Klassische Reitkunst mit Anja Beran - Anja Beran - E-Book

Klassische Reitkunst mit Anja Beran E-Book

Anja Beran

4,0

Beschreibung

Jeder Reiter möchte sein Pferd bestmöglich reiten. Aber wie macht man das konkret? Dieses Buch hilft dem interessierten Reiter zu verstehen, warum und vor allem wie man ein Pferd klassisch ausbildet. Die Autorin erörtert die Lektionen und beschreibt, wie sie erarbeitet werden. Im Anschluss erklärt sie, welche Probleme auftreten können und was dann zu tun ist. Die klassische Dressur ist die Basis aller anderen Reitdisziplinen. Sie dient allein dazu, das Pferd gesund zu erhalten, es zu stärken und zu einer schönen, ausdrucksvollen Persönlichkeit reifen zu lassen.

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klassische REITKUNST

MIT ANJA BERAN

Eine Anleitung für verantwortungsvolles Reiten

Copyright © 2013 by Cadmos Verlag, Schwarzenbek

Gestaltung und Satz: R2, Nicola van Ravenstein, Verden

Coverfoto: Maresa Mader

Fotos im Innenteil: Maresa Mader

Illustrationen: Renate Blank

Grafiken: Günter Veichtlbauer

Lektorat: Alessandra Kreibaum

 

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmH

 

Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.

 

ISBN: 978-3-8404-1026-0

 

Autor und Verlag weisen darauf hin, dass die in diesem Buch beschriebenen Trainingsmethoden keine Alternative zu professionellem Reitunterricht darstellen. Autor und Verlag lehnen jegliche Schadensersatzforderungen ab, die auf Unfällen, Verletzungen oder sonstigen Schäden gründen, die im Zusammenhang mit einem der in diesem Buch beschriebenen Trainingsvorschläge entstanden sind. Es wird für Ungenauigkeiten oder eventuelle Fehler keine Haftung übernommen.

 

www.cadmos.de

Die Autorin mit dem Lipizzanerhengst „Favory Toscana“.

VORWORT – WARUM EIN WEITERES BUCH?

VorwortWARUM EIN WEITERES BUCH?

Mit jedem Jahr in meinem Beruf als Ausbilderin wächst auch die Begeisterung über die Arbeit mit den Pferden. Immer wieder neue Pferde und Herausforderungen bringen neue Erfahrungen und verblüffende Erkenntnisse, die mich motivieren, stets weiterzulernen, zu beobachten und an mir zu arbeiten. An diesen Erfahrungen möchte ich Sie gern teilhaben lassen!

Vor allem ist es die Erkenntnis, dass die klassische Dressur für jedes Problem eine Lösung bietet. Immer wenn die Ausbildung eines Pferdes in eine Sackgasse geführt hat und andere sogenannte „Methoden“ versagt haben, ist es an der Zeit, sich zu besinnen und in der klassischen Dressur nach Lösungen zu forschen.

Diese Suche nach Lösungen unterliegt heutzutage einer gewissen Dramatik. Denn die Zahl der qualifizierten Ausbilder ist erschreckend klein. Die pferdegerechte Ausbildung wurde in den letzten Jahrzehnten vielerorts ein Opfer des Kommerzes und der Eitelkeit der Reiter.

Auch wenn einige wenige sich inzwischen besinnen und versuchen, „klassisch“ auszubilden, stellt sich die Frage, wo sie es erfühlt und gelernt haben. Denn wie schon Kurt Albrecht (1920–2005) vor vielen Jahren bemerkte, auf dem Turnierplatz sucht man die klassische Reitkunst vergebens: „Der Dressurszene muss bewusst werden, dass das, was auf den Wettkampfplätzen geschieht, weit von den Idealen klassischer Reitkunst abweicht. Sowohl Richter als auch Reiter müssen lernen, dass Dressurreiten schöne, zufriedene Pferde bedeutet und dass es nur einen Weg dorthin gibt: eine korrekte und langsame Ausbildung nach den von großen klassischen Meistern festgelegten Methoden“ (Loch, Sylvia: Reitkunst im Wandel. Franckh-Kosmos Verlag 1995, Seite 171).

Sehr viel altes Wissen ist inzwischen verloren gegangen. Viele sinnvolle, pferdegerechte Übungen sind aus dem reiterlichen Alltag verschwunden. Aus der Unkenntnis erwächst Hilflosigkeit, und diese führt zu demütigenden Methoden für die Pferde. Wer nicht mehr weiß, wie man Pferde beispielsweise an die Piaffe oder Passage heranführt, der wird mit dem Druck des Erfolgs im Nacken zu Instrumenten greifen, die die klassische Dressur nicht nötig hat, und degradiert die Ausbildung damit zur Pudeldressur. Hat das erste so „dressierte“ Pferd sportliche Erfolge, wird diese Herangehensweise zur Methode und die Nachahmer stehen bereit. Im Lauf der Zeit wird der Abstand zur wahren Reitkunst erschreckend groß, korrekte Bilder verblassen, jahrhundertealtes Wissen wird begraben – die klassische Reitkunst stirbt aus!

Es bleibt uns also nur die Möglichkeit, viele alte Bücher zu lesen und zu praktizieren. Eventuell ist uns das Glück hold und wir stoßen auf einen der letzten Ausbilder, der sich bemüht, nach klassischen Grundsätzen zu arbeiten.

Klassisch bedeutet, sich nach der Natur des Pferdes zu richten: Nichts wird verlangt, was wider die Natur ist oder was die Gefahr birgt, Grundgangarten oder Psyche des Pferdes zu zerstören. Damit ist auch festgelegt, dass die klassische Ausbildung die Basis für jegliche Disziplin im Reitsport ist. Egal, ob ich Springen, Dressur oder Western reite, die Natur des Pferdes muss immer berücksichtigt werden.

Ich möchte das mit einem Beispiel aus meiner Praxis verdeutlichen. Im Frühjahr 2011 hielt ich einen Lehrgang in Dubai. Ein Teilnehmer ritt eine Württemberger Stute, mit der er gern auf Turnieren springen wollte. Kurz vor mir war ein international erfolgreicher Trainer in Dubai, der selbst schon an olympischen Spielen teilgenommen hatte, unterrichtete diesen Reiter und ritt auch dessen Pferd. Das Ergebnis war, dass das Tier nach drei Tagen offene Maulwinkel und der Reiter die Hände voller Blasen hatte. Die Stute ging stark gegen die Hand und die Kommunikation zwischen Pferd und Reiter war sehr angespannt.

