Engelchen Simone - Britta Frey - E-Book

Engelchen Simone E-Book

Britta Frey

0,0

Beschreibung

Sie ist eine bemerkenswerte, eine wirklich erstaunliche Frau, und sie steht mit beiden Beinen mitten im Leben. Die Kinderärztin Dr. Martens ist eine großartige Ärztin aus Berufung, sie hat ein Herz für ihre kleinen Patienten, und mit ihrem besonderen psychologischen Feingefühl geht sie auf deren Sorgen und Wünsche ein. Alle Kinder, die sie kennen, lieben sie und vertrauen ihr. Denn Dr. Hanna Martens ist die beste Freundin ihrer kleinen Patienten. Der Kinderklinik, die sie leitet, hat sie zu einem ausgezeichneten Ansehen verholfen. Es gibt immer eine Menge Arbeit für sie, denn die lieben Kleinen mit ihrem oft großen Kummer wollen versorgt und umsorgt sein. Für diese Aufgabe gibt es keine bessere Ärztin als Dr. Hanna Martens! Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen extrem liebenswerten Charme. Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert! Immer wieder sah Judith auf die Uhr. Die Zeit scheint still zu stehen, dachte sie und seufzte dabei. Gegen neun Uhr wollte Michael zu Hause sein, und jetzt war es erst kurz nach acht. Am liebsten würde sie am Flughafen in Langenhagen anrufen und fragen, ob die Maschine aus Johannisburg auch pünktlich eintreffen würde. Es war gut, daß sie ihrer Tochter Simone nicht gesagt hatte, daß der Vati nach drei Monaten heute wieder heimkam. Sie wäre sonst nicht ins Bett gegangen und hätte pausenlos gefragt, wann endlich der Vati käme. Zum dritten Mal ging Judith ins Bad und überprüfte ihr Aussehen. Ihr neues Kleid, es war ein Traum aus apfelgrüner Seide, war teuer gewesen, doch Michael liebte es, wenn sie sich für ihn schön machte. Die zweireihige Perlenkette und die dazu passenden Ohrringe hatte ihr Michael von seiner letzten Dienstreise mitgebracht. Ein wenig kokett drehte sie sich vor dem großen Spiegel im Bad. Sie fand, sie sah sehr gut aus. Ihre halblangen schwarzen Haare umrahmten ihr ovales Gesicht, aus dem ihre großen braunen Augen vor Freude glänzten, denn Michael hatte nach diesem Einsatz ganze sechs Wochen Urlaub. In einer halben Stunde liege ich in seinen Armen, dachte sie glücklich. Plötzlich klingelte das Telefon. Sollte die Maschine schon gelandet sein? fragte sie sich, als sie den Hörer abnahm. »Behrend«, meldete sie sich, doch es kam keine Antwort. Sie hörte, wie auf der anderen Seite der Hörer aufgelegt wurde. Der Anrufer hat sich bestimmt verwählt, dachte sie.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 140

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kinderärztin Dr. Martens – 77 –

Engelchen Simone

In schweren Zeiten war sie Judiths Trost

Britta Frey

Immer wieder sah Judith auf die Uhr. Die Zeit scheint still zu stehen, dachte sie und seufzte dabei. Gegen neun Uhr wollte Michael zu Hause sein, und jetzt war es erst kurz nach acht. Am liebsten würde sie am Flughafen in Langenhagen anrufen und fragen, ob die Maschine aus Johannisburg auch pünktlich eintreffen würde.

Es war gut, daß sie ihrer Tochter Simone nicht gesagt hatte, daß der Vati nach drei Monaten heute wieder heimkam. Sie wäre sonst nicht ins Bett gegangen und hätte pausenlos gefragt, wann endlich der Vati käme.

Zum dritten Mal ging Judith ins Bad und überprüfte ihr Aussehen. Ihr neues Kleid, es war ein Traum aus apfelgrüner Seide, war teuer gewesen, doch Michael liebte es, wenn sie sich für ihn schön machte. Die zweireihige Perlenkette und die dazu passenden Ohrringe hatte ihr Michael von seiner letzten Dienstreise mitgebracht.

