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Reporterin Ginger Young kann es kaum glauben: Über das Internet lernt sie ihren absoluten Traummann kennen, und das, obwohl sie eigentlich nur eine Reportage übers Onlinedating machen sollte. Doch Adam ist alles, was sich eine Frau wünscht: attraktiv, intelligent, erfolgreich, aus gutem Hause - und Erbe eines millionenschweren, internationalen Imperiums. Obendrein liest er ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Ginger ist sich sicher: Adam ist ein Volltreffer! Doch er hat ein dunkles Geheimnis. Und seine Bemühungen um Ginger einen ganz anderen Hintergrund ...
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Impressum:
Copyright 2018 by Daniela Felbermayr
Korrektorat: SW Korrekturen e.U.
Cover: rausch-gold.com
Kontakt: [email protected]
PROLOG
„Okay, die aktuellen Themen hätten wir somit vergeben“, sagte Dean Maddox und knüllte ein Blatt Papier zu einer Kugel zusammen, die er vor sich auf den Tisch im Besprechungszimmer der Glamerica-Redaktion fallen ließ. „Bleibt uns nur noch, einige Reportagen zu bestimmen, mit denen wir uns in den nächsten Ausgaben beschäftigen werden.“ Er sah erwartungsvoll in die Menge, um den Redakteuren Gelegenheit zu geben, Themenvorschläge zu machen. Schon so manche Knüllerreportage war zustande gekommen, weil einer der Reporter eine Idee in den Raum geworfen hatte.
„Wir könnten einen Artikel über Frauen bei der Armee machen“, rief Sandy Byers.
„Hatte die Sparkle schon vor einem halben Jahr. Wir kupfern nicht ab.“
„Wie wäre es mit einer Reportage über eine mexikanische Einwanderin, die hier ganz groß Karriere gemacht hat?“ Mia Cosworth sah Dean hoffnungsvoll an. „Erst kürzlich habe ich im Internet ein Forum gefunden, das vor solchen Erfolgsgeschichten förmlich platzt. Wenn wir uns eine dieser Frauen hierher einladen, haben wir etwas Zeitgemäßes, etwas, was zu Herzen geht, und eine Reportage über eine Frau, die es geschafft hat, sich unter widrigsten Umständen von ganz unten hochzuarbeiten.“
„So wie die über Consuela Suarez, die wir in der Februar-Ausgabe hatten?“
Mia senkte ihren Kopf. Wenn Dean Maddox etwas nicht leiden konnte, dann war es, wenn seine Reporterinnen sich nicht an Themen erinnern konnten, die erst vor Kurzem in der Glamerica erschienen waren.
„Verdammter Mist.“
Eine der Praktikantinnen, die wohl nur bei den Meetings anwesend waren, damit die Stühle gewärmt wurden, hatte ihr Handy in den Fingern und blickte verständnislos auf das Display. Das Mädchen, ihr Name war Leah Cooper, bemerkte gar nicht, wie Dean seinen massigen Körper von seinem Stuhl erhob und auf sie zuging, sie war weiter damit beschäftigt, auf ihrem Handy herumzuwischen und darauf einzutippen, als gäbe es kein Morgen. Erst als Deans Schatten sich über sie senkte, blickte sie auf, während sie ihr Handy verstohlen vor sich auf den Tisch legte.
„Miss Cooper, was ist denn so aufregend, dass Sie während unserer Redaktionssitzung auf Ihr Handy starren müssen?“, fragte Dean.
„Gar nichts“, versuchte Leah es, doch Deans Blick fixierte sie. „Ich meine … ich habe mich darüber geärgert, dass mein Tinder-Date das Match mit mir aufgelöst hat“, trat sie schließlich die Flucht nach vorn an.
„Ihr Tinder-Date“, wiederholte Dean.
„Ja“, bestätigte Leah eifrig, „wir haben uns Freitag kennengelernt und Samstag waren wir in einem Club. Es ist was gelaufen und jetzt meldet er sich nicht mehr. Ich dachte, er wäre vom Feiern durch und ich würde heute von ihm hören, aber jetzt gerade habe ich bemerkt, dass er das Match mit mir aufgelöst hat. Und ich hatte noch nicht einmal seine Telefonnummer. Wir waren ja nur über Tinder in Kontakt. Ich bin davon ausgegangen, dass wir uns wiedersehen.“ Fast kläglich sah Leah Dean an, so, als ob der eine Möglichkeit hätte, den abtrünnigen Romeo wieder an Leahs Seite zu verpflanzen.
„Ich sagte dir doch, dass du nicht so klammern sollst“, mischte sich nun Leahs Freundin Michelle Connor ein. „Du hast den Typen am Samstag regelrecht belagert. Und gestern Nachmittag hast du dein Handy kaum aus der Hand gelegt und ihn ständig zugetextet, obwohl von seiner Seite aus gar nichts kam. Wundert mich nicht, dass er dich geblockt hat. Hätte ich auch gemacht.“
„Ach so? Na, du musst es ja wissen. Dich matcht überhaupt keiner, weder auf Tinder noch irgendwo anders. Darum bist du ja schon seit zwei Jahren Single, seit Johnny Wilcox dich am Abschlussball hat sitzen lassen.“
Es hatte den Anschein, als wäre die Redaktionssitzung der Glamerica zu einem ausgewachsenen Teeniedrama geworden.
„Was soll das denn jetzt bedeuten? Ich habe mit Johnny Schluss gemacht, weil er mit Laura Stern auf dem Rücksitz seines Wagens rumgemacht hat“, rief Michelle und wurde dabei puterrot.
„Das hat der doch schon die ganze Zeit über gemacht, als ihr miteinander gegangen seid“, rief Leah streitlustig.