Eigentlich hatte dieser Reiter wenig Lust auf einen weiteren Lehrgang. Doch seine Stallkollegen haben ihn überredet, bei mir mitzureiten. So traf ich auf ein leidlich unmotiviertes Pferd und auf einen sehr misstrauischen Reiter. Nach kurzer Beobachtung waren mir Verspannungen und Schiefe dieser sehr gut veranlagten, sensiblen Stute klar ersichtlich und auch die Defizite ihres Reiters. Nun galt es, die richtigen gymnastischen Übungen zu finden, die helfen konnten, die Stute zu entspannen und den Reiter zu einer anderen Hilfengebung zu führen. Nach kürzester Zeit in ausgewählten Seitengängen im passenden Tempo im Schritt und dann im Trab, fing die Stute an, den Hals fallen zu lassen, zu kauen und ihren Rücken zu benutzen. Der Reiter konnte deshalb besser sitzen und wurde zusehends weicher in der Hand, weil er anfing zu erfühlen. Kurzum, nach drei Tagen hatten sich Ausdruck und Rittigkeit der Stute und die Hilfengebung des Reiters so stark verändert, dass man von einem harmonischen Gesamtbild sprechen konnte. Dieser Reiter war so überrascht und begeistert, wie fein er seine Stute nun reiten konnte, dass er mich zwei Monate später in Deutschland auf Gut Rosenhof besucht hat, um mehr über die klassische Dressur zu erfahren. Dabei erzählte er mir, dass er nach meiner Abreise an einem Springturnier teilgenommen hat und auf Anhieb den zweiten Platz erreicht hat, was ihm noch nie zuvor gelungen war.

Dieses Beispiel hat mir einmal mehr gezeigt, was die klassische Dressur zu leisten vermag. Selbst Reiter, die ihr mit großer Skepsis begegnen, können überzeugt werden − wenn sie nur den Mut aufbringen, es zu versuchen. Dabei spielt es keine Rolle, was sie nachher mit ihrem Pferd erreichen möchten beziehungsweise in welcher Disziplin sie starten wollen.

In diesem Buch möchte ich Sie an weiteren Erfahrungen, die ich in den letzten Jahren sammeln durfte, teilhaben lassen. Vor allem möchte ich versuchen zu erklären, wie ich an Pferde, die mir anvertraut werden, herangehe, um sie möglichst effektiv gymnastizieren und ins Gleichgewicht bringen zu können. Denn das Gleichgewicht ist der Schlüssel, um das Pferd in Leichtigkeit und Harmonie reiten zu können und es lange Jahre gesund und leistungsfähig zu erhalten!

Meine regelmäßige Verwunderung darüber, auf welch steifen und stumpfen Pferden viele Reiter ihre Freizeit verbringen, ist eine weitere Triebfeder zu diesem Buch. Viele Pferde werden nicht aus Überforderung, sondern aus Unkenntnis ihrer Besitzer verschlissen, und das müsste nicht sein. Hätten diese Reiter jemals erfühlt, was es heißt, auf einem sehr gut ausgebildeten „Schulpferd“ (so nannte man früher ein Pferd, das bis zur Hohen Schule ausgebildet war) zu sitzen, würden sie stets nach diesem Genuss und nach dieser Harmonie streben. Aber leider ist die Anzahl der gut gerittenen Pferde erschreckend klein.

Mit diesem Buch möchte ich helfen, Ihnen einen besseren Weg für die Ausbildung Ihres Pferdes zu weisen. Dieser Weg verbessert das körperliche Befinden Ihres Pferdes und motiviert es, Ihnen immer mehr zu gefallen. Für Sie selbst ist es ein Weg des Fühlens, Reflektierens und Verstehens, der Sie schließlich zu glücklichen Momenten in großer Harmonie mit Ihrem Pferd führen wird. Denn das tägliche Reiten sollte für beide Beteiligten Genuss und Freude sein − probieren Sie es!

INTERESSANTE FÄLLE AUS MEINEM REITERLICHEN ALLTAG

INTERESSANTE FÄLLE AUS MEINEM REITERLICHEN ALLTAG

Im folgenden Abschnitt möchte ich Ihnen einige Pferde vorstellen, die von der klassischen Dressur extrem profitiert haben. Die Dressur hat vorrangig die Aufgabe, das Pferd gesund zu erhalten, indem sie es ins Gleichgewicht bringt und seinen Rücken stärkt. Die einzelnen Lektionen erwachsen aus der Gymnastizierung und sind weitere Bausteine, um das Pferd mobil zu machen und seine Muskulatur aufzubauen. Je besser und feiner die Gymnastizierung dosiert wird, umso leichter und harmonischer wird auch die Verständigung zwischen Reiter und Pferd werden, bis hin zur unsichtbaren Hilfengebung. In extremen Fällen dient die klassische Ausbildung nicht nur der Gesunderhaltung des Pferdes, manchmal ist sie sogar als „Krankengymnastik“ einzustufen und hilft dem Pferd, gesund zu werden! Die verschiedenen Werdegänge einiger solcher Pferde möchte ich in Kurzfassungen beschreiben. Den gesamten Weg dieser Pferde wiederzugeben, würde ein ganzes Buch füllen.

 

Friesenhengst „Gawain“

Friesenhengst „Gawain“

Gawain kam zu uns in den Ausbildungsstall, nachdem er eine ganze Odyssee an Untersuchungen und Klinikaufenthalten hinter sich hatte. Sein Becken wies einen Schiefstand von über zwölf Zentimetern auf und jeder Tierarzt hatte eine andere Ursache für das ungerade Becken herausgefunden. Tatsache war, dass Gawain das rechte Hinterbein nur ganz wenig und nur schleifend nach vorn bewegen und nicht nach oben anheben konnte. Er ging hochgradig lahm im Schritt. An Trab oder gar Galopp war nicht zu denken. Daher rieten alle Tierärzte dem Besitzer zum Einschläfern des Pferdes. Denn selbst auf einer „Gnadenbrotweide“ konnte Gawain kein pferdegerechtes Leben mehr führen, da er sich kaum noch fortbewegen konnte.

Völlig verzweifelt und noch nicht bereit, das Pferd aufzugeben, kam der Besitzer zu uns. Wir versprachen, es mit Gawain zu versuchen − es gab ja nichts zu verlieren. Sein Zustand war schlimmer, als ich es mir laut den Berichten vorgestellt hatte. Dennoch, ich wollte es probieren. Zumal der Hengst keinen Gesichtsausdruck eines lebensmüden oder apathischen Tieres besaß, im Gegenteil, Gawain schien immer interessiert und gut gelaunt.

Mein Plan sah vor, dass ich mithilfe der Seitengänge versuchen wollte, das schleppende Hinterbein zu motivieren. Die Gymnastik begann daher jeden Morgen mit dem Übertreten an der Hand von rechts nach links, auf einer Volte. Das rechte Hinterbein sollte aktiviert und mobilisiert werden. Dafür habe ich es immer wieder antouchiert, und Gawain bemühte sich sehr, es ein wenig anzuheben und zur Seite zu bewegen. Zuerst habe ich ihn nur am Kappzaum geführt, später an der Trense, um ihn außen besser einzurahmen. Die Übung habe ich am Anfang nie länger als zehn Minuten verlangt, natürlich mit vielen Pausen im Halten. Danach habe ich Gawain wieder in die Box gebracht und das Ganze mehrmals täglich wiederholt. Direkt angrenzend an seine Box befand sich ein kleiner Paddock, zu dem er jederzeit Zugang hatte. So konnte er sich selbst auf Wunsch ein wenig Bewegung verschaffen.

