Wenn ein Kind sich schuldig fühlt - Britta Frey - E-Book

Wenn ein Kind sich schuldig fühlt E-Book

Britta Frey

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Beschreibung

Sie ist eine bemerkenswerte, eine wirklich erstaunliche Frau, und sie steht mit beiden Beinen mitten im Leben. Die Kinderärztin Dr. Martens ist eine großartige Ärztin aus Berufung, sie hat ein Herz für ihre kleinen Patienten, und mit ihrem besonderen psychologischen Feingefühl geht sie auf deren Sorgen und Wünsche ein. Alle Kinder, die sie kennen, lieben sie und vertrauen ihr. Denn Dr. Hanna Martens ist die beste Freundin ihrer kleinen Patienten. Der Kinderklinik, die sie leitet, hat sie zu einem ausgezeichneten Ansehen verholfen. Es gibt immer eine Menge Arbeit für sie, denn die lieben Kleinen mit ihrem oft großen Kummer wollen versorgt und umsorgt sein. Für diese Aufgabe gibt es keine bessere Ärztin als Dr. Hanna Martens! Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen extrem liebenswerten Charme. Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert! »Warum seid ihr nur so aufgedreht?« Kopfschüttelnd sah Melanie Seipold, eine hübsche, blondhaarige Frau von sechsunddreißig Jahren, ihre beiden Sprößlinge an, ihren ältesten, Uli, der in genau einer Woche vierzehn wurde, und Lutz, der gerade zwölf war. Die beiden Jungen, wie sie selbst blondhaarig, mit blauen Augen, waren kluge aufgeweckte Burschen und ihr und ihres Mannes ganzer Stolz. »Wieso sind wir aufgedreht, Mutti?« entgegnete Uli. »Na, mein Junge, anders kann man es ja wohl nicht bezeichnen. Ihr lauft ja wie aufgescheuchte Hühner im Haus herum.« »Na und, Mutti, wir freuen uns eben schon so sehr auf unsere Fahrradtour. Es wird bestimmt ein ganz toller Tag. In einer Viertelstunde müssen wir los. Wir treffen uns alle an der Schule. Hoffentlich wird das Wetter wieder genauso klasse wie gestern und es gibt keinen Regen«, meldete sich der zwölfjährige Lutz zu Wort. »Wer fährt denn außer der Nanni und dem Norman noch mit euch?« wollte Melanie Seipold noch wissen, bevor ihre Buben das Haus verließen. »Nur noch Jens und Ingrid, Mutti. Es wird ganz bestimmt ein lustiger Tag. Aber jetzt wollen wir los, sonst sind wir noch zu spät am Treffpunkt.« »Dann zieht los. Ich wünsche euch allen einen schönen Tag.

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Kinderärztin Dr. Martens – 83 –

Wenn ein Kind sich schuldig fühlt

Das schlechte Gewissen ließ Uli keine Ruhe

Britta Frey

»Warum seid ihr nur so aufgedreht?« Kopfschüttelnd sah Melanie Seipold, eine hübsche, blondhaarige Frau von sechsunddreißig Jahren, ihre beiden Sprößlinge an, ihren ältesten, Uli, der in genau einer Woche vierzehn wurde, und Lutz, der gerade zwölf war. Die beiden Jungen, wie sie selbst blondhaarig, mit blauen Augen, waren kluge aufgeweckte Burschen und ihr und ihres Mannes ganzer Stolz.

»Wieso sind wir aufgedreht, Mutti?« entgegnete Uli.

»Na, mein Junge, anders kann man es ja wohl nicht bezeichnen. Ihr lauft ja wie aufgescheuchte Hühner im Haus herum.«

»Na und, Mutti, wir freuen uns eben schon so sehr auf unsere Fahrradtour. Es wird bestimmt ein ganz toller Tag. In einer Viertelstunde müssen wir los. Wir treffen uns alle an der Schule. Hoffentlich wird das Wetter wieder genauso klasse wie gestern und es gibt keinen Regen«, meldete sich der zwölfjährige Lutz zu Wort.

