare Lehrerin war und ist.

Du hast mir so viel Mut gezeigt und ich bin dir für deine Seelentiefe und Weisheit sehr verpflichtet.

Dank

Meinen vielen Freunden, die mich im Geburtsprozess dieses Buches begleitet haben, bin ich großen Dank schuldig. Mein besonderer, aufrichtiger Dank geht an Barbara Faro, die alles für mich getan hat (bis auf das Schreiben selbst). Ihre Ernsthaftigkeit und ihr Vertrauen in all das, was ich tue, erfüllt mein Herz mit umfassender Dankbarkeit. Sie hat so viele Stunden am Computer verbracht, um alles rechtzeitig für den Verlag fertig zu haben: Du bist eine weise und wunderschöne Frau und Priesterin.

Dank meinen vielen Freunden in Deutschland, die darauf gewartet haben, dass dieses Buch übersetzt wird: Danke, dass ihr auf dem ganzen langen Weg meine Begleiter wart. Hannah hat von der ersten Idee an darauf gedrängt, dass das Buch auch wirklich ins Leben gerufen wird und Bill war in Zeiten der Anspannung eine solch große Unterstützung. Sabine bei Findhorn Press hat beharrt, wo andere sich ausgeklinkt hätten: Danke, gute Frau. Vielen Dank für alles den drei Weisen bei cc.onlinecomputers in Turiff, Schottland, die den Computer auf die englische Eingabe umgestellt haben, damit ich nach vielen Wochen, in denen ich Dieter in Deutschland immer wieder anrufen musste, damit er mir bei der Übersetzung helfen möge, endlich selbstständig weiterarbeiten konnte. Auch dir, lieber Dieter, Dank für deine Hilfe.

Mo, du bist eine solch große Quelle der Liebe für mich gewesen. Dank an die Alanna-Gruppe in Findhorn, dass ihr so bereit dazu wart, euch um die Sterbenden zu kümmern. Möget ihr alle für eure geduldige Beharrlichkeit gesegnet sein. Und ein ganz großer Dank an alle meine Vorfahren für den Schatz der Geschichten und dafür, dass sie mir weiter zuschauen, bei mir sind und mich auf meinem Weg begleiten. Ich freue mich schon darauf, mit euch wieder zusammen zu sein und noch mehr Geschichten zu hören.

Einführung

»Wachen mit den Sterbenden, die Toten auf ihrem Weg begleiten« ist keine Redewendung aus unserer Umgangssprache. Aber so war die Ausdrucksweise der Alten, wenn sie über Bewusstsein, Wahrnehmungsfähigkeit und geistiges Gegenwärtigsein sprachen. Wir würden moderner wahrscheinlich sagen: »Bei den Sterbenden sein, die Toten auf ihrem Weg begleiten.« Wachen und schauen bedeutet, achtsam zu sein, unsere volle Aufmerksamkeit zu schenken, bereit zu sein, in eine tiefe Beziehung einzutreten, und vom Standpunkt der Seele aus erfüllt ganz im Hier und Jetzt zu sein. Als Jesus der Christus sein Gefühl der Verlassenheit und Einsamkeit im Garten von Gethsemane erlebte, bat er seine drei guten Freunde, bei ihm zu bleiben und mit ihm zu wachen. Er bedurfte dieses Wachens und dieser Zuwendung, einfach einer menschlichen Gegenwart.

Mit den Toten zu reisen, sie auf ihrem Weg zu begleiten, ist ebenfalls eine Form von Wachsamkeit und bewusster Gegenwärtigkeit, eine Begleitung der Seele an ihren Ruheort. Dabei spürt eine Seele der anderen vor bzw. nach; eine Seele reist mit der Seele eines anderen und hilft ihr, falls notwendig, sich weiter und tiefer in sich selbst zu begeben, in bedingungslose Liebe einzugehen. Mit Empfindsamkeit und unaufdringlicher Wachheit kann eine Seele zur Anam-Áire, zur Seelenhüterin einer anderen Seele, werden, um deren Herz oder Geist an ihren letzten und höchsten Ruheort in den Armen von Barmherzigkeit und Wonne zu erinnern. Mit empathischer Fürsorge können wir einem anderen Menschen auf der Ebene des Körpers oder des Bewusstseins helfen. Menschen, die schon als Kinder ihren Körper verlassen mussten, um auf diese Weise schlimmen Missbrauch und anderes zu überleben, vermögen die Ebenen der Schöpfung leicht zu durchqueren. Soweit sie ihre eigene Heilarbeit geleistet haben und jetzt in ihren Körpern geerdet bleiben können, können sie Seelen, welche die Erde gerade verlassen, eine große Hilfe sein. Sie arbeiten mit den Energiefeldern der Bewusstheit und können Dunkelheit im Licht integrieren.

