Kindliche Mehrsprachigkeit - Wiebke Scharff Rethfeldt - E-Book

Kindliche Mehrsprachigkeit E-Book

Wiebke Scharff Rethfeldt

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Beschreibung

Was für die Praxis wichtig ist

Dieses Buch vermittelt umfassendes Wissen zur Sprachentwicklung bei mehrsprachig und kulturell divers aufwachsenden Kindern. Basierend auf dem aktuellen Forschungsstand macht es Ihnen die Praxis leichter: Sie erhalten fundierte und konkrete Ansätze zur bestmöglichen Diagnostik, Beratung und Therapie bei SES, die auch bei Sprachbarrieren wirken. So können Sie bereits bei Kleinkindern eine Fehlversorgung vermeiden und die Versorgungsqualität verbessern.

Das Buch berücksichtigt die aktuelle SES-Terminologie und ICD-11. Wertvolle Hilfe erhalten Sie z. B. auch zu Besonderheiten der arabischen Varietäten sowie der ukrainischen Sprache. Inklusive mehrsprachiger Online-Materialien, die auch einsprachige Logopäd*innen/Sprachtherapeut*innen zielgerecht nutzen können.

Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.

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Seitenzahl: 1108

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Kindliche Mehrsprachigkeit

Grundlagen und Praxis der sprachtherapeutischen Intervention

Reihe herausgegeben von

Norina Lauer, Juliane Leinweber

Wiebke Scharff Rethfeldt

2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

17 Abbildungen

Forum Logopädie

Herausgegeben von Norina Lauer und Juliane Leinweber

In dieser Reihe sind folgende Titel bereits erschienen:

Achhammer B, Büttner J, Sallat S, Spreer M: Pragmatische Störungen im Kindes- und Erwachsenenalter .Bauer A, Auer P: Aphasie im Alltag. Bigenzahn W: Orofaziale Dysfunktionen im Kindesalter, 2. Aufl. Biniek R: Akute Aphasie. Aachener Aphasie-Bedside-Test, 2. Aufl. Bongartz R: Kommunikationstherapie mit Aphasikern und Angehörigen.Grundlagen – Methoden – Materialien. Brockmann M, Bohlender JE: Praktische Stimmdiagnostik. Theoretischer und praktischer Leitfaden. Bühling S: Logopädische Gruppentherapie bei Kindern und Jugendlichen.Cholewa J: Spezifische Sprachentwicklungsstörungen. Modellgeleitete Sprachdiagnostik.Corsten S, Grewe T: Logopädie in der Geriatrie. Costard S: Störungen der Schriftsprache, 2. Aufl. Grande M, Hußmann K: Einführung in die Aphasiologie, 3. Aufl. Huber W, Poeck K, Springer L: Klinik und Rehabilitation der Aphasie – Eine Einführung für Patienten, Angehörige und Therapeuten. Jaecks P: Restaphasie. Jahn T: Phonologische Störungen bei Kindern. Diagnostik und Therapie, 2. Aufl. Knels C: Sprache und Ernährung bei Demenz.Kotten A: Lexikalische Störungen bei Aphasie. Lauer N: Auditive Verarbeitungsstörungen im Kindesalter, 4. Aufl. Lauer N, Birner-Janusch B: Sprechapraxie im Kindes- und Erwachsenenalter, 2. Aufl. Masoud V: Gruppentherapie bei neurologischen Sprachstörungen. Möller D, Spreen-Rauscher M: Frühe Sprachintervention mit Eltern – Schritte in den Dialog. Nebel A, Deuschl G: Dysarthrie und Dysphagie bei Morbus Parkinson, 2. Aufl. Niebuhr-Siebert: Lese- und Schreiberwerb. Nobis-Bosch R, Rubi-Fessen I, Biniek R, Springer L: Diagnostik und Therapie der akuten Aphasie. Nonn K: Unterstützte Kommunikation in der Logopädie. Rittich E, Tormin S, Bock B: Prävention von Stimmstörungen.Sandrieser P, Schneider P: Stottern im Kindesalter, 4. Aufl. Scharff Rethfeldt W: Kindliche Mehrsprachigkeit. Grundlagen und Praxis der sprachtherapeutischen Intervention, 2. Aufl. Schlenck C, Schlenck KJ, Springer L: Die Behandlung des schweren Agrammatismus. Schnitzler CD: Phonologische Bewusstheit und Schriftspracherwerb. Schrey-Dern D: Sprachentwicklungsstörungen. Logopädische Diagnostik und Therapieplanung. Sick U: Poltern, 2. Aufl. Spital H: Stimmstörungen im Kindesalter. Stadie N, Hanne S, Lorenz A: Lexikalische und semantische Störungen bei Aphasie. Wachtlin B, Bohnert A: Kindliche Hörstörungen in der Logopädie. Weigl I, Reddemann-Tschaikner M: HOT – Ein handlungsorientierter Therapieansatz für Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen, 2. Aufl. Wendlandt W: Sprachstörungen im Kindesalter. Materialien zur Früherkennung und Beratung, 8. Aufl. Wendlandt W: Stottern im Erwachsenenalter. Ziegler W, Vogel M: Dysarthrie – verstehen, untersuchen, behandeln.

Vorwort der Herausgeberinnen

Vor genau 10 Jahren ist dieses Buch zur kindlichen Mehrsprachigkeit erstmals erschienen und fehlt seitdem in keinem Bücherregal von Einrichtungen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, sei es in Praxis, Schule, Studium und Ausbildung sowie Fortbildung. Es ist sowohl für den Gesundheits- als auch für den Bildungsbereich ein Standardwerk, das mit aktuellen Themen und neuesten Forschungserkenntnissen zur Wissenserweiterung zum Thema kindliche Mehrsprachigkeit und durch zahlreiche Praxisbeispiele zur Aufklärung in diesem Bereich einen unverzichtbaren Beitrag leistet. Die zweite Auflage wird zudem um die Themen Interprofessionalität und Digitalisierung erweitert, mit denen neben der gesellschaftlichen Entwicklung auch auf die erforderlichen Rahmenbedingungen für eine bestmögliche Förderung und/oder Versorgung mehrsprachiger Kinder eingegangen wird. Darüber hinaus wurden in dieser Neuauflage aktuelle Entwicklungen im Bereich der Migration berücksichtigt. Die überarbeiteten Instrumente Bilinguales Patientenprofil und Multilingual und Interkulturell orientierte Anamnese stehen online zur Verfügung (siehe Kap. ▶ 11) und können somit direkt im Berufsalltag eingesetzt werden.

Regensburg und Göttingen, Februar 2023

Norina Lauer

Juliane Leinweber

Vorwort zur 2. Auflage

What distinguishes one child from another is not ability but access. Access to education, access to opportunity, access to love.

Lauryn Hill

Kinder, die mit mehr als einer Sprache aufwachsen, bilden weiterhin eine wachsende Gruppe in unserer Gesellschaft. Gleichsam nimmt ihr Anteil an der Klientel in der logopädischen Praxis weiter zu. Dies gilt auch für die Bandbreite der verschiedenen Sprachen. Dabei stellt die Sprachenvielfalt für die logopädische Arbeit eine besondere Herausforderung dar. Denn Sprache ist sowohl der zu beurteilende Gegenstand als auch gleichzeitig das Medium zur Behandlung von Sprech-, Sprach- und Kommunikationsstörungen.

Logopäd:innen erwerben in ihrer Ausbildung grundlegende Fähigkeiten zur Anwendung der diagnostischen Methoden, die zur Identifikation und Abgrenzung einer Sprachentwicklungsstörung gegenüber mangelnden Deutschkenntnissen erforderlich sind. So beobachten sie in der therapeutischen Praxis, dass sowohl mehrsprachige Kinder mit, aber auch ohne Therapiebedarf bei ihnen vorstellig werden. Verschiedene Studien belegen, dass ein Großteil der abklärungsbedürftigen mehrsprachigen Kinder gar nicht oder erst verspätet den Weg in die logopädische Praxis finden. Dies bestätigen viele Kolleg:innen, die an unterschiedlichen Einrichtungen praktisch tätig sind.

Das vorliegende Buch beschreibt das Handlungsfeld, die Bedarfe und Anforderungen, sowie die Ansätze zur bestmöglichen Diagnostik, Beratung und Therapie kulturell und linguistisch diverser Kinder. Zum einen soll es damit einen Beitrag in der Aus- und Fortbildung von Logopäd:innen und Sprachtherapeut:innen in den deutschsprachigen Ländern und Regionen wie Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, Österreich und der Schweiz leisten. Zum anderen soll es den ebenfalls mit mehrsprachigen Kindern arbeitenden Fachkräften, Lehrenden sowie in den komplexen Themenfeldern von Mehrsprachigkeit und kultureller Diversität Forschenden wertvolle Anregungen bieten. Wünschenswert sind ein verbessertes interprofessionelles Verständnis und eine verbesserte Zusammenarbeit, um den Fähigkeiten und Bedürfnissen mehrsprachiger Kinder – insbesondere jenen mit Beeinträchtigungen des Sprechens, der Sprache und der Kommunikation – gerechter werden zu können.

So bildet das vorliegende Buch einen Ansatzpunkt für die interprofessionelle Zusammenarbeit aus logopädischer Perspektive ab, der die gegenwärtigen Forschungserkenntnisse berücksichtigt. In den letzten Jahren wurden mehrere Bücher und Fachartikel zum Thema Mehrsprachigkeit veröffentlicht, deren Ergebnisse auch Eingang in die sprachtherapeutische Praxis gefunden haben. Viele dieser Arbeiten würden jedoch eine erneute Prüfung vor dem Hintergrund dessen, was wir heute wissen, nicht mehr bestehen. So sind viele der Anfang des Jahrhunderts entwickelten Konzepte und Methoden ohne die erwünschte Wirkung geblieben. Auch wissen wir, dass kulturell und linguistisch diverse Kinder noch immer einem erhöhten Risiko der Fehlversorgung ausgesetzt sind.

Der natürliche Erwerb einer weiteren Sprache ist auch heute noch oftmals weder selbstverständlich noch einfach. Viele Familien, die im Zuge der verschiedenen, kontinuierlichen Migrationsbewegungen in unserer Gesellschaft angekommen sind, erfahren, dass Mehrsprachigkeit kein Selbstgänger, sondern mit vielen Barrieren verbunden ist. Aus Gesprächen mit diesen Familien sowie den mit ihnen arbeitenden Fachkräften erscheinen mir die Annahmen und Überzeugungen, die viele Menschen über Mehrsprachigkeit haben, dabei die größte Herausforderung zu sein. So meinen viele Menschen, dass Kinder, die zwei Sprachen von Geburt an erwerben, diese automatisch spielerisch erwerben würden. Ebenso, dass Mehrsprachigkeit heutzutage, in einer Welt geprägt von Migrationsbewegungen und technologischem Fortschritt, normal sei – und dass gerade Kinder besonders schnell lernen würden. Jedoch werden die Barrieren im Umfeld des Kindes dabei viel zu oft außer Acht gelassen, auch in der logopädischen Diagnostik und Intervention.