Nach ein paar Wochen wurde durch diese Gymnastik im Übertreten auch der Schritt geradeaus, von der Box zur Halle und wieder zurück, besser und gleichmäßiger. Nach drei Monaten stand das Becken gerade. Ich rief sofort den Tierarzt an. Doch als er nach dreißig Minuten eintraf, hing das Becken wieder schief. Für mich war es allerdings eine Offenbarung. Zeigte es doch, dass es möglich war, das Becken geradezurichten! Es bedurfte scheinbar noch mehr Zeit, Geduld, Gymnastik und Muskelaufbau, um es gerade zu halten.

Nach fast einem Jahr, in dem wir bereits sämtliche Seitengänge im Schritt und Trab unter dem Sattel erarbeitet und immer mehr das rechte Hinterbein aktiviert hatten, konnten wir auch galoppieren. Die Lahmheit war allmählich ganz verschwunden − das Becken war nur noch minimal schief!

Inzwischen geht Gawain eine sehr schöne Piaffe, er passagiert, kann den Spanischen Schritt und galoppiert sehr schön, auch Außengalopp und fliegende Wechsel sind kein Problem. Sein Besitzer unternimmt jedes Wochenende ausgedehnte Ausritte mit ihm. Gawain ist vollkommen lahmfrei, sehr gehfreudig und freut sich nun bereits seit fünf Jahren an einem beschwerdefreien Leben.

 

„Gawain“ im Spanischen Schritt unter Anna Jantscher.

 

In diesem Fall hat die klassische Dressur ein Pferdeleben gerettet und war weit mehr als nur Gymnastik fürs Pferd: Sie war in diesem Fall Krankengymnastik!

Für mich war diese Geschichte ein Mirakel und hat mich motiviert weiterzumachen, vor allem auch mit Pferden, die fast aufgegeben wurden. Da dieses Erlebnis inzwischen kein Einzelfall mehr ist, weiß ich, welch verblüffende Erfolge die klassische Dressur erzielen kann.

Westfalenwallach „Flamingo“

Flamingo wechselte zum Schlachtpreis den Besitzer und traf bei uns im Stall mit der Diagnose „unreitbar“ ein. Als dreijähriges Pferd hat er in Warendorf das Championat der Nachwuchspferde gewonnen und man prognostizierte ihm eine große Zukunft. Die nachfolgende Ausbildung überforderte ihn. Sie verlief zu rasch und unter dem Einsatz von Schlaufzügeln – Flamingo streikte. Er kam auf die Koppel zur psychischen Rehabilitation. Dort ereignete sich ein Unfall: Ein anderes Pferd trat ihm gegen das Sprunggelenk, eine aufwendige Operation sollte das Gelenk retten, aber das Ergebnis war nicht befriedigend. Die aktuellen Röntgenbilder belegen das und jede weitere Hoffnung war zerstört. Dennoch wollten wir es versuchen! Als Flamingo zu uns kam, war er extrem mürrisch und nervös. Mit Menschen wollte er am liebsten nichts zu tun haben. Bewegen konnte er sich nur sehr verspannt. Seine Mobilität, vor allem auch im Halsbereich, war stark eingeschränkt. Lahm ging er nicht, hatte aber immer wieder Passsequenzen im Schritt.

Wir versuchten ihn, wie eine Remonte, zunächst an der Longe, wieder mit dem Reiter vertraut zu machen. Dabei war er nur mit Trense gezäumt, ohne Hilfszügel, aber mit einem Kappzaum, an dem die Longe befestigt war − damit wir ihn ja nicht im Maul störten. Mit der so gegebenen Freiheit von Hals und Kopf wusste Flamingo zunächst nichts anzufangen und schlug permanent kräftig mit dem Hals nach oben. Außerdem versuchte er dauernd zu sperren oder das Gebiss auszuspucken, da wir ihm natürlich auch im Maul, beziehungsweise im Kieferbereich, jede Freiheit ließen und ihn nicht mit einem eng zugezurrten schwedischen Reithalfter einschränkten.

Kleinste Umwelteinflüsse und Geräusche quittierte er mit erschreckten Sätzen und oftmals mit gewaltigen Bocksprüngen. Am Ende jeder Longeneinheit versuchten wir, ein Reiter und ich zu Fuß, das Übertreten auf einer Volte. Das gelang linksherum von Anfang an recht gut, aber rechts war Flamingo sehr steif und beantwortete unsere Anfragen mit Ausschlagen, Steigen oder Drängeln gegen uns. Hatte er einen oder zwei Schritte von rechts nach links absolviert, lobten wir ihn überschwänglich und gewannen so allmählich sein Vertrauen und weckten seine Motivation.

Nachdem wir Flamingo nach etlichen Monaten auf Trense im Schritt und Trab gut mobilisiert hatten und auch sicher angaloppieren und durchparieren konnten, stellten wir ihn um auf Kandare und Unterlegtrense. Das hatte den für uns überraschenden Vorteil, dass Flamingo auf den beiden, für ihn unbekannten, Gebissen anfing zu kauen und leichter in der Hand wurde. Auf bloße Trense hatte er gelernt, sich festzubeißen und sich darauf zu stützen. Das gehörte nun der Vergangenheit an. Allmählich fingen wir an, ihn zu piaffieren, um seinen Rücken zu kräftigen und ihn mehr ins Gleichgewicht zu bringen, sprich seine Vorhand zu entlasten. Mithilfe der Gymnastizierung in den Seitengängen, der Piaffe und der Galopparbeit wurde Flamingo stets geschmeidiger, kräftiger, aber auch zufriedener und vertraute seiner Reiterin immer mehr.

Inzwischen sind sechs Jahre ins Land gegangen und der einst verdorbene Wallach ist zu einem ausdrucksvollen und motivierten Reitpferd geworden. Er ist in bester körperlicher Verfassung, kräftig und gut bemuskelt. Flamingo piaffiert und passagiert inzwischen sehr gut und macht sogar Traversalen in der Passage. Fliegende Galoppwechsel, auch in Serie, Pirouetten, Spanischer Schritt und auch der Spanische Trab gehören zu seinem Repertoire. Das alles absolviert er unter seiner ständigen Reiterin Vera Munderloh, die ihn mit feiner Hilfengebung führt.

 

„Flamingo“ mit seiner ständigen Reiterin Vera Munderloh.

 

Selbstverständlich ist es unvermeidbar, dass ein solches Pferd immer wieder einmal in Stresssituationen gerät und alte Erinnerungen aufkeimen. Doch gerade dann, wenn Flamingo nervös wird, muss seine Reiterin extrem ruhig bleiben. Sie muss Gelassenheit ausstrahlen und geduldig auf das Pferd einwirken, bis es sich wieder beruhigt hat. Jede Hektik, Erzürnung oder ungerechte Behandlung in so einem Moment würde ein solches Pferd wieder für Monate in der Ausbildung zurückwerfen! Niemals darf das Vertrauen, das Flamingo uns jetzt entgegenbringt, noch einmal zerstört werden! Wer als Reiter diese Selbstbeherrschung und Geduld nicht aufbringt, sollte es unbedingt vermeiden, sich mit schwierigen Korrekturpferden einzulassen. Lahm war Flamingo übrigens in all den Jahren nicht ein einziges Mal. Ein sogar für Tierärzte unerklärliches Phänomen, da sein Sprunggelenk einen extrem schlechten Befund hat.

In diesem speziellen Fall hat die klassische Dressur nicht nur dem Pferd körperlich geholfen, sondern auch aus einem mürrischen Nervenbündel wieder ein zufriedenes, motiviertes Reitpferd gemacht.

P.R.E.-Hengst „Ramon“

Ramon ist zu uns in den Ausbildungsstall gekommen, weil er am linken Vorderbein immer wieder Probleme hatte. Er konnte nie länger als drei Monate geritten werden, ohne dass er anfing zu lahmen. So kam er dann auch zu uns und musste noch sechs Wochen Schritt geführt werden, bevor wir langsam anfangen durften, mit ihm zu arbeiten. Die Diagnose reichte von Sehnenproblemen vorn links bis hin zum Karpaltunnelsyndrom.

Als Erstes fiel uns auf, dass Ramon nicht Schritt, sondern Pass ging, sogar beim Führen. Seinen Rücken benutzte er gar nicht und hielt ihn fest. Er war außerdem sehr empfindlich und schlecht bemuskelt. Schon beim Führen war erkennbar, dass er den Hals und Kopf schlecht nach links drehen konnte. Ramon lief permanent leicht rechts gebogen und hatte deshalb vermehrt Gewicht auf dem linken Vorderbein ruhen. Seine Bewegungen waren vor allem im Trab und Galopp sehr laut und aufwendig.

 

Unsere Aufgabe bestand darin, zuerst Ramons Rücken zu entspannen und dann zu stärken. Dadurch würde es gelingen, den Schritt wiederherzustellen. Aber auch das Geraderichten war ein ganz wichtiges Anliegen, um Gewicht vom linken Vorderbein zu nehmen und es möglichst bald deutlich zu entlasten. Nur so konnten wir ausschließen, dass Ramon in Kürze wieder lahm gehen würde. Das Gleichgewicht konnten wir nur über vermehrte Beweglichkeit im gesamten Pferdekörper, vor allem auch im Hals und in der Ganasche, wiedergewinnen.

Die Gymnastizierung und das Geraderichten erfolgten wie immer über die Seitengänge. Zunächst haben wir uns darauf konzentriert, die seitliche Arbeit in den Vordergrund zu stellen, welche die linke Seite von Ramon entlasten würde: beispielsweise Schenkelweichen von links nach rechts, Schulterherein links, Konterschulterherein von links nach rechts, Travers links und Renvers links. Ramon fing recht bald an, seinen Rücken zu benutzen. Er begann zu kauen und seine Gelenke wurden biegsamer. Immer mehr kamen seine Muskeln zum Einsatz. Dadurch konnte er sanfter und leiser auftreten, was zu einer Schonung seiner Sehnen und Gelenke führte. Die gestiegene Mobilität half ihm, auf beiden Händen geschmeidiger zu werden, und wir konnten so das linke Vorderbein immer besser entlasten und Ramon dazu bringen, sein Körpergewicht besser auf die vier Beine zu verteilen.

Seit über zwei Jahren ist Ramon nun bei uns und ist trotz täglicher intensiver Arbeit, inklusive Piaffe, Passage und viel Galopparbeit, nie mehr vorne links lahm gegangen.

Ein weiterer Beweis dafür, dass klassische Dressur gesund für das Pferd ist und dem Pferd dient. Die Dressur ist für das Pferd da und nicht andersherum.

Hannoveranerwallach „Mephisto“

Dieses Pferd hatte ein Problem, das durch schlechtes Reiten entstanden ist und dem diverse Ausbilder, aufgrund mangelnder Kenntnisse der klassischen Dressur, nicht entsprechend begegnen konnten. Mephisto ließ beim Reiten die Zunge weit nach rechts aus dem Maul heraushängen. Man hatte zwar versucht, mit dem schwedischen „Flaschenzug-Reithalfter“ sowie Pullriemen und speziellen Gebissen die vermeintliche Unart in den Griff zu bekommen, jedoch ohne Erfolg. Tierärzte und Pferdezahnärzte taten ihr Bestes, jedoch konnten sie keine medizinische Ursache für den Zungenfehler finden. Wie konnte ich nun an diese Problematik herangehen? Zunächst habe ich mir Mephisto vorreiten lassen, um meine Analyse machen zu können. Dabei fiel sofort auf, dass der Wallach anstelle von Schritt Pass ging. Er wurde stark beigezäumt, lief mit der Nase hinter der Senkrechten und atmete ungleich und verspannt. Der Rücken sah sehr steif aus und die Nierenpartie wirkte extrem festgehalten. Auf der rechten Hand ließ sich Mephisto nur sehr schwer stellen und biegen. Permanent ließ der Reiter den Wallach in zu hohem Tempo gehen und trieb ihn ununterbrochen schneller. So trieb er ihn am Ende aus seinem Gleichgewicht auf die Vorhand. Seine Zunge manövrierte Mephisto nach den ersten paar Metern geschickt durch sämtliche Verschnürungen aus dem Maul und ließ sie dann die ganze Reitstunde heraushängen.

Ich begann, Mephisto zu arbeiten: zunächst mit einer einfachen Wassertrense und einem sehr locker verschnallten englischen Reithalfter − zwei Finger hatten leicht zwischen Pferdenase und Sperrhalfter Platz. Er konnte deshalb mit seiner Zunge machen, was er wollte. Es war mir wichtig, dass ich ihm das Gefühl gab, dass er Maul und Zunge frei bewegen kann. Meine ersten Trainingsversuche bestanden im Übertreten um mich herum an der Hand. Dabei wollte ich Mephisto nur etwas stellen und ihn mit der Gerte veranlassen, auf einer kleinen Volte seitwärtszutreten. Dabei fiel mir sofort auf, wie steif der Wallach war. Er konnte sich weder stellen noch mit dem Hinterbein seitlich übertreten. Er war vollkommen blockiert. Auf meine Aufforderung, am inneren Zügel den Kopf ein wenig zu drehen, reagierte er gar nicht. Es war, als ob die Zügel an einem Betonklotz befestigt waren. Natürlich hat er nie auch nur ansatzweise versucht zu kauen, sondern hielt das Gebiss fest wie ein Hund sein Apportierholz. Ich versuchte weiter, diesen steifen, über 600 Kilo schweren Körper zu mobilisieren, und es gelang mir sehr mühsam und nur ganz allmählich, Mephisto ein wenig seitwärtszubewegen. Da die Muskulatur des Wallachs so verspannt und fest war, hatte ich leider auch keine feine Reaktion auf meine Touchierpeitsche, sondern Mephisto ließ die kurzen Berührungen einfach abprallen.

Es dauerte einige Wochen, bis er anfing, prompt und einigermaßen fein der Gerte auszuweichen. Nach einer täglichen kurzen Aufwärmphase im Übertreten an der Hand begann ich das Pferd zu reiten. Bereits nach wenigen Metern ließ Mephisto die Zunge heraushängen, was ich völlig ignorierte. Stattdessen versuchte ich mich auf die vielen anderen Problemzonen seines Körpers zu konzentrieren. Irgendwie musste ich es schaffen, ihn zu entspannen und zu mobilisieren. Das konnte nur über die Seitengänge funktionieren. Ich ritt deshalb Schenkelweichen zum Einstieg und dann Übertreten, Schulterherein und Travers im permanenten Wechsel, im ruhigen Schritt. Dadurch hatte er die Chance zu koordinieren, durchzuatmen und meine Hilfen zu verstehen. Aufgrund dieser Arbeit begann er allmählich, seine Muskulatur zu entspannen und schließlich zu benutzen. Er lernte auch, seine steifen Gelenke zu beugen.