„Meine Damen, meine Damen“, mischte Dean sich nun ein, „ich denke nicht, dass diese Diskussion hierhergehört. Beruhigt euch wieder und klärt diese Angelegenheit ein anderes Mal.“ Die beiden Mädchen senkten den Kopf und waren still.
„Wie wärs denn mit einer Reportage übers Onlinedaten?“, fragte Maddie Spelling. Sie sah von ihren Notizen auf und Dean direkt an, der ihren Blick erwiderte. Es schien so, als würde er sich das Thema durch den Kopf gehen lassen, überlegen, ob es Sinn machte, dem Onlinedating eine ganze Reportage zu widmen. Dann zeichnete sich ein Lächeln auf seinen Lippen ab.
„Klasse Idee, Spelling“, sagte er, „man könnte verschiedene Datingplattformen testen und vorstellen, vielleicht auch ein paar Typen treffen und ihre Beweggründe für eine Registrierung auf einer Datingseite hinterfragen. Heilige Scheiße, man könnte einen Typen daten und quasi eine Art ‚Leitfaden‘ entwickeln, wie ein Online-Date erfolgreich wird“, rief er schließlich verzückt aus. „Hast du Lust auf dieses Projekt?“
Maddie lächelte.
„Ich denke, Mark wäre es nicht recht, wenn ich schon so kurz nach unserer Hochzeit diverse Kerle daten würde“, sagte sie. Ihren Ehemann Mark hatte Maddie ebenfalls über eine Reportage in der Glamerica kennengelernt. Damals hatte sie einen ziemlich gnadenlosen Artikel über den Musicalstar verfasst, der ihn in den falschen Hals bekommen und sie daraufhin sogar mit dem Auto angefahren hatte. Am Ende der Geschichte waren die beiden vor dem Traualtar gelandet.
„Meinst du wirklich, dass er so pingelig ist?“, fragte Dean.
„Wenns ums Daten von anderen Typen geht, ja“, sagte Maddie bestimmt. Außerdem hatte sie keine große Lust, sich mit anderen Männern zu verabreden, wo sie mit ihrem absoluten Traummann verheiratet war.
Im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen.
„Sorry, ich bin im Stau gesteckt. Und meine Katze hat ein ganzes Paket Schmelzkäse aufgefuttert und meine Küche vollgekotzt, sodass ich heute früh noch einen Putzmarathon veranstalten musste.“ Eine Dunkelhaarige kam ins Besprechungszimmer gestürzt und machte einen chaotischen Eindruck. Ihr Haar hing wirr in ihr Gesicht, ihre Tasche hatte sie windschief um ihre Schulter geschlungen und in ihren Händen befanden sich ein Handy, ein Notizblock, ein Kugelschreiber, ein Schokomuffin und eine Flasche Wasser. Ginger Young war Lifestylereporterin und hin und wieder das wandelnde Chaos. Und gleichzeitig die Beste in ihrem Ressort. Sie testete angesagte Gadgets ebenso wie Luxushotels, hatte an Weihnachten eine komplette Kampagne, um die begehrtesten Geschenke vorzustellen, und war immer up to date, was Neuheiten aller Art betraf. Dean blickte auf. Er konnte es nicht leiden, wenn jemand zu spät zu den Meetings kam, küchenvollkotzende Katzen hin oder her. Er sah Ginger streng an, die versuchte, seinen Blick mit einem Lächeln aufzuweichen, während sie eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht pustete. Schließlich hellte sich Deans Gesicht doch noch auf.
„Young, schön, dass du da bist. Ich habe ein neues Projekt für dich!“
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„Wie war dein Wochenende?“ Maddie kam in das Büro, das sie und Ginger sich teilten, und stellte einen großen Becher Kakao auf ihren Schreibtisch.
„Ganz nett. Meine Tante und mein Onkel feierten ihren dreißigsten Hochzeitstag – Familienfest also. Und deins?“
„Mark und ich waren das Wochenende über in Vermont. Diese Woche beginnen die Proben für sein neues Stück, da werde ich wieder etwas weniger von ihm haben“, antwortete Maddie, sah fast etwas zerknirscht drein und nahm einen großen Schluck aus ihrem Kakaobecher.
„Ach ja, er hat die Hauptrolle in ‚Vampires‘, richtig?“, fragte Ginger.
„Genau. Mein Mann als blutsaugender Vampirgraf, kannst du dir das vorstellen?“
Ginger lächelte. Maddie hatte mit Mark den absoluten Volltreffer gelandet. Mark Spelling war nicht nur der begehrteste Bühnenschauspieler, den der Musicalmarkt derzeit zu bieten hatte, er sah gleichzeitig auch unglaublich heiß aus und war obendrein richtig nett und sympathisch, auch wenn er Maddie zu Anfang ihres Kennenlernens das Leben ganz schön schwer gemacht hatte. Ginger beneidete Maddie manchmal um Mark. Ihr eigenes Liebesleben war eher auf dem Level einer achtzigjährigen Nonne, wobei die Nonne es vermutlich eher krachen ließ als Ginger selbst. Ihre letzte Beziehung war über drei Jahre her, und seither war ihr niemand mehr über den Weg gelaufen, bei dem es irgendwie gefunkt hätte. Ginger war vierunddreißig, und mit den Jahren hatte sich der Gedanke in ihr manifestiert, dass es kaum noch möglich war, passende Kerle zu finden. Die, die was draufhatten, waren längst glücklich vergeben oder verheiratet, wenn sie in ihren Dreißigern oder Vierzigern waren. Und diejenigen, die noch zu haben waren … nun, bei denen gab es auf der Hand liegende Gründe, wieso sie immer noch nicht unter der Haube waren. So war es dazu gekommen, dass Ginger anstelle eines Mannes zwei dicke fette Kater an ihrer Seite hatte, die bisweilen Schmelzkäse inklusive Verpackung auffraßen und daraufhin die Küche vollkotzten.
