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Perfekte Pläne, unerwartete Gefühle William Kingsbury IV hat Erfolg in jeder Hinsicht – zumindest beruflich. Als CFO des mächtigen Kingsbury-Imperiums ist er die Verkörperung von Präzision und Perfektion. Doch in der Liebe scheitern seine hohen Ansprüche genau an diesen Punkten immer wieder. Als sein Vater ihm und seinen Brüdern aufträgt, innerhalb eines Jahres die große Liebe zu finden und sesshaft zu werden, steht Will vor einer nicht bewältigbaren Aufgabe: die perfekte Frau zu finden. Auf Anraten eines Geschäftspartners wendet er sich an „TrueMatch“, eine exklusive Partneragentur, und begegnet deren Gründerin: Aurora „Rory“ Davis. Rory, selbstbewusst, schlagfertig und voller Leidenschaft für ihren Job, sieht sich einer schier unlösbaren Aufgabe gegenüber. Keine Frau, die sie Will vorstellt, scheint seinen unmöglichen Standards zu genügen und von Mal zu Mal werden seine Anforderungen noch größenwahnsinniger und unrealistischer. Mit jeder gescheiterten Vermittlung prallen ihre Meinungen, Werte und Persönlichkeiten immer heftiger aufeinander.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
2025 by Daniela Felbermayr
Kontakt: [email protected]
Cover gestaltet mit KI und Canva
Meghan öffnete die kleine Schachtel, die Will ihr überreicht hatte und schaute neugierig hinein. Dann wurden ihre Augen groß, ein Strahlen nahm ihr ganzes Gesicht ein. Sie sah ihn an, fiel in seine Arme, sodass er das Handy fallen ließ, mit dem er ihre Reaktion gefilmt hatte. Eine Überblende zur nächsten Szene. Meghan lag in seinen Armen und betrachtete den Verlobungsring, den er ihr an den Finger gesteckt hatte. Will zoomte an den Ring heran, zoomte heraus, drehte die Kamera zu Meghan und küsste sie. Er schloss das Video. Als nächstes wurden ihm zahlreiche weitere Fotos von Meghan und ihm – in allen möglichen Situationen – angezeigt. Bei den Oscars, weil sie die unbedingt einmal hautnah hatte miterleben wollen, beim Schifahren im österreichischen Tirol, in Paris am Valentinstag. Bei einer Gala, auf zahlreichen Festen der Kingsburys und mit der Familie an Weihnachten in Aspen. In ihrem Halloweenkostüm. In seinen Armen. So oft in seinen Armen. Will schloss den Meghan-Ordner auf seinem Handy, in dem er alle Fotos, Videos und digitalen Erinnerungsstücke an seine große Liebe versteckt hatte, und den er nur sehr selten zu öffnen wagte. Er wusste, dass er der Einzige der Kingsbury Brüder war, der die Aufgabe seines Vaters nicht würde erfüllen können. Er konnte die große Liebe, die Frau, mit der er sich niederlassen wollte, mit der er sesshaft werden wollte, nicht finden. Weil er sie schon gehabt hatte. Meghan Batterson war die große Liebe seines Lebens gewesen, seit er sie an seinem ersten Tag in Harvard in der Bibliothek gesehen hatte.
Als er Meghan kennengelernt hatte, hatte alles für ihn Sinn gemacht und es war ihm klar gewesen, dass er diese wunderhübsche, aufrichtige und freche Frau einmal heiraten würde. Sie war alles, was er sich jemals gewünscht hatte. Und mit ihr schien alles so unglaublich leicht. Sie machten beide ihre Abschlüsse, Will trat ins Familienunternehmen ein und leitete dort die Finanzen, Meghan arbeitete als Kuratorin im Guggenheim und war für die private Sammlung der Kingsburys, was Kunst betraf, verantwortlich. Will und Meghan waren füreinander bestimmt, das wusste Will seit ihrem ersten Aufeinandertreffen. Und dann … kam alles anders. Vier Monate, nachdem sie sich verlobt hatten, als sie gerade dabei waren, die Hochzeit zu planen, bemerkte Meghan eine gewisse Kurzatmigkeit, die mit einer solchen Intensität über sie hereinbrach, dass sie sich in ärztliche Behandlung begab. Und dann stellten die Ärzte fest, dass Meghan Lungenkrebs hatte. Als jemand, der nie auch nur eine Zigarette geraucht hatte – jemand, der gerade fünfundzwanzig Jahre alt war. Jemand, der bis zu dieser Kurzatmigkeit keinerlei Probleme gehabt hatte. Bei Meghans Krebs handelte es sich um einen sehr aggressiven Tumor, der bereits gestreut hatte. Und obwohl Will und die Kingsburys jede nur erdenkliche Therapie ausprobierten, verlor sie am Ende den Kampf. Einen Tag, bevor Will sie zu seiner Frau machen wollte.
