Beast. Liebe mich. Nicht. - Daniela Felbermayr - E-Book

Beast. Liebe mich. Nicht. E-Book

Daniela Felbermayr

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Beschreibung

Grey Kennedy hat die Schnauze von Männern gestrichen voll. Nach einer ziemlich hässlichen Trennung und mehreren Onlinebekanntschaften, die sie sich eigentlich hätte schenken können, ist sie nicht sehr motiviert, so schnell wieder einen Mann in ihr Leben zu lassen. Bis sie dem Milliardär Richard Stark förmlich in die Arme läuft. Richard ist Alles, was eine Frau sich nur erträumen kann: gutaussehend, sexy, gebildet und obendrein steinreich. Und wie es scheint, hat er ernsthaftes Interesse an Grey, die ihr Glück kaum fassen kann. Doch Grey ahnt nichts von der dunklen Seite Richards. Einer Seite, die Grenzen überschreitet und für die eigene Gesetze und Regeln gelten. Und ehe sie sichs versieht, ist sie Richard mit Haut und Haar ausgeliefert. Und der anderen, brandgefährlichen Seite, die sich in ihm versteckt.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

C 2020 by Daniela Felbermayr

Cover: Rausch-gold.com

Korrektorat: SW-Korrekturen e.U.

Kontakt: [email protected]

PROLOG

Grey Kennedy seufzte, als sie vor dem „Oxford“ zu stehen kam. Sie hatte eigentlich keine große Lust, sich an diesem Abend ins Nachtleben zu stürzen, aber mittlerweile hatte es Seltenheitswert, dass ihre beiden besten Freundinnen Carlie und Jessica, mit denen sie studiert hatte und von denen Jessica ans andere Ende des Landes gezogen war, in der Stadt waren. Außerdem war das Treffen mit den beiden schon seit Monaten festgelegt und von Grey vorgeschlagen worden, als … das mit Adrian noch nicht passiert war und sie tatsächlich geglaubt hatte, endlich einmal Glück zu haben. Dass nach all den Steinen, die das Leben ihr bisher in den Weg geworfen hatte, endlich einmal etwas Positives auf sie wartete. In Form eines gut aussehenden, charmanten, tollen Kerls, der auch noch eine Granate im Bett war. Wie dumm sie doch gewesen war. Hatte sie tatsächlich geglaubt, dass ausgerechnet SIE einen Kerl wie Adrian hätte haben können? Dauerhaft? Der hatte es nur darauf abgesehen gehabt, in ihrer Wohnung unterzukriechen, nachdem seine Ex ihn hinausgeworfen hatte und er auf die Schnelle nichts anderes fand. Ein hübsches Appartement am Central Park mit Skypool, Fitnessraum, Sauna und Hallen-Schwimmbad kam ihm da gerade recht. Und sie war so blöd gewesen und hatte ihm all seine Lügenmärchen abgekauft. Schon bei ihrem allerersten Date hatte er ihr erzählt, dass er seiner Exfrau in über zwanzig Ehejahren niemals länger als drei Monate am Stück treu gewesen war. In dem Moment hatten bei Grey alle Alarmglocken zu schrillen begonnen, doch er hatte es damit gerechtfertigt, dass sie beide einfach nie zusammengepasst hatten. Sie hatten einen One-Night-Stand gehabt, als sie jung gewesen waren, daraus war ihr erster Sohn entstanden. Und Adrian, ganz Vorzeigepapa, hatte die Mutter seines Sohnes natürlich geheiratet und sie hatten eine Familie gegründet. Hatte sich einundzwanzig Jahre mit einer ständig keifenden, bösartigen Kuh herumgeschlagen, nur weil er nicht wollte, dass sein Sprössling in zerrütteten Familienverhältnissen aufwächst. Was für ein toller Kerl. Und jetzt, mit 48, als der Sohnemann endlich erwachsen war, Adrian aber immer noch aussah wie ein Schönling von Mitte dreißig, ließ der es ordentlich krachen. Natürlich hatte Grey ihm abgenommen, dass er auch sexuell nie das bekommen hatte, was er wollte, und somit praktisch gezwungen worden war, fremdzugehen. Immerhin war seine Ex frigide, ständig am Meckern und Nörgeln. Kein Wunder, dass der arme Adrian seine Bedürfnisse da auf andere Art und Weise stillen musste. Grey hatte ihm tatsächlich geglaubt, dass er ehrlich mit ihr war, als er beteuerte, dass sie seine Traumfrau war und er niemals auch nur einen Gedanken daran verschwenden würde, sie zu betrügen, weil bei ihr alles passte und er keine Kompromisse eingehen musste. Sogar von einer Hochzeit hatte er einmal gesprochen und neuerlich untermauert, dass er eigentlich vorgehabt hätte, NIE MEHR zu heiraten, aber Grey sein gesamtes Weltbild über den Haufen geworfen hätte – im positiven Sinne.

Grey hatte tatsächlich geglaubt, ihren Traummann endlich gefunden zu haben. Adrian vereinte wirklich alles in sich, was sie sich jemals bei einem Mann erträumt hatte. Er war gut aussehend, sportlich, charmant, nett, eine Kanone im Bett. Er sah so gut aus, dass Frauen sich regelmäßig nach ihm umdrehten und Kellnerinnen oftmals vor lauter Gaffen vergaßen, was er bestellt hatte. Er war ein Traummann. Ein Volltreffer. Ein Jackpot. Und er war ein Versager. Ein Lügner, ein Betrüger. Ein Mistkerl, der nur auf seinen eigenen Vorteil aus war. So war Grey noch nicht einmal sehr schockiert darüber, als sie herausfand, dass er ein übles Spiel mit ihr trieb.