Des Weiteren zeigen sich unzureichende Kenntnisse zu Mehrspracherwerbsbedingungen und Migrationsbilingualismus insbesondere im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Zwar wird dem Thema institutionelle Sprachförderung seit vielen Jahren ein großer Stellenwert zugesprochen, aber verschiedene Konzepte bleiben weiterhin ohne den erhofften Erfolg. Dies gilt gleichermaßen für die uneinheitlichen Konzepte zur Sprachstandsfeststellung. Besonders schwierig ist es, wenn für pädagogische Zwecke entwickelte Instrumente der Befunderhebung für Anwendungen im Gesundheitsbereich empfohlen werden und somit zu einer Fehlversorgung von Kindern durch Fehletikettierung sprachlicher Auffälligkeiten beitragen. Dies betrifft in der Folge nachhaltig jene Kinder gravierend, die von einer therapiebedürftigen Beeinträchtigung betroffen sind.

Viele Kolleg:innen sind motiviert, einen Beitrag zur Verbesserung der derzeitigen Versorgungssituation mehrsprachiger Kinder durch mehr Aufmerksamkeit und Dialog mit wesentlichen Akteuren, Bereitstellung von Informationen sowie Unterstützung bei Forschungsvorhaben zu leisten. Dies hat auch mich motiviert, das vor rund 10 Jahren erstmals erschienene Buch vollständig zu überarbeiten.

Ich danke an dieser Stelle allen, die zur Entwicklung dieses Buches beigetragen haben. Zuallererst danke ich Bettina Heinzelmann für ihre wertvollen wissenschaftlichen Rückmeldungen und hilfreichen Anmerkungen zum Text. Mein Dank gilt auch den vielen Kolleg:innen und Studierenden sowie Teilnehmer:innen meiner Seminare in den deutschsprachigen Ländern, deren Impulse, Erfahrungen und Fallbeispiele aus der Praxis ich in meine Arbeit aufnehmen durfte. Meiner internationalen Arbeitsgruppe, dem Multilingual-Multicultural Affairs Committee der IALP, danke ich für die wertvollen Diskurse und inhaltlichen Anregungen, die das Kapitel zur Diagnostik besonders geprägt haben. Ich danke den vielen Menschen, die an der Adaption der Instrumente Bilinguales Patientenprofil und Multilingual und Interkulturell orientierte Anamnese mitgewirkt haben, die als Online-Materialien (siehe Kap. ▶ 11) zu diesem Buch erschienen sind, u.a. Christiane Elia, Athena Fischer, Nina Jordanova, Peiping Lin, Julia Vorrat und Elvan Wegener. Mein besonderer Dank gilt all jenen Kindern und ihren Familien, von denen ich lernen durfte und immer noch lernen darf. Ihrer freundlichen Bereitschaft ungeachtet von Sprache, Ethnie und Herkunft sowie uneingeschränkten Offenheit verdanke ich einen wertvollen Zugang zu Realitäten, die kulturell und linguistisch diverse Kinder erleben, und den Auftrag, meinen Beitrag zu einer verbesserten Versorgung zu leisten.

Ein hochdynamisches und gleichzeitig wenig kristallines Forschungsgebiet zu recherchieren, ist ein bisschen wie das Schreiben einer nicht autorisierten Biografie in der Mitte des Lebens eines aktiven Menschen. Besonders schwierig erscheint mir eine solche Aufgabe, wenn zwei Themen so komplex und wenig kristallin sind wie kindliche Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit. Das vorliegende Buch spiegelt den Versuch wider, einen roten Faden durch diese Komplexität zu bieten. Ich wünsche den Leser:innen dieses Buches bereichernde Einsichten und dem Buch eine große Verbreitung, damit ein Klima entsteht, in dem die Diskussion über monolinguale und monokulturelle Standards in der sprachtherapeutischen Arbeit in einer angemessenen Weise geführt werden kann.

Bremen, Mai 2022

Wiebke Scharff Rethfeldt

Hinweise zum Text

Autorinnen und Autoren stehen vor der Herausforderung, einen guten Lesefluss und die Verständlichkeit deutschsprachiger Texte zu gewährleisten, ohne Geschlechterdiskriminierung oder eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zum Ausdruck zu bringen. In der Literatur – auch in der wissenschaftlichen – setzt sich zunehmend die Verwendung einer geschlechterinklusiven Sprache durch. Im Folgenden wird das grammatikalisch neutrale Maskulin, bei geschlechtsspezifischen Begriffen ein Doppelpunkt verwendet. Letzterer ist keineswegs Ausdruck einer wachsenden Missachtung der deutschen Rechtschreibung, sondern vielmehr Ausdruck einer sich wandelnden Sprachnorm mit dem anspruchsvollen Ziel, eine gesellschaftliche Realität möglichst adäquat abzubilden.

Weiter wird im Folgenden die Bezeichnung Patient:in verwendet – wohl wissend, dass manche Kolleg:innen die Bezeichnung Klient:in vorziehen. Die Bezeichnung Patient:in bedeutet grundsätzlich nicht, dass es sich hierbei um eine:n passiven Empfänger:in einer sprachtherapeutischen Intervention handelt. Vielmehr bildet ein intensiver, wechselseitiger klinisch-therapeutischer Austausch zwischen Patient:in und Therapeut:in die Grundlage jeder evidenzbasierten therapeutischen Intervention mit dem Ziel, individuelle Patient:innen darin zu unterstützen, ein individuelles Ziel zu erreichen. Therapeut:in und Patient:in tragen gleichermaßen Verantwortung.

Hinweis zur Zielgruppe des vorliegenden Buches

Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf der kindlichen Sprachentwicklung und deren therapeutisch relevanten Abweichungen. Der umfassendere Begriff der Logopädie schließt die ebenfalls professionsbezogen verwendeten Begriffe Sprachtherapie, Sprachheilpädagogik, klinische Linguistik, Patholinguistik etc. sowie verwandte Berufsgruppen ein. Das vorliegende Buch richtet sich demnach an alle Fachkräfte, die beruflich mit kulturell und linguistisch diversen Kindern arbeiten.

Abkürzungen

ADHS

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung

AG

Arbeitsgedächtnis

AoA

Age of Onset of Acquisition

AoO

Age of Onset (chronologisches Alter bei Mehrspracherwerbsbeginn)

BFLA

Bilingual First Language Acquisition

BICS

Basic Interpersonal Communicative Skills

BPP

Bilinguales Patientenprofil

BSLA

Bilingual Second Language Acquisition

CALP

Cognitive/Academic Language Proficiency

CDS

Child Directed Speech

CLD

Cultural and Linguistic Diversity

CLI

Cross-Linguistic Influence

CS

Code-Switching

CUP

Common Underlying Proficiency

DA

Dynamic Assessment

DaZ

Deutsch als Zweitsprache

DLD

Developmental Language Disorder (Sprachentwicklungsstörung)

DMM

Dynamic Model of Multilingualism

DSM

Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders

DST

Dynamic Systems Theory

EBP

Evidence-Based Practice (evidenzbasierte Praxis)

EEG

Elektroenzephalografie

EF

Exekutive Funktionen

EKO

ereigniskorrelierte Oszillationen

EKP

ereigniskorrelierte Potenziale

FB

False Belief

fMRT

Magnetresonanztomografie

HLE

Home Learning Enviroment

IA

Internationale Adoption

ICD

International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems

ICF

International Classification of Functioning, Disability and Health

IPA

Internationales Phonetisches Alphabet

KGS

an das Kind gerichtete Sprache

KIK

Klinisch Interkulturelle Kompetenz

Kita

Kindertagesstätte

L

Lingua (Language, Sprache, Varietät)

LD

Language Disorder (Sprachstörung)

LEP

Limited English Proficiency

LoE

Length of Exposure (Dauer des Sprachkontaktes)