»Wer fährt denn außer der Nanni und dem Norman noch mit euch?« wollte Melanie Seipold noch wissen, bevor ihre Buben das Haus verließen.

»Nur noch Jens und Ingrid, Mutti. Es wird ganz bestimmt ein lustiger Tag. Aber jetzt wollen wir los, sonst sind wir noch zu spät am Treffpunkt.«

»Dann zieht los. Ich wünsche euch allen einen schönen Tag. Und auch nicht vergessen, bevor es dunkel wird, will ich euch wieder zu Hause sehen.«

»Alles klar, Mutti. Tschüß.«

Melanie Seipold bekam von ihren beiden Buben noch einen Kuß auf die Wange gedrückt, danach nahmen beide ihre Fahrradtaschen und verließen die elterliche Wohnung in Uelzen.

Die Taschen wurden über dem Gepäckträger der Räder befestigt, dann fuhren Uli und Lutz los, um ihre Freunde zu treffen.

Melanie folgte den beiden Buben zur Haustür und winkte ihnen noch einmal lächelnd nach. Erst als sie aus ihrem Blickfeld verschwunden waren, ging sie langsam ins Haus zurück.

Sie war von dieser Tagestour mit den Fahrrädern von Anfang an nicht gerade begeistert gewesen. Sicher, mit vierzehn und zwölf Jahren waren Uli und Lutz vernünftige Jungen. Aber wenn sie den ganzen Tag mit den Rädern unterwegs waren, war es Melanie doch nicht so ganz geheuer. Ob nun ihr Mann mit dem Wagen unterwegs war oder die Jungen mit den Fahrrädern, Melanie war immer erst erleichtert, wenn alle wieder gesund und munter daheim waren. Was nun diese Tour ihrer Söhne betraf, hatte es schon die ganze Überredungskunst ihres Mannes Horst bedurft, ehe sie dazu ihr Einverständnis gegeben hatte. Nun waren sie also unterwegs, und sie würde sich Sorgen und Gedanken machen, bis beide wieder gesund und munter über die Türschwelle traten.

*

Lutz und Uli erreichten nach knapp zwanzig Minuten ihren Treffpunkt, die Mittelschule der Stadt, die etwas außerhalb lag. Mit großem Hallo wurden sie begrüßt. Einer der beiden anwesenden Jungen, Norman Kranz, sagte: »Ihr seid vielleicht zwei Flaschen. Erst eine große Klappe, daß wir uns um halb acht hier treffen, und dann seid ihr es, die über eine Viertelstunde zu spät kommen. Noch zehn Minuten später, und wir wären ohne euch gefahren.«

»Erzähl nichts, Norman, wir waren für viertel vor acht verabredet«, entgegnete Uli.

»Ist ja egal. Jetzt seid ihr hier, und wir können endlich losfahren.«

Ingrid Weps, eine kesse Dreizehnjährige mit krausem, rötlichem Haar, beendete die Debatte und schob ihr Fahrrad vom Schulhof. Wohl oder übel mußten die anderen ihr folgen.

Die anderen, das waren die Brüder Seipold, Norman Kranz, Nanni Furler und Jens Verbold. Die sechs waren gute Freunde und besuchten alle dieselbe Schule.

Vor der Schule wartete Ingrid auf die Freunde. Erst als sie alle wieder beisammen waren, fragte sie: »Und jetzt, wie geht es weiter? Welche Richtung wollen wir einschlagen?«

»Wie abgesprochen, Ingrid. Wir fahren natürlich in Richtung Aller. Leute, schwingt euch auf eure Stahlrösser, damit wir hier vor der Schule keine Wurzeln schlagen. Der alte Lehnert kommt nachher noch auf den Gedanken, wir wollen am Wochenende auch in die Schule, wenn er uns sieht. Los, Uli, du bist der Älteste, du machst den Anfang. Paß auf die Ampeln auf, bis wir aus Uelzen heraus sind.«

Schon wenige Augenblicke später radelten sie, so wie es die Regeln verlangten, hintereinander in Richtung Stadtgrenze, um hinaus in die wunderschöne Natur zu gelangen.

