Kind der Drachen – Vernunft oder Liebe? - Sabine Hentschel - E-Book

Kind der Drachen – Vernunft oder Liebe? E-Book

Sabine Hentschel

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Beschreibung

Cara steht unter Schock. Zum ersten Mal in ihrem Leben weiß sie nicht, wie es weitergehen soll. Doch in all dem Chaos gibt es einen Hoffnungsschimmer, der ihr eine neue Perspektive geben wird... Nachdem Cara und Niel verurteilt wurden, bleibt Cara nichts anderes übrig, als mit Marces nach Prag zurückzukehren. Dort angekommen muss sie erkennen, dass Marces' düstere Seite langsam die Überhand gewinnt und ihr Leben bedroht. Wie soll sie das überleben? Doch in ihrer dunkelsten Stunde taucht ein Licht am Horizont auf: Gleich zwei neue Verbündete helfen ihr die Beweggründe der Unsterblichen zu verstehen. Während die Drachenkinder alles Erdenkliche versuchen um sie zu befreien, erfährt Cara, dass es bereits mehrere Revolutionsversuche einiger Unsterblicher gab, aber was fehlte, war ein wahrer Anführer. Und ausgerechnet sie soll nun diese schwierige Aufgabe übernehmen. Hat sie den Mut für sich selbst und für andere einzustehen? Ist sie wirklich bereit Ihr Zögern bringt sie schließlich in eine missliche Lage: Marces will sie unbedingt zu seiner Frau machen und verspricht dafür sogar eine Milderung von Niels Strafe. Aber ist dies wirklich der richtige Weg für Cara? Für wen wird sie sich letztendlich entscheiden? Für Marces (Vernunft) oder Niel (Liebe)? Lassen sich ihre Meinung und ihre Hoffnungen wirklich mit jener der Unsterblichen verbinden? Begleitet Cara auf ihrem schwierigen Weg für die Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu bewältigen. Taucht ein in eine unglaubliche Welt, gefüllt von Hass, Ohnmacht, Furcht und einem Funken Aufbegehren. Erfahrt mehr über die Geschichten der Unsterblichen.

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Sabine Hentschel

Kind der Drachen

Vernunft oder Liebe?

epubli

Die Autorin:

Sabine Hentschel wurde 1987 in der Universitätsstadt Jena geboren. Sie lebte von 2002 bis 2005 in dem kleinen Örtchen Werdau (Sachsen), wo sie wie ihre Romanfigur Cara, das Abitur an dem „Alexander von Humboldt“ Gymnasium absolvierte. Nach ihrem Abschluss ging Sabine Hentschel zurück nach Jena und studierte dort Kunstgeschichte, Archäologie und Geschichte. Bereits während ihrer Schulzeit entstanden im Rahmen des Deutsch-Leistungskurses einige bisher unveröffentlichte Gedichte Kurzgeschichten und Theaterstücke. Die Idee zu Ihrer Drachenkind-Saga kam ihr jedoch erst im Verlauf ihres Studiums. Kind der Drachen – Vernunft oder Liebe? ist das vierte Buch ihrer All Age Fantasy Saga. Derzeit arbeitet sie eifrig an dem letzten Teil ihrer Drachenkind-Pentalogie um Cara, Marces und den anderen Drachenkindern.

Impressum

Originalausgabe 2016
Copyright © des Gesamtwerkes: Sabine Hentschel
Illustrationen: Copyright © Sabine Hentschel
Umschlaggestaltung: Patrizia Kramer, www.p-kramer.de
Lektorat: Christin Müller und Juliane Niebling
Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN: 978-3-7418-0365-9
Weitere Informationen unter: www.sabinehentschel.de
Die Kraft der Liebe lässt
Ozeane zu Pfützen schrumpfen,
Festungsmauern zu kleinen Steinen zerfallen
und eiserne Gitterstäbe sich in Luft auflösen.