Lo-MEM

Logopädisches Modell der Einflussfaktoren des Mehrspracherwerbs

LT

Late Talker

ME

Mutual Exclusivity

MEG

Magnetenzephalografie

MIA

Multilingual und Interkulturell orientierte Anamnese

mL@H

Minority-Language at Home

MLUm

Mean Length of Utterance Morpheme

ML@H

Majority-Language at Home

MLUw

Mean Length of Utterance Word

MMN

Mismatch Negativity

OPOL

One Person – One Language

PET

Positronenemissionstomografie

PT

Processability Theory

SD

Standardabweichung

SES

Sprachentwicklungsstörung

SEV

Sprachentwicklungsverzögerung

SoS

sozioökonomischer Status

SSES

Spezifische Sprachentwicklungsstörung

TFS

Thinking-for-Speaking

ToM

Theory of Mind

TV

Television

USES

Umschriebene Sprachentwicklungsstörung

USLH

Unitary Language System Hypothesis

Inhaltsverzeichnis

Titelei

Forum Logopädie

Vorwort der Herausgeberinnen

Vorwort zur 2. Auflage

Hinweise zum Text

Hinweis zur Zielgruppe des vorliegenden Buches

Abkürzungen

Teil I Content

1 Einführung

1.1 Perspektiven auf Sprache

1.2 Menschen mit Migrationshintergrund

1.2.1 Sprachgebrauch

1.2.2 Sozialer Status

1.2.3 Bildung

1.2.4 Gesundheit

1.2.5 Logopädische Perspektive auf Kinder mit Migrationshintergrund

1.3 Mehrsprachigkeit in der einsprachig orientierten Gesellschaft

2 Mehrsprachigkeit

2.1 Bilingualismus oder Mehrsprachigkeit?

2.2 Gesellschaftliche Mehrsprachigkeit

2.3 Mehrsprachigkeit im Sozialraum

2.4 Individuelle Mehrsprachigkeit

2.4.1 Sprachkompetenz

2.4.2 Funktion und Gebrauch

2.4.3 Identität und Einstellung

2.4.4 Alter bei Mehrspracherwerbsbeginn

2.4.5 Zusammenfassung

2.5 Definitionen

2.5.1 Was ist Mehrsprachigkeit?

2.5.2 Wer ist mehrsprachig?

2.5.3 Frühe Mehrsprachigkeit

2.5.4 Simultaner Mehrspracherwerb

2.5.5 Sukzessiver Mehrspracherwerb

2.5.6 Früher simultaner und sukzessiver Mehrspracherwerb in Theorie und Praxis

2.5.7 Muttersprache oder Erstsprache?

2.5.8 Erstsprache oder Zweitsprache oder Fremdsprache?

2.5.9 Sprachkompetenz vs. Performanz oder Kenntnisse vs. Sprachdominanz?

2.5.10 Code-Switching

3 Logopädisches Modell der Einflussfaktoren des Mehrspracherwerbs (Lo-MEM)

3.1 Chronologisches Alter und Entwicklungsalter

3.2 Zeitpunkt des Kontakts mit einer weiteren Sprache

3.3 Sprachexposition und Sprachenkombination

3.4 Spracherfahrung

3.5 Interaktionspartner

3.6 Mediennutzung

3.7 Soziokulturelle Aspekte und Sprachsozialisation

4 Mehrsprachige Kinder und mehrsprachige Bezugspersonen

4.1 Strategien zum familiären Sprachgebrauch

4.1.1 One Person – One Language (OPOL)

4.1.2 Minority-Language at Home (mL@H)

4.1.3 Trilinguale Strategie

4.1.4 Mischstrategie

4.1.5 Künstliche Strategie – nichtmuttersprachliche Erziehung

4.2 Familiäres Sprachprofil

4.3 Weitere Familienkonstellationen

4.3.1 Trennung, alleinerziehendes Elternteil, Stief- und Patchwork-Familien

4.3.2 Internationale Adoption (IA)

4.3.3 Familien mit Fluchthintergrund

5 Bilinguale Sprachentwicklung

5.1 Sprachdifferenzierung und Sprachbewusstheit

5.2 Bilingualer Erstspracherwerb

5.2.1 Vorausläuferfähigkeiten

5.2.2 Phonetik und Phonologie

5.2.3 Lexikon und Semantik

5.2.4 Grammatik: Morphologie und Syntax

5.2.5 Kommunikation und Pragmatik

5.2.6 Bilingualer vs. trilingualer Erstspracherwerb

5.2.7 Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die Praxis

6 Kognition und linguistische Diversität

6.1 Mehrsprachige Gehirne

6.1.1 Neuronale Repräsentation

6.1.2 Strukturplastizität

6.1.3 Kognitive Reserve

6.2 Effekte auf kognitive Funktionen

6.2.1 Positive oder negative Auswirkungen?

6.2.2 Historische Betrachtung

6.2.3 Metalinguistische Bewusstheit

6.2.4 Theory of Mind

6.3 Sprache und Denken

6.3.1 Thinking-for-Speaking

6.3.2 Sprachspezifische Satzverarbeitung in der Diagnostik

6.3.3 Sprachkulturelle Einflüsse

6.4 Theorien und Modelle

6.4.1 Pädagogisch fokussierte Hypothesen zum Zweitspracherwerb

6.4.2 Pädagogisch orientierte Modelle und Hypothesen

6.4.3 Linguistische Modelle zum Mehrspracherwerb

7 Sprachentwicklungsstörungen bei Mehrsprachigkeit

7.1 Klassifikation von Sprech-, Sprach- und Kommunikationsstörungen

7.2 Sprachentwicklungsstörung (SES)

7.2.1 Epidemiologie

7.2.2 Ätiologie

7.2.3 Begleiterscheinungen und Risiken

7.3 Symptomatik der SES bei mehrsprachigen Kindern

7.3.1 Ausbleibender oder verzögerter Sprachbeginn

7.3.2 Informationsverarbeitungsdefizite

7.3.3 Verlangsamtes Sprachlernen

7.3.4 Sprachliche Defizite

7.3.5 Übersicht klinisch relevanter Indikatoren

7.4 Fehlversorgung

8 Diagnostik der Sprachentwicklungsstörung bei Mehrsprachigkeit

8.1 Aufgabe der Sprachdiagnostik bei mehrsprachigen Kindern

8.1.1 Logopädische vs. pädagogische Sprachdiagnostik

8.1.2 Ziele der logopädischen Diagnostik bei mehrsprachigen Kindern

8.2 Fehldiagnosen

8.3 Logopädische Differenzialdiagnostik bei Mehrsprachigkeit

8.3.1 Induktiver Ansatz

8.3.2 Ablauf der Differenzialdiagnostik

8.3.3 Bilinguales Patientenprofil mit Multilingual und Interkulturell orientierter Anamnese

8.3.4 Spiel- und Gesprächssituation

8.3.5 Eltern-Kind-Interaktion

8.3.6 Spontansprachproben

8.3.7 Normorientierte Verfahren und standardisierte Tests

8.3.8 Kriterienorientierte Verfahren

8.3.9 Verfahren zur Beurteilung von Aufmerksamkeit und Gedächtnis

8.3.10 Dynamic Assessment (DA)

8.3.11 Einsatz von Dolmetscher:innen und Sprachmittler:innen

9 Logopädische Intervention

9.1 Versorgungsformen bei mehrsprachigen Kindern

9.1.1 Primärprävention

9.1.2 Sekundärprävention

9.1.3 Tertiärprävention

9.2 Therapieindikation

9.3 Ziele und Prinzipien der Therapie

9.3.1 Prinzipien

9.3.2 Wahl der Therapiesprache

9.3.3 Transfer

9.4 Therapieansätze

9.4.1 Bilingualer Ansatz

9.4.2 Cross-linguistischer Ansatz

9.4.3 Induktiver Ansatz

10 Klinisch Interkulturelle Kompetenz in der Logopädie

10.1 Kulturgebundenes Verständnis von Gesundheit

10.2 Definition von klinisch-interkultureller Kompetenz (KIK)

10.3 KIK in der Logopädie

11 Online-Material

11.1 Mit einem Klick

11.2 Extras im Netz

12 Literatur und Quellenangaben

Anschriften

Sachverzeichnis

Impressum/Access Code

Teil I Content

1 Einführung

2 Mehrsprachigkeit

3 Logopädisches Modell der Einflussfaktoren des Mehrspracherwerbs (Lo-MEM)

4 Mehrsprachige Kinder und mehrsprachige Bezugspersonen

5 Bilinguale Sprachentwicklung

6 Kognition und linguistische Diversität

7 Sprachentwicklungsstörungen bei Mehrsprachigkeit

8 Diagnostik der Sprachentwicklungsstörung bei Mehrsprachigkeit

9 Logopädische Intervention

10 Klinisch Interkulturelle Kompetenz in der Logopädie

11 Online-Material

12 Literatur und Quellenangaben

1 Einführung

Die zentralen Themen dieses Buches sind die kindliche Sprachentwicklung im mehrsprachigen Kontext, die klinisch-therapeutische Diagnostik von SES und in der sprachtherapeutischen Intervention bei kulturell und linguistisch divers aufwachsenden Kindern zu berücksichtigende Aspekte.

Unter der sehr heterogenen Gruppe der bilingual bzw. mehrsprachig aufwachsenden Kinder sind all jene Kinder zu verstehen, die mehr als eine Sprache verwenden, und zwar –insbesondere aus sprachtherapeutischer Sicht von Bedeutung – unabhängig von ihrer Sprachkompetenz. Um begreifen zu können, worum es sich bei Mehrsprachigkeit handelt, und wie sich der kindliche Spracherwerb unter dem Aspekt der Mehrsprachigkeit entwickelt, sind ihre Definition und als Voraussetzung hierzu die Bestimmung konkreter Kriterien unerlässlich. Dies erweist sich insofern als Herausforderung, als sich die Thematik im Spannungsfeld verschiedener Disziplinen bewegt und folglich aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und durchaus kontrovers diskutiert wird.

So unterscheiden sich die Annahmen hinsichtlich des Verständnisses von Mehrsprachigkeit und deren Fragestellungen, Methoden und Standards. Beispielsweise verfügen beispielsweise klinische Linguist:innen, (Sonder-, Sprachheil-, Rehabilitations-)Pädagog:innen und Logopäd:innen über sehr unterschiedliche Wissensbestände und spezifische Problemlösungspotenziale, die sie zudem im Kontext ihres professionellen Tätigkeitsfelds (z.B. Bildung, Soziales, Gesundheit) unterschiedlich umsetzen und weiterentwickeln. Die hiermit verbundenen unterschiedlichen Zugänge beeinflussen das Verständnis von Auftrag, Ziel, Methoden und Grenzen einer sprachtherapeutischen Versorgung. Im Kontext Sprachtherapie bei mehrsprachigen Kindern wird dies in der Beantwortung der Frage Förderung oder Therapie? besonders deutlich.

In den nachfolgenden Ausführungen liegt der Schwerpunkt eindeutig auf der logopädischen Perspektive. Dennoch wird stets mehr als eine fachliche Perspektive berücksichtigt, da Interdisziplinarität als Voraussetzung einer kollaborativen und somit bestmöglichen Versorgung angesehen wird. Gleichzeitig können die dargelegten Hintergründe, Theorien und Methoden dazu dienen, die Perspektiven benachbarter Fächer der Logopädie zu erweitern.

Um sich aus logopädischer Sicht mit Störungen der Sprachentwicklung auseinandersetzen zu können, ist ein konkretes Verständnis von Sprache und Spracherwerb unerlässlich. Gleichermaßen bedarf die Auseinandersetzung mit dem Thema Sprachentwicklungsstörungen bei kulturell und linguistisch diversen Kindern einer umfassenden Auseinandersetzung mit den vielfältigen Bedingungen, unter denen die bilinguale Sprachentwicklung verlaufen kann, und die sich dahingehend von der monolingualen Sprachentwicklung unterscheidet. Erst auf dieser Grundlage lassen sich von einer physiologischen Entwicklung abweichende Verläufe identifizieren und Handlungsempfehlungen für Diagnostik und Intervention ableiten. Auch lassen sich auf dieser Grundlage kritische Überlegungen zum klinisch-praktischen Vorgehen sowie zur eigenen therapeutischen und professionellen Haltung generieren.

1.1 Perspektiven auf Sprache

Sprache wird als Gegenstand von unterschiedlichen Disziplinen untersucht – folglich werden theoretische Perspektiven auf Sprache sehr unterschiedlich, manchmal konträr formuliert. Fragen nach der Definition von Sprache und wie ein Kind Sprache erwirbt, werden in den primären Bezugswissenschaften wie der Psychologie, den Kognitions- und Neurowissenschaften, der Linguistik, den Kommunikationswissenschaften, der Pädagogik und der Logopädie bzw. Speech Language Pathology unterschiedlich beantwortet. Folglich bilden die einschlägigen Erklärungsansätze ein breites Spektrum teilweise gegensätzlicher Spracherwerbsmodelle ab. Daher ist es schwierig, diese unterschiedlichen Disziplinen als Ausgangspunkt für eine nachfolgende Behandlung des Spracherwerbsprozesses – insbesondere im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit – zusammenzuführen. Dies betrifft u.a. auch die terminologische Klärung von Begrifflichkeiten. Eine umfassende Darstellung des Verständnisses von Sprache und Sprachentwicklung ist in diesem Sinne also weder möglich noch zweckdienlich (vgl. für eine ausführliche Darstellung ▶ [794], ▶ [519], ▶ [1626], ▶ [634]). Vielmehr soll im Folgenden und in aller Kürze ein übergeordnetes Verständnis von Sprache als Ausgangspunkt der weiterführenden Darstellungen zum kindlichen Spracherwerb unter dem Aspekt der Mehrsprachigkeit skizziert werden.

Sprache ist ein Medium zur sozialen Kommunikation. Über Sprache können wir uns mit anderen Menschen verbinden. Wir sprechen miteinander, um uns mitzuteilen, um etwas zu erfahren, um zu beeinflussen oder zu überzeugen. Mit Hilfe von Sprache vermitteln wir abstrakte Gedanken, Gefühle, Absichten und Bedürfnisse. Sprache kann verbinden und integrieren, aber auch trennen und ausgrenzen. Sie hat nicht nur einen Einfluss darauf, wie wir die Welt wahrnehmen und wie wir die Welt geistig repräsentieren, sondern auch, wie wir selbst gesehen und verstanden werden. Unser Sprachgebrauch ist unsere verbale Visitenkarte.

La langue est un fait social. (Sprache hat immer eine soziale Funktion).

Saussure 1967, S. 18

Sprache hat eine starke soziokulturelle Komponente. Bereits im Jahr 1921 beschrieb der Anthropologe Edward Sapir Sprache als eine erworbene, kulturelle Fertigkeit, in die man hineingeboren und von der man geprägt wird. ▶ [634] betont die Einheit von Sprache, Mensch und Kultur. So bilde Sprache „die Schaltstelle für den Erwerb kultureller Formen und kulturellen Wissens“ ( ▶ [634], S. 15). Denn unser Sprachverhalten erwerben wir durch unsere Bezugspersonen, die uns ihre Einstellungen, Auffassungen und Haltungen größtenteils latent sprachlich vermitteln. Sprache ist gleichzeitig auch ein kreatives und dynamisches Phänomen. Sie ist sowohl Spiegel gesellschaftlicher Bedingungen als auch Ausdruck ihrer Zeit. Auch dokumentiert sie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, zu einer Gesellschaft, zu einem Volk. Sprache vermittelt somit das Gefühl von Identifikation. Damit ist Sprache weit mehr als „nur“ Kommunikation und doch zugleich Teil der kommunikativen Kompetenz.