Sie hatten an jenem Wochenende vorgehabt, Greys Eltern zu besuchen, damit sie Adrian nach den fünf Monaten, die sie jetzt zusammen waren, kennenlernen konnten. Grey war extravorsichtig gewesen und hatte sich lange Zeit gelassen, Adrian vorzustellen, weil sie immer damit rechnete, dass etwas passierte. Dass er möglicherweise eine andere kennenlernte oder sich aus was für einem Grund auch immer aus heiterem Himmel von ihr trennte. Doch … Adrian war geblieben. Erst über Wochen, dann über Monate. Und schließlich hatte Grey sich dazu bereit erklärt, ihn ihren Eltern vorzustellen. Schon am Abend vor ihrer Abreise hatte Adrian darüber geklagt, sich nicht wohlzufühlen, und war am nächsten Morgen tatsächlich völlig erkältet im Bett gelegen. Grey hatte ihm Medikamente aus der Apotheke geholt, ein Sportmagazin, um sich die Zeit zu vertreiben, und sie hatte ihm Tee gekocht, bevor sie abgereist war. Sie war zwar etwas geknickt gewesen, weil sie ihn mittlerweile wirklich gerne mit ihren Eltern bekannt gemacht hätte und fest davon ausging, dass das mit ihnen beiden etwas Echtes war. Doch schließlich konnte er nichts dafür, dass er krank geworden war, das hatte er sich ja nicht ausgesucht. Er selbst war ebenfalls unendlich traurig gewesen, Greys Eltern nicht kennenlernen zu können, und hatte beteuert, dass sie einfach das nächste Wochenende noch einmal nach Philadelphia fahren würden. Also war Grey allein aufgebrochen, obwohl sie eigentlich viel lieber in Manhattan geblieben wäre und sich um Adrian gekümmert hätte. Nachdem sie ihren Eltern nach ihrer Ankunft erklärt hatte, dass Adrian mit einer Erkältung und Fieber im Bett lag, hatte ihre Mutter Karen darauf bestanden, dass sie sofort wieder zurück nach New York fuhr, um sich um ihren kranken Partner zu kümmern. Und das hatte Grey nach einem gemeinsamen Mittagessen mit ihren Eltern dann auch gemacht. Sie hatten vereinbart, einfach das nächste Wochenende miteinander zu verbringen, wenn Adrian wieder fit war und mit von der Partie sein konnte. Auf dem Heimweg hatte Grey es einige Male bei ihm am Handy probiert, doch sie hatte ihn nicht erreicht. Vermutlich war er immer noch ausgeknockt und hörte das Telefon noch nicht einmal. Er hatte bei ihrer Abreise ziemlich bedient gewirkt, und sie beschloss, sich das ganze Wochenende über ausschließlich um seine Genesung zu kümmern. Sie machte bei ihrem Lieblingsdiner halt und kaufte eine große Portion Hühnersuppe, die, die Adrian auch dann immer verschlang, wenn er überhaupt nicht krank war. Er hatte ihr einmal erzählt, dass er sich am liebsten in eine Badewanne voll von dieser Suppe legen würde und dass sie ihn an seine Kindheit erinnerte. An die Nachmittage nach der Schule, die er bei seiner Großmutter verbracht hatte. Sie würden es sich einfach im Bett gemütlich machen, fernsehen und miteinander kuscheln. Grey würde sich um ihn kümmern und ihn gesundpflegen. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Das mit Adrian, fühlte sie, war endlich wieder einmal etwas Richtiges. Es reichte ihr schon, einfach nur in seiner Nähe zu sein, so unsagbar glücklich machte Adrian sie.

Als sie ihr Appartement aufschloss, vernahm sie zunächst Musik. Solomon Burke lief mit „Cry to me“, einer von Adrians Lieblingsnummern. Er mochte diese Art von Musik, konnte mit Motown unglaublich viel anfangen, und das war ein weiterer Punkt, warum sie ihm so verfallen war. Sie hatten denselben Musikgeschmack. Sie waren beide Fans der New England Patriots, und überhaupt schien es so, als wären sie füreinander geschaffen. Sie funktionierten nicht nur im Bett unglaublich gut miteinander, sondern auch in allen Belangen des Alltags. Sie waren sich so unglaublich ähnlich in ihrem Denken und in der Art, wie sie Dinge angingen. Aus dem Badezimmer hörte sie Geräusche. Vermutlich ging es ihm etwas besser und er nahm ein Bad. Sie hatte ihm ja, bevor sie gefahren war, noch gesagt, er solle heiß baden und den Erkältungsbadezusatz, den ihre Mutter ihr immer schickte, wenn irgendwo auf der Welt eine Erkältungswelle um sich griff, verwenden. Der duftete zwar ziemlich intensiv nach Piniennadeln und Minze, aber er zog einem die Erkältung nur so aus dem Körper. Sie stellte ihre Reisetasche ab, schlüpfte aus ihren Schuhen und ging zum Badezimmer. Wenn es ihm ein bisschen besser ging, konnten sie ja vielleicht gemeinsam baden und die Whirlwanne auskosten. Sie öffnete die Tür und ihr Lächeln, das sie aufgesetzt hatte, erstarrte. Eigentlich hatte sie ja die ganze Zeit über mit so etwas gerechnet, war praktisch immer darauf vorbereitet gewesen. Aber jetzt, wo es tatsächlich passierte, riss es ihr doch den Boden unter den Füßen weg. Adrian nahm kein Erkältungsbad, ganz im Gegenteil. Überall im Badezimmer hatte er Kerzen angezündet, auf dem Badewannenrand stand ein Eimer mit Eis und einer Flasche Champagner. Solomon Burke forderte einen immer noch dazu auf, sich bei ihm auszuheulen. Neben dem Champagner standen zwei halb gefüllte Gläser. Adrian selbst stand tropfnass mit in den Nacken gelegtem Kopf und geschlossenen Augen in der Wanne, vor ihm kniete eine klapperdürre Rothaarige und gab ihm einen Blowjob. Die beiden bemerkten die erste Zeit gar nicht, dass Grey im Zimmer war, erst als ein Luftzug, der von draußen hereinkam und durch den Raum wehte, öffnete Adrian seine Augen und blickte Grey im ersten Augenblick überrascht, dann entsetzt an. Und dann … sagte er tatsächlich: „Es ist nicht so, wie du denkst.“

