Kinder- und Jugendbuchverlage - Ulrich Störiko-Blume - E-Book

Kinder- und Jugendbuchverlage E-Book

Ulrich Störiko-Blume

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Beschreibung

Der Kinder- und Jugendbuchmarkt ist das zweitgrößte Teilsegment im Bereich der Publikumsverlage. Somit besitzen Kinder- und Jugendbücher nicht nur eine kulturelle Bedeutung, sondern haben auch einen hohen ökonomischen Stellenwert. Während sich das Umsatzvolumen der Belletristik seit der Jahrtausendwende auf einem Volumen oberhalb von 30 Prozent stabilisiert, verzeichnet das Kinder- und Jugendbuch weiterhin steigende Umsatzanteile und liegt aktuell bei rund 17 Prozent. Doch Marktdaten bieten nur das Grundgerüst für die gleichermaßen fundierten wie weitsichtigen Ausführungen. Im Vordergrund stehen die ›Macher‹, die mit ihrer Individualität das Marktgeschehen prägen: Autorinnen und Autoren, Illustratoren und Buchgestalter, Entscheidungsträger in Verlagen, Lektorinnen, Übersetzer*innen und freie Mitarbeiter:innen, um nur einige von ihnen zu nennen.

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BRAMANN Basics – buch & medien

Band 6

Hg. von Klaus-W. Bramann und Anke Vogel

Ulrich Störiko-Blume

Kinder- und Jugendbuchverlage

Macher, Märkte, Medien

Für Monika

Alle Titel der Reihe werden in der Deutschen Nationalbibliografie angezeigt.

Die Deutsche Nationalbibliothek bietet nach Erscheinen detaillierte bibliografische Informationen unter https://www.dnb.de/

© 2021 Bramann Verlag, Frankfurt am Main

Alle Rechte vorbehalten

Herstellung

Margarete Bramann, Frankfurt am Main

Druck und Bindung

Druckerei TZ-Verlag & Print GmbH

Printed in Germany 2021

ISBN (Print)978-3-95903-015-1

ISBN (EPUB)978-3-95903-108-0

Mit herzlichem Dank an

Christian Stottele, Wolfgang Hartmann, Christian Warweg, Peter Usborne, Gert Frederking, Volker Neumann, Brigitte Obermayer, Karl Heinz Pütz, Craig Virden, Renate Raecke, Hans-Joachim Gelberg, Andreas Meyer, Edite Kroll, Michael Krüger und viele weitere kluge Buch- und Verlagsmenschen.

Inhalt

Vorwort der Herausgeber

1Einführung

1.1Verlegen heißt: Büchern Chancen geben

1.2Kinder brauchen Bücher

1.3Studien zum Leseverhalten

1.4Vom Wert des Papier-Buchs

1.5Das Kinder- und Jugendbuch zwischen Literatur, Pädagogik, Unterhaltungswirtschaft und Buchhandel

1.6Das Kinder- und Jugendbuch als zweitgrößte Teilbranche des Buchmarkts

2Typen von Kinder- und Jugendbuchverlagen und ihre Marktbedeutung

2.1Zahl und Struktur der Kinder- und Jugendbuchverlage

2.2Der Vertrieb: Nadelöhr oder Türöffner?

2.3Aufmerksamkeit gewinnen

2.4Alternative Verlagsformen – Ergänzung, Erweiterung oder Überflutung des Marktes?

3Wie ein Programm entsteht

3.1Verlag, Imprint, Marke

3.2Programm-Findung

3.3Das Verlags-Portfolio

3.4›Make or Buy‹ – eigene Buchrechte schaffen oder Lizenzen einkaufen?

3.5Spitzentitel, Midlist, Pressetitel

3.6Klassiker, Bestseller, Flops

3.7Die Backlist

4Macher und ihre Motive

4.1Menschen haben Motive für ihr Tun

4.2Die Kreativen: Autoren, Übersetzer, Illustratoren, Lektorinnen, Assistentinnen, Gestalter

4.3Die Kommunikativen: Marketing-Experten, Pressereferenten, Event- und Veranstaltungsmanager, Werbefachleute, Internet-Spezialisten

4.4Die Kommerziellen: Vertriebler im Innen- und Außendienst, Key-Accounter

4.5Die Kaufmännischen: Personaler, Buchhalter, Vertragsexperten, Datentechniker, Controller

4.6›Kindernah‹ – wie lässt sich dieser Anspruch erfüllen?

5Die Beziehung Autor/Verlag

5.1Der literarische Autor

5.2Der Sachbuch-Autor

5.3Das rechtliche Verhältnis Autor/Verlag

5.4Die Rolle der Agenturen

5.5Der Autor als Promoter seines Werkes

6Das Zusammenwirken der Verlagsfunktionen

6.1Routine und Innovation

6.2Planung versus Risiko und Improvisation

6.3Buchkalkulation

6.4Anforderungen an Mitarbeiter in Kinder- und Jugendbuchverlagen

6.5Freie Mitarbeiter

6.6Frauen und Männer in Kinder- und Jugendbuchverlagen

7Ausblick

Anhang

#Spotlights

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Sachregister

Verlags- und Namensregister

Vorwort der Herausgeber

Der Kinder- und Jugendbuchmarkt nimmt den zweiten Rang im Bereich der Publikumsverlage ein. Damit hat dieses Marktsegment nicht nur kulturelle Bedeutung, sondern besitzt auch ökonomische Relevanz. Seit Jahrzehnten verzeichnet man steigende Umsätze und der Marktanteil des Kinder- und Jugendbuchs liegt aktuell bei rund 17 % des Gesamtumsatzes der Branche. Doch nicht Daten stehen im Vordergrund dieses Titels, sondern Menschen, die mit ihrer Individualität das Marktgeschehen prägen: Autorinnen und Autoren, Programmleiter, Lektorinnen, Übersetzerinnen und freie Mitarbeiter, um nur einige von ihnen zu nennen.