Nach etlichen Wochen, die wir mit dieser Gymnastik verbracht haben, wurde Mephisto allmählich geschmeidiger, aus Pass wurde Schritt, und die Zunge ließ er nun hin und wieder im Maul. Ich fuhr mit den genannten Übungen fort, jetzt auch im ruhigen Trab, und baute dabei immer wieder viele Pausen am langen Zügel ein. So hatte er regelmäßig die Möglichkeit, sich zu strecken. Immer williger und feiner reagierte er nun auf das vorsichtige Zügelaufnehmen meinerseits, und auch am Schenkel ließ er sich immer weniger bitten und wurde zusehends fleißiger. Das anfängliche harte Gegenziehen mit dem Maul und Hals gegen die Reiterhand hörte auf, und Mephisto begann von ganz allein, seinen Hals zu wölben, sich aufzurichten − und er ließ sich stellen.

Nun war ich mir ganz sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. Denn mehr und mehr fühlte ich auch seinen Rücken. Als ich anfing, ihn zu reiten, fühlte es sich an, als ob ich in einer tiefen harten Kuhle sitzen würde. Dieses Gefühl war weg. Mir kam es vor, als ob ich höher sitzen würde, und ich fühlte geschmeidigere Bewegungen unter dem Sattel. Die Lockerung der Muskulatur, das Mobilisieren des Pferdes und die Stärkung seines Rückens waren der Schlüssel zum Maul! Jetzt musste ich es nur noch schaffen, dass Mephisto auf dem Gebiss kaute. Dann konnte er seine Zunge nicht mehr heraushängen. Sobald er den Unterkiefer lockerte, sich auf leichte Bewegung meiner Finger stellen ließ und kauen würde, wäre der Fall gelöst. Welche Übung ist die beste, um den Rücken des Pferdes zu kräftigen und das gesamte Pferd ins Gleichgewicht zu bringen? Bei welcher Lektion fangen die Pferde, sofern richtig ausgeführt, unweigerlich an, im Unterkiefer nachzugeben und zu kauen? Bei der Piaffe!

Aufgrund der guten gymnastischen Vorbereitung war es nun ein Leichtes, Mephisto anzupiaffieren. Und siehe da, bereits nach den ersten kleinen Tritten fing er an, friedlich zu kauen. Die Zunge war nicht mehr zu sehen. Ab jetzt war alles einfach: Seitengänge in allen Gangarten, Übergänge, Galopparbeit, Piaffe und sogar Passage − mit einem lockeren und fleißig kauenden Pferd.

Ein für mich heikler Moment war schließlich die Umstellung von Trense auf Kandare und Unterlegtrense. Wie würde Mephisto auf die ungewohnten Gebisse reagieren? Die Antwort war verblüffend: gar nicht! Er war fein zu reiten wie vorher auch und die Zunge blieb im Maul. Es ging ja schließlich um seinen Rücken, das Maul war nur ein Symptom, rief ich mir ins Gedächtnis. Bei der Umstellung von Trense auf Kandare muss man als gewissenhafter Ausbilder aber darauf achten, dass man nicht eines der modernen Zaummodelle kauft, mit dem sogenannten schwedischen Reithalfter, einem primitiven Flaschenzug, der so gar nicht zu feinen Reiterhänden und edlen Pferdeköpfen passt. Suchen Sie nach einem „altmodischen“ Kandarenzaum mit einem simplen Reithalfter, ohne Flaschenzug, und verschnallen Sie dieses entsprechend locker. So beugen Sie den Problemen vor, die viele Reiter später mithilfe des Flaschenzugs kaschieren möchten. Und vergessen Sie nie: Das Pferdemaul ist der Spiegel des Rückens und der Muskulatur des Pferdes.

Die „Korrektur“ von Mephisto ist nun drei Jahre her und seitdem ist seine Zunge im Maul geblieben.

Die Liste der Pferde ließe sich noch lange fortsetzen. Für mich ist es immer wieder ein Wunder, was die Dressur aus einem Pferd machen kann, und ich hoffe, dass die genannten Beispiele auch Sie erstaunen und eventuell motivieren, es mit der klassischen Dressur zu versuchen, falls Sie ein Problem mit Ihrem Pferd haben.

Natürlich erfordert die Korrektur eines Pferdes sehr viel Erfahrung und Gefühl. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, es würde genügen, ein paar Seitengänge „anzuwenden“. Wenn Sie die falschen auswählen und im falschen Tempo, bei falschem Sitz und falscher Zügellänge Ihr Pferd „krebsartig“ durchs Viereck reiten, wird das auch nach jahrelangem Üben keinen Erfolg bringen. Das Richtige im richtigen Moment zu tun – Gefühl gepaart mit Geduld und konsequenter Arbeit über Monate und Jahre – wird Ihrem Pferd Vertrauen, Stärke und Gleichgewicht schenken. Selbstverständlich gibt es auch Pferde, die so verdorben beziehungsweise traumatisiert sind, dass sie nie wieder ganz „normal“ werden, aber verbessern kann man fast alle.

DIE ANALYSE – EINE BEWÄHRTE VORGEHENSWEISE, UM ERFOLGREICH AUSBILDEN ZU KÖNNEN

DIE ANALYSE – EINE BEWÄHRTE VORGEHENSWEISE, UM ERFOLGREICH AUSBILDEN ZU KÖNNEN 

Wenn uns ein Pferd neu anvertraut wird, sollten wir nicht gleich „drauflosreiten“ oder gar ein festes Schema im Kopf haben, wie dieses Pferd zu gehen hat. Vielmehr sollten wir unser neues Gegenüber erst einmal genau beobachten und versuchen herauszufinden, mit wem wir es zu tun haben. Wo sind die Stärken dieses Pferdes und wo sind vor allem seine Schwächen? Welche Verspannungen und welche Asymmetrien hat es? Wie ist es ausbalanciert? Wie ist es um sein Interieur bestellt? Fragen über Fragen, deren Antworten uns als Wegweiser für die Ausbildung dienen.

 

Ausdrucksvoll ist der Kopf von Lusitanohengst „Super“.

 

Um erfolgreich ausbilden zu können, bedarf es einer akribischen Vorgehensweise. Zunächst möchte ich das Wort „erfolgreich“, wie es hier verstanden werden soll, definieren:

Mit „erfolgreich“ meine ich nicht das Gewinnen von Schleifen und Pokalen, sondern dass es uns gelingt, ein Pferd physisch und, falls nötig, psychisch ins Gleichgewicht zu bringen. Das Pferd sollte während der Ausbildung schöner, kräftiger und ausdrucksvoller werden. Die Beziehung zu seinem Ausbilder sollte von tiefer Zuneigung und großem Vertrauen geprägt sein. Der Erfolg der Dressur definiert sich fast ausschließlich über den Erhalt der Gesundheit und einer langjährigen, permanenten Leistungsfähigkeit des Pferdes.

Ein erfolgreicher Reiter ist aus meiner Sicht derjenige, der mit großer Sorgfalt und Liebe aus den ihm anvertrauten Pferden das Optimale herausholt − nicht derjenige, der permanent auf der Suche nach dem besten Pferd ist.

Von einem wahren Reiter wird jedes Pferd „ernst“ genommen und mit Respekt behandelt und nicht nur das Pferd, welches er für seine Zwecke als talentiert betrachtet. Denn ein guter Reiter wird in erster Linie durch die Arbeit mit vielen schwierigen Pferden ausgebildet und geformt, und zwar nicht nur hinsichtlich seiner technischen Fähigkeiten auf dem Pferd. Vor allem bedeutet eine solche Herangehensweise eine großartige Schule für den menschlichen Charakter. Traditionelle Werte wie Fleiß, Disziplin, Geduld, Demut und Selbstbeherrschung sind nur einige der Tugenden, zu denen uns Pferde und vor allem schwierige Pferde erziehen. Es formt also nicht nur der Reiter das Pferd, sondern auch umgekehrt! Das Pferd wirkt entscheidend auf die persönliche Entwicklung seines Reiters ein, sofern dieser das zulässt und diese Schule betreten möchte. Tut er das nicht, wird er immer ein Mensch bleiben, der Pferde benutzt und sie eventuell sogar verbraucht. Dennoch ist es möglich, dass er Siege erzielt. Niemals jedoch wird er in die hohen Weihen der klassischen Kunst des Reitens gelangen.

Um sich an die Ausbildung eines Pferdes heranzuwagen, muss man es zunächst genau beobachten, und zwar am besten in den verschiedensten Lebenslagen.

Diese „Istaufnahme“ ist wichtig, um eine genaue Analyse des Pferdes machen zu können. Das Ergebnis entspricht einer Diagnose, aus dieser wiederum erwächst schließlich die Therapie: Das ist ein individueller Ausbildungsplan mit entsprechender Gymnastik. Diese ermöglicht es uns, das jeweilige Pferd zu mobilisieren und ins Gleichgewicht zu bringen, um es schließlich bis zu den höchsten Lektionen fördern zu können. 

Der nächste Abschnitt dieses Buches soll der Analyse gewidmet sein. Wie kann ich herausfinden, welche Probleme mein Pferd hat und welche Übungen speziell für mein Pferd wichtig und gesund sind?

Das erste Kriterium, das mir Auskunft geben kann, ist die Pferderasse. Was für ein Pferd habe ich vor mir? Für welchen Verwendungszweck wurde es gezüchtet? Ich kann von einem Friesen zum Beispiel nicht erwarten, dass er so ausgiebig galoppieren kann wie ein Vollblüter oder so hoch springen kann wie ein Springpferd. Die Rasse des Pferdes gibt mir also bereits einen gewissen Rahmen vor, in dem ich mit dem Pferd arbeiten kann.

Bewegt man sich innerhalb einer Rasse, gibt es wiederum Zuchtlinien beziehungsweise Abstammungen, die dem Kenner helfen können, ein Pferd einzuschätzen. So gibt es bei den deutschen Warmblutpferden beispielsweise Abstammungen, die für talentierte Springpferde bürgen, während andere Linien für gangstarke, harmonische Sportdressurpferde stehen. 

Es ist auch wichtig, das Alter des Pferdes zu kennen, um es einschätzen zu können und um das Maß der Arbeit richtig einzuhalten. Ich kann zum Beispiel von einem drei- oder vierjährigen Pferd nicht erwarten, dass es genauso ausbalanciert ist wie ein achtjähriges Pferd, und ich darf es auch nicht so lange arbeiten wie ein erwachsenes Pferd.

Weiterhin hat das Geschlecht des Pferdes Einfluss auf seinen Körperbau, seinen Ausdruck und natürlich auch auf sein Gebaren.

Stuten sind oftmals etwas länger im Rumpf und manche sind während der Rosse gar nicht oder nur schlecht zu reiten. Das hat rein hormonelle Gründe und muss vom Ausbilder respektiert werden. Hengste sind meist kompakter vom Körperbau und die hohen Lektionen liegen ihnen meistens recht gut, sie sind ja schließlich vom Imponiergehabe des Hengstes abgeleitet. Allerdings neigen sie teilweise zu großer Aufmerksamkeit für Umwelteinflüsse oder auch zu Rivalitäten mit Artgenossen und brauchen daher einen Reiter, dem sie vertrauen, dem sie aber auch Respekt zollen. Wallache haben die körperlichen Vorzüge der Hengste; wenn man sie nicht zu früh kastriert, behalten sie oftmals noch den gewünschten maskulinen Ausdruck. Dafür fallen die manchmal negativen Begleiterscheinungen der Hengste wie Konzentrationsmängel oder Triebhaftigkeit weg. Wallache sind in der Regel ruhiger und ausgeglichener und deshalb auch besser auf den Reiter konzentriert. Ausnahmen bestätigen auch hier wie immer die Regel.

Die Feststellungen, die ich hier notiert habe, sind natürlich sehr allgemein gehalten, geben aber einen groben Überblick und können helfen, ein Pferd einzuschätzen. Selbstverständlich muss jedes Pferd individuell betrachtet und beurteilt werden, aber diese Kriterien sollte man im Hinterkopf behalten.

Beurteilung des Pferdes im Stehen

Wenn ich ein fremdes Pferd anvertraut bekomme, beurteile ich es zunächst im Stehen. Sein Futterzustand sollte gut sein, um effektiv mit ihm arbeiten zu können. Zu dünne Pferde sind heutzutage nur selten spärlich gefüttert, sondern haben oftmals gesundheitliche Mängel. Das können zum Beispiel Würmer oder Magenprobleme sein. Es kann aber auch sein, dass Pferde dünn sind, weil sie unter hoher Nervosität leiden. Dieser Stress kann vielerlei Ursachen haben und kann von Überforderung durch den Reiter bis hin zu einer falschen Haltung gehen. Auch an Zahnprobleme sollte man denken. Pferde, die schlecht und nur unter Schmerzen kauen können, werden ebenfalls dünn. Fragen zu Krankheiten und zur Fütterung sollen nicht Themen dieses Buches sein, damit könnte man zwei separate Bücher füllen. Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass ich als Ausbilder die Verpflichtung habe, nach der Ursache zu forschen, warum ein mir anvertrautes Pferd zu mager ist. Zur Klärung sollte auch immer der Rat eines Tierarztes eingeholt werden. Zu dicke Pferde sind eventuell zu wenig bewegt worden oder standen auf zu fetten Weiden und sollten dringend abnehmen, bevor man sie belastet. 

 

Lusitanohengst „Pao“.