Der Schock sitzt tief

Garushins düstere Worte klangen in Daamiens Ohren nach: Dann kommen wir überein, dass Cara Buradi für schuldig befunden wird. Um weitere Vorkommnisse zu vermeiden übergeben wir sie in die Obhut des Hüters Marces. Alle Entscheidungen und Belange, die sie und ihre Person betreffen, werden von ihm getroffen. Sie ist als sein Eigentum zu betrachten - Daamien schüttelte verärgert den Kopf.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, murmelte er wütend vor sich hin, während Nerifteri mit blassem Gesicht noch immer neben ihm auf der Bank saß. Sie vermochte kein Wort mehr zu sagen. Wie konnte es nur soweit kommen? Daamien gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn um sie zu beruhigen.
»Was wird jetzt mit Niel?«, wandte sich Varush an ihn.
»Ich habe keine Ahnung. Wirklich. Das habe ich nicht erwartet«, antwortete Daamien leise.
»Du musst zu ihm.«, flüsterte Nerifteri plötzlich. »Du musst ihm Mut machen.«
»Kann ich dich wirklich mit Varush allein lassen?«, hakte Daamien besorgt nach. Nerifteri nickte und versuchte ein wenig zu lächeln. Sie wusste, dass Niel Daamien jetzt mehr brauchte als irgendjemand sonst.
»Gut, ich suche ihn«, erwiderte Daamien und verließ daraufhin den Saal. Während er den anderen Unsterblichen durch die engen, dunklen Gänge zu den Treppen folgte, blickte er sich suchend nach Garushin um, in der Hoffnung, dass dieser wusste, wo man Niel hingebracht hatte. Ganz am Ende des Ganges konnte er ihn schließlich ausmachen.
»Garushin!« Aber Garushin reagierte nicht.
»Garushin!«, rief er erneut und blieb hartnäckig an ihm dran. Erst in dem Moment, als beide die Treppe erreichten, wandte sich Garushin zu ihm um. »Daamien, ich habe nicht viel Zeit. Ich habe noch andere Verpflichtungen. Was gibt es denn?«
»Wenn du erlaubst, würde ich gern noch einmal mit Niel reden, bevor wir abreisen«, antwortete Daamien ruhig und besonnen.
Garushin verzog kurz die Mundwinkel, ließ ihn aber gewähren. »Du hast meine Erlaubnis. Frag Tamilia, wo sie ihn untergebracht hat.«
Dann wandte er sich von Daamien ab und ließ ihn allein zurück. Daamien verbeugte sich, bevor er, über die Unsterblichen blickend, nach Tamilia Ausschau hielt. Der Großteil der Unsterblichen schien froh darüber zu sein, die Insel endlich wieder verlassen zu können. Sie drängten in Strömen nach draußen, als gäbe es kein Morgen. Man hatte das Gefühl, dass jederzeit eine Panik ausbrechen könnte und sie sich gegenseitig zertrampelten. Es dauerte eine Weile, bis Daamien Tamilia auf der anderen Seite des Treppenaufgangs ausmachen konnte.
»Wo ist Niel?«, rief er ihr zu. Sie reagierte zunächst nicht. Ihr mürrischer Blick zeigte ihm, dass sie sich insgeheim fragte, wieso ausgerechnet sie diese Aufgabe übernehmen musste. Sie war schließlich die Prinzessin und keine Bedienstete ihres Vaters.
»Niel ist im Kerker: dritte Ebene, rechter Turmabstieg.«,
rief sie ihm schließlich zu. »Aber du solltest dich etwas gedulden. Marces ist gerade bei ihm.«
Daamien nickte ihr dankend zu und lief hinunter zum Kerker. Weit kam er allerdings nicht. Darvu hielt ihn auf der ersten Eben auf und versperrte ihm den Weg. »Der Hüter ist bei dem Gefangenen. Er hat angeordnet, dass niemand sie stören darf. Nicht einmal Garushin.« Daamien runzelte verärgert die Stirn. Was sollte das?
Was hatte Marces bloß vor?
Er lief daraufhin schnellen Schrittes wieder nach oben zum Saal und suchte nach Varush und Nerifteri. In dem Gedrängel gestaltete sich das Ganze gar nicht so einfach. Er blickte sich mehrmals um. Die Vampire rempelten links und rechts an ihm vorbei. Man konnte ihre Abneigung ihm gegenüber im Raum spüren. Daamien versuchte sie so gut er konnte zu ignorieren. Er wusste, dass er sich von ihnen nicht aus der Reserve locken lassen durfte.
»Vater! Hier sind wir!«, rief ihm Varush zu, der seinen Vater von oben bereits entdeckt hatte. Er stand auf einem der Treppenabsätze und unterhielt sich mit seiner Mutter, Geremon und Tassi. Tassi schien sichtlich besorgt. Bei jedem Satz schüttelte sie ungläubig den Kopf.
Daamien trat zu ihnen und ergriff energisch den Arm seines Sohnes. Dann flüsterte er ihm ins Ohr: »Bring deine Mutter sofort nach Hause. Dann gehst du mit Andal zum Haus der Vampire und holst die anderen Drachen. Wenn irgendjemand versucht dich aufzuhalten, halt ihnen die Erklärung des Konzils vor. Sie sind alle mit dem Ende des Konzils freigesprochen. Eine Kopie dieser Erklärung liegt auf meinem Schreibtisch. Hol sie dir vorher. Ich werde ihnen erklären was passiert ist, wenn ich zurück bin.«
»Was ist los?«, hakte Nerifteri verunsichert nach.
Daamien gab ihr einen kurzen Kuss. »Ich bin mir nicht sicher. Sie lassen mich nicht zu Niel. Marces soll gerade bei ihm sein.«
Dann wandte er sich wieder an Varush: »Geht jetzt! Ihr müsst euch beeilen.«
Varush nahm sofort die Hand seiner Mutter und lief ohne ein weiteres Wort zu sagen, mit ihr davon.
