Kirchliche Hochschulen und konfessionelle akademische Institutionen im Lichte staatlicher und kirchlicher Wissenschaftsfreiheit -  - E-Book

Kirchliche Hochschulen und konfessionelle akademische Institutionen im Lichte staatlicher und kirchlicher Wissenschaftsfreiheit E-Book

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Beschreibung

Der Band fasst die Erträge der gleichnamigen wissenschaftlichen Fachtagung zusammen, die am 11. Oktober 2016 an der Johannes Gutenberg-Universität zu Mainz stattgefunden hat. Namhafte Referenten aus Deutschland und Europa haben aus staatsrechtlicher, arbeitsrechtlicher und kirchenrechtlicher Perspektive den Rahmen der Wissenschaftsfreiheit an tertiären kirchlichen Bildungseinrichtungen ausgelotet und die vorliegende kirchliche und staatliche Gesetzgebung kritisch analysiert und über deren Weiterentwicklung nachgedacht. Beteiligt waren die Wissenschaftler / in: Stephan Dusil (Leuven), Ansgar Hense (Potsdam / Bonn), Monica Herghelegiu (Leuven / Tübingen), Adrian Loretan (Luzern), Severin Lederhilger (Linz), Thomas Meckel (Frankfurt St. Georgen), Matthias Pulte (Mainz) und Martin Schulte (Dresden).

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Ansgar Hense

Matthias Pulte (Hg.)

Kirchliche Hochschulen und konfessionelle akademische Institutionen im Lichte staatlicher und kirchlicher Wissenschaftsfreiheit

4 MAINZER BEITRÄGE

ZU KIRCHEN- UND RELIGIONSRECHT

Ansgar Hense

Matthias Pulte (Hg.)

Kirchliche Hochschulen und konfessionelle akademische Institutionen im Lichte staatlicher und kirchlicher Wissenschaftsfreiheit

echter

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

© 2018 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Umschlag

Crossmediabureau – xmediabureau.de

E-Book-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim – www.brocom.de

ISBN

978-3-429-04333-9

978-3-429-04909-6 (PDF)

978-3-429-06329-0 (ePub)

Inhalt

Vorwort der Herausgeber

ADRIAN LORETAN

Wissenschaftsfreiheit und Wahrheitsanspruch am Beispiel der Theologischen Fakultäten der Schweiz

SEVERIN J. LEDERHILGER

Kirchliche Hochschulen & Katholische Universitäten in Österreich

STEPHAN DUSIL

KU Leuven und Tilburg University - Zwei katholische Universitäten in Belgien und den Niederlanden im Vergleich

MARTIN SCHULTE / BERT HERBRICH

Wissenschaftsfreiheit in Lehre, Forschung und akademischer Selbstorganisation - staatliches Recht

THOMAS MECKEL

Die Wissenschaftsfreiheit der Theologie - Kirchenrechtliche Konturen und Grenzen

MATTHIAS PULTE

Kirchliche Hochschulen & Katholische Universitäten im Spiegel des kirchlichen Arbeitsrechts - kirchenrechtliche Ausgestaltungen

ANSGAR HENSE

Einige Anmerkungen zum Arbeitsrecht an katholischen Hochschulen in Deutschland

MATTHIAS PULTE / ANNA-CHRISTINA SCHMEES

Was ist neu in der Apostolischen Konstitution Veritatis Gaudium über das katholische Hochschulwesen?

Anhang

Synopse der Apostolischen Konstitutionen Sapientia Christina und Veritatis Gaudium

Autorenverzeichnis

Vorwort

Der moderne religionsplurale und neutrale Staat Bundesrepublik Deutschland integriert das System Theologie nicht nur seit jeher in sein staatliches Universitätsangebot, sondern ermöglicht - nicht zuletzt abgesichert durch staatskirchenvertragsrechtliche Regelungen - auch ein kircheneigenes Angebot. Hierdurch gewährleistet der Staat wissenschaftliche Trägerpluralität. Gleichzeitig erwartet der Staat, dass dort Wissenschaft betrieben wird und wissenschaftliche Standards von Reflexion u.ä. eingehalten werden. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund Diskussionen über das Verhältnis der Theologen zum kirchlichen Lehramt1, haben das Zentrum für interdisziplinäre Studien zum Religions- und Religionsverfassungsrecht (ZIRR) Mainz und das Kanonistische Institut an der Universität Potsdam am 21. Oktober 2016 eine Tagung veranstaltet, die sich der Thematik kirchlicher Hochschulen und konfessioneller akademischer Institutionen im Lichte staatlicher und kirchlicher Wissenschaftsfreiheit zuwandte und deren Beiträge in diesem Band dokumentiert werden. Damit wird einerseits der Focus auf die grundgesetzlich gewährleistete Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) gelenkt, andererseits nicht aus den Blick verloren, dass, sofern es um religionsbezogene Wissenschaft(en) geht, auch das Dual von Freiheit und Wahrheit angesprochen wird. Gerade dieses Dual von Wahrheit und Freiheit ist Gegenstand einer aktuellen theologischen Grundsatzkontroverse.2 Plastisch hat der verstorbene Mainzer Bischof und langjährige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann in seinem Grundsatzreferat auf dem Fakultätentag am 31. Januar 2016 hinsichtlich der Theologie ausgeführt: „Weil und insofern das Evangelium Gottes eine Botschaft ist, von der ich für mich und andere überzeugt bin, gibt es Theologie. Ohne diesen Wurzelgrund des gelebten Bekenntnisses verliert die Theologie die Luft zum Atmen. Man kann sich dann religionsgeschichtlich um die historische Herkunft und die Entzifferung heiliger Schriften und anderer Dokumente kümmern, aber man treibt im strengen Sinn keine Theologie. Objektivität, Rationalität und kritische Grundeinstellung der Theologie als Wissenschaft werden durch diese ‚Bindung‘, wie noch zu zeigen sein wird, in keiner Weise zerstört. Hier ist ein grundlegender Unterschied zwischen Religionswissenschaft, die selbstverständlich ihren eigenen Sinn und ihre Berechtigung hat, und ‚Theologie‘, weil diese vom Anspruch der von ihr erkannten Wahrheit nicht getrennt werden darf.“ Wie kein anderer verkörperte Kardinal Lehmann das Bild eines engagierten, neugierigen Wissenschaftlers und Bischofs: Im Wirken des Bischofs kam immer wieder der passionierte, nachfragende Wissenschaftler zum Ausdruck, im Wissenschaftler die Verpflichtung des Treuhänders für den religiös-theologischen Ursprung der Botschaft.

Die Tagungsabfolge ging davon aus, dass ein rechtsvergleichender Blick in den europäischen Rechtsraum der Klärung und Profilierung gilt. Adrian Loretan, Autor einer grundsätzlichen Studie von „Wahrheitsansprüchen im Kontext der Freiheitsrechte“ (Zürich 2017) wendet sich den Schweizer Verhältnissen zu. Severin Lederhilger OPraem, Generalvikar des Bistums Linz, erschloss die österreichische Rechtslage, bevor sich Stephan Dusil (Leuven) der belgisch-niederländischen Situation zuwandte. Daran schließen sich rechtsgrundsätzliche Ausführungen zur kirchlichen und staatlichen Perspektive von Wissenschaftsfreiheit hinsichtlich kirchlicher Hochschuleinrichtungen von Thomas Meckel (Frankfurt a. M.) und Martin Schulte (Dresden) an. Die Tagung mündete dann in eine Beleuchtung der durchaus praxisrelevanten kirchenarbeitsrechtlichen Facetten durch Matthias Pulte (Mainz) und Ansgar Hense (Bonn/Potsdam). Die Referate wie auch die Diskussionen verdeutlichten die Spannungen und Kräfte, die es im wissenschaftlichen Feld kircheneigener Institutionen und institutioneller, aber auch organisatorischer Mechanismen auszutarieren und auszubalancieren gilt. Aus der Außenperspektive lebt die Vielfalt und Vielgestaltigkeit der Hochschullandschaft davon, dass es profilierte Wissenschaftsakteure gibt. Die Religionsbezogenheit bzw. die Katholizität als Leitidee ist eben immer auch eine Leitdifferenz.

Die kirchenarbeitsrechtlichen Beiträge sind zu Beginn des Jahres 2018 fertiggestellt worden und konnten insofern die jüngsten europäischen Tendenzen (EuGH-Urteil vom 17. April 2018, C-414/16 – Rs. Egenberger u.a.) leider nicht mehr berücksichtigen. Seit dem Ende der Tagung hat der Gesetzgeber das kirchliche Hochschulrecht mit der Apostolischen Konstitution Veritais Gaudium reformiert. Zugleich wurde das bestehende Recht an einigen Stellen modifiziert. Wir dokumentieren hier die Rechtsentwicklung mit einer Synopse von Sapientia Christiana und Veritatis Gaudium mit den zugehörigen Ordinationes. Ein erster Kommentar von Matthias Pulte und Anna-Christina Schmees erschließt zentrale Veränderungen in der Gesetzgebung, die nun zur akademischen Debatte gestellt werden.

Der Dank der Veranstalter und Herausgeber gilt vor allem den Referenten, Autorinnen und Autoren, die sich der thematischen Herausforderungen annahmen und ihre Überlegungen auch in die Schriftform überführten. Der Dank gilt darüber hinaus dem Mainzer Team des Seminars für Kirchenrecht und des Zentrums für interdisziplinäre Studien zum Religions- und Religionsverfassungsrecht (ZIRR) an der Johannes Gutenberg-Universität, die in vorbildhafter Weise Tagungsorganisation und -begleitung übernommen haben. Ohne den außerordentlich engagierten Einsatz von Theresa-Maria Braun, Julia Fink, Lisa Miethbauer, Katharina Schäfer, Anna-Christina Schmees und Sarah Seifen hätte der Tagungsband nicht realisiert werden können. Ihnen allen gilt unser besonders herzlicher Dank. Ohne die finanzielle Förderung der Tagung durch das Erzbistum Berlin, die Johannes Gutenberg-Universität Mainz und das ZIRR wären die Tagung und der Druck dieses Buches nicht möglich gewesen. Wir danken herzlich für die großzügige Unterstützung.

Mainz / Potsdam, im Mai 2018

Ansgar Hense und Matthias Pulte

1 Siehe dazu: Overbeck, Franz-Josef, Freiheit zur Theologie, in: Herder-Korrespondenz 3 (2016), 6; oder der Bericht über den Fakultätentag von Stefan Orth, in: ebd., 11f.

2 Vgl. Menke, Karl-Heinz, Macht die Wahrheit frei oder die Freiheit wahr? Eine Streitschrift, Regenburg 2017; als Replik Striet, Magnus, Ernstfall Freiheit: Arbeiten an der Schleifung der Bastionen, Freiburg im Breisgau 2018.