Seither war nichts mehr, wie es einmal gewesen war und auch, wenn Meghans Tod mittlerweile elf Jahre zurücklag, war Will nie über sie hinweg gekommen. Er war sich dessen bewusst, dass es nur eine große Liebe im Leben gab. Und keine zweite Chance, wenn man sie verloren hatte. Dass sein Vater nun von ihm verlangte, eine andere Frau zu finden, war ihm ungeheuerlich vorgekommen. Und das Gespräch, das er mit ihm gesucht hatte, hatte nicht den Erfolg gebracht, den er sich gewünscht hatte. William Kingsbury III hatte seinem Sohn erklärt, dass er seinen Schmerz nachvollziehen konnte. Meghan war ein vollwertiges Familienmitglied gewesen und alle Kingsburys hatten um sie getrauert, nachdem sie gestorben war. William war allerdings auch der Meinung, dass sein Sohn zu jung war, um alleine zu leben. Er würde – wie seine Brüder auch – einen besonderen Platz in der Gesellschaft einnehmen und dazu brauchte es eine Frau an seiner Seite. Will war Ende dreißig – in diesem Alter entschied man sich nicht dafür, alleine zu leben. Erst recht nicht, wenn man ein Kingsbury war. Sein Vater hatte ihm erklärt, dass er seine Trauer um Meghan sehr ernst nahm. Aber dass der Verlust, der nun über elf Jahre zurücklag für ihn kein Grund wäre, seinem Sohn zuzugestehen, sein Leben allein zu verbringen, alleine alt zu werden und allein zu sterben. Und auch, wenn Will versucht hatte, seinen Vater vom Gegenteil zu überzeugen, so wusste er, dass es dabei gegen Windmühlen kämpfte. William Kingsbury III duldete in der Hinsicht keinen Widerspruch. Also würde Will nichts anderes übrig bleiben, als dem Wunsch seines Vaters zu entsprechen. Oder zumindest so zu tun. Dass man Liebe nicht erzwingen konnte, das wusste sogar sein Vater. Will würde also ein paar Dates haben, ein paar Frauen kennenlernen … und dann eben einfach nicht zum Zug kommen. Dass er bei Frauen gut ankam, wusste er. Er war immerhin auf der einen Seite ein Kingsbury und auf der anderen unsagbar gutaussehend. Nein. Er würde sich nicht neu verlieben, weil er wusste, dass es gar keine Frau da draußen auf der Welt gab, die seiner Meghan auch nur annähernd das Wasser würde reichen können. Aber … was sprach schon dagegen, wenn er sich einen kleinen Spaß machte, während er „ernsthaft auf der Suche“ war. Spaß mit Frauen an sich war er nicht abgeneigt, nur allem, was darüber hinaus ging. Bisweilen fand er sogar Freude daran, Frauen Hoffnungen zu machen und diese dann im Keim zu ersticken, wenn sie sich auf der sicheren Seite wähnten.
Nein, Will hatte Meghan ewige Treue geschworen und diesen Schwur würde er nicht brechen. Niemals.
Er drehte die Visitenkarte in seiner Hand, die ihm Ed Laughlin, ein Ölmillionär in seinen Siebzigern gegeben hatte. Ed hatte gerade zum vierten Mal geheiratet. Eine dreiundzwanzigjährige Schönheit, die … natürlich nicht an seinem großartigen Charakter interessiert war, sondern eher an seinem Vermögen. Wie der alte Ed an solche Frauen kam, wo er weder auf Tinder unterwegs war, noch im herkömmlichen Sinne datete? Über eine Partnervermittlungsagentur. Eine gute alte Partnervermittlungsagentur, bei der zwei Menschen sich nicht über Onlineprofile kennenlernenten, sondern, bei der es eine menschliche Vermittlerin gab, die handverlesen Paare zusammenführte. Eine menschliche Vermittlerin namens Rory Davis, die in der gesellschaftlichen Schicht, in der der Will sich bewegte, größtes Ansehen genoss. Die „ein Händchen“ für die große Liebe zu sein schien. Wer, wenn nicht Rory Davis, wäre die Richtige, um Will bei seinem Spielchen zu unterstützen.