„Es wird bestimmt toll. Sobald es Karten gibt, musst du mir Bescheid sagen, das will ich mir nicht entgehen lassen.“
„Du bist längst als VIP bei der Premiere eingetragen.“ Maddie zwinkerte ihrer Freundin zu. Als Mark sie damals angefahren hatte, hatte Ginger sich rührend um Maddie gekümmert. Und als sie und Mark sich vorübergehend getrennt hatten, war es Ginger gewesen, die mit ihr gemeinsam Eiscreme aufgefuttert und sich gegen die Männerwelt verschworen hatte.
„Super, ich freu mich drauf.“
„Übrigens, dein neues Projekt hab ich dir wohl eingebrockt“, sagte Maddie. Ginger sah sie fragend an.
„Die beiden neuen Praktikantinnen hatten Streit darüber, wie man sich seinem Onlinedate gegenüber verhält, bevor du gekommen bist, da habe ich vorgeschlagen, eine Reportage darüber zu schreiben, quasi ‚die goldenen Regeln fürs Internetdating‘.“
„Tatsächlich? Seltsam, dass Dean mich dafür haben will. Ich meine, in unserem Alter hat man doch gar nicht mehr diesen Zugang zu Datingplattformen, wie man ihn beispielsweise hat, wenn man Anfang zwanzig ist. Wie Tinder funktioniert, weiß ich nicht einmal.“
„Vermutlich gerade deshalb“, schlussfolgerte Maddie, „du konzentrierst dich aufs Wesentliche. Du läufst nicht Gefahr, dich in irgendeinen Typen zu verlieben und dann den Bezug zur Realität zu verlieren. Und außerdem sind unsere Leserinnen zwischen dreißig und fünfzig. Die brauchen Infos aus der Sicht einer Frau in ihrem Alter – und nicht rosarote Wölkchen-Berichte von Zwanzigjährigen, die einen verliebten Blick vom Objekt ihrer Begierde erhalten haben.“ Maddie zwinkerte Ginger zu. „Hast du schon einen Plan, wie du’s angehst?“
„Ich denke, ich werde mich mal durch ein paar Datingplattformen arbeiten und hier und dort ein Profil erstellen, um mit Typen in Kontakt zu gelangen“, begann Ginger. Tatsächlich hatte sie bereits, als Dean ihr die Reportage übertragen hatte, damit begonnen, sich ein Konzept zurechtzulegen. Sie fand das Thema an sich gut geeignet, um darüber eine ausführliche Reportage zu schreiben. Bislang hatten Magazine sich nur daran gewagt, Datingplattformen an sich vorzustellen. Sie wollte einen Schritt weitergehen. Sie würde sich mit Kerlen verabreden und versuchen, zu ergründen, warum sie auf diesen Plattformen registriert waren. Warum sie online nach einer Frau suchten und was sie sich zu finden erhofften. Wie diese Typen tickten und was frau anstellen musste, um sie sich zu angeln – wenn sie das denn wollte. Es würde eine Menge Recherchearbeit bedeuten und bestimmt würde dieses Projekt einige seltsame Begegnungen mit sich bringen, doch Ginger war sich sicher, am Ende einen großartigen, interessanten Bericht abliefern zu können. Außerdem fand sie es ziemlich spannend, verschiedene Kerle zu treffen und ganz andere Gesichtspunkte zu betrachten als jene, die üblicherweise bei einem ersten Date wichtig waren. Ginger nahm sich vor, hinter die Fassade der Kerle zu blicken, um ihren Lesern das eine oder andere gebrochene Herz zu ersparen. Sie konnte mit Psychologen über das Verhalten der einzelnen Probanden sprechen und vielleicht eine Art Muster herausfiltern, das gleich zu Anfang erkennen ließ, welcher Typ es ernst meinte und welchen man nach dem ersten Date nie mehr wiedersah.
„Ich bin mir sicher, du übertriffst dich wieder mal selbst“, sagte Maddie und packte ihr Notebook und eine Flasche Wasser in ihre Tasche.