ADRIAN LORETAN

Wissenschaftsfreiheit und Wahrheitsanspruch am Beispiel der Theologischen Fakultäten der Schweiz

1. Rechtsphilosophische Grundlagen der Kirche-Staat-Beziehung

1.1 Die Rede von Gott in der säkularen Universität

Benedikt XVI. hat an der Universität Regensburg zum Thema „fides et ratio“, Glaube und Vernunft, eine für die Theologie an Universitäten aufschlussreiche Rede gehalten. Er betonte den Logos (Joh 1,1), die Vernunft aller Rede von Gott, indem er u. a. zweimal den Satz des in griechischer Philosophie1 ausgebildeten Kaisers Manuel II. zitierte: „Nicht ‚mit dem Logos‘ handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider.“2 Gleichzeitig erinnert Benedikt XVI. an die methodologischen Vorbehalte gegen die Gottesfrage an den heutigen Universitäten.

„Wichtig für unsere Überlegungen ist aber noch, dass die Methode als solche die Gottesfrage ausschliesst und sie als unwissenschaftliche oder vorwissenschaftliche Frage erscheinen lässt“3,

so Benedikt XVI.

Jürgen Habermas bestätigt diese Überzeugung aus säkularer Sicht und sagt,

„dass sich zwischen Religion und Vernunft in der Konfliktgeschichte Westeuropas gewissermassen aus guten Gründen eine Kluft aufgetan hat [seit der Französischen Revolution], die nicht überwunden werden kann. In seiner Antwort auf die Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. über das Verhältnis von Glaube und Vernunft kritisiert der Philosoph den Papst dafür, dass er implizit bestreitet, dass es ‚für die in der europäischen Neuzeit faktisch eingetretene Polarisierung von Glauben und Wissen gute Gründe gibt‘.“4

Dieser Riss zwischen Weltwissen und Offenbarungswissen lasse sich nicht mehr kitten.

„[D]araus erwuchs später im Zeitalter der Aufklärung der allgemeine Vorwurf der ‚Irrationalität‘ an die Religion, der heute vor allem durch die Gewalt islamistischer Dschihadisten erneut bestätigt zu werden scheint.“5

Sind Religionen mit ihrem absoluten6 Wahrheitsanspruch überhaupt fähig zu einem Leben in einem säkularen Rechtsstaat, der Religionsfreiheit garantiert und damit Religions- und Meinungspluralismus voraussetzt? Ohne einen entsprechenden „Reflexionsschub entfalten die Monotheismen in rücksichtslos modernisierten Gesellschaften ein destruktives Potenzial“7, schreibt Jürgen Habermas nach 9/11. Nur diejenigen Religionsgemeinschaften verdienen aus Sicht des liberalen Rechtsstaates

„das Prädikat ‚vernünftig‘, die aus eigener Einsicht auf eine gewaltsame Durchsetzung ihrer Glaubenswahrheiten und auf den militanten Gewissenszwang gegen eigene Mitglieder, erst recht auf eine Manipulation zu Selbstmordattentaten Verzicht leisten“8.

Die Gläubigen müssen gemäß Habermas eine dreifache Reflexion leisten:

„Das religiöse Bewusstsein muss erstens die kognitive dissonante Begegnung mit anderen Konfessionen und anderen Religionen verarbeiten. Es muss sich zweitens auf die Autorität von Wissenschaften einstellen, schliesslich muss es sich auf die Prämissen des Verfassungsstaates einlassen, die sich aus einer profanen Moral begründen.“9

Diese Reflexion des Glaubens im Kontext einer freiheitlichen Rechtsordnung ist nur mittels einer Theologie zu leisten, die Wahrheitsansprüche und Freiheitsrechte der Moderne vermitteln kann.10

Habermas betonte andererseits, dass die nachmetaphysische, säkulare, „natürliche Vernunft“11 angesichts neuerer politischer Herausforderungen (Szientistischer Naturalismus, Versiegen der Motivationsressourcen für moralisches Handeln) der Religion mit mehr Respekt und höherer Dialog-Bereitschaft begegnen soll. Er glaubt nicht,

„dass wir als Europäer Begriffe wie Moralität und Sittlichkeit, Person und Individualität, Freiheit und Emanzipation […] verstehen können, ohne uns die Substanz des heilsgeschichtlichen Denkens jüdisch-christlicher Herkunft anzueignen“12.

Er ist nicht mehr sicher, dass die global gewordene Moderne genügend geistige Potenziale entwickeln kann, „um ihre selbstdestruktiven Tendenzen, in erster Linie die Zerstörung ihres eigenen normativen Gehaltes, aufzuhalten“13.

Diese Zerstörung der eigenen normativen Grundlagen ist durchaus nachvollziehbar, wenn man z. B. mit der Larry Siedentops Ideengeschichte des Individualismus die These vertritt, „wonach die Vorstellung subjektiver individueller Rechte sich bereits im 12. und 13. Jahrhundert bei den Kanonisten verorten lasse“14. Wenn also die Kanonistik wesentlich zu der europäischen Rechtskultur beigetragen hat, wie wir noch zeigen werden, ist der Abbruch des jahrhundertealten Dialogs der Wissenschaften, vor allem der Abbruch des Dialogs mit der Kanonistik, durchaus normgefährdend.15

Habermas kommt im Ergebnis zu einer ähnlichen Diagnose der Moderne wie die Begründer der Frankfurter Schule Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrer programmatischen Schrift „Dialektik der Aufklärung“: Das Aufklärungsdenken hat das Ziel verfolgt,

„von den Menschen die Furcht zu nehmen. Aber die vollends aufgeklärte Erde erstrahlt im Zeichen triumphalen Unheils. Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt. Sie wollte die Mythen auflösen und Einbildung durch Wissen stürzen.“16

Die praktische Vernunft aber verfehlt für Habermas ihre eigene Bestimmung, wenn sie

„nicht mehr die Kraft hat, in profanen Gemütern ein Bewusstsein für die weltweit verletzte Solidarität, ein Bewusstsein von dem, was fehlt, von dem, was zum Himmel schreit, zu wecken und wachzuhalten“17.

Deshalb waren Vertreter der Frankfurter Schule interessiert, die gesellschaftlichen Potenziale für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit in jeweils verschiedenen historischen Kontexten ausfindig zu machen.

Auch wer meint, die „Grenze des methodischen Atheismus“18 aus wissenschaftlichen Gründen nicht überschreiten zu dürfen, stolpert mit Habermas über den Satz Horkheimers: „Einen unbedingten Sinn zu retten ohne Gott, ist eitel.“19

1.2 Säkulare und religiöse Gründe für den Religionsfrieden

Der jüdische Autor Stefan Zweig, in Brasilien im Exil, damals der meistgelesene deutschsprachige Autor neben Thomas Mann, setzt bei einem Empfang mit dem brasilianischen Außenminister, als die Tischreden vorbei gewesen sind und die geladenen Gäste sich eben zu setzen begonnen haben, noch einmal an: Die wichtigste Aufgabe, die vor uns liegt, ist die Frage, wie wir in Frieden mit unterschiedlichen Lebens- und Wahrheitsauffassungen zusammenleben.20 Kann man die Aufgabe von Religionsverfassungsrechtlern besser umschreiben? Er hat den Siegeszug der einen „Wahrheit“ des NaziFaschismus nicht mehr ausgehalten und seinem sehr erfolgreichen Leben im Exil ein Ende gesetzt.21

Wer einen Krieg der Kulturen vermeiden will, wird jenseits der „stummen Gewalt der Terroristen wie der Raketen“22 eine gemeinsame Sprache der Freiheitsrechte wie z. B. der Wissenschaftsfreiheit entwickeln. Wollen die modernen Gesellschaften sich nicht durch den Riss der Sprachlosigkeit (religiöse und säkulare Vernunft) entzweien, empfiehlt Habermas, die Religion als eine zeitgenössische Gestalt des Geistes ernst zu nehmen und sich unvoreingenommen auf ein Gespräch mit ihr einzulassen. Er ging mit gutem Beispiel voran, indem er in der Katholischen Akademie Bayerns mit dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger, ein Gespräch über die „vorpolitischen Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates“23 führte. Denn die moderne säkulare Vernunft könne sich nur dann selbst verstehen lernen, wenn sie sich mit dem reflexiv gewordenen zeitgenössischen religiösen Bewusstsein auseinandersetzt. Dies setzt selbstverständlich eine theologische Reflexion voraus, die der Staat in der Universität zu leisten hat.

Der demokratische Verfassungsstaat geht sowohl für den Oxfordprofessor Larry Siedentop als auch für Jürgen Habermas auf Denkmotive der jüdisch-christlichen Tradition zurück. Die Legitimationsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates werden aber für Habermas aus dem egalitären Vernunftrecht der politischen Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts begründet (Locke über Rousseau bis Kant).24

Der moderne weltanschauliche Pluralismus setzt voraus, dass der Staat sich religiös und weltanschaulich, wissenschaftlich und künstlerisch neutral verhält. Welche weltanschaulich-religiösen Standpunkte die demokratische Verfassung mit ihren Freiheitsrechten im Einzelnen rechtfertigen, darüber muss es keine Einigkeit geben. Der Kantianer, der Utilitarist, die Christin und die Muslimin25 werden unterschiedliche Argumente dafür verwenden. Die Ebenbildlichkeit Gottes jedes Menschen oder, säkular gesprochen, die Würde der menschlichen Person26 mögen auch die jeweiligen anderen zu überzeugen. Der katholische kanadische Philosoph Charles Taylor schließt in seiner Argumentation

„direkt an die von John Rawls entwickelte Konzeption eines ‚overlapping consensus‘ an. […] Der ‚übergreifende Konsens‘ besteht darin, dass die Bürger sich jeweils von ihren weltanschaulich-religiösen Standpunkten aus auf die demokratische Ethik des Zusammenlebens einlassen und verpflichten. Im Gegensatz zu Rawls [und Habermas] ist Taylor allerdings der Auffassung, dass die Gründe für die Zustimmung der übergreifenden politischen Ethik nicht dieselben sein müssen […] Selbst in Bezug auf das ‚Herzstück des Säkularismus‘, nämlich der Trennung von Staat und Kirche, werde es nicht möglich sein, nur eine einzige Hintergrundtheorie anzuwenden.“27

Auch diese Auseinandersetzung setzt eine theologische Reflexion voraus. Die rein säkulare Weltsicht als einzige Denkmöglichkeit des Staates ist damit auch philosophisch überwunden, was im Rahmen dieses Vortrages nur angetönt werden konnte.

Ich schließe meine rechtsphilosophische Einleitung ab mit folgender Synthese: Benedikt XVI., Charles Taylor (kanadischer Katholik) und Ahmet Cavuldak (Alevit kurdischer Herkunft) führen religiöse Gründe gleichwertig mit säkularen Gründen auf. Damit haben sie Habermas’ und Rawls’ allein säkulares Begründungsmuster des säkularen Staates durchbrochen.