Aus pragmatischen Gründen werden im Folgenden keine *Sternchen, Versal-Is oder andere Signale eingesetzt, die auf geschlechtliche Diversität hinweisen. Da wiederholt Berufsbezeichnungen genannt werden, würden solche Markierungen die Aussagekraft nicht erhöhen. Der Autor ist sich bewusst, dass in allen Berufsrollen Menschen beiderlei Geschlechts oder mit unterschiedlichen geschlechtlichen Orientierungen arbeiten. Dies wird auch von den Herausgebern respektiert und ausdrücklich begrüßt. Ferner werden im Fließtext durchgängig die Abkürzungen KJB sowie KJBV für ›Kinder- und Jugendbuch‹ bzw. ›Kinder- und Jugendbuchverlag‹ verwendet, um ein unnötiges Aufblähen des Textkorpus zu vermeiden.

Ulrich Störiko-Blume betreibt seit 2015 die ProjektAgentur, die Manuskripte an Kinder- und Jugendbuchverlage vermittelt. Seine Erfahrungen hat er als Lektor und Verlagsleiter in bekannten Verlagen sowie in einschlägigen Verbänden der Branche gesammelt. Er hält Vorträge, schreibt Artikel in Fachzeitschriften und wirkt als Dozent am Zentrum für Buchwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München.

April 2021

Klaus-W. Bramann und Anke Vogel

1

Einführung

Die Formel 6 x M besagt: Die Buchbranche ist ein von Menschen betriebenes komplexes Aktionsfeld; in ihm arbeiten Macher mit bestimmten Motiven, die Medien produzieren; sie haben Mechanismen entwickelt, mit denen sie die Märkte bedienen.

Ein spezielles Marktsegment bilden die Kinder- und Jugendbücher. Hier nehmen Schriftsteller und Illustratoren ihre potenziellen Leser auf eine besondere Weise ernst; hier (er)finden sie für Kinder und Jugendliche Geschichten; hier bemühen sie sich, ihnen die Welt zu erklären; dabei gehen sie sehr bewusst mit der Sprache um; gemeinsam mit ihren Verlagen suchen sie die adäquate Buchform.

Kinder- und Jugendbuchverlage sind wie Katalysatoren: Sie verwandeln die Schöpfung der Autoren vom Manuskript-Stadium in fertige Bücher. Sie betreuen die Interaktion zwischen Autoren, die Kindern und Jugendlichen etwas zu sagen haben, und den jungen Lesern, die mehr über die Welt wissen wollen, als sie selbst jemals werden erfahren können. Verlage bringen ›gute‹ Geschichten ›in Form‹ – das ist ihre genuine Leistung. Mit ›gut‹ ist hier gemeint: der Stoff kommt an; die Figuren bewegen; die Verbindung von Inhalt und Form fasziniert; und man ist bereit, hierfür Geld auszugeben.

Deutschland hat den besten Buchhandel der Welt – das soll kein Eigenlob sein, sondern so bestätigen es immer wieder Kollegen aus anderen Ländern. Das Netz der Buchhandlungen ist so dicht wie nirgends sonst. Praktisch jede Buchhandlung liefert fast jedes Buch über Nacht, und das überall zum festgelegten #gebundenen Ladenpreis. In allen Wirtschaftskrisen der Vergangenheit verlief die Buchhandels-Konjunktur besser als die allgemeine Konjunktur, auch besser als die des Einzelhandels mit Konsumgütern, zu denen Bücher statistisch zählen. Das hat sich auch während der Lockdown-Zeit in der Corona-Pandemie 2020/2021 gezeigt, als der Umsatzeinbruch in Grenzen gehalten werden konnte, wobei das KJB mit knapp 5 % ein beachtliches Wachstum verzeichnete. Dafür gesorgt hat aber nicht die Logistik von #Amazon, sondern der Einfallsreichtum und das erhebliche Zusatz-Engagement vieler Buchhandlungen. Die Buchbranche steht relativ gut da, u.a. auch deshalb, weil die Distribution analoger Bücher hocheffizient organisiert ist, vergleichbar nur der Medikamenten-Lieferung an die Apotheken. Der Wettbewerb sorgt dafür, dass an der Kostenoptimierung der Prozesse ständig gearbeitet wird.

1.1

Verlegen heißt: Büchern Chancen geben

Was heißt Verlegen, und mit welcher Zielsetzung werden Verlage, insbesondere Kinder- und Jugendbuchverlage (im Folgenden KJBV) betrieben? Die Wege und Methoden, die programmatischen und die unternehmerischen Ziele mögen sich noch so sehr unterscheiden – die Kernaufgabe lautet: Finde Autoren, lass sie Geschichten schreiben und bring diese als Bücher zu den Lesern! Über die Existenzberechtigung eines Verlages entscheidet in unserem System zum Glück keine Behörde oder Kommission, sondern der Markt. Der Markt ist kein ideologisches Konstrukt, erst recht kein gottähnliches Wesen, und man sollte ihn keinesfalls idealisieren – so als ob er immer nur Gutes hervorbrächte. Der Markt hat durchaus negative Seiten. Auf den #Bestsellerlisten ganz oben stehen jede Menge Bücher, über deren Qualität man erheblich unterschiedlicher Meinung sein kann. #Filialisten zwingen selbstständige Buchhandlungen zur Aufgabe oder zum Verkauf ihres Geschäfts. Große Verlage schlucken kleine. Bücher, die gewisse Drehzahlen nicht erreichen, werden gnadenlos remittiert und landen entweder auf dem Ramschtisch oder im Schredder. Viele Autoren können von den Honoraren aus dem Verkauf ihrer Bücher nicht leben.

Aber auf ebendiesem Markt werden auch Bücher von literarischen Autoren gekauft, versetzen sich lesende Kinder in das Leben von Gleichaltrigen auf der Flucht aus ihrem vom Krieg erschütterten Heimatland, werden Augen und Sinne geöffnet für die Schönheit und Verletzlichkeit unseres Planeten, wird gelacht und geweint. Verlage sind nicht zum Verhindern von Publikationen da – so wird das ja oft von abgelehnten Manuskripteinsendern dargestellt. Verlage wählen aus, in der Regel aus guten Gründen. Und die Buchhandlungen wiederum stellen aus deren Programmen ihr – ebenfalls ausgewähltes – Sortiment zusammen.

Ein Markt lässt sich verstehen als ein Ort, an dem Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen. »Der Markt liest nicht« hat der frühere Hanser-Verleger Michael Krüger einmal zutreffend formuliert. Hans-Joachim Gelberg, Gründer und langjähriger Leiter von Beltz & Gelberg, hat sinngemäß gesagt: Bücher werden nicht geschrieben, weil es einen Markt gibt, sondern weil Autoren etwas mitzuteilen haben.

Markt ist, wo das Angebot der Schreibwilligen auf die Nachfrage der Lesewilligen trifft. Jeder kann schreiben, was er will. Jeder kann drucken lassen, was er will. Jeder kann heute als Self-Publisher (siehe Kap. 2.4) ins Netz stellen, was er will. Zum Glück haben wir diese für ein demokratisches Gemeinwesen konstitutive Freiheit (sofern dabei die Gesetze respektiert werden). Aber nur, weil das Verbreiten von Büchern so einfach geworden ist, bedeutet das noch lange nicht, dass man die Veröffentlichung jeder beliebigen Schrift durch jeden beliebigen Autor begrüßt.

Redaktionen, Verlage und Lektorate haben eine Filterfunktion; sie prüfen und wählen Autoren und Beiträge aus, […] und entscheiden nach kognitiv überprüfbaren Geltungsansprüchen über die Veröffentlichung. (Habermas 2020, 106)

Früher wie heute verlegen Verlage Bücher nicht einfach deshalb, weil ein Verfasser das so will oder gar dafür bezahlt. Niemand jenseits seines persönlichen Umfelds wird solche nur privat motivierten Schriften lesen wollen; das ändert sich auch nicht deshalb, weil sie im Internet im Prinzip jedermann leicht zugänglich zu machen sind. Eine Aufgabe von Verlagen ist es, den geprüften und lektorierten Büchern ihre Chance zu verschaffen – und die Leserschaft (und den Buchhandel) vor chancenlosen, schlecht geschriebenen, abseitigen und überflüssigen Büchern zu bewahren.

Es gibt keine universalen Rezepte, keine verbindlichen Regeln oder gar Vorschriften, wie ein Verlag zu führen ist. Der Stil eines Verlages lässt sich daran erkennen, wie er mit dem ewigen Widerspruch von Kunst und Kommerz umgeht. Es droht ein Übergewicht des kommerziellen Denkens, wenn Lektorate immer mehr zum Produktmanagement mutieren; wenn Verkaufszahlen das eigene Urteil ersetzen; wenn gefordert wird, #Kalkulationen statt Buchkonzepte zu optimieren. Und man wird auf Dauer nicht bestehen, wenn man durch zu aufwändige interne Prozesse seine Kosten nicht in den Griff bekommt oder aufgrund von Marktferne Bücher anbietet, die sich nicht in ausreichenden Stückzahlen verkaufen.

Wenn ein Verlag sich für eine Buchidee entschieden hat, übernimmt er die Kosten, diese in Form zu bringen und zu vervielfältigen. Dafür geht er ein – häufig erhebliches – Risiko ein. Oft genug geht es schief. Man riskiert nur aus wenigen Gründen etwas: aus Ahnungslosigkeit, aus Übermut, aus Leidenschaft oder aus Kalkül. Gute Verlage werden in einer Kombination von Leidenschaft und Kalkül betrieben.

Auch KJBV haben einen Doppelcharakter als Wirtschaftsunternehmen und als Kulturträger. Unter Verwendung dieser einfachen Bipolarität kann man die unterschiedlichen Verlage mal eher auf der kulturellen, mal eher auf der kommerziellen Seite angesiedelt sehen. Was es allerdings nicht gibt, sind einbeinige Extreme. Professionell verlegen heißt also genauer: ausgewählten Büchern Chancen verschaffen.

1.2

Kinder brauchen Bücher

Diese These, die sich auch als Forderung verstehen lässt, ist der Titel einer berühmten Studie von Bruno Bettelheim. Sie trägt den Untertitel Lesen lernen durch Faszination und drückt die gleiche Grundüberzeugung aus, in der auch das vorliegende Buch geschrieben wurde. Bettelheims Werk wurde nach jahrelangen Studien des Psychologen und seiner Mitarbeiter in US-amerikanischen Schulen geschrieben. Zur Zeit dieser Untersuchungen war die einzige Form, Bücher anzuschauen oder zu lesen, das auf Papier gedruckte Buch. Um Geschichten zu lesen, musste man Bücher lesen. Deshalb konzentrieren sich Bettelheims Überlegungen darauf:

Erlebt es [das Kind, Erg. d. Verfassers] das Lesen als etwas Interessantes, Wertvolles und Erfreuliches, so wird ihm die Mühe, die das Lesen lernen kostet, im Vergleich zu den Vorteilen, die es einbringt, kein zu hoher Preis sein. Es ist ziemlich einfach, dem Kind diesen Eindruck zu vermitteln, falls man dabei von seinem Elternhaus unterstützt wird. (Bettelheim 1982, 14)

Die Bedeutung des Lesen-Könnens

Was ist Lesen? Man tut gut daran, sich die einmalige und unersetzliche Bedeutung des Lesens immer wieder klarzumachen. Durch das Entziffern der abstrakten Codes, die wir Buchstaben nennen, entstehen beim Leser Vorstellungen, sinnhafte Bilder, Gedanken, Zusammenhänge, Abläufe, Emotionen. Ein komponiertes, gestaltetes Ganzes solcher Codes erzeugt Eindrücke in unserem Innern, die sich z.B. zu einer Geschichte zusammensetzen.