 

Dieser erste Blick auf den Futterzustand kann daher bereits sehr aufschlussreich sein und teilweise zu weiteren Forschungen über das Pferd anregen. Meist geht der Fellzustand mit dem Futterzustand einher: Ist das Pferd zu dünn, ist auch oftmals das Fell struppig und matt. Ist das Pferd wohlgenährt und hat schlechtes Fell, muss ich mir wieder die Frage nach dem Warum stellen. Hat es Mängel, zum Beispiel an Vitaminen oder Mineralstoffen? Wurde es vielleicht nur schlecht gepflegt? Gut bemuskelte Pferde sind übrigens meistens auch gut im Haarkleid; hat ein Pferd wenig oder fast keine Muskulatur, ist nahezu immer auch der Zustand des Fells unbefriedigend.

Ein Blick auf die Hufe ist ebenfalls empfehlenswert. Sind sie gepflegt, gibt es Hornspalten, sind sie verschieden groß und, vor allem, sind sie einseitig abgelaufen? Letzteres kann bereits Auskunft über eine eventuelle Schiefe oder einen ungleichen Gang geben.

 

Lusitanowallach „Ciclone“.

 

 

Die Bemuskelung ist ein weiterer Mosaikstein bei der Einschätzung eines fremden Pferdes. Hat es sehr wenige Muskeln, sollte man die Arbeit ganz langsam beginnen. Ist es kräftig oder hat sogar Muskeln an der falschen Stelle? Das kann uns Hinweise über eine falsche Ausbildung oder eine ungünstige, verspannte Haltung des Pferdes während der Arbeit geben. Falsche Muskulatur birgt viel Arbeit für die weitere Ausbildung. Denn sie muss allmählich abgebaut werden und neue, korrekte Muskeln müssen aufgebaut werden – ein langwieriger Prozess! Noch schlimmer ist es, wenn man bereits beim stehenden Pferd eine einseitige Ausprägung der Muskulatur erkennen kann, das bedeutet eine starke Schiefe des Pferdes, und man benötigt oftmals Jahre, um solche Pferde wieder geradezurichten. Liegt gar ein Becken- oder Schulterschiefstand vor, potenzieren sich die Probleme und man muss viel Geduld mitbringen. Spätestens dann ist die Dressur nicht mehr nur Gymnastik, sondern sie wird zur Krankengymnastik und sollte heilende Wirkung haben. Man braucht viel Erfahrung, um sich an solche Problemfälle heranzuwagen, aber man sollte dennoch diese schwierigen Pferde nicht aufgeben, sondern es wenigstens mit ihnen versuchen. Ich habe schon verblüffende Erlebnisse gehabt. Außerdem wachsen das reiterliche Können und die Erfahrung gerade mit den komplizierten Pferden ganz enorm. 

Schließlich ist es auch wichtig, den Ausdruck des Pferdes einzuschätzen. Macht es einen ruhigen, gelassenen Eindruck? Zeigt es vielleicht Desinteresse oder sogar Apathie? Ist es erregt oder nur interessiert an der Umwelt? Beachtet es den Menschen oder schaut es durch ihn hindurch? Macht es einen ängstlichen, verstörten Eindruck? Diese Beobachtung hilft uns, das Wesen des Pferdes zu erkennen, und kann außerdem Aufschluss geben, wie bisher mit ihm umgegangen wurde. 

Bei der gesamten Analyse sollte man das Pferd nicht beurteilen, wie man es bewerten würde, um seine Reit-, Zucht- oder Köreignung zu erkennen. Wir sollten uns davon frei machen, es als gut oder schlecht einzustufen. Vielmehr ist die beschriebene Analyse ein Sammeln von Informationen, die uns für die Ausbildung relevant erscheinen und uns Aufschluss geben, wie wir das jeweilige Pferd am besten ins Gleichgewicht bringen können.

Beurteilung des Pferdes beim Freilaufen

Nachdem ich das Pferd im Stehen kurz eingeschätzt habe, lasse ich es gern frei in der Halle laufen − sofern es das kennt. Achtung: Unbedingt die Spiegel abdecken! Vor allem Hengste erkennen oftmals einen Rivalen im Spiegelbild und springen dagegen.

Beim Freilaufen versuche ich, die Bewegungen des Pferdes zu analysieren und zu erkennen, wie es seinen Körper einsetzt. Welche Gangart bevorzugt es? Wie ist der Schritt? Frei, gebunden oder geht das Pferd sogar Pass? Galoppiert es gleich los oder bleibt es lange im Trab und ist nur ganz schwerfällig zum Galoppieren aufzufordern? Ist es leichtfüßig und wendig oder springt es dauernd in den Kreuzgalopp, fällt in den Trab, schwankt stark und kann sich kaum ausbalancieren? Dem Schritt und dem Galopp gilt dabei meine größte Aufmerksamkeit. Denn an diesen beiden Grundgangarten kann man am wenigsten verbessern. Der Trab ist eher von Belang, wenn ich das Pferd später in der modernen Sportdressur vorstellen möchte. Über die Fähigkeit des Pferdes, bis zu höchsten Lektionen zu gelangen, sagt er nichts aus! Es gibt Pferde, die einen sehr schlechten Grundtrab haben und dennoch in Piaffe und Passage brillieren. Mithilfe einer guten Dressur lässt sich diese Grundgangart hinsichtlich Raumgriff, Kadenz und Ausdruck sehr wohl verbessern. In der Natur ist der Trab lediglich die „Übergangsgangart“ zwischen Schritt und Galopp. Man misst ihm heute meist eine Bedeutung zu, die ihm nicht zusteht. Das liegt daran, dass ein imponierender Trab den Laien beeindruckt und den Preis für ein solches Tier in die Höhe treibt. Pferde in Freiheit bewegen sich normalerweise im Schritt und bleiben immer wieder stehen zum Grasen. Werden sie erschreckt, fliehen sie im Galopp. Der Trab hat folglich in der Natur des Pferdes keine allzu große Relevanz. 

 

Lusitanohengst „Pao“ in freier Bewegung.

 

Um Asymmetrien aufzudecken, sollten wir Folgendes beobachten: Wohin biegt das Pferd seinen Hals und wohin dreht es den Kopf? Wo ist die Hinterhand? Ist das Pferd stets zur selben Seite gebogen – kann ich bereits eine hohle und eine steife Seite erkennen? Auf welcher Hand kürzt es die Ecken stark ab und auf welcher läuft es gefällig am Hufschlag oder lehnt sich gar an die Bande an? Welche Hand bevorzugt es? 

Ein weiteres wichtiges Kriterium ist seine Reaktionsschnelligkeit, die Auskunft über seine Sensibilität beim Reiten geben kann. Außerdem kann ich während des Freilaufens gut erkennen, ob das Pferd über Kraft im Rücken und in der Hinterhand verfügt. Starke Pferde bleiben gleichmäßig in der Gangart, auch wenn sie eine Ecke passieren. Sie können leicht auf der Hinterhand drehen und man hat fast nie den Eindruck, dass sie das Gleichgewicht verlieren. Schwache Pferde sind oft im Kreuzgalopp oder fallen in den Trab, brauchen lange, um zu wenden, und sind dabei oftmals unbeholfen. Alles, was mir jetzt positiv auffällt, muss ich später beim Reiten erhalten oder sogar verstärken. Alle Schwächen, die ich erkennen kann, sollten mir jetzt schon zu überlegen geben, mit welcher Gymnastik ich sie verbessern kann.