***

Bevor er das „Oxford“, eine Bar für gehobene Ansprüche, die teuren Scotch, Champagner und Wein führte, die so manches Wochengehalt überstiegen, betrat, hielt er kurz inne und dachte an seine vergangenen „Dates“ zurück. Eigentlich hatte er seine Aufgabe hier in New York erfüllt. Es war Zeit, weiterzuziehen, und er hatte das Kontingent an Frauen hier in Manhattan ausgeschöpft. Sie alle waren unglaublich einfach zu haben, und um die ganze Sache für ihn etwas spannender zu machen, hatte er begonnen, in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Eine Frau klarzumachen, wenn man ein finanziell unabhängiger Geschäftsmann war, der obendrein noch mit seinem Aussehen gesegnet war, war einfach. Aber es war ihm auch als Drew Hallieburton, einem mittellosen Maler, gelungen, eine Frau mit zu sich nach Hause zu nehmen. Gut, das war keine der Frauen gewesen, auf die er es abgesehen hatte, denn eigentlich datete er nur einen ganz speziellen Typ Frau. Die anderen Dates, die er abgeschleppt hatte, hatte er einfach aus eigenem Anreiz abgeschleppt. Um zu sehen, wo die Frau von heute ihre Grenzen hatte. Keine einzelne von diesen One-Night-Stands hatte jemals geahnt, mit wem sie sich da für ein paar schöne Stunden einließ. Keine von ihnen hatte damit gerechnet, wie nah sie am Abgrund stand und wie gefährlich ihr Sexpartner für diese Nacht eigentlich war. Und er … war in verschiedene Rollen geschlüpft und hatte ausgetestet. Er war ein verheirateter Handelsreisender gewesen, der nur eine Nacht in der Stadt war, und hatte eine Frau mitgenommen. Er war ein ärmlicher Hotdog-Verkäufer gewesen und hatte eine Nacht mit einem selbst ernannten Fitnessmodel verbracht – eine Ironie des Schicksals. Sie alle hatten unterschiedliche Bedürfnisse und keines davon war ehrenhaft. Nach außen hin schienen sie alle perfekt zu sein, doch eigentlich waren sie Abschaum. Hinter ihrer so makellosen Fassade steckte oft eine hässliche Fratze, die sie vor der Welt verbargen. Und sie alle … verfielen ihm. Unabhängig von Stand, Alter oder Status. Er konnte sie alle haben. Er konnte sie alle haben, ohne dass er preisgab, wer er wirklich war. Er hatte festgestellt, dass es für einen Mann wie ihn – mit seinem Aussehen, seinem Körper, seinem Vermögen und seiner Ausstrahlung – praktisch unmöglich war, keine Frau abzuschleppen, wenn er es darauf anlegte. Und obwohl ihn all diese Frauen anwiderten, die sich ihm förmlich an den Hals warfen, deren Augen zu leuchten begannen, wenn er schüchtern fragte, ob sie noch auf einen Abschlussdrink mit zu ihm kommen würden, die gar nicht lange darüber nachdachten, mit wem sie sich einließen, von denen manche schon von sich aus die Hüllen fallen ließen, sobald er nur die Tür hinter ihnen zuzog, so sehr konnte er nicht damit aufhören. Es gab so viele von ihnen, und sie alle warteten nur darauf, wie überreife Früchte gepflückt zu werden. Sie alle waren derselbe Schlag. Gaben vor, etwas zu sein, was sie niemals sein würden. Sie alle gingen bis zum Äußersten, um ihre Wünsche durchzusetzen, und sie alle schreckten nicht davor zurück, über Leichen zu gehen. Also … nahm er sich ihrer an. Aber … er war kein Killer. Mörder waren verrückte Irre, Männer, die den Verstand verloren hatten. Bei ihm lag die Sache anders. Er kam aus gutem Hause, war finanziell unabhängig. War liebevoll großgezogen worden und hatte … zumindest einen Teil seines Vermögens durch rechtschaffende Arbeit verdient. Hatte in Harvard studiert und jahrelang in London gelebt. Er besaß Flugzeuge, Jachten und Anwesen überall auf der Welt. Und die Frauen, denen er sich auf seine ganz spezielle Art und Weise widmete, sie alle hatten es verdient. Nein. Er war kein verrückter Mörder. Er war …

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er hart mit jemandem zusammenprallte. Die Frau, die, ohne darauf zu achten, in ihn hineingelaufen war, fiel nach hinten, und er fing sie gerade noch auf, bevor sie mit dem Hinterteil auf dem Asphalt gelandet wäre. Die klassische Boy-meets-girl-Sache in einer romantischen Komödie. Er sah sein Gegenüber an. Scannte sie. Nahm jedes einzelne wichtige Detail innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde wahr. Eine attraktive Dunkelhaarige, Mitte dreißig. Sportlich, blitzend blaue Augen. Makellose Haut. Kein Ehering am Finger. Das Biest in ihm regte sich. Er wusste rein gar nichts über sie, aber sie war wie alle anderen. Frauen wie sie waren so gut wie immer vom selben Schlag. Gut aussehend, Single in den mittleren Jahren. Hatte vermutlich keinen abbekommen, weil sie habgierig und widerwärtig war. Weil sie alle um sich herum ausnutzte und oberflächlich und materialistisch war. Weil sie über Leichen gehen würde, um zu bekommen, was sie wollte. Ja, er kannte diese Art von Frauen mittlerweile nur zu gut. Und das Biest war auf sie aufmerksam geworden. Sie war zwar nicht geplant gewesen und er konnte seine übliche Prozedur an ihr nicht abarbeiten, aber … sie war … sein perfektes Date für heute Abend.

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Miss“, sagte er und setzte sein strahlendstes Lächeln auf, dem keine widerstehen konnte. Die Frau sah ihn unverwandt an. Üblicherweise zeichnete sich jetzt ein vielsagendes Lächeln auf den Lippen seiner Gespielin ab, doch hier … war es anders. Die Frau schien kein Stück auf ihn zu reagieren. „Schon in Ordnung“, murmelte sie dann und wollte sich von ihm abwenden. Er hielt sie am Arm fest. Sanft. Stellte sich vor, wie es wohl sein würde, wenn er sie später so festhielt, dass sie vor Schmerz aufschrie und er einige ihrer Blutgefäße quetschte.

