Kindererziehung im Jetzt - Susan Stiffelman - E-Book

Kindererziehung im Jetzt E-Book

Susan Stiffelman

4,5

Beschreibung

Für alles im Leben müssen wir Qualifikationen nachweisen, Prüfungen ablegen oder sogar studieren. Doch für eine der anspruchsvollsten und wichtigsten Aufgaben – die Kindererziehung – ist das nicht nötig. Wie leben und erleben wir Kindererziehung im Jetzt? Wie setzen wir Grenzen, bauen Verbundenheit auf, schaffen Klarheit und Präsenz? Unsere größten Lehrer leben mit uns unter einem Dach, denn unsere Kinder erteilen uns die wichtigsten Lektionen. Sie zeigen uns deutlich unsere Mängel, unsere unbewussten Anteile und unseren Grad an Gegenwärtigkeit. Die Autorin lädt ein, sich auf eine Reise zu mehr Frieden, Freude und persönlicher Transformation in der täglichen Kindererziehung zu begeben. Sie lehrt uns alles, was wir wissen müssen, um unsere Kinder – und uns selbst – zu bewussten, mitfühlenden und gelassenen Menschen zu erziehen.

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SUSAN STIFFELMAN

Kindererziehung im Jetzt

Klarheit,Verbundenheitund Präsenz

Vorwort von Eckhart Tolle

• Eckhart Tolle Edition •

Aus dem Amerikanischen vonFrances Hoffmann

Titel der Originalausgabe: Parenting with PresenceCopyright © 2015 Susan StiffelmanOriginally published by New World Library, Novato, CaliforniaAn Eckhart Tolle Edition

Susan StiffelmanKindererziehung im Jetzt

Projektmanagement: Marianne NentwigÜbersetzung: Frances HoffmannLektorat: Viviane KornGestaltung Umschlag/Innenteil: Wilfried KleiCoverfoto: © Anna Belova / fotolia.comAutorenfoto: Paul StantonE-Book Gesamtherstellung: Bookwire GmbH, Frankfurt a. M.

© J. Kamphausen Mediengruppe GmbH, Bielefeld [email protected] | www.weltinnenraum.de

ISBN Printausgabe: 978-3-95883-023-3eISBN E-Book: 978-3-95883-024-0

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diesePublikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen undsonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabesowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.

KOMMENTARE ZUM BUCH

„Genau die Unterstützung, die Eltern brauchen! Mit bewährten, klugen und praktischen Tipps hilft Kindererziehung im Jetzt Eltern dabei, einmal tief durchzuatmen und sich voller Mitgefühl, Liebe und Achtsamkeit um sich selbst und ihre Kinder zu kümmern.“

Jack Kornfield, Autor von A Path with Heart, undTrudy Goodman, PhD, Gründerin von InsightLA

„Seit sechs Jahren betreue ich eine Community von hunderttausenden Eltern und während dieser ganzen Zeit hat es nur ein Buch über Erziehung gegeben, das ich den Leuten ans Herz gelegt habe: Parenting Without Power Struggles. Jetzt kann ich endlich – mit Nachdruck – ein weiteres Buch empfehlen: Kindererziehung im Jetzt. Ich vertraue Susan Stiffelman aus ganzem Herzen und würde ihr ohne Weiteres meine Familie und meine Community anvertrauen, denn sie hat verstanden, dass Kindererziehung nicht nur eine Aufgabe, sondern eine spirituelle Übung ist – ein Weg zur Heilung, zur Wahrheit, zu Gott. Sie hat verstanden, dass das, was jeden Tag bei mir zu Hause abläuft, brutal und wunderschön und hart und heilig ist. Sie hat verstanden, dass wir, während wir unsere Kinder erziehen, auch immer uns selbst erziehen. In Kindererziehung im Jetzt steht Susan Eltern nicht nur als Expertin, sondern auch als wegweisende Ratgeberin, Freundin und Heilerin zur Seite. Dieses Buch wird den Erwachsenen helfen zu heilen, damit sie Kinder erziehen können, die weniger Heilung benötigen.“

Glennon Doyle Melton, Autorin des New York TimesBestsellers Aufstehen, Krone richten, weitermachen

„Kindererziehung im Jetzt ist eine sanfte, aber kraftvolle Erinnerung daran, dass unsere Fähigkeit, Ruhe zu bewahren und auf anstrengende Situationen bewusst und nicht impulsiv zu reagieren, für die Erziehung gesunder Kinder von entscheidender Bedeutung ist. Es geht vielmehr um uns Eltern als um die Kinder. Und wenn wir an uns arbeiten, dann können wir den Fluss negativer Energie, der belastende Situationen eskalieren lässt, unterbrechen. Dies ist ein wichtiges Buch.“

Tim Ryan, Kongressabgeordneter des Bundesstaates Ohiound Autor von A Mindful Nation

„ Anschaulich, weise, gefühlvoll und poetisch legt Susan Stiffelman für uns dar, wie der Segen und die Herausforderungen dieser empfindlichen Verbindung zwischen Eltern und Kind zu einem starken Nährboden für gegenseitiges Wachstum, Heilung und Verbundenheit werden kann. Kinder sind die Zukunft unseres Planeten und Susan legt hier den Grundstein dafür, dass wir diese neue Generation in eine heilere, humanere und stärker verbundene Welt führen können, angefangen bei uns selbst. Ich bin Susan so dankbar, dass sie dieses kraftvolle Buch geschrieben hat.“

Alanis Morissette, Singer/Songwriterin und Aktivistin

„Wer hätte gedacht, dass das Kind, das im Nebenraum weint, oder der nervige Teenager eigentlich ein spiritueller Lehrer für uns ist? Wer hätte gedacht, dass lästige Wutausbrüche und provokatives Verhalten uns eine bewusstere, spirituell stimmige, effektivere und sogar angenehmere Elternschaft lehren könnten? Susan Stiffelmans wegweisender, enorm lesenswerter Ratgeber lehrt uns alles, was wir darüber wissen müssen, wie wir unsere Kinder – und uns selbst – zu bewussteren, mitfühlenderen und – ob Sie es glauben oder nicht – gelasseneren Menschen erziehen.“

Kathy Eldon, Gründerin undVorsitzende der Creative Visions Foundation

„ Eine empathische Zärtlichkeit zieht sich durch diesen weisen und bodenständigen Ratgeber für eine bewusstere Kindererziehung. Man spürt die Liebe, die Susan Stiffelman den Familien, mit denen sie in ihrer therapeutischen Praxis arbeitet, entgegenbringt. Man spürt auch ihr Vertrauen darauf, dass jeder von uns in die Herausforderungen des Elternseins hineinwachsen und das damit verbundene Geschenk erleben wird. In diesem Buch wird wunderschön und facettenreich dargelegt, was unsere Kinder am meisten von uns brauchen, und es gibt Übungen, die uns dabei helfen, diese Kompetenzen zu entwickeln und sowohl zu unserem eigenen als auch zum Wohle unserer Kinder von ihnen zu profitieren.“

Myla und Jon Kabat-Zinn, Autoren von Mit Kindern wachsen:Die Praxis der Achtsamkeit in der Familie

„ Eines der besten Bücher über Kindererziehung, das ich seit langem gelesen habe. Susan Stiffelman gelingt es, mit viel Klarheit, Wärme und Weisheit eine Brücke zwischen der Welt der spirituellen Transformation und der absolut pragmatischen Realität der Kindererziehung zu schlagen. Kindererziehung im Jetzt steckt voller Einblicke, die Eltern auf einen Weg der Heilung und der Freude bringen können. Ich kann es nur wärmstens empfehlen!“

Elisha Goldstein, PhD, Autor von Uncovering Happiness:Overcoming Depression with Mindfulness and Self-Compassion

„ Mich als Mutter haben die Einblicke und Übungen in Kindererziehung im Jetzt zutiefst bewegt. Susan Stiffelman ergründet sehr feinfühlig jene Gefilde, die viele Experten der Kindererziehung gern vermeiden – die tieferen Ebenen der Angst, Schuld und Scham, die uns in unserer Fähigkeit behindern, gerade für diejenigen Aspekte der Kindererziehung, die wir am schwierigsten finden, voll und ganz präsent zu sein. Damit macht sie uns allen ein großes Geschenk. Ich werde nicht müde, dieses Buch an frisch gebackene und altgediente Eltern gleichermaßen zu verschenken.“

Katherine Woodward Thomas, Autorin von Conscious Uncoupling

„ Ein erleuchteter Ratgeber zur Kindererziehung für alle, die mitfühlende, zufriedene, widerstandsfähige Kinder großziehen und dabei noch die eigenen unerledigten Kindheitsprobleme bewältigen wollen. Kindererziehung im Jetzt steckt voller elterlicher Weisheit, klug aufbereitet und reich gespickt mit Beispielen aus dem wahren Leben. Ein Juwel von einem Buch!“

Marci Shimoff, Autorin von Glücklich ohne Grund!