Daamien blickte ihnen traurig nach und murmelte dabei in sich hinein: »Irgendwas stimmt hier nicht.«
Tassi sah ihn besorgt an. »Was meinst du, Daamien? Wo ist Cara? Wie geht es Niel?«
»Gilion hat Cara weggebracht. Ich nehme an, man hat sie in Marces’ Zimmer eingesperrt. Zu Niel lässt man mich im Moment nicht«, antwortete Daamien leise.
»Das ist nicht fair. Wir hatten gegen eine Bestrafung der beiden gestimmt«, fügte Tassi traurig an.
»Wie meinst du das?«, hakte Daamien verdutzt nach.
Tassi seufzte. Sie wusste ja selbst nicht so recht, wie sie das erklären sollte. Sie konnte es immer noch nicht fassen. Aber wenn sie an den Morgen und die Abstimmung dachte, musste sie traurig den Kopf schütteln. Sie hatten lange diskutiert, geredet und versucht zu vermitteln. Aber der Großteil der Trolle war entweder so stur, dass es ihnen egal war, was passierte – sie würden ja schließlich länger leben als alle anderen – oder hatten einfach nur Angst vor Garushins Macht und seiner Vergeltung. Tassi blickte nachdenklich über die Unsterblichen.
Was war bloß aus ihnen geworden? Was hatte die Zeit aus ihnen gemacht?
»Es gab eine ziemlich heftige Debatte heute Morgen. Die meisten Trolle scheinen zu viel Angst vor Garushin zu haben. Nur deshalb kam es zu dieser Entscheidung. Unsere Stimmen haben nicht ausgereicht«, erklärte Geremon schließlich.
Daamien runzelte die Stirn. »Er versucht alles zu kontrollieren. Das ist keine Demokratie, das ist eine Diktatur. Ich muss zu Niel. Ich muss mit ihm reden.«
»Was ist mit Cara?«, wollte Tassi wissen, während Daamien bereits am Gehen war. Sie war sichtlich besorgt.
»Einer nach dem anderen. Niel braucht mich jetzt zuerst. Cara ist stark genug alleine klar zu kommen. Sie wird durchhalten«, antwortete er und verschwand.
»Hoffentlich hat er recht«, flüsterte Tassi Geremon zu, während sie bemerkte, dass Tamilia sie aus dem Augenwinkel beobachtete.
Geremon nickte zustimmend. »Das hat sie wirklich nicht verdient.«
»Wir sollten gehen. Man beobachtet uns«, fügte Tassi leise an.
Geremon blickte über die anderen Unsterblichen zu Tamilia. »Sie wird immer mehr wie ihr Vater. Wir sollten uns vor ihr in Acht nehmen. Unser Kampf für Cara und Niel wird Garushin und ihr nicht gefallen haben. Reise bitte nicht allein zurück.«
»Keine Sorge«, antwortete Tassi. »Mein Vater Kelpie und meine Schwester Nemie werden mich begleiten. Was ist mit dir?«
Geremon trat langsam die Treppe hinunter. »Ich werde mich den anderen Baumtrollen anschließen, auch wenn ich sie eigentlich nicht leiden kann. Wenigstens jetzt sollten wir zusammenhalten.«
Während Daamien mit den anderen redete, sprach Marces mit Niel. Darvu hatte ihn direkt nach der Urteilsverkündung zurück in den Kerker gebracht, allerdings auf eine tiefer gelegene Ebene als zuvor. Auch war die Zelle größer als die vorherige. Es standen ein größeres Bett, ein Tisch und ein Stuhl darin. Durch ein kleines Fenster konnte man nach draußen auf die Klippen sehen.
Niel trat zum Fenster und seufzte leise: »Ich fasse es einfach nicht.«
»Na sieh mal einer an. Der aufmüpfige Junge begreift endlich die Konsequenzen seines Handelns.« Marces trat mit energischem Schritt in die Zelle. »Und, hast du dir deine Zukunft so vorgestellt? Den Rest deines Lebens hier in diesem Kerker zu verbringen? War es das alles wirklich wert? Hast du jetzt das, was du wolltest? Du solltest endlich lernen dich anzupassen!«
Niel drehte sich verärgert zu ihm um. »Ich werde mich niemals an ein so korruptes System anpassen. Eher sterbe ich hier drin, als vor Garushins Füßen wie ein Wurm zu kriechen. Ich bin ein Drache, kein Haustier!«
Marces lachte laut.
»Natürlich. Vielleicht reden wir in 200 Jahren noch einmal darüber. Ich bin mir sicher, dass du jetzt genug Zeit haben wirst um nachzudenken«, rügte er ihn.
»Ich werde mich nicht beugen!«, erwiderte Niel entschlossen und zornig zugleich.
»Tamilia wird dir deinen Hochmut schon austreiben«, entgegnete Marces und wandte sich sichtlich gelangweilt von ihm ab. In dem Moment, wo er die Zelle verließ, fügte er noch hinzu: »Ich werde dasselbe auch mit Cara tun.«
Niel schnaubte vor Wut. Am liebsten hätte er Marces am Kragen gepackt und gegen die Wand geschleudert, aber Marces war schneller und schlug ihm die Kerkertür direkt vor der Nase zu.
»Wir sehen uns«, antwortete er höhnisch.
»Lass sie gefälligst in Ruhe! Wenn ich hier raus komme, bring ich dich um!«, schrie Niel im hinterher.
Marces reagierte nicht darauf. Er hatte erreicht, was er wollte. Als er grinsend die Stufen des Kerkers wieder nach oben trat, traf er auf Darvu.
»Mein Hüter, Daamien möchte mit dem Gefangenen sprechen. Erlaubt Ihr?«, fragte Darvu ihn.
Marces sah Darvu fragend an. »Weswegen?«
»Ich weiß es nicht, mein Hüter«, erwiderte Darvu. »Soll ich ihn holen, damit Ihr ihn fragen könnt?«
Marces nickte. Er traute Daamien nicht.
