Kleine Fische küssen besser - Jana Krivanek - E-Book

Kleine Fische küssen besser E-Book

Jana Krivanek

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Beschreibung

Was gibt es Schlimmeres als verlassen zu werden? Genau dann verlassen zu werden, wenn Frau es am allerwenigsten erwartet – in Strapsen, High Heels und einem Hauch von Nichts in der Küche stehend zum Beispiel. Statt scharfem Liebesschmaus setzt es für Lola ein bitteres Liebesaus und sie steht im verflixten siebten Jahr plötzlich auf der Straße. Schlimmer kann es also kaum kommen! Bis ein metrosexueller Millionär, ein schnuckeliger Schwuler und ein manierloser Macho in Lolas Leben treten. Da hilft nur eine von Lolas perfekt ausgeklügelten Strategien, doch die macht das Chaos erst recht perfekt…

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JANA KRIVANEK

KLEINE FISCHE KÜSSEN BESSER

Impressum

1. Auflage Juni 2011

©opyright 2011 by Autor

Titelbild: Fisch © davidundderriese (www.fotolia.de)

Bubbles and Waves © Tyler Olson

Umschlaggestaltung: [d] Ligo design + development

Lektorat: Christoph Strasser

Satz: Fred Uhde (www.buch-satz-illustration.de)

ISBN: 978-3-942920-01-8

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet.

Hat Dir das Buch gefallen? Schreib uns Deine Meinung unter: [email protected]

Mehr Infos jederzeit im Web unter www.unsichtbar-verlag.de

Unsichtbar Verlag | Wellenburger Str. 1 | 86420 Diedorf

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

JANA KRIVANEK

Kleine Fische küssen besser

Mein DANK geht an:

Schaffi für seine zahlreichen Talente

Andreas Köglowitz für seinen Mut

Meine Eltern für ihre Liebe und Geduld

Paul für seine kindliche Fröhlichkeit und seine Liebe Alex für unsere bereichernde, ehrliche Freundschaft Steffi für ihre Inspiration und ihren Humor

Den Lektor für sein fehlerfreies Deutsch und zuletzt

Die Männer dieser Welt für einige Figur-Vorlagen in diesem Roman!

»Freundschaft ist eine Seele in zwei Körpern.

Gleichheit – die Seele der Freundschaft.«

Aristoteles

Für Claudia,

die mich seit 26 Jahren auf ihre wunderbar

erfrischende Art durchs Leben begleitet.

Danke für deine Freundschaft!

STRUMPF IST TRUMPF

In der Küche zu stehen um zu kochen macht schon verdammt wenig Spaß. Mir zumindest. Aber in halterlosen Strümpfen, Strapsen, roter Seidenwäsche und einer rotweißkarierten Designerkochschürze in der Küche zu stehen, macht nicht nur keinen Spaß, sondern sieht auch noch bescheuert aus. Also hoffentlich stürzt jetzt kein Passagierflugzeug im Nachbarsgarten ab, denn ich möchte in diesem Aufzug nicht das Letzte sein, was die Insassen zu Gesicht bekommen!

Ich werfe einen kurzen Kontrollblick durch das Küchenfenster, aber alles ruhig da draußen. Auch keine Vögel, die bereits an der Fensterscheibe kleben und sich köstlich amüsieren.

Gut, wenigstens keine Zuschauer, aber trotzdem peinlich genug.

Da stellt sich doch die Frage: Warum tun Frauen Dinge, die ihnen offensichtlich gegen den Strich gehen? Und die Antwort kann hier nur lauten: Der Liebe wegen. Und um der Leidenschaft willen natürlich, die in meinem speziellen Falle nach sieben Jahren Beziehung etwas auf der Strecke geblieben ist. Doch hätte mein Freund Max mir vor ein paar Wochen nicht von genau dieser bescheuerten Sexphantasie erzählt, dann wäre ich nie im Leben dort, wo ich jetzt bin: Am Herd, Gemüse schneidend, hochkonzentriert damit beschäftigt, in meinen High Heels nicht das Gleichgewicht auf den glatten Fliesen zu verlieren und mir die Finger abzuhacken. Bei einer Körpergröße von Einsvierundsiebzig und der Mini-Schuhgröße von 37 ist das bei Neun-Zentimeter-Absätzen nämlich ein wahrer Zirkusakt.

Ob halbnackt oder voll angekleidet, Fakt ist, dass ich, Caroline Fecht, einfach nicht für die Küche geschaffen bin. Als Kind hasste ich es, meiner Mama beim Kochen zu helfen, als Schülerin hatte ich in Hauswirtschaft die meisten Fehlstunden und als Erwachsene betrete ich die Küche für gewöhnlich nur, um mir eine Pizza in den Ofen zu schieben. Also, Kochen und ich sind in glorreichen 32 Jahren definitiv keine Freunde geworden.

Demzufolge hat es mich ganze vier Tage und Nächte Bedenkzeit und eine Menge Überzeugungskraft meiner besten Freundin Marie gekostet, über meinen Schatten zu springen und diese Nummer hier abzuziehen. Aber so lautet der Plan, und ist er einmal angefangen, wird er auch zu Ende geführt. So bin ich. Ich brauche immer eine perfekte Strategie und sobald ich sie habe, führt kein Weg zurück. Und der Auftrag für heute Abend lautet rauszufinden, wie viel Luft noch in unserer Beziehung ist.

Nicht dass es bei Max und mir offensichtlich kriselt, nein, unsere Beziehung ist nach wie vor harmonisch, in seinen Augen zumindest. Wir streiten nämlich nicht. Es bin immer nur ich diejenige, die streitet.

Du unternimmst nichts mehr mit mir.

Du treibst dich nur auf dem Fußballplatz rum.

Du und deine blöden Berge.

Du nimmst mich nicht ernst.

Du liebst deine Playstation mehr als mich.

Du bist nicht der gleiche Max wie damals.

Du schläfst nicht mehr mit mir!

Letzteres ist ein sehr heikles Thema, denn kein Mann hört es gerne, wenn an seiner Libido gezweifelt wird. Aber ist es nicht ungewöhnlich, dass ausgerechnet ein Mann – und ich bin mir sicher, Max gehört dieser Spezies an, es locker wochenlang ohne Sex aushält? Wie kommt man sich da als Frau vor? Spontan fallen mir ungeliebt, unattraktiv, unbegehrt, uninteressant und ausgedient ein. Aber sobald ich dieses Thema anschneide, schaltet mein lieber Freund auf Durchzug und ich rede mit einer Wand. Ach, was sage ich, mit einer ganzen Gebirgskette!

Seit Monaten betreibe ich nichts anderes als Ursachenforschung und zwischenzeitlich bin ich auch zu der Erkenntnis gelangt, dass ich an dieser Misere unschuldig bin. Eigentlich hatte ich das von Anfang an gewusst, denn erfahrungsgemäß sind wir Frauen ja nie wirklich schuld, aber für mein Ego wollte ich es genau wissen. Wo ich mir nur noch nicht ganz sicher bin, ist, ob Max weiß, dass es in unserer Beziehung nicht rund läuft und es einfach typisch männlich ignoriert oder ob er denkt, das wäre in Lebensgemeinschaften mit der Zeit einfach so. Nachdem Männer generell ein Talent haben, keinesfalls dort Probleme zu sehen, wo Frauen es tun, tippe ich bei Max eher auf Zweiteres. Und das ist kein Klischee, sondern die bekannteste Tatsache der Welt.

Ich bin für ihn genauso selbstverständlich wie die Luft zum Atmen, und nachdem Luft weder Bedürfnisse, noch Wünsche, noch Sorgen hat, nimmt er meine auch nicht wahr. Aber lange kann und werde ich mir das nicht mehr mit ansehen, doch kampflos wird das Feld sicherlich nicht geräumt, denn sieben Jahre wirft man nicht einfach so weg. Aber da Worte bisher nicht fruchteten, müssen eben Taten folgen. Also, nichts wie ran an die Spaghettinester mit Basilikumtörtchen in frischer Tomatensoße. Jamie Oliver lässt grüßen und steht mir bei meiner Dessous-Kochshow hilfreich zur Seite. Leider nur auf 360 bunt gedruckten Seiten, die selbstverständlich nicht mir gehören. Persönliches Eigentum von Max, denn in unserem Haushalt ist er der Koch, worüber ich hochgradig begeistert bin.

Als er mir bei unserem ersten Rendezvous erzählte, Kochen sei eine seiner großen Leidenschaften, hätte ich ihm am liebsten ad hoc einen Heiratsantrag gemacht.

Max und ich sind uns an einem der romantischsten Orte der Welt zum ersten Mal begegnet: in der Disco. Ich war 25 und er gerade 26, also rein vom Alter sozusagen füreinander bestimmt.

Ich kam etwas abgehetzt nach einer rockigen Nummer von der Tanzfläche und platzierte mich mit einem frisch gezapften Pils an der Bar. Der Durst war so groß, dass ich das Glas binnen Sekunden fast geleert hatte, und das schien einem Nachbar an der Theke besonders zu imponieren. Er sprach mich an.

«Wow! Für ein Mädchen nicht schlecht.»

Äh, wie bitte? Hatte ich «Sprich mich schwach an.» auf meinem Top stehen? Mädchen? Zufälligerweise war ich mit Mitte Zwanzig bereits ausgewachsen, ungefähr einen halben Kopf größer als Tom Cruise und hatte – mit ein klein wenig Schummeln vielleicht – Körbchengröße B, also fiel ich wohl eindeutig in die Kategorie der erwachsenen, gestandenen Frauen. Und außerdem war es ein unverschämter Akt der Diskriminierung, Frauen für minderwertige Biertrinker zu halten. Dieser Anfänger konnte einfach nicht mich gemeint haben!

Ich bemühte mich gar nicht, meinen Blick zu wenden, sondern nahm lieber noch einen weiteren Schluck und schaute starr in Richtung Tanzfläche. Dass ich genervt mit den Augen kullerte, konnte er wahrscheinlich nicht sehen. Und nachdem Männer es gar nicht mögen, ignoriert zu werden, ging das Spiel weiter.

«Ich wüsste gerne den Namen der Frau, die so cool ist.»

Er hatte das «so» nicht abwertend gesagt, vielmehr frech, süß, herausfordernd. Irgendwie klang das richtig nett, doch ich hielt seiner Anmache weiterhin stand und tat, als existierte er nicht.

«Du erinnerst mich übrigens an Lara Croft.»

Okay, das war dann zuviel des Guten und brachte das Fass zum Überlaufen. Ich musste schmunzeln, denn von den vielen dummen Sprüchen, die ich bis dato gehört hatte, war das eindeutig der Schmeichelndste.

Ich drehte mich langsam zur Seite, zwang mich, mein Lächeln zu verbannen, und schaute ihn aufgesetzt ernst an. Und mit sehr großem Interesse, das urplötzlich geweckt war: Oh la la halleluja, sah der Typ gut aus! Er war ca. zehn Zentimeter größer als ich, hatte große, faszinierende Augen mit neiderregend langen Wimpern, schön geschwungene, volle Lippen, und gepflegte Zähne, die mich da mit einem schelmischen Grinsen anblitzten. Dieses überaus attraktive Gesicht wurde auch noch durch eine freche, verwuschelte Frisur abgerundet, und was ich bis dahin mit meinem Blick einfangen konnte, war auch der Rest nicht zu verachten. Ich musste zum Gegenschlag ansetzen. Mein Flirtzentrum schaltete sich gerade rechtzeitig ein.

«Meine Hotpants und die 9-mm-Wumme habe ich heute ausnahmsweise zuhause gelassen. Ich BIN Lara Croft.»

Natürlich wusste ich nicht, ob Lara Croft eine 9-mm-Pistole bei sich trug, aber mir fiel kein anderes Kaliber ein. Später sollte ich eines Besseren belehrt werden – Lara hatte immer zwei 9-mm-Wummen an ihre scharfen Oberschenkel geschnallt. Auf jeden Fall lag ich nicht ganz verkehrt.

«Ich wusste es doch. Freut mich, Lara. Ich bin Max.»

«Caro, das Croft-Double.»

Er grinste mich an und ich grinste zurück und schon knisterte da was. Und genau in dem Moment als ich herausfinden wollte, was genau, kam Marie von der Tanzfläche. Sie musterte Max kurz, nickte und schleppte mich mit einem «Du entschuldigst, ich nehme sie kurz mal mit.» auf die Toilette und anschließend in die Cocktail-Bar. Das war es dann mit den Schwingungen für den Abend, was sicherlich auch besser war, denn ich war zu dem Zeitpunkt an Simon vergeben. Nach dem Lara Croft-Auftritt allerdings nur noch ganze zwei Wochen und vier Tage lang, denn der Max-Faktor hatte letztendlich gesiegt.

Ich beendete die eine und stürzte mich in die nächste Beziehung.

Das ist einfach meine Königsdisziplin – einen Mann für einen anderen verlassen. Seit meinem 16. Lebensjahr war ich nie länger als 48 Stunden Single. Und den letzten Wechsel habe ich nie bereut, denn Max ist der große Fang. Mit ihm hatte ich mir den Moby Dick an Land gezogen. Dachte ich jedenfalls …

Es ist jetzt 18.16 Uhr, Samstagabend, letztes Februarwochenende, und mein Jamie-Kochkurs ist bald beendet. Nur noch den Salat schnippeln und anmachen, die Spaghetti leicht anbraten, und schon kann serviert werden. Dazu muss Max aber erst einmal aus dem Fußballtraining nach Hause kommen. Normalerweise ist er spätestens um 18.00 Uhr zurück, denn dann ist Sportschau-Zeit. Heilige Zeit. Männermachtüberdie-Fernbedienung-Zeit.

Heute Abend wird aber alles anders laufen, und ich habe auch schon den perfekten Ablauf vor meinem geistigen Auge: kein Fernsehen, kein Bier, keine Couch, keine Sportschau. Stattdessen hochexplosiver Sex auf dem Küchentresen, natürlich unzählige Liebeserklärungen seinerseits und eine zweite Runde Sex, dann auf dem Barhocker. Oder wo auch immer, schließlich bieten siebzig Quadratmeter Wohnfläche diesbezüglich so einige Optionen. Nach dem Liebesakt werden wir uns dann nackt auf dem Sofa niederlassen und mit Gusto unser «Mahl danach» verspeisen. Besser als jede Zigarette danach, schließlich sind Kohlenhydrate nach körperlichen Anstrengungen das A und O. Ich habe mir ja auch was bei der Menüauswahl gedacht.

Bin bereit zum Anpfiff. Der Ball kann anrollen und ich bin absolut überzeugt, dass diese Strapskochnummer sich am Ende auszahlen und wieder frischen Wind in unsere Beziehung bringen wird. Die luftleeren Reifen werden wieder aufgepumpt. Mein Plan A wird heute Abend aufgehen!

Natürlich gibt es auch einen Plan B. Meine Sachen für exakt eine Woche Exil bei Marie sind gepackt, allerdings ist es sehr unwahrscheinlich, dass es soweit kommen wird.

Und da ist er auch schon, der lang ersehnte Schlüssel im Schloss. Max ist zurück. Es wurde aber auch höchste Zeit, denn dieser Aufzug wird langsam unbequem und das bisschen Schürze hält auch nicht wirklich warