Wir wollen uns nicht mehr trennen - Britta Frey - E-Book

Wir wollen uns nicht mehr trennen E-Book

Britta Frey

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Beschreibung

Sie ist eine bemerkenswerte, eine wirklich erstaunliche Frau, und sie steht mit beiden Beinen mitten im Leben. Die Kinderärztin Dr. Martens ist eine großartige Ärztin aus Berufung, sie hat ein Herz für ihre kleinen Patienten, und mit ihrem besonderen psychologischen Feingefühl geht sie auf deren Sorgen und Wünsche ein. Alle Kinder, die sie kennen, lieben sie und vertrauen ihr. Denn Dr. Hanna Martens ist die beste Freundin ihrer kleinen Patienten. Der Kinderklinik, die sie leitet, hat sie zu einem ausgezeichneten Ansehen verholfen. Es gibt immer eine Menge Arbeit für sie, denn die lieben Kleinen mit ihrem oft großen Kummer wollen versorgt und umsorgt sein. Für diese Aufgabe gibt es keine bessere Ärztin als Dr. Hanna Martens! Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen extrem liebenswerten Charme. Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert! »Du kennst mich ja, Hanna, ich bin hoffnungslos harmoniesüchtig«, erklärte Bea Martens ihrer Tochter mit entwaffnender Aufrichtigkeit, »am liebsten würde ich nun bei nächstbester Gelegenheit mal rüber gehen und die Frau Rabbeke fragen, warum sie eigentlich so bärbeißig ist.« Die junge blonde Kinderärztin mit den klaren regelmäßigen Zügen schüttelte den Kopf. »Du riskierst nur eine Abfuhr, Mutti«, sagte sie. »Vergiß die gräßliche Frau möglichst schnell und sag mir lieber, ob ich heute abend das hellgrüne Kleid mit den weißen Pünktchen anziehen soll oder das weiße Leinenkostüm.« »Zieh das hellgrüne an, Kindchen, in dem siehst du entzückend aus.« »Ich will aber nicht entzückend aussehen, sondern umwerfend.« Die ältere Dame lachte. »Du brauchst doch nur den Mund aufzumachen, schon wirfst du jedes männliche Wesen um, mein Schätzchen. Aber im Ernst, mir geht dieses Gespräch mit der Kräuterkitty nicht aus dem Kopf. Irgendwie fühle ich mich jetzt in die Verantwortung genommen.« »Du fühlst dich für unsere Nachbarin verantwortlich, Mutti?« »Nein, aber ich finde, Nachbarn sollten miteinander auskommen. Sie müssen sich ja nicht gleich verloben, aber füreinander da sein sollten Nachbarn schon, nicht wahr?« »Tja, Mutti«, seufzte Hanna Martens, »schön wär's. Aber was soll man machen, wenn die andere Partei nicht mitspielt? In diesem Fall liegt die Schuld eindeutig bei Frau Rabbeke. Als Kay und ich das Grundstück kauften, haben wir ihr natürlich einen Besuch abgestattet und uns als ihre neuen Nachbarn vorgestellt.«

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Kinderärztin Dr. Martens – 72 –

Wir wollen uns nicht mehr trennen

Das Schicksal hat an uns etwas gutzumachen

Britta Frey

»Du kennst mich ja, Hanna, ich bin hoffnungslos harmoniesüchtig«, erklärte Bea Martens ihrer Tochter mit entwaffnender Aufrichtigkeit, »am liebsten würde ich nun bei nächstbester Gelegenheit mal rüber gehen und die Frau Rabbeke fragen, warum sie eigentlich so bärbeißig ist.«

Die junge blonde Kinderärztin mit den klaren regelmäßigen Zügen schüttelte den Kopf. »Du riskierst nur eine Abfuhr, Mutti«, sagte sie. »Vergiß die gräßliche Frau möglichst schnell und sag mir lieber, ob ich heute abend das hellgrüne Kleid mit den weißen Pünktchen anziehen soll oder das weiße Leinenkostüm.«

»Zieh das hellgrüne an, Kindchen, in dem siehst du entzückend aus.«

»Ich will aber nicht entzückend aussehen, sondern umwerfend.«

Die ältere Dame lachte. »Du brauchst doch nur den Mund aufzumachen, schon wirfst du jedes männliche Wesen um, mein Schätzchen. Aber im Ernst, mir geht dieses Gespräch mit der Kräuterkitty nicht aus dem Kopf. Irgendwie fühle ich mich jetzt in die Verantwortung genommen.«

»Du fühlst dich für unsere Nachbarin verantwortlich, Mutti?«

»Nein, aber ich finde, Nachbarn sollten miteinander auskommen. Sie müssen sich ja nicht gleich verloben, aber füreinander da sein sollten Nachbarn schon, nicht wahr?«

»Tja, Mutti«, seufzte Hanna Martens, »schön wär’s. Aber was soll man machen, wenn die andere Partei nicht mitspielt? In diesem Fall liegt die Schuld eindeutig bei Frau Rabbeke. Als Kay und ich das Grundstück kauften, haben wir ihr natürlich einen Besuch abgestattet und uns als ihre neuen Nachbarn vorgestellt.«

»Und? Wie hat sie reagiert?«

»Unser Anstandsbesuch war eine einzige Pleite. Sie hat uns was gehustet, von wegen guter Nachbarschaft und so. Darauf würde sie keinen gesteigerten Wert legen, erklärte sie uns eiskalt. Und sie wäre ohne uns jahrelang prima zurechtgekommen, sie würde es auch in Zukunft so halten. Nach fünf Minuten waren Kay und ich wieder an der frischen Luft und haben uns gefühlt wie zwei Idioten.«

»Wie sonderbar. Wenn ich da an unsere zauberhaften Nachbarinnen in Tübingen denke, weißt du noch? Das war doch immer eine reine Freude, mit denen zu verkehren. Fuhren Vater und ich weg, haben sie die Katze genommen und die Blumen begossen. Und wir haben im Gegenzug ihre süßen kleinen Wellensittiche versorgt.«

»Ach ja, die Wellensittiche!« Hanna Martens lächelte sanft. »Hießen sie nicht Laura und Petrarca?«

Bea Martens schmunzelte. »Unsere Nachbarinnen waren immer sehr stolz auf ihre gute Allgemeinbildung. Nach Lauras und Petrarcas tragischem Ableben kauften sie sich ein neues Pärchen. Und das nannten sie dann Paris und Helan. Ziemlich überkandidelt, nicht? Aber sie waren immer so entzückend aufmerksam, unsere beiden alten Damen. Tja, sehr schade, daß Doris Rabbeke nichts von uns wissen will.«

»Du, sie schneidet ja nicht nur uns, sondern alle Leute. Eine sonderbare Frau. Wie alt mag sie wohl sein?«

»Die Kräuterkitty schätzte sie auf Ende Dreißig, Anfang Vierzig. Und sie meinte, Frau Rabbeke sei sehr wohlhabend, aber nie verheiratet gewesen. Obwohl sie mal eine Liebesgeschichte erlebt haben soll. Die ist natürlich traurig ausgegangen. Das kann man sich ja denken, so unfreundlich wie sie ist.«

»Die Frau Rabbeke hatte mal eine Liebesgeschichte?« Hanna prustete. »Kann ich mir nicht vorstellen.«

»Doch, doch, drüben auf Vierlinden soll mal ein ganzer Roman passiert sein. Freilich einer ohne Happy-End, was vielleicht der Schlüssel zu ihrem merkwürdig giftigen Verhalten ist. Es werden ja bekanntlich keine Griesgrame geboren, sondern sie werden dazu gemacht.«

Hanna hörte ihrer Mutter aufmerksam zu. »Erzähl doch mal, was die Kräuterkitty dir so alles verriet, Mutti. Die Gute ist ja eine wahre Chronistin, sie scheint alles über jeden zu wissen.«

»Von dir und Kay spricht sie aber sehr nett, Kind.«

»Wir mögen sie auch schrecklich gern. Und manchmal habe ich sogar das Gefühl, daß sie uns Schulmedizinern weit überlegen ist. Erstaunlich, was die Kräuterkitty so alles weiß! Okay, sie kann sicher keine Knochenbrüche mit ihren Kräutertees heilen, doch bei somatischen Erkrankungen dürfte sie mit ihren Kenntnissen ganz schön auftrumpfen. Schade, daß viele Schulmediziner über diese ungewöhnlichen Heilmethoden die Nase rümpfen, anstatt sich mit ihnen ernsthaft auseinanderzusetzen.«

»Das ist sicher arrogant, du magst recht haben, Hanna. Ich staune auch immer wieder über das Wissen der Kräuterkitty. Auf ihre Menschenkenntnis kann man sich sicher blind verlassen.«

»Insofern solltest du deine edlen Absichten, was unsere Nachbarin betrifft, besser aufgeben, denn die Kräuterkitty hat Doris Rabbeke doch ziemlich negativ beurteilt, oder?«

Bea Martens schob ihre Teetasse von sich. »Na ja«, räumte sie ein, »besonders gewogen scheint sie ihr nicht zu sein. Aber gerade das reizt mich, Kind. Du kennst mich ja, ich wage mich an die kniffligsten Kreuzworträtsel.«

»Aber die Frau Rabbeke ist eine harte Nuß, an der wirst du dir deine Zähne ausbeißen. Was war denn das für eine Liebesgeschichte, die sie erlebt haben soll? Ach komm, erzähl doch mal, Mutti, manchmal bin ich sehr für aufregenden Nachbarklatsch zu haben.«

Die junge Kinderärztin machte es sich noch gemütlicher im Liegestuhl, sie verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blinzelte vergnügt in den blitzblauen wolkenlosen Sommerhimmel.

Bea Martens freute sich über das entspannte Gesicht ihrer Tochter. Hanna arbeitete ihrer Meinung nach zuviel und übertrieb es mit ihrer Fürsorge für ihre kleinen Patienten. Natürlich war es fabelhaft, wie engagiert sie war, doch darunter litt zweifellos ihre Gesundheit. Es gab Zeiten, da kam Hanna tagelang nicht vor Mitternacht ins Bett und stand mit den Hühnern wieder auf, weil sie Frühdienst in der Klinik hatte.

Anfangs hatte Bea Martens nichts zu dem mörderischen Arbeitstempo gesagt. Einerseits kannte sie das aus eigener leidvoller Erfahrung. Der Vater der Geschwister Kay und Hanna war ebenfalls Mediziner gewesen und hatte sich auch nie geschont, war bis zum Schluß sogar in der Nacht unterwegs gewesen, um Krankenbesuche zu machen.

Immer wieder ermahnte Bea Martens ihre Kinder, es doch nicht zu übertreiben mit der Arbeit. Sie erinnerte sie an den Herzinfarkt des Vaters, der sicherlich, zusammen mit den üblichen Verschleißerscheinungen, auf die jahrzehntelange Überbeanspruchung zu­rückzuführen war.

Aber Kay und Hanna Martens schienen – wie früher ihr Vater – blitzartig zu ertauben, brachte sie das Gespräch auf das Thema Streß. Nein, davon wollten sie nichts hören. Sie rechtfertigten ihren enormen Einsatz mit gewohnter Zungenfertigkeit, indem sie erklärten, das sei heutzutage eben so, man müsse schon tüchtig strampeln, wenn man auf einen grünen Zweig kommen wolle.

Das hatte sich Bea Martens eine Zeitlang angehört, dann hatte sie durchgegriffen und ihren Kindern mehr Freizeit verordnet. Und siehe da, nach anfänglichem Protest klappte das prima. Kay und Hanna delegierten einige ihrer Aufgaben an ihre Kollegen und gewannen dadurch mehr Freistunden. Und die kamen ihren Nerven ganz hervorragend zugute, wie Bea Martens heimlich feststellte.

Neuerdings verbrachte Hanna Martens ihre Mittagspause häufiger draußen im Garten, anstatt in der Klinikkantine irgendeinen Imbiß herunterzuschlingen, während am Tisch gefachsimpelt wurde.

Und Kay Martens, der ein großer Freund klassischer Musik war, begleitete seine Mutter in letzter Zeit erstaunlich oft zu Konzerten in Lüneburg oder Celle.

Bea Martens schaute auf und begegnete dem Blick Hannas.

»Worüber amüsierst du dich, Kind?« fragte sie verwundert.

»Ich freue mich, Mutti«, erwiderte die junge Frau, in deren Augen sich der Himmel spiegelte. »Weil du eben so zufrieden und glücklich ausgeschaut hast. Woran hast du gedacht?«

In leichter Abwandlung ihrer Gedanken gab Bea Martens gern Auskunft: »Ich habe mich darüber gefreut, daß wir alle miteinander so gut auskommen, du und Kay und ich. Selbstverständlich ist das nämlich nicht, Hannachen.«

»Oh, ich weiß. Leider.« Hanna winkte ab. »Manchmal erfährt man in der Klinik von Schicksalen, die einem die Tränen in die Augen treiben. Heute morgen wurde eine kleine Patientin bei uns eingeliefert, die beide Eltern bei einem Autounfall verlor. Schlimm, nicht wahr? Kerstin heißt die Kleine, sie ist zehn Jahre alt und ein Schatz von einem kleinen Mädchen.« Hanna wiegte sorgenvoll den Kopf hin und her. »Hoffentlich kriegen wir sie wieder hin.«

»Ist sie schwer verletzt worden?«

»Sehr schwer«, nickte Hanna mit ernster Miene. »Sie war leider nicht angeschnallt und saß auf dem Rücksitz, genau in der Mitte. Als der Unfall geschah, wurde sie nach vorn geschleudert, gegen die Windschutzscheibe. Sie erlitt dabei üble Gesichtsverletzungen und natürlich Knochenbrüche. Eine Zeitlang wird sie wohl bei uns in der Klinik bleiben müssen.«

»Herrgott, warum achten die Eltern nicht darauf, daß ihre Kinder den Sicherheitsgurt anlegen!« schimpfte Bea Martens. »So viel Kummer und Schmerzen könnten den Kindern erspart bleiben.«

»Mir ist das auch ein Rätsel. Es mangelt wohl an der gezielten Aufklärung. Oberschwester Elli schlug neulich vor, mal ans Fernsehen heranzutreten und denen vorzuschlagen, kurze, aber eindringliche Appelle an die Bevölkerung zu richten. Es könnten ja auch prominente Stars oder Politiker für mehr Sicherheit für Kinder im Straßenverkehr werben. Vielleicht schauen da mehr Leute hin und lernen etwas dazu.«

»Hier draußen in der Heide ist vergleichsweise wenig auf den Straßen los, da läßt die Aufmerksamkeit vielleicht nach. In den Zentren der großen Städte sollen ja weniger Unfälle passieren als in den Randbezirken. Vielleicht weil’s da weniger Ampeln gibt.«

»Unverantwortlichen Rasern sollte gleich an Ort und Stelle der Führerschein weggenommen werden. Ich bin ja ansonsten sehr für Milde und Nachsicht, doch in diesem Fall müßte resoluter durchgegriffen werden.«

Hanna seufzte wieder und setzte bedauernd hinzu: »Der kleinen Kerstin hilft das freilich nicht mehr, denn ihr Vater starb am Unfallort. Die Mutter wurde noch nach Celle gebracht, starb aber während des Transports. Traurig, nicht wahr?«

»Ich mag gar nicht daran denken. Heulen könnte man. Darf ich die arme Kleine schon besuchen?«

»Du, das wäre nett von dir. Sie hat ja sonst keinen, der sich um sie kümmert. Von den Angehörigen hat sich noch keiner gemeldet. Na ja, ist auch noch ein bißchen früh, da mag in den nächsten Tagen der eine oder andere Verwandte kommen. Geben wir ihnen eine Chance.« Sie stellte ihre leere Teetasse auf den kleinen Korbtisch mit der Glasplatte und sah ihre Mutter fragend an.

»Sag mal, jetzt sind wir ganz vom Thema Doris Rabbeke abgekommen. Wer war denn nun ihr Romeo? Jemand aus Ögela? Dann würde es mich nicht wundern, daß sie so zurückgezogen lebt und jeden, der einen Fuß auf ihr Grundstück setzt, mit der Flinte droht.«

»Doris Rabbeke ist vermutlich ein bedauernswertes Menschenkind, Hanna.«

»Ja, ja, du mit deinem weiten Herzen und deiner stadtbekannten Vorliebe für verirrte Schafe und lahme Enten, du würdest es glatt fertigbringen und das garstige Frauenzimmer noch in unser Wohnzimmer zum Tee einladen, wetten, daß?«

Nun lächelte sie ein bißchen verlegen, die sympathische warmherzige Bea Martens, und erwiderte trotzig: »Warum denn nicht? Manche Menschen brauchen eben mehr Lebe, als sie verdienen.«

»Sie wird dir deine Liebe um die Ohren schlagen, Mutti, so verbittert und biestig, wie die ist.«

»Sie war sicher nicht immer so. Einmal hat sie ja geliebt«, meinte die ältere Dame leise. »Und sie muß sehr enttäuscht worden sein, denn sonst würde sie sich nicht so schwer tun mit dem Leben. Es war nämlich so, daß da noch eine Schwester war…«

»Ah, endlich geht’s los mit dem köstlichen Klatsch!«

»So köstlich war das damals gar nicht, eher traurig, denn ihre jüngere Schwester, ich glaube, sie heißt Dagmar, brannte mit dem Mann durch, in den sich Doris Rabbeke verliebt hatte.«

»Au weia«, sagte Hanna. »Das ist allerdings herb.« Sie wandte den Kopf zur Seite, weil sie im Hintergrund ein Geräusch gehört hatte. Als sie die hochgewachsene Gestalt ihres Bruders erkannte, lächelte sie und winkte ihm zu.

»Komm her und setz dich zu uns, Kay«, schlug Bea Martens vor und klopfte einladend auf den Korbsessel neben sich. »Oder hast du etwas Besseres vor?«

»Etwas Besseres als unsere Gesellschaft gibt’s gar nicht«, meinte Hanna mit schrägem Seitenblick. »Oder, Bruderherz?«

Er lachte und ließ sich in den Korbsessel fallen. »Schön habt ihr’s hier unter der Kastanie, schattig und angenehm kühl. In Lüneburg war’s ganz schön schwül.«

Bea Martens schenkte ihm Tee in ihre Tasse ein.

»Zwei oder drei Stück Zucker?« fragte sie ihn.

»Nur ein Stück, Mutti. Ich habe heute einen großen Eisbecher mit Sahne verspeist und muß jetzt aufpassen.«

»Auf wen oder was?« erkundigte sich Hanna, die es sich wieder im Liegestuhl gemütlich machte und sich wohlig seufzend rekelte.

»Auf mein Gewicht natürlich, du freche Krabbe.« Er wandte sich gutgelaunt an seine Mutter. »Sie wird immer naseweiser, deine Tochter. Was wirst du als Mutter dagegen unternehmen?«

»Gar nichts«, lachte Bea und legte ihre Hand auf seine, die auf dem Sesselrand lag, drückte sie liebevoll. »Mir gefällt Hanna sehr gut so, wie sie ist. Freu dich doch darüber, daß sie lockerer geworden ist. Früher hatte sie immer so etwas…«

»Verklemmtes?« half er mit verschmitzter Miene aus.

»Wenn ich verklemmt bin, bist du ein zerstreuter Professor«, konterte Hanna so schlagfertig wie vergnügt.

»Oh, Kinder«, lachte Bea Martens, »das ist ja nicht anders als früher. Herrlich! Nein, ich wollte eben etwas anderes sagen. Hanna ist heute freier als früher, im besten Sinne natürlich, also selbstbewußt und daher sympathisch gelöst und entspannt. Ich könnte mir vorstellen, daß gerade das deinen kleinen Patienten besonders gefällt, Hannachen.«

»Aha«, meinte Kay, der sich gerade die Ärmel seines mintgrünen Oberhemds hochkrempelte, »Hanna ist die gute Fee. Und ich bin dann ja wohl der böse Onkel in der Klinik, wie?«

Die beiden Frauen lachten schallend.

»Er will ja nur hören, daß die Schwestern ihn vergöttern«, sagte Hanna zu ihrer Mutter.

»Das weiß er ja, das ist ja sein Problem«, neckte Bea.

Kay schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Frauenslüüd«, sagte er und langte in die Einkaufstüte, die er neben den Korbsessel gelehnt hatte. »Wollt ihr mal sehen, was ich mir in Lüneburg gekauft habe?«

»Was mag das wohl sein!« Hanna reckte den Hals. »Es ist platt und quadratisch. Ein Konfektkasten, der versehentlich unter ein Auto geriet? Oder eine ausgesprochen flache Flunder?«

»Eine Schallplatte, wie interessant!« rettete Bea in bewährter Weise die Stimmung. »Mozart, Kay?«

»Sicher, was sonst.« Er nickte und zeigte ihr das Cover. »Don Giovanni, meine Lieblingsoper. Eine ganz neue Aufnahme.«

»Toll«, sagte Hanna anerkennend. »Spielst du sie uns heute abend mal vor? Oder hast du zu arbeiten?«

»Ich wollte eigentlich mal bei unserer Nachbarin anrufen, der Frau Rabbeke«, erwiderte er mit veränderter, auf einmal irritierter Miene. »Es geht um den hinteren Teil ihres Grundstücks…«

»Sieh mal einer an!« Hanna richtete sich wieder auf und sah ihren Bruder verblüfft an. »Wenn man vom Wolf spricht, ist er meist nicht fern. In diesem Fall muß man wohl Wölfin sagen. Wir haben soeben von unserer reizenden Nachbarin gesprochen, Mutti und ich, stell dir mal vor. So ein Zufall!«

»Tatsächlich.« Auch er fand das bemerkenswert. »Und wieso habt ihr von Frau Rabbeke gesprochen? Hat sie sich vielleicht bei euch gemeldet? Ich habe nämlich Klaus Mettner gebeten, wegen dieser Grundstückssache mal bei ihr vorzufühlen. Allerdings frage ich mich inzwischen, ob das taktisch gescheit war. Der Klaus ist so nett und freundlich, mit dem fährt die doch glatt Schlitten.«

Bea und Hanna wechselten einen überraschten Blick. »Du, davon wissen wir ja gar nichts«, rief Hanna. »Von welcher Grundstückssache sprichst du eigentlich?«

»Tut mir leid, daß ich dich noch nicht informiert habe. Offenbar habe ich’s vergessen. Aber ich schwöre hoch und heilig, daß ich’s mir vorgenommen habe.« Er hob abwehrend beide Hände. »Keine Vorwürfe, Hannamädchen, ich würde dich nie übergehen.«

»Wenn er Hannamädchen sagt, Mutti«, meinte sie trocken, »dann hat er garantiert ein schlechtes Gewissen, mein verehrungswürdiger großer Bruder, der gern Klinikangelegenheiten, die uns beide angehen, im Alleingang entscheidet. Also? Heraus mit der Wahrheit, der reinen und ganzen, Herr Doktor.«

»O Gott, ich komme mir schon vor wie auf der Anklagebank. Ich bitte das Hohe Gericht um Nachsicht. Ehrlich, Hanna, ich habe lediglich vergessen, dir zu erzählen, daß ich auf die Idee gekommen bin, hinten im Park ein Schwimmbad einzurichten. Ein Hallenschwimmbad, damit wir es auch im Winter benutzen können.«

»Keine üble Idee«, räumte sie ein. »Genau so etwas fehlt uns ja wirklich noch. Zur Bewegungstherapie, nicht wahr? Wir haben schon oft bedauert, daß uns kein Schwimmbecken zur Verfügung steht. Auch für das Klinikpersonal wäre so etwas geradezu ideal nach dem anstrengenden Dienst. Und wie soll’s nun weitergehen?«

»Ich habe neulich laut darüber nachgedacht. Mir geistert die Idee von einem Schwimmbad ja schon lange im Kopf herum. Tja, und da machte mich Klaus Mettner auf den hinteren und völlig unbenutzten Teil des Parks aufmerksam. Für ein Hallenschwimmbad reicht der Platz aber nicht ganz. Schön wäre es, wenn die Frau Rabbeke uns einen Teil ihres Grundstücks abtreten würde.«

»Den unteren Zipfel, nicht?«

Hanna dachte einen Moment lang nach. Dann nickte sie zustimmend. »Klar, das stelle ich mir gut vor. Und platzmäßig müßte es hervorragend hinkommen. Allerdings sehe ich im Hinblick auf Frau Rabbeke schwarz für die Aktion Hallenschwimmbad. Die Gute ist nämlich alles andere als hilfsbereit.«

»Habe ich auch schon vernommen. Sie hat ja einen bösen Ruf weg. Und zu uns war sie seinerzeit auch nicht gerade freundlich. Daran mag sich inzwischen etwas geändert haben, denn wir haben uns ja als geradezu vollkommene Nachbarn erwiesen, nicht wahr?«

»Na, ich weiß nicht, Kay, ich fürchte, die gute Rabbeke ist da ganz anderer Meinung. So nach dem Motto: Wenn man einen Hund werfen will, so findet sich schon ein Stein.«

»Ach, es handelt sich vielleicht nur um den üblichen boshaften Dorfklatsch.« Er erhob sich. »Das gilt es herauszufinden, meine Lieben. Oder seid ihr anderer Meinung?«