„Liebe Rory, vielen Dank, dass du unsere Wege hast kreuzen lassen. Ohne dich hätten wir niemals zueinander gefunden. Wir danken dir von Herzen. Paula und Steve.“
Aurora – Rory – Davis drehte die Grußkarte, die in dem großen Blumenstrauß gesteckt war, den der Bote soeben gebracht hatte, zwischen ihren Fingern hin und her und las den Text noch einmal. An Paula und Steve konnte sie sich gut erinnern. Zwei Mittfünfziger, die beide jeweils schwer enttäuscht von der Liebe einen neuen Versuch wagen wollten und dabei auf die gute alte Partnervermittlerin gestoßen waren. In Zeiten von Instantdating a la Tinder & Co., wo so viel Unechtes, so viele Fakes ihr Unwesen trieben und jeder parallel zahlreiche Möglichkeiten auf Kontakte hatte, gab es bereits die ersten Liebessuchenden, die tatsächlich von Onlineplattformen abwanderten und ihr Glück wieder offline versuchten. Oder aber mit Hilfe einer professionellen Partnervermittlerin a la Rory. Rory hatte die Agentur vor sieben Jahren, als sie da College gerade abgeschlossen hatte, und nicht so recht wusste, was sie mit ihrem Abschluss in der Tasche anfangen sollte, von ihrer Großmutter übernommen. Die alte Dame, ihres Zeichens Italienerin und immer schon eine gute Kupplerin, hatte „True Match“ bereits in den 1960er Jahren gegründet. Damals waren zahlreiche italienische Einwanderer in die USA gekommen und Sophia Marchetti, die mittlerweile Sophia Davis hieß und zwei kleine Kinder sowie einen liebenden Ehemann hatte, begann, einsame Herzen zueinander zu führen. Rory erinnerte sich an zahlreiche Paare, die ihrer Großmutter in den neunziger Jahren, der Hoch-Zeit der Agentur von ganzem Herzen dankten, sie miteinander bekannt gemacht zu haben. Und Sophia war stolz darauf, dass die von ihr vermittelten Beziehungen zu 97 % hielten. Eine Quote, von der Tinder & Co. heutzutage nur träumen konnten.
Als Rory die in die Jahre gekommene Agentur vor sieben Jahren von ihrer Großmutter übernommen hatte, war dies eigentlich nur aus dem Grund, weil sie etwas brauchte, womit sie sich die Zeit vertreiben konnte, ehe sie wusste, was sie wirklich tun wollte. Die Finanzwirtschaft hatte sie immer schon interessiert, im Board eines großen Unternehmens zu arbeiten, wäre ihr Ziel, doch als Collegeabsolventin rissen sich die Unternehmen nicht gerade um einen – gerade in Zeiten, in denen Absolventen quasi „auf Bäumen wuchsen“ und gut einhundert Bewerber auf eine Stelle kamen. Also hatte Rory beschlossen, die Agentur ein bisschen in die Gegenwart zu holen, sie aufzupeppen und zumindest ein bisschen Erfahrung als Unternehmerin zu sammeln, so lange, bis sie ihre wahre Berufung gefunden hatte. Sie hatte mit einem, vielleicht zwei Jahren gerechnet doch irgendwann hatte sie erkannt, dass sie das Talent ihrer Großmutter möglicherweise geerbt haben dürfte, was es betraf, Liebe zwischen zwei Menschen zu stiften. Rory hatte ein Gespür dafür, welche Menschen zueinander passten und zwischen welchen es funken konnte und wer mit wem glücklich wurde. Es war fast so, als habe sie ein verborgenes Radar dafür entwickelt. Außerdem – der Job war einer der besten, den Rory sich vorstellen konnte. Sie machte Menschen glücklich. Sie bewirkte etwas Gutes für ihre Kunden und trug dazu bei, die Welt – für ihre Klienten – ein bisschen besser zu machen.
Natürlich war Rory mit ihrer Agentur nicht reich geworden, und hätte sie sich damals für einen Job im Finanzbereich eines Großkonzerns entschieden, anstatt für „True Match“, so wäre ihr Bankkonto deutlich besser gefüllt, als es das heute war. Aber sie kam über die Runden, hatte ihr Auskommen und obendrein einen Job, den sie liebte. Und … seit dieser Wandel auf Dating-Apps begonnen hatte, seit die Plattformen mit Fakeprofilen und Blendern überschwemmt wurden, erkannte Rory, dass ihr Geschäft langsam etwas Fahrt aufnahm. Es war ihr gelungen, ein paar namhafte, wohlhabende Klienten an Bord zu holen, die sie erfolgreich mit ihrer großen Liebe zusammengeführt hatte. Durch die entstehende Mundpropaganda konnte sie nun auf einen Kundenstock zurückblicken, der sich sehen lassen konnte – und, der ihren Laden auch finanziell ein kleines bisschen ankurbelte.