Sprache ist eine humanspezifische Entwicklungsaufgabe, für deren Lösung es grundlegender Voraussetzungen bedarf. Das höchst komplexe System von Symbolen zu erwerben, ist eine der wichtigsten Kulturleistungen des Menschen. Zentrale Voraussetzungen für diese Entwicklungsaufgabe liegen im Gehirn, sodass davon ausgegangen werden kann, dass die grundsätzliche Sprachfähigkeit Teil der genetischen Disposition ist. Wie sich Sprache entwickelt, ist unzureichend geklärt. Unumstritten ist, dass die Entwicklung des biologisch angelegten Sprachvermögens von der engen Wechselwirkung mit der Umwelt abhängig ist. Inwieweit bzw. mit welcher Gewichtung die zahlreichen internen und externen Bedingungsfaktoren eine Rolle spielen, wird in den verschiedenen Spracherwerbstheorien sehr unterschiedlich beleuchtet und gewichtet.

Merke

Sprache entwickelt sich unter den sich wechselseitig beeinflussenden Faktoren von Anlage und Umwelt.

Mit den biologisch angelegten Voraussetzungen zur Entwicklung der Sprachfähigkeiten ist zugleich die Fähigkeit zum Lernen der jeweiligen Sprache bzw. Sprachen des kindlichen Umfelds gegeben, wobei der Input bzw. das sprachliche Angebot im sozialen Umfeld entscheidend ist. Der Ausbau der kindlichen Sprachfähigkeiten geschieht in der sozialen Interaktion mit den unmittelbaren Bezugspersonen, zumeist den Eltern, die dem Spracherwerb den Rahmen geben und unterstützen. Der Motor der Sprachentwicklung sind hierbei u.a. die Neugier des Kindes sowie das sozial-emotionale Bedürfnis im Sinne einer individuell wahrgenommenen kommunikativen Notwendigkeit.

Die über diese personenbezogenen Beziehungen erworbene Sprache gehört zu den Formen, in denen der Mensch seine Identität und Kultur verinnerlicht und ausdrückt. Der individuell variable Sprachentwicklungsprozess verläuft hochgradig dynamisch im komplexen Zusammenspiel biologischer Voraussetzungen, kognitiver Entwicklung und Umwelt. Das Sprachverhalten kann sich analog zu den individuellen Bedingungen des Umfelds über die gesamte Lebensspanne hinweg verändern, sodass sich Prognosen über den Sprachentwicklungsverlauf ausschließlich unter Berücksichtigung verschiedener Einflussfaktoren der 3 Informationsbereiche in retrospektiver, aktueller und individueller Zusammenschau ableiten lassen.

Sprache ist ein Begriff, der je nach Kontext und Zielsetzung häufig undifferenziert verwendet wird. Im Vergleich zu anderen Sprachen wird im Deutschen nicht zwischen Sprache im Sinne von Sprachfähigkeit und Sprache im Sinne von Kenntnissen bzw. sprachspezifischem Wissen unterschieden. Wer aber nicht zwischen Sprachfähigkeit und Sprachkenntnissen (z.B. Deutschkenntnissen) differenziert, wird in der Folge geneigt sein, beispielsweise Ziele einer vorschulischen Sprachförderung auf formal-sprachliche Bereiche wie Wortwissen zu reduzieren, sowie eine Sprachdiagnostik auf eine Prüfung von Sprachwissen beschränken, das zu einem bestimmten Zeitpunkt abgefragt oder als Reaktion auf ausgewählte Anforderungen situativ demonstriert wird. Wer hingegen Sprachfähigkeit als Befähigung versteht, Sprache zu verarbeiten, wird auch die grundlegende Sprachlernfähigkeit und die zur Aneignung und Anwendung von sprachspezifischem Wissen voraussetzenden Fähigkeiten bedenken.

Merke

Sprache im Sinne von Sprachfähigkeit ist von Sprache im Sinne von sprachspezifischem Wissen wie z.B. Deutschkenntnissen zu unterscheiden.

Eine von Linguist:innen häufig verwendete Metapher beschreibt Sprache als einen Organismus, der geboren wird, wächst und stirbt. Menschen halten Sprachen lebendig und verändern sie im Rahmen des Sprachwandels. Sprachen sind ein Teil des menschlichen Daseins, und es sind die Menschen, die ihre Sprachen lebendig gestalten und erhalten, sie verändern, bereichern oder auch aufgeben. Unterschiedliche Sprachen kommen in Kontakt, weil sich Menschen begegnen. Dabei begegnen sich Menschen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in unterschiedlichen Kontexten. Nicht jede dieser Begegnungen ist dabei freiwillig. Manche wählen diesen Kontakt, andere sind dazu gezwungen. In der Folge verwenden Menschen mehr als eine Sprache. Mehrsprachigkeit ist seltener das Ergebnis eines erfolgreichen schulischen Fremdsprachenlernens als eine notwendige Konsequenz aufgrund bestimmter Lebenssituationen und veränderter Bedingungen im individuellen Umfeld.

Die Ursachen der Mehrsprachigkeit lassen sich in individuelle oder mikro- und makrosoziologische Faktoren unterteilen. Zu den individuellen Faktoren gehören gemischt-ethnische und binationale Eltern und ein persönliches, gemischtsprachliches Umfeld, während den makrosoziologischen Faktoren Folgebedingungen zugeordnet werden aufgrund von Migration, Imperialismus, Kolonialisierung, Besetzung, Grenzziehung, Föderation und Globalisierung.

Den größten ursächlichen Faktor für Mehrsprachigkeit in der Bundesrepublik Deutschland stellt die Migration dar. Zumeist wird unter dem Begriff der Migration die auf einen längerfristigen Aufenthalt angelegte geografisch- oder sozial-räumliche Verlagerung des Lebensmittelpunkts von Individuen, Familien, Gruppen oder auch ganzen Bevölkerungen verstanden ( ▶ [537]). Dabei handelt es sich um einen Prozess, der eine Beschreibung verschiedener Formen von Bevölkerungsbewegungen ermöglicht (z.B. Arbeitswanderung, Bildungswanderung, Elitenwanderung, Zwangswanderung).

Ebenso vielfältig werden Ursachen der Migration beschrieben, u.a. humanitäre Gründe (z.B. als Ergebnis von Krieg, Bürgerkrieg, Maßnahmen autoritärer Systeme, Naturkatastrophen, wirtschaftliche Not, politische und religiöse Vertreibung) wie auch Heiratsmigration oder Erwerbsmigration und Bildungsmigration (z.B. zur Verbesserung ökonomischer und sozialer Chancen).

In der Literatur findet sich keine einheitliche Definition von Migration, u.a. weil sie häufig durch eine spezifische Brille gesehen und registriert wird, deren Linsen abhängig von nationalen und regionalen Erfahrungen gefärbt wird ( ▶ [738], S. 16). Anders als im angloamerikanischen Diskurs kommt es im deutschen Migrationsdiskurs häufig zu einer Vermischung der Begriffe Migration und Integration, die oft als „Zwei Seiten einer Medaille“ bezeichnet werden ( ▶ [428], S. 3), obgleich es sich um ganz unterschiedliche Prozesse handelt, die einer entsprechend differenzierten Betrachtung bedürfen. Ihre Vermischung schränkt die perspektivische Betrachtung ein. So verhindert sie zum einen eine wenig differenzierte Betrachtung individueller Migrationshintergründe und erlaubt zum anderen eine wenig spezifische Auseinandersetzung mit den Bedingungen der Integration und Strukturen sozialer Ungleichheit im Aufnahmeland sowie damit verbundenen Integrationsprozessen wie Partizipation am Gesundheits- und Bildungssystem. Ähnlich kommt es in der Spracherwerbsforschung zum Konstrukt der Kinder mit Migrationshintergrund, bei dem es nicht immer vorrangig um Kinder und selten um eine kritische Auseinandersetzung mit den Spracherwerbsbedingungen und Integrationsbemühungen im Aufnahmeland geht.

1.2 Menschen mit Migrationshintergrund

Insgesamt ist die Immigration in die Bundesrepublik Deutschland seit 2006 steigend. Der Anteil der Gesamtbevölkerung mit Migrationshintergrund und ausländischer Bevölkerung ist in den vergangenen Dekaden gewachsen und lag im Jahr 2019 bei 26% mit Migrationshintergrund ( ▶ [79], ▶ [80], ▶ [81]: Migrationsbericht der Bundesregierung. Migrationsbericht 2020. Berlin/Nürnberg: BMI/BAMF). Im Jahr 2016 verzeichnete Deutschland die zweitgrößte Wachstumsrate an internationalen Migrant:innen ( ▶ [1686] Global Trends - Forced Displacement in 2016. Retrieved from https://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/5943e8a34/global-trends-forced-displacement-2016.html). Im Jahr 2021 zählte Deutschland zu den 5 Aufnahmeländern, die weltweit den größten Anteil von Flüchtlingen und Asylbewerber:innen aufnahmen ( ▶ [1688]).

Im europäischen Vergleich ist Deutschland für Migrant:innen das Hauptzielland. Mit Ausnahme des Anstiegs der Fluchtmigration in 2015 sind Migrationsbewegungen vor allem innerhalb der EU zu verzeichnen. Hierzu zählen auch die mit dem Überfall auf die Ukraine im Frühjahr 2022 eingesetzten kriegsbedingten Fluchtbewegungen. Jedoch sind die Gründe für eine Zuwanderung nach Deutschland vielfältig. So kommen zunehmend mehr Menschen nach Deutschland, um zu studieren und zu arbeiten – darunter auch Hochqualifizierte. In den letzten Jahren ist die Zahl der Bildungsausländer:innen (v.a. aus China, Syrien, Indien) sowie seit Einführung der Blauen Karte EU die Zahl der Erwerbsmigrant:innen (v.a. aus den Westbalkanstaaten, den USA, der Türkei und Indien) weiter gestiegen, während die Zahl der Spätaussiedler:innen, von denen angenommen werden kann, dass sie dauerhaft in Deutschland bleiben, annähernd auf dem gleichen Niveau geblieben ist. Ende 2019 zählten zu den zentralen Herkunftsländern Hochqualifizierter in Deutschland überwiegend Indien, sowie mit einigem Abstand folgend China und die Russische Föderation ( ▶ [81]).

In Deutschland leben mehr als 21 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, der Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung beträgt über 12 Millionen ( ▶ [1610]). Mehr als ein Drittel der Kinder im Alter von 6–11 Jahren hat einen Migrationshintergrund; ihre Familien leben bereits in der 2. oder 3. Generation in Deutschland, weshalb auch sie überwiegend deutsche Staatsangehörige (teilweise zusätzlich ausländische Staatsangehörige) sind. Von den insgesamt 3,8 Millionen Kindern im Alter zwischen 0 bis unter 5 Jahren haben 1,5 Millionen einen Migrationshintergrund. Damit hat die Anzahl der Kinder mit Migrationshintergrund im Vergleich zu denjenigen ohne Migrationshintergrund in der vergangenen Dekade weiter zugenommen.