„ Kindererziehung im Jetzt ist von unschätzbarem Wert für alle Eltern, die ihren Kindern ein Verständnis dafür vermitteln wollen, was es wirklich heißt, ein erfolgreiches Leben zu führen. Mit einer Mischung aus praktischen Werkzeugen und persönlichen Geschichten legt Susan Stiffelman dar, wie wir enge, liebevolle Familienbeziehungen erschaffen können, und macht dabei deutlich, wie transformierend und erfüllend Elternschaft tatsächlich sein kann.“

Arianna Huffington, Autorin von Die Neuerfindung des Erfolgs

„ In Kindererziehung im Jetzt bietet uns die renommierte Expertin Susan Stiffelman einen einzigartigen Ansatz zur Kindererziehung an, der Weisheit und Mitgefühl in sich vereint. Durch und durch pragmatisch regt sie uns Eltern mit den Ansätzen aus diesem bemerkenswerten Buch dazu an, eine starke Basis für eine wahrhaftig liebevolle und mitfühlende Verbindung zu unseren Kindern zu schaffen und dabei auch aus uns selbst das Beste herauszuholen – unsere Präsenz, unsere Freude, unser Verständnis und unsere Güte.“

Thupten Jinpa, bedeutendster englischer Übersetzerdes Dalai Lama und Autor von A Fearless Heart

Für die Kinder, die wir aufziehen,und für die, die in unseren Herzen leben,möget ihr entdecken, dass es sicher istherauszukommen, um zu spielen,zu tanzen und zu strahlen.

Vorwort von Eckhart Tolle

Einleitung

KAPITEL 1: Der beste Lehrer lebt mit Ihnen unter einem Dach

KAPITEL 2: Erwachsenwerden durch Kindererziehung

KAPITEL 3: Werfen Sie Ihre Idealvorstellungen über Bord

KAPITEL 4: Wir ziehen keine Kinder groß, sondern Erwachsene

KAPITEL 5: Selbstliebe und Bewusstheit vorleben

KAPITEL 6: Eine gesunde Kommunikation stärkt die Bindung

KAPITEL 7: Auf Worte müssen Taten folgen

KAPITEL 8: Empathie, Verletzlichkeit und Mitgefühl kultivieren

KAPITEL 9: Wie wir unseren Kindern helfen, mit Stress umzugehen

KAPITEL 10: Zufriedenheit gibt es nur im Inneren

KAPITEL 11: Hilfsmittel, Tipps und Strategien

Epilog

Ein Wort der Autorin

Über die Autorin

Danksagungen

Weiterführende Quellen

Endnoten

Vorwort

Bevor wir Auto fahren dürfen, müssen wir sowohl eine theoretische als auch eine praktische Prüfung bestehen, damit sichergestellt ist, dass wir weder für uns selbst noch für andere eine Gefahr darstellen. Für alle erdenklichen Jobs, außer vielleicht für die allereinfachsten, müssen wir bestimmte Qualifikationen nachweisen, für komplexere Berufe sogar eine jahrelange Ausbildung oder ein Studium. Doch für eine der aufreibendsten und wichtigsten Aufgaben, die es gibt – die Kindererziehung –, brauchen wir keinerlei Qualifikationen.

„Die Elternschaft ist das letzte große Ressort der Amateure“, schrieb der Autor Alvin Toffler. Dieser Mangel an Wissen oder Bildung ist einer der Gründe (wenn auch nicht der Hauptgrund, wie wir noch feststellen werden) für die Schwierigkeiten vieler Eltern. Diese Eltern versäumen es nicht unbedingt, für das physische und materielle Wohl ihrer Kinder zu sorgen. Tatsächlich lieben sie ihre Kinder wahrscheinlich sehr und wollen nur das Beste für sie. Und doch haben sie keine Ahnung, wie sie mit den Herausforderungen, die ihnen ihre Kinder fast täglich stellen, umgehen oder wie sie angemessen auf die emotionalen, psychologischen und spirituellen Bedürfnisse der Heranwachsenden reagieren sollen.

Während Kindererziehung in der Vergangenheit vor allem autoritär gehandhabt wurde, versäumen es viele Eltern in unserer modernen Gesellschaft, dem Kind die klare Führung zu geben, nach der es sich so verzweifelt sehnt und die es dringend braucht. Oft herrscht in der heimischen Umgebung völlige Strukturlosigkeit, wie bei einem führerlosen Schiff, das ohne Kapitän auf dem Meer treibt. Die Eltern erkennen nicht, dass sie für ihr Kind, wie Susan Stiffelman es so treffend formuliert, der „Kapitän des Schiffes“ sein müssen. Und das bedeutet mitnichten, dass wir zu den autoritären Erziehungsmethoden vergangener Zeiten zurückkehren sollten. Vielmehr geht es darum, die Balance zu finden, den Mittelweg zwischen exzessiver und gar keiner Struktur.

Doch letztendlich ist der tiefere Grund für die Probleme im Familienleben nicht im elterlichen Mangel an Wissen oder Bildung zu suchen, sondern im Mangel an Bewusstsein. Wo es keine bewussten Eltern gibt, kann auch keine bewusste Elternschaft stattfinden! Bewusste Eltern sind in der Lage, sich in ihrem Alltag immer ein gewisses Maß an Bewusstheit zu bewahren, auch wenn sich kleine Fehltritte meistens nicht vermeiden lassen. Bist du nicht bewusst (oder mit anderen Worten achtsam oder gegenwärtig), ist die Beziehung zu deinem Kind wie auch zu jedem anderen Menschen von deinen geistigen Konditionierungen geprägt. Deine mentalen/emotionalen Reaktionsmuster, deine Überzeugungen und unbewussten Annahmen, die du von deinen Eltern und der kulturellen Umgebung, in der du aufgewachsen bist, übernommen hast, haben dich dann fest im Griff.

Viele dieser Muster reichen über unzählige Generationen in die Vergangenheit zurück. Doch wenn du bewusst – oder, wie ich es lieber nenne, gegenwärtig – bist, wirst du deiner mentalen und emotionalen Verhaltensmuster gewahr. Dann beginnst du zu verstehen, dass du die Wahl hast, wie du auf deine Kinder eingehen willst, anstatt blind aus alten Mustern heraus zu reagieren. Und was noch viel wichtiger ist: Du wirst diese Muster dann nicht mehr an deine Kinder weitergeben.

Ohne Gegenwärtigkeit kannst du dich nur über deinen denkenden Verstand und deine Emotionen mit deinem Kind verbinden, nicht aber über die tiefere Ebene des Seins. Selbst wenn du das Richtige tust, fehlt dir doch immer noch die wichtigste Zutat für die Beziehung zu deinem Kind: die Dimension des Seins, das Reich der Spiritualität. Die tiefere Verbindung ist dann schlichtweg nicht da.

Das Kind spürt intuitiv, dass etwas elementar Wichtiges in seiner Beziehung zu dir fehlt, dass du nie wirklich präsent, nie wirklich da bist, sondern immer nur im Verstand. Das Kind wird dann unbewusst annehmen oder vielmehr spüren, dass du ihm etwas Wichtiges vorenthältst. Dadurch beginnt ein unbewusster Zorn oder Groll in ihm zu wachsen, der sich auf sehr unterschiedliche Weise ausdrücken kann oder aber bis zur Adoleszenz im Verborgenen bleibt.