An diesem Morgen war es wieder soweit – ein neuer hochkarätiger Klient hatte sich angesagt. William Kingsbury IV, Sohn der bekannten Kingsbury-Familie hatte sich angesagt, um Rorys Dienste in Anspruch zu nehmen. Natürlich waren die Kingsburys für Rory keine Unbekannten. Die Familie war so etwas wie die moderne Version der Rockefellers, hatte unglaublich viel Einfluss und Macht und … sechs Junggesellen-Söhne, die es allesamt noch nicht geschafft hatten, die Richtige an Land zu ziehen, was wohl eher daran lag, dass jeder einzelne von ihnen ein Schwerenöter war, anstatt, an mangelnden Kandidatinnen. Rory war gespannt auf den Grund, weshalb William ihre Hilfe in Sachen Partnersuche brauchte, aber Gründe dafür waren vielfältig und keinesfalls handelte es sich bei Klienten einer Partnervermittlung um „schräge Vögel“. Ein Mann vom Format eine Kingsburys konnte nicht einfach durch Clubs ziehen und sich eine Frau aussuchen. Frauen – gerade welche, die es auf ein Kaliber wie einen Kingsbury abgesehen hatten, waren meist nicht ernsthaft an dem Mann per se interessiert, sondern viel mehr an dessen Geld, an dem Lebensstil, den er ihnen bieten konnte und der Aussicht auf ein Dasein in schier unendlichem Luxus. Sollte William Kingsbury nun also wirklich auf der Suche nach der Frau fürs Leben sein, war es bestimmt besser, Rorys Hilfe in Anspruch zu nehmen, als es auf eigene Faust zu versuchen, zumal Rory schon vorselektieren konnte und ohnehin nur Klientinnen in ihrer Kartei hatte, die keine Goldgräberinnen auf der Suche nach einem Sugardaddy waren.
Rory verließ gegen neun ihr kleines Haus auf Long Island. Der Morgen hatte sich turbulent gestaltet. Zunächst einmal hatte ihr Wecker nicht geklingelt und sie hatte über eine Stunde verschlafen. Dann hatten ihre beiden Kater Tiger und Ash das Wohnzimmer verwüstet und eine Schale mit Potpourri vom Tisch gefegt, welches sich dann nahezu untrennbar mit den Fasern ihres Flokati-Teppichs verbunden hatte. Also war Rory nicht nur viel zu spät außer Haus gekommen, sondern hatte auch noch das Frühstück ausfallen lassen müssen. Sie hatte sich einen Kakao – mit Extra-Sahne und Schokostreuseln – an dem kleinen Café gekauft, das direkt neben der U-Bahn-Station war und natürlich hatte sie ein junger Mann, der offenbar ebenso im Stress war, wie Rory selbst, beim Verlassen des Zuges angerempelt, sodass der Kakao sich über ihre weiße Bluse und die beigefarbene Hose ergoss, die sie an diesem Tag trug.
Rory schloss ihre Bürotür auf, das sich in einem Wolkenkratzer an der 42. Straße direkt in Hells Kitchen befand. Ihre Großmutter hatte das Büro, das aus einem kleinen Vorzimmer und einem Hauptbüro bestand, in den späten Sechziger Jahren angemietet und damals einen Mietvertrag erhalten, der Gold wert war. Zu der Zeit war Hells Kitchen noch kein In-Stadtteil gewesen, sondern von den New Yorkern eher gemieden worden, sodass Sophia einen Mietvertrag erhalten hatte, der für die nächsten 99 Jahre galt, und dessen Miete nur jährlich um je zwei Prozent angepasst werden würde. Für Rory ein Geschenk. Mittlerweile war der Stadtteil zu nicht nur touristisch, sondern auch wirtschaftlich hoch angesehen und Rorys Agentur befand sich in bester Lage für Kunden eines gewissen Klientels.