„Musst du schon wieder los?“
„Ich hab um elf ein Interview mit James Franco, danach gehen Mark und ich essen. Ich werde so gegen zwei wieder im Büro sein, vielleicht wird’s auch halb drei.“
Ginger sah ihre Freundin beeindruckt an. „Wow, James Franco“, sagte sie, während sie ein verschmitztes Lächeln aufsetzte, „ob der wohl auch auf Datingplattformen zu finden ist?“
Als der Vormittag in den Nachmittag überging, hatte Ginger bereits eine Menge Vorarbeit für ihr Projekt erledigt. Zunächst hatte sie ihr Konzept ausgearbeitet und es in einzelne Schritte zerlegt, die notwendig waren. Danach hatte sie sich einen Überblick über die gängigsten Datingplattformen verschafft, drei davon ausgewählt und sie genauer unter die Lupe genommen. Später würde sie Infos über den Hintergrund und die Handhabung dieser Plattformen in ihren Bericht einfließen lassen. Schließlich hatte sie sich für eine der Plattformen entschieden, auf der sie ein Profil erstellen und Männer kennenlernen wollte – Perfect Match. Perfekt Match erschien ihr für ihr Projekt am geeignetsten, da es am seriösesten wirkte. Ginger hatte bei ihrer Kurzrecherche ein unglaubliches Potenzial an Fakeprofilen entdeckt, die auf den meisten Plattformen zu finden waren. Leicht bekleidete Frauen mit fehlerhaften Texten waren da auf der Suche nach der ganz großen Liebe. Meistens hatten sie in ihren Kontaktlisten doppelt so alte und viermal so schwere Kerle, denen sie über ihre Gästebücher und Pinnwände virtuelle Herzen, Rosen und „Ich liebe dich“s schickten. Ginger ging davon aus, dass es sich bei diesen Profilen um solche handeln musste, die versuchten, die männlichen User abzuzocken, indem sie ihnen zuerst die große Liebe übers Internet vorspielten und dann aber mit plötzlichen Erkrankungen und notwendigen Operationen versuchten, Geld zu bekommen. Immer wieder fielen zahlreiche Männer auf diese Frauen herein und schickten zum Teil Unsummen an anonyme Bankkonten ins Ausland, ohne weder die Frau noch das Geld jemals wiederzusehen. Auf der anderen Seite gab es fast ebenso viele Profile männlicher User mit Fotos von Prominenten oder mit Profilbildern, die nackte Oberkörper zeigten, die ein Sixpack zierte. Kerle, die jenseits der sechzig waren, aber in ihren Profilüberschriften nach Frauen suchten, die in jedem Fall unter dreißig, manchmal sogar unter fünfundzwanzig waren. Ginger wurde bereits nach wenigen Minuten auf diesen Plattformen klar, dass es Frauen, die tatsächlich nach einem ernsthaften, bodenständigen Partner suchten, so oder so ziemlich schwer haben dürften. „Perfect Match“ war die einzige Plattform, auf der ihr solche Profile nicht aufgefallen waren. Zudem checkte die Plattform die Identität des Users, indem es einen Blick auf das jeweilige Facebookprofil – soweit vorhanden und verlinkt – warf und mittels eines kurzen Skype-Videochats prüfte, ob der User auch tatsächlich Fotos von sich eingestellt hatte. Alles in allem schien Ginger „Perfect Match“ die geeignetste Plattform für ihre Reportage zu sein, wenngleich ihr auch bewusst war, dass es hier einige Nieten geben würde.
„Mit welcher Person, egal ob aus der Gegenwart oder der Vergangenheit, egal ob lebendig oder tot, würden Sie gerne einen Abend verbringen“, lautete eine der Fragen, die Ginger zu beantworten hatte. Sie musste drei Stärken und drei Schwächen an sich selbst nennen, ihren Beruf und ihre Ausbildung angeben und erklären, warum ihre Freunde ihre Freunde waren. Mithilfe von anklickbaren Kästchen konnte sie auswählen, wonach sie suchte, und sich zwischen „Feste Beziehung/Ehe“, „Freundschaft +“ „Sexbeziehung“ „One-Night-Stand“ oder einer „platonischen Freundschaft“ entscheiden. Sie haderte ein bisschen mit sich, als sie ihr Häkchen bei „Feste Beziehung“ machte. Immerhin würde sie jemandem, der möglicherweise ernsthaft auf der Suche nach der großen Liebe war, vorgaukeln, sie würde dasselbe suchen. Aber das war nun mal ihr Job. Sie musste die Beweggründe von Menschen auf Datingplattformen hinterfragen und einen Leitfaden erstellen, wie man mit ihnen am besten umging, wenn mehr als nur ein einmaliges Treffen daraus werden sollte.
„Hey, Ginger, kommst du mit Essen? Emma hat diese genialen Schokomuffins aus Stonehill Creek mitgebracht, auf die du so stehst.“
Ginger blickte von ihrem Computer hoch. Sie hatte gerade ziemlich genau und umfangreich umschrieben, was sie auf Perfect Match suchte und wie der Mann sein sollte, über dessen Nachricht sie sich freute.
„Emma ist da? Ich wusste gar nicht, dass sie kommt.“
„Die Fashion Week steht vor der Tür, das kann sie sich doch nicht entgehen lassen.“ Die Fotografin Carlie Jennings, die mit einem Softwaremagnaten verheiratet war, lächelte. Troy Jennings war eine ganz große Nummer am Softwarehimmel und hatte seinerzeit eisern um Carlies Herz gekämpft, nachdem er sich in der Vergangenheit ein paar richtig grobe Schnitzer geleistet hatte. Ginger überlegte kurz, ob sie „Troy Jennings“ in das Feld hätte schreiben sollen, in dem abgefragt wurde, mit wem man gerne einen Abend verbringen würde – egal ob tot oder lebendig, egal, ob jemand aus der Vergangenheit oder der Gegenwart –, und kicherte in sich hinein.
„Ich bin gleich da, lass mich nur noch schnell hier was fertig machen“, sagte sie.
„Das Datingprojekt?“, fragte Carlie.
„Bingo.“
„Ich bin schon unglaublich gespannt auf deine Erkenntnisse. Ich denke, die Sache könnte spannend werden.“
„Glaub ich auch. Im Augenblick fülle ich ein Datingprofil aus.“ Sie grinste. Von Datingplattformen hatte Ginger bislang nicht viel gehalten, auch wenn es mittlerweile gang und gäbe und überhaupt nicht mehr peinlich war, seinen Liebsten online kennenzulernen.
„Falls du für deine Studien fotografische Unterstützung brauchst, lass es mich wissen“, sagte Carlie lächelnd.
„Ich denke, die Typen wären nicht sehr begeistert davon, wenn ich sie zu allem Überfluss auch noch groß und breit in der Glamerica präsentiere.“ Ginger lachte. „Ich hab ja schon mit meinen moralischen Grundsätzen zu kämpfen, indem ich ihnen vorgaukle, eine von ihnen zu sein. Eine Mittdreißigerin, die einfach nur nach der großen Liebe sucht.“
„Du ahnst ja gar nicht, wie viele Typen genau dasselbe tun“, sagte Carlie. „Ich hab mal irgendwo gelesen, dass fünfundneunzig Prozent der Typen auf Datingplattformen, unabhängig davon, welchen Beziehungswunsch sie in ihrem Profil angeben, nur auf das eine aus sind. Und auch nicht sehr zimperlich mit den Bekanntschaften umgehen, die sie online machen.“
„Tatsächlich?“
„Scheinbar. Meine Cousine Tiffany war früher mal auf solchen Plattformen unterwegs. Sie meinte, es wäre so, als würdest du ein Auto Probe fahren. Viele sind zuerst absolut begeistert und angetan, dann triffst du dich, und sobald du die Erwartungen nicht zu einhundert Prozent erfüllst, lassen sie dich fallen wie eine heiße Kartoffel. Zuerst erzählen sie dir das Blaue vom Himmel, und wenn ihnen eine Kleinigkeit missfällt, dann servieren sie dich ab – manchmal auf ziemlich derbe Art und Weise.“
Ginger nickte. Sie hatte einige Berichte überflogen, in denen diese Thematik ebenfalls aufgegriffen worden war. Datingplattformen waren für viele so etwas wie die Obstabteilung im Supermarkt. Wenn ein Stück Obst den Anforderungen nicht zu 100 Prozent entsprach, wurde es weggelegt und mit gleicher Sorgfalt gleich das nächste angenommen. Sie war gespannt, welche Erfahrungen sie selbst machen würde, hoffte aber doch inständig, dass sie zumindest ein passendes Exemplar für ihren Bericht kennenlernte, an dem sie beweisen konnte, wie ein Typ von einer Datingplattform tickte und wie vor allem eine Frau sich verhalten musste, um ein – oder mehrere – Folgedates zu ergattern.
„Also dann bis später – und beeil dich, nicht, dass am Ende noch alle Muffins weg sind.“ Carlie zwinkerte Ginger zu und verließ das Büro.
Wenig später gesellte sie sich zu ihren Freundinnen in die Cafeteria der Redaktion. Zuvor hatte sie noch ihr Datingprofil abgeschickt und bewusst darauf verzichtet, ein Foto hochzuladen. Sie wollte vermeiden, dass Typen sie nur wegen ihres Aussehens kennenlernen wollten oder darauf hofften, eine heiße Nacht zu ergattern. Außerdem glaubte sie, ohne Foto eher ernsthaftere Zuschriften zu erhalten als mit. Wenn jemand ernsthaft an ihr interessiert war – und das würde sie nach den ersten paar E-Mails herausfinden –, würde sie ein Foto nachschicken. Sollte niemand auf ihr Profil reagieren, so würde sie es einfach im Nachhinein mit einem Foto bestücken.
„Ginger, hey.“ Emma sprang auf und nahm ihre Freundin in die Arme. Sie liebte ihr Leben in der Kleinstadt Stonehill Creek, in die sie wegen ihres Mannes Josh gezogen war, zwar heiß und innig, doch sie vermisste auch ihre Glamerica-Girls und die Redaktion in New York.
„Hey, Em, was tut sich so am Land?“ Ginger grinste.
„Alles bestens. Kürzlich hatten wir hohen Besuch im mittleren Westen.“
Ginger und Carlie sahen Emma fragend an.
„Einer unserer ältesten Einwohner ist gestorben – sein Großneffe ist Ben Walker!“ Emmas Gesicht zierte ein breites Grinsen.
„Ben Walker?“ Carlie konnte es gar nicht glauben. „Doch nicht etwa DER Ben Walker.“
„Doch. Genau DER Ben Walker. Ich habe sogar ein Foto mit ihm gemacht.“ Emma zog wie ein verliebter Teenie ihr Handy hervor und scrollte durch eine Menge Bilder von ihrer Farm, den Tieren, die sie dort um sich hatten, und ihrem göttlichen Ehemann, dem Kleinstadtsheriff Josh Ryder. „Hier ist es“, rief sie verzückt und hielt es ihren Freundinnen unter die Nase. Auf dem Bild war sie neben einem attraktiven dunkelblonden Mann zu sehen, den Ginger nur allzu gut kannte. Sie hatte jeden Film, in dem Ben Walker mitspielte, mehrfach gesehen. Ben Walker war der absolute Traum ihrer schlaflosen Nächte.
„Aber hat der nicht jetzt eine neue Freundin?“, fragte Carlie. Ginger verzog das Gesicht. Sie hatte gelesen, dass Ben seit einiger Zeit mit einer Frau aus einer Kleinstadt zusammen war, wollte es aber gar nicht so genau wissen. Immerhin war er IHR Traummann. Und nicht der irgendeiner Kleinstadtziege.
„Stimmt“, sagte Emma und biss von dem Burger ab, den sie sich an der Theke geholt hatte. Seit sie in Stonehill Creek lebte, hatte sie Gott sei Dank damit aufgehört, diesen unsäglichen Magerwahn zu verfolgen, der New York fest im Griff hatte. Früher hatte sie sich praktisch von Salat ohne Dressing und Mineralwasser ernährt und war viel zu dünn gewesen. Jetzt sah sie großartig aus – was vermutlich auch an der glücklichen Ehe lag, die sie mit Josh führte. „Er ist mit Piper Richardson zusammen, ihr gehört der Buchladen bei uns in Stonehill.“
„Was, echt? Er hat sich einen Bücherwurm geangelt?“, fragte Carlie.
„Ja. Und das, obwohl die beiden zunächst wie Feuer und Wasser waren. Sie konnten überhaupt nicht miteinander.“
„Das heißt, Ben Walker ist öfters in Stonehill Creek?“, fragte Carlie.
„Er ist sogar die meiste Zeit da. Nur, wenn er Drehtermine hat, ist er weg. Aber er und Piper wohnen mittlerweile zusammen in dem Haus seines verstorbenen Großonkels. Sie sind ein tolles Paar. Und Ben so unsagbar bodenständig. Ich hätte nicht erwartet, dass einer, der mit Hollywoodstars auf du und du ist und auf George Clooneys Hochzeit eingeladen war, so nett und unkompliziert sein kann.“
„Dann müssen wir Maddie dazu überreden, einen Bericht über ihn zu schreiben. Und ich komm mit und mache die Fotos.“ Carlie lachte.
„Und du, Ginger? Carlie hat mir von deinem neuesten Auftrag erzählt. Scheint spannend zu werden.“„Mal sehen“, sagte Ginger und nahm einen Bissen von dem Sandwich, das sie sich an der Theke geholt hatte, ehe sie sich zu ihren Freundinnen gesellt hatte. Ich habe mich den ganzen Vormittag über durch Datingseiten gearbeitet. Jetzt raucht mir irgendwie der Kopf. Außerdem habe ich mir Tinder runtergeladen. Schräge Sache irgendwie. Man entscheidet aufgrund von rein optischen Reizen, ob man jemanden kennenlernen möchte oder nicht.“„Aber so ist es doch meistens“, sagte Carlie.
„Ja schon. Nur denke ich, dass man ein paar großartige Menschen versäumt, wenn man sich nur von Äußerlichkeiten leiten lässt. Ich meine, meine Großmutter sagte immer schon: „Was nützt dir eine schöne Schüssel, wenn du nichts drin hast.“ Ginger lachte. Emma öffnete währenddessen ihre überdimensionale Louis-Vuitton-Tasche und holte eine türkisfarbene Papiertüte mit einem weißen Emblem darauf hervor. „Shellys Bakery“ stand in schnörkeligen, weißen Buchstaben darauf. Die Gesichter von Ginger und Carlie hellten sich auf, als Emma die Tüte öffnete und köstlich aussehende Schokoladenmuffins hervorholte.
„O Gott, ich dachte, du rückst nie damit heraus.“ Ginger lachte und nahm selig den riesengroßen Muffin entgegen, den Emma ihr hinhielt.
„Für Carlie einer mit Himbeerglasur und für Ginger einer mit Nougatfüllung“, sagte Emma und verteilte die Muffins an ihre Freundinnen, die sämtliche Datingprobleme augenblicklich vergaßen.
Verabredung #1 Mr. Was-im-Fernsehen-funktioniert-klappt-bestimmt-auch-in-real
Liebe Leserinnen, im Laufe der Recherche für das Projekt „Traummann aus dem Internet“ habe ich zahlreiche wirklich merkwürdige Verabredungen gehabt. Die merkwürdigsten möchte ich euch nicht vorenthalten.
Ich habe Mr. „Was-im-Fernsehen-funktioniert-klappt-bestimmt-auch-in-real“, nennen wir ihn einfach Danny, relativ früh kennengelernt. Er war, das muss ich neidlos zugeben, jemand, der gut mit Worten umgehen konnte, und jemand, der schon eine gewisse Art von Intellekt ausstrahlte. Wir haben uns also zunächst über E-Mail unterhalten und uns so gut verstanden, dass ich einem Treffen einwilligte, als er mich danach fragte. Zuvor wollte ich aber – um die Chemie zumindest halbwegs abzuchecken – noch mit Mr. „Was-im-Fernsehen-funktioniert-klappt-bestimmt-auch-in-real“ telefonieren und auch hier überzeugte mich Danny auf ganzer Linie. Er war gebildet, selbstbewusst, charmant und humorvoll, und er wusste, wie man mit Frauen umgeht. Das perfekte Objekt für meine Reportage, findet ihr nicht auch? Überdies schien er ziemlich gut aussehend zu sein, immerhin beschrieb er sich als 1,85 groß, sportlich, mit tiefblauen Augen und markantem Gesicht. Das Foto, das er mir vorab geschickt hatte, auf dem er im Auto saß und eine Sonnenbrille trug, war zwar nicht sehr aussagekräftig, aber Fotos sind das ja ohnehin nie. Außerdem fand ich Danny interessant, also sagte ich einem Treffen zu.
Wir hatten uns im Fiorinos verabredet, einer netten kleinen Pizzeria in der 82. Straße, und ich war zuerst da. Ich gebe zu, ich war wahnsinnig aufgeregt, immerhin war ich ja der Meinung, mit einem wirklich großartigen Kerl verabredet zu sein. Ein kleiner Typ erschien plötzlich an meinem Tisch. Vollbart, spitze Nase, kleine Augen, pummelig. Der Kellner, wie ich annahm, sodass ich bei ihm zunächst ein Glas Wasser bestellte. Ich staunte nicht schlecht, als der vermeintliche Kellner sich als Danny vorstellte und mir gegenüber Platz nahm. Ich war derart von den Socken, dass dieser Danny so absolut anders aussah als jener, den ich erwartet hatte, dass ich nicht fähig war, etwas zu sagen. Selbstgefällig grinste der Kerl mich an, bestellte sich beim richtigen Kellner ein Glas Wein und glaubte wohl von sich, er wäre ein Gottesgeschenk an die Weiblichkeit. Das Sakko, das er trug, war voller Fusseln und hatte einen alten Fleck, von dem ich lieber nicht wissen wollte, woher er stammte. Außerdem … stank Danny. Ich weiß ja nicht, wie das bei anderen ist, aber ich neige dazu, zu duschen und mir die Haare zu waschen, bevor ich zu einer Verabredung gehe. Danny wohl offenbar nicht. Er müffelte. So richtig. Er müffelte wie jemand, der vor zwei Tagen zuletzt unter der Dusche gestanden hatte, doch auch das schien ihn überhaupt nicht zu stören. Auf die Frage, wieso er falsche Fotos von sich herumschickte, erklärte er mir, dass er nicht wollte, dass die Frauen sich gleich am Telefon und über sein Foto in ihn verliebten, weil es ihn nerve, ständig damit beschäftigt zu sein, Frauen abzuwimmeln, die nur hinter seinem Aussehen und seinem Geld her waren. Ich musste in mich hineinschmunzeln, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Frau gibt, die hinter diesem Hobbit her wäre, weil er so gut aussieht (und müffelt). Auf jeden Fall wurde Danny nicht müde, den ganzen Abend über zu erzählen, was für ein toller Hecht er nicht wäre. Dass er sich vor Frauen nicht retten konnte und sich längst damit abgefunden habe, diese unglaubliche Wirkung auf die Weiblichkeit zu haben, die es ihm ermöglicht, jede Frau rumzubekommen, die er nur haben will. Er bildete sich natürlich ein, dass die Kellnerin ihn anbaggerte (was sie absolut nicht tat), und erklärte mir voller Inbrunst, dass ich mich nicht durch die Blicke der anderen Frauen gestört fühlen sollte – es ist eben so, wenn man mit ihm unterwegs wäre, Frauen würden ihn einfach nicht aus den Augen lassen können.
Natürlich kam Danny nicht umhin, mir zahlreiche Anekdoten aus seinem Liebesleben zu erzählen. So auch, dass er vor wenigen Wochen mit der Kindergärtnerin seines Neffen geschlafen hatte. Während des Frühlingsfestes im Kindergarten. Er hatte sich angeblich nur etwas zu trinken holen wollen, als die Kindergärtnerin ihm folgte und ihn in den Schlafraum zerrte, wo sie ihn verführte. Dasselbe wäre ihm auch schon in einem Friseursalon passiert, in dem gleich zwei Friseurinnen sich über ihn hergemacht hätten, und während sie mit ihm „beschäftigt“ waren, das „Geschlossen“-Schild an die Tür hängten, um nur ja nicht gestört zu werden. Natürlich hatte Danny, der tolle Hecht, Sex mit seiner Zahnärztin im Behandlungsstuhl und war gebeten worden, das Manhattan SPA in Zukunft zu meiden, weil die dort beschäftigten Mitarbeiterinnen nicht mehr „Herrin ihrer Sinne“ waren, wenn er eintraf. Ach ja, und erst kürzlich hatte er eine Bewerberin zum Vorstellungsgespräch in sein Büro eingeladen (er erzählte mir, er wäre Teilhaber einer ziemlich großen Immobilienkanzlei in Uptown – es stellte sich allerdings später heraus, dass er dort zwar arbeitete, jedoch nur für die Poststelle und die Ablage zuständig war), die unter ihrem Mantel nackt war und sich ihre Anstellung auf ganz besondere Art und Weise „verdienen“ wollte.
Ich muss gestehen, ich habe ja bereits damit gerechnet, dass meine Dates, die ich im Zuge dieses Artikels werde haben müssen, „speziell“ ausarten könnten. Dass jedoch gleich das erste so schräg verläuft, damit hätte ich nicht gerechnet.
Als wir den Abend schließlich beendeten – ich war heilfroh und habe sogar die Rechnung übernommen, nachdem Danny sein Portemonnaie „vergessen“ hatte –, bot er mir an, mich nach Hause zu bringen, was ich zunächst ablehnte. Er ließ dann jedoch nicht locker, sodass ich mit einem etwas mulmigen Gefühl in seinen Wagen stieg. Ich meine, man hört ja so allerhand, und für gewöhnlich bin ich eher der vorsichtige Typ. Noch dazu, wenn mich ein Kerl so überhaupt nicht anspricht wie dieser verrückte Danny. Er brachte mich also nach Hause und bat mich noch, kurz die Toilette benutzen zu dürfen, bevor er sich auf den Heimweg machte. Hm. Würdet ihr jemanden, dessen Blase auf Erleichterung hofft, abweisen? Ich muss zugeben, recht war es mir nicht, Danny in mein Haus zu bitten, aber welche Ausrede hätte ich denn vorbringen können, ihn nicht aufs Klo gehen zu lassen? Also kam Danny mit, verschwand im Gästeklo, und ich ging in die Küche, um die Katzen zu füttern. Ich nahm mir fest vor, Danny sofort aus dem Haus zu komplimentieren, wenn er sich erleichtert hatte, gab meinen Katzen jeweils ein Schälchen Whiskas, über das sie sich gierig hermachten, und ging dann zurück ins Wohnzimmer, um Danny einen schönen Abend zu wünschen.
Ich fiel aus allen Wolken, als ich sah, was mich da draußen erwartete. Unzählige Emotionen, Verwirrung, Verärgerung, Verblüffung … bis hin zu dem Drang, laut loslachen zu müssen, beherrschten mich. Danny stand vor mir im Wohnzimmer. Splitternackt. Ich konnte nicht umhin, seinen Körper zu mustern und mich zu fragen, ob er denn tatsächlich glaubte, dass man jemandem wie ihm all die Märchen abnahm, die er mir erzählt hatte. Seine merkwürdige Figur, die eher an ein Quadrat als an einen Mann erinnerte, wirkte, so nackt wie Gott sie schuf, noch merkwürdiger. Sein ganzer Körper war über und über mit Haaren bedeckt – für mich ein absolutes No-Go, selbst wenn Brad Pitt sich vor mir entblößt hätte. Sein massiver, überhängender Bauch kam jetzt voll zur Geltung und verdeckte das kleine bisschen Männlichkeit, das unter ihm hervorragte, fast. Dannys Penis war wohl das Einzige an ihm, was wirklich dünn war. Er grinste anzüglich, wollte auf mich zugehen, doch ich blockte ihn ab und sagte ihm bestimmt, er solle sich jetzt anziehen und gehen. Verdutzt starrte er mich an.
„Aber … im Fernsehen funktioniert das doch auch immer“, sagte er, fast etwas enttäuscht. Fragend sah ich ihn an, bis er mir erklärte, dass er bei „How I met your mother“ die Folge „Der nackte Mann“ gesehen hatte, in dem es einem Darsteller offensichtlich gelang, neun von zehn Frauen ins Bett zu bekommen, wenn er sich ohne Vorwarnung nackt auszog. Ich erklärte Danny, dass ich dann wohl die Nummer 10 von 10 sein musste, und forderte ihn noch einmal nachdrücklich auf, sich wieder anzuziehen und zu gehen. Als er schließlich – wieder vollständig bekleidet – in meinem Türrahmen stand, drehte er sich noch einmal um und meinte beschämt, dass bislang noch keine auf seinen „Nackten Mann“ eingestiegen war.
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Es war bereits nach neun, als Ginger an diesem Abend nach Hause kam. Sie hatte mit ihren Freundinnen noch einen Cocktail in der Bar neben der Redaktion getrunken und den Nachmittag damit verbracht, einen Artikel über ein neues Wellnesshotel in Connecticut zu überarbeiten, das in die nächste Ausgabe der Glamerica sollte. Sie hatte absichtlich etwas Abstand zu der Datingreportage genommen, um sich nicht zu sehr hineinzusteigern. Mit den Jahren hatte sie gelernt, dass es immer die bessere Entscheidung war, sich angemessen Zeit für ein Projekt zu lassen, als es übers Knie zu brechen und dadurch vielleicht zu versauen. Außerdem hatte sie den ersten Schritt für ihre Reportage bereits erledigt. Sie hatte das Datingprofil ausgefüllt und abgeschickt. Jetzt hieß es ohnehin warten, bis die ersten Interessenten sich meldeten. In den FAQs von Perfect Match wurde angegeben, dass es bis zu zwei Wochen dauern konnte, bis man eine Antwort erhielt. Die Plattform versprach aber, dass statistisch gesehen jeder User zumindest eine Antwort in seinem elektronischen Postfach vorfinden sollte.
Ginger schloss die Haustür auf und wurde sogleich von Sam und Puffles, ihren beiden Katern, begrüßt. Puffles, derjenige, der dem Schmelzkäse nicht hatte widerstehen können, sah bereits deutlich lebendiger aus als noch am frühen Morgen, als er kläglich alles wieder heraufgewürgt hatte, was er in der Nacht verputzt hatte. Dass auch sein Appetit vollständig wiederhergestellt war, machte sich dadurch bemerkbar, dass der Kater laut anklagend miaute und so nach Futter verlangte.
„Na, ihr beiden, was habt ihr angestellt, während Frauchen nicht hier war?“, fragte Ginger die beiden Tiere, die laut schnurrend um ihre Beine strichen. Sie ging in die Hocke und streichelte die Kater, die sich über die Aufmerksamkeit freuten. Während sie sich eine Tiefkühlpizza in den Ofen schob, fütterte sie die Kater und nahm eine Dusche. Danach stellte sie den Fernseher an und verspeiste ihr Abendessen auf der Couch.
Eigentlich war es nur Gingers Neugier gewesen, die sie an diesem Abend in einer Werbepause einer Folge „Devious Maids“ dazu brachte, ihr Notebook aufzuklappen und nachzusehen, ob ihr schon jemand über Perfect Match geschrieben hatte. Sie rechnete nicht damit, überhaupt eine Antwort bekommen zu haben. Immerhin hatten die anderen Frauen, die dort unterwegs waren, oft ganze Fotoalben hochgeladen, halbe Romane bei den Profilbeschreibungen verfasst und pflegten ihren Datingauftritt wie ihre Haut bei starker Sonneneinstrahlung. Dagegen hatte Gingers Profil ohne Foto und mit kurzen, knappen Texten wohl kaum eine Chance. Aber sie wollte nicht schon zu Anfang alles über sich verraten, sondern noch Raum für persönliche Gespräche und E-Mails lassen. Außerdem wollte sie vermeiden, dass sie Opfer von sogenannten „Copy-and-paste-Guys“ wurde, also Kerlen, die jeder auch nur halbwegs annehmbaren Frau denselben Text schickten und darauf hofften, von irgendeiner eine Antwort zu erhalten. Sie beschloss, ins Bett zu gehen, nachdem sie ihre Mails gecheckt hatte, und musste zweimal hinsehen, als ihre Nachrichten fertig geladen worden waren. 162. Ginger traute ihren Augen nicht, als sie die E-Mail-Adresse, die sie eigens für Perfect Match angelegt hatte, abrief. Sie hatte innerhalb eines halben Tages tatsächlich 162 Nachrichten von interessierten Männern erhalten. Auf ein Profil ohne Foto und mit kurzen Texten. Sie konnte es kaum fassen, schaltete den Fernseher aus, um sich besser auf die Nachrichten konzentrieren zu können, und öffnete die erste.
„Hallo, mein Name ist Manny und ich hätte gerne deine Telefonnummer, damit wir telefonieren können.“
Ginger stutzte. Dieser Typ fand es also noch nicht einmal der Mühe wert, etwas von sich zu erzählen, sondern wollte gleich ihre Telefonnummer haben?