Im Gegensatz zu seinen Komponenten, wie Sehen und Sprechen, die genetisch organisiert sind, existiert für das Lesen kein unmittelbares genetisches Programm, das es an zukünftige Generationen weitergibt. […] Dies ist ein Grund, warum sich das Lesen – wie jede kulturelle Erfindung – von anderen Prozessen unterscheidet und warum es unseren Kindern nicht ganz von selbst in den Schoß fällt. (Wolf 2009, 13)

Bücher kann man nicht passiv in sich aufnehmen – Lesen ist ein aktiver Prozess, der die gesamte Aufmerksamkeit des Lesenden erfordert. Wenn man das einmal in seinem Gehirn zu synthetisieren gelernt hat, steht einem eine Welt offen. So wie ein Radfahrer entscheiden kann, wohin und wie schnell er fahren möchte, kann der Leser entscheiden, was und in welchen Portionen er lesen will. Die ganze Welt (soweit sie aufgeschrieben und publiziert wurde), wird lesbar; Gedanken, Erfahrungen, Gefühle und eben Geschichten werden auf eine ganz persönliche Rezeptionsweise verfügbar.

»Das Verb lesen duldet keinen Imperativ. Eine Abneigung, die es mit ein paar anderen teilt: dem Verb lieben, dem Verb träumen.«

Daniel Pennac, Wie ein Roman

Lesen-Können ermöglicht Kindern den Zugang zu erheblichen Teilen der Welt, die vor dem Erwerb dieser Fähigkeit den Erwachsenen vorbehalten waren. Lesen ist ein Universalschlüssel zum Entziffern von allem, das schriftlich vorliegt, nicht nur von Büchern. Wenn dieses Tor einmal aufgeschlossen ist, eröffnen sich grenzenlose Räume des Lesbaren.

Der Prozess dahin ist allerdings mühsam, es ist wie alles wirkliche Lernen mit Anstrengung verbunden – aber auf die Mühe folgt auch die Belohnung.

Haben die Kinder erst einmal alle Buchstaben und Entzifferungsregeln gelernt, das verborgene Leben der Wörter erfasst und die verschiedenen Verständnisprozesse ins Rollen gebracht, kann die Erfahrung, dass das Lesen Gefühle hervorrufen kann, in ihnen eine lebenslange, leidenschaftliche Liebe zum Lesen wecken und sie zu kompetenten, verstehenden Lesern machen. (Wolf 2009, 158)

Somit kommt die Entwicklungspsychologin und Literaturwissenschaftlerin Maryanne Wolf zum gleichen Befund wie Bruno Bettelheim ein halbes Jahrhundert zuvor.

Die allermeisten Kinder erlernen in unserer Gesellschaft die Technik des Lesens. Wenn sie endlich lesen können, erfüllt es die Kinder in der Regel mit einem ähnlichen Glücksgefühl, wie wenn sie endlich Fahrrad fahren oder schwimmen können. Wenn es jedoch versäumt wird, bei einem Kind diese Leistung mit Glücks-Empfindungen, auch ›Flow‹ genannt, zu verbinden, wenn Freude am Lesen nicht erfahren wird, ist die Chance oft vertan. Wer als Kind nicht gern und freiwillig liest, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch als Erwachsener nicht zum privaten Leser. Dazu meint Alberto Manguel, bekannt geworden durch sein Werk Eine Geschichte des Lesens in einem Interview:

Ich glaube, es hilft, Kindern zu zeigen, wie viel Freude man selbst an Büchern hat. Aber man kann sie nicht zwingen, sich zu verlieben. (Manguel 2020)

Leselust›Leselust‹ ist ein schöner Begriff für intensiv empfundenen Umgang mit Büchern. Bilderbücher ermöglichen das schon bei ganz jungen Kindern, auch vorgelesene Geschichten, dann Kinderbücher, Jugendbücher sowie später die allgemeine Literatur. Lesen ist ein intimer Vorgang (ich bin mit dir, meinem Buch, allein; du bist nur für mich da; wir beide verstehen uns). Lesen geschieht so langsam, so schnell, so oft, wie ich will. Ein gutes Buch ist wie ein guter (Gesprächs-)Partner: verständnisvoll, aber vor allem macht er einen auf etwas aufmerksam, das man selbst nicht gekannt oder so nicht gesehen hat. Entrücktheit, Versunkensein, rote Wangen, Gleichgültigkeit gegenüber den Erfordernissen des Alltags – all das gehört zur Leselust bei Kindern genauso wie bei Erwachsenen.

Wenn das obligatorische Lesenlernen in der Schule nicht durch das freiwillige Anschauen, Vorlesen und Lesen von Büchern zu Hause ergänzt wird, stellt sich das Lesebedürfnis nicht ein. Dieser Prozess ist – bei allen Unterschieden – dem Sprechenlernen vergleichbar: Wenn ein Kind in einer bestimmten Phase nicht mit dem Sprechen beginnt (was aus ganz verschiedenen Ursachen vorkommen kann), wird es keinen normalen Sprachaufbau durchlaufen.