 

Gerade wenn sich das Pferd frei bewegen darf, erfahre ich auch etwas über sein Temperament. Ist es gehfreudig oder eher behäbig? Ist es aufmerksam oder schreckhaft? Manche Pferde werden auch aggressiv beim Laufenlassen oder sind sehr ängstlich und meiden manche Ecken in der Halle. Diese Eindrücke fließen in das Gesamtbild, das ich mir bisher vom Pferd gemacht habe, mit ein, und meine Vorstellung über die Ausbildung wird konkretisiert. Bei jungen Pferden passiert es mir oft, dass ich das schlaksige, noch unausgereifte Pferd sehe und mir exakt vorstellen kann, wie es in einigen Jahren, erwachsen und mit Muskeln bepackt, aussieht und wie es in der Versammlung wirken wird. Dann kann ich es gar nicht erwarten, mit der Arbeit anzufangen. Ich möchte das Pferd gut kennenlernen und es ausbilden, ähnlich einem Maler, der ein Bild im Kopf hat und es unbedingt auf die Leinwand bringen möchte.

Es ist der Weg, der mich als klassische Ausbilderin begeistert – immer wieder mit jungen oder gar verdorbenen Pferden neu anzufangen und auszutesten, was ich erreichen kann. Wie weit komme ich mit dem jeweiligen Pferd und was wird es später eventuell alles können − über leichteste Hilfen und in völliger Harmonie mit mir? Wird es brillieren? Wird es an Schönheit und Ausdruck gewinnen? Welche Eigenheiten wird es entwickeln? Faszinierende Fragen, die sich immer wieder aufs Neue stellen! 

Beurteilung des Pferdes an der Longe

Kennt das Pferd das freie Laufenlassen nicht oder erscheint uns das zu riskant, sollten wir es an der Longe analysieren. Dazu sollte man sich das Pferd, am besten ungesattelt und nur mit Kappzaum ausgerüstet, vorführen lassen. Das Longieren bietet allerdings eine völlig andere Perspektive auf die Bewegungen. Das Laufen auf einer Kreislinie kann den Gang eines Pferdes stark beeinflussen. Es gibt zum Beispiel Pferde, die auf langen geraden Linien sehr gut galoppieren können, aber keinen Zirkel im Galopp halten können. Nun habe ich die Möglichkeit zu erkennen, ob sich das Pferd auf der gebogenen Linie ausbalancieren kann oder ob es sehr steif ist. Trabt es im Takt oder hat es Probleme, weil es schief ist? An der Longe erkenne ich relativ leicht die hohle und die steife Seite: auf der Hand, auf der das Pferd ständig nach außen schaut und auf die innere Schulter nach innen in den Zirkel drängt, da ist es steifer und auf dieser Schulter hat es mehr Gewicht. Auf dieser Seite hängt entsprechend die Longierleine immer wieder durch. Die Muskulatur der äußeren Halsmuskeln ist wahrscheinlich verkürzt und muss später beim Reiten gedehnt werden. Dafür ist in der Regel auf dieser steiferen Seite der Galopp besser, weil das Pferd geschlossener bleibt und nicht nach außen zieht.

Die Hinterhand muss nun sehr genau beobachtet werden: Weicht sie nach außen aus, führt das dazu, dass das Pferd beim Longieren auf der steifen Seite, einer Banane gleich, mit beiden Enden nach außen gebogen läuft. Manche Pferde drücken allerdings auf der steifen Seite die Hinterhand nach innen. Diese Erkenntnis ist sehr wichtig für unser späteres Gymnastikprogramm!

Auf der Hand, auf der das Pferd nach außen drängt, stets stark nach innen schaut und sich übermäßig biegt, ist es hohl. Wir fühlen, dass wir fast Probleme haben, den Zirkel einzuhalten, weil das Pferd so stark nach außen zieht, und sind froh, wenn wir eine begrenzende Bande haben. Die Longierleine ist auf der hohlen Seite immer wieder stark gespannt. Diese hohle Seite müssen wir später beim Reiten geraderichten, beispielsweise durch die Arbeit in Konterstellung auf dieser Hand. Der Galopp ist hier meistens schlechter, falls er überhaupt klappt. Viele Pferde tendieren dazu, auf ihrer hohlen Seite im Außen- oder Kreuzgalopp anzuspringen. Außerdem verhalten sich die Pferde auf der hohlen Hand oftmals mehr und gehen folglich schlechter vorwärts. Warum? Durch das seitliche Wegdriften nach außen geht der Schwung nach vorn verloren. Das Pferd hat Schwierigkeiten zu wenden, und aufgrund seiner Schiefe fließt die Energie nach außen aus dem Zirkel heraus anstatt nach vorn.

Beim Longieren am Kappzaum fühle ich sehr gut, ob das Pferd trotz natürlicher Schiefe biegsam ist oder ob es so verspannt ist, dass ein Gehen, auch kurzfristig, außerhalb der natürlichen Schiefe unmöglich ist. Derart verspannte Pferde benötigen später viel lösende Gymnastik, um sie dazu anzuregen, die Muskulatur zu benutzen und auf dem Gebiss zu kauen. Erst dann können sie allmählich geradegerichtet werden. Solange sie sehr fest sind, ist die Zusammenarbeit mit ihnen schwierig. Denn sie sind nicht mobil und daher meist eher unkooperativ. 

 

An der Longe linke Hand ist das von Natur aus links hohle Pferd gut gebogen und drängt etwas nach außen über die rechte Schulter. Die Longe ist angespannt, der Zirkel wird eher groß.

 

An der Longe rechte Hand ist das von Natur aus links hohle Pferd nach außen gebogen und fällt nach innen auf die rechte Schulter. Die Longe hängt oftmals durch und der Zirkel wird eher klein.

 

Das Longieren erlaubt mir, die Reaktionen des Pferdes auf die Hilfen gut zu erkennen. Nimmt das Pferd die vorwärtstreibende Peitschenhilfe an oder ist es eher behäbig? Schlägt es gar gegen die Peitsche aus? Passiert Letzteres, ist das bereits ein Alarmzeichen und es bedarf eines Neuanfangs in der Grundausbildung.

Auch auf das Interieur kann man rückschließen, wenn man das Pferd an der Longe beobachtet. Ist es dem Menschen zugetan und aufmerksam oder desinteressiert? Eher ängstlich und angespannt? Oder selbstbewusst und neugierig? Ist es vielleicht sogar phlegmatisch und unmotiviert? Das sind ganz wichtige Erkenntnisse für meine spätere Herangehensweise. Man darf nicht vergessen, ein Pferd besteht nicht nur aus Exterieur und Biomechanik, sondern es ist in erster Linie ein fühlendes Lebewesen mit einem individuellen Charakter. Möchte ich „Erfolg“ haben, ist der Zugang zum Pferd ausschlaggebend. Ich muss es für mich gewinnen! Dazu muss ich erst einmal Überzeugungsarbeit beim Pferd leisten und es von meinen positiven Absichten überzeugen – eine manchmal schwierige Aufgabe, vor allem bei Pferden mit negativen Erfahrungen. 

Beurteilung des Pferdes unter dem Sattel