Ich bin diesem Konzept »Wachen mit den Sterbenden, die Toten auf ihrem Weg begleiten« zuerst begegnet, als ich mit sterbenden Patienten und ihren Verwandten gearbeitet habe. Während Zeiten tiefer, inspirierender Meditationen trat ich in einen veränderten Bewusstseinszustand ein und während einer dieser Erfahrungen empfing ich ein Wissen, das sich später zu einer Reihe von Niederschriften ordnete, welche »Die Lehren des heiligen Kessels« oder »Die Weisheit des heiligen Kessels« genannt wurden. Ich spürte, dass es sich dabei um ursprüngliche keltische Lehren handelte, da sie mir zunächst in altirischer Sprache übermittelt wurden und weil ich das Energiefeld der großen Weiblichkeit und des Seelen-Archetypus der Göttin Brigit deutlich wahrnahm. Seither wurde ich immer nur über die Seele belehrt und für diese Gnade bin ich zutiefst dankbar.

Begegnung mit den Weisheitslehren

Als ich die Weisheitslehren des heiligen Kessels über Tod und Sterben gemäß unserer keltischen Göttin Brigit erhielt (die später von der römischen Kirche quasi adoptiert und in den Rang einer Heiligen gestellt wurde), lebte ich in Findhorn im Norden Schottlands. Nachdem ich dort einen Vortrag und einen Workshop während einer Konferenz im April 1998 gehalten hatte, die »Bewusstes Leben, bewusstes Sterben« hieß, entschloss ich mich, für eine Weile an diesem Ort zu leben. Eines Sonntagmorgens spürte ich den starken Wunsch, mich hinzusetzen und Gebete auf Gälisch niederzuschreiben. Während ich das tat, flossen Tränen über mein Gesicht und mein Herz dehnte sich in meinem Brustkorb aus. Ich begriff nicht, was da vor sich ging, aber ich fuhr fort, Gedichte in der alten irischen Sprache zu schreiben – wunderschöne Gedichte, die Leben und Tod als unseren Mut feierten, in der Form von »Lehm Gottes« zu inkarnieren. Ein Beispiel für bewusstes Sterben kommt in diesem Gedicht zum Ausdruck.

»Löse meine Arme und lass mich fliegen

geradewegs zur Kehle Gottes.

Und der Vogel sein, der deiner Schönheit ein Liebeslied singt.

Schließe meine Augen und lass mich deine ganze Schöpfung mit

deiner Liebe berühren,

damit ich nur voller Güte und Gnade schaue.

Verschließe meine Ohren, damit ich taub bin,

und lass mein inneres Ohr für deinen Atem erwachen.

Gieß den alten Wein aus meinem Herzen aus

und fülle jedes leere Glas mit deinem Mitgefühl.

Wühle mich mit dem Trommelschlag deines Herzens wild auf

und lass mich von meinem Weg einfach herunterfallen,

um selbst zum Weg zu werden.

Öffne das Buch meines Verstehens weit

und reiß jeden Verstandesgrund heraus,

warum ich dich lieben sollte.

Nähre meine Seele nicht mit nahrhaftem Reis,

sondern mit honigsüßem Gewürz,

das wie heilender Balsam von deinen Augenlidern fällt,

oh Geliebter.«

Während ich weiterschrieb, spürte ich ein starkes Gefühl von Schönheit und Schmerz zugleich, von Freude und Trauer. Ich fühlte mich eins mit der ganzen Schöpfung und sowohl der tiefste Kummer als auch die höchste Freude flossen in meinen Adern. Ich meinte, mein Herz müsse zerbersten, so intensiv waren die Gefühle. Die Pracht, die Ordnung und die Schönheit aller erschaffenen Erscheinungen berührten meine Seele und gleichzeitig konnte ich das ungeheure Leiden und die Trauer in der Welt spüren. Bilder von Tod und Leben, Freude und Schmerz, Gott und Teufel, gut und schlecht, alt und jung, Nacht und Tag und so fort überschwemmten mich, als ob ich das gesamte Leben in einem Augenblick erfahren sollte.