LesefrustDas Gegenteil von Lust und Liebe ist nicht nur Hass, sondern auch Gleichgültigkeit; der Feind der (roten) Leselust ist nicht einfach der (schwarze) Lesefrust, sondern das (graue) Desinteresse. Lesefrust kann sich einstellen bei einem Buch, das einem nicht gefällt: wegen des Themas, der Protagonisten, der Erzählweise etc. Wie ein abstraktes Gemälde oder ein eigenartiges Musikstück kann man ein Buch als unverständlich und unnahbar empfinden. Man ärgert sich, man ist abgestoßen. Als erfahrener Kunstbetrachter, Musikhörer und Leser wendet man sich dann anderen Künstlern, Bildern, Musikern bzw. anderen Autoren und Büchern zu. Wer allerdings ganz junge, unerfahrene Leser mit Büchern konfrontiert, die sie nicht zugleich fesseln und entfesseln, wird den schwarzen, aktivablehnenden Lesefrust ganz schnell in ein graues, voreingenommenes Desinteresse umwandeln, etwa Haltungen der Art ›Bücher sind langweilig, schwer zu verstehen und haben nichts mit mir zu tun‹.

Diese Art von Lesefrust ist gefährlich, wenn sie sich bei Kindern einstellt, die Leseglück nie erfahren haben. In jeder individuellen Bildungsgeschichte gibt es Zeitfenster für bestimmte Entwicklungsschritte. Wenn diese Fenster nicht innerhalb eines gewissen Zeitraums aufgestoßen wurden, bleiben sie meistens für immer verschlossen – oder können später nur mit einem gewaltigen Mehraufwand an Energie, Geschick oder Motivation noch geöffnet werden.

Lesen fürs LebenDer Erwerb der Lesefähigkeit wirkt sich also nicht nur auf die Kinderzeit aus, sondern auf das gesamte spätere Leben. Es lassen sich verschiedene Formen des Lesens unterscheiden:

• Lesen als elementare zivilisatorische FähigkeitLesen ist ein obligatorisches Kernelement des Ausbildungsauftrags der Schule im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht.

• Lesen, um sich in der Welt zurechtzufindenHinweisschilder, Gebrauchsanleitungen und schriftliche Mitteilungen liefern notwendige Informationen.

• Lesen, um Rechte und Pflichten wahrnehmen zu könnenMan muss Verträge lesen, um sie unterschreiben zu können.

• Lesen als Voraussetzung für das SchreibenWer sich schriftlich mitteilen will, muss schreiben können – das wiederum ist nicht möglich ohne Lesefähigkeit.

• Lesen zum Erwerb von WissenFachliche, berufliche und wissenschaftliche Qualifizierung kann nicht ohne Lesefähigkeit erreicht werden.

• Lesen als Aneignung von KulturEin wichtiger Teil unseres kulturellen Erbes, des Bildungskanons, der Gesetze und des gegenwärtigen Kulturschaffens liegt in geschriebener Form vor und entsteht weiterhin auf schriftlichem Wege.

• Lesen als persönliche BereicherungWer Lesen nicht nur als Pflicht erfährt, dem erschließt sich ein Universum von Möglichkeiten individueller Leseerfahrung.

• Lesen als UnterhaltungLesen kann zur Entspannung, zum ›Zeitvertreib‹, als Konsumvergnügen, als reiner Spaß genossen werden.

Welche Art zu lesen der erwachsene Mensch benötigt oder bevorzugt, bleibt ihm überlassen. Aber es ist nicht egal, ob, wann und mit welcher Motivation Kinder lesen lernen. Zugespitzt: Wenn Kinder nicht gerne lesen, werden sie es schwerhaben, in einer komplexen Welt mitzudenken. Texte leben vom Wort, dem Anfang und Element alles Denkens.

Lesen und Verstehen Oft werden diese Überlegungen, Anstrengungen und Aktivitäten unter dem Begriff #Leseförderung zusammengefasst. Anlässlich der Preisverleihungen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur hat der Lyriker, Autor und Übersetzer Uwe-Michael Gutzschhahn im Gespräch mit der Akademie-Präsidentin Claudia Maria Pecher im November 2020 den schönen Satz geprägt:

Die beste Leseförderung ist Leseerfahrung. (Gutzschhahn 2020)

Bei zu vielen Kindern sind Lesefähigkeit und Leseverständnis zu schwach ausgebildet, von Leselust ganz zu schweigen. Das kann individuelle und milieubedingte Ursachen haben. Um die Defizite auszugleichen und nicht größer werden zu lassen, existieren zahlreiche Initiativen zur Leseförderung. Hinter diesem hölzernen, stets ein wenig betulich klingenden Begriff verbirgt sich tatsächlich ein großes Thema unserer Gesellschaft. Klarer, als es die Autorin Kirsten Boie mit einigen weiteren Erstunterzeichnern am 15.08.2018 formuliert hat, kann man die Wichtigkeit des Lesens kaum auf den Punkt bringen.

Auf der Website www.change.org kann man zusehen, wie sich die Zahl der Unterschriften dem Ziel 150.000 nähert. Die Resonanz auf diese von zahlreichen bekannten Politikern, Autoren, Bildungsforschern und anderen Interessierten erstunterzeichnete Petition war erheblich. Dennoch musste Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des #Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, ein gutes Jahr seit der Übergabe der Hamburger Erklärung an die Vertreter der Politik feststellen, dass nichts passiert sei: »Es ist höchste Zeit für einen Lesepakt, bei dem Politik, Bildungsinstitutionen sowie breite Teile der Zivilgesellschaft Hand in Hand arbeiten.« (Börsenblatt vom 03.12.2019). Um diesem Ziel einen Schritt näherzukommen, haben Börsenverein und Stiftung Lesen am 03.03.2021 erstmalig einen (digitalen) Nationalen Lese-Summit abgehalten. 150 Organisationen bis hin zum Bundesministerium für Bildung und Forschung wollen gemeinsam dem Lesen größere Sichtbarkeit verleihen. Was dabei über die bekannten ›Sonntagsreden‹ hinaus konkret am Einsatz für das Lesen verbessert wird, bleibt abzuwarten.