Ein wenig kokett drehte sie sich vor dem großen Spiegel im Bad. Sie fand, sie sah sehr gut aus. Ihre halblangen schwarzen Haare umrahmten ihr ovales Gesicht, aus dem ihre großen braunen Augen vor Freude glänzten, denn Michael hatte nach diesem Einsatz ganze sechs Wochen Urlaub.

In einer halben Stunde liege ich in seinen Armen, dachte sie glücklich. Plötzlich klingelte das Telefon. Sollte die Maschine schon gelandet sein? fragte sie sich, als sie den Hörer abnahm.

»Behrend«, meldete sie sich, doch es kam keine Antwort. Sie hörte, wie auf der anderen Seite der Hörer aufgelegt wurde. Der Anrufer hat sich bestimmt verwählt, dachte sie. Eigentlich war es eine Unverschämtheit, wieder aufzulegen. Es wäre doch eine Selbstverständlichkeit, sich zu entschuldigen, wenn man sich verwählt hat. Und es war heute nicht das erste Mal. Seit ein paar Wochen schon klingelte in Abständen von vier bis fünf Tagen der Apparat – und immer wurde wieder eingehängt, wenn sie sich meldete.

Ärgere dich nicht über diese Störungen, sagte sie sich, manche Menschen haben eben kein Benehmen.

Daß es immer die gleiche Person war, die anläutete, ahnte sie nicht.

Um die letzten Minuten auch noch rumzubringen, ging sie wieder in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Natürlich war der Champagner noch kalt – und die vorbereiteten Schnittchen, mit Delikatessen belegt, sahen verlockend aus. Im Eßzimmer war der Tisch mit Blumen und Kerzen liebevoll gedeckt.

Sicher landete jetzt die Maschine am Langenhafener Flughafen, und Michael würde bald hier sein. Judith ging an das große Panoramafenster, und hinter der Gardine stehend, beobachtete sie die Straße.

Endlich kam ein Auto um die Ecke, doch es war kein Taxi, der Wagen fuhr weiter.

Diese Warterei machte sie ganz fertig. Bleib ganz ruhig, sagte sie sich. Wa­rum hast du nur immer diese Angst, Michael könnte eines Tages nicht mehr zu dir kommen? Tief atmete sie ein und aus, denn dieser Gedanke tat so weh, daß ihr Herz unruhig zu klopfen begann.

Sie ging ins Kinderzimmer, um sich zu beruhigen. Von der Diele fiel das Licht auf ihre friedlich schlafende Simone. Die blonden Locken waren ein wenig zerzaust – im Arm hielt sie ihren kleinen Teddy fest. Ganz sanft, um sie nicht zu wecken, strich sie ihr nun über das seidigglänzende Haar. Als sie die Tür wieder leise hinter sich geschlossen hatte, hörte sie den Gong an der Flurtür. Schnell lief sie die wenigen Schritte und öffnete sie.

»Ich bin wieder da!« sagte Michael, und mit einem Jubelschrei fiel Judith ihm um den Hals. Er drückte sie so fest an sich, daß es schon fast weh tat. Dann schob er sie ein wenig von sich und sah sie prüfend an. »Ich finde, je länger ich von daheim fort bin, desto schöner wirst du.«

»Du Schuft! Soll das heißen, daß du bald wieder weg mußt?«

»Oh, nein – so schnell wirst du mich nicht wieder los.« Er küßte sie nun wie ein Verdursteter.

»Gnade!« stöhnte sie. »Ich bekomme ja kaum noch Luft.«

»Ach, Judith, ich war ganz krank vor Sehnsucht nach dir und unserer Kleinen. Wie geht es ihr?«

»Gut! Komm und überzeuge dich, sie schläft ganz fest. Ich habe ihr nicht gesagt, daß du heute zurückkommst, sie wäre sonst zu aufgeregt gewesen und hätte nicht geschlafen.«

Leise öffnete er die Tür zum Kinderzimmer und ging auf Zehenspitzen an Simones Bett. Judith wußte, wie sehr er seine Tochter liebte. Er weckte sie nicht, er sah sie nur lächelnd an. Ebenso leise schloß er die Tür wieder hinter sich, nahm Judith in die Arme und sagte sehr zärtlich: »Ihr beide seid mein ganzes Glück. Ich könnte es nicht ertragen, einen von euch zu verlieren.«

»Das wirst du auch nicht, Liebster.« Nun zog Judith seinen Kopf zu sich herunter und biß ihn leicht ins Ohrläppchen. »Ich habe großen Hunger – du nicht?«

»Eigentlich nicht, ich habe im Flieger was gegessen.«

Als sich Michael im Bad frisch gemacht hatte, aß er doch mit Appetit. Noch lange saßen sie im Wohnzimmer zusammen, tranken den Champagner und waren so glücklich wie immer, wenn er wieder daheim war.

Nachts wachte Judith ein paarmal auf, um sich zu vergewissern, daß es kein Traum war. Beruhigt schlief sie dann wieder ein, weil sie Michael neben sich spürte.

*

Als die kleine Simone am Morgen wie üblich gegen acht Uhr aufwachte, dehnte und streckte sie sich, schlüpfte dann in ihre Hausschuhe, vergaß auch nicht, ihren Teddy mitzunehmen und wollte, wie fast alle Tage, zu Mami ins Bett, um zu kuscheln. Im ersten Moment stutzte die Kleine, denn Mami war nicht allein, dann stieß sie einen Jubelschrei aus und lief eilig auf das breite Bett zu, wo zwei starke Arme sie hochhoben und liebevoll umarmten.

»Vati, Vati, endlich bist du wieder da«, jubelte Simone. »Ich laß dich nie mehr wieder fort. Alle anderen Kinder haben ihren Vati auch zu Hause.«

»Ich weiß, mein Herzchen. Es tut mir auch leid, daß ich häufig unterwegs bin. Ich vermisse euch beide sehr.«

Nach ein paar zärtlichen Küssen lag Simone zwischen den Eltern.

»Ich zähl wohl gar nichts mehr, wenn Vati hier ist? – Mir hast du heute kein Guten-Morgen-Küßchen geschenkt«, sagte ihre Mutter ein wenig vorwurfsvoll und blinzelte ihren Mann lächelnd an, denn unendlich viel hatte sie von ihm bekommen.

Ganz schnell bekam die Mami auch zwei Küßchen, und Simone sagte dann: »Der Vati war doch so lange, lange in Afrika!«

Es folgte eine wunderschöne Zeit. Für ein paar Tage fuhren sie nach Ögela zu Oma und Opa Behringen, die dort ein schönes großes Haus bewohnten. Sie wanderten durch die blühende Heide, Oma und Opa waren manchmal dabei, sangen lustige Lieder, besuchten den schon sehr alten Schäfer Vinzenz und seine Schafe, von denen sich Simone gar nicht trennen wollte.

Obwohl das Kind seine Mami über alles liebte, war sie jetzt rundum glücklich, weil der Vati auch dabei war.

Auch Anne und Hans Behringer waren von Herzen froh, wenn sie alle zusammen waren. Sie freuten sich über das Glück ihrer Tochter, die tapfer versuchte, die Zeit ohne ihren Mann, wenn er im Ausland arbeiten mußte, zufrieden zu sein.

Michael und Judith hatten keine Pläne gemacht, was sie alles in den noch verbleibenden fünf Wochen unternehmen wollten. Judith hatte dafür Verständnis, daß ihr Mann gern daheim war, auch vorerst keine Hotelzimmer sehen wollte.

Sie machten Tagesausflüge, fuhren mit dem Wagen einmal ans Steinhuder Meer, wo Simone voller Begeisterung die Schwäne fütterte. Und was noch schöner war, mit Vati und Mutti lange mit dem Boot zu fahren. Und bei jeder Gelegenheit wurde fotografiert, weil Michael die schönsten Bilder mitnahm.

Sie besuchten auch den Vogelpark in Walsrode. Das Kind kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, so viele verschiedene Vögel hatte sie noch nie gesehen. Besonders ein Tukan hatte es ihr angetan, er konnte ›Guten Tag‹ sagen und noch mehr, doch das war schwer zu verstehen. Auch die winzig kleinen Kolibris, die ihre Flügelchen so schnell bewegten, daß man sie gar nicht sehen konnte, begeisterten Simone.

Am Abend waren sie alle müde und froh, im eigenen Bett liegen zu können.

»Daheim ist es doch am schönsten«, versicherte Michael immer wieder seiner Judith. Und sie war glücklich, weil er es auch war.

»Papi, du mußt doch nicht so bald wieder weit fort?« fragte eines Morgens beim Frühstück Simone. »Du bleibst doch noch viele, viele Tage?«

»Ja… zwölf Tage bin ich schon hier, also kann ich noch dreißig Tage bleiben«, erklärte er ihr.

Ein bißchen wehmütig sagte Judith: »Ich wünschte, ich könnte die Weltenuhr anhalten, damit sie sich viel langsamer dreht, denn die Tage fliegen nur so dahin.«

»Ja, das wäre schön, doch solche Wunder gibt es leider nicht«, erwiderte Michael, nahm ihre Hand und drückte sie an seine Lippen.

»Aber ein Zauberer könnte das vielleicht?« fragte Simone, und ihre großen blauen Augen blickten erst den Vater, dann die Mutter an. Als beide verneinend den Kopf schüttelten, war sie enttäuscht.

Als das Kind abends im Bett war, saßen Judith und Michael noch bei einem Glas Wein zusammen. »Weißt du, mein Herz, wie gern ich nur in Deutschland arbeiten würde? Ich könnte dann wenigstens jedes Wochenende bei euch sein.«

»An so viel Glück wage ich gar nicht zu denken, Michael. Manchmal wünsche ich mir schon, du hättest einen anderen Beruf, damit wir nicht so oft getrennt sind.«

»Du weißt ja, eigentlich wollte ich nur Architekt sein – Gebäude und Häuser bauen, doch irgendwie hat mich dann der Brückenbau fasziniert, auch große Viadukte und Dämme. Daß ich diese Baustellen dann leiten mußte, war auch selbstverständlich. Und mir gefiel es, in fremde Länder zu reisen – ich sah viel Schönes, aber auch viel Elend.«

Michael drückte seine Frau an sich und sagte zärtlich: »Doch als ich dich kennen- und liebenlernte, wußte ich, es wäre besser, wenn wir nicht so oft getrennt sein müßten.«

»Ja, manchmal ist es wirklich schwer für mich, ohne dich zu sein. Dann bin ich aber gleich wieder zufrieden, denn ich habe ja unser Kind – du hast nur ein paar Aufnahmen von uns.«

»Tagsüber lenkt mich schon die Arbeit ab, denn du weißt, ich trage eine große Verantwortung, doch abends und nachts ist die Sehnsucht nach euch beiden so groß, daß ich am liebsten alles stehen und liegen lassen würde, nur um bei euch zu sein.«

»Ich kann es mir vorstellen, mir geht es oft nicht anders. Jeden Abend, wenn Simone im Bett ist, versuche ich zu lesen oder ein wenig fernzusehen, doch dann denke ich an dich, und meine Seele fliegt zu dir. Manche Nacht träume ich, du umarmst mich, und ich bin glücklich. Doch wenn ich wach werde, bin ich um so trauriger.«

»Mein Liebling, ich sehe nur einen einzigen Ausweg, diese langen Trennungen zu verhindern. Ich muß mit der Geschäftsleitung reden, sie müssen mir noch einen zweiten versierten Mann geben, der auch ohne mich – ich könnte ja mal krank werden – den ganzen Ablauf kennt und selbständig alles leiten kann.«

»Wenn das möglich wäre, müßten wir die Weltenuhr nicht mehr anhalten«, meinte Judith lächelnd.

»Ich hab schon jemand im Auge… Ob er aber von seiner Firma freikommt, das ist die Frage.«

»Meinst du, Hans Peter Nieder? Er hat doch auch Frau und Kind.«

»Seine Frau ist vor einem halben Jahr gestorben, und seine Tochter ist zwanzig. Sie hat vor ein paar Monaten geheiratet. Hans Peter ist zwar schon fünfundvierzig, aber er hat schon enorme Projekte fertiggestellt.«

»Ich kann noch nicht an ein Wunder glauben – aber das wäre eines. Wenn er freikommt und deine Firma ihn übernimmt, sind wir dann nur noch die Hälfte der vielen Nächte getrennt?«

»Ja, mein Schatz. Weißt du, morgen früh werde ich gleich die Geschäftsleitung anrufen und mir einen Termin geben lassen, dann werde ich alles mit ihnen besprechen.«

»Du weißt doch gar nicht, ob Hans Peter Nieder annehmen wird. Vielleicht ist er mit seiner Firma zufrieden.«

»Ich werde ihn gleich morgen früh anrufen und fragen, was er dazu meint, erst dann fahre ich nach Hamburg.«

»Ist er denn zur Zeit in der Stadt?« wollte Judith wissen.

Michael nickte, er war ganz aufgeregt. Ein paarmal fuhr er sich über sein dichtes blondes Haar, und seine blauen Augen leuchteten. »Wenn das klappt, kann ich viel öfter heimfliegen. – Ich werde den Herren versichern, daß Herr Nieder die Arbeiten beaufsichtigen kann, denn er ist wie ich Hoch- und Tiefbauingenieur.«

Nach kurzer Überlegung meinte er noch: »Wenn meine Chefs damit nicht einverstanden sind, werde ich einen anderen Ausweg finden. Ich will und kann nicht mehr von meinen Lieben so lange getrennt sein.«

»Was würdest du dann machen wollen?« fragte Judith und sah ihn aufmerksam an.

»Ich könnte zum Beispiel junge Leute ausbilden. Das würde mir bestimmt gefallen. Natürlich würde ich weniger Geld verdienen…«

Judith unterbrach ihn: »Das wäre nicht so wichtig. Ich bezweifle jedoch, ob dir das wirklich Freude machen würde. Obwohl du noch jung bist, hast du durch dein Können schon viel erreicht, wonach andere noch streben.«

»Erst muß ich ja mal wissen, ob Hans Peter will – und dann, ob die Geschäftsleitung meinen Vorschlag annimmt.«

»Vielleicht gehen unsere Wünsche in Erfüllung, Michael – wenn nicht, lassen wir uns auch nicht unterkriegen. Es gibt viele Frauen und Mütter, deren Männer und Söhne auch monatelang in fremden Ländern sein müssen. Denke nur an die Kapitäne, das Schiffspersonal – und Soldaten.«

Michael nahm Judith in die Arme und drückte sie fest an sich. »Meine kleine tapfere Frau, ich liebe dich von ganzem Herzen.«

»Ich liebe dich auch sehr, das weißt du. Wenn du mich aber noch öfter so drückst, zerbrichst du mir alle Rippen – und eine zerbrochene Frau kann dich nicht mehr lieben.«

Abrupt ließ Michael sie frei.

»Entschuldige, mein Liebling, ich bin ein ungehobelter Mensch. Ich verspreche dir, ich werde künftig ganz sanft mit dir umgehen.«

*

Gleich am anderen Morgen nach dem Frühstück – es war ein Samstag – setzte sich Michael mit Hans Peter Nieder telefonisch in Verbindung. Er sagte ihm, was er auf dem Herzen hatte, und wollte natürlich gleich wissen, ob er interessiert wäre, mit ihm zusammenzuarbeiten.

»Du wirst es mir nicht glauben, Michael, aber dein Anruf kommt mir sehr gelegen. Schon lange will ich mich von meiner jetzigen Firma trennen. In letzter Zeit hatte ich viel Ärger mit einem Vorgesetzten, der mir was vormachen wollte, was aber immer fehlschlug.«

»Das ist schon mal ein großes Plus für mich, Hans Peter. Ich werde mich gleich am Montag mit meiner Firma telefonisch in Verbindung setzen, wann ich bei den Chefs antanzen kann. Ich bin sicher, daß ich zur Zeit sehr gefordert werde. Der Kollege, der mit mir zusammenarbeitet, ist zwar sehr willig, doch er muß noch viel lernen.«

»Ich wäre sehr froh, wenn es in deiner Firma klappen würde, doch ich weiß nicht, wann meine mich freigibt. Ich habe zwar noch sechs Wochen Urlaub zu beanspruchen…«

Michael unterbrach Hans Peter. »Den solltest du auch nehmen, du brauchst ihn sicher.«

»Allein verreisen und irgendwo rumsitzen? Ohne meine Frau war ich nie in Urlaub. Und meine Tochter braucht mich auch nicht mehr.«

»Warten wir mal ab, was ich bei meinen Chefs erreiche. Ich kann erst am Montag mit den hohen Herren telefonieren, wie ich schon sagte, und um eine Unterredung bitten. Für mich ist wichtig, daß du wirklich interessiert bist.«

»Für mich wäre es ein Lichtblick… Obwohl ich schon zehn Jahre bei der gleichen Gesellschaft bin, wäre ich froh, mit dir zusammenarbeiten zu können.«

»Ich rufe dich sofort an, sobald ich was Definitives weiß.«

»Das wäre schön. Ich danke dir für dein Vertrauen, Michael, ich werde dich nie enttäuschen.«

»Das weiß ich, Hans Peter, ich hätte dich sonst nicht angerufen.«

*

Michael, der am Montag in Hamburg anrief, wann er zu einem Gespräch mit dem Generaldirektor, Herrn Krause, kommen könnte, wurde für Dienstag nachmittag bestellt.

Nachdem es am Montag den gan­zen Tag regnete, war er sogar froh, nicht fahren zu müssen.

»Morgen soll wieder die Sonne scheinen«, sagte Judith und fragte: »Simone und ich können nicht mit dir kommen? Du könntest uns am Hafen absetzen.«

»Nein, Schatz. Ich möchte lieber mit dem Zug fahren. Auch kann ich nicht vorhersagen, wie lange die Besprechung dauert.«

»Schade, ich wäre zu gern mal wieder in Hamburg gewesen. Ich finde, diese Stadt hat ein besonderes Flair.«

»Wir holen das nach, Judith. Nur wir zwei – für Simone würde ein Tag in dieser großen Stadt zu anstrengend sein.«

»Schade… Und was sollen wir ohne dich machen?«

»Das gleiche wie immer, wenn ich nicht daheim bin.« Michael nahm sie in die Arme und sagte zärtlich: »Vergiß nicht, mein Herz, du mußt mich noch vier Wochen ertragen.«

»Nützt sich da unsere Liebe nicht zu sehr ab?« fragte sie schelmisch.

»Im Gegenteil, sie wächst ins Uferlose.« Er hob seine um einen Kopf kleinere Frau in die Höhe und wirbelte sie im Zimmer herum, bis sie um Gnade flehte.

»Ich möchte auch gewirbelt werden, Papi«, sagte das Blondköpfchen, das aus seinem Zimmer kam, als es die Eltern so lachen hörte.

»Na, dann komm her, Spatz, du darfst auch wirbeln«, sagte lachend ihr Vater.

»Ich bin kein Spatz, der ist doch viel, viel kleiner als ich. Ich heiße Simone.«