Ich konnte meinen Herzschlag in allem spüren, was ich berührte – in dem Stift, mit dem ich schrieb, im Papier auf dem Tisch, in der Energie um mich herum. Farben tanzten mit vibrierender Energie um mich herum und Töne erklangen, als ob ich sie mit Lautsprechern verstärkt hören würde. Was geschah mit mir? 1973 hatte ich eine Nahtod-Erfahrung gemacht und das hier fühlte sich sehr ähnlich an. Ich hatte keine Angst, ich wusste, dass mit mir alles stimmte. Es fühlte sich irgendwie so an, als ob jemand oder etwas in mir, das größer als ich selbst war, die Dinge in der Hand hatte und mich führte.

Später erkannte ich, dass ich die umfassende barmherzige Herzenergie der Kosmischen Mutter und Jesu erlebte und dass das Mitgefühl, das ich für alle lebenden Geschöpfe einschließlich meiner selbst spürte, von ihnen kam. Ich sah uns alle mit den Augen reiner Liebe und konnte das kaum ertragen.

Tod und Leben waren eins, Loslassen und Empfangen tanzten gemeinsam in einem Meer von Entzücken – und mir war erlaubt, dieses Wunder mitzuerleben, was mich tief ergeben machte.

Wenn ich später Trost brauchte, setzte ich mich hin und las eines der Gedichte, die aus meiner Feder geflossen waren. Ich schien aus ihnen zu trinken, wie ein Mensch aus einer klaren und erfrischenden Quelle trinkt. Damals kam eine kanadische Priesterin, die Saoirse hieß (ein gälisches Wort für »Freiheit«) zu Besuch. Sie war akademische Forscherin und betrieb keltische Studien. Sie hatte großes Interesse an meinen zunehmenden Begegnungen mit der Brigit der Kelten. Ich erwähnte die »Weisheit des heiligen Kessels« (Wisdom of the Cauldron; siehe Glossar). Zu jener Zeit wusste ich noch nicht, was Weisheit war, sondern ich spürte nur, dass ich mich auf etwas Neues einließ. Saoirse meinte, ich sollte psychologische Prinzipien mit tiefgründiger weiblicher Spiritualität verbinden. Später verstand ich, dass der heilige Kessel die Seele symbolisiert, die Anima; sie ist jene, welche die Fülle des Lebens in all ihren Ausdrucksformen erlebt. In der keltischen Mythologie ist oft die Rede vom heiligen oder magischen Kessel. Es war ein alchemistisches Gefäß wie der Gral; es war ein heiliges Gefäß für das Urweibliche, für die Seele und das lebendige, leidenschaftliche Feuer der Liebe. Brigit war es, die Bewegung im heiligen Kessel entfachte, die ihn »aufrührte«, die das an die Oberfläche brachte, was bewusst gemacht werden sollte. Letzten Endes wird alles zurück zur Liebe »aufgerührt«.

Anscheinend stellte der heilige Kessel der Brigit auch das Orakel dar, auf dessen reichen Inhalten die Kelten ihre spirituellen Anschauungen und Glaubensüberzeugungen begründeten. Darin kommt ein matriarchaler Zugang zum Ausdruck im Hinblick auf die Art und Weise, wie sich Menschen in der Meitheal, in der Gemeinschaft, begegnen und wie sie miteinander umgehen. Viele Rituale und Zeremonien wurden mit Hilfe des heiligen Kessels gefeiert. Die alte wörtliche Übersetzung für das irische Wort Cauldron beschreibt das gut; sie lautet: »Das, was alles mit gleichem Gewicht hält.«

1999 wurde ich als eine Priesterin der Brigit initiiert und geweiht. Das leitete mich auf meiner Reise mit Brigit, mit meinem starken innerlichen Göttinnen-Archetypus, und Jesus als meinem Archetypus des Mitgefühls. Zu jener Zeit erkannte ich noch nicht die Bedeutung, dass die Newbold House Community in Forres, Schottland, mir einen heiligen Kessel zum Geschenk machte. Er wurde zu einer heiligen Quelle der Lehre. Ich erhielt die Anweisung, keinerlei Bücher über keltische Totenriten zu lesen, sondern nur den inneren Belehrungen zu folgen und diese mit anderen interessierten Menschen über Vorträge und Workshops zu teilen. Da die Kelten uns eine großartige Tradition der mündlichen Überlieferung von Lehren und Glauben hinterlassen haben, scheint es stimmig zu sein, dass ich Ihnen diese Lehren weitergebe in Form von Kamingeschichten oder Geschichten, die man sich am Küchenherd erzählt. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass uns eine lebenswichtige innere Schau abhandenkommt, wenn wir die Geschichten unserer Ahnen aus dem Auge verlieren. In dieser Einstellung einer geborenen Geschichtenerzählerin teile ich diese Geschichten mit Ihnen. Mögen Sie sich davon inspiriert fühlen, Ihre eigenen Geschichten zu erzählen und damit Ihre persönliche Geschichte und Ihr eigenes Mysterium von Leben und Tod zu erkennen und zu schätzen.

Meine eigene Geschichte: Meine Mutter empfing mich in Trauer

1943 hatten meine Eltern drei Kinder: Mary, die vier Jahre alt war, Eileen mit zweieinhalb Jahren und Charles, der acht Monate alt war. Meine Mutter war Lehrerin und mein Vater hatte ein Geschäft. Sie waren beide für ihre musikalischen Fähigkeiten bekannt, fürs Singen und Klavierspielen. Unser Vater war auch Schauspieler an einer örtlichen Amateurbühne und unsere Mutter hatte eine große Gabe, Lieder und Sketche zu komponieren. Das Leben war gut und sie waren in ihrem Ort gut bekannt und gern gesehen. Eines Tages, als Mutter Charles badete, bekam er Krämpfe und starb in ihren Armen. Sie unternahm alles, was eine Mutter hätte tun können, um ihr Baby wiederzubeleben. Vater fühlte sich komplett hilflos und verzweifelt. Am Grab weinte Mutter ihren Kummer natürlich hinaus und Vater war bei ihr, hielt sie und war stark für sie, weil das damals der männlichen Rolle entsprach. Der Gemeindepfarrer meinte aber aus irgendeinem Grund, dass Mutter genug geweint hätte, kam zu ihr, legte ihr seine Hand auf die Schulter und sagte: »Nun aber keine Tränen mehr, Frau McGill, sonst schickt Gott ein weiteres Kreuz; das war Gottes Wille und das müssen wir respektieren.«

Ich kann mir lebhaft vorstellen, welches weitere Leid diesen beiden trauernden, niedergeschlagenen Menschen mit diesen Worten zugefügt wurde. Gottes Wille war brutal, er nahm ihnen ihr Kind. Als der letzte Grasballen auf das Grab gelegt wurde, gingen diese beiden einsamen, kummervollen Menschen mit der Hilfe und Liebe ihrer Gemeinschaft nach Hause. Großmutter riet meinen Eltern, für eine Woche zur Schwester unseres Vaters zu fahren, und meinte, dass sie sich derweil um Mary und Eileen kümmern würde. Sie entschieden sich schon am nächsten Morgen, das zu tun. Mit dem Wunsch der beiden Töchter, dass die Eltern ihnen doch bitte Fellhandschuhe mitbringen sollten, wurden sie an diesem Dienstag Vormittag auf den langen Weg nach Dublin verabschiedet. Sie entschlossen sich dann doch, früher als geplant nach Hause zu fahren, weil sich Mutter Sorgen um die Mädchen machte. An einem kalten Sonntag im Februar 1943 machten sie sich auf den Rückweg nach Donegal.

»Warum stehen alle vor unserem Haus, John?«, fragte Mutter nervös. »Wahrscheinlich haben sie uns nicht beim Begräbnis getroffen und sind nun gekommen, um ihr Beileid auszusprechen.« Der Bruder unserer Mutter, ein Priester, nahm sie bei der Hand und überbrachte ihr die Nachricht, dass ihre kleine Tochter Eileen am Tag, nachdem sie nach Dublin gefahren waren, gestorben war. Mutter unterdrückte einen Schrei und wurde ohnmächtig. Vater fühlte sich wieder völlig hoffnungslos und hilflos. Keiner von beiden vermochte Zeichen sogenannter Schwäche zu zeigen. Die Agonie, das abgrundtiefe Leid, musste tief im Inneren erstickt werden und durfte nie heraussickern. Stellen Sie sich vor, wie sie von Leid erschüttert vor ihrem kleinen Haus standen, in dem ihr Kind lag, Schneeflocken auf ihrer Hand, ein Lächeln auf ihrem Gesichtchen und die goldenen Locken fielen ihr in die Stirn.

Mutter erzählte uns später, dass sie so sehr gewünscht hatte, mit dem Kind zu sterben. Der Tod, sagte sie, wäre eine Gnade gewesen, aber sie musste an das denken, was der Gemeindepfarrer in seiner »göttlichen Weisheit« über den Willen Gottes gesagt hatte. So hielten beide den Aufschrei des Schmerzes zurück, der sich irgendwie ausdrücken wollte. Sie unterdrückten eine aktive Trauerarbeit, die hätte helfen können, ihr menschliches Herz für sich selbst und füreinander zu öffnen.

Von diesem Zeitpunkt an erstarb die Musik in unserem Hause. Von damals an trank Vater, um sich so zu behelfen, mit dem Kummer umzugehen.

Mutter verbrachte mehr und mehr Zeit allein oder mit Gebeten in der Kapelle. Von damals an dehnten sich die Zeiten des Schweigens zwischen ihnen aus. Das Radio wurde nicht mehr angestellt. Mary musste von diesem Zeitpunkt an gut sein, still sein und alleine spielen. Von damals an wurde »Gottes Wille« zum Motto unseres Haushaltes und niemand durfte jemals etwas infrage stellen, da sonst ein weiteres Kreuz Gottes erscheinen könnte, das diesmal … Mary träfe.

Im Mai jenes Jahres, drei Monate nach dem Begräbnis ihrer beiden Kinder, wurde ich gezeugt und empfangen. Es war Zeit, dass die Frau wieder »ihre ehelichen Pflichten« gegenüber ihrem Mann erfüllte. Meine Mutter, die weiterhin still trauerte, fürchtete sich auch davor, wieder schwanger zu werden. Ich wurde neun Monate später geboren.

Wenn man davon ausgeht, dass das Kind im Schoß der Mutter deren Gefühle miterlebt, dann habe ich mit Sicherheit ihre nicht vergossenen Tränen und ihre tiefe, unausgesprochene Angst gespürt. Ich glaube, dass ich dadurch die beste Schulung darüber erfuhr, was Verlust bedeutet und welchen Kummer und welche Nebenwirkungen passive, nicht zum Ausdruck gebrachte Trauer mit sich bringt. All das lernte ich im Schoß meiner Mutter und während ich mit meinen Eltern in einem Haus lebte, in dem Gott alles beherrschte. Tränen des »Selbstmitleids« waren nicht erlaubt.

Die größte Erleichterung stellten für mich die Schulferien mit der Kinderschwester Nanny McDyre dar. Sie führte mich mit ihrer erdverbundenen Weisheit in eine andere Art des Lebens ein, in die Wege der Natur und deren Heilrituale. Dazu gesellte sich ein unerschöpflicher Reichtum an Geschichten und eingekochten Süßspeisen. Sie nährte meine empfindsame Seele, voller Ehrfurcht für das Mysterium und die Magie der unsichtbaren Dinge. Mein reiches irisches Fundament, von Bergen und Atlantik bewacht und tief mit der gälischen Sprache verwoben, das zugleich von Erdsymbolik und Aberglauben umhüllt wurde, prägte meine Seele als Kind sehr stark.

Das mir damit gegebene Geschenk erkannte ich erst viele Jahre später. Ich bin dankbar dafür, dass mein Geist von einer anderen Nahrung genährt wird, wenn eine Welt des sofortigen Zugriffs auf Informationen und andere so genannte technische Errungenschaften versuchen, mich aus der Stille zu entführen und mich der ruhigen, kleinen Stimme zu entfremden, die mich von innen führt und unterrichtet. Die Stimmen meiner Ahnen singen meine Knochen ins Leben und sie klingen mit ihrem Echo lauter in mir als die lauteste Reklame.

Mit zwölf Jahren ging ich in ein Internat, das von Nonnen geführt wurde und es fiel mir leicht, das Motto des Ludwig-Ordens, »Gott will es«, anzunehmen, da es meiner Seele schon unauslöschlich eingeprägt worden war. Jahre später, nachdem ich eine Nonne gewesen war und dann das Kloster verlassen hatte, heiratete ich einen Protestanten, lebte sechsundzwanzig Jahre in Nordirland, brachte zwei Kinder zur Welt, betrauerte den Tod guter Freunde, erlebte eine Nahtoderfahrung, hatte zahlreiche außerkörperliche Erlebnisse, begrub meine beiden Eltern, ließ mich scheiden, war obdachlos und hatte kein Geld, trauerte um den Tod von Verwandten, arbeitete international und in Amerika mit Dr. Elisabeth Kübler-Ross, schuf meine eigenen Workshops, produzierte drei CDs mit eigener Musik und eigenen Liedern, schrieb meine Autobiografie, ein Buch mit Gedichten und so fort …

Ich erkannte mehr und mehr die tief greifende Wirkung meiner ererbten Trauer, der ich zugestimmt hatte, als ich mich inkarnierte, und gleichzeitig auch die reiche Fülle an Hilfsquellen, die ich in mein Leben gebracht hatte, um es zu heilen. 1993 begegnete ich Elisabeth Kübler-Ross und begann die Reise der Heilung meiner Trauer aus der Vergangenheit, während ich dabei auch die Werkzeuge erkannte und die Methoden erlernte, um mit künftiger Trauer umzugehen. Es erschien mir als selbstverständlich, im Bereich des Todes und des Sterbens zu arbeiten, und das Leben in mir nahm so seine natürliche Gestalt an. Meine Vergangenheit half mir herauszufinden, wer ich bin, und dafür werde ich immer dankbar sein. Durch die schließlich erfolgte Initiation und Weihe als Priesterin spürte ich, wie sehr meine Seele in ihre eigentliche Heimat zurückkehrte.

Rituale und Zeremonien waren mir nicht fremd. Ich war eine natürliche Seábhean (die gälische Bezeichnung für eine Schamanin). Meine Kindheitstage mit meiner Kinderschwester McDyre mitten in der Natur und mein großes Erbe irischer Tänze, Dichtung, Gesänge sowie die enorme Anziehung durch die gälische Sprache erwiesen sich als kraftvolle Katalysatoren für meine spätere Arbeit.

Fünfzig Jahre später war ich bereit, als Maid, als Mutter und als alte Weise, meine keltischen Wurzeln sprießen zu lassen und vorwärts in ein neues Leben zu gehen. Mein neuer Name gab mir die Kraft, das zu tun: eine AnamÁire zu sein, eine Hüterin der Seelen, die sich um andere Seelen voller Fürsorge kümmert.

Brigit, die den heiligen Kessel entfacht und »aufrührt«

Die keltische Göttin Brigit war die Hüterin des »Kessels der Unsterblichkeit«, den sie entfachte, aufwühlte und aufrührte. Das ist jenes machtvolle Gefäß, das Geburt und Tod enthält und in dem alles in Gleichgewicht und Harmonie gehalten und bewahrt wird. Sie war der wahre Archetypus der Jungfrau, der Mutter und der alten Weisen; sie war die Tochter des großen Dagda, des weisen und hoch geehrten Gottes der Tuatha de Dannan. Sie war auch eine Hüterin des

»Kessels der Fülle«, was dem entspricht, was man andernorts »Füllhorn« nannte. Ich begreife Brigit ganz deutlich als die alchemistische Kraft der Liebe auf Erden, die in wechselnden Gestalten auftritt. Die heilige Brigit war für ihre Leidenschaftlichkeit bekannt, ihre Direktheit, ihre Fertigkeiten als Schmiedin und ihre Liebe und Fürsorge für die Sterbenden. Sie war eine Poetin, Geschichtenerzählerin und weise Frau.

Die Flamme der Brigit lodert immer noch in der keltischen Seele, denn uns ist die alles reinigende Kraft der Glut der Liebe nicht fremd. Wie alle Götter, Göttinnen und Heiligen ist Brigit nicht in früheren Zeiten gefangen. Sie regiert auf ewig die unsichtbaren Reiche des Unbewussten und aus diesem feuchten und geheimnisvollen Beet formt sie die stetig sich wandelnden Gestalten unserer Psyche. In diesen Tiefen kriecht sie herum, stöhnend, spürend, sammelnd, aufwühlend – und sie bringt all die Teile in uns, die ausgedörrt und unbeachtet geblieben sind, in unser Bewusstsein. Sie ist die Kali Shakti, die Zerstörerin und die Liebende.

Sie jätet das Unkraut und pflanzt neu, sie bewässert die Keime unserer Ganzheit, unserer Heiligkeit, die, seit sie aus der Gnade entwurzelt wurden, in den Stürmen des Lebens wie vom Winde gepeitscht und verweht wurden. Sie packt unsere zitternden Füße und setzt sie auf die Landkarte unserer eigenen Umgebung und Heimat, wenn wir uns auf unserem Rückweg hin und her wenden, uns verdrehen und es uns schüttelt und wir dann stolpern.

Sie zeigt uns immer den Weg zurück; nicht hinaus aus, sondern hinein und wieder zurück in unser eigenes Dickicht, das voll von üppigem Gestrüpp und klebrigem, stark riechendem Kraut ist. Sie weist auf die Blumen im Kompost unseres noch nicht gelebten Potentials hin, wenn wir aus Angst vor unserer eigenen Schönheit davonlaufen. Wir hassen sie und doch ehren wir ihre nährende Wildnis. Wir wollen sie erwürgen und uns gleichzeitig ihren Schattenformen angleichen.

Was wir auch tun, wie sehr wir sie auch zu ignorieren oder abzuschütteln versuchen, bleibt sie doch gegenwärtig. Sie verurteilt uns nie und verlässt uns auch nicht, obwohl wir sie manchmal darum bitten. Sie weiß, dass ihre Arbeit darin besteht, unsere tiefsten inneren Fundamente zu erschüttern und uns neu aufzubauen, stärker, als wir uns das je hätten vorstellen können. Brigit stellt unser stures Festhalten an der Dualität in Frage und bedroht es. Ihr höchstes Ziel besteht darin, dass wir unsere Göttlichkeit in der Fülle unseres Mensch-Seins achten und ehren. Gleich, wie lange wir außerhalb ihres transformatorischen heiligen Kessels verbleiben wollen, wissen wir doch, dass wir eines Tages ihrem Ruf zur Wildheit in uns folgen werden. Eines Tages werden wir uns unserer eigenen Göttlichkeit beugen müssen und an diesem Tag haben wir den ersten Schritt unserer Reise in die Mitte unserer selbst getan. An diesem Tag werden wir wie das verlorene Kind geworden sein, das nach Hause gekommen ist, um zu feiern und der Liebe zu frönen. An diesem Tage werden wir uns der Stimme unserer eigenen Seele ergeben haben, die Vermählung von Seele und Ego wird sich vollzogen haben und wir werden unser eigenes Halleluja singen. Wir müssen nicht herumsitzen und abwarten, bis wir aus dem Körper gegangen sind, um das zu erleben. An diesem Tage werden wir unsere eigene Befreiung und Erlösung geschmeckt haben, während wir noch verkörpert sind, also im Körper sind.

Die spirituelle »Großwetterlage« scheint dafür geeignet zu sein, dass Brigit, diese mächtige Wandlerin der Formen und Gestalten, unter uns erscheint. Es ist an der Zeit, Bewusstsein in unser Alltagsleben und unser tägliches Sterben zu bringen. Das keltische Herz ist ein Herz, das täglich aufs Neue gebrochen und wieder gestärkt wird, weil es jedes Mal etwas von der Dualität und Polarität loslässt und sich mehr für die Einheit öffnet. Das keltische Herz ist bereit, Tod und Leben in einem Atemzug zu empfangen und anzunehmen. Warum fühle ich, dass die Arbeit von Brigit in unserer Zeit wesentlicher und offensichtlicher wird? Meine spontane Antwort ist, dass ich ihre Energie in unserer Bereitschaft spüre, direkt und ganz in die Augen der großen transformatorischen Kraft zu schauen, die wir Tod nennen, und dass wir nicht mehr länger Gefangene unserer eigenen Lebensängste sein wollen.

Teil 1: Tod und Sterben in der keltischen Kultur

Das Herz für den Tod öffnen

»Wirst du bei mir sein am kalten Morgen des Sterbens?

Wenn das Feuer in mir erlischt und nichts mein Blut wärmt,

kannst du mich dann mit den Augen einer Mutter beobachten?

Wenn die Kerze abgebrannt ist und die Freunde fort sind?

Kannst du einfach da sein und keinen weiteren

Atemzug in mir wünschen?

Und wenn meine Augen geschlossen sind,

froh über die lange stille Ruhe,

wirst du dann weiter still mit mir reisen?

Während ich diese Tür hinter mir schließe

und mich in das offene Herz des Todes öffne,

ruft mich jenes süße Liebeslied, das mich in die Geburt rief,

nun in den sicheren Schoß der Erde zurück.«

An dieses Gedicht, das im Original gälisch ist, habe ich mich mehr als ein halbes Jahrhundert hindurch erinnert. Beim ersten Mal hatte ich es voller Staunen in der ursprünglichen Sprache gelesen; meine Mutter hatte es mir in der Grundschule in Donegal beigebracht, wo sie mich von 1948 bis 1959 unterrichtete. Schon als Jugendliche hatte ich dieses Gedicht als sehr tröstlich empfunden, weil es den Tod und das Sterben freundlich betrachtete und den Menschen, der sich um den Sterbenden kümmerte, bat, »mit den Augen einer Mutter zu schauen« und einfach da zu sein, ohne einen »weiteren Atemzug« zu wünschen. Der schauende Begleiter wird gebeten, »mit mir (zu) reisen«, wenn die sterbende Person eine Reise »in das offene Herz des Todes« unternimmt. Dieser Hinweis auf das offene Herz des Todes ist interessant. Es scheint, als ob die Alten den Tod als etwas Allumfassendes ansahen, das alles beinhaltete, wie einen Anam Cara, einen Seelenfreund, der »lange stille Ruhe« schenkt und das »süße Liebeslied« singt, das »mich jetzt in den sicheren Schoß der Erde« zurückruft. Diese Vorstellung, dass uns ein Liebeslied dazu aufruft, uns zu verkörpern, und uns dann wieder in den Spirit, in den Geist, zurückruft, ist Teil des keltischen Glaubens über Geburt und Tod. Die Kelten glaubten, dass ein Ton oder ein Klang uns dazu aufruft, in einen Körper zu kommen, uns also zu verkörpern, während uns derselbe Klang auf einer höheren Oktave dazu aufruft, uns zu »entkörpern«, also den Körper wieder abzulegen.

Das Schließen der Tür des Erdenlebens ist eine Initiation, welche die Seele erlebt, während sie in die verschiedenen Durchgänge in der geistigen Welt eintritt. Das bedeutet, alles hinter sich zu lassen, die Erfahrung von Dekathexis1 von allen stofflichen Formen, die große Verwandlung, ein Zustand, in dem Erinnerungen keine Emotionen mehr hervorrufen. Der bzw. die Anam-Áire, der Seelenhüter, -tröster und -begleiter, ist der Mensch, der mit dieser Seele im Nachleben »still reist«, wenn sie sich in das »offene Herz des Todes« öffnet.

Wie können wir überhaupt vom offenen Herzen des Todes sprechen, wenn sein einziger Zweck darin zu bestehen scheint, uns alles zu nehmen, was wir lieben, und wie kann man von uns erwarten, dass wir uns für etwas öffnen, das keinerlei Achtung für das Leben zu besitzen scheint? Wie können wir einfach mit einem so herzlosen Gesellen zusammensitzen, der uns die tiefen Bande von Freundschaft und Familie stiehlt, der uns schließlich unseren eigenen Atem raubt und auch andere wie besinnungslos und klagend zurücklässt? Das käme doch Verrücktheit gleich, auch nur daran zu denken, die schiere Antithese des Lebens in unser Bewusstsein einzuladen! Würde das nicht sogar zu aller möglichen, nicht notwendigen Trauer und Kummer führen, um dann nur Depressionen und einen Nervenzusammenbruch auszulösen und einen womöglich dazu ermuntern, sich selbst das Leben zu nehmen? Wenn man sein Herz für den Tod öffnet, würde das doch sicher heißen, das Leben zu verleugnen und dessen ganze Schönheit, Energie und Fülle.

All diese Überlegungen scheinen sehr vernünftig und sinnvoll zu sein. Und während ich sie niederschreibe, strahlen sie eine tiefe Furcht aus, Unwissen und eine Abwehrhaltung, als ob die Essenz des Lebens selbst bedroht würde und wir, die Hüter dieses kostbaren Geschenks, eine Pflicht haben, es vor diesem Raubtier, diesem Dieb namens Tod zu beschützen. Wenn man an die Schwere des Leidens, an die Herausforderungen, die scheinbare Arroganz und den Verrat denkt, die der Tod oft mit sich bringt, werden sich viele unter uns von dessen Macht überwältigt fühlen und sich als hilflose Opfer empfinden.