Längerfristig wird sich der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund an der deutschen Bevölkerung erhöhen, und damit verbunden werden sich auch die Bedarfe und Anforderungen an die logopädische Versorgung weiter verändern. Betrachtet man die Trends zum demografischen Wandel der deutschen Gesellschaft, zeigt sich, dass zwar insgesamt weniger Kinder, zunehmend jedoch Kinder in Familien mit Migrationshintergrund geboren werden. Diese Familien mit Migrationshintergrund leben in vielfachen Bezügen:

zum Herkunftskontext

zu ihrer Migrationsgeschichte

zum Migrationskontext

zur Aufnahmegesellschaft

Die zunehmende ethnokulturelle Vielfalt sowie die damit verbundene wachsende kulturelle und linguistische Diversität stellen somit aus sozial-, bildungs- und gesundheitspolitischer Sicht weiterhin eine große Herausforderung dar.

Um eine effiziente und zielführende Versorgung der Kinder mit Migrationshintergrund auch im Sinne einer logopädischen Versorgung zu ermöglichen, bedarf es der Kenntnis und Berücksichtigung einer vielseitigen Perspektive. So ist es wichtig, sich mit einschlägigen Daten und den Begriffen von Mehrheiten und Minderheiten in Bezug auf den gesellschaftlichen und individuellen Sprachgebrauch sowie mit den unterschiedlichen Termini des Migrationshintergrunds aus bundesdeutscher, österreichischer und schweizerischer Perspektive vertraut zu machen. Erst auf dieser Grundlage lassen sie sich mit der länderspezifischen Datenlage in den Bereichen Bildung und Gesundheit verbinden.

So sollen die nachfolgend dargestellten Informationen zur Beschreibung der logopädischen Handlungsfelder sowie zur Ableitung des logopädischen Auftrags beitragen, aus denen sich dann regional unterschiedliche Ausgangslagen ergeben, die maßgeblich die Aufgaben der Logopädie und ihre ethische Verpflichtung mitbestimmen.

Definition

Migrationshintergrund

Seit 2004 weist das Bundesamt für Statistik ausgewählten Menschen einen Migrationshintergrund zu. Demnach hat in Deutschland eine Person einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt. Zu den Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland zählen demnach alle nach 1949 in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, alle in Deutschland geborenen Ausländer, alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil, sowie auch Personen, die von einem deutschen Elternteil adoptiert worden sind. Somit gehören auch (Spät-)Aussiedler und deren Kinder, Kinder ausländischer Elternpaare („Ius-Soli-Kinder“) und Deutsche mit einseitigem Migrationshintergrund zu den Menschen mit Migrationshintergrund. Das heißt, diese Menschen müssen keine eigene Migrationserfahrung haben und sind daher von Zuwanderern (d.h. Personen mit Migrationshintergrund und eigener Migrationserfahrung) zu differenzieren.

Der Begriff Migranten wird inzwischen häufiger synonym als richtungsdifferenzierend inAuswanderer bzw. Emigranten und Zuwanderer bzw. Immigranten verwendet. Zugewanderte und in Deutschland geborene Ausländer können den Migrationshintergrund an ihre Nachkommen vererben, sodass üblicherweise von Angehörigen der 1.–3. Migrantengeneration gesprochen wird (d. h. Zuwanderer, Kinder von Zuwanderern, Enkel von Zuwanderern). Dagegen zählen die Vertriebenen des 2. Weltkriegs aufgrund ihres im Bundesvertriebenengesetz definierten gesonderten Status nicht zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Auch Personen, die mit deutscher Staatsangehörigkeit im Ausland und deren Eltern mit deutscher Staatsbürgerschaft geboren sind, haben keinen Migrationshintergrund.

Der Begriff „Mensch mit Migrationshintergrund“ ist nicht gleichzusetzen mit dem Begriff „Ausländer“. Als Ausländer werden alle Personen bezeichnet, die nicht über die Staatsangehörigkeit ihres Aufenthaltslands verfügen.

Definition

Länderspezifische Definitionen

Es gibt keine europaweite Definition von Migrant:innen, sodass vergleichende Aussagen sowie die Verwendung des Terminus Migrationshintergrund im deutschsprachigen Raum über Ländergrenzen hinweg problematisch sind. Dies betrifft auch die Differenzierung nach Migrationsgeneration.

In Österreich werden Personen mit Migrationshintergrund sowie Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, im Ausland geborene Personen, und nicht-österreichische Staatsangehörige oder österreichische Staatsangehörige mit nicht-österreichischem Geburtsland unterschieden. Als Personen mit Migrationshintergrund gelten jene, deren beide Elternteile im Ausland geboren wurden. Dabei folgt auch Österreich den internationalen Empfehlungen und untergliedert weiter in Angehörige der 1. Generation, die selbst im Ausland geboren wurden, und in Zuwanderer der 2. Generation, d.h. Kinder von zugewanderten Personen, die in Österreich geboren wurden ( ▶ [1606]). Die größte Gruppe der Migrant:innen in Österreich stammt aus Deutschland. In 2020 bildeten in Österreich die größten Ausländer:innengruppen Personen mit deutscher, rumänischer und serbischer Herkunft; der Ausländer:innenanteil an der Gesamtbevölkerung betrug 17,1%. Der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung lag bei 24,2% ( ▶ [1606]).

In der Schweiz wurde eine typologische Bestimmung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Anlehnung an die internationalen Empfehlungen der United Nations entwickelt. So wird der Migrationsstatus einer Person bestimmt durch die Kombination der 3 Merkmale Geburtsland (native-born vs. foreign-born), Staatsangehörigkeit (aktuell und bei Geburt) sowie Geburtsland beider Elternteile ( ▶ [226]). Keinen Migrationshintergrund haben Personen, die im Ausland geboren wurden und mindestens einem Elternteil haben, das in der Schweiz geboren wurde. Einen Migrationshintergrund dagegen haben Personen, die (a) in der Schweiz als Kind zweier im Ausland geborener Eltern geboren wurden, sowie (b) Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit sowie eingebürgerte Schweizer:innen, wobei jene ausgenommen sind, die in der Schweiz geboren wurden, deren Eltern beide in der Schweiz geboren wurden. Dabei zählen Personen, die im Ausland geboren wurden und deren beide Elternteile ebenfalls im Ausland geboren wurden, genauso zur 1. Generation der Bevölkerung mit Migrationshintergrund wie im Ausland geborene Personen, die in der Schweiz eingebürgert wurden, wobei es unbedeutend ist, ob deren Eltern im Inland oder im Ausland geboren wurden. Auch im Ausland geborene Ausländer:innen gehören zur 1. Generation der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Die 2. Generation setzt sich zusammen aus in der Schweiz geborenen Personen, deren beide Elternteile im Ausland geboren wurden, im Inland eingebürgerten Personen mit mindestens einem im Ausland geborenen Elternteil, sowie im Inland geborene Ausländer:innen mit ebenfalls einem im Ausland geborenen Elternteil. In 2019 bildeten in der Schweiz die größten Ausländer:innengruppen mit einer Aufenthaltsdauer von mehr als 12 Monaten Personen mit italienischer, deutscher, portugiesischer und französischer Herkunft ( ▶ [226]).

1.2.1 Sprachgebrauch

Die meisten Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland stammen aus der Türkei (13,3%), gefolgt von Menschen aus Polen (10,8%), der Russischen Föderation (6,6%), Kasachstan (6%), Rumänien (4,6%) und Italien (4,2%). Der größte Anteil der ausländischen Bevölkerung stammt aus der Türkei (13,5%), Polen (7,9%), Syrien (6,8%) und Rumänien (6,4%) (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2021). Während in den vergangenen Jahrzehnten die Zuwanderung nach Deutschland von der europäischen Binnenmobilität bestimmt wurde, kamen im Jahr 2015 die meisten Zuwanderer aus Syrien, gefolgt von Rumänien. Seit dem Höchststand der Zuwanderung in 2015 aufgrund des hohen Zuzugs von Asylsuchenden, nahm die Gesamtmigrationsrate in den Folgejahren zunächst wieder ab. Zu den Hauptherkunftsländern der Asylbewerber:innen zählten im Jahr 2021 vorrangig Syrien, mit Abstand gefolgt von Afghanistan, Irak, Türkei, Nigeria, Somalia, Iran und Eritrea. Die veränderten Migrationsbewegungen und die damit verbundene kulturelle und wachsende linguistische Vielfalt der in Deutschland lebenden Bevölkerung stellen nicht zuletzt die logopädische Versorgung vor neue Fragestellungen.

In den genannten Herkunftsstaaten der Zuwander:innen werden zumeist mehrere Sprachen oder verschiedene Variationen einer Sprache verwendet. So werden beispielsweise in Syrien neben syrischem Arabisch auch Kurdisch, Armenisch, Französisch, Aramäisch sowie Turkmenisch gesprochen. Über die in den verschiedenen Familien mit Migrationshintergrund verwendeten Sprachen sowie Varietäten liegen keine validen Erkenntnisse vor.

Merke

Aussagen, dass mehrsprachige Kinder mit Migrationshintergrund mindestens zwei Sprachen und/oder diese häufig nacheinander erwerben, lassen sich heutzutage nicht mehr halten.

Im Rahmen der bisherigen Erhebungen des Statistischen Bundesamts wurde die deutsche Bevölkerung lediglich nach der vorwiegend im Haushalt gesprochenen Sprache (Deutsch oder nicht Deutsch) befragt. So wurde z.B. nicht erfasst, ob eine oder mehrere weitere Sprachen verwendet werden. Nach den vorliegenden Erkenntnissen sprechen über 40% der Kinder mit Migrationshintergrund zu Hause überwiegend die Muttersprache der Eltern; sofern beide Eltern aus jeweils einem anderen Land zugewandert sind, treffe dies auf 65% der Kinder zu.

Damit werden bilinguale bzw. mehrsprachige Familien jedoch nicht unbedingt erkennbar. So können aus dem gleichen Staat zugewanderte Eltern durchaus unterschiedliche Sprachen verwenden oder selbst bilingual sein, oder auch eineVerkehrssprache bzw. Lingua franca wie Englisch neben oder anstatt ihrer Erstsprachen verwenden. Auch können aus unterschiedlichen Staaten zugewanderte Eltern die gleiche Sprache verwenden. Migrationsbiografien, denen weitere Aufenthalte in anderen Staaten als dem der Geburt vorausgegangen sind, werden genauso wenig erfasst, wie eine in dem Zusammenhang veränderte Sprachsozialisation. Und schließlich bleibt ein mit den Migrationsgenerationen veränderter und/oder nicht mehr praktizierter Sprachgebrauch von Herkunftssprachen unberücksichtigt.

Auch lässt sich der tatsächliche Sprachgebrauch in mehrsprachigen Familien über die Möglichkeit, nur eine Sprache angeben zu können, nicht ableiten. Die ausschließlich die vorwiegend im Elternhaus gesprochene Sprache erfassende und über den besuchten Kindergarten durchgeführte Erhebung zeigt, dass der überwiegende Anteil der unter 3-jährigen Kinder mit Migrationshintergrund Deutsch als die Herkunftssprache im Elternhaus spricht. Angaben zum Sprachgebrauch von im Haushalt lebenden Geschwistern gehen ebenfalls nicht hervor.

Merke

Die in Deutschland gängige Beschreibung eines Migrationshintergrunds anhand von Merkmalen wie Geburtsland, Staatsangehörigkeit und Zeitpunkt der Zuwanderung sowie die Erhebung der vorwiegend gesprochenen Sprache lässt keine eindeutigen Rückschlüsse auf die kulturellen Wurzeln oder den Sprachgebrauch einer Person bzw. in Familien zu.

1.2.2 Sozialer Status

Mehrsprachigkeit stellt für erfolgreiches Lernen kein Hindernis dar. Kompetenz in mehr als einer Sprache ist ein wichtiges schulisches Bildungsziel. Dennoch haben Studien wiederholt eine Verbindung zwischen mehrsprachigen Kindern und Sprach- und Schulleistungsschwierigkeiten und/oder eine Koppelung von Migrationshintergrund und Bildungsbenachteiligung sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz aufgezeigt ( ▶ [392], ▶ [718], ▶ [773], ▶ [774], ▶ [191], ▶ [100]).

Sprache ist eindeutig eine Schlüsselkompetenz. Aber auch Sprachen sind eine Schlüsselkompetenz. Schließlich stellt die Beherrschung der Mehrheitssprache eine einschlägige Voraussetzung für Bildungserfolg und zukünftige Beschäftigung dar ( ▶ [668]). Zugleich verfolgen Schulen in Deutschland noch immer vorrangig monolingual ausgerichtete Bildungskonzepte ( ▶ [1256]).

Merke

Mehrsprachigkeit in Bildungsinstitutionen wird zum Problem, wenn die Sprachkompetenzen in der Mehrheitssprache als Medium des primären Unterrichts nicht den monolingualen Standards entsprechen, die Herkunftssprache(n) keiner der in der Schule vermittelten einschlägigen Fremdsprachen entspricht und wenn ungünstige soziale Bedingungen hinzukommen. So wird in der Schule der Erwerb fremdsprachlicher Kompetenzen gefordert, während die Entwicklung und der Erhalt herkunftssprachlicher Kompetenzen ignoriert werden.

Der größte Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund lebt in Städten. Einzelne Bevölkerungsgruppen konzentrieren sich in bestimmten Orts- oder Stadtteilen. Die damit einhergehende räumliche Trennung von anderen Bevölkerungsgruppen muss dabei jedoch nicht im direkten Zusammenhang mit dem Zuwandererstatus stehen, sondern kann sich auch aus sozialen Unterschieden durch sozioökonomische Eigenschaften wie dem Einkommen und dem Bildungsabschluss ergeben.

Aufgrund der historischen Entwicklung der Migrationsbewegung in Deutschland sowie durch migrationsspezifische Entwertungsprozesse, verfügt ein Großteil der Menschen mit Migrationshintergrund über ein geringes ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital – und/oder über Kapitalien, die originär nicht in die Aufnahmegesellschaft passen. Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sind etwa doppelt so häufig erwerbslos als jene ohne Migrationshintergrund oder gehen einer geringfügigen Beschäftigung nach. Das Armutsrisiko betrifft sie also ungleich stärker als jene ohne. Als armutsgefährdet gelten in Deutschland jene Personen, deren verfügbares Einkommen weniger als 60% des Durchschnittseinkommens (Bundesmedian) beträgt. So sind 25,2% aller Alleinstehenden, Alleinerziehenden sowie aller Paare mit und ohne Kinder armutsgefährdet, wenn der Haupteinkommensbezieher einen Migrationshintergrund hat – dagegen sind nur 11,1% armutsgefährdet, wenn dies nicht der Fall ist. Im Jahr 2019 hatten von den 9,1 Mio. verheirateten Personen mit Migrationshintergrund 1,7 Mio. einen Ehepartner ohne Migrationshintergrund.

Hochqualifizierte Migrant:innen (z.B. Wissenschaftler:innen) in Deutschland verfügen über ein überwiegend hohes Einkommen, erleben geringfügig Sprachbarrieren, leben überwiegend mit einem Partner aus dem eigenen Herkunftsland und Kindern im Vorschul- und Schulalter. Während sie die Ausbildungs- und Arbeitsmarktchancen für die/den Partner:in eher im mittleren Bereich einstufen, bewerten sie diese für ihre Kinder eher gut. Die schlechten Ergebnisse einschlägiger internationaler Vergleichsstudien wie PISA sind für hochqualifizierte Migrant:innen auch eher unbedeutend. Diese zeigen zwar auf, dass insbesondere Jugendliche mit Migrationshintergrund, deren beide Elternteile im Ausland geboren wurden, überwiegend in den unteren Bildungsgängen verharren und kaum Chancen auf einen universitären Bildungsabschluss haben ( ▶ [392], ▶ [393]). Jedoch lassen sich diesbezügliche Gründe vor allem auf den Sprachgebrauch und die soziale Herkunft zurückführen, wobei der elterliche Bildungsstand entscheidend ist und nicht, welche Sprache zu Hause gesprochen wird. Zudem haben Mobilität und Mehrsprachigkeit einen hohen Stellenwert.

Merke

Sozialer Status, kulturelle Herkunft und Bildungschancen konfundieren.

In keinem anderen Land sind sozioökonomischer Status (SoS) und Bildungserfolg so stark aneinandergekoppelt wie in Deutschland (vgl. ▶ [1197], ▶ [1605]). Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus verlassen häufiger die Schulen ohne Abschluss oder mit einem unzureichenden Abschluss ( ▶ [1607]). In der Konsequenz sind ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt eher gering. Menschen aus sozial weniger begünstigten Familien und/oder junge Menschen mit Migrationshintergrund sind und verbleiben folglich in der Gruppe der formal gering oder nicht Qualifizierten überdurchschnittlich stark vertreten ( ▶ Abb. 1.1).

Abb. 1.1 Problemkreislauf Migration – Armut – Bildungsferne (vereinfachte Darstellung).

1.2.3 Bildung

Es lassen sich eindeutige herkunftsbedingte Muster bei der Verteilung von Kindern und Jugendlichen auf die Schularten im Zusammenhang mit dem höchsten schulischen bzw. beruflichen Bildungsabschluss der Eltern erkennen. Dabei gelingt es der Bildungsinstitution Schule unzureichend, sozialbedingte Leistungsdefizite durch Kinderarmut und Segregation zu kompensieren. Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern können die Lücken leichter ausgleichen. Gleichzeitig unterscheiden sich auch Schulen in ihren Schülerschaften. Damit gehen neben diverser ethno-kultureller und sozioökonomischer Herkunft auch unterschiedliche Angebote wie Schulsozialarbeit, Bewegung, Ernährung und Sprachförderung einher.

Menschen mit Migrationshintergrund verharren überrepräsentativ in niedrigeren Schulgängen und/oder an Sonderschulen und bleiben überdurchschnittlich häufig ohne Schulabschluss und Berufsausbildung ( ▶ [919]). Im Jahr 2018 wies mehr als ein Drittel aller Schüler:innen einen Migrationshintergrund auf; dabei bildeten türkeistämmige Schüler:innen mit einem Anteil von 6% an der gesamten Schülerschaft die größte Herkunftsgruppe. Der Anteil der Schüler:innen mit Migrationshintergrund war mit 57% an Hauptschulen fast doppelt so hoch wie an Gymnasien (29%). Dabei waren türkeistämmige Schüler:innen mit Abstand die an Hauptschulen am häufigsten vertretene Gruppe mit Migrationshintergrund (11%), an Gymnasien war ihr Anteil deutlich geringer (4%). Im Jahr 2020 blieben 2031 Jugendliche mit Migrationshintergrund ohne Schulabschluss, gegenüber 825 Jugendlichen ohne Migrationshintergrund ( ▶ [1609]). In der Konsequenz zeigen sich neben dem Sprachaspekt vor allem ethnische Zugehörigkeit und soziale Herkunft aus gesellschaftspolitischer und bildungspolitischer Sicht als zentrale Herausforderungen ( ▶ [592], ▶ [609]).

Ähnliche Herkunftseffekte zu Unterschieden in der Bildungsbeteiligung zeigen sich auch in der Schweiz. Im Vergleich zu 30,1% der gebürtigen Schweizer:innen, besuchen 17,2% der in der Schweiz geborenen Ausländer:innen nach Ende der Sekundarstufe I eine gymnasiale Maturitäts- und andere allgemeinbildende Schule ( ▶ [226]). Auffällig ist, dass zum Zeitpunkt des Übergangs in die Sekundarstufe II jene in der Schweiz geborenen Jugendlichen mit Migrationshintergrund 2- bis 3-mal häufiger eine Übergangsausbildung im Vergleich zu schweizerischen Jugendlichen beginnen.

Auch in Österreich besucht der überwiegende Anteil der Ausländer:innen eine nicht weiterführende Mittelschule, sowie Sonderschulen (23%) und Polytechnische Schulen (22%), während der geringste Anteil maturaführende Schulen besucht (10%). Gegenüber 3% der deutschsprachigen Jugendlichen verlassen 8% der Jugendlichen mit einer anderen Umgangssprache als Deutsch die Pflichtschule ohne Abschluss. Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich weisen sehr heterogene Bildungsstände in Abhängigkeit ihrer Herkunftsländer auf und sind im Vergleich zur Aufnahmebevölkerung schwächer ins Erwerbsleben integriert. So hat mehr als die Hälfte der türkeistämmigen Personen höchstens einen Pflichtschulabschluss, während nahezu die Hälfte aus der EU zugewanderten Personen Akademiker:innen sind ( ▶ [1606]).

Integration u.a. durch Förderung der Bildungsbeteiligung erhält mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung einen zunehmenden Stellenwert. Da sich bisherige Maßnahmen wie die institutionelle vorschulische Sprachförderung als ungeeignet erwiesen haben ( ▶ [1453], ▶ [540]), gilt es, innovative (oder zumindest bisherige) Ansätze (weiter) zu entwickeln, um einer tendenziellen Zunahme von Disparitäten und damit einer sich weiter verschärfenden Bildungsbenachteiligung entgegenwirken zu können. Denn zugleich ist abzusehen, dass die kulturelle und linguistische Diversität von Familien weiter zunimmt. Innerhalb einer Dekade ist in Deutschland der Anteil der unter 5-jährigen Kinder mit Migrationshintergrund von 34,8% auf 40,5% im Jahr 2019 gestiegen ( ▶ [1610]). In der Schweiz beträgt der Anteil der ausländischen Kinder an der Gesamtaltersgruppe der unter 5-Jährigen mehr als ein Viertel (28%, ▶ [227]). Im 2. Jahrzehnt des neuen Jahrtausends hat auch die Zuwanderung von Ausländer:innen nach Deutschland weiter zugenommen, obgleich sich das Wachstum der ausländischen Bevölkerung im Jahr 2020 aufgrund von Pandemieeffekten stabilisierte.

Merke

Kinder mit Migrationshintergrund zählen aufgrund der Verbindung von Migration – Armut – Bildungsferne zur Gruppe mit erhöhtem Entwicklungsrisiko im Zusammenhang mit sozialen Problemlagen. Jedoch wird deutlich: Mehrsprachigkeit an sich ist nicht das Problem.