„Die politische Mobilisierung der religiösen Friedenspotentiale könnte – langfristig betrachtet – eines der wirksamsten ‚Heilmittel‘ gegen die religiös legitimierte Gewalt von ‚fundamentalistischen‘ Gruppierungen sein. Deshalb hätte auch der demokratische Staat ein berechtigtes Interesse daran, die Friedensressourcen der Religionen auf Kosten ihres Gewaltpotentials zu entfalten; er müsste sich auf dem religiösen Feld engagieren, um ein Stück Deutungsmacht über religiöse Wahrheit zu erlangen […].“28

Oder anders gesagt: Der weltanschaulich neutrale Staat müsste theologische Fakultäten bzw. islamische Lehrstühle an staatlichen Universitäten ermöglichen. Anders als in Deutschland ist in der Schweiz gegen einen solchen Versuch an der Universität Fribourg eine Klage vor dem Bundesgericht hängig.29

1.3 Warum eine implizite Ablehnung der Menschenrechte in der Kirche?

Das kirchliche Grundgesetz (Lex Ecclesiae Fundamentalis) mit einem ausführlichen Menschenrechtskatalog wurde von Papst Johannes Paul II. nicht promulgiert. Damit ist die kirchliche Wissenschaftsfreiheit (c. 218 CIC; c. 21 CCEO) formal nicht vergleichbar mit der Wissenschaftsfreiheit des staatlichen Rechts, die in einem Grundrechtskatalog der Verfassung aufgeführt ist.30

„Diese Rechtsverbindlichkeit besitzt der Satz als Bestandteil des höchstrangigen formellen […] Verfassungsrechts. Eine solche Stufenordnung kennt das kanonische Recht nicht und so auch keine Grundrechte weder dem Begriff noch der Sache nach.“31

Obwohl sich die katholische Kirche in ihrer Sozialverkündigung für die Menschenrechte nach außen engagiert, tritt sie nach innen32 dafür nicht mit gleicher Verve ein.33 Eine erste implizite Hinwendung der Soziallehre zu den Menschenrechten zeigt sich schon ab Leo XIII.34 Die Enzyklika Pacem in terris (1963) von Johannes XXIII. und das Zweite Vatikanische Konzil nehmen explizit Bezug auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948.

Aber in der neuscholastischen Naturrechtslehre bestand die Tendenz, die Theologie praktisch völlig auszublenden und die weltliche Sphäre als „natürliche Ordnung“ zu säkularisieren. Die „übernatürliche Ordnung“ wurde damit umso stärker spiritualisiert.35 Damit verbunden ist die traditionelle Qualifizierung, die katholische Sozialethik nicht als theologische Disziplin zu verstehen. Dieses Verständnis trug dazu bei, dass die Menschenrechte als säkulares Thema begriffen wurden, das keine ekklesiologische oder kanonistische Relevanz habe. Deshalb habe sich damit vor allem die Sozialethik zu beschäftigen.

Die freiheitsfunktionale Konzeption des Rechtsbegriffs in den Menschenrechten

„wurde bzw. wird in der rechtsphilosophischen Diskussion in sehr unterschiedlicher konkreter Ausformung vertreten. Sie bleibt aber gerade in den oben genannten neoscholastischnaturrechtlichen bzw. in den verschiedenen rechtspositivistischen Ansätzen unberücksichtigt“36,

wie Gerhard Luf in seinen „Rechtsphilosophischen Grundlagen des Kirchenrechts“ zu bedenken gibt.

Ein methodologischer Hinweis:

Hiermit sollte auch deutlich geworden sein, wieso mir ein rein rechtspositivistischer Einstieg in dieses Themenfeld nicht geeignet erschien. Wie das formal und inhaltlich unterschiedliche Verständnis von Wissenschaftsfreiheit in Rechtskirche und Rechtsstaat angewandt wird, wäre ausführlich in einer Monografie (z. B. einer Dissertation oder Habilitation), was in diesem Rahmen nicht möglich ist, zu analysieren. Ich beschränke mich hier auf die Lehrbeanstandungsverfahren, die exemplarisch das konkrete Verhältnis von Wissenschaftsfreiheit und Wahrheitsanspruch rechtlich regeln.

2. Verfahrensgerechtigkeit bei Lehrbeanstandungsverfahren

Wissenschaftliche und zugleich glaubensvermittelnde Theologie kann nicht ausschließlich den Wahrheitsanspruch betonen, sondern hat gleichzeitig auch das Freiheitsrecht der Wissenschaftsfreiheit zu garantieren. Aber wir reden nicht nur inhaltlich, sondern auch formal von zwei sehr unterschiedlichen Verständnissen von Wissenschaftsfreiheit, dem staatlichen und dem kirchlichen Verständnis.

Lehrbeanstandungsverfahren in der Kirche „dienen der Klärung, wenn wissenschaftliche Äußerungen eines Autors bzw. einer Autorin in Fragen des Glaubens und der Sitte im Widerspruch zur Lehre der Kirche zu stehen scheinen. Auf dem Vat. II wurde von Kardinal Joseph Frings (Köln) die Regelung der SC Off. gerügt und eine Überprüfung bzw. Neuregelung gefordert.“37

Bei Kollisionen der Freiheitsrechte einzelner Personen mit den Wahrheitsansprüchen der Kirche ist den betroffenen Personen in klar geregelten Verfahren Verfahrensgerechtigkeit zu garantieren. Die Umsetzungen der die Freiheitsrechte und die Wahrheitsansprüche schützenden Lehrbeanstandungsverfahren können miteinander verglichen werden und müssen in einer Rechtskirche Rechtsstandards entsprechen. Andernfalls kann sich ein Rechtsstaat nicht auf diese innerkirchliche, willkürliche Entscheidung berufen. Denn ein Rechtsstaat kann nicht willkürliche Rechtspraxis eines anderen Völkerrechtssubjekts in seinem Recht anwenden.38

Der mangelnde Rechtsschutz in den gesamtkirchlichen Lehrprüfungsverfahren wird auch nach den verschiedenen Verbesserungen seit dem Konzil39 beklagt.40 So schreibt z. B. Peter Hünermann: Dieses Verfahren

„widerspricht nicht nur der heutigen Rechtskultur. Es widerspricht aller Rechtstradition in Europa. So war es bereits ein unumstössliches Rechtsprinzip des römischen Rechts, dass der Richter den Angeklagten hören muss. Hinzu kommt, dass das Gremium, welches die Entscheidungen trifft, zugleich das Gremium ist, das die Anklage zu verantworten hat. Ankläger und Richter sind so nicht getrennt.“41

Der ehemalige Schweizer Bundesgerichtspräsident Giusep Nay hält fest,

„dass die Ordnung unserer Kirche für die Lehrprüfung von 1997 zwar entscheidende Verbesserungen gebracht hat, aber immer noch insbesondere das Menschenrecht des Betroffenen, von Beginn weg und in allen Stadien als Subjekt im Verfahren behandelt und vor jeder Entscheidung gebührend angehört zu werden, nicht gewährleistet“42.

Es gibt dazu zwar immer noch keine kirchenrechtliche Lösung, aber immerhin gab es eine pragmatische Vorgehensweise für den deutschsprachigen Raum ‚ die sich darüber hinaus bewährt hat: Die Mainzer Gespräche unter dem Vorsitz des Mainzer Bischofs, Karl Kardinal Lehmann, der von 1987-2008 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war. Als Professor für Dogmatische Theologie in Mainz bzw. Freiburg im Breisgau kannte er die Spannung zwischen Wissenschaftsfreiheit und Wahrheitsanspruch sowohl vonseiten der universitären Theologie als auch vonseiten des Lehramtes. Es ist zu hoffen, dass diese Mainzer Gespräche von der Deutschen Bischofskonferenz zum Wohl des Dialogs zwischen Lehramt und Theologie weitergeführt werden.43

2.1 Rechtshistorische Vergewisserung

Es kann leicht übersehen werden, welche überragende Rolle die kirchliche Rechtstradition für die heutige staatliche Rechtskultur, auch im Prozessrecht, gespielt hat.

„Jede philosophische Reflexion über das Kirchenrecht erfolgt im Kontext eines historischen Rechtsbewusstseins, das bestimmte Grundstrukturen einer Rechtsordnung als geschichtlich gewordene Konstituenten des Rechtsbegriffs voraussetzt, an denen die Legitimität einer positiven Rechtsordnung gemessen wird. Im gegenwärtigen säkularen Rechtsverständnis können als solche konstitutiven Grundbegriffe [u. a.] wohl die folgenden bezeichnet werden: Die Kontrolle von Machtausübung mit rechtlichen Massstäben, die grundsätzliche Bindung jeder ‚potestas‘ an Recht und Gesetz und an faire Verfahrensgrundsätze, die in den Amendments zur Verfassung der USA mit dem Begriff ‚rule of law‘ oder ‚due process of law‘ umschrieben ist […].“44

Schon seit der Antike hat die Kirche als Rechtsinstitution das Bewusstsein vom „due process of law“ entwickelt. Die Bindung der Idee des Kirchenrechts an die Verfahrensgerechtigkeit war so stark, dass sie selbst in den Verirrungen der Ketzerinquisition und Hexenprozesse zugunsten der Angeklagten angewandt wurde. Wesentliche

Bestandteile des modernen Prozessrechts stammen deshalb aus dem kanonischen Recht.45

Wer die kirchliche Rechtsentwicklung völlig trennt von der staatlichen Rechtsentwicklung, kennt die westeuropäische Rechtsgeschichte nicht. Das westeuropäische Recht wurde wesentlich vom kanonischen Rechtsdenken geprägt. Dieses „muss als eine Grundlage nahezu aller Hauptgebiete des modernen Rechts in Betracht stehen“46. Denn im heutigen Westen, der westlichen Christenheit, lebten alle unter dem kanonischen Recht und unter einem oder mehreren Rechtssystemen. Zudem war das kanonische Recht eine Universitätsdisziplin47, die die besseren Chancen hatte im Unterschied zu den einheimischen Rechten.

Harold Berman48 definiert Recht als „das Unternehmen, das menschliche Verhalten der Herrschaft von Regeln zu unterwerfen“49. Gemäß Berman war die Kirche

„ein Rechtsstaat. Und die Beschränkungen der kirchlichen Autorität, vor allem durch die weltlichen Organisationen, wie auch durch die der päpstlichen Autorität innerhalb der Kirche, vor allem durch die Strukturen der Kirchenregierung selbst, förderten etwas, was mehr war als eine Legalität im rechtsstaatlichen Sinne und eher dem ähnelte, was die Engländer später die ‚Herrschaft‘ des Rechts [rule of law] nannten.“50

Die Magna Carta Libertatum (1215) baute auf dem Grundsatz des kirchlichen Rechts auf, dass Herrschaft sich Regeln zu unterwerfen hat. Die Kirche übernahm „die Sanktionierung von Verstössen gegen die Bestimmungen der Magna Carta, denn Erzbischof Langton drohte jedem, ob König, Beamten oder Baron, bei Missachtung der Magna Carta die Exkommunikation an“51. Die Magna Carta wird weithin als eines der wichtigsten rechtlichen Dokumente bei der Entwicklung der modernen Demokratie und ihrer Freiheitsrechte angesehen.52 Sie

„war ein entscheidender Wendepunkt in der Bemühung, Freiheit zu etablieren. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 wird in Anlehnung an die Bedeutung des mittelalterlichen Dokuments auch als Magna Carta für die ganze Menschheit bezeichnet. Auch Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf ein faires Verfahren) lässt sich auf die Magna Carta zurückführen.“53

Zahlreich sind die Grundsätze und Rechtsinstitute des kanonischen Rechts, die im angloamerikanischen Rechtssystem bis heute weitergelten.54

Der Einfluss des kanonischen Rechts auf die Rechtsentwicklung Europas kann kaum überschätzt werden. Das modernere, rationalere Verfahrensrecht des kanonischen Rechts stand in scharfem Gegensatz zu den primitiven Rechtsinstitutionen des germanischen Gerichtsverfahrens.55 Die Vernunft wurde von den Kanonisten geradezu als Waffe gegen die Magie des germanischen Rechts eingesetzt.56 Auch der Grundsatz, dass niemand wegen desselben Vergehens zweimal vor Gericht gestellt werden darf (ne bis idem), oder die Unschuldsvermutung im Strafverfahren oder die Beurteilung der subjektiven Tatseite im Strafrecht57 stammen aus der kanonischen Rechtsentwicklung. Das Prinzip der Vertragstreue im öffentlichen und privaten Recht geht ebenfalls auf das kanonische Recht zurück.