Während er darüber nachdachte was Daamien mit Niel besprechen wollte, lief Darvu nach oben zu den Treppenhäusern und fing ihn auf seinem erneuten Weg nach unten ab.
»Der Hüter möchte mit Ihnen reden«, sagte er zu Daamien und deutete ihm an ihm zu folgen. Dieser tat, wie es ihm geheißen wurde.
Als sie Marces erreichten, fragte dieser Daamien sogleich: »Weswegen willst du zu Niel?«
Daamien versuchte ihn mit ruhiger und besonnener Haltung zu überzeugen. »Ich will ihn nur etwas zur Besinnung bringen. Er wird Tamilia sonst nur noch mehr Ärger machen. Ich werde des Weiteren persönlich dafür sorgen, dass die Drachen nach Hause, nach Norwich, gebracht werden. Sie werden dir keine Probleme mehr machen.«
Marces musterte Daamiens Mimik, bevor er ihm antwortete: »Nun gut. Du kannst zu ihm. Treib ihm seinen Starrsinn aus. Ich werde umgehend abreisen. Es ist besser, wenn Cara vorläufig keinen weiteren Umgang mit den anderen Drachenkindern hat.«
Daamien bedankte sich mit einer Verbeugung um seinen Respekt zu zeigen. Er hatte jedoch alle Mühe dabei seinen Ärger zu verbergen, während Marces Darvu befahl: »Bring ihn runter.«
Dann wandte er sich von beiden ab und lief nach oben. Darvu führte Daamien schließlich zu Niels Zelle.
»Sie haben zehn Minuten«, sagte er zu Daamien, als er die Zellentür aufschloss. Daamien gab Darvu mit einem Nicken zu verstehen, dass er sich daran halten würde.
»Daamien, wo ist Cara?«, polterte es sogleich aus Niel heraus, als er Daamien erblickte.
Daamien schloss langsam die Kerkertür. Er seufzte leise: »Es tut mir leid.«
Daraufhin legte Niel die Hand auf Daamiens Schulter. »Es ist nicht deine Schuld. Aber ich glaube dir jetzt. Diese Welt ist korrupt und sie tanzen alle nach Garushins Pfeife. Es ist eine Diktatur, keine Demokratie!«
»Ich hatte dich gewarnt«, antwortete Daamien verhalten. »Sie werden sich nicht ohne triftigen Grund gegen Garushin stellen. Eher versinken sie in ihrem Elend und in ihrer Angst.«
»Ich weiß, mein Freund. Das habe ich jetzt begriffen. Ich stehe hinter dir. Egal was nun kommen mag«, antwortete Niel entschlossen. Dann trat er zurück an das Fenster.
Er blickte besorgt nach draußen. »Wo ist sie?«
Daamien folgte ihm zum Fenster und flüsterte: »Bei ihm. Sie werden umgehend abreisen. Er will sie unbedingt von Allen abschotten.«
Niel kochte vor Wut und schlug mit der Faust gegen die Wand, auf der sich sofort eine schimmernde Eisschicht bildete. Er hatte gehofft, dass der Schmerz, der ihn durchfuhr, jenen anderen um Cara überdecken würde. Aber es half nichts: sein Herz bebte, sein Puls kochte. Er mochte sich nicht ausmalen, was Marces mit Cara anstellen würde.
Daamien packte ihn an der Schulter. »Du musst dich zusammenreißen! Deine Wutausbrüche werden keinem helfen!«
»Was soll ich denn sonst machen? Mich ihnen ergeben?«, fragte Niel. »Soll ich mich in Ketten legen lassen wie Zephus?«
Daamien blickte ihn entschlossen an. »Ich will, dass du durchhältst. Mach, was sie sagen und versuch dich zurückzuhalten. Ich finde einen Weg dich hier wieder rauszuholen.«
Niel blickte ihn fragend an. »Was hast du vor?«
Um sicher zu gehen, dass Darvu sie nicht belauschte, sah Daamien sich um. »Ich lasse mir was einfallen. Bis dahin hältst du die Füße still. Verstanden?«
Niel nickte: »Aber eine Sache musst du mir versprechen!«
»Welche?«, wollte Daamien wissen.
»Versprich mir, dass du sie da rausholst!« erwidert Niel energisch. »Und zwar erst sie, dann mich!«
Daamien blickte ihn verwundert an. Er hätte gewettet, dass Niel alles dafür gegeben hätte so schnell wie möglich den Kerker verlassen zu können und nun wollte er warten?
Was verband Niel und Cara wirklich miteinander? Hatte er etwas übersehen? Daamien grübelte vor sich hin. Wie sollte er das Alles bloß anstellen? Die ganze Sache wurde immer verzwickter. Alles schien aus dem Ruder zu laufen. So hatte er das nicht geplant.
»Versprich es!«, forderte Niel erneut.
»Ich werde es versuchen. Aber sie wird eine Weile ohne uns durchhalten müssen. Das wird nämlich nicht einfach«, antwortete Daamien schließlich. Er hatte beim besten Willen keine Ahnung, wie er das in aller Welt bewerkstelligen sollte. Niel rauszuholen erschien ihm deutlich einfacher, als Cara zu befreien.
»Sie ist stark«, erklärte Niel ihm daraufhin. »Sie wird durchhalten. Ich glaube an sie.«
Daamien klopfte ihm auf die Schulter. »Wir schaffen das.«
Im selben Moment öffnete Darvu die Tür und bat Daamien wieder nach draußen. Niel seufzte leise, als ihm bewusst wurde, dass er nun auf sich allein gestellt war.
Er dachte an Cara und die anderen. Was würde nun aus ihnen werden? Wie sollte er diese quälende Einsamkeit überstehen? Er setzte sich auf das Bett und ließ sich an die Wand zurück sacken. Dann seufzte er und blickte nach draußen aufs Meer. »Ich bitte euch nur um eine einzige Sache, ihr Trolle der Meere und der Winde: Beschützt Cara! Beschützt die Liebe meines Lebens.«