Nachdem sie ihre Tasche auf ihrem Schreibtisch abgelegt hatte, ging sie ins Badezimmer, um das Ausmaß der Kakaokatastrophe zu begutachten. Nein. Sie würde diese Sauerei nicht mit ein bisschen Wasser und Seife herausbekommen. Erst recht nicht, wo William Kingsbury bereits in zwanzig Minuten auf ihrer Matte stehen würde. Sie konnte auch nicht zurück nach Hause, weil dafür die Zeit nicht reichte. Einem Mann wie William Kingsbury in letzter Minute abzusagen, war ebenfalls keine Option. Sie hatte also nur zwei Möglichkeiten zur Auswahl: entweder, einem hochkarätigen Kunden wie William Kingsbury in einem mit Kakao besudeltem Outfit gegenüberzutreten und sich zum Affen zu machen, oder … das legere Feierabendoutfit anzuziehen, das sie in ihrem Büro für den Fall hatte, dass sie nach Dienstschluss mit ihren Freundinnen ins Kino, oder etwas Essen ging. Ein Outfit, das aus ripped Jeans und einem Rolling-Stones-Shirt bestand. Ihr war klar, dass sie den Auftrag so oder so abschreiben konnte. Ein Mann wie Sebastian Kingsbury legte auf Professionalität wert und würde mit keiner Frau zusammenarbeiten, die ihm in einem Stones-Shirt gegenübertrag. Noch dazu einem mit dem bekannten Zungen-Logo. Aber sie hatte keine Wahl. Entweder das Band-Shirt oder das Kakao-Outfit. Mit einem Seufzen holte Rory Jeans und Shirt aus ihrem Büro, schlüpfte im Waschraum aus ihren Chinos und der Bluse und wechselte ihre Klamotten. Wenigstens die Heels, die sie trug, konnte sie anlassen. Die Chucks, die zu ihrem Feierabendoutfit gehörten, ließ sie geflissentlich in ihrem Schrank.
Rory betrachtete sich im Spiegel. Nein. Das war alles andere als ein professioneller Auftritt, erst recht, wenn man einen Milliardär als Kunden gewinnen wollte, aber was sollte sie jetzt schon ändern. Kingsburys Termin stand in neun Minuten an, also war es höchste Zeit für sie, in die Gänge zu kommen und sich vorzubereiten, so gut das noch möglich war. Sie lief als hinüber in ihr Büro schaltete ihr MacBook an und öffnete einen der Klienten-Fragebögen, die sie als Allererstes immer gemeinsam mit dem neuen Kunden ausfüllte. Darin wurde festgehalten, wonach der Klient suchte, was ihm wichtig war, wie er lebte und was er sich wünschte. Sie öffnete Google und tippt „William Kingsbury, IV“ ein. Sofort wurden ihr zahllose Beiträge über William, den kontrollierten, den ruhigen, den „dunklen“ Kingsbury angezeigt. Sie hatte schon mitbekommen, dass William, im Gegensatz zu seinen Brüdern, nicht so sehr im High Society-Leben verankert war. Er wurde nie mit Frauen gesehen, hatte keine Dates, man wusste wenig über sein Privatleben. Er war der Finanzchef der Kingsburys und verantwortlich für deren milliardenschweres Vermögen. Scheinbar war er ein Zahlenmensch, sehr ernst, trocken und gnadenlos. Rory fand einen Bericht einer ehemaligen Sekretärin, die kein gutes Haar an ihm als Boss ließ.
Rory sah auf die Uhr. Drei Minuten nach elf Uhr. Mr. Kingsbury schien also keiner von der pünktlichen Sorte zu sein. Sie schmunzelte. Es war immer schön zu sehen, dass jemand, der als so überkorrekt dargestellt wurde, auch nur ein Mensch war. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass William Kingsbury um Punkt elf Uhr in ihrem Büro einfallen würde, doch … Minute um Minute verstrich und er tauchte nicht auf. Nachdem bereits eine Viertelstunde vergangen war, rief Rory noch einmal die Terminvereinbarung auf. Sie war online hereingekommen, über einen QR-Code auf ihrer Visitenkarte. Die Karte teilte sie nur an bereits bestehende Klienten aus, also musste es sich um jemanden handeln, der bereits mit ihr zusammengearbeitet hatte und von ihren Diensten überzeugt war. In der Terminbuchung war nur der Name des Kunden angegeben worden, keine weiteren Daten. Rory wollte ihren künftigen Klienten so viel Privatsphäre geben, wie nur möglich. Daher fragte sie bei Online-Terminbuchungen auch nur den Namen ab und sonst nichts. Bislang hatte sie damit nie schlechte Erfahrungen gemacht, weshalb sie an dem System auch nichts ändern wollte, aber als Kingsbury bereits knappe fünfundzwanzig