Hamburger Erklärung

Seit dem vergangenen Dezember wissen wir: Knapp ein Fünftel der Zehnjährigen in Deutschland kann nicht so lesen, dass der Text dabei auch verstanden wird (18,9%, Internationale IGLU-Studie 2016). Im internationalen Vergleich ist Deutschland damit seit 2001 von Platz 5 auf Platz 21 aller beteiligten Länder abgerutscht und liegt unter dem EU- wie dem OECD-Durchschnitt. Zudem ist Deutschland das Land, bei dem das Ergebnis am stärksten von der sozialen Herkunft abhängt. Wer nach der Grundschulzeit nicht sinnentnehmend lesen kann, wird es in den weiterführenden Schulen nicht lernen. Denn hier wird Lesen nicht mehr gelehrt, sondern vorausgesetzt.

Lesen ist noch immer DIE Schlüsselqualifikation für die Teilhabe an der Gesellschaft. Die betroffenen 18,9 % der Kinder werden einmal unsere Erwachsenen sein. Neben den Folgen, die eine fehlende Lesefähigkeit für jeden Einzelnen von ihnen haben wird, sind auch die Folgen für die Gesellschaft insgesamt erschreckend. Ohne die Möglichkeit, einen qualifizierten Beruf zu erlernen, werden die meisten dieser Menschen vermutlich jahrzehntelang auf staatliche Unterstützung angewiesen sein. Umso wichtiger, dass JETZT in die Bildungspolitik investiert wird.

Die 16 Länder, die Deutschland im Ranking seit 2001 überholt haben, beweisen, dass und wie es möglich ist, die Lesefähigkeit aller Kinder signifikant zu steigern. Ein Land wie Deutschland, dessen wichtigste wirtschaftliche Ressource ein hoher Bildungsstand seiner Bevölkerung ist, kann das Thema nicht länger marginalisieren. Der Verweis auf gewachsene Probleme in der Schülerschaft reicht nicht aus. Auf die Analyse muss die Lösung folgen, und diese Lösung darf nicht länger an Elternhäuser und Ehrenamtliche delegiert werden. Nur die Schule erreicht wirklich alle Kinder.

Die Unterzeichner fordern die Politik in allen Bundesländern, die Bundesministerin für Bildung und Forschung, die Kultusministerkonferenz und die Bildungsminister aller Bundesländer daher dazu auf, für folgende Punkte Sorge zu tragen:

•Das Lesenlernen und Lesen muss sehr viel stärker in den Fokus der Bildungspolitik rücken.

•An den Grundschulen müssen frühzeitig Fördermaßnahmen in Kleingruppen eingeführt werden, die sich auf die reichlich vorliegenden Erkenntnisse der Leseforschung und die Erfahrungen der Lehrer stützen.

•Diese Förderstunden dürfen nicht für Vertretungsunterricht zweckentfremdet werden.

•Es müssen ausreichend Grundschullehrer eingestellt werden, um dieses Ziel umzusetzen. Das heißt: An den Hochschulen müssen deutlich mehr Studienplätze für die Lehrerausbildung geschaffen werden.

•Es muss Schulbibliotheken, Lesungen und Lektüreprogramme gerade auch an solchen Schulen geben, deren Schülerschaft eher bildungsfern ist. Die Lektüre altersgerechter Bücher vermittelt die Fähigkeit, komplexere Zusammenhänge aus längeren Texten zu entnehmen. So kann man später zum Beispiel Zeitungsartikel lesen und verstehen.

•Für all diese Zwecke müssen jetzt genügend Mittel in den Haushalten ausgewiesen werden. Das Lesen darf nicht den derzeitigen (kosten)intensiven Bemühungen um die Digitalisierung der Schulen zum Opfer fallen.

Unverbindliche Absichtserklärungen reichen nicht mehr aus. Deutsche Grundschulen müssen es schaffen, alle Kinder das Lesen zu lehren!

Quelle: https://lesefuechse.org/wp-content/uploads/2018/09/Hamburger-Erkl%C3%A4rung_Jedes-Kind-muss-lesen-lernen_150818.pdf

1.3

Studien zum Leseverhalten

Um sich ein Bild davon zu machen, welche Rolle Bücher und Lesen im Alltag von Kindern, Jugendlichen und Familien spielen, werden immer wieder Studien durchgeführt. Die Verlagshäuser Egmont Ehapa, Gruner + Jahr, Panini, SPIEGEL und ZEIT geben gemeinsam repräsentative Erhebungen zur Freizeitgestaltung unter den 7,38 Millionen 4- bis 13-jährigen Kindern in Deutschland in Auftrag. Zuletzt wurde der Kinder Medien Monitor 2020 veröffentlicht. Befragt wurden 6- bis 13-jährige Kinder und ihre Eltern sowie Eltern von 4- bis 5-jährigen Vorschulkindern. In der Tabelle ein Auszug, der für das Bücherlesen relevant ist.

Fazit für die 4- bis 5-Jährigen (knapp und abgerundet):

• Fast der kleinen Kinder lesen nie ein Buch bzw. bekommen nie vorgelesen,

• ¼ lesen selten oder nie ein Buch,

• ¾ lesen mindestens mehrmals pro Woche ein Buch bzw. bekommen vorgelesen,

• Keine gravierenden Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen.

Fazit für die 6- bis 13-Jährigen (knapp und abgerundet):

• Über der Kinder lesen nie ein Buch,

• ¼ lesen selten ein Buch,

• ⅔ lesen mindestens mehrmals pro Woche ein Buch,

• Jungen sind bei den Nicht- und Selten-Lesern stärker vertreten.

Mehr als zwei Drittel der Kinder gehen also intensiv mit Büchern um – das ist eine erfreuliche Nachricht. Da solche Marktanalysen eine Menge Geld kosten, sollte man immer fragen, wer sie aus welchem Grund in Auftrag gibt. Die hier genannten Presseverlage geben Zeitschriften für Kinder heraus und wollen die Nachfrage nach ihrem Produkt und nach ähnlichen Medien kennen. Das ist ein legitimes Interesse, und es gibt keine Indizien, die Zweifel an der Seriosität und Objektivität der Studie begründen.

Ähnliche Untersuchungen, in der Literatur als KIM- , FIM- und JIM-Studien bezeichnet, werden seit 1999 vom mpfs (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) betrieben. Dahinter stehen staatliche Landesanstalten für Kommunikation und Medien aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie die Medienforschung des öffentlichrechtlichen SWR (Südwest-Rundfunk) – es sind also keine kommerziellen Interessen zu vermuten.

Kinder im KindergartenalterDie mini-KIM-Studie 2014 bezieht sich auf die Kleinsten, die FIM-Studie 2016 ergänzt und bestätigt deren Erkenntnisse im Wesentlichen. Demnach befinden sich die Eltern der 3- bis 5-Jährigen zu 48 % im Alter bis 34 Jahre, zu 48 % zwischen 35 und 44 Jahren, zu 4 % ab 45 Jahre. Ihre Haushalte sind praktisch zu 100 % ausgestattet mit Fernseher, Computer, Internetzugang sowie Handy/Smartphone.

mini-KIM-Studie 2014/FIM-Studie 2016

Als Aktivitäten im Alltag werden in dieser Reihenfolge genannt:

1. Drinnen spielen

2. Draußen spielen

3. Buch anschauen/vorlesen (täglich 26 min.)

4. Fernsehen (täglich 43 min.)

Die Mediennutzung verteilt sich so:

1. Bücher anschauen/lesen/vorgelesen bekommen (93 %)

2. Fernsehen (86 %)

3. Videos/DVDs anschauen (67 %)

4. Hörspiele/Hörbücher hören (66 %)

5. Radio hören (49 %)

6. Spiele am Computer/Konsole (16 %)

7. Spiele auf dem Smartphone (10 %)

8. Spiele auf dem Tablet (9 %)

9. Im Internet surfen (7 %)

Die Beschäftigung mit Büchern:

1. 43 % der Kinder beschäftigen sich jeden Tag mit Büchern

2. weitere 44 % greifen ein- oder mehrmals die Woche zu Büchern

3. 5 % tun das selten

4. 7 % nie

Begeisterung für Bücher (nach Aussage der Haupterzieher):

1. 49 % der Kinder beschäftigen sich ›sehr gerne‹ mit Büchern

2. weitere 41 % ›gerne‹

3. 8 % ›nicht so gerne‹

4. 1 % ›gar nicht gerne‹

• Bücher/Comics sind bei 21 % ein Gesprächsthema in der Familie.

• 3 von 4 Kindern sehen regelmäßig fern, 90 % täglich oder mehrmals in der Woche.

• Das gemeinsame Lesen von Büchern/Comics findet bei 58 % statt.

• Täglich oder mehrmals in der Woche Bücher/Comicslesen bzw. vorlesen kommt bei 63 % vor.

• Zumindest selten kommt Bücher/Comics lesen/vorlesen bei 92 % vor.

Kinder (6 bis 13 Jahre)Die derzeit jüngste Untersuchung über Freizeitaktivitäten und Mediennutzung der Kinder ab Grundschulalter bis zum Beginn der Pubertät ist die KIM-Studie 2018. An Büchern und Lesen ›sehr interessiert‹ sind im Jahr 2018 15 % der Kinder, 2016 waren es 13 %; Mädchen stärker (19 %) als Jungen (11 %). ›Interessiert‹ sind weitere 35 % – also die Hälfte sind von sich aus für Bücher zu haben. 51 % besitzen ein eigenes Smartphone oder Handy, 39 % ein Smartphone. Die Smartphone-Zahlen erhöhen sich und dürften weiter auf eine Vollversorgung zulaufen. Dazu ist wissenswert, dass die Haushalte, in denen diese Kinder leben, praktisch zu 100 % mit Fernsehgerät, Internetzugang sowie Handy/Smartphone ausgestattet sind. Bei über 80 % sind Computer/Laptop vorhanden. 33 % der Kinder verfügen über einen eigenen Fernseher; 74 % sehen täglich fern. Noch ist also bei dieser Altersgruppe das Fernsehen der größte ›Zeitfresser‹, auch wenn das Zeitvolumen für TV langsam zurückgeht. So schlecht steht es also um den Umgang mit freiwilliger Buchlektüre in der Freizeit nicht; diese Werte erweisen sich zudem als relativ stabil.

KIM-Studie 2018

Faktische Freizeitaktivitäten der 6- bis 13-Jährigen:(jeden Tag/fast jeden Tag/ein- oder mehrmals pro Woche)

Rang

1. Fernsehen

96 %

2. Freunde treffen

92 %

3. Hausaufgaben/Lernen

91 %

4. Drinnen spielen

91 %

5. Draußen spielen

69 %

6. Familie/Eltern

77 %

7. Musik hören

72 %

8. Sport treiben

69 %

9. Digitale Spiele

60 %

10. Handy/Smartphone

60 %

11. Internet nutzen

55 %

12. Radio hören

54 %

13. Computer (offline)

53 %

14.Buch lesen

51 %

15. Zeitschrift lesen

22 %

16. Tablet nutzen

26 %

17.Bücherei/Bibliothek

11 %

18. Zeitung lesen

7 %

Jugendliche (ab 13 Jahre)Die Lebenswelt der 12- bis 19-Jährigen unter ›normalen‹ Verhältnissen wurde zuletzt in der JIM-Studie 2019 untersucht. Wegen der erwarteten rasanten Veränderungen war schon die JIM-Studie 2020 geplant, die dann trotz der veränderten Lebensbedingungen durch die Corona-Pandemie durchgeführt wurde. Die Jugendlichen sind praktisch zu 100 % ausgestattet mit Handy/Smartphone, Computer/Laptop, Internetzugang und Fernseher. 84 % haben Zugang zu einem Video-Streaming-Dienst, 76 % zu einem Audio-Streaming-Dienst; hier ist tendenziell eine weitere Zunahme wahrscheinlich.

35 % (Mädchen deutlich mehr als Jungen) lesen täglich oder mehrmals in der Woche Bücher. Diese Werte lagen 2009 bei 40 %, ein Höhepunkt war 2011 mit 44 %, er sank 2017 wieder auf 40 %.

Es lassen sich merkliche Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen ermitteln. Mit dem Lesen von Büchern verbringen die Jugendlichen an einem Wochentag 2019 durchschnittlich 53 Minuten (Mädchen 62 Min./ Jungen 45 Min.). Dieser Wert ist 2020 (Corona-bedingt) auf 74 Minuten gestiegen. Wenn man bedenkt, dass Lesezeit nur mit voller Aufmerksamkeit funktioniert, andere Mediennutzungen wie Audio und TV durchaus auch im Hintergrund laufen können, sind das durchaus beachtliche Werte.

Quelle: JIM-Studien 2019 und 2020

1.4

Vom Wert des Papier-Buchs

Was ist ein Buch? Schauen wir uns an, wie Bücher für ihre verschiedenen ›Nutzer‹ funktionieren:

• Für den LeserBuchinhalte zwingen dem Leser nicht auf, wo, wie, wie schnell, was weglassend, was wiederholend er den Inhalt aufnimmt. Ein Buch passt sich jedem Leser an. Wer sich der Mühe des Lesenlernens einmal unterzogen hat, dem steht eine Welt offen.

• Für den KäuferEin riesiges Angebot ist im stationären oder im Internet-Buchhandel problemlos zu besorgen – überall zum gleichen Preis, im Zweifel umtauschbar.

• Für den HändlerEs ist leicht zu beschaffen, problemlos zu lagern, relativ hoch rabattiert, bei Verlagsbezug mit langen Zahlungszielen ausgestattet, gut kalkulierbar. Im Falle des Nichtverkaufs wird es nach einer angemessenen Frist remittiert.

• Für den HerstellerEs ist – auch im Hinblick auf nachhaltige Produktionsverfahren – mit gebräuchlichen Verfahren herzustellen, gut zu lagern, kurzfristig wiederzubeschaffen. Abgesehen von den prinzipiell unberechenbaren Absatzchancen kann der Verlag in gewissem Umfang seinen Umsatz und seinen Gewinn steuern, da er den Ladenpreis selbst festsetzt.

• Für den AutorEr kann in Zusammenarbeit mit dem Verlag kontrollieren, wie aus seiner Schöpfung, seinem Manuskript, ein Buch wird. Und er kann es weiter begleiten, nachdem es einmal gedruckt ist.

• Für das KindEin Buch ist einfach da; es kann immer wieder angeschaut, vorgelesen, gelesen werden. Es braucht keinen Strom; man kann die Lektüre jederzeit unterbrechen; man kann es sich so schnell oder so langsam zu Gemüte führen, wie es einem gerade genehm ist.

Ein halbes Jahrhundert nach den Untersuchungen von Bruno Bettelheim und seinen Kollegen kommen viele Wissenschaftler zu ähnlichen Erkenntnissen. Daran haben die unterschiedlichen elektronischen Geräte, die inzwischen entwickelt wurden, bei denen man auf Bildschirmen liest, nichts geändert. Über den Vorgang und die Wirkung des Lesens auf Computer-Bildschirmen, Laptops, Tablets, Smartphones, E-Readern etc. wurde und wird weiter geforscht – es ist ein weites Feld, aber man liegt wohl nicht falsch, wenn man Anne Mangen von der Universität Stavanger folgt, die wesentlich an der Stavanger Erklärung zur Zukunft des Lesens vom 3./4. Oktober 2018 beteiligt ist, die weltweit Aufmerksamkeit und Nachdenklichkeit hervorgerufen hat – weniger bei den Politikern, die vorschnell und windschnittig von einer #Digitalisierung schwärmen, deren Voraussetzungen und Auswirkung sie oft gar nicht verstanden haben. An den Studien dazu haben 200 Wissenschaftler aus ganz Europa mitgewirkt, u. a. wurden 54 Einzeluntersuchungen mit insgesamt 170.000 Teilnehmern ausgewertet.

Auf eine extrem kurze Formel gebracht, ist der allgemeine Befund: Kurze informative Texte bis zu sieben Seiten werden mit gleicher Wirkung auf Bildschirmen und auf Papier gelesen – je länger und je komplexer die Texte sind, desto mehr ist das Lesen auf Papier von Vorteil. Wenn man die Forschungsergebnisse zuspitzt auf die Adressaten der KJBV, werden die Forscher noch deutlicher:

Lehrern und anderen Erziehern muss bewusst gemacht werden, dass schnelles und pauschales Ersetzen von Gedrucktem, Papier und Schreibwerkzeugen durch digitale Technologien in der Grundschule nicht folgenlos ist. Wenn dies nicht von wohlüberlegten Lernmitteln und Lernstrategien begleitet wird, kann es bei Kindern zu Rückentwicklungen beim Leseverständnis und beim Aufbau kritischer Denkfähigkeit führen. (Mangen 2019)