Erst als sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, wurden die vier Jungen und die beiden Mädchen fröhlicher und ausgelassener. Scherzworte flogen hin und her, und gemeinsam sangen sie fröhliche Wanderlieder.

Nach gut zwei Stunden legte die lustige Gesellschaft eine erste Pause ein, und die von daheim mitgenommene Marschverpflegung wurde geplündert. Sie hatten sich dazu ein schattiges Plätzchen ausgesucht, denn die Sonne stieg immer höher, und es wurde zunehmend wärmer.

Nachdem sie sich ein wenig gestärkt hatten, sagte Nanni plötzlich: »Wenn es heute noch heißer wird, freue ich mich schon jetzt auf ein schönes, kühles Bad. Ich habe meinen Badeanzug mit.«

»Ich auch, Nanni. Aber wie sieht es mit euch aus, Uli, Lutz und ihr zwei?« Fragend sah Ingrid die Freunde an.

»Was glaubst du wohl, Ingrid? Wir werden kaum eine Tagestour unternehmen, ohne unser Badezeug mitzunehmen. Ihr wolltet euch wohl über uns krummlachen, was? Wir sollten jetzt weiterfahren, damit es mit dem Baden auch noch etwas wird. Also, auf, bewegt eure müden Beine.«

Wenig später saßen alle wieder auf ihren Fahrrädern, und unter lustigen Scherzen ging es weiter. Es war eine sehr ruhige Landstraße, die sie entlangfuhren, und ganz selten einmal wurden sie von einem Autofahrer überholt.

Einige Zeit ging es so weiter, bis Uli plötzlich anhielt und auf seine Freunde wartete.

»He, Uli, warum fährst du nicht weiter? Was ist auf einmal mit dir los?«

»Was soll schon los sein? Ich wollte euch nur einen Vorschlag machen, der uns noch mehr Spaß bringt.«

»Noch mehr Spaß? Laß schon hören, Uli.« Sofort scharten sich vor allem Lutz, Jens und Norman um Uli und sahen ihn gespannt an.

»Wäre es nicht klasse, wenn wir ein Wettrennen machten? Das gibt eine Mordsgaudi. Wer macht mit?«

»Ein Wettrennen, prima, klasse, wir machen mit«, stimmten sofort alle begeistert zu.

»Und wie weit, Uli?« wollte Lutz wissen.

»Zwei Kilometer auf dem Tacho. Wer den ersten Platz macht, gibt für alle ein Eis aus. Ist doch ein fairer Vorschlag, oder?«

Wie es bei Jugendlichen so häufig der Fall ist, waren die Ermahnungen der Eltern zur Vorsicht mit einem Schlag vergessen oder wurden in den Hintergrund gedrängt. Die Jungen und Mädchen waren zu ausgelassen, wie sich schon wenig später herausstellen sollte.

Da die Landstraße an einem langen, ausgedehnten Waldgebiet vorbeiführte, übersahen die Jungen und Mädchen in ihrer Begeisterung, daß sich ein ziemliches Stück weiter eine scharfe Straßenkurve befand.

»So, also alle in einer Reihe aufgestellt«, wies Uli die Freunde an. »Wenn ich sage ›los‹, wird angefahren, aber nicht eher.«

»Alles klar, Boss«, stichelten Nanni und Ingrid, aber sie stellten sich mit den anderen in Position.

»Achtung, fertig, los«, gab Uli das Kommando, und schon rasten sie alle zugleich los. In diesem Moment zählte für die Jugendlichen nicht, daß der Sieger des Wettrennens für alle Eis oder Limo bezahlen sollte. Jeder von ihnen war von dem Ehrgeiz besessen, als erster die zwei Kilometer lange Strecke hinter sich zu bringen.

*

Dr. Kay Martens hatte am Freitagabend einen Freund besuchen wollen, und er war dabei in eine große Geburtstagsparty geplatzt. Der Sohn seines Freundes war zehn Jahre alt geworden, und das war gebührend gefeiert worden.

Da für den Samstag keine wichtigen Termine in der Kinderklinik Birkenhain vorgesehen waren, hatte er seine Schwester Hanna angerufen und ihr Bescheid gesagt, daß er erst am nächsten Tag zurückkommen würde. Nun befand Kay sich auf dem Rückweg nach Ögela. Er fuhr absichtlich über ruhige Landstraßen, weil er es nicht eilig hatte und er den Ausblick in die herrliche Landschaft genießen wollte.

Es war so gegen elf Uhr, als er vor sich eine Gruppe jugendlicher Radfahrer auftauchen sah. Aber was taten diese Jungen und Mädchen in diesem Moment? Dr. Kay Martens sah deutlich, daß sich die Gruppe in einer Reihe aufstellte, und die Jugendlichen, er zählte sechs, in nächster Sekunde losradelten. Welch ein bodenloser Leichtsinn, die ganze Straßenbreite zu benutzen! Und, warum rasten sie so drauflos? Wußten diese Kinder nicht, wie gefährlich das war, was sie da taten? Kay hoffte von ganzem Herzen, daß da vor ihm alles gutgehen würde.

Doch Kay hoffte vergebens, denn ein paar Sekunden später trat er entsetzt voll auf die Bremse. Was er sah, ließ ihm förmlich das Blut in den Adern stocken. Ein Stück vor den Jugendlichen mußte sich eine ziemlich scharfe Kurve befinden. In rasender Fahrt kam da plötzlich ein Wagen und fuhr genau in die Gruppe Radfahrer hinein.

Es war nur gut, daß Dr. Kay Martens, wie alle seine Mitarbeiter in der Kinderklinik Birkenhain, seit längerer Zeit ein Funktelefon in seinem Wagen hatte. Noch bevor er die Unfallstelle erreicht hatte, informierte er den Rettungsdienst und die Polizei.

Als der junge Arzt ein paar Augenblicke später am Unfallort aus seinem Wagen sprang, um erste Hilfe zu leisten, bot sich ihm ein Bild des Schreckens. Er hätte zehn Hände haben müssen, um überall sofort helfen zu können. Aber so konnte er nur bei den am schwersten verletzten Kindern beginnen und sie notversorgen.

Mein Gott, dachte er, diese Kinder sind höchstens zwölf, dreizehn Jahre. Kurz sah er sich noch einmal nach beiden Seiten der Landstraße um, aber es war keinerlei Hilfe zu sehen. Es war für Dr. Martens der reinste Horrortrip, und er handelte schnell, aber umsichtig. Zwei Mädchen schienen nur leicht verletzt zu sein, aber wie er mit einem Blick erkennen konnte, standen sie unter einem schweren Schock. Sein erfahrenes Auge erkannte sofort, daß zwei der Jungen besonders schwere Verletzungen davongetragen hatten.

Kay Martens atmete auf, als er die Martinshörner sich schnell nähernder Wagen und auch eine Polizeisirene hörte. Gott sei Dank, endlich kam Hilfe.

Es waren der Notarztwagen und der Krankenwagen der Kinderklinik, die am nächsten lag, und ein Krankenwagen des Celler Krankenhauses, die zur Hilfe kamen.

Während die schwerverletzten beiden Jungen behutsam auf eine Trage und in den Krankenwagen gehoben wurden, fragte einer der Polizeibeamten, der inzwischen dafür gesorgt hatte, daß die Unfallstelle gesichert wurde: »Können Sie uns sagen, wie dieses Desaster passiert ist, Herr Dr. Martens? Wir müssen ein Protokoll aufnehmen.«

»Das verstehe ich, aber Sie sehen ja selbst, was hier los ist. Ich habe noch zu tun. Wir müssen das Protokoll schon auf später verschieben. Lassen Sie mich jetzt bitte meine Arbeit weitermachen.«

»In Ordnung, Herr Doktor. Ich gehe doch recht in der Annahme, daß die verletzten Kinder in die Kinderklinik Birkenhain gebracht werden, nicht wahr?«

»Ja, natürlich, die Kinderklinik liegt am nächsten. Wenn die Kinder versorgt sind, stehe ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung, Herr…?«

»Bergmann, Herr Dr. Martens, Hauptkommissar Bergmann.«

»Also, Herr Kommissar, ich würde zuerst die Personalien des Wagenhalters feststellen lassen. Er kam aus der Kurve geschossen und hat den Unfall verursacht. Mehr kann ich im Augenblick nicht sagen.«

»Ist schon alles geschehen, Herr Doktor. Einer der Ärzte kümmert sich gerade um den jungen Mann. Ich komme dann im Laufe des Nachmittags zu Ihnen in die Kinderklinik, damit ich das Protokoll aufnehmen kann.«

»In Ordnung, ich erwarte Sie dann.«

In dem hektischen Durcheinander war Kay nicht aufgefallen, daß sich einer der beiden unverletzt gebliebenen Jugendlichen entfernt hatte. Kay war schon auf dem Weg zu seinem Wagen, als ihm plötzlich einfiel, daß es doch sechs Personen gewesen waren, die er kurz vor dem Unfall auf der Straße vor sich gesehen hatte. Er sah sich um und entdeckte auf der Straße vor sich einen der Jungen. Kay ging zu ihm und beugte sich hinunter. Sichtbare Verletzungen hatte er offenbar nicht, aber der Junge, den er auf höchstens dreizehn Jahre schätzte, schien ziemlich verstört zu sein.

»Komm, Junge, du fährst jetzt erst einmal mit zu uns in die Kinderklinik. Dort werde ich dich gleichfalls untersuchen. Tut dir etwas weh? Hast du irgendwo Schmerzen.«

»Der Uli, wo ist denn der Uli? Warum ist der Uli nicht mehr hier? Er war doch eben noch da?«

»Vielleicht ist er schon mit einem Krankenwagen mitgefahren.«

»Wo ist der Uli?« murmelte der verstörte Junge nur immer wieder und ließ sich von Kay zu dessen Wagen führen. Bevor Kay selbst einstieg, winkte er einen der Polizeibeamten zu sich und machte vorsichtshalber noch einmal darauf aufmerksam, daß er nicht wüßte, wo der sechste der Jugendlichen geblieben sei. Nachdem ihm zugesichert worden war, daß man sich darum kümmern würde, fuhr er nun endlich los, um auf dem schnellsten Weg in die Kinderklinik zu gelangen. Denn er wußte, daß er dort dringend gebraucht wurde.

Während der Fahrt zur Klinik versuchte er herauszubekommen, wie der Junge hieß, doch dieser reagierte nicht darauf.

Seine Gedanken schienen sich nur um diesen Uli zu drehen. Kay Martens gab schließlich das Fragen auf. Wenn erst der erste Schock vorüber war, konnte man sicherlich ganz vernünftig mit ihm reden.

In der Klinik angekommen, übergab Kay den Jungen einer Schwester und sagte: »Bringen Sie den Jungen bitte zu Frau Dr. Andergast, Schwester Dorte. Ich kann mich im Augenblick nicht weiter um ihn bemühen. Sobald ich Zeit habe, werde ich mich bei Frau Dr. Andergast melden.« Ohne eine Antwort der Schwester abzuwarten, wandte sich Kay ab und verschwand mit langen ausgreifenden Schritten hinter der hohen Glastür, die zum Behandlungstrakt führte.

Schwester Dorte legte einen Arm um die Schulter des Jungen und ging mit ihm zum Fahrstuhl, um ihn zur Kinderpsychologin, Dr. Wenke Andergast, zu bringen.

Es dauerte bis zum Spätnachmittag, bis man die beiden schwerverletzten Jungen operiert hatte und sie auf der Intensivstation versorgen konnte.

Dr. Hanna Martens, Kay Martens’ Schwester, hatte bei dem ersten der beiden Jungen ihrem Bruder nicht assistiert, da ja auch die beiden Mädchen versorgt werden mußten. Zum Glück hatten sie keine schweren Verletzungen. Schnitt- und Schürfwunden, einen Armbruch hatte das eine, das andere Mädel einen Handgelenkbruch und einen tiefen Riß im Unterarm. Aber beide Mädchen standen so unter dem Unfallschock, daß Hanna sie mit Medikamenten hatte ruhigstellen müssen. So kam Hanna erst dazu, ein paar persönliche Worte mit ihrem Bruder zu wechseln, nachdem auch der zweite schwerverletzte Junge operiert worden und auf die Intensivabteilung gebracht worden war.

*

Dr. Wenke Andergast befand sich im Ärztezimmer oben auf der Krankenstation, als Schwester Dorte mit dem Jungen eintrat.

»Herr Dr. Martens schickt mich, ich soll den Jungen zu Ihnen bringen, Frau Dr. Andergast. Sie möchten sich mit ihm befassen, bis er selbst Zeit hat. Er war an dem Unfall beteiligt.«

»Ich bin schon über den Unfall informiert, Schwester Dorte. Danke, daß Sie den Jungen hergebracht haben. Sollte ich Ihre Hilfe noch brauchen, lasse ich Sie rufen. Sie können mich jetzt mit dem Jungen allein lassen.«

Nachdem sich die Tür hinter der Schwester geschlossen hatte, wandte sich Wenke dem Jungen zu. Sie legte ihm beide Hände auf die Schultern und sagte mit warmer, freundlicher Stimme: »Ich weiß, du hast ein sehr schlimmes Erlebnis hinter dir, aber ich möchte gern wissen, wie du heißt. Ein paar deiner Freunde haben Verletzungen erlitten, und wir müssen den Eltern Bescheid geben. Du verstehst das doch sicher, nicht wahr?«

»Aber der Uli, ich muß doch den Uli…«

»Ist dieser Uli auch ein Freund? War er mit euch zusammen?«

»Ja, aber auf einmal habe ich ihn nicht mehr gesehen.«

»Wir fragen nachher den Doktor. Sagst du mir jetzt erst einmal deinen Namen? Du brauchst vor mir keine Angst zu haben.«

Tief senkte sich der Kopf des Jungen, und leise antwortete er: »Ich heiße Jens.«

»Und weiter?«

»Jens Verbold.«

»Und wie alt bist du, und wo leben deine Eltern?«

»Wir wohnen in Uelzen, und ich bin dreizehn Jahre alt. Wir wohnen alle in Uelzen. Ich will aber nicht nach Hause.«

»Noch bist du hier in der Kinderklinik. Aber warum willst du denn nicht nach Hause? Du hast doch nichts getan, oder?«

»Und wenn… und wenn nun einer von meinen Freunden tot ist? Dann haben wir alle Schuld daran. Wir waren alle mit diesem blöden Rennen einverstanden.«

»Sie leben alle, und das ist die Wahrheit, Jens. Ich bin sicher, daß sie alle wieder gesund werden. Ihr habt mit eurem Rennen einen großen Fehler gemacht, aber Fehler machen auch wir Erwachsenen. Mit dreizehn Jahren bist du schon vernünftig genug und sagst mir auch die Namen deiner Freunde und nach Möglichkeit auch, wo sie in Uelzen wohnen. Bist du damit einverstanden?«

»Ja, Frau Doktor, ich sage Ihnen alles, was Sie wissen wollen.«

»So ist es vernünftig, Jens. Aber bevor wir beginnen, mußt du mir noch ganz ehrlich sagen, ob dir etwas wehtut. Auch die geringste Kleinigkeit kann wichtig sein.«

»Mir tut nur mein Knie ein wenig weh. Ich habe mich da wohl beim Abspringen gestoßen. Es ist aber wirklich nicht schlimm.«

»Nun, ob es schlimm ist oder nicht, das entscheide ich. Zeig mal her, ich werde mir dein Knie einmal ansehen.«