Stille Abreise

Während unser Flugzeug die Insel verließ, fragte ich mich, wie es den anderen wohl erging. Wussten sie, was geschehen war? Hatte man sie informiert? Was würde nun mit ihnen geschehen? Mir brummte der Kopf vor lauter Fragen.
Auch wenn die Einladung zum Konzil ihre Freilassung nach den Verhandlungen versprochen hatte, glaubte ich nicht daran, dass Garushin sie einfach gehen lassen würde. Bei dem Gedanken an ihn lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Wie konnte man nur so grausam sein? Die Gesichter meiner Brüder und Schwestern flogen vor meinem inneren Auge an mir vorbei: Tara, Kira, Osiris, Elen, Danny, Le und – mein Herz fing an zu rasen – Niel.
Was wird nun aus ihm? Was werden sie mit ihm machen? Leise lief mir eine Träne über die Wange. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie es ihm in diesem Moment gehen mochte und doch kam mir bei dem Gedanken an ihm ein schauriges Bild: Von einer kalten, modrigen Kerkerzelle, in der er abgeschottet von allen lebenden Seelen im Dunkeln ausharren musste. Wird er es aushalten? Wird er die Kraft finden das zu überleben? Werde ich ihn jemals wiedersehen?
Ich sackte in meinem Sitz zusammen. Meine Hände zitterten, mein Herz bebte. Wie konnte es nur soweit kommen? Ich schüttelte immer wieder den Kopf, während ich versuchte stark zu sein und die Tränen zu unterdrücken. Aber es funktionierte nicht.
»Alles in Ordnung Mademoiselle?«, Partu blickte mich fragend an. Er saß noch immer auf dem Platz mir gegenüber.
Ich wischte die Tränen beiseite und versuchte mich zu beruhigen, aber es half nichts. Meine Lippen zitterten so sehr, dass ich nicht vermochte auch nur ein Wort zu sagen.
»Atmen, Mademoiselle, atmen. Das hilft«, fügte Partu an, als er es bemerkte. Ich versuchte zu lächeln, auch wenn mir nicht danach zumute wahr. So konzentrierte ich mich schließlich nur noch darauf langsam und gleichmäßig Luft zu holen und mich zu beruhigen.
Marces bekam von all dem zum Glück nichts mit. Er saß ganz vorn im Flugzeug und telefonierte schon wieder mit irgendjemandem. Ihn interessierte es überhaupt nicht, wie es mir ging. Mir wurde immer mehr bewusst, dass ich nur noch ein Spielzeug für ihn war. Ein Besitz, mit dem man vor anderen prahlen konnte.
»Wird es besser?«, wollte Partu wissen.
»Es geht schon wieder. Meine Nerven sind mit mir durchgegangen« antwortete ich leise.
»Sie sollten lernen Ihre Gefühle zu verstecken, wenn Sie überleben wollen. Der Herr ist nicht zimperlich. Er wird keine Rücksicht auf Sie nehmen«, erklärte er mir, nachdem er sich kurz umgedreht hatte um sicherzugehen, dass Marces noch immer telefonierte.
»Das weiß ich. Aber ich bin mir nicht sicher ob ich das kann«, erwiderte ich seufzend.
Partu runzelte die Stirn. »Ob Sie was können? Durchhalten? Sie wollen doch nicht etwa aufgeben?« Ich wollte etwas erwidern, war mir aber nicht sicher, was ich sagen sollte. Was sollte das denn bedeuten?
Mir dämmerte allmählich, dass Partu und ich uns nie richtig unterhalten hatten. Ich wusste überhaupt nicht, auf welcher Seite er stand oder ob er sich überhaupt auf irgendeine stellte. Was dachte oder fühlte er? In diesem Moment zum Beispiel? Wollte er mir Mut machen? Wollte er mich testen?
Ich amtete abermals tief ein und blickte ihn fragend an. Wer war dieser Mann? Wieso erzählte er mir, dass er zu meiner Schwester gesagt hatte, dass sie ihn als die Schweiz in Person betrachten solle. Was meinte er mit diesen Worten – Wie kann jemand die Schweiz in Person sein?
»Nun Mademoiselle, werden Sie Ihren Dickschädel behalten oder klein beigeben?«, hakte er nach, als er bemerkte, dass ich in Gedanken abschweifte.
Ich versicherte mich zunächst, dass Marces noch immer auf seinem Platz saß, dann schüttelte ich den Kopf und antwortete ihm: »Ich werde nicht klein beigeben. Ich bin kein Haustier oder jemandes Eigentum!«
Partu schmunzelte, dann drehte er sich zum Fenster. Eine weitere Reaktion oder Antwort von ihm bekam ich nicht. Trotz meiner unzähligen Versuche, ihn mit fragenden Blicken dazu zu bewegen doch noch etwas zu sagen, schwieg er eisern. Ich grübelte vor mich hin, was das Alles bedeuten sollte. War es richtig gewesen so ehrlich zu ihm zu sein? Würde er Marces davon erzählen? Während ich Partu weiter beobachtete, kam Marces zu uns.
Er hatte sein Telefonat beendet und schien sichtlich beruhigt darüber, dass nun endlich alles vorbei war.
»Ich bin so froh, wenn wir wieder zu Hause sind. Diese ganze Geschichte hätte nun wirklich nicht sein müssen. Ich habe auch so schon genug Arbeit. Gott sein Dank ist das Ganze noch glimpflich ausgegangen. Es wird Zeit, dass du lernst auf die Worte Älterer zu hören und nicht immer auf die anderen Drachenkinder. Sie sind viel zu schreckhaft«, erklärte er mir, während er neben mir Platz nahm und meine Hand ergriff.
Ich antwortete nicht. Was sollte ich auch darauf erwidern? Hatte er denn gar nichts begriffen?
»Sieh an. Du hast nichts mehr zu sagen? Kein ›Danke, dass du mich daraus geholt hast.‹ Nichts? Gar nichts? Wenn es nach Garushin gegangen wäre, dürftest du jetzt als seine Dienstmagd durch sein Haus laufen«, fügte er an, während er mich auffordernd ansah. Als ich abermals nicht reagierte, strich er mit seiner anderen Hand über meine Wange, als wollte er mich trösten. Ich bemerkte, dass sie kalt war, aber sonst war da nichts mehr. Gar nichts. Keine Gefühle. Keine Liebe. Waren sie wirklich jemals dagewesen? War es eine Projektion von ihm? Hatte er mich manipuliert oder tat ich es selbst? Wo waren all die Gefühle hin? Ich seufzte leise.
Marces schmunzelte zufrieden, als er es bemerkte:
»Wir werden es uns richtig gemütlich machen zu Hause. Nur du und ich. Wie in alten Zeiten. Wir legen uns in den Garten und beobachten die Sterne. Dann schlafen wir zusammen ein und träumen von unserer ersten Begegnung.«
»Nein!«, erwiderte ich forsch und zog meine Hand weg. »Ich werde nicht mit dir in einem Bett schlafen.«
Marces verzog mürrisch das Gesicht. »Wie bitte? Was soll das heißen? Spukt dieser Bengel immer noch in deinem Kopf rum?«
Ich drehte mich zu ihm um. »Erstens ist er kein Bengel und zweitens ist das ja wohl meine Entscheidung! Ich werde im Gästezimmer schlafen. Davon haben wir schließlich genug in Jena.«
Daraufhin ergriff er erneut meine Hand, dieses Mal jedoch energischer. Dabei drückte er sie so fest, dass er mir wehtat. Ich sagte nichts, obwohl mein Handgelenk höllisch schmerzte. Diesen Sieg wollte ich ihm nicht gönnen. Er blickte mir tief in die Augen, als ob er nach etwas suchte. Sein liebevoller Blick war dem puren Hass gewichen. Ich versuchte stark zu sein. Bloß keinen Rückzieher machen, dachte ich mir.
Nachdem er realisiert hatte, dass ich meine Meinung nicht ändern würde, ließ er meine Hand wieder los. »Nun gut. Du schläfst im Gästezimmer. Vorerst. Aber du wirst das Haus nicht verlassen.«
Daraufhin erhob er sich, ohne ein weiteres Wort und lief grummelnd an mir vorbei. Ich hätte es dabei belassen sollen, aber mein Protest war geweckt.
»Du kannst mich nicht einfach einsperren! Was ist mit meiner Familie und meinem Studium?«, erwiderte ich patzig. »Was ist mit den anderen? Tara, Kira, ... «
Marces fuhr mir wütend ins Wort: »Ich kann was nicht? Dich einsperren?«, brüllte er, während er sich über mich beugte. Ich zuckte erschrocken zusammen. So hatte ich ihn noch nie zuvor erlebt. Er kochte vor Wut. Eine Sekunde später ergriff er energisch mein Kinn und zog mein Gesicht zu sich. »Ich sag dir jetzt mal, was ich kann. Du hast Hausarrest! Solange ich das sage. Und du wirst gefälligst tun, was ich will, ansonsten erlebst du mich von einer ganz anderen Seite. Du gehörst mir! Haben wir uns verstanden?«
Mir wurde schmerzlich bewusst, dass er mir absichtlich weh tat um mir seine Stärke zu demonstrieren. Als er bemerkte, dass ich am ganzen Körper erschrocken zitterte, gab er mir einen Kuss auf den Mund, um meine scheinbare Kapitulation zu besiegeln. Ich ließ ihn gewähren, weil ich einen Moment lang Schlimmeres befürchtete.
»Ich werde mir nehmen, was ich will. Hast du das verstanden?«, fügte er triumphierend an.
Ich nickte, während ich versuchte ihm nicht in die Augen zu sehen und mich zu beruhigen. Einen Moment später ließ Marces mich wieder los und richtete sich auf. »Und übrigens: Wir fliegen zurück nach Prag. Jena hat dich zu sehr verleitet. Deine Unterlagen fürs Studium lasse ich dir nachholen. Du wirst genug Zeit haben es von zu Hause aus fortzuführen. Deine geliebte Familie werde ich darüber informieren, dass du im Moment keine Zeit für sie hast. Wenn du dich benimmst und gehorchst, können wir vielleicht noch einmal darüber sprechen, ob und wann du mit ihnen reden darfst. Und was deine Schwestern und Brüder angeht: Dieses Drachenpack ... Da kannst du froh sein, wenn sie die Insel verlassen dürfen. Aber wiedersehen wirst du sie nicht.«
Dann drehte er sich um und lief ein paar Sitzreihen nach vorn, um sich dort in einen der anderen Sessel fallen zu lassen. Ich atmete tief ein und aus, legte meinen Kopf zurück. Oh, mein Gott! Was war da gerade passiert? War das sein wahres Gesicht? Wie sollte ich das überleben?