Diese Entfremdung zwischen Eltern und Kind ist zwar noch immer die Norm, aber es findet gerade eine Veränderung statt. Immer mehr Eltern gelangen zu mehr Bewusstsein und lernen, die konditionierten Muster ihres Verstandes zu transzendieren und sich auf der tieferen Ebene des Seins mit ihrem Kind zu verbinden.

Es gibt also zweierlei Gründe für dysfunktionale oder unbewusste Elternschaft. Einerseits fehlt es an Wissen oder Bildung hinsichtlich einer Kindererziehung, die eine gesunde Balance zwischen dem alten, übermäßig autoritären Ansatz und unserer zeitgenössischen, gleichermaßen unausgewogenen Erziehung darstellt. Andererseits und auf einer viel wesentlicheren Ebene mangelt es auf Seiten der Eltern an Präsenz oder bewusster Gegenwärtigkeit.

Es gibt zwar eine Menge Bücher, die Eltern, die noch Bücher lesen, hilfreiche Tipps geben, doch darunter sind kaum welche, die sich der mangelnden elterlichen Gegenwärtigkeit widmen oder erklären, wie man die alltäglichen Herausforderungen der Kindererziehung nutzen kann, um das eigene Bewusstsein wachsen zu lassen. Susan Stiffelmans Buch hilft dem Leser auf beiden Ebenen, nennen wir sie das Tun und das Sein. Sie teilt ihr aufschlussreiches Wissen und gibt praktische Tipps zum Tun, ohne dabei die elementarere Ebene des Seins außer Acht zu lassen.

Kindererziehung im Jetzt zeigt Eltern, wie sie aus der Kindererziehung eine spirituelle Praxis machen können. Es hilft dabei, die vielen Herausforderungen, die uns unsere Kinder stellen, in einen Spiegel zu verwandeln, der es uns erlaubt, uns bislang unbewusster Muster bewusst zu werden. Und indem wir uns ihrer bewusst werden, können wir beginnen, sie zu transzendieren.

Der Schriftsteller Peter de Vries schrieb: „Wie viele von uns sind reif genug für den Nachwuchs, noch bevor er in unser Leben tritt? Der Wert der Ehe besteht nicht darin, dass Erwachsene Kinder hervorbringen, sondern dass Kinder Erwachsene hervorbringen.“ Ob wir als Elternpaar oder als alleinerziehende Eltern agieren, unsere Kinder werden uns ohne Zweifel dabei helfen, zu reiferen Menschen heranzuwachsen. Ja, Kinder bringen Erwachsene hervor, aber was noch viel wichtiger ist, Susan Stiffelmans einzigartiges Buch zeigt uns, wie Kinder bewusste Erwachsene hervorbringen können.

Eckhart Tolle,Autor vonJetzt! Die Kraft der Gegenwartund Eine neue Erde

Einleitung

Angie war ein wahres Arbeitstier. Als Herausgeberin einer kleinen Gesundheits- und Wellnesszeitschrift war sie es gewohnt, die Dinge effizient, gründlich und termingerecht zu erledigen. Ihre Angestellten fühlten sich zwar hin und wieder von ihr überwacht, doch sie gab auch ihr Bestes, um eine angenehme Arbeitsumgebung zu schaffen, indem sie großzügige Angebote wie die Möglichkeit zur Telearbeit machte und im Pausenraum immer einen Vorrat an Bio-Snacks bereithielt. Doch Angie war fest dazu entschlossen, dass sich ihr Leben nicht ausschließlich um Produktivität drehen sollte. Jeden Morgen machte sie, noch bevor sie sich für den Tag fertig machte, eine geführte Meditation, und bevor sie Kinder hatten, nahmen sie und ihr Mann Eric, wann immer sie die Gelegenheit dazu hatten, an einem Yoga-Retreat teil.

Eric führte von zu Hause aus ein kleines Online-Marketingunternehmen. Er war bekannt für seinen unkonventionellen Ansatz und erfreute sich wachsenden Erfolgs, den er seiner Kreativität und seinem Ruf, alles möglich zu machen und immer zuverlässig zu sein, zu verdanken hatte.

Angie und Eric waren ganz aus dem Häuschen, als ihr Sohn Charlie geboren wurde. Sie waren fest entschlossen, ihr Familienleben ganz anders zu gestalten, als es in ihren jeweiligen Herkunftsfamilien der Fall gewesen war. Für Angie bedeutete dies, ein Gefühl des Zusammenhalts und der Verbundenheit zu schaffen, das es in ihrer Herkunftsfamilie nicht gegeben hatte; ihre Mutter war Alkoholikerin und hatte sich herzlich wenig um ihre Kinder gekümmert, weshalb Angie und ihre Schwestern meist sich selbst überlassen waren. Erics Eltern kümmerten sich durchaus, allerdings übertrieben sie es und kontrollierten jede seiner Bewegungen und die seiner Schwester obendrein, was sie beide, wie er es ausdrückte, ihrer eigenen Stimme beraubte. Angie und Eric waren also entschlossen, ihren Kindern genau jene Mischung aus Freiheit und Aufmerksamkeit angedeihen zu lassen, die sie während ihrer eigenen Kindheit so schmerzlich vermisst hatten.

Charlie wuchs heran und Angie und Eric waren entzückt über seine starke Persönlichkeit. Aber er war sehr temperamentvoll, schnell frustriert und nur schwer zu beruhigen; schon als Kleinkind neigte er zu ausgewachsenen Wutausbrüchen, wenn er nicht bekam, was er wollte. Seine Eltern, immer bedacht, mitfühlend und fürsorglich zu sein, versuchten dem kleinen Charlie zu erklären, weshalb er nicht haben konnte, was er wollte, doch das machte alles nur noch schlimmer. Und obwohl er sich darauf freute, endlich „ein großer Junge“ zu sein und in die Schule zu gehen, kam er mit den Einschränkungen, die ihm in der Vorschule auferlegt wurden, nicht zurecht. Es war ihm fast unmöglich, während der Vorlesezeit still zu sitzen, und wenn ein Kind ein Spielzeug hatte, das Charlie, der nie gelernt hatte, seine Impulse zu kontrollieren, gern haben wollte, dann nahm er es sich einfach – wenn es sein musste mit Gewalt.

Schon bald nach der Einschulung wurden Angie und Eric in die Schule bestellt, wo der Direktor einen Vorfall mit ihnen besprechen wollte, bei dem Charlie ein anderes Kind heftig geschubst hatte. Dieses Treffen war nur das erste von vielen, die noch folgen sollten, weil Charlie sein Verhalten nicht unter Kontrolle hatte. Als er mit vier ein Schwesterchen bekam, eskalierte die Situation. Seine Eltern gaben sich große Mühe, verständnisvoll zu sein, doch sie hatten keine Ahnung, wie sie ihren temperamentvollen Sohn in den Griff bekommen sollten – sie bettelten, verhandelten, drohten und gaben meistens einfach nach. Charlie war mit seinen Tiraden der Herr im Haus und seine Eltern konnten sich kaum noch an die friedliche Zeit ohne Kinder erinnern. Sie schämten sich dafür, Mutter und Vater eines „solchen“ Kindes zu sein, und fürchteten sich jeden Morgen davor, was ihr unberechenbarer Sprössling denn heute anstellen würde.

Angie und Eric hatten geglaubt, dass ihre Leidenschaft für persönliches Wachstum automatisch dazu führen würde, dass Kindererziehung für sie einfach und voller Freude sein würde. Schließlich werden Kinder doch von ihrer Umgebung geprägt, oder nicht? Ein ruhiges, liebevolles Zuhause mit aufmerksamen Eltern würde doch wohl die Familienharmonie sicherstellen. Leider war dem nicht so. Angies morgendliche Meditationen gehörten der Vergangenheit an, und obwohl sie es zu vermeiden versuchten, fingen sie und Eric an, sich gegenseitig zu beschuldigen und sich Sätze an den Kopf zu werfen wie „Hättest du das mit Charlie doch lieber so geregelt und nicht so, dann hätten wir heute mal keine Krise gehabt.“

Ob Eltern es nun wichtig finden, an ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu arbeiten, oder ob sie einfach nur zufriedene Kinder großziehen wollen, ohne Drama und Machtkämpfe, so haben sie doch oft mühe, sich mit der Realität der Kindererziehung zu arrangieren, vor allem, wenn die Bedürfnisse oder das Temperament ihres Kindes sich als schwierig erweisen.

Dieses Paar ist nur ein Beispiel für viele andere, mit denen ich in den vergangenen dreißig Jahren als Lehrerin, Elterncoach und Psychotherapeutin gearbeitet habe. Ob Eltern es nun wichtig finden, an ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu arbeiten, oder ob sie einfach nur zufriedene Kinder großziehen wollen, ohne Drama und Machtkämpfe, so haben sie doch oft Mühe, sich mit der Realität der Kindererziehung zu arrangieren, vor allem, wenn die Bedürfnisse oder das Temperament ihres Kindes sich als schwierig erweisen.

Selbst wenn wir „pflegeleichte“ Kinder haben, müssen wir uns dennoch daran gewöhnen, die Bedürfnisse und Wünsche eines anderen Wesens über unsere eigenen zu stellen, und zwar jeden Tag. Ob es sich um schlaflose Nächte oder Hausaufgabenschlachten handelt, wir müssen ständig neue Qualitäten entwickeln wie Toleranz, Beharrlichkeit und die Fähigkeit, wieder und wieder … und wieder dasselbe Bilderbuch vorzulesen. Gerade Menschen mit spirituellen Neigungen stellen manchmal mit Schrecken fest, wie unspirituell sie sich gelegentlich in Gegenwart ihrer Kinder fühlen. Worte, von denen sie nie geglaubt hätten, dass sie sie je aussprechen könnten, scheinen ihnen förmlich aus dem Mund zu fliegen – und zwar laut –, Worte, die alles andere als erleuchtet klingen!

Doch ebenso wie Angie und Eric stellen wir nur allzu oft fest, dass genau dieses Kind, das wir da haben, uns am meisten lehren kann. Und genau darum geht es in Kindererziehung im Jetzt.

Wir stellen nur allzu oft fest, dass genau dieses Kind, das wir da haben, uns am meisten lehren kann.

Wir werden Angie und Eric in einem späteren Kapitel wiederbegegnen und herausfinden, wie ihre Schwierigkeiten mit Charlie ihnen letztendlich den Weg zu einem sehr viel gesünderen Erziehungserlebnis ebnen konnten und wie sich dadurch beiden die Gelegenheit bot, unerledigte Kindheitsprobleme aufzuarbeiten. Doch möchte ich zunächst ein wenig von mir selbst erzählen.

Meine Reise durch die Elternschaft

Als ich fünfzehn war und in Kansas lebte, ging mein Bruder aufs College und ließ ein Buch für mich da, das ich unbedingt lesen sollte. Es hieß Autobiographie eines Yogi von Paramahansa Yogananda. Es stand zwei Jahre lang in meinem Regal, bis ich es eines Tages geradezu verschlang, tief bewegt von der Reise eines indischen Mannes zur Erfahrung des Göttlichen.

Dieses außergewöhnliche Buch rief etwas so Grundlegendes in mir wach, dass ich nach dem Lesen der letzten Seite auf mein Fahrrad stieg, zum Einkaufszentrum fuhr, eine Handvoll Münzen in das öffentliche Telefon warf, die Nummer der Zentrale von Yoganandas Schule in Kalifornien wählte und sagte: „Ich will Gott erfahren.“

Gut ein Jahr lang meditierte ich in Yoganandas Tradition und folgte den Instruktionen, die mich einmal wöchentlich per Post von der Self-Realization Fellowship erreichten. Ich begann mit Yoga und probierte auch andere Meditationstechniken aus, bis ich schließlich bei einer blieb, die zu mir passte. Ein paar weitere Übungen, die mein Herz und meine Seele nährten, flocht ich ebenfalls ein. Ich war so an den Frieden, den mir meine täglichen Meditationen schenkten, gewöhnt, dass ich mich, wenn ich es morgens einmal nicht schaffte zu meditieren, so lange unwohl fühlte, bis ich wieder Gelegenheit zur inneren Einkehr fand.

Achtzehn Jahre später bekam ich ein Kind. Meine einstmals reguläre morgendliche Routine blieb bei meinen Bemühungen, mein Bedürfnis nach innerer Einkehr und die ganz pragmatischen Anforderungen eines Familienlebens unter einen Hut zu bringen, auf der Strecke. Immer, wenn ich stur auf meinen „spirituell erhebenden“ Aktivitäten beharrte, war ich am Ende nur griesgrämig und angespannt. Ich musste einen Weg finden, die Dinge des Alltags – Windeln wechseln, eine Geschichte vorlesen oder nach einer Spieleschlacht aufräumen – nicht nur zu tolerieren, sondern auszukosten.

Einmal stand ich in der Küche und machte für meinen Sohn ein überbackenes Sandwich. Während ich neben dem Ofen stand und darauf wartete, dass der Käse schmolz, wurde mir plötzlich zutiefst bewusst, was in diesem Moment geschah. Dort drüben, auf der anderen Seite des Raumes, saß ein Wunder in Gestalt eines Menschen, den ich mehr liebte als mein Leben, und ich hatte gerade die Gelegenheit, meine Liebe in Form dieses Sandwiches auszudrücken. Ich wurde von Dankbarkeit durchströmt und erkannte, dass dieses Gefühl kein Einzelfall bleiben musste; wenn ich wollte, konnte ich allen Aktivitäten meines Alltags mit dieser Offenherzigkeit begegnen.

Ein Kind großzuziehen erwies sich als die größte transformative Erfahrung meines Lebens. Ich meditierte, so oft ich konnte – anfangs nur selten, doch je älter mein Sohn wurde, desto öfter bot sich die Gelegenheit. Es ist unglaublich schön, aus meinem inneren Brunnen der Stille und der Freude zu trinken und das Meditieren beeinflusst zweifellos auch dieses „Ich“, das sich der Welt zeigt. Doch allmählich begann ich auch zu verstehen, dass spirituell zu leben bedeutet, mein tägliches Leben so zu gestalten, dass ich stets so offen wie möglich für das Spirituelle blieb, egal, welches Ritual ich am Morgen vollzogen hatte.

Mit Kindererziehung im Jetzt möchte ich Sie einladen, sich auf Ihre eigene Reise zu mehr Frieden, Freude und persönlicher Transformation in der täglichen Kindererziehung zu begeben. Sie werden Strategien entdecken, wie man die Höhen und Tiefen der Kindererziehung im wahren Leben bewusster bewältigen kann, und Sie werden lernen, wie man die Knöpfe, die Sie Ihre Gelassenheit verlieren (oder zeitweilig verlegen!) lassen, ungedrückt lässt. Und Sie sind dazu eingeladen, Möglichkeiten zu erkunden, wie sich Spiritualität in Ihren häuslichen Alltag integrieren lässt – auch, wenn Sie nicht religiös sind oder Kinder haben, die alles, was nur im Entferntesten nach Spiritualität riecht, für „uncool“ halten.

Ich werde Ihnen in diesem Buch einige Qualitäten vorstellen, von denen ich glaube, dass sie sehr hilfreich sind, wenn man ein Kind zu einem bewussten, selbstsicheren und liebevollen Erwachsenen erziehen möchte. Schließlich werde ich Ihnen ein paar praktische Werkzeuge in die Hand geben, die Ihnen dabei helfen, als Elternteil gegenwärtig und in Ihren Reaktionen flexibel zu sein, anstatt aus Frust, Wut oder Angst heraus zu handeln.

Wenn die Beziehung zu unseren Kindern von rückhaltlosem Engagement und tief empfundener Gegenwärtigkeit geprägt ist, dann werden sie sich, wenn sie Hilfe und Unterstützung brauchen, viel lieber an uns wenden als an ihre Freunde. Außerdem neigen Kinder, die sich – so wie sie sind – gemocht, gesehen und geschätzt fühlen, ganz natürlich dazu, zu tun, worum ihre Eltern sie bitten; es liegt in der Natur des Menschen, mit denen zu kooperieren, denen wir uns am meisten verbunden fühlen.

Ob Sie nun leidenschaftlich einem spirituellen Weg folgen oder einfach nur Ihre Kinder bewusster erziehen möchten, eine stärkere Gegenwärtigkeit wird Sie dafür öffnen, mehr von der Liebe, dem Lernen und der Freude zu erfahren, die das Abenteuer der Elternschaft uns schenken kann.

Willkommen auf dieser Reise! Fangen wir an.

Jetzt sind Sie dran1

Wenn ich mit Eltern eine Coaching-Sitzung habe, bitte ich sie zu Beginn immer sich vorzustellen, dass sie am Ende unseres Gespräches mit dem Gefühl, ihre Zeit gut genutzt zu haben, den Hörer auflegen. Ich lade sie dazu ein, sich zu überlegen, was ihnen ein solches Gefühl geben könnte. „Wird es Ihnen besser gehen, weil Sie jetzt eine Vorstellung davon haben, wie ein bestimmtes Problem zu lösen sein könnte, oder weil Sie klarer sehen, wodurch bestimmte Schwierigkeiten mit Ihrem Kind überhaupt erst entstehen? Oder stellen Sie sich vor, dass Sie einfach nur erleichtert sein werden, weil Sie erkannt haben, dass Sie keineswegs alle Probleme auf einmal lösen müssen, sondern dass es reicht, einen kleinen Schritt nach dem anderen zu gehen, um Ihr Familienleben allmählich harmonischer zu gestalten? Vielleicht üben Sie auch mehr Nachsicht mit sich selbst oder verstehen besser, warum Ihre Kinder bestimmte Reaktionen in Ihnen hervorrufen und was Sie tun können, um auch in schwierigen Situationen nicht die Beherrschung zu verlieren.“

Ich habe festgestellt, dass diese Übung meinen Klienten dabei hilft, sich darüber klar zu werden, welche Veränderungen sie durch unsere gemeinsame Arbeit herbeiführen wollen.

Wenn Sie gestatten, möchte ich Sie um etwas Ähnliches bitten. Halten Sie einen Moment inne – vielleicht schließen Sie die Augen oder legen sich eine Hand aufs Herz – und stellen Sie sich vor, wie Sie dieses Buch zuklappen und begeistert sind, weil Sie einen echten Durchbruch erzielt haben. In welchem Bereich der Kindererziehung haben Sie die größten Schwierigkeiten, wo, denken Sie, kann Ihnen die Lektüre von Kindererziehung im Jetzt weiterhelfen? Was gelingt Ihnen bereits gut, das Sie aber dennoch vertiefen möchten? Was wollen Sie verändern?

Machen Sie sich bewusst, wie für Sie die ideale Elternschaft aussieht, malen Sie sich eine liebevollere, gesunde Beziehung sowohl zu Ihrem Kind als auch zu sich selbst aus. Sie werden feststellen, dass Sie, indem Sie eine klare Absicht formulieren oder sich ein bestimmtes Ergebnis vorstellen, effektiver mit den Materialien in diesem Buch arbeiten können, ganz besonders dann, wenn Sie bereit sind, sich von Zeit zu Zeit einige Notizen zu machen, auf die Sie immer wieder zurückgreifen können.

Bitte halten Sie in Ihrem Tagebuch Ihre Gedanken darüber fest, was an Ihrer Kindererziehung bereits gut funktioniert und an welchen Stellen Sie die Beziehung zu Ihrem Kind, Ihrem Ehe- oder Lebenspartner und zu sich selbst gern ausweiten, wachsen lassen oder transformieren wollen.

KAPITEL 1

Der beste Lehrer lebt mit Ihnen unter einem Dach

Die Elternschaft ist ein Spiegel, der uns das Beste und das Schlimmste von uns zeigt; die köstlichsten Augenblicke des Lebens, aber auch die erschreckendsten.

Myla und Jon Kabat-Zinn

In Indien bezeichnet man sie als „Haushälter“-Yogis – Frauen und Männer, die sich unbeirrbar ihrem spirituellen Pfad verschrieben und sich zugleich dafür entschieden haben, eine Familie zu gründen, anstatt in einer Höhle oder einem Ashram zu leben. Sie haben sich dafür entschieden, durch die Erfahrungen zu Hause und am Arbeitsplatz zu wachsen und sich weiterzuentwickeln, sich allen Herausforderungen des Alltags zu stellen und diese als Mittel ihrer Transformation zu begreifen.

Einer der größten Lehrer, von dem Sie je hoffen dürfen zu lernen, lebt mit Ihnen unter einem Dach, auch wenn (und besonders wenn) er oder sie ständig Ihre Grenzen testet oder Sie zielsicher aus der Fassung bringt.

Viele von uns haften dem Glauben an, spirituelles Wachstum könne sich nur infolge täglicher Meditationen, Achtsamkeits-Retreats und durch die Inspiration weiser Lehrer vollziehen. Doch einer der größten Lehrer, von dem Sie je hoffen dürfen zu lernen, lebt mit Ihnen unter einem Dach, auch wenn (und besonders wenn) er oder sie ständig Ihre Grenzen testet oder Sie zielsicher aus der Fassung bringt.

Bei der Kindererziehung passiert alles sehr unmittelbar und schnell. Die Entscheidung, wie Sie reagieren sollen, wenn Ihr Kind Saft auf dem neuen Sofa vergießt, oder wie Sie Ihre Reaktionen unter Kontrolle halten, wenn sich die Kinder auf der langen Autofahrt zur Oma ununterbrochen auf dem Rücksitz streiten, entspricht in etwa einem Fortgeschrittenen-Kurs für persönliches Wachstum. Verlieren Sie die Beherrschung oder schaffen Sie es, gegenwärtig zu sein, indem Sie Ihre Fähigkeit vertiefen, bei dem zu bleiben, „was ist“ und auf die Situation einzugehen, anstatt nur zu reagieren?

Buddha schreit im Nebenzimmer. In Ihrem Umgang damit zeigt sich, wie fortgeschritten und spirituell Sie sind.

Wahre Spiritualität findet man nicht in einer Höhle auf dem Berggipfel. Sie findet hier unten statt, beim Putzen einer laufenden Nase, beim Spielen einer weiteren Runde Menschärgere-dich-nicht, beim Wiegen eines Babys mit Bauchweh um zwei Uhr nachts. Buddha schreit im Nebenzimmer. In Ihrem Umgang damit zeigt sich, wie fortgeschritten und spirituell Sie sind.

Was ist ein Lehrer?

Viele von uns sind entzückt von der Vorstellung, unsere Söhne und Töchter seien von den Göttern ernannte Lehrer, die uns bei der Transformation unserer Herzen und Seelen helfen. Doch während der Vorstellung, unsere Kinder gehörten zu unseren Lehrern, eine poetische, erleuchtete Note anhaftet, bleibt doch ein Unterschied zwischen der Akzeptanz einer Vorstellung und dem tatsächlichen Annehmen der Realität.

Gewiss erwecken unsere Kinder eine Liebe in uns, die wir zuvor nicht für möglich gehalten haben. Doch ebenso können sie sehr mächtige Aspekte unserer Schattenseiten ans Licht bringen; die dunklen Seiten unseres Wesens, wie Ungeduld und Intoleranz, für die wir uns schämen und derer wir uns nicht erwehren können.

Das Gleichgewicht zu halten, ist der Schlüssel für ein Leben im gegenwärtigen Moment. Doch nichts stellt unsere Fähigkeit, in unserer Mitte zu bleiben, so sehr auf den Prüfstand, wie die Elternschaft. Kinder großzuziehen kann manchmal alles andere als friedvoll sein, denken wir nur an Geschwisterstreitigkeiten, Wutausbrüche beim Hausaufgabenmachen oder Diskussionen über Videospiele, die wohl Bestandteil eines jeden Familienlebens sind. Seelenvolle Prinzipien und die Wirklichkeit des Alltags mit unseren Kindern prallen schnell aufeinander. Da ertappen sich selbst in Meditation und Yoga erfahrenste Eltern beim Schreien, Drohen, Bestechen oder Bestrafen, obwohl sie sich doch fest vorgenommen hatten, stets liebevoll und ruhig zu bleiben, komme, was da wolle.

Es gibt ein Sprichwort: Wenn der Schüler bereit ist, erscheint der Lehrer. Ich habe schon vor langer Zeit festgestellt, dass sich immer dann, wenn ich bereit bin, meinen Horizont intellektuell, psychologisch oder spirituell zu erweitern, eine Gelegenheit bietet, die mir scheinbar der Himmel geschickt hat, damit ich mich strecken, wachsen und lernen kann. Nur dass ich mich gar nicht immer strecken, wachsen und lernen will! Das fühlt sich dann an, als müsste ich an einem Kurs teilnehmen, den ich gar nicht belegt habe!

Was nun die Elternschaft angeht, so müssen wir feststellen, dass wir, auch wenn wir uns gar nicht wissentlich für den „Kurs“, den unsere Kinder uns anbieten, eingeschrieben haben, dennoch dazu gezwungen sind (dazu „eingeladen?“, „uns die Gelegenheit gegeben wird“?), ganz grundlegend zu wachsen und erwachsen zu werden. Insofern glaube ich, dass unsere Kinder tatsächlich unsere größten Lehrer sein können. Wir mögen uns vielleicht nicht freiwillig dazu entschlossen haben, ein Baby zu bekommen, damit die Wunden aus unserer Kindheit heilen oder wir uns zu einer besseren Version unserer selbst entwickeln können, doch die Gelegenheiten dazu – und noch tausende weitere – werden zusammen mit unseren Kindern geboren.

Vielleicht werden wir mit unserer Ungeduld konfrontiert und gelehrt, langsamer zu gehen, wenn unser Kind bei jeder Blume auf dem Gehweg anhalten und daran schnuppern möchte. Oder wir gewinnen an seelischer Kraft, während wir die Alpträume unserer Kinder überleben und dabei entdecken, dass wir auch nach einer ganzen Reihe schlafloser Nächte noch halbwegs freundlich und liebevoll sein können.

Ebenso wichtig ist die Art unserer Kinder, uns bei der Verarbeitung unerledigter Angelegenheiten zu helfen. Vielleicht erkennen wir in dem Versuch unserer Kinder, sich um die Hausaufgaben zu drücken, ein paar weniger wünschenswerte Aspekte unserer selbst und bemerken – so wir denn dazu bereit sind –, dass auch wir ein paar unangenehme Pflichten vor uns herschieben. Oder wir haben das Gefühl, man hielte uns einen Spiegel vor, wenn unser leicht zu erregendes Kind immer dann einen Wutausbruch bekommt, wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen läuft. Da sehen wir uns nun live und in Farbe und durchleben Momente aus unserer Vergangenheit (möglicherweise noch vom selben Morgen!), in denen wir selbst bockig wurden, weil es nicht so lief, wie wir es gern wollten.

Manchmal erteilen uns unsere Kinder auch ganz sanfte und anrührende Lektionen; unsere Kleinen vertiefen unsere Fähigkeit, mehr Liebe und Glück zu empfangen und zu schenken, als wir je für möglich gehalten hätten. Doch oft fordern gewisse Aspekte des Charakters unserer Kinder uns bis zum Letzten. Wir projizieren unsere eigenen Bedürfnisse auf unsere Kinder mit dem Gefühl, von früh bis spät im Kriegsmodus zu agieren, wenn es uns nicht gelingt, ihnen ein Verhalten abzuringen, das es uns erlaubt, unsere eigenen Ängste zu unterdrücken. Am Ende des Tages fallen wir erschöpft ins Bett und fürchten uns schon vor dem nächsten Morgen, wenn wir wieder aufstehen und das Ganze von vorn durchmachen müssen.

Eine Art, die mir dabei hilft, Menschen, die mich herausfordern, als wichtigen Katalysator für meine Weiterentwicklung zu betrachten, ist es, mir uns beide in einem nicht inkarnierten Zustand vorzustellen – als körperlose Seelen, die nichts als reine, grenzenlose Liebe füreinander empfinden. (Das ist nur ein Bild; Sie müssen nicht an die Reinkarnation glauben, um davon zu profitieren. Machen Sie einfach kurz mit und schauen Sie, ob Ihnen dieses Bild hilft.)

Ich stelle mir vor, wie wir beide ein Gespräch führen (wie auch immer zwei körperlose Wesen miteinander kommunizieren mögen), in dem es darum geht, was wir in unserem nächsten Leben gern lernen würden. „Ich möchte mehr Geduld lernen“, sagt einer von uns. „Und ich möchte meine Fähigkeit, Liebe und Fürsorge anzunehmen, vertiefen“, sagt unser Seelenfreund. „Was hältst du davon: Ich komme als dein behindertes Kind zurück. So kann ich lernen, vollkommener zu lieben, und du hast Gelegenheit, dich in Geduld zu üben.“ „Abgemacht!“ Und so nimmt etwas seinen Lauf, was Caroline Myss, Dozentin und Hellsichtige, als heiliges Abkommen bezeichnet, eine Übereinkunft, die wir mit bedeutenden Menschen in unserem Leben geschlossen haben und die für genau die richtigen Umstände sorgt, die es uns ermöglichen, mehr und mehr zu dem zu werden, was uns zu sein bestimmt ist.

Jedes unserer Kinder bietet uns zahlreiche Gelegenheiten, uns den dunklen, verstaubten Ecken unseres Geistes und unseres Herzens zu stellen, und erschafft so genau die richtigen Bedingungen, damit wir lernen, uns von alten Paradigmen zu lösen, und ein viel weiteres und erfüllteres Leben führen zu können.

Jedes unserer Kinder bietet uns zahlreiche Gelegenheiten, uns den dunklen, verstaubten Ecken unseres Geistes und unseres Herzens zu stellen, und erschafft so genau die richtigen Bedingungen, damit wir lernen, uns von alten Paradigmen zu lösen, und ein viel weiteres und erfüllteres Leben führen zu können. Es folgt die Geschichte einer solchen Dynamik zwischen einer Mutter und ihrer Tochter.

Äußere deine Wünsche

Catherine hatte zwei Töchter, die vierzehnjährige Ella und die sechzehnjährige Shay. „Ich verstehe mich prima mit meinen Mädchen – wir stehen uns sehr nah. Aber um ehrlich zu sein, ist Shay ein bisschen schlampig. Sie lässt ihr Handtuch auf dem Badezimmerboden liegen, in ihrem Zimmer liegen die Sachen herum und sie wäscht nie ihr Geschirr ab, wenn man es ihr nicht sagt. Dieses Verhalten geht mir wirklich auf die Nerven. Wir haben schon darüber geredet, aber sie räumt nur auf, wenn ich meckere.“

Catherine fuhr fort: „Gestern habe ich Shay sehr freundlich gebeten, ihr Zimmer aufzuräumen, bevor Gäste zum Abendessen eintrafen. Sie hat mich kaum angesehen, als ich sie fragte, und dann verdrehte sie die Augen und sagte, ‚Mama – die gehen doch noch nicht mal in mein Zimmer! Mach dich locker! Du bist immer so verkrampft, wenn Leute zu Besuch kommen.‘ Da bin ich explodiert – ich mache so viel für sie! Warum konnte sie nicht einmal diese Kleinigkeit für mich erledigen?“

Ich hörte Catherine eine Weile zu, dann fragte ich sie: „Wie haben Ihre Eltern reagiert, wenn Sie einen Wunsch oder ein Bedürfnis geäußert haben? Haben sie zugehört und Ihre Bitten ernst genommen oder haben sie Sie ignoriert?“

Darauf hatte sie sofort eine Antwort. Mit einem Hauch von Sarkasmus sagte sie: „Wenn ich ein Bedürfnis hatte? Ich hatte kein Recht auf irgendwelche Bedürfnisse. So etwas gab es in unserer Familie nicht. Wenn ich mir die Mühe machte, meiner Mutter oder meinem Vater mitzuteilen, dass ich dieses oder jenes, was sie von mir verlangten, nicht tun wollte, sahen sie mich an, als sei ich verrückt geworden, und sagten mir, wie selbstsüchtig ich doch sei. Ich habe schon früh gelernt, nicht um das, was ich wollte, zu bitten, und bin in meinen wichtigen Beziehungen, einschließlich meiner Ehe, immer schön auf dem Beifahrersitz sitzen geblieben.“

Ich bot Catherine eine weitere Analogie an: „Sie kennen doch Autoscooter, wie man sie in Freizeitparks findet, oder? Mir ist aufgefallen, dass es Kinder gibt, die in ihr kleines Auto steigen und dann erstarren. Sie haben noch nie hinterm Steuer eines Autos gesessen und verstehen nicht, dass man auf das Fahrpedal treten muss, um es in Bewegung zu setzen, darum bleiben sie einfach mitten auf der Fahrfläche stehen und werden von all den anderen wilden Fahrern gerammt.

Dann gibt es Kinder am anderen Extrem. Das sind die, die das Pedal die ganze Zeit durchtreten und nicht mehr loslassen. Egal, in welche Richtung sie ihr Lenkrad drehen, sie krachen immer binnen weniger Sekunden in irgendetwas hinein. In beiden Fällen wissen unsere jungen Fahrer nicht, wie man das Fahrpedal angemessen bedient. Entweder bewegen sie sich gar nicht vom Fleck oder sie fahren rücksichtslos mit Vollgas über die Fläche.“

Ich erklärte ihr, dass es vielen Menschen schwerfällt, zu sagen, was sie wollen oder brauchen. „Manche von uns bleiben passiv und schweigen; wir bitten nie um etwas und fühlen uns ungesehen, unwichtig und sind wütend.“

„Das trifft genau auf mich zu“, sagte sie. „Das ist die Geschichte meines Lebens, angefangen bei meiner Kindheit, während meiner Ehe und dann bei der Scheidung. Ich habe früh gelernt, dass es die Menschen in meiner Umgebung nur verärgert, wenn ich sage, was ich will.“

„Andere dagegen verlangen mit Nachdruck, was sie wollen“, erwiderte ich. „Sie trampeln einfach über alle anderen hinweg, fest entschlossen, ihren Willen durchzusetzen, egal wie sehr sie andere damit vor den Kopf stoßen.“

„Also“, sagte ich, „sind Sie bereit, die Situation mit Ihrer Tochter einmal aus einer anderen Perspektive zu beleuchten? Können Sie sie vielleicht als Lehrerin mit einem ganz besonderen Auftrag sehen? Sind Sie bereit zu lernen, wie Sie um die Dinge, die Sie wollen, bitten müssen, damit bereits in der Bitte ein Bewusstsein dafür zum Ausdruck kommt, dass Ihre Wünsche ebenso gerechtfertigt sind wie die aller anderen auch?“

Catherine war still. Jeglicher Sarkasmus war aus ihrer Stimme gewichen, als sie leise sagte: „Wow. Ja. Es wird Zeit, dass ich lerne, um das, was ich brauche, zu bitten.“

Daraufhin sagte ich: „Indem Sie sich anschauen, weshalb das Verhalten Ihrer Tochter Sie so tief aufwühlt, haben Sie die Gelegenheit, etwas, das vor langer Zeit geschehen ist, zu heilen und zu einer gesünderen und ganzheitlicheren Version Ihrer selbst heranzuwachsen.“

Catherine war dabei. Bei unserer gemeinsamen Arbeit ging es nun nicht mehr darum, die Schlampigkeit ihrer Tochter zu kurieren, sondern darum, jene Traurigkeit zu heilen, die sie als kleines Mädchen empfunden hatte, dessen Wünsche und Bedürfnisse als unwichtig deklariert worden waren – Gefühle also, die sie bereits vor langer Zeit begraben hatte. Ich half ihr dabei, zu verstehen, dass die Heftigkeit, mit der sie um Shays Kooperation kämpfte, daher rührte, dass sie eine unerlöste Sehnsucht danach, dass auch ihre Wünsche und Bedürfnisse zählten, auf ihre Tochter projiziert hatte.

Ich erklärte ihr, dass es nicht Aufgabe unserer Kinder ist, uns zu heilen. Tatsächlich beharren sie umso stärker auf ihrem Standpunkt, je mehr wir sie mit unserer Bedürftigkeit und Verzweiflung konfrontieren. Sie verstehen intuitiv, dass es nicht in ihrer Verantwortung liegt, sich so zu verhalten, dass unsere Wunden aus früheren Beziehungen heilen können. So kann das schlechte Betragen unserer Kinder am Ende ein Geschenk für uns werden, denn wenn wir bereit sind, den Blick nach innen zu richten, anstatt unsere Verletzungen auf sie zu projizieren, können wir an unseren unerledigten Angelegenheiten arbeiten.

Unsere Kinder verstehen intuitiv, dass es nicht in ihrer Verantwortung liegt, sich so zu verhalten, dass unsere Wunden aus früheren Beziehungen heilen können. So kann das schlechte Betragen unserer Kinder am Ende ein Geschenk für uns werden, denn wenn wir bereit sind, den Blick nach innen zu richten, anstatt unsere Verletzungen auf sie zu projizieren, können wir an unseren unerledigten Angelegenheiten arbeiten.

Ich riet Catherine, in Situationen, in denen sie mit dem Widerstand ihrer Tochter konfrontiert wurde, einfach mit den Gefühlen, die in ihr aufstiegen, gegenwärtig zu bleiben. „Üben Sie sich darin, sich Ihrer Gefühle ohne Bewertung bewusst zu werden, geben Sie ihnen Raum, damit sie gesehen und gehört werden. Seien Sie traurig oder wütend. Seien Sie verwirrt oder besorgt. Und dann seien Sie vielleicht wieder traurig. Lassen Sie die Gefühle zu, ohne sie zu zensieren oder zu kontrollieren.

Benennen Sie, wo in Ihrem Körper Sie dieses Gefühl empfinden. Fühlt es sich schwer an? Scharf? Flatterig? Lassen Sie zu, was Sie empfinden, erlauben Sie dem Gefühl, einfach da zu sein, ohne es größer oder kleiner zu machen. Benennen Sie Ihre Gefühle mit liebevoller Güte. ‚Ich spüre Traurigkeit in meiner Brust. Sie ist schwer und flach und dunkel. Und jetzt ist da Wut. Ganz scharf und hart. In meinem ganzen Körper!‘

Vermeiden Sie den Versuch Ihrer rationalen linken Gehirnhälfte, Ihr Unbehagen wegzuerklären. Widerstehen Sie dem Drang, es mit Ihrer Tochter oder der aktuellen Situation in Verbindung zu bringen. Nehmen Sie einfach wahr, was Sie gerade erleben. Haben Sie Geduld. Die Gefühle gehen vorbei. Sie werden sich besser fühlen. Es gibt keinen Weg darum herum, Sie müssen mitten hindurchgehen. Es ist ein Prozess des Trauerns um die Stimme, die Sie nicht hatten, um die Empathie, die Ihnen nicht entgegengebracht wurde, und über den Schmerz, nicht gesehen worden zu sein.“

Das war – und ist immer noch – ein sehr tiefgreifender Prozess. Es ist weder einfach noch geht es schnell. Alte Wunden brauchen Raum zum Atmen, damit sie heilen können. Wenn Sie sich diesem Prozess anvertrauen, möchte ich Ihnen ans Herz legen, freundlich und geduldig mit sich zu sein, auch wenn Sie gerade versuchen, einen neuen Umgang mit Ihrem Kind zu finden, wenn es einen alten Schmerz aktiviert. Mit Achtsamkeit können Sie beginnen, diese Dynamik und auch sich selbst zu heilen.

Sobald Catherine damit begonnen hatte, um jene Anteile zu trauern, die sich nie getraut hatten, ihre Wünsche zum Ausdruck zu bringen, war sie bereit, neue Wege zu ergründen, wie sie ihre Mädchen um etwas bitten konnte. Ich erzählte ihr davon, was ich Diane Sawyer einmal hatte sagen hören, als man sie nach dem Geheimnis ihrer langen Ehe fragte. Sie antwortete: „Ich habe früh gelernt, dass Kritik eigentlich nur eine ziemlich schäbige Art ist, einen Wunsch zu äußern. Also … äußern Sie einfach Ihren Wunsch!“

Die vier Modalitäten der Interaktion

Wenn wir mit anderen Menschen interagieren, befinden wir uns meistens in einer von vier Kategorien: Wir sind entweder passiv, aggressiv, passiv-aggressiv oder durchsetzungsfähig.

Wir sind passiv, wenn wir das, was wir eigentlich empfinden, unterdrücken und so tun, als sei alles in Ordnung. Wenn wir passiv sind, sagen wir Ja, obwohl wir Nein meinen, stellen die Bedürfnisse anderer über unsere eigenen und haben Angst, jemanden zu verärgern. Passive Eltern fürchten sich vor den Wutausbrüchen ihrer Kinder und wollen verzweifelt von ihnen gemocht werden, weshalb sie ihren Forderungen nachgeben.

Wenn wir aggressiv sind, gehen wir mit Drohungen und Einschüchterungen auf unsere Kinder los, um sie unserem Willen zu unterwerfen. Nach außen hin mag das effektiv erscheinen – das schlechte Benehmen hört auf –, doch dieser Ansatz fordert einen hohen Preis. Unsere Kinder können keine Nähe zu uns empfinden, weil wir ihnen keine emotionale Sicherheit bieten.

Passiv-aggressive Eltern kontrollieren ihre Kinder durch Scham und Schuld. Sie sind nicht übermäßig aggressiv, doch ihre Art, sie zu manipulieren und Schuldgefühle zu wecken, ist extrem schädlich für das sich entwickelnde Selbstempfinden ihrer Kinder. Diese Kinder fühlen sich auf unangemessene Weise für die Bedürfnisse und das Glück ihrer Eltern verantwortlich, anstatt die eigenen Bedürfnisse zu spüren. Wenn Sie einem Kind sagen „Du bist das einzige Kind in dieser Familie, das es nicht hinzukriegen scheint, den Tisch ordentlich zu decken“, haben Sie es damit beschämt. Wenn Sie ihm sagen „Heute Nacht habe ich kein Auge zugetan, weil ich nicht weiß, wie ich diese Klassenfahrt bezahlen soll, auf die du unbedingt mitfahren musst“, hat es gar keine andere Wahl, als sich schuldig zu fühlen. Das ist ein äußerst ungesunder Umgang mit Kindern.

Durchsetzungsfähig sind wir, wenn wir im Leben unserer Kinder– wie ich es nenne – der Kapitän des Schiffes sind (mehr dazu in Kapitel 2). In diesem Modus setzen wir unseren Kindern klare Grenzen, gestehen ihnen ihre Bedürfnisse, Wünsche, Gefühle und Vorlieben zu, ohne sie schlecht zu machen, wenn sie nicht haargenau unseren eigenen entsprechen. Wir sind nicht darauf angewiesen, dass unsere Kinder uns mögen, und wir fürchten uns auch nicht vor ihrer Unzufriedenheit, denn wir haben erkannt, dass wir, wenn wir all ihre Probleme für sie lösen, nur verhindern, dass sie echte Widerstandskraft entwickeln. Unsere Kinder wissen, dass sie um ihrer selbst willen geliebt werden und nicht für das, was sie für uns tun können, oder weil ihre Erfolge uns vor anderen gut dastehen lassen.

Wenn wir durchsetzungsfähig sind, können wir auch akzeptieren, dass unsere Kinder vielleicht nicht tun wollen, worum wir sie bitten, ohne ihre Beschwerden persönlich zu nehmen oder die Meinungsverschiedenheit zu einem Machtkampf werden zu lassen. Wir fühlen uns in ihre Lage ein, gestehen ihnen zu, dass sie fühlen, was sie fühlen, zögern aber nicht, Grenzen zu setzen, die ihnen möglicherweise nicht gefallen.

Während meiner Arbeit mit Catherine konzentrierten wir uns zunächst darauf, die schöne und liebevolle Kindheit zu betrauern, die sie nie gehabt hatte. Während dieses Prozesses war sie sehr verwundbar, doch sie war auch fest entschlossen und stellte sich tapfer ihren alten Gefühlen.

Wenn wir durchsetzungsfähig sind, können wir auch akzeptieren, dass unsere Kinder vielleicht nicht tun wollen, worum wir sie bitten, ohne ihre Beschwerden persönlich zu nehmen oder die Meinungsverschiedenheit zu einem machtkampf werden zu lassen.

Dann fingen wir an, gemeinsam Bestimmtheit zu üben. Da sie weder in ihrer Kindheit noch in ihrer Ehe Erfahrungen damit machen konnte, war das für sie unerforschtes Gebiet. Doch wir hatten eine Menge Spaß. Wir spielten verschiedene Szenarien durch, in denen sie üben konnte, ihre Wünsche zu äußern, ohne dabei aggressiv (mit durchgetretenem Gaspedal), passiv (erstarrt und still verharrend) oder passiv-aggressiv (durch Schuldzuweisung oder Demütigung) zu sein. Catherine liebte das Gefühl, das sie durchströmte, wenn sie ihre Bedürfnisse mit Bestimmtheit äußerte.

Infolge der Aufarbeitung ihres emotionalen Gepäcks verloren Catherines Bitten an Schärfe und Verzweiflung und Shay fiel es leichter, den Bitten ihrer Mutter Folge zu leisten. Catherine arbeitete daran, mit ihrer Tochter auf Augenhöhe zu kommunizieren (ich bezeichne dies als Kindererziehung 1. Akt), indem sie ihr signalisierte, dass sie Verständnis für ihre Ansicht hatte, dass es doch gar nicht so schlimm sei, wenn sie ihre Sachen in ihrem Zimmer herumliegen lasse. „Du glaubst vielleicht sogar, da es sich um dein Zimmer handelt, solltest du das Recht haben, dort zu schalten und zu walten, wie es dir gefällt.“ Da Shay sich von ihrer Mutter verstanden und ernst genommen fühlte, verhielt sie sich weniger defensiv und war empfänglicher.

„Doch leider, mein Schatz“, fuhr ihre durchsetzungsfähige Mutter fort, „stört es mich, wenn ich dein Zimmer betrete und dort überall Sachen herumliegen, und da ich nun einmal die Miete zahle, hätte ich gern, dass du dir mehr Mühe gibst, Ordnung zu halten. Ich möchte, dass du dir abends fünf oder zehn Minuten Zeit nimmst, um deine Sachen wegzuräumen, bevor du ins Bett gehst. Und es wäre auch toll, wenn du das Badezimmer so hinterlässt, wie du es vorgefunden hast – das heißt, du räumst deine Handtücher in den Wäschekorb!“

Bevor Catherine bewusst wurde, was sich hinter ihrer erhöhten Sensibilität im Umgang mit ihrer Tochter verbarg, hatte sie das Gaspedal entweder überhaupt nicht gefunden (und passiv den Mund gehalten, während sie vor unterdrückter Wut und Verbitterung kochte) oder sie hatte es voll durchgetreten (und war aggressiv mit Kritik und Wut auf ihre Tochter losgegangen).

Nachdem sie sich dafür entschieden hatte, ihre Tochter als wunderbare Lehrerin zu betrachten, die den Auftrag hatte, ihr beizubringen, wie sie ihre eigene Stimme wiedergewinnen und dazu nutzen konnte, respektvoll um das zu bitten, was sie wollte, fühlte sich Catherine Shay sogar noch näher. Und im Haus war es jetzt auch ordentlicher!

Jetzt sind Sie dran