1.2.4 Gesundheit

Mehrere Studien weisen auf Unterschiede der gesundheitlichen Lage zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund hin, ohne dass Menschen mit Migrationshintergrund dabei prinzipiell gesünder oder kränker wären. Ausnahmen bilden laut ▶ [705] und ▶ [223] hingegen aus (Bürger-)Kriegsgebieten geflüchtete Migrant:innen, bei denen von einer deutlich höheren Prävalenz von Traumata sowie damit verbundenen psychosozialen Beeinträchtigungen sowie auch des Lernens auszugehen ist. Die Unterschiede bestehen vorrangig in Bezug auf die verschiedenen Krankheitsrisiken und Gesundheitsressourcen. So ist selbst Migrant:innen ohne Fluchterfahrung der Zugang zur medizinischen Versorgung im Vergleich zur Aufnahmebevölkerung wesentlich erschwert ( ▶ [1787]). Dies wird vor allem auf Sprachbarrieren, finanzielle Ressourcen, unzureichende Kenntnisse über das regionale Gesundheitssystem sowie auf kulturelle Barrieren im Zusammenhang mit dem Verständnis von Gesundheit und Krankheit sowie Erwartungen und Vorstellungen über die Versorgungsmöglichkeiten der betreffenden Bevölkerungsgruppe zurückgeführt ( ▶ [184], ▶ [1327], ▶ [788], ▶ [17]). So sind auch eher Familien mit Migrationshintergrund als nicht-migrierten Familien die Zugänge und Nutzen einer logopädischen Versorgung unbekannt oder unzureichend gegeben ( ▶ [624], ▶ [1509]).

Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Kinder nehmen präventive sowie gesundheitsfördernde Angebote seltener in Anspruch; so nehmen beispielsweise Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund an Früherkennungsuntersuchungen zur Vorbeugung von Gesundheitsrisiken durch das frühzeitige Erkennen von Entwicklungsstörungen seltener teil ( ▶ [1431]), obgleich der Zugang zu präventiven wie medizinischen und therapeutischen Angeboten allen legal in Deutschland lebenden Personen gleichermaßen zur Verfügung stehen sollte. Weitere Barrieren sind innerhalb des Versorgungssystems selbst zu finden, beispielsweise durch Fehldiagnosen im Zusammenhang mit dem Einsatz von nicht-zielgruppenadäquaten diagnostischen Methoden und/oder mangelnder klinisch-interkultureller Kompetenz der Fachkräfte ( ▶ [1506], ▶ [1509]; Kap. ▶ 10).

The impact of war on children is tremendous and pervasive, with multiple implications, including immediate stress-responses, increased risk for specific mental disorders, distress from forced separation from parents, and fear for personal and family’s safety. Thus, the experiences that children have to endure during and as consequence of war are in harsh contrast to their developmental needs and their right to grow up in a physically and emotionally safe and predictable environment.

Bürgi et al. 2022

1.2.5 Logopädische Perspektive auf Kinder mit Migrationshintergrund

Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sind ungleich stärker sozial benachteiligt, von Bildungsarmut betroffen und tragen größere Gesundheitsrisiken aufgrund von sozioökonomischen Unterschieden, die statusspezifisch und durch migrationsbedingte Faktoren bedingt sind. Dies betrifft auch die Sprachgesundheit. Im Vergleich zu Kindern der Aufnahmebevölkerung sowie anders als Erwachsene mit Migrationshintergrund müssen sie ihre Sprachfähigkeiten in einer Lebensphase entwickeln, die durch vielfältige Entwicklungsanforderungen gekennzeichnet ist. Gleichzeitig vollzieht sich diese Entwicklung in einem Spannungsfeld kultureller und sprachlicher Faktoren der Herkunfts- und Aufnahmegesellschaft.

Ein hoher Anteil der Determinanten für eine (sprach-)gesundheitliche Chancengleichheit liegt in den individuellen Lebensbedingungen und den sozialen Lebensverhältnissen. Zum einen bilden soziale Ungleichheiten zentrale Einflussfaktoren auf die Gesundheit; zum anderen mindert eine schlechte Gesundheit die Bildungschancen und damit die Aussichten auf eine zukünftige Beschäftigung. Damit wird Gesundheitsförderung zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, zu deren Bewältigung die strategische und inhaltliche Kooperation interdisziplinärer Fachbereiche und Fachkräfte unterschiedlicher Professionen erforderlich ist. Dies schließt die Logopädie ein, zu deren Versorgungsauftrag u.a. gehört, einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken, sowie eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen ( ▶ [715], S. 9; Kap. ▶ 9.1).

Weiterhin können Sprech-, Sprach- und Kommunikationsstörungen sämtliche Menschen ungleich eines vorliegenden Migrationshintergrunds betreffen. Kommunikation ist ein Menschenrecht ( ▶ [1691]). Im Falle gesundheitlicher Beeinträchtigung der Kommunikationsfähigkeit – und dies schließt Sprache als gesprochene und nicht gesprochene Sprachen ein – haben Menschen gemäß Artikel 19 der UN Behindertenrechtskonvention einen gleichberechtigten Anspruch auf angemessene Vorkehrungen ( ▶ [1685]). Solche angemessenen Vorkehrungen sind im Sinne notwendiger und geeigneter Änderungen und Anpassungen zu treffen, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Beeinträchtigungen Zugang zu solchen Maßnahmen erhalten, die ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen. Dabei sind die sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Beeinträchtigungen genauso zu achten wie die Wahrung ihrer Identität – dies schließt die Achtung ihrer Sprache bzw. ihrer Mehrsprachigkeit ein.

Vor diesem Hintergrund sind Logopäd:innen aufgefordert, sich für die Achtung der Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen der Kommunikation einzusetzen – und zwar unabhängig von ihrer Herkunft und Sprache(n). Weltweit setzen sich Logopäd:innen für Menschen mit Kommunikationsstörungen ein, die ihre rezeptiven und expressiven Sprachfähigkeiten beeinträchtigen. Die Profession fördert damit Kommunikation als Menschenrecht ( ▶ [489], ▶ [546], ▶ [1104], ▶ [1096], ▶ [1183], ▶ [1568], ▶ [1778]).

Mit Blick auf die steigende Heterogenität der Bevölkerung und der damit verbundenen zunehmenden kulturellen und linguistischen Diversität bestehen noch Verbesserungsbedarfe, um den in der deutschsprachigen Gesellschaft heute und zukünftig lebenden Menschen gerecht werden zu können. In Bezug auf die logopädische Versorgung sind insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund als Gruppe mit besonderen Risiken zu beachten. ▶ [1509] und ▶ [1765] konnten für mehrsprachige Kinder mit (und ohne) Migrationshintergrund einen erschwerten bzw. verspäteten Zugang zur logopädischen Versorgung nachweisen, was bedingt, dass sie ungleich stärker von Fehldiagnosen und Fehlversorgungen betroffen sind (Kap. ▶ 7.4, Kap. ▶ 8.2). Die Berücksichtigung kultureller und sprachlicher Diversität sollte neben der Ermöglichung eines gleichberechtigten Zugangs zur Gesundheitsversorgung auch migrationssensible Versorgungsangebote sowie entsprechende Maßnahmen umfassen. Dazu gehört auch die Qualifikation von Fachkräften in den Bereichen Mehrsprachigkeit und klinisch interkultureller Kompetenz.

1.3 Mehrsprachigkeit in der einsprachig orientierten Gesellschaft

Die u.a. in der Bundesrepublik Deutschland noch traditionell vorherrschende Einsprachigkeit lässt sich bis auf die Gründung der europäischen Nationen zurückführen. Nationen sind Sprachgemeinschaften und die Grenzen eines Landes dort, wo eine andere Sprache gesprochen wird. Über Sprachen grenzte sich eine Nation nach außen ab und vereinte sich zugleich nach innen. In der heutigen, von Globalisierung und moderner Technologie geprägten Wirklichkeit erscheinen Sprachgrenzen jedoch eher reaktionär. In Folge des Maastrichter Vertrags fördert der Europäische Rat eine europäische Mehrsprachigkeitspolitik durch Ausgestaltung von Fremdsprachenunterricht und fordert als Minimalziel eine Mehrsprachigkeit aller EU-Bürgerinnen und EU-Bürger in mindestens 3 Amtssprachen ( ▶ [481]). Ein Ziel, das ▶ [364] mit Blick auf zahlreiche institutionelle Hindernisse in Deutschland jedoch für utopisch halten. Mittlerweile zählt die EU 24 Amtssprachen und mehr als 60 Varietäten und Minderheitensprachen. Außerdem wird dem globalen Trend folgend auch innerhalb der EU aufgrund von Effizienz und ökonomischem Nutzen vermehrt auf die eine internationale Verkehrssprache Englisch zurückgegriffen. In der Folge wird Englisch auch national als Fachsprache in mehreren Domänen ein höherer Stellenwert gegenüber anderen Fremdsprachen eingeräumt. Schließlich hat die Sprachenanzahl der EU mit der Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten deutlich zugenommen. So zeigt sich ein Trend, der die Sprachenvielfalt Europas bedroht.

Die Mehrsprachigkeit der in Deutschland lebenden Bevölkerung wird zunehmend durch individuelle Mobilität, die Verwendung von internetbasierten Medien und Informationstechnologien sowie global agierende Wirtschaftsunternehmen als durch Lebenslanges Lernen an zahlreichen Bildungseinrichtungen bestimmt.

Dabei zählt die Migration zu den häufigsten Ursachen für Mehrsprachigkeit in Deutschland. In den vergangenen 60 Jahren hat die Bundesrepublik mehr als 20 Millionen Migrant:innen und Flüchtlinge aufgenommen. Dennoch ist das öffentliche System überwiegend einsprachig ausgerichtet, wenngleich in der Vergangenheit Maßnahmen entwickelt wurden, die Türkisch, Russisch, Polnisch, Italienisch, Spanisch fokussierten – also die Sprachen der ehemaligen Gastarbeiter:innen. Zu diesen Maßnahmen zählen zusätzlicher Unterricht in Schulen wie z.B. Deutsch für Ausländerkinder, später herkunftssprachlicher Unterricht, aber auch übersetzte Formulare zur Verbesserung der Kommunikation mit Behörden etc.. Es ist jedoch aktuell unklar, inwieweit die im Zusammenhang mit solchen Maßnahmen gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse mit Blick auf die heutige, veränderte Migrationssituation überhaupt noch dienlich sind. So sollte kritisch hinterfragt werden, ob und inwieweit Erkenntnisse zum Deutscherwerb ehemaliger Gastarbeiter- und Aussiedlerkinder noch ansatzweise eine belastbare theoretische Grundlage für die aktuell zu bewältigenden Erwerbssituationen des Deutschen als Zweit-, Dritt-, Viert-, Fünftsprache bieten können. Denn schließlich haben sich die Kontextfaktoren von Migration sowie die involvierten Sprachen, Kulturen und Ethnien in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert, und auch der technische Fortschritt hat mit den Entwicklungen zur Nutzung von Internetdiensten vollkommen neue Realitäten geschaffen, die das Kommunikationsverhalten grundlegend verändert haben.

Der Begriff „Minderheit“

Minderheit (auch: Minorität) ist ein politisch-soziologischer Grundbegriff, der auf die Beziehungen zwischen unterschiedlichen Teilen eines Ganzen verweist, d.h. auf das Verhältnis zwischen Allen, Vielen und Wenigen. Minderheit bezeichnet eine Bevölkerungsgruppe, die sich von der übrigen Bevölkerung aufgrund bestimmter sozialer bzw. ökonomischer Unterschiede, politischer oder religiöser Überzeugungen, ethnischer Zugehörigkeit etc. abgrenzt oder die abgegrenzt wird ( ▶ [1529]).