„Darf ich Sie als kleine Entschuldigung auf ein Glas Champagner einladen? Ich bin geschäftlich in der Stadt und würde mich über nette Gesellschaft sehr freuen.“

Die Frau sah ihn an. Von oben bis unten. Er hatte sie am Haken. Keine widerstand ihm, wenn sie ihn erst so taxierten.

„Ich bin mir sicher, Sie haben keine Probleme, jemanden kennenzulernen. Ich bin verabredet. Und nicht interessiert.“ Sie straffte ihre Schultern, entzog ihm ihren Arm und drehte sich um. Ließ ihn einfach so auf der Straße stehen, als wäre er ein räudiger Hund. Sie ahnte nicht, wie sehr sie seinen Jagdinstinkt in diesem Moment weckte und dass sie ihr Todesurteil so gut wie unterschrieben hatte.

EINS

Das Oxford war wie immer gut besucht, aber schon als Carlie und Jessica vor mehreren Wochen einen Frauenabend vorgeschlagen hatten, hatte Grey einen Tisch reserviert. Damals war sie noch überglücklich mit Adrian gewesen und hatte sich im siebten Himmel befunden. Hatte sich darauf gefreut, ihren beiden besten Freundinnen von ihrer neuen Liebe zu erzählen und zu erfahren, was es bei ihnen so Neues gab. Doch mittlerweile hatten sich die Dinge geändert, und Grey hatte große Lust, sich in ihrem Appartement zu verschanzen, fernzusehen und Pizza zu bestellen. Jetzt saßen ihre beiden Freundinnen dort, eine Flasche Moët zwischen sich, und unterhielten sich angeregt. Grey überlegte, ob sie kehrtmachen und den beiden eine SMS schicken sollte, in der sie erklärte, dass sie sich nicht wohlfühlte und sich entschuldigte. Ja. Das würde sie tun. Sie hatte sich zwar den ganzen Abend über vorgesagt, sie müsse ihre Komfortzone nun endlich wieder einmal verlassen, aber an diesem Abend schaffte sie es einfach noch nicht. Sie würde umdrehen, in ein Taxi steigen und ihren Freundinnen erzählen, sie wäre so erkältet und fiebrig, dass sie bis jetzt geschlafen hatte und unmöglich kommen konnte. Sie schaffte es nicht, so zu tun, als wäre alles in Ordnung, und sie wollte auch nicht darüber reden, dass Adrian sie wie Dreck behandelt hatte. Auf das Mitleid, das Carlie und Jessica ihr entgegenbringen würden, konnte sie auch verzichten. Zumal sie sich sicher war, dass sie wieder einmal in Tränen ausbrechen würde, würde sie mit der Erinnerung an Adrian konfrontiert. Sie war noch lange nicht so weit, einfach weiterzumachen, und würde einige Zeit brauchen, um ihre Wunden zu lecken. Also machte sie kehrt und wollte das Oxford verlassen, genau in dem Moment, als die Tür aufging und sie zum zweiten Mal an diesem Abend den Halt unter den Beinen verlor. Dass sie noch nicht einmal in der Lage war, sich selbst auf den Füßen zu halten, war doch Hinweis genug, dass sie lieber wieder zurück nach Hause fahren sollte. Diesmal war niemand hier, der sie auffing, und so landete sie direkt auf ihrem Hintern. Großartig. Nicht nur, dass sie schmerzhaft auf ihren Allerwertesten gefallen war, zu allem Überfluss hatte sie sich jetzt auch noch vor dem ganzen Lokal blamiert.

„O mein Gott, wir beide scheinen heute einen Lauf zu haben, was?“ Der attraktive Typ, der vorhin in sie hineingelaufen war, stand über ihr und hielt ihr seine Hand hin, um ihr aufzuhelfen. Sie ergriff sie, wenn auch widerwillig.

„Danke“, sagte sie. Der Kerl hielt ihre Hand immer noch fest. Seine Hemdärmel hatte er absichtlich hochgeschoben, damit sie die Rolex sehen konnte, die um sein Handgelenk befestigt war.

„Bitte. Miss. Lassen Sie mich Sie auf einen Drink einladen. Nur zwanzig Minuten Ihrer Zeit und Sie sind mich los.“ Er brauchte nie länger als zwanzig Minuten, um eine für sich zu gewinnen. Vermutlich würde er es sogar in zehn schaffen. Oder in fünf. Nur fünf Minuten der Zeit dieser Schönheit und sie wäre klargemacht.

„Nein, danke. Ich sagte schon, dass ich verabredet bin“, sagte Grey und sah den Mann an. Er wäre zweifellos eines der Exemplare gewesen, auf die sie sich in früheren Zeiten gestürzt hätte. Gut aussehend, groß, sportlich, eine unglaubliche Ausstrahlung. Testosteron und Sex pur. Doch mittlerweile wusste sie, wie der Hase lief. Adrian war praktisch nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. All diese Kerle agierten gleich, und ein Schönling wie der hier … würde sie ohnehin nur ins Bett bekommen wollen, ehe er sich seinen vielen anderen Eisen im Feuer, die er zweifellos hatte, widmen würde. Sie drehte ab und steuerte auf den Tisch mit ihren Freundinnen zu.

„Grey, endlich.“ Jessica sprang auf und schlang ihrer Freundin die Arme um den Hals, dann tat Carlie es ihr nach.