„Der Satz ‚Pacta sunt servanda‘ [Verträge sind einzuhalten] ist für uns heute wesentlicher Bestandteil des Verständnisses der Privatautonomie. Die mittelalterliche klassische Kanonistik hat ihn in den Diskurs der Juristen eingebracht, wobei sich der eigentliche Durchbruch zeitlich ziemlich genau um 1188 skizzieren lässt. […] Die Erforschung der Quellen des klassischen kanonischen Rechts ist nicht nur unerlässlich für die Kenntnis des europäischen Mittelalters und der Geschichte der christlichen Kirche; sie ist zentraler Bestand der gemeinsamen europäischen Rechtskultur, vielleicht sogar ein Weltrechtskulturerbe.“58

2.2 Zusammenwirken von Kirchenrecht und Staatskirchenrecht

Bei den Rechtsstaaten werden die oben ausgeführten Rechtsstandards (rule of law) heute häufig ohne Wissen um ihre Herkunft aus dem Kirchenrecht angewandt. Man meinte, die Kirche im Namen einer kollektiven Religionsfreiheit von solch differenzierter Verfahrensgerechtigkeit befreien zu können. Nichts ahnend, dass diese differenziertere Verfahrensgerechtigkeit zu einem großen Teil im kanonischen Recht entwickelt wurde. Es gilt, die Kirche nicht zu befreien von der Verfahrensgerechtigkeit, sondern man muss sie erinnern an ihre eigene große Rechtstradition, die heute von vielen evangelischen Rechtshistorikern und von Deutschen Staatsrechtslehrern59 hoch gehalten wird, leider nicht im geltenden Lehrbeanstandungsverfahren der Kirche.

Deshalb hat man nicht nur in der Schweiz angefangen, zuerst ein kirchliches Lehrbeanstandungsverfahren auf lokaler Ebene durchzuführen, um die Verfahrensregeln besser garantieren zu können. Ich stütze mich im Folgenden auf die „Vereinbarung60 zwischen dem Bischof von Basel, der Universität Luzern und dem Kanton Luzern betreffend die Theologische Fakultät der Universität Luzern vom 8. Dezember 2005“61. Gemäß Ziffer 4 der Vereinbarung führt der Bischof ein persönliches Gespräch mit einer im Amt stehenden Professorin bzw. mit einem im Amt stehenden Professor, wenn er der Ansicht ist, dass diese bzw. dieser „ein wesentliches Erfordernis des allgemeinen oder des partikularen kirchlichen Rechts verletzt“62. Eine Zurücknahme des nihil obstat ist nur bei schwerwiegenden Verletzungen des kirchlichen Rechts angezeigt. Wenn der Bischof ein Beanstandungsverfahren einleitet, muss er betroffenen Personen und der Fakultät Akteneinsicht und rechtliches Gehör gewähren, was auch nach kanonischem Recht gelten würde, hier aber explizit staatskirchenrechtlich eingefordert wird.

Der Rechtsvertreter des Kantons Luzern fürchtete, dass ein nihil obstat-Entzug, basierend auf einem römischen Verfahren, rechtlich für den Kanton Luzern nicht umsetzbar ist aus Gründen des formalen Verfahrensrechts, das von kirchenrechtlicher Seite verletzt werden könnte, da es den Minimalstandards, die heute im staatlichen Recht angewandt werden, nicht entspricht. Ich verweise hier auf einen parallelen Arbeitsrechtsfall, bei dem das Anhörungsrecht eines Pfarradministrators vom Bischof von Basel nicht gewährt wurde, was vom Basel-Landschaftlichen Kantonsgericht ebenfalls moniert wurde.63

Das Kantonsgericht Basel-Landschaft begründete seine Entscheidung wie folgt:

„Die missio canonica ist zwingende Anstellungsvoraussetzung; bei deren Verlust hat die dafür zuständige Behörde, vorliegend die Kirchgemeinde, den Pfarradministrator zu entlassen. Weiter ist der Verlust der Wählbarkeitsvoraussetzung ein wichtiger Grund für eine administrative Entlassung. [… Aber] die Anerkennung der inneren Belange der Weltkirche kann nicht dazu führen, dass öffentlich-rechtliche Körperschaften im Rahmen ihrer hoheitlichen Tätigkeiten kirchliche Akte in blinder Befolgungspflicht vollstrecken. Der Entscheid über den Entzug der missio canonica hat unmittelbare Auswirkungen im Regelungsbereich des öffentlichen Rechts und entfaltet normative Wirkung. Er fliesst unmittelbar in die Anordnung der Landeskirche [staatskirchenrechtliche Ebene] ein, stellt mithin Verfügungsgrundlage dar. Das Bistum ist bei seinem Entscheid über den Entzug der missio canonica folglich an die Verfahrensgrundsätze gebunden, wenn ein solcher Entscheid, wie vorliegend betreffend ein öffentlichrechtliches Anstellungsverhältnis, direkte und unmittelbare Auswirkungen in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten haben soll. Der Betroffene ist bereits im innerkirchlichen Verfahren vorgängig zum Entzug der missio canonica anzuhören und der betreffende Entscheid ist zu begründen. Insbesondere ist der Entzug der kirchlichen Sendung in einer derartigen Dichte zu begründen, dass das Vorliegen schwerer Grundrechtsverletzungen oder diskriminierender Aspekte ausgeschlossen werden kann, die nicht mehr mit der Treue- und Loyalitätspflicht der Seelsorgenden gerechtfertigt werden können. […] Vorliegend wurden sowohl das Recht auf vorgängige Anhörung als auch das Recht auf Begründung des Entscheids verletzt.“64

Daher wurde die Verfügung der Entlassung des Pfarradministrators vom Kantonsgericht aus diesen formalen, verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben.

Analog zur Begründung des obigen Kantonsgerichts im dargestellten Fall des Pfarradministrators sieht sich auch der Universitätsrat gezwungen, nach einem Widerruf des nihil obstat ein Kündigungsverfahren einzuleiten. Das nihil obstat des Bischofs wird wie im obigen Fall als Anstellungsvoraussetzung zum Bindeglied zwischen staatlichem und kirchlichem Recht. Um

„zu gewährleisten, dass die kirchliche Aufgabe sachgemäss erfüllt wird, sind der Kirche Mitwirkungsrechte eingeräumt, die in dem Rechtsinstitut des Nihil obstat zusammengefasst sind. […] Das Nihil obstat gibt dem Bischof keine Blanko-Vollmacht. Kriterien sind Lehre und Lebenswandel, doctrina vel mores. Der [religiös] neutrale Staat kann gar nicht anders, als die Sorge für die Reinheit der Lehre oder für die Einhaltung von sittlichen Normen der Lebensführung […] der Kirche zu überlassen. Dagegen fällt die Entscheidung über die wissenschaftliche oder pädagogische Qualifikation in den Bereich von Staat und Universität.“65

Das kirchenrechtliche nihil obstat wird im Sinn von Alexander Hollerbach als Anstellungsvoraussetzung des staatlichen Rechts interpretiert.

Nachdem also eine Anstellungsvoraussetzung entfallen ist, außer die oder der Betroffene kündigt von sich aus, hat der Universitätsrat ein Kündigungsverfahren einzuleiten. Auch hier ist die betroffene Person nach schriftlicher Orientierung mündlich oder schriftlich anzuhören.66

„Der Entscheid über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann mit einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Verwaltungsgericht [neu beim Kantonsgericht] angefochten werden. Im Gerichtsverfahren wird [nur formal] festgestellt [wie im Fall Röschenz], ob der Entscheid als rechtmässig oder als rechtswidrig qualifiziert wird.“67

Denn ein staatliches Gerichtsverfahren kann nicht die Nichterteilung eines nihil obstat oder deren Widerruf in der Sache überprüfen.

„Dennoch ist die Art und Weise, wie ein Entscheid über den Widerruf des ‚nihil obstat‘ zustande kommt, für das staatliche Recht von Bedeutung. Ein solcher Entscheid wird zur Grundlage der Kündigung des Arbeitsverhältnisses, hat somit direkte und unmittelbare Auswirkungen auf das öffentlichrechtliche Arbeitsverhältnis. Aus diesem Grund ist es zentral, dass die Verfahrensrechte der betroffenen Professorin oder des betroffenen Professors (gemäss Ziff. 5 der Vereinbarung) auch im innerkirchlichen Verfahren gewahrt werden, ansonsten der Mangel des innerkirchlichen Verfahrens auf die Kündigung durchschlägt.“68

Ein entsprechender Verfahrensmangel im kirchlichen Verfahren führt die öffentlich-rechtliche Instanz in ein Dilemma: Einerseits können Professorinnen und Professoren nur mit einem gültigen nihil obstat forschen und lehren (gemäß Ziff. 2 der Vereinbarung), andererseits ist eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines fehlerhaft zustande gekommenen Widerrufs des nihil obstat rechtswidrig aufgrund der Vereinbarung und des Personalrechts. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs zum Beispiel führt dazu, dass der Entscheid vom Luzerner Verwaltungsgericht als formell rechtswidrig erachtet wird.69 Wenn der Universitätsrat die Kündigung trotzdem aussprechen würde, könnte die Universität sich

„mit einer Schadenersatzklage konfrontiert sehen und zu einer Zahlung verurteilt werden. Meines Erachtens müsste der Bischof in einem solchen Fall durch das Schiedsgericht [Ziff. 9 Vereinbarung] zu einer Übernahme des Schadens verpflichtet werden.“70

Die Vereinbarung sieht eine eigene Möglichkeit vor, um den Konflikt zwischen Wissenschaftsfreiheit und Wahrheitsanspruch zu umgehen bei einem Widerruf des nihil obstat: die Professur extra facultatem. Denn

„nach dem Entzug der kirchlichen Amtsbefugnis verliert die betroffene Person die Zugehörigkeit zur Fakultät. Falls dies im Erachten der Universität in ihrem Interesse liegt, errichtet die Universität für sie oder ihn ad hoc, ad personam und extra facultatem eine eigene Professur“ (Ziff. 4 Vereinbarung).

Die Universität unterbreitet einer anderen Fakultät die Frage einer solchen Professur. Der Rektor regelt die Rechte und Pflichten der Professur. Es besteht aber kein Anspruch auf eine solche Professur.