Minuten zu spät dran war, und sie keine Möglichkeit hatte, ihn in irgendeiner Form zu kontaktieren, begann sich der Gedanke in ihr zu manifestieren, dass sie vielleicht diesmal doch an der Nase herumgeführt worden war. Vielleicht … hatte einer ihrer bestehenden Klienten ihre Visitenkarten verloren und jemand, der sich einen Scherz mit ihr erlaubte, hatte sie gefunden. Sie hatte zwar keine Ahnung, was das demjenigen bringen sollte, aber Menschen waren eben seltsam. Kingsbury war mittlerweile eine halbe Stunde überfällig und Rory schloss mit dem Gedanken ab, einen Mann von seinem Format als Kunden zu gewinnen. Wie lächerlich. Warum sollte ein Kingsbury, der jede Frau haben konnte, die er wollte, auf eine Partnervermittlungsagentur zurückgreifen? Sehr witzig. Sie sah an sich hinunter. Wenigstens musste sie einem wie Kingsbury nicht in ihrem Feierabendoutfit gegenübertreten. Im nächsten Moment knurrte ihr Magen. Natürlich – sie hatte an diesem unsäglichen Morgen auf ihr Frühstück verzichtet und jetzt war es halb zwölf durch. Ihr nächster Klient würde um 13 Uhr aufschlagen, viel Zeit, um etwas essen zu gehen, blieb ihr also nicht. Dann fiel ihr etwas ein, was ihr ein breites Grinsen auf die Lippen zauberte. Der Notfallvorrat. Sie öffnete die unterste Schublade ihres Schreibtisches und holte ein großes, schweres, ungeöffnetes Glas Nutella hervor. Das Ein-Kilo-Vorratsglas. Das würde ihr jetzt genau recht kommen. Rory liebte Nutella und hatte immer welches Zuhause. Die Haselnusscreme war schon oft ihr Retter in der Not gewesen – oder einfach etwas, das einen Tag wie diesen ein bisschen besser machte. Sie schnappte sich einen Löffel, drehte das Glas auf uns versenkte ihn in der großartigen, göttlichen Creme. Sie führte den Löffel zum Mund, ließ ihn darin verschwinden und genoss die Geschmacksexplosion, die der erste Löffel Nutella immer in ihr auslöste. Augenblicklich war alles besser. Okay, man hatte sie eben an der Nase herumgeführt. Okay, kein William Kingsbury würde ihre Kundenkartei aufpeppen. Okay, ihr war ein kleines Vermögen durch die Lappen gegangen. Aber … sie hatte Nutella, in einer Stunde würde ihr nächster Kunde hier aufschlagen … es könnte sie also schlimmer treffen.
Völlig entspannt legte Rory ihre Füße auf ihren Schreibtisch, genoss ihr Nutella, schloss die Augen und wusste, dass sie es eigentlich ziemlich gut erwischt hatte. William Kingsbury hin oder her.
Im nächsten Moment räusperte sich jemand und Rory riss die Augen auf. Vor ihr stand der schönste Mann, den sie jemals gesehen hatte. Groß, dunkelhaarig, markante, scharf geschnittene Gesichtszüge. Grüne Augen, Bartschatten. Er blickte sie aus diesen unglaublichen Augen nahezu verächtlich an. William Kingsbury … stand in Rorys Büro.
Rory erstarrte. Will Kingsbury war eine Stunde zu spät, wie kam er dazu, jetzt plötzlich in ihre Büro aufzutauchen. Obwohl sie wusste, dass sie professionell reagieren musste, war sie zunächst zu keiner Bewegung fähig. Dann nahm sie in einem Satz die Füße vom Tisch, zog den Nutellalöffel aus dem Mund, verstaute Glas und Dose wieder in ihrer Schublade und räusperte sich.
„Mr. Kingsbury“, sagte sie, „ich glaube, es gab ein Missverständnis bei unserem Termin.“ „Ich glaub, das Alles hier ist ein Missverständnis“, sagte Will. Er war ein ausnehmend schöner Mann, der Anziehung, Dominanz und Männlichkeit förmlich ausstrahlte. Und Eiseskälte. Unnahbarkeit. Und Respekt. Rory war sich sicher, zahlreiche Frauen zu finden, die Will kennenlernen wollten, weil er genau das verkörperte, was jede Frau sich als Partner wünschte. Stärke, Einfluss, Macht und ein Fünkchen Distanziertheit, das vermittelte, immer ein bisschen um seine Gunst buhlen zu müssen.
„Ich denke, Sie können mir nicht helfen. Das hier ist nicht …“, Will machte eine ausladende Geste um Rorys Büro, „was meinen Erwartungen entspricht.“ Er wandte sich zum Gehen, doch so schnell ließ Rory sich nicht abwimmeln. Gut möglich, dass auch sie auf die Distanziertheit die Will verströmte, angesprungen war – und jetzt um sein Gunst als Kunde buhlte.
„Das wäre ein Fehler, Mr. Kingsbury. Ich versichere Ihnen, dass sie keine Bessere finden werden als mich, die Ihnen dabei behilflich ist, die Frau fürs Leben zu finden.“ Will hielt inne. Langsam drehte er sich um, dann sah er Rory an. Taxierte sie. Für vier Sekunden. Fünf. Sechs.
„Da ist wohl ein schlechter Scherz“, sagte er dann abfällig.
In Rory brodelte es. Sie hatte schon damit gerechnet, dass ein Kingsbury nicht einfach sein würde, aber der hier schien ein ganz besonders ausgekochtes Exemplar zu sein. Abgehoben. Arrogant. Eingebildet.
„Das können Sie sehen, wie Sie wollen, Mr. Kingsbury, aber lassen Sie sich gesagt sein, bei größeren Agenturen sind selbst Sie nur eine Nummer. Es wird mit Algorithmen gearbeitet, es ist nicht einmal sicher, dass ein Mensch aus Fleisch und Blut ihr Profil jemals in der Hand hat und es wirklich mit anderen abgleicht. Natürlich können sie zu großen Agenturen gehen, die mit hunderttausenden von Dollars ihre Dienste anbieten, aber dann können Sie genauso gut ein Abo bei Tinder abschließen. Wussten Sie, dass der Algorithmus, auf dem jede Partnervermittlungssoftware basiert, auf denselben Parametern ausgerichtet ist, wie der der gängigen Dating-Apps. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass sie bei großen Agenturen absolut kein Mitspracherecht haben. Ihnen werden wahllos irgendwelche Damen vorgestellt, die Sie dann daten oder auch nicht. Weil große Agenturen wahllos alle Klienten in eine Datenbank werfen und sie nur grob nach Alter, Wohnort und Schulbildung matchen. Ich kann ihnen handverlesene Bekanntschaften anbieten, weil ich jede Klientin und jeden Klienten – so wie sie jetzt – persönlich empfange. Mit ihr oder ihm festlege, wer gesucht werden soll und nach welcher Person ich Ausschau halte. Meine Agentur, Mr. Kingsbury, besitzt das Programm nicht, mit dem jede andere Partnervermittlung in den Staaten arbeitet. Ich bin die Einzige, die nach dem alten Muster vorgeht. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.“
Sie sah ihn an. Im Grunde war sie auf den Auftrag angewiesen. Ihr Geschäft lief zwar in den letzten Monaten besser und besser, aber eine Partnervermittlung nach altem Muster war in New York im Jahr 2025 nicht gerade etwas, was von allein lief. Einen Klienten wie Kingsbury an Bord zu haben würde nicht nur einen enormen Werbeeffekt mit sich bringen und ihr ein großzügiges Honorar, sie würde auch zahlreiche Folgeaufträge generieren, dessen war sie sich sicher. Dennoch musste sie jetzt gute Miene zum bösen Spiel machen. Will durfte nicht wissen, dass sie diesen Auftrag unbedingt bekommen musste.
„Wenn Sie mich fragen, würde ich am ehesten zu Manhattan Amore gehen“, sagte Rory. „Ich kenne eine Handvoll Personen, die dort jemanden gefunden haben – zumindest für eine Weile. Soll ich Ihnen die Nummer heraussuchen?“
Kingsbury sah sie an. Seine Mine war nicht zu entschlüsseln und Rory rechnete fest damit, dass er in den nächsten paar Augenblicken auf dem Absatz kehrt machen und verschwinden würde.
„Sie bekommen eine Chance. Ich will mein erstes Date heute in einer Woche haben. Wenn sie keine Frau finden, die mich vom Hocker haut, sind Sie Geschichte.“
Rory schmunzelte. Jetzt war all ihr Schauspieltalent gefragt. Es dauerte normalerweise eine Weile, bis das erste Match zustande kam und Kingsbury dachte – wie viele andere auch – dass das so lief wie auf Datingapps – gefällt mir geht rechts, gefällt mir nicht geht links. Doch sie entschied sich, ihm nichts davon zu sagen. Sie wusste, dass die Zusammenarbeit mit ihm am seidenen Faden hing und wollte nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen.
Will Kingsbury setzte sich auf den Stuhl Rory gegenüber und sah sie an.