Es wird zwischen autochthonen und allochthonen Minderheiten differenziert. Zu den autochthonen Minderheiten zählen u.a. Dänen und Sorben in Deutschland oder Deutsche in Südtirol, während allochthone die zugewanderten Minderheiten bezeichnen. Zum Schutz autochthoner und zur Förderung der Regional- oder Minderheitensprachen wurden politische Instrumente entwickelt, sodass sie einen anderen Stellenwert und damit verbundenes Prestige als manche Herkunftssprachen allochthoner, nach Deutschland zugewanderter Minderheiten haben. Zuwanderersprachen sind nicht geschützt.

Bei nachfolgender Verwendung des Begriffs Minderheit und Minderheitensprache wird aus Gründen der Vereinfachung, sowie vorrangig aufgrund einer unabhängig vom Lebensraum ihrer Sprecher:innen gleichen Wertschätzung von Minderheitensprachen, auf eine Differenzierung verzichtet. So wird der Terminus Minderheitensprache (auch: Minoritätensprache) mit Bezug auf die Sprachen und Varietäten sämtlicher nationaler Minderheiten sowie zugewanderter Gruppen in diversen Milieus verwendet. Der Terminus Minderheitensprache bezieht sich sodann vorrangig auf Asymmetrien zwischen den Sprachen von Minderheiten in einer eine andere Sprache mehrheitlich verwendenden Bevölkerung, die sowohl auf qualitative Faktoren (z.B. Sprachprestige) als auch quantitative Faktoren (z.B. Anteil der alltäglichen Sprachexposition) zurückgeführt werden können.

Der überwiegende Teil der Weltbevölkerung verwendet zur Bewältigung alltäglicher Anforderungen mehr als eine Sprache. So ist es erstaunlich, dass nichtsdestotrotz in der deutschen Gesellschaft Einsprachigkeit noch häufig als Normalfall angesehen wird, und zwar mit dem grundlegenden Verständnis, dass ein normaler Mensch einsprachig ist – je nachdem, wo er lebt: Lebt er in Deutschland, spricht er Deutsch – lebt er in England, spricht er Englisch. Selbstverständlich ist Sprache ein Merkmal von Identität, folglich ist Einsprachigkeit politischer Ausdruck von Zugehörigkeit zu einem Staat. Eine solche Auffassung sprachlicher Homogenität entspricht jedoch nicht der Wirklichkeit, da die Sprachenpolitik eines Staates und die gesellschaftliche Sprache(n) von der Sprachverwendung auf individueller Ebene zu differenzieren sind. So gibt es in Deutschland neben zahlreichen Zuwanderern auch Angehörige von Sprachminderheiten (z. B. in den zu Dänemark oder Frankreich angrenzenden Regionen).

Über einem Viertel der in Deutschland lebenden Bevölkerung wird ein Migrationshintergrund zugewiesen. Es gibt aber weder von diesem, noch von der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund aussagekräftige Daten über die von diesen Personen gesprochenen Sprachen. Außerdem ist zu bedenken, dass sich der Sprachgebrauch auch innerhalb von Zuwandererfamilien zum Deutschen hin verschiebt (Herkunftssprache in Kap. ▶ 2.4). Abhängig von der Zuwanderergeneration sowie von der Anzahl von Geschwisterkindern kann der familiale Gebrauch von Herkunftssprachen, und damit verbunden der Erwerb oder der Erhalt von Mehrsprachigkeit, nicht vorausgesetzt werden. Nicht alle Menschen sind mehrsprachig – trotz großer sprachlicher Vielfalt.

Sprachliche Vielfalt wird zwar durchaus wahrgenommen, jedoch ungleich konnotiert. Dies hat ambivalente Konsequenzen. Einerseits wird die Sprachenvielfalt Europas geschätzt und in den Mehrspracherwerb in Bildungskontexten als wirtschaftlich wertvolle Ressource investiert. Andererseits wurde der monolinguale Habitus ( ▶ [592]) bis heute nicht überwunden, welcher vorrangig im deutschen Bildungssystem eine erfolgreiche Entfaltung der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit sowie die Anerkennung von Mehrsprachigkeit durch eine eher abwertende als befürwortende Haltung verhindert. Als Spiegel heterogener Migrationsverhältnisse wird Mehrsprachigkeit eher problematisch gesehen, sofern die Herkunftssprachen nicht den in Schulen vermittelten Fremdsprachen entsprechen und ein Deutsch sprechendes Elternteil die Sprache der Schule im Elternhaus fördert. Hierdurch wird der Stellenwert der Familiensprache auf ihre Bedeutung für einen erfolgreichen schulischen Werdegang reduziert. Andere Sprachen hingegen werden positiv angesehen, sofern sich ihr Wert in Bildungskontexten erkennen lässt.

Dieser ambivalente Umgang mit Mehrsprachigkeit steht in engem Zusammenhang mit der betreffenden Herkunftssprache und dem mit ihr verbundenen Sozialprestige. Das sog. Sprachprestige bedeutet, dass nicht alle Sprachen gleichermaßen sozial angesehen sind (Sprachprestige in Kap. ▶ 3.7). So erfahren die Sprecher:innen von Minderheitensprachen geringes Ansehen und eine Abwertung ihrer Sprache(n). ▶ [884], S. 362) konnten in diesem Zusammenhang bereits im Kindesalter beobachten, dass sich türkischsprachige Kinder im Kindergarten genieren, mit ihren Eltern Türkisch zu sprechen, während Französisch sprechende Kinder gerne anderen mit ihren Sprachkenntnissen imponieren. Zudem erfahren mehrsprachige Kinder in Deutschland häufig, dass im institutionellen Kontext wie der Schule vor allem eine Sprache relevant ist: Deutsch.

Deutschkenntnisse werden in der Öffentlichkeit sogar als Gradmesser für eine gelungene Integration herangezogen. Der gesellschaftliche Anpassungsdruck auf den individuellen Sprachgebrauch ist entsprechend groß und in mehrsprachigen Familien ein wesentlicher Faktor für die Sprachwahl zugunsten der Mehrheitssprache. Das heißt, obgleich die Mehrsprachigkeitsforschung darlegen kann, dass jede Sprache es wert ist, gefördert zu werden, und Wissenschaftler:innen betonen, dass Eltern ihre Kinder in ihren Erstsprache(n) sozialisieren sollten, erfahren die Familien bis heute durch das geringe gesellschaftliche Ansehen und die indirekte institutionelle Diskriminierung einen enormen Druck, die eigene(n) Sprache(n) zugunsten der Mehrheitssprache aufzugeben, sodass sie geneigt sind, selbst in der privaten Interaktion mit ihrem Kind die Fremdsprache Deutsch zu verwenden.

An bilingualen Kindergärten mit Deutsch und Englisch melden Eltern ihre Kinder beispielsweise schon nach der Geburt an, um einen Platz zu ergattern. […] Gänzlich anders wird jedoch die Bilingualität eines Großteils der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund bewertet. […] V.a. Kinder aus Familien türkischer Herkunft erfahren oft, dass ihnen ihre Familiensprache im Unterricht und auf den Schulhöfen eher als eine Behinderung denn als eine Zusatzkompetenz ausgelegt wird. Es gibt sogar Bildungseinrichtungen, in denen der Gebrauch der „anderen“ Sprachen per Schulordnung untersagt ist.

Fürstenau u. Gomolla 2011, S. 13

Italian and Turkish are long-term immigrant languages in Germany and can be found in all main cities, however, only Italian is an established foreign language taught in schools. Portuguese has a high world status but is not widespread in Germany […] German of course has status. We hypothesize that German will “win” whatever comes […]

Cantone 2019

2 Mehrsprachigkeit

Mehrsprachigkeit zählt zu den wichtigsten sozialen Phänomenen der Gegenwart. Obgleich es sie schon immer gegeben hat, unterscheidet sich Mehrsprachigkeit heutzutage darin, dass sie neben einzelnen Personen ganze Gesellschaften betrifft und diese als solche repräsentiert, während einst die Idee einer Kulturnation mit einer gemeinsamen Sprache als Grundlage des Zusammenlebens in einem Staat angesehen wurde. Die Bevölkerungsentwicklung im Herzen Europas hat zu einer anderen sprachlichen Realität geführt. Insofern ist das gegenwärtige soziolinguistische Arrangement diverser Gesellschaften eine neuartige Entwicklung ( ▶ [47]).

Mehrsprachigkeit ist weltweit real. Sie ist unabdingbare und neuartige Begleiterscheinung der zunehmend komplexer werdenden Globalisierung, mit paradoxen Auswirkungen auf unser Leben; zum einen erhöht sie einen bereichernden Austausch mit anderen Kulturen, zum anderen bringt sie soziale und kulturelle Konflikte mit sich. Es gibt nur noch wenige homogene Gesellschaften, und sie werden zunehmend vielfältiger. Dies betrifft ihre Lebensart wie auch die Sprachen, die sie sprechen.

Speaking two or more languages is the natural way of life for three-quarters of the human race. [This] principle […] has been obscured in parts of Europe as a consequence of colonial history. We urgently need to reassert it, and to implement it in practical ways, for, in the modern world, monolingualism is not a strength but a handicap.

Crystal 2006, S. 409

Konkrete Daten zur Anzahl der in der Welt gesprochenen Sprachen lassen sich aufgrund unterschiedlicher Auffassungen zur Abgrenzung von Sprache und Dialekt nicht nennen. Schätzungen zufolge werden weltweit noch rund 6500 Sprachen gesprochen – in insgesamt ca. 200 Staaten ( ▶ [999]). Anders als in Deutschland, ist Mehrsprachigkeit in den meisten Ländern der Welt der Normalfall ( ▶ [332], S. 360). Weit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung bedient sich täglich mehrerer Sprachen. Weltweit wachsen Kinder damit in einer Umgebung auf, in der Mehrsprachigkeit normal ist. Wie groß der Anteil an mehrsprachigen Personen ist, hängt aber letztendlich davon ab, wie Wissenschaftler:innen Mehrsprachigkeit definieren und wo sie die Grenze zwischen Sprache und Dialekt ziehen.

Generell lassen sich spezifische Ausnahmen – wie Einsprachigkeit – einfacher beschreiben und definieren, da sie sich vom Allgemeinen besonders hervorheben und durch bestimmte Kriterien abgrenzen. Es bleibt aber die Frage, ob es Einsprachigkeit als solche überhaupt gibt. Schließlich wachsen Menschen in unterschiedlichen Sprachgemeinschaften auf. So bedürfte es vor einer eindeutigen Zuschreibung zunächst der Klärung, ob denn unterschiedliche Varietäten einer Sprache wie dem Deutschen als ein- sprachig gelten können (Standardsprache in Kap. ▶ 2.2). Dies betrifft neben der häufig als Hochsprache bezeichneten Form verschiedene Varietäten wie Dialekte und sog. Mundarten, aber auch Soziolekte (z.B. Jugendsprachen, Fachsprachen), sowie die Wahl des Sprachstils oder des Registers in Abhängigkeit vom jeweiligen Gesprächspartner und von den Gesprächssituationen.

Folgt man diesen Überlegungen, erscheint Einsprachigkeit eher eine Illusion zu sein, Mehrsprachigkeit hingegen – selbst in monolingual orientierten Gesellschaften – der Normallfall. Als Ergebnis einer Reflexion über die Vielgestaltigkeit von Sprachwelten als Ergebnis sozialen Handelns und die symbolischen Dienste, die verschiedene Sprachen leisten, wodurch auch Einsprachige über Sprachen und Kulturen lernen, regen ▶ [1022]