„Wer war der gut aussehende Typ?“, wollte sie wissen. „Sieht so aus, als wärst du über Adrian hinweg?“

Grey setzte sich, und Jessica goss ihr ein Glas Champagner ein, auf das sie überhaupt keine Lust hatte. „Ich BIN über Adrian hinweg“, sagte sie, und das stimmte in gewisser Weise auch. Vor drei Wochen war sie gemeinsam mit ihrer Freundin Debbie bei einem Spiel der Yankees gewesen und hatte dort Adrian getroffen – gemeinsam mit der klapperdürren Rothaarigen, die ihm damals einen geblasen hatte. Bei der Rothaarigen hatte es sich zu allem Überfluss um eine ehemalige Mitschülerin aus der Highschool gehandelt, die damals nicht sehr viel mehr zu tun gehabt hatte, als sich über Grey lustig zu machen. Betty Brown – so ihr Name – kam es natürlich mehr als nur recht, dass sie jetzt, Jahre später, noch einmal zuschlagen konnte und Grey den Kerl ausgespannt hatte. Als Grey Adrian und Betty gesehen hatte, hatte ihr Herz zunächst einen Schlag ausgesetzt. Sie hatte mehr als nur gehofft, dass die beiden sie nicht entdeckten, und sie hatte Glück gehabt. Sie waren an ihr vorbeigelaufen, ohne Notiz von ihr zu nehmen, und das war gut so. Aber sonst … fühlte Grey nichts. Rein gar nichts. Debbie fragte sie zwar, ob alles in Ordnung sei und ob sie lieber nach Hause gehen wolle, aber … nein. Das wollte sie nicht. Alles war bestens und dieser stechende Schmerz, der zunächst immer von ihr Besitz ergriffen hatte, wenn sie nur an Adrian dachte, war verschwunden. Aber … etwas war auch mit ihr passiert. Sie hatte keine Lust mehr, jemanden kennenzulernen. Es war, als habe Adrian ihr in Sachen Beziehungen endgültig den Todesstoß versetzt. Sie wollte lieber allein bleiben, als noch einmal derartigem Schmerz ausgesetzt zu sein.

„Das sieht man.“ Jessica grinste. „Also, wer ist das?“

„Niemand. Ich bin draußen auf der Straße in ihn hineingelaufen, und er dachte, ich wäre eine dieser billigen Schlampen, die sich ihm an den Hals werfen, nur weil er gut aussieht und eine Rolex trägt.“ Sie verzog verächtlich das Gesicht.

„Er trägt eine Rolex?” Jessica blickte sich nach ihm um, doch der Kerl war längst in der Menge verschwunden.

„Oje“, sagte Carlie, „das klingt ja gar nicht gut. Bist du dir sicher, dass du über Adrian weg bist? Irgendwie schwingt so ein grundsätzlich männerfeindlicher Tenor in deiner Stimme mit.“

„Worauf du dich verlassen kannst“, sagte Grey und nahm demonstrativ einen großen Schluck aus ihrem Glas. Dann erzählte sie ihren Freundinnen von dem Abend, als sie Adrian mit Betty in ihrem eigenen Appartement überrascht hatte. Dass sie seither keine Lust mehr hatte, Männer kennenzulernen, und von den paar peinlichen Bekanntschaften, die sie auf Onlineplattformen gemacht hatte. Männer, die mittlerweile nur noch auf Frauen mit bis zur Unkenntlichkeit optimierten und gefilterten Fotos aus waren. Die ihr mehrfach gesagt hatten, dass sie optisch nicht die Anforderungen erfüllte, nach ein paar Wochen aber wieder angekrochen gekommen wären, weil sich herausgestellt hatte, dass das vierzigjährige Topmodel, dass sie über eine Datingapp kennengelernt hatten, doch nicht so aussah wie auf den Fotos. Und von ihrer Erkenntnis, dass es den Richtigen für sie wohl einfach nicht gab und sie aus diesem Grund lieber allein blieb.

***

Es hatte natürlich nicht lange gedauert, bis eine der billigen Schlampen die Gunst der Stunde genutzt und ihn gefragt hatte, ob er etwas dagegen hatte, wenn sie sich setzte. Hatte er nicht. Die klapperdürre Blondine mit den aufgespritzten Schlauchbootlippen und dem Bräunungsspray-Teint war genau das Gegenteil von der Dunkelhaarigen, die er vorhin umgerannt hatte. Schlauchbootlippe hatte sich praktisch auf die Stirn tätowiert, dass sie nach einem wohlhabenden Kerl Ausschau hielt und dass sie dafür bereit war, alles zu tun, was notwendig war. Sie interessierte ihn kein Stück, aber als Alibi war sie gut zu gebrauchen. So konnte er hier in Gesellschaft sitzen und die Dunkelhaarige beobachten, die ihn unglaublich reizte. Und die sein perfektes letztes Opfer sein würde, bevor er die Stadt wieder verließ. Er hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, niemals allzu lang in ein und derselben Stadt zu bleiben und bei einem Locationwechsel meist das ganze Land hinter sich zu lassen. Bis vor einem Monat war er in San Francisco gewesen, dann hatte ihn der Big Apple wie magisch angezogen. New York eignete sich großartig dazu, zu tun, was er tat. Die Frauen in New York hatten oftmals andere Ansprüche als jene in anderen Bundesstaaten. Von der Sorte, nach der er suchte, gab es hier eine Vielzahl mehr als beispielsweise in Indiana oder Missouri. Seinen Geschäften – die, mit denen er eigentlich sein Geld verdiente – konnte er auch hier nachgehen. Er hatte praktisch überall Geschäftspartner und Freunde, mit denen sich hie und da legale und weniger legale, aber immer unglaublich lukrative Deals abschließen ließen. Und während er Geld verdiente, konnte er seinem Hobby nachgehen. Gerade hier in New York hatte er leichtes Spiel. Was war schon eine Tote alle paar Wochen. Erst recht, wo er es so geschickt anstellte und die Leichen ohnehin verschwinden oder es so aussehen ließ, als wäre alles nur ein schrecklicher Unfall gewesen. Oder Selbstmord. Tja … Mitte dreißigjährige weibliche Singles in einer Großstadt hatten es in Zeiten wie diesen eben nicht leicht. Kerle, die etwas auf sich hielten, tauschten Frauen und Freundinnen in diesem Alter gerne gegen ein jüngeres Modell aus, und sich mit Mitte/Ende dreißig noch einmal auf Partnersuche zu machen, stellte sich als gar nicht so einfach heraus, weil natürlich auch die männlichen Singles im passenden Alter lieber hübsche, junge Frauen dateten als welche mit ein paar Pfunden zu viel, einer Haut, die langsam, aber sicher zum Hängen neigte und die faltig wurde. Da konnte es schon leicht passieren, dass es einer zu viel wurde und sie ihrem tristen Leben ein Ende setzte.

„Und erst kürzlich habe ich bei einem Fitnessmodel-Onlinecontest mitgemacht. Ich bin jetzt Miss April.“ Die Tussi, die sich ihm an den Hals geworfen hatte, sah ihn erwartungsvoll an, so, als habe sie einen Nobelpreis gewonnen und den Welthunger geheilt. „Ich meine, ich bin zweiundvierzig Jahre alt, das muss mir erst einmal eine nachmachen“, sagte sie, während sie mit ihren grellpink lackierten Fingernägeln auf ihrem Handy herumwischte und ihm dann ein Foto unter die Nase hielt. Das Bild war bis zur Unkenntlichkeit bearbeitet worden und hatte mit der Frau, die hier neben ihm saß, wenig gemeinsam. „Hier. Das Foto ist in einem Kalender abgedruckt worden, ist das nicht heiß?“ Bestimmt gab es haufenweise Kerle, die auf so eine Frau standen. Ihn … widerte sie eher an. Sie hatte etwas Billiges an sich, und sie machte gar keinen Hehl daraus, dass sie nach einem Kerl suchte, der ihr „etwas bieten“ konnte. Sie alle wollten etwas geboten bekommen, obwohl sie selbst rein gar nichts bieten konnten. Weder Empathie noch Bildung, weder Stil noch Niveau. Es war ihr völlig egal, welcher Kerl ihr seine Aufmerksamkeit schenkte. Sie würde für jeden, der ihr sagte, dass sie gut aussah und ihren Drink bezahlte, die Beine breit machen. War bereit, Familien zu zerstören, solange sie nur ihren Willen bekam, der meist aus nicht viel mehr als einem netten Urlaub und ein paar Klunkern bestand. Der einzige Vorteil, den diese Tussi – ihr Name war Iris – hatte, war, dass sie einen Tisch gewählt hatte, der ziemlich nah an jenem Tisch stand, an dem die Dunkelhaarige mit ihren Freundinnen saß. So war es ihm gelungen, einige Gesprächsfetzen mitzuhören und ein paar Infos über sein nächstes Opfer herauszufinden. Er wusste, dass ihr Name Grey war – was für ein spezieller Name – perfekt für seine „Abschlussarbeit“ hier in New York. Und dass ihre Eltern in Philly lebten. Ebenfalls von Vorteil. Außerdem gab es wohl einen Kerl, der sie kürzlich hatte sitzen lassen, namens Adrian. Sie war seit Kurzem Single und ihre Familie war nicht in der Stadt. Ihre besten Freundinnen ebenso nicht, wie er vernommen zu haben glaubte. Während Iris ohne Punkt und Komma davon erzählte, dass ihre Lieblingslabels Guess und Calvin Klein waren – vermutlich, um ihm einen Hinweis zu geben, womit er ihr eine Freude machen konnte – lehnte er sich ein Stück zurück und konzentrierte sich darauf, was die drei Ladys einen Tisch weiter zu sagen hatten.

„Ich habe kürzlich einen tollen Kerl für dich kennengelernt, Grey. Sein Name ist Wayne. Er leitet die Produktionsabteilung bei mir im Büro. Er ist wirklich toll und sieht super aus. Sixpack – nein, Eightpack, ein bisschen Ähnlichkeit mit Brad Pitt in seinen besten Jahren. Er ist vielleicht nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber für ein paar nette Stunden durchaus zu gebrauchen. Hat grade eine üble Trennung hinter sich, wie er mir erzählt hatte. Ich denke, ihr beide würdet euch gut verstehen.“

„Nein, danke. Ich habe keinen Bedarf“, sagte Grey. „Ich bin so was von weg von Männern und Dating. Ich habs einfach satt, mit zwanzig Fakeprinzessinnen online um die Gunst eines Typen zu buhlen, der nur auf das eine aus ist und an jedem Finger fünf Tussen am Start hat.“

„Aber das ist doch bei Wayne gar nicht so“, sagte die Blondine, die bei Grey am Tisch saß. „Ich habe den Eindruck, dass er keiner dieser Typen ist, die Dating wie einen Sport betreiben. Ihr könnt euch doch einfach nur so kennenlernen. Ob mehr daraus wird, stellt sich ohnehin erst danach heraus.“

„Glaub mir. Das ist bei allen so. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich nach der Sache mit Adrian, als ich mich ablenken wollte, zu hören bekommen habe, einer hätte mehr Interesse an einer anderen Bekanntschaft als an mir. Ich meine, ich weiß schon, dass ich nicht so naiv sein muss, um zu glauben, ich finde online die große Liebe … aber selbst für jemanden, der ausreichend Selbstbewusstsein hat, sind solche permanenten Zurückweisungen ziemlich … niederschmetternd. Ich will mir gar nicht vorstellen, was diese ganze Datingkiste mit Frauen macht, die ohnehin schon mit sich selbst ein Problem haben. Dann ständig aufs Neue abgewiesen zu werden wegen jüngeren, hübscheren, besseren und tolleren Frauen … das ist eine harte Nummer.“

„Apropos Nummer“, sagte Carlie. „Ich habe Wayne soeben deine Facebook-Kontaktdaten gesimst.“

„Bist du von allen guten Geistern verlassen, Carlie?“

„Warum? Wayne ist toll. Wäre ich nicht mit Chris zusammen, hätte ich ihn mir gekrallt.“

„Ich finde es scheiße, dass du meine Facebook-Kontaktdaten einfach irgendjemandem schickst“, sagte Grey. Carlie tat das mit einer abwertenden Handbewegung ab. „Ach komm schon. Dein Profil ist ohnehin öffentlich. Hier – jeder kann es sehen. ‚Grey Kennedy ist mit Debbie Tompkin im Central Park‘ ‚Grey Kennedy ist im Movieplexx und sieht sich Joker an‘ ‚Grey Kennedy genießt einen faulen Nachmittag‘. Über kurz oder lang hätte Wayne dich vermutlich auch so auf Facebook entdeckt – du bist ja für alle auffindbar.“

„Das verlangt mein Job.“

„Deine Leser sind echt daran interessiert, ob du mit Debbie im Central Park joggst oder ein Buch liest?“, fragte Jessica.

„Natürlich. Meine Kolumne besteht aus mehr als nur Ratschlägen in Liebesdingen und Lifestyleaktivitäten. Ich habe tatsächlich mittlerweile so was wie einen kleinen Fankreis.“

Er entspannte sich ein kleines bisschen. Grey Kennedy also. Hatte eine Kolumne bei irgendeinem Käseblatt. Sehr gut. Es würde einfach werden, ihr noch einmal über den Weg zu laufen. Er würde sie auf Facebook etwas stalken. Sich über sie informieren. Und ihr dann irgendwo einmal … „zufällig“ über den Weg laufen, wenn sie ohnehin jede Kleinigkeit veröffentlichte, die sie tat. Er würde sich bei ihr definitiv ins Zeug legen müssen, das war ihm längst bewusst, aber genau das machte die Geschichte ja so reizvoll. Anders als bei Iris, die ihr fleckiges, bräunungsspraymisshandeltes rechtes Bein lasziv an seinem Unterschenkel hochgleiten ließ.

„Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber … wollen wir nicht irgendwo anders hingehen?“, fragte sie. Großer Gott. Was für eine billige Nutte war diese Frau eigentlich? Er hatte keine große Lust, gerade sie mit nach Hause zu nehmen, denn das Objekt seiner Begierde saß nur einen Meter neben ihm, und er wollte eigentlich noch mehr von dem Gespräch belauschen, das sie mit ihren Freundinnen führte. Grey Kennedy würde sein Meisterwerk werden, genauso wie sie eine Meisterin ihres Fachs war. Sie wusste, wie man Kerle ausnahm und sie um den Finger wickelte, das war ihm von der ersten Sekunde an bewusst. Doch er wusste, was er hatte wissen wollen, und je eher er von hier verschwand, desto eher würde er mit seinen Recherchearbeiten über Grey beginnen können.

„Wenn du Lust hast, könnten wir zu mir gehen. Ich habe gerade eine erstklassige Lieferung Rotwein bekommen“, sagte er. Iris’ Augen begannen zu leuchten. Sie wusste rein gar nichts über ihn. Hatte ihn nur nach seinem Namen gefragt und er hatte sich als „David“ vorgestellt. Er hasste diesen Namen, weil er so nichtssagend und gewöhnlich war, aber für Iris würde er ausreichen. Der schien es völlig egal zu sein, wer er war, was er machte, wie er sein Geld verdiente und ob er eine Frau, eine Freundin, eine Familie hatte. Sie hatte den ganzen Abend nur über sich selbst gesprochen und versucht, ihn für sich zu gewinnen. Mit einem plumpen Anmachspruch nach dem anderen.

„Das klingt gut. Aber ich warne dich: Auf Rotwein reagiere ich immer sehr speziell.“ Sie zwinkerte ihm zu. Und machte mit den Fingern Anführungszeichen, als sie „speziell“ sagte. „Ich gehe mich noch kurz für dich frisch machen, während du bezahlst“, sagte sie dann und stand auf. Mit lasziv wackelndem Hintern ging sie davon und ließ keine Gelegenheit aus, andere Kerle in der Bar abzuchecken. Widerliche Schlampe. Er blickte zu Grey hinüber. Iris konnte ihr nicht annähernd das Wasser reichen. Er hatte keine Lust, sich den Abend mit dieser billigen Ziege zu vertreiben, während sein Meisterwerk noch auf ihn wartete. Er überlegte kurz und fällte dann eine Entscheidung. Er winkte einen der Kellner heran und reichte ihm zwei Hundert-Dollar-Scheine. „Bringen Sie der hässlichen, dürren Schnepfe, die an meinem Tisch hier gesessen hat, noch eine Flasche Champagner. Und richten Sie ihr aus, dass sie nicht gut genug für mich ist.“ Er nickte dem verdutzt dreinblickenden Kellner kurz zu und steckte sein Portemonnaie ein. Dann ging er an Greys Tisch vorbei, ohne sie zu beachten, und verließ das Oxford.

Er war unglaublich beschwingt, als er an diesem Abend zu seinem Appartement lief. Hier in Manhattan besaß er gleich mehrere Immobilien. Jede Woche wechselte er seine Location, um nur ja keine Spuren zu hinterlassen. Seine „Dates“ lernte er in Bars und Restaurants kennen, die fußläufig zu seiner jeweiligen Behausung lagen, oder aber online. Gerade bei den Onlinebekanntschaften konnte er im Vorfeld schon so einiges über die Frau herausfinden, die er kennenlernte. Ihre Vorlieben, wonach sie suchte und … wie weit sie bereits gegangen war, um zu bekommen, was sie wollte. Als er damit begonnen hatte, speziell diese Frauen zu daten, hatte es ihn zunächst schockiert, wozu viele von ihnen bereits fähig gewesen waren, um ihren Willen durchzusetzen. Manche von ihnen gingen sprichwörtlich über Leichen dafür, dass ihnen ein netter Urlaub oder ein Auto spendiert wurde, oder aber, dass man ihnen eine Kreditkarte ohne Limit zusteckte. Und sie machten immer damit weiter, ohne Rücksicht auf Verluste. Bis sie möglicherweise das Pech hatten, ihm zu begegnen. Er hatte sich längst eine Routine für seine „Dates“ festgelegt. So legte er beispielsweise Wert darauf, dass kein Taxifahrer oder jemand in der U-Bahn ihn mit einem seiner späteren Opfer sah. Er bezahlte immer bar, achtete auf sein Äußeres, aber erregte niemals Aufsehen. Er war da. Aber auch wieder nicht. Und es war so unglaublich einfach, an seine Opfer zu gelangen. Er musste grinsen, wenn er an Iris dachte. Die würde dumm aus der Wäsche blicken, wenn sie vom Klo zurückkehrte und er verschwunden war. Zu gerne hätte er ihr Gesicht gesehen. Ob der Kellner seinen Auftrag wohl ausführte und ihr sagte, dass sie nicht gut genug für ihn war? Er bezweifelte es, es war ihm aber auch egal. Er hatte ein neues „Projekt“, um das er sich ab sofort kümmern musste. Sein Meisterstück. Seine „Abschlussarbeit“ in New York. Er würde über sich hinauswachsen. All die Zeit hatte er sich darüber geärgert, wie einfach die Frauen ihm verfielen, wenn er sie nur ein einziges Mal anlächelte. Wie leicht jede von ihnen zu haben war. Die Frauen hatten ihn durchwegs gelangweilt, so wie sie sich ihm an den Hals warfen. Nicht so Grey Kennedy. Sie würde eine Herausforderung werden, das wusste er. Endlich … hatte er eine Frau gefunden, die ihm gewachsen war.

ZWEI

Zwei Wochen später hatte Grey den Abend im Oxford und ihre Begegnung mit dem attraktiven Fremden längst vergessen. Sie war gerade dabei, ihren Rechner herunterzufahren, als Luke Denbrough, einer ihrer Kollegen aus der Redaktion, in ihr Büro kam. Er hatte einen besorgten Gesichtsausdruck aufgesetzt.

„Luke, was machst du denn noch hier?“, fragte Grey und sah auf die Uhr.

„Ich warte darauf, dass Cal mir einen Artikel freigibt. Sie haben wieder eine ermordete junge Frau gefunden. Sieht nach Selbstmord aus.“ Luke sah sie betroffen an.

„O nein. Schon wieder eine?“, fragte Grey. In den letzten paar Wochen hatten sich die Todesfälle in Manhattan, was junge Frauen betraf, gehäuft. In sechs Wochen war dies nun der vierte Selbstmord. Und auch wenn die Cops nach wie vor von Zufällen ausgingen, so zeichnete sich ein Muster ab. Es waren immer Frauen zwischen dreißig und fünfundvierzig. Alleinstehend, kinderlos. Zweifellos hübsch, auf Partnersuche. Und dann setzten sie ihrem Leben plötzlich ein Ende. Grey hatte darüber nachgedacht, ob es möglich war, dass ein Serienkiller sein Unwesen auf Datingplattformen trieb, aber die Polizei hatte zu jedem Selbstmord zweifellose Beweise gefunden, die Fremdverschulden ausschlossen. Eine der Frauen hatte sogar ein Abschiedsvideo gedreht, bevor sie sich vor einen Zug warf. Grey hatte die Idee mit dem Online-Serienkiller sehr schnell wieder aus ihren Gedanken verbannt. Immerhin stand der Frühling vor der Tür, und sie selbst hatte ja bemerkt, wie schwer es war, im Internet einen neuen Partner zu finden. Jeder war zu jeder Zeit austauschbar und alle suchten immer nach einem noch besseren Pendant für sich selbst. Sie verglich Onlinedating gerne mit dem Besuch im Supermarkt. Wenn der eine Apfel nicht makellos genug ist, dann wird so lange weitergesucht, bis ein passender Apfel daherkommt. Allerdings nur so lange, bis auch dieser Apfel wieder durch einen noch besseren ersetzt werden konnte.

„Ich habe … diese Frau gekannt“, sagte Luke. „Ich habe sie vor einem halben Jahr online kennengelernt, wir haben ein bisschen getippt, uns aber nie getroffen, weil ich ziemlich schnell bemerkt habe, dass ich nicht bin, wonach sie suchte. Sie … war eine dieser Luxusprinzessinnen, die man eher am Arm eines reichen CEO sieht als in Begleitung eines kleinen Redakteurs. Aber trotzdem … Das … macht das ganze irgendwie ziemlich merkwürdig.“

„Das tut mir sehr leid, Luke“, sagte Grey. „Kann ich irgendetwas für dich tun?“

„Danke. Ich meine, ich habe sie nicht richtig gekannt, und um ehrlich zu sein, hat sie mir ziemlich schnell zu verstehen gegeben, dass ich eine Niete bin, die ihr nichts bieten kann, aber es ist etwas anderes, ob man es mit einem völlig Fremden zu tun hat oder ob man schon etwas Zeit mit jemandem verbracht hat – wenn auch nur online.“

„Das glaube ich dir. Gibt es irgendeine Stellungnahme von der Polizei? Ich meine, vier Frauen in sechs, sieben Wochen?“

„Die Polizei geht bei allen vier Fällen von Selbstmord aus. Es waren weibliche Singles in ihren Dreißigern. Alle kürzlich geschieden oder getrennt, alle auf Datingplattformen online. Eine hat einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem sie davon spricht, dass ihr das alles zu viel wird. Dass es niemanden gibt, der sie liebt, und dass sie es satthat, alleine durchs Leben zu gehen. Das ist eben traurig, aber nicht weiter ungewöhnlich.“

„Und was denkst du?“ Grey sah ihn an.

„Ich finde es seltsam. Ich meine, eine Frau, die ihr Leben deswegen beendet, okay. Oder zwei. Aber vier in sechs Wochen? Das ist selbst für eine Stadt wie New York nicht wenig.“ Grey wollte Luke gerade davon erzählen, dass sie sich selbst über genau dieselben Dinge Gedanken gemacht hatte, als eine Stimme durch den Flur polterte.

„Denbrough, in mein Büro, ich will mit Ihnen einige Änderungen durchgehen.“ Die dröhnende Stimme von Cal Gordon durchbrach die Stille. Luke sah Grey an und nickte ihr zu, ehe er aus ihrem Büro verschwand.

---ENDE DER LESEPROBE---