„Bevor wir loslegen, möchte ich noch loswerden, was für ein enormer Akt der Unprofessionalität das gerade eben war. Nicht nur, dass sie Ihre Termine ganz offensichtlich durcheinanderbringen, liegen sie wie ein Penner in der Gosse auf ihrem Schreibtisch und schaufeln Müll in sich hinein. Üblicherweise sind Personen wie Sie niemand, mit dem ich zusammenarbeite. Es fehlt ihnen an Professionalität, Stil und Klasse. Es ist der Not der Stunde geschuldet, dass ich Ihnen diese eine Chance gebe. Aber seien Sie sich sicher – erlauben Sie sich nur den kleinsten Schnitzer, sind Sie raus. Und … ich werde dafür sorgen, dass Sie Ihre Agentur schließen können und nie wieder ein Fuß in dieser Sparte auf den Boden kriegen.“
Rory sah Will an. Warum war dieser Mann nur so voller Wut und Hass. Erst einmal hatte ER den Termin versemmelt. Sie hatten ganz fest elf Uhr vormittags ausgemacht, das stand nicht nur so in ihrem Kalender, das hatte Will vorgeschlagen. Er hatte etwas von einem Termin in der Nähe gefaselt, nach dem er bei ihr vorbeikommen wollte. Warum er jetzt so tat, als wäre es Rorys schuld, dass er eine knappe Stunde zu spät dran war, und dass sie nicht Däumchen drehend auf ihn gewartet hatte, erschloss sich ihr nicht. Ihr war jedoch völlig bewusst, dass es keinen Sinn machte, ihn diesbezüglich zu behelligen. So, wie der drauf war, würde er wutentbrannt aufspringen und das Büro verlassen. Und seine Drohung, ihren Laden in den Boden zu stampfen, wohl noch wahr machen. Also war es besser, klein beizugeben.
„Bitte entschuldigen Sie, Mr. Kingsbury, Sie haben natürlich völlig recht“, sagte Rory. Sie wusste wie sie mit Klienten vom Format eines William Kingsbury umgehen musste, auch, wenn sie innerlich kochte. „Ich freue mich sehr, dass Sie mir die Chance geben, mich zu beweisen und ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen die bezauberndste Frau an Ihre Seite matche, die sie sich vorstellen können.“ Rory öffnete einen neuen Kundenfragebogen auf ihrem Mac und drehte einen der beiden Bildschirme, auf denen der Fragebogen gespiegelt war, zu Will.
„Lassen Sie uns gleich anfangen. Als Erstes benötige ich einige Informationen von Ihnen – und darüber, nach welcher Frau ich für Sie suchen darf. Lassen Sie mich aber zuerst ein bisschen über meine Agentur erzählen, damit auch Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben. Meine Großmutter, eine italienische Einwanderin, hat die Agentur in den 1960er Jahren gegründet, zu einer Zeit, in der es weder Internet noch Soziale Medien gab. In ihre Freundeskreis gab es damals eine Menge Singles und sie hatte von jeher ein Händchen, Menschen zusammenzubringen …“ „Denken Sie ernsthaft, dieser Scheiß interessiert mich?“, fiel Will ihr ins Wort. „Ich habe weder die Zeit noch das Interesse, mir anzuhören, wie Ihre Großmutter in den Sechzigern irgendwelche übriggebliebenen Gänse verkuppelt hat. Also überspringen wir diesen Teil und kommen wir ans Eingemachte.“ Rory hielt die Luft an. Jegliche Reaktion wäre jetzt eine Überreaktion gewesen. William Kingsbury war ein Ekelpaket und ihr wurde klar, dass es nicht einfach werden würde, eine Frau für ihn zu finden. Denn so interessant und reizvoll er auf den ersten Blick war, er war ein Kotzbrocken. Selbstgefällig, hochnäsig, widerlich. Natürlich würde es das eine oder andere Sugarbabe geben, das völlig hin und weg von ihm sein würde – und dem es egal war, wie er mit ihm umsprang, solange die Geschenke passten und die limitlose Kreditkarte funktionierte, aber Rory war es eigentlich zuwider, solche Paare zu vermitteln. Sie wollte wahre Liebe stiften. Das, was Paula und Steve verband – etwas Echtes. Aber keine Scheinbeziehung, bei der ein Part sich mit dem Aussehen des anderen schmückte, der umgekehrt nur an dessen Kontostand interessiert war. Dass es in diesem Fall aber gar nicht anders ging, war Rory bewusst. Kingsbury war ein Mann, der seine große Liebe gar nicht treffen wollte. Er musste. Sein Vater hatte ihm und seinen fünf Brüdern aufgetragen, die wahre Liebe zu finden. Derjenige dem dies nicht innerhalb eines Jahres gelang, würde enterbt werden. Die Info war durch alle Boulevardpressen gegangen und für einige Wochen Gesprächsthema Nummer eins. Als William Kingsbury IV sich dann bei Rory meldete, war klar, wie der Hase lief. Also würde sie sich auf die Präferenzen ihres Mandanten einstellen müssen.