Die Professur extra facultatem lässt eine verwaiste Professur in der Theologischen Fakultät (TF) zurück, denn die Professur in der TF soll, muss aber nicht wiederbesetzt werden.

Die Lehre im betreffenden Bereich muss

„uneingeschränkt fortgeführt werden. Der Bischof trägt während fünf Jahren die Hälfte der daraus allenfalls erwachsenden zusätzlichen Kosten. Der Kanton und die Universität sprechen sich über die Tragung der übrigen Kosten ab.“71

In jedem Fall hat dies höhere Kosten zur Folge. Alle Parteien (Bischof, Kanton, Universität) beteiligen sich an den Kosten, die durch eine Professur extra facultatem verursacht werden.

„Das Interesse der Universität an der Errichtung einer Professur extra facultatem beurteilt sich unter Berücksichtigung der Wissenschaftsfreiheit, der Reputation und persönlichen Leistung der Professorin oder des Professors, der Einschätzung der Risiken eines gerichtlichen Verfahrens wegen ungerechtfertigter Kündigung des Arbeitsverhältnisses und unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Theologische Fakultät. […] Weder Bischof noch Universität noch der Kanton Luzern haben grundsätzlich ein Interesse daran, dass eine solche Professur errichtet werden muss.“72

Professoren einer Theologischen Fakultät, wie am Beispiel der Vereinbarung von Luzern ausgeführt, stehen zwischen der Religionsfreiheit bzw. dem kirchlichen Verständnis von Wissenschaftsfreiheit (c. 218 CIC/1983) und dem staatlichen Verständnis von Wissenschaftsfreiheit (Art. 20 BV).73 Eine Güterabwägung wird sich nicht allein von ökonomischen Kriterien leiten lassen können.

3. Drei Wissenschaftssprachen, drei Wissenschaftskulturen, die sich auf die Wissenschaftsfreiheit beziehen

In der Schweizer Demokratie ist die kulturelle, sprachliche und religiöse Vielfalt seit der Staatengründung von 1848 eine wesentliche Grundlage des Föderalismus74. Dazu kommen die Dialekte, die auch an der Universität selbstverständlich nach den Vorlesungen auch mit der Professorin oder mit dem Professor gesprochen werden. Mit einem monistischen Denkansatz, der sich auf eine der drei Wissenschaftssprachen bzw. vier Landessprachen beschränkt, ist dieses Land75 nicht zu verstehen. Der deutschsprachige Dichter Rainer Maria Rilke hat deshalb in dem zweisprachigen Kanton Valais bzw. Wallis, wo er seine letzten Jahre verbrachte und auch beerdigt wurde, auch französische Gedichte geschrieben. Vielleicht müssten sich davon auch Wissenschaftler inspirieren lassen.

3.1 Römisch-katholische Theologische Fakultäten

Die älteste römisch-katholische theologische Institution mit einer über 400-jährigen Hochschultradition76 wurde erst 1973 von der Kongregation für das katholische Unterrichtswesen auch kanonisch als Theologische Fakultät mit Gradrechten errichtet.77 Seit 1971 bestand eine Vereinbarung des Kantons Luzern mit dem Magnus Cancellarius, dem Bischof von Basel, über die Theologische Fakultät. Es entstand eine neue Vereinbarung78 „betreffend die Theologische Fakultät der Universität Luzern“, die rückwirkend auf den 1. Oktober 2005 in Kraft getreten ist. Als Verhandlungsdelegierter der Universität79 war ich im ganzen Prozess eingebunden und habe daher auch das Lehrbeanstandungsverfahren als schwierigstes Element des Verhältnisses von Wissenschaftsfreiheit und Wahrheitsanspruch oben besprochen. Dem Bischof von Basel geht es

„um die Qualität der theologischen Ausbildung, die Praxisrelevanz theologischer Forschung und den Dialog zwischen Kirchenleitung und Theologie im Bistum Basel. Der Luzerner Universität liegt an der kirchlichen Anerkennung ihrer Theologischen Fakultät, der Garantie der Freiheit von Forschung und Lehre sowie der Gestaltung ihrer Arbeit im Austausch mit den relevanten gesellschaftlichen Gruppierungen.“80

De facto gibt es zwei Mal im Jahr einen Austausch zwischen Magnus Cancellarius und Theologischer Fakultät, sodass Probleme in der Vergangenheit informell hier angesprochen werden können.

Die Theologische Fakultät an der Universität Fribourg ist ebenfalls eine von der römisch-katholischen Kirche kanonisch anerkannte staatliche Fakultät an einer Universität81 und untersteht damit sowohl kanonischer als auch staatlicher Gesetzgebung. Ihren Status regelt das Abkommen vom 08.07.1985 zwischen dem Predigerorden sowie der Schweizer Bischofskonferenz auf der einen und dem Kanton auf der anderen Seite.82 Dem Abkommen schloss sich ein Notenaustausch zwischen dem schweizerischen Bundesrat und dem Heiligen Stuhl an.

Der rechtlich ungelöste „Fall Pfürtner“83 hat die Frage der Lehrprüfungsverfahren nicht nur in Fribourg wesentlich verändert. Der Ortsbischof von Fribourg und der Magnus Cancellarius, der Ordensgeneral der Dominikaner, intervenierten. Die Fakultät und die Bischofskonferenz meldeten sich zu Wort. Sogar die Schweizer Regierung, der Bundesrat, und die römische Glaubenskongregation befassten sich mit der Sache. Luzius Wildhaber84 (Jurist) und Eugenio Corecco85 (Kanonist) schrieben Gutachten, die in den wesentlichen Punkten zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Unter den vielen rechtlichen Analysen sei nur noch auf Johannes Georg Fuchs86 und Ludwig Kaufmann87 verwiesen.

„Die Rechtslage hinsichtlich Beamtenstatus, Lehrfreiheit, kirchlicher Mitwirkung, Folgen eines evtl. Entzugs der missio canonica [blieben] dunkel. […] 1974 demissionierte Pfürtner, ohne dass die Rechtslage geklärt worden wäre.“88

Nach dem „Fall Pfürtner“ an der Theologischen Fakultät Fribourg hat das kirchliche Lehrprüfungsverfahren bei der Schweizer Bischofskonferenz89 1985 eine grundlegende Neuordnung erfahren.90

Bezüglich der Theologischen Fakultät ist im Gesetz über die Universität (1997) der Artikel über die Professorenschaft für unser Thema von Bedeutung.91 Ebenfalls wichtig ist die Zuständigkeitsregelung zwischen Kirche und Staat.92

Die Theologische Hochschule Chur, die aus dem 1807 gegründeten Priesterseminar St. Luzi hervorgegangen ist, wurde 1968 als kanonisch theologische Hochschule errichtet. 1976 beschloss der Kanton Graubünden die staatliche Anerkennung der Abschlusszeugnisse (Diplom und Lizenziat) unter Vorbehalt des Rechts der Einsichtnahme in die Studien- und Prüfungsordnungen sowie des Rechts der Entsendung von Experten zu den Prüfungen.93 2004 wurde eine Promotionsordnung in Kraft gesetzt und 2013 wurden Erläuterungen zur Promotionsordnung veröffentlicht.

Damit gibt es in der deutschsprachigen Schweiz zwei Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten (Luzern; Fribourg) und eine dritte Theologische Fakultät (Chur), die kanonische Promotionsrechte haben. Dazu kommt eine theologische Ausbildung ohne Gradrechte im Kloster Einsiedeln, die letzte der verschiedenen Ordensschulen in der Schweiz.

In der italienischen Schweiz besteht ein eigenes Modell der Einbindung der Theologischen Fakultät in die Universität: La Facoltà di Teologia di Lugano. Diese von Bischof Eugenio Corecco gegründete Fakultät wurde in die neue Universität der italienischen Schweiz eingebunden. Nach seiner Rückkehr aus Paderborn leitete der Kirchenrechtskollege Libero Gerosa, zuerst als Prorektor, dann als Rektor (2000-2008),

„die Übersiedelung dieser kirchlichen Hochschule von den Räumlichkeiten in der Via Nassa auf den Campus der Università della Svizzera Italiana – unter Beibehaltung der organisatorischen Autonomie der Theologischen Fakultät“94.

Die Theologische Fakultät ist damit nicht in gleichem Maße Teil der Universität bzw. deren erste Fakultät wie im deutschen Sprachraum und der deutschsprachigen Schweiz. Die Nachbarländer haben also Einfluss auf die relativ kleinen Sprachgebiete der Schweizer Diskussion um die Wissenschaftsfreiheit der Theologischen Fakultäten: In Italien sind die Theologischen Fakultäten nicht Teil der Universität. Sogar die kirchlichen Universitäten kennen keine Theologischen Fakultäten, wie ich zu meinem Erstaunen auf Einladung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Università Cattolica del S. Cuore feststellte.95 Dies schlägt sich nicht nur bei den katholischen, sondern auch bei den evangelischen Theologischen Fakultäten nieder.

3.2 Evangelisch-reformierte Theologische Fakultäten

An den Universitäten Zürich, Bern, Basel, Lausanne, Neuchâtel (Neuenburg) und Genève (Genf) sind Theologische Fakultäten eingerichtet worden.96 Welche Auswirkungen ein anderes Verständnis von Amt und Ekklesiologie auf die Wissenschaftsfreiheit der evangelischen Theologischen Fakultäten der Schweiz hat, wird ausführlicher in der folgenden Modelldiskussion behandelt, in der drei Modelle des Staat-Kirche-Verhältnisses skizziert und in ihren Konsequenzen für die Theologischen Fakultäten dargestellt werden. Alle drei Modelle existieren realiter in der italienischsprachigen, französischsprachigen und deutschsprachigen Schweiz.

4. Radikales Trennungsmodell

Die Theologische Fakultät in Genf ist gemäß der „Loi sur l’Université“ (2008) „une Faculté autonome de théologie protestante […] rattachée à l’université et est soumise à la présente loi et aux règlements“ (17 VI). In diesem Modell der radikalen Trennung von Staat und Kirchen wird grundsätzlich jede Form der institutionellrechtlichen Zusammenarbeit (so z. B. die Kirchensteuern) zwischen staatlichen und kirchlichen Organen abgelehnt. Im Detail sieht es aber dann doch anders als in Frankreich aus.

„Der Staat hat sich streng laizistisch und neutral gegenüber allen Religionen zu verhalten, er hat für alle die gleichen Strukturen zu schaffen. Die Mehrheitsreligionen dürfen kein Gesetz zur Erhaltung ihrer Privilegien bekommen.“97

Die letzte Trennungsinitiative in der Schweiz wurde im Kanton Zürich am 24. September 1995 vom Volk abgelehnt.98 Aber die nächste Trennungsinitiative kommt bestimmt.99

Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten sind nicht denkbar, denn es gibt grundsätzlich keine gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirchen. Gegen die Theologischen Fakultäten wird grundrechtlich argumentiert:

– Sie verstießen gegen das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit, denn die Theologie erfülle nicht die Anforderungen an eine Wissenschaft.100

– Das Grundrecht der Rechtsgleichheit verbiete dem Staat eine Bevorzugung einzelner Religionsgemeinschaften, konkret der christlichen Kirchen. Es sei nicht zulässig, dass der Staat nur für die theologische Ausbildung einzelner Kirchen aufkomme. Dass der Staat aber allen Religionsgemeinschaften dieses Recht einräume, sei ausgeschlossen.

Als Konsequenz wird gefordert: Die Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten sollen in kircheneigene Ausbildungsstätten überführt werden. Dies entspreche dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften.

5. Pluralistisches Modell

Der Staat kooperiert nach dem pluralistischen Modell mit mehreren Religionsgemeinschaften in gemeinsamen Angelegenheiten. Die Religionen sind nicht Teil der staatlichen Organisation. Sie bleiben organisatorisch „getrennt“. Die Religionen unterstützt der Staat nicht um ihres Wahrheitsanspruches willen, sondern um der Freiheitsrechte seiner Bürgerinnen und Bürger willen, damit diese ihre Religionsfreiheit und ihre Wissenschaftsfreiheit positiv verwirklichen können. Der Staat „garantiert […] daher nicht Privilegien der Kirche, sondern ‚Grundrechte des Menschen‘“101. Der Staat nimmt die gesellschaftliche Bedeutung einer Religionsgemeinschaft als Kriterium für seine Auswahl. Indikatoren für die gesellschaftliche Bedeutung sind:

– der Rückhalt der jeweiligen Überzeugung in der Bevölkerung,

– die Mitgliederzahl und

– die Mitarbeit einer Religionsgemeinschaft bei der Lösung von gesellschaftlichen Problemen.

Gemessen an diesen Kriterien gelten einige große christliche Kirchen für einige Kantone als förderungswürdig im Bereich der Theologischen Fakultäten. Dieser soziologisch-kulturelle Maßstab, den Napoleon Bonaparte in die Diskussion einführte, beinhaltet aber ein die Kirchen gefährdendes Element: Demzufolge kommt es nämlich darauf an, dass die Kirchen auch weiterhin gesellschaftlich relevante Gruppen bleiben. In den Städten sind die Kirchenaustrittszahlen aber nicht mehr zu übersehen, wie der Halbkanton Basel-Stadt in besonderer Deutlichkeit zeigt. „Die Römisch-katholische Kirche [des Kantons Basel-Stadt] […] hatte in den letzten 25 Jahren rund zwei Drittel ihrer Mitglieder verloren.“102

Die Theologischen Fakultäten sind gemeinsame Angelegenheiten des Staates und einer bestimmten Kirche, die beide ein unterschiedliches Verständnis der Wissenschaftsfreiheit haben. Die Universitätstheologin und der Universitätstheologe stehen damit im Schnittpunkt zwischen staatlichen und kirchlichen Kompetenzen, denn die Personalhoheit der staatlichen Universität unterliegt hier gewissen Einschränkungen seitens der jeweiligen Kirche.

Charakteristische Unterschiede zwischen den katholischen und reformierten Theologischen Fakultäten der Schweiz werden hier deutlich. Katholischerseits ist

„die Berufung in den Kreis des wissenschaftlichen Personals unter bestimmten Voraussetzungen von der Zustimmung der Kirchenleitung abhängig […] und diese [hat] auch nach erfolgter Anstellung ein Beanstandungsrecht“103.

Die Mitsprache der evangelischen Kirchenleitungen ist nicht im gleichen Maß rechtlich geregelt. Für die evangelisch-reformierten Kirchen der Schweiz

„sieht das jeweilige kantonale Hochschulrecht […] ein Begutachtungsrecht vor (so in Zürich und in Lausanne)104 bzw. findet […] nur eine Anhörung auf gewohnheitsrechtlicher Basis statt (so in Bern und in Basel).105 Desgleichen gilt heute im Trennungskanton Neuchâtel, dass der Staatsrat die Professoren der Theologischen Fakultät ernennt, auf Vorschlag des Fakultätsrates und nach Anhörung des Synodalrates (dessen Stellungnahme der Zustimmung der Synode bedarf). Dagegen befindet in Genf der paritätisch von Kanton und Kirche beschickte Stiftungsrat der ‚Fondation de la Faculté‘ über die Auswahl von Lehrpersonal. […] Der Grad der kirchlichen Mitbestimmung leitet sich [also] aus den jeweiligen […] kantonalen religionsrechtlichen Grundvorstellungen her.“106

Die unterschiedlichen Einflussrechte der Kirchen auf die Theologischen Fakultäten beruhen u. a. auf einem unterschiedlichen Amtsverständnis. Im evangelischen Kirchenrecht gibt es kein Amt, das, mit wahrheitsverbürgender Rechtsgewalt ausgestattet, kirchliche Lehre bilden und davon abweichende theologische Lehrmeinungen verurteilen könnte. Dennoch aber ist auch für den Protestantismus die Frage relevant, welche Aussagen im Sinn des Evangeliums sind und welche nicht.107 Ohne über ein eigentliches Lehramt zu verfügen, sehen sich die evangelischen Kirchen in der Notwendigkeit, Gesetze und Verordnungen zu erlassen, die den Umgang mit Irrlehren und Irrlehrern regeln.

Das pluralistische Modell ist in der Schweiz das vorherrschende System, wenn katholische und evangelische Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten existieren. In der Tradition des Selbstverständnisses als christliche Obrigkeit halten sich manche Kantonsregierungen noch heute für befähigt, auch über die kirchlich-konfessionellen Aspekte ihrer Theologischen Fakultäten zu befinden. Diese Einstellung ist heute – angesichts der staatlichen Neutralität in religiösen Angelegenheiten – fragwürdig.108

6. Modell der inpersonalen Grundrechtstheorie

Im Rahmen der Trennungsinitiativen von Kirche und Staat wurde auch ein drittes Modell diskutiert, das im Fall einer rechtlichen Umsetzung entscheidende Konsequenzen für die Theologischen Fakultäten hätte. Ausgangspunkt dieses Modells sind subjektlose Grundrechte. Das Recht auf Wissenschaftsfreiheit schützt das Funktionssystem Wissenschaft vor außerwissenschaftlichen Eingriffen. Das staatliche Hochschulrecht soll demnach die Sicherheit bieten, dass

– der Staat sich nicht in die wissenschaftlichen Diskurse einmischt und

– auch andere nichtwissenschaftliche Faktoren (z. B. Kirche) sich nicht einmischen können.

Für die Theologischen Fakultäten wird verlangt, dass diese ausschließlich in Zuständigkeit des Staates stehen. Ein Doppelstatus, wie im pluralistischen Modell, ist nicht denkbar. Die „uneingeschränkte“ Wissenschaftsfreiheit steht im Zentrum.109 Dass der Staat dem kirchenleitenden Amt bei der Besetzung theologischer Lehrstühle die Letztentscheidungskompetenz zugesteht, wird abgelehnt.110Jede Forderung nach einem Mitbestimmungsrecht der Kirchen, sei es bei der Gründung von Theologischen Fakultäten, beim Erlass von Studien- und Prüfungsordnungen, bei der Besetzung der Lehrstühle oder bei Beanstandungsverfahren, sei als verfassungswidrig abzuweisen.

In der Schweizer Landschaft der Theologischen Fakultäten hätte dieses Modell besondere Konsequenzen: Vor allem in den Kantonen Bern, Waadt und Zürich herrschte bis vor Kurzem das Prinzip der kirchlichen Gesetzgebung durch den politischen Gesetzgeber vor.111 Könnte dieser politische Gesetzgeber Theologie nicht auch als eine besondere Form der Religionswissenschaft verstehen, vor allem wenn die Nachfrage der Studierenden nach Religionswissenschaft steigen sollte? Einige Theologen liefern für dieses Ansinnen Argumente. Babke und Pannenberg112 versuchen, Theologie im heutigen Wissenschaftsverständnis neu zu begründen, indem sie diese nicht mehr als Glaubenswissenschaft, sondern als Religionswissenschaft verstehen. Ganz anders der eingangs zitierte Benedikt XVI., der den Vernunftbegriff nicht auf die empirischen Wissenschaften beschränken will.

Der als absolut gedachte Schutz der Wissenschaftsfreiheit eliminiert die Religionsfreiheit der Kirchen. Eine Abkoppelung der Theologischen Fakultäten von der jeweiligen Kirche kann deshalb weder dem Selbstverständnis der katholischen noch der evangelischen Kirche entsprechen – nicht einmal den bekenntnisoffenen evangelischreformierten Landeskirchen der Schweiz. Die Abkoppelung kann aber auch nicht im Interesse der Theologischen Fakultäten selbst liegen.

„Die Theologie würde ihre Identität einbüßen, wenn sie versuchte, sich vom dogmatischen Kern der Religion und damit von jener religiösen Sprache abzukoppeln, in der sich die Gebets-, Bekenntnis- und Glaubenspraxis der Gemeinde vollzieht. In dieser Praxis bezeugt sich erst der religiöse Glaube, den die Theologie nur auslegen kann.“113

Theologie kann aber nicht im gleichen Sinn wie eine Naturwissenschaft als Wissenschaft betrieben werden, sonst bleibt im besten Fall eine rein empirisch arbeitende Religionswissenschaft übrig. Das Deutsche Bundesverfassungsgericht hat klargestellt: Mit dem Verfassungsartikel über die Wissenschaftsfreiheit soll nicht eine bestimmte Auffassung von Wissenschaft oder eine bestimmte Wissenschaftstheorie geschützt werden, schon gar nicht die Ideologie von der Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft. Das Bundesverfassungsgericht schreibt: Die Wissenschaftsfreiheit „erstreckt sich vielmehr auf jede wissenschaftliche Tätigkeit, das heisst auf alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmässiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist“114. Es ist nur zu hoffen, dass bei einem ähnlichen Fall in der Schweiz ein deutschsprachiger Bundesgerichtspräsident den Fall leiten wird. Demnach kann Theologie eine Wissenschaft sein, auch wenn sie gebunden ist an eine konkrete Kirche und deren Lehramt.

Das Weiterbestehen der mit ihrer Kirche in je unterschiedlicher Weise verbundenen evangelischen und katholischen Theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten in der Schweiz lässt sich im Rahmen des Verhältnisses von Staat, Gesellschaft und Religion rational begründen.115 Voraussetzung allerdings ist, dass Theologen und Theologinnen über den Logos-Begriff116, den Vernunftbegriff, auf dem Niveau eines Benedikt XVI., eines Habermas, eines Taylor oder eines Cavuldak denken lernen. Denn den „prekäre[n] Ort der Theologie im Konzert der Wissenschaften“117 gilt es gerade in der liberalen Schweiz rechtlich und wissenschaftstheoretisch zu begründen118 im Kontext des jeweiligen Universitätsverständnisses.119

1Der monistische Rationalismus, der die griechische Philosophie und die Aufklärung geprägt hat, wurde von Isaiah Berlin herausgearbeitet, vgl. Berlin, Isaiah, Concepts and Categories. Philosophical Essays, London 1978. Vgl. Crowder, George, Isaiah Berlin. Liberty and Pluralism, Cambridge 2004 (Key contemporary thinkers).

2 Manuel II., zitiert nach Benedikt XVI., Ansprache „Glaube, Vernunft und Universität. Erinnerungen und Reflexionen“ in der Aula Magna der Universität Regensburg am 12. September 2006. Apostolische Reise von Papst Benedikt XVI. nach München, Altötting und Regensburg (9.-14. September 2006). Treffen mit den Vertretern aus dem Bereich der Wissenschaften, online siehe: https://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/speeches/2006/september/documents/hf_ben-xvi_spe_20060912_university-regensburg.html, Zugriff am 29.11.2016. Nach der Regensburger Rede wurde fast ausschliesslich über die Kontroverse mit den Muslimen diskutiert, sodass die hier betonte Frage von Glaube und Vernunft vielfach übersehen wurde.

3 Benedikt XVI., Ansprache (Anm. 2).

4 Cavuldak, Ahmet, Gemeinwohl und Seelenheil. Die Legitimität der Trennung von Religion und Politik in der Demokratie (Edition Politik 22), Bielefeld 2015, 585. Zitat im Zitat: Habermas, Jürgen, Ein Bewusstsein von dem, was fehlt, in: Reder, Michael / Schmidt, Jürgen (Hrsg.), Ein Bewusstsein von dem, was fehlt. Eine Diskussion mit Jürgen Habermas (Edition Suhrkamp 2537), Frankfurt am Main 2008, 26-36, 35.

5 Cavuldak, Gemeinwohl (Anm. 4), 586.

6 Vgl. Kirchschläger, Peter G., Nur ich bin die Wahrheit. Der Absolutheitsanspruch des johanneischen Christus und das Gespräch zwischen den Religionen (Herders biblische Studien 63), Freiburg im Breisgau 2010; vgl. Steinacker, Peter, Absolutheitsanspruch und Toleranz. Systematisch-theologische Beiträge zur Begegnung der Religionen, Frankfurt am Main 2006.

7 Habermas, Jürgen, Glauben und Wissen, Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001, Frankfurt am Main 2001, 9-31, 14.

8 Ebd., 13f., Hervorhebung im Original; vgl. Rawls, John, Politischer Liberalismus, übersetzt von Wilfried Hinsch, Frankfurt am Main 1998, 132-141.

8 Habermas, Glauben (Anm. 7), 14.

9 Ebd.

10 Vgl. Loretan, Adrian, Wahrheitsansprüche im Kontext der Freiheitsrechte, Zürich / Berlin 2017. Der Buchtitel geht auf eine Frage von Prof. Dr. Ansgar Hense zum Verhältnis von Wahrheit und Freiheit zurück nach meinem Vortrag an der Universität Potsdam am 2. Juli 2015 zum Thema: „Menschenwürde – eine Herausforderung für die Religionsgemeinschaften?“ auf Einladung von Prof. Dr. iur. Jens Petersen und Prof. Dr. iur. Ansgar Hense.

11 Cavuldak, Gemeinwohl (Anm. 4), 585.

12 Habermas, Jürgen, Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze, Frankfurt am Main 2 1988, 23.

13 Cavuldak, Gemeinwohl (Anm. 4), 399.

14 Müller, Jan-Werner, Stammt der Liberalismus vom Christentum ab? Larry Siedentops kulturkämpferische Ideengeschichte des Individualismus, in: Neue Züricher Zeitung (NZZ) 161 (2016), 38; vgl. Siedentop, Larry, Inventing the Individual: The Origins of Western Liberalism, Cambridge, Massachusetts 2014.

15 Vgl. Der Einfluss der Kanonistik auf die europäische Rechtskultur (Norm und Struktur 37), Köln 2009-2012.

16 Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W., Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente (Gesammelte Schriften 3), Frankfurt am Main 1997, 19.

17 Habermas, Bewusstsein (Anm. 4), 30f.

18 Cavuldak, Gemeinwohl (Anm. 4), 396.

19 Habermas, Jürgen, Texte und Kontexte (stw 944), Frankfurt am Main 2 1992, 110.

20 Vgl. „Vor der Morgenröte. Stefan Zweig in Amerika“. Ein Film von Maria Schrader 2016; vgl. diese Frage auch bei Rawls, Politischer Liberalismus (Anm. 8), 35.

21 Vgl. Muscionico, Daniele, Sternstunden der Verzweiflung. „Vor der Morgenröte“ ist ein Film über das Exil – nicht nur jenes von Stefan Zweig, in: NZZ v. 17.08.2016, 37.

22 Habermas, Glauben und Wissen (Anm. 7), 11.

23 Cavuldak, Gemeinwohl (Anm. 4), 402.

24 Wenn aber „die biblische Vision der Rettung nicht nur Erlösung von individueller Schuld, sondern auch die kollektive Befreiung aus Situationen des Elends und der Unterdrückung einschliesst […], berührt sich der eschatologische Aufbruch zur Rettung der ungerecht Leidenden mit Impulsen der Freiheitsgeschichte der europäischen Neuzeit“, so Metz, Johann Baptist, Memoria passionis. Ein provozierendes Gedächtnis in pluralistischer Gesellschaft, Freiburg im Breisgau 2006, 427.

25 Vgl. Manea, Elham, Woman and Shari’a Law. The Impact of Legal Pluralism in the UK [and in Switzerland], London 2016; dies., Ich will nicht mehr schweigen. Der Islam, der Westen und die Menschenrechte, Freiburg im Breisgau 2009 (Aus dem Englischen von Maria Buchwald).

26 Lat. „Dignitatis humanae [personae]“, die Erklärung zur Religionsfreiheit des Zweiten Vatikanischen Konzils begründet die Religionsfreiheit jedes Menschen mit der Menschenwürde (säkulare Vernunft) bzw. der Ebenbildlichkeit Gottes jedes Menschen (theologische Vernunft).

27 Cavuldak, Gemeinwohl (Anm. 4), 460. Zitat „overlapping consensus / übergreifende[r] Konsens“: Rawls, Politischer Liberalismus (Anm. 8), 219.

28 Cavuldak, Gemeinwohl (Anm. 4), 587f. Dies erinnert an die die politische Erfahrung in muslimischen Staaten, die keine Trennung von Staat und Religion kennen.

29 Das Bundesgericht kann „die Religionsfreiheit nur rechtlich gewährleisten, wenn e[s] positiv bestimmt, was Religion sein soll und dadurch die Begrenzung seiner Befugnis auf ‚weltliche Angelegenheiten‘ notwendig überschreitet; die Religion stellt die ‚negativ-identitätsstiftende Bezugskategorie des säkularen Staates‘ dar, die der Staat paradoxerweise durch Charakterisierung bestimmter Praktiken, Anschauungen und Sprachspiele als ‚religiös‘ mitkonstituiert. […]. Dies gilt umso mehr, wenn der Staat den Religionen ‚lukrative Angebote‘ wie den privilegierten Körperschaftsstatus, steuerliche Vergünstigungen, Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, [theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten,] Mitwirkungsrechte in staatlichen Rundfunkanstalten und Dispense vom allgemeinen Recht macht.“ Cavuldak, Gemeinwohl (Anm. 4), 588. Zitate im Zitat: Reuter, Astrid, Säkularität und Religionsfreiheit – ein doppeltes Dilemma, in: Leviathan 35 H. 2 (2007), 178-192, 181f.

30 Art. 20 BV: „Die Freiheit der wissenschaftlichen Lehre und Forschung ist gewährleistet.“

31 Lüdecke, Norbert / Bier, Georg, Das römisch-katholische Kirchenrecht. Eine Einführung, Stuttgart 2012, 59. Meine eigene differenzierte Position in dieser Frage vgl. Loretan, Wahrheitsansprüche (Anm. 10).

32 Die Unterscheidung „Kirche ad extra, Kirche ad intra“ wird schon von Kardinal Suenens verwendet. Vgl. Kaufmann, Ludwig / Klein, Nikolaus, Johannes XXIII. Prophetie im Vermächtnis, Fribourg / Brig 1990, 69.

33 Vgl. Heimbach-Steins, Marianne (Hrsg.), Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, Band 55: Menschenrechte in der Katholischen Kirche, begr. von Joseph Höffner, unter Mitwirkung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Sozialethik, Münster 2014.

34 Vgl. Hafner, Felix, Kirchen im Kontext der Grund- und Menschenrechte (Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat 36), Freiburg im Üechtland 1992, 122-148.

35 Vgl. Gabriel, Ingeborg, Naturrecht, Menschenrechte und die theologische Fundierung der Sozialethik, in: Vogt, Markus (Hrsg.), Theologie der Sozialethik (Quaestiones disputatae 255), Freiburg / Basel / Wien 2013, 229-251, 239.

36 Luf, Gerhard, Art. Rechtsphilosophische Grundlagen des Kirchenrechts, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts 3. Aufl. (3 HdbkathKR), 42-56, 54.

37 Heinemann, Heribert / Schmitz, Heribert, Art. Lehrbeanstandungsverfahren, in: Haering, Stephan (Hrsg.), Lexikon des Kirchenrechts, 635-638, 635.

38 Darauf verweist der ehemalige Präsident des Schweizer Bundesgerichts, Dr. iur. et Dr. theol. h. c. Nay, Giusep, Die Kirche und die Menschenrechte, als Rechte auch des Menschen als Geschöpf Gottes, in: Bulletin Europäische Gesellschaft für katholische Theologie 15 (2004), 289-291.

39 Vgl. Heinemann / Schmitz, Art. Lehrbeanstandungsverfahren (Anm. 37), 635-638.

40 Vgl. z. B. Demel, Sabine, Art. Lehrprüfungsverfahren, in: dies., Handbuch Kirchenrecht, Grundbegriffe für Studium und Praxis, Freiburg im Breisgau 2010, 452-454, 452f.

41 Hünermann, Peter, Die Kongregation für die Glaubenslehre und ihre strukturellen Probleme mit der Theologie. Eine nicht-kanonische, auf Erfahrung basierende Reflexion, in: Theologisch-praktische Quartalschrift 157 (2009), 55-65, 60.

42 Nay, Kirche (Anm. 38), 291.

43 Die jährlichen Gespräche zwischen dem Magnus Cancellarius, dem Bischof von Basel, und den Professorinnen und Professoren der Theologischen Fakultät der Universität Luzern weiss ich zu schätzen, weil damit anfallende Probleme besprochen werden können und ein Lösungsweg gesucht werden kann. Zusätzlich können auch die Wünsche beider Seiten ausgesprochen werden.

44 Landau, Peter, Der Rechtsbegriff des Kirchenrechts in philosophisch-historischer Sicht, in: Rau, Gerhard u. a. (Hrsg.), Zur Theorie des Kirchenrechts (Das Recht der Kirche 1), Gütersloh 1997, 199-235, 227-228, Hervorhebung im Original.

45 Vgl. ebd., 229.

46 Schulze, Reiner, Vom Ius commune bis zum Gemeinschaftsrecht – das Forschungsfeld der Europäischen Rechtsgeschichte, in: ders. (Hrsg.), Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 3), Berlin 1991, 3-36, 12.

47 In den mittelalterlichen Universitäten des deutschsprachigen Raumes nahm das kanonische Recht bis zur Reformation innerhalb der juristischen Studien die erste Stelle ein, obwohl seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch die Pflege des römischen Rechts einen festen Platz erhielt.

48 Vgl. Berman, Harold Joseph, Recht und Revolution. Die Bildung der westlichen Rechtstradition, übersetzt von Hermann Vetter, Frankfurt am Main 2 1991 bzw. als Taschenbuch 1995 (stw 1203). Originalausgabe: Law and Revolution. The Formation of the Western Legal Tradition, Harvard College 1983. Die Resultate dieser englischsprachigen Arbeit werden auch von deutschen Forschern bestätigt, wenn auch einige Vorbehalte genannt werden, vgl. Besprechung der englischen Originalausgabe durch Landau, Peter, Law and Revolution by Harold J. Berman, review by Peter Landau, in: The University of Chicago Law Review 51 (1984), 937-943.

49 Vgl. Berman, Recht (Anm. 48), 19f.

50 Ebd., 356. Vgl. den Einfluss des kanonischen Rechts auf das Privatrecht: Landau, Peter, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze aus den Jahren 1967 bis 2006 mit Addenda des Autors und Register versehen, Badenweiler 2013; Pirson, Dietrich, Wechselwirkungen zwischen staatlicher und kirchlicher Verfassung, in: Brenner, Michael u. a. (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel (FS Badura), Tübingen 2004, 763-779.

51 Wikipedia, Magna Carta, siehe online: https://de.wikipedia.org/wiki/Magna_Carta, Zugriff am 21.04.2016; vgl. auch Bloch, Tamara, Die Stellungnahmen der römisch-katholischen Amtskirche zur Frage der Menschenrechte seit 1215. Eine historische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Gewährleistungen im CIC/1983 (Schriften zum Staatskirchenrecht 41), Frankfurt am Main 2008.

52 „Die rebellischen Kolonisten zitierten die Magna Carta gegen das britische Parlament wie die Parlamentsanhänger gegen den König zu Beginn des englischen Bürgerkriegs im 17. Jahrhundert und lehnten die Stempelsteuer als Verstoss gegen die Magna Carta ab. Massachusetts gab sich 1775 ein Siegel, in dem ein Siedler in einer Hand ein Schwert, in der anderen die Magna Carta hält. Cokes Schriften zur Magna Carta beeinflussten schließlich die Gründer der USA, vor allem Thomas Jefferson und James Madison und durch sie die Verfassung der Vereinigten Staaten. Vor allem der Artikel 5 der amerikanischen Bill of Rights ist von der Magna Carta beeinflusst.“ Wikipedia, Magna Carta (Anm. 51).

53 Ebd.

54 Als ein Wiener jüdischer Rechtsanwalt 1938 zur Emigration gezwungen wurde, gründete er in London eine Anwaltskanzlei. Seinen beruflichen Erfolg erklärte er folgendermassen: Als jüdischer Student musste er in der Wiener Rechtswissenschaftlichen Fakultät das Pflichtfach Kirchenrecht belegen. „Nach der Emigration habe sich gerade dieser Umstand als gute Investition erwiesen, denn dieses Studium habe ihm den raschen und problemlosen Zugang zum englischen Recht wesentlich erleichtert.“ Pototschnig, Franz, Überlegungen zur Neubewertung der Kanonistik im Kontext der europäischen Rechtsgeschichte durch die neueste Forschung, in: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 41 (1992), 29-40, 35.

55 Vgl. ebd., 38.

56 Das 4. Laterankonzil (1215) verbot Priestern die Teilnahme an Gottesurteilen. Dieses Gesetz bereitete den Gottesurteilen in der westlichen Christenheit ein Ende und zwang die weltlichen Gewalten im Strafprozess neue Verfahren einzuführen.

57 Ein Einbruch wurde im englischen Königsgericht mit der Todesstrafe geahndet. Im kirchlichen Gericht hingegen wurde die Tat zu einem leichteren Vergehen, wenn die Tat etwa aus Not geschah, wenn der Täter das Gestohlene freiwillig zurückgab und sich selbst stellte.

58 Landau, Peter, Pacta sunt servanda. Zu den kanonistischen Grundlagen der Privatautonomie, in: Ascheri, Mario u. a. (Hrsg.), „Ins Wasser geworfen und Ozeane durchquert“ (FS Nörr), Köln 2003, 457-474, 474, Hervorhebung im Original.

59 Vgl. z. B. die Schriftenreihe des Gesprächskreises des Deutschen Staatsrechtslehrer: Dreier, Horst, Säkularisierung und Sakralität. Zum Selbstverständnis der modernen Verfassungsstaates, mit Kommentaren von Christian Hillgruber und Uwe Volkmann (Fundamenta juris publici 2 [Gesprächskreis ‚Grundlagen des öffentlichen Rechts‘ der Deutschen Staatsrechtslehrer]), Tübingen 2013.

60 Der Autor dieses Beitrags war als Vertreter der Universität Luzern bei den Verhandlungen der hier kommentierten Vereinbarung beteiligt. Er vertritt in diesem Beitrag seine persönliche Ansicht.

61 Diese Vereinbarung ist abgedruckt: Schweizer Jahrbuch für Kirchenrecht (SJKR) 2007, 333-336.

62 Ebd., 334. „Unklar ist wie weit Professorinnen und Professoren durch das Arbeitsverhältnis auf das allgemeine und das partikulare kirchliche Recht verpflichtet werden. Professorinnen und Professoren an der Theologischen Fakultät ist bekannt, dass das ‚nihil obstat‘ eine Grundlage des Arbeitsverhältnisses darstellt. Im Anstellungsvertrag wird jedoch praxisgemäss nicht auf kirchliches Recht verwiesen.“ So der Kommentar zur Vereinbarung von Sprecher, Jörg, Die Vereinbarung zwischen dem Bischof von Basel, der Universität Luzern und dem Kanton Luzern betreffend die Theologische Fakultät der Universität Luzern vom 8. November 2005, in: SJKR 2008, 87-99, 92.

63 Ausführlich vgl. Textdokumentation: „Röschenz“ – Dokumente zum Streit um den Entzug der missio canonica eines Pfarradministrators, in: SJKR 2007, 251-332. Vgl. Hafner, Felix / Brosi, Urs, Bischöfliche Personalentscheide und landeskirchliches Recht. Gutachten, in: Römisch-katholische Landeskirche des Kantons Basel-Landschaft (Hrsg.), Das Verhältnis der Römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Basel-Landschaft zu ihren Kirchgemeinden, wenn Seelsorgenden die missio canonica entzogen wird, Basel 2007. Vgl. zu diesem Arbeitskonflikt: Gerosa, Libero / Müller, Gerhard (Hrsg.), Der Fall Röschenz im Kanton Basellandschaft: Katholische Kirche und Staat in der Schweiz (Kirchenrechtliche Bibliothek 14), Wien / Zürich 2010, 200-216: Brosi, Urs, Fallstudie „Röschenz“ (200-208); Cattaneo, Arturo, Lehren aus dem „Fall Röschenz“ (209-216).

64 Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 05.09.2007, in: SJKR 2007, 255-312, 255-256.

65 Hollerbach, Alexander, Die rechtliche Stellung der theologischen Fakultäten in der Bundesrepublik Deutschland, in: Loretan, Adrian (Hrsg.), Theologische Fakultäten an europäischen Universitäten. Rechtliche Situation und theologische Perspektiven (Theologie Ost – West 1), Münster 2004, 67-82, 75-76.

66 Vgl. § 65 Abs. 2 Personalgesetz. Das Universitätspersonal untersteht dem kantonalen Personalrecht (vgl. § 24 Abs. 2 Universitätsgesetz).

67 Sprecher, Vereinbarung (Anm. 62), 94.

68 Ebd., 95.

69 Vgl. z. B. Verwaltungsgericht Luzern, 28.05.2003, LGVE 2003 II Nr. 1, Erw. 9.

70 Sprecher, Vereinbarung (Anm. 62), 96.

71 Vereinbarung Ziff. 4 Abs. 3, in: SJKR 2007 (Anm. 61), 335.

72 Sprecher, Vereinbarung (Anm. 62), 97.

73 Vgl. Loretan, Adrian, Die katholisch Theologischen Fakultäten im Spannungsfeld von Wissenschaftsfreiheit und Religionsfreiheit, in: ders. (Hrsg.), Theologische Fakultäten an europäischen Universitäten (Anm. 65), 55-65.

74 Vgl. Loretan, Adrian, Kirche und Staat in der Schweiz, in: 3 HdbkathKR (Anm. 36), 1888-1913, bes. 1892-1893.

75 Dies Land ist masslos und ist sanft, bedroht und doch gerettet. Mit Leidenschaft dem Himmel hingegeben, von ihm inspiriert, erregt es seinen Wind und zieht durch ihn die erste Nachricht an von einem neu erscheinenden Licht jenseits des Gebirges:“ Rilke, Rainer Maria, Les Quatrains Valaisans. Die Walliser Gedichte, Cadolzburg 2002, 69 (Ins Deutsche übertragen von Yvonne Goetzfried).

76 Vgl. Mattioli, Aram / Ries, Markus, „Eine höhere Bildung thut in unserem Vaterlande Noth“. Steinige Wege vom Jesuitenkollegium zur Hochschule Luzern (Clio Lucernensis 7), Zürich 2000.

77 Vgl. 8. Dekret der Kongregation für das katholische Unterrichtswesen vom 25. Dezember 1973 zur Errichtung der Theologischen Fakultät in Luzern / Schweiz, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 143 (1974), 137-139.

78 Diese Vereinbarung ist kein völkerrechtliches Konkordat mit dem Heiligen Stuhl, da dieser an den Verhandlungen nicht vertreten war, sondern ein dreiseitiger Vertrag des Bischofs als Großkanzler der Fakultät („Magnus cancellarius“) mit Universität Luzern und Kanton Luzern.

79 Verhandlungdelegierte: Alois Reinhard für den Bischof von Basel, Adrian Loretan für die Universität und Jörg Sprecher für den Kanton. Siehe auch die damals erschienene, thematisch einschlägige Publikation: Loretan (Hrsg.), Theologische Fakultäten an europäischen Universitäten (Anm. 65). Redaktionsbericht, Vereinbarung betreffend die Theologische Fakultät der Universität Luzern vom 8. November 2005, in: SJKR 2007, 190f., 190 Anm. 2.

80 Redaktionsbericht (Anm. 79), 190f.

81 Fribourg ist keine katholische Universität im Sinn des CIC/1983.

82 Kantonale Gesetzessammlung FR Nr. 430.32, siehe online: http://bdlf.fr.ch/frontend/versions/798, Zugriff am 20.12.2016.

83 Der Berner Vortrag des Dominikaners und Ordinarius für theologische Ethik, Stefan Pfürtner, über Fragen der Sexualmoral wurde als von der Lehre der Kirche abweichend beurteilt.

84 Vgl. Wildhaber, Luzius, Professor Pfürtner und die Lehrfreiheit, in: Zeitschrift für schweizerisches Recht 91 (1972) I, 395-416.

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