Befreiung der Drachenkinder

Varush lief schnellen Schrittes den Weg entlang zum Haus der Vampire. Er war fest entschlossen den Willen seines Vaters durchzusetzen. Ihm war bewusst, dass es nicht einfach werden würde, schließlich war er zum ersten Mal bei solch einem Treffen dabei.
Würde man ihn gewähren lassen? Würde der Ruf seines Vaters ausreichen, um die Vampire zum Einlenken zu bewegen?
Er dachte an die Worte seines Vaters. An die Lektionen. die er ihn über die anderen Unsterblichen geleert hatte: Niemals Schwäche zeigen. Niemals Angst spüren. Souverän sein und immer eine Alternative im Hinterkopf haben. ›Ja‹, das würde er sein oder es zumindest versuchen, dachte er bei sich. Er würde seinen Vater stolz machen.
»Sie werden uns nicht einfach einlassen.«, sagte Andal ruhig, während er versuchte mit Varush Schritt zu halten.
»Ich hoffe, die Erklärung reicht um sie umzustimmen«, erwiderte Varush mutig und wedelte mit der Dokument in der Luft umher. Er durfte jetzt keinen Fehler machen und vor allem musste er sich beeilen. Tamilia würde es ihm nicht erlauben die anderen mitzunehmen. Aber ihre Schergen waren vielleicht leichter zu überzeugen.
»Bist du dir sicher, dass wir nicht auf ihn warten sollten?«, fügte Andal irritiert an. »Nichts gegen dich, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Daamien eine so wichtige Aufgabe seinem siebzehnjährigen Sohn überträgt. Du bist noch ein halbes Kind.«
Varush blieb im selben Moment stehen und drehte sich zu Andal um. »Mein Vater zählt auf uns! Er muss sich um Niel kümmern. Er kann nicht überall gleichzeitig sein. Hilfst du mir nun oder willst du wieder umdrehen?«
Andal seufzte. Er war nicht unbedingt jemand, der zu allem und jedem seine Meinung dazu gab. Aber an dieser Angelegenheit lag ihm wirklich etwas und das brachte ihn in einen innerlichen Zwiespalt. Einerseits hielt er Varush für zu unerfahren um diese Aufgabe zu bewältigen und hätte sie lieber selbst erledigt. Anderseits schätzte er Daamiens Meinung und der glaubte an seinen Sohn. Was sollte er also tun?
»Natürlich helfe ich dir!«, antwortete er mit nachdenklichem Blick. »Ich hätte nur nicht gedacht, dass er dich schickt. Nimm mir das nicht übel. Aber Daamien hat mehr diplomatische Erfahrung als du und das wird hier bitter von Nöten sein. Hier herrschen seit Jahrhunderten erbitterte Machtkämpfe. Da braucht es Fingerspitzengefühl. Diese verdammte Insel verschlingt einen sonst.«
Während er dies sagte, wechselte sein Gesichtsausdruck von nachdenklich zu ernst. Er wollte Varush bewusst machen, dass dies kein Zuckerschlecken werden würde.
Varush zögerte. Was sollte er darauf antworten? Natürlich hatte er nicht die Erfahrung, die sein Vater hatte. Aber er hatte viel von ihm gelernt. Hatte jedes Wort, das er gesagt hatte aufgesogen und versucht zu behalten. War er so gut wie sein Vater? Natürlich nicht! Das wusste Varush selbst. Aber hätte sein Vater ihm diese Aufgabe übertragen, wenn er nicht an ihn glauben würde? ›Nein‹, dachte er bei sich. ›Ich schaffe das. Diese Insel, diese korrupten Leute werden mich nicht besiegen.‹ Er atmete tief durch und blickte zur Burg hinauf. Irgendwo dort wartete sein Vater gerade auf die Möglichkeit mit Niel zu sprechen. Er versuchte sich zu sammeln und dachte an seines Vaters Worte: ›Mach dir die Schwächen der anderen zu nutzen. Sei aufrichtig, aber fordernd. Sei diplomatisch, aber konsequent.‹
»Wir schaffen das!«, antwortete Varush schließlich und lief entschlossen weiter. »Ich werde euch beweisen, dass ich gut aufgepasst und sehr viel von euch gelernt habe.«
Andal folgte ihm daraufhin stillschweigend. Da er Varush nicht davon überzeugen konnte, die ganze Sache ihm zu überlassen, blieb ihm keine andere Wahl, als ihm zu helfen und das Beste daraus zu machen.
Als sie am Haus der Vampire ankamen, trafen sie auf Gilion, der vor der Eingangstür mit einem großen muskulösen Mann diskutierte. Als Gilion Varush bemerkte, deutete er seinem Gegenüber an Ruhe zu bewahren. Irgendetwas hatte ihn sichtlich aufgebracht. Varush atmete tief ein und aus. Er hoffte inständig, dass Gilion noch keine Anweisung von Tamilia erhalten hatte.
»Varush, was willst du hier? Solltest du nicht bei deinem Vater sein? Ist ja nett, dass du uns Gesellschaft leisten willst, aber Kinder sollten auf der Insel nicht alleine umherirren«, rief ihm Gilion mit einem schäbigen Grinsen zu.
Varush trat daraufhin langsam an ihn heran und begrüßte ihn höflich: »Hallo, Gilion. Wir möchten die Drachenkinder abholen. Wir werden sie umgehend zurück nach Norwich bringen. Dann können sie keinen weiteren Schaden anrichten.« Dabei ließ er sich seine Wut über Gilions Worte nicht anmerken. Schließlich war er nun schon der Zweite, der ihn für zu naiv und unerfahren hielt.
»Wir haben keine Anweisungen diesbezüglich. Wir werden sie nicht gehen lassen!«, antwortete der andere Mann.
»Malik! Halt dich zurück!«, fuhr ihm Gilion ins Wort. Malik war ein sichtlich mürrischer alter Mann. Seine langen weißen Haare hatte er zu einem sorgfältigen Zopf zusammengebunden. Sein schwarzer Anzug war säuberlich gebügelt und gesteift. Er war ein absolut pflichtbewusster und höriger Geselle.
»Entschuldige Varush. Malik hat keine Manieren. Aber er hat nicht ganz Unrecht. Wir haben keinerlei neue Anweisungen von Prinzessin Tamilia bekommen. Wir können die Drachenkinder nicht einfach gehen lassen.«
»Das ist mir bewusst.«, antwortete Varush mit ruhiger und besonnener Stimme und rollte die Erklärung aus. »Ich habe die Erklärung über den Ablauf des Konzils mitgebracht. Auf dieser ist vermerkt, dass ich zitiere: ›Die Drachen Tara, Kira, Le, Osiris, Danny und Elen bleiben ebenfalls im Haus der Vampire, haben aber freien Zugang zur gesamten Insel. Die Teilnahme am Konzil wird ihnen aufgrund eventueller Verstrickungen untersagt. Mit Ende des Konzils werden diese Verstrickungen vom Gericht als nichtig erklärt und sie können ihrer freien Wege gehen.‹ Du kannst es gerne nachlesen.«
Während er dies sagte, übergab er Gilion das lange Schriftstück. Andal wollte etwas hinzufügen, aber Varush hielt ihn mit einem kurzen Kopfschütteln davon ab. Er wusste instinktiv, dass sie genau in diesem Moment Ruhe bewahren mussten.
Gilion überflog die Zeilen einmal, zweimal und grummelte dabei vor sich hin: »Das steht da wirklich. Aber ich habe ... «
»Und wenn du ganz am Ende angekommen bist, siehst du das sowohl die Hüter als auch der König und die Königin die Erklärung unterschrieben haben. Es ist also eine offizielle Anweisung.«, fügte Varush ruhig hinzu.
Malik verzog das Gesicht. »Wir müssen Prinzessin Tamilia informieren! Wir können sie nicht einfach gehen lassen!«
Gilion gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er den Mund halten sollte, bevor er sich zum dritten Mal mit den Zeilen befasste.
Varush atmete unterdessen langsam ein und aus. Er wollte sich seine Nervosität auf keinen Fall anmerken lassen. Aber seine Hände zitterten vor Aufregung.
»Nun? Wollt ihr euch der Anweisung widersetzen?«, hakte er nach.
Gilion schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Malik, hole die Drachenkinder. Wir übergeben sie an die Beiden. Sie sind jetzt ihr Problem.«
»Aber wir haben keine ... «, antwortete Malik zornig.
»Geh schon! Ich werde es Prinzessin Tamilia erklären, wenn sie kommt«, unterbrach Gilion ihn und deutete ihm an, dass er sich endlich in Bewegung setzen sollte.
Malik tat schließlich, wie ihm befohlen wurde.
Gilion wandte sich unterdessen wieder Varush zu. »Die Erklärung behalte ich. Nur für den Fall, dass die Prinzessin fragen sollte. Sie kann sehr jähzornig sein.«
»Einverstanden«, erwiderte Varush kurz. Jetzt wo anscheinend alles glatt ging, rutschte ihm langsam das Herz in die Hose. Das Adrenalin wich aus seinen Adern. Sein Körper zitterte immer mehr vor Anspannung. Hatte er es wirklich geschafft? Er konnte es kaum glauben. Wie stolz würde sein Vater nun auf ihn sein.
»Bleib ruhig«, flüsterte Andal ihm zu, als er Varushs zitternde Hände bemerkte. »Du hast das super gemacht.«
Varush nickte kurz, verschränkte seine Arme und konzentrierte sich darauf seine Anspannung zu überspielen, indem er zu Gilion sagte: »Wenn sie nicht mehr auf der Insel sind, können sie auch keinen weiteren Ärger machen.«
»Wann werdet ihr abreisen?«, fragte Gilion ihn daraufhin.
»Morgen, denke ich«, antwortete Varush besonnen, während er innerlich hoffte, dass das bald alles vorbei war. Diese Welt war noch um einiges korrupter und festgefahrener als sein Vater es jemals hätte beschreiben können. Er hatte Recht behalten mit seinen Worten. Varush erinnerte sich an ein Gespräch mit ihm, indem sein Vater zu ihm sagte: ›Je älter die Unsterblichen werden, umso machthungriger werden sie. Stell dir ein wildes Tier vor, das vom Fleisch anderer lebt. Solange es sterblich war, lebte es um zu überleben. Jetzt wo es unsterblich ist, lebt es um zu zerstören. Es zerfleischt sich selbst in seiner Gier nach Macht.‹
»Ich bin auch heilfroh, wenn wir wieder in Afrika sind. Das Wetter hier gefällt mir gar nicht. Und diese ganzen Trolle machen es nicht besser«, fügte Gilion an und riss ihn damit aus seinen Gedanken.
Varush schmunzelte. »Vielleicht sollten wir einen neuen Posten einführen: Wettertroll.«
Gilion lachte. »Du bist wirklich der Sohn deines Vaters. Immer für einen Scherz gut. Nun gut. Ich gehe mal rein zu Malik und sehe, wo er mit den Drachenkindern bleibt.«
Varush nickte zustimmend.
Nachdem Gilion verschwunden war, wandte sich Varush Andal zu. »Soll ich sie begrüßen? Oder sollten wir sofort verschwinden?«
Andal runzelte die Stirn. »Wieso fragst du das? Hast du dir das nicht überlegt?«
Varush schüttelte den Kopf. »Soweit habe ich nicht gedacht. Ich habe die ganze Zeit überlegt, wie ich es den Vampiren beibringe« lachte er und kratzte sich verlegen am Kopf. »Das habe ich dabei ganz vergessen.«
Andal schmunzelte. »Eben doch der kleine Bub und nicht der Vater! Wir sollten sie sofort abführen, wenn sie rauskommen. Demonstrieren wir eine zu enge Bindung zu ihnen, könnte das Gilion misstrauisch werden lassen und wir wollen ja nicht, dass er einen Rückzieher macht. Für Fragen beantworten haben wir in unserem Haus noch genug Zeit.«
»In Ordnung«, erwiderte Varush. Obwohl er, wenn er darüber nachdachte, nicht so recht wusste, wie er das anstellen sollte. Wenn er an Elen oder Danny dachte, war dies überhaupt kein Problem. Aber wenn er Tara sah, dann fing sein Herz vor Glück an zu rasen. Sein Puls bebte und er sah nur noch sie.
Dieses Gefühl seinen eigenen Seelenverwandten gefunden zu haben, mit dem man sein restliches Leben teilen wollte, hatte er vorher nicht gekannt. Seine Mutter hatte ihm davon erzählt, aber glauben wollte er es nicht. Frauenkram, dachte er immer und ignorierte es. Aber auf einmal war er mittendrin. Er seufzte leise. Vielleicht hätte er seiner Mutter doch besser zuhören sollen. Er blickte auf die Tür und hoffte inständig, dass er eisern bleiben konnte.
Ein paar Minuten später traten Gilion und Malik zusammen mit den Drachenkindern aus dem Haus.
Tara strahlte vor Freude, als sie Varush erblickte. »Varush!« Sie lief auf ihn zu und gab ihm einen Kuss. Als sie selbst ihre forsche Art bemerkte, wurde sie ganz rot.
Kira und Elen kicherten im Hintergrund. »Unser Retter auf dem weißen Ross.«
»Wo ist das Ross?«, hakte Osiris lachend nach. Wofür er von Elen einen bösen Blick und von Kira einen sanften Schlag in den Bauch erntete. Varush freute sich riesig über den Kuss, aber er hatte Andals Worte noch immer im Hinterkopf. Er drehte sich daraufhin zu Gilion um: »Danke, Gilion. Wir kümmern uns jetzt um die Drachenkinder.«
Glücklicherweise hatte Gilion von dem Kuss nichts mitbekommen. Er diskutierte mit Malik schon wieder über irgendetwas. Danny und Osiris sahen Varush verwundert an. Elen, Kira und Le waren zum Glück noch immer mit Tara beschäftigt.
»Alles in Ordnung? Was ist passiert?«, fragte Danny Varush.
»Wir müssen sofort gehen. Wir erklären euch alles, wenn wir in unserem Haus sind«, antwortete er.
Osiris runzelte die Stirn. »Okay. Das klingt nicht gut.«
Varush nickte, dann wandte er sich den anderen zu. »Kommt jetzt, bitte.«
Le folgte Varushs Aufforderung, ohne eine weitere Reaktion und lief zusammen mit Andal vor. Osiris schnappte sich Tara und zog sie förmlich davon. Varush, Elen, Kira und Danny bildeten das Schlusslicht.
Als sie am Haus der Werwölfe ankamen, fiel die ganze Anspannung von Varush ab. Er seufzte leise. Er hatte es tatsächlich geschafft. Nerifteri und Aura standen bereits vor dem Haus und warteten ungeduldig.
Als Nerifteri ihren Sohn erblickte, lief sie sofort zu ihm und umarmte ihn. »Sehr gut gemacht, mein Schatz. Ich bin so stolz auf dich!«
»Danke, Mutter. Andal hat mir geholfen«, antwortete Varush verlegen und kratzte sich am Hinterkopf.
»Den Großteil hat er allein gemacht«, fügte Andal respektvoll hinzu und klopfte Varush fast väterlich auf die Schulter.
»Kommt rein«, rief Aura von weitem und öffnete einladend die Tür.
Kira, Osiris, Danny und Elen folgten ihrer Aufforderung ohne Zeit zu verlieren. Andal und Le warteten bis Nerifteri ebenfalls wieder nach drinnen trat.
Nur Varush und Tara blieben einen Moment allein zurück.
»Tut mit Leid, dass ich vorhin so schroff war«, erklärte Varush ihr nachdenklich. »Ich wollte nur nicht, dass Gilion Verdacht schöpft und euch wieder einsperrt.«
Er hoffte inständig, dass er Tara damit nicht verletzt hatte. Denn er wollte sie auf keinen Fall verlieren. Wenn er an ihre erste Begegnung im Haus der königlichen Familie zurückdachte – ihr schüchternes Lächeln ..., der süße rote Kopf ..., dann klopfte sein Herz gleich schneller. Er hätte nicht gedacht, dass sie seine Gefühle erwiderte. Aber an dem Tag vor dem Konzil, als sie beide allein an den Klippen der Insel unterwegs waren, um mit Kelpie, Tassi und den anderen Wassertrollen zu reden, war Tara vom nassen Felsen abgerutscht und fiel direkt in seine Arme. In jenem Moment, als er sie auffing und ihr in die Augen sah, wusste er – Sie empfindet wie ich. Sie gehörte zu ihm.
Tara riss ihn aus seinen Gedanken. »Ich versteh das.« Dann trat sie näher an ihn heran, legte ihre Arme auf seine Brust und gab ihm einen langen Kuss.
»Ich liebe dich«, erwiderte Varush liebevoll und Tara antwortete leise: »Ich liebe dich auch.«
Hinter dem Nebel kann
sich so viel verbergen.
Du siehst es erst, wenn du hindurch fliegst.
(Trease)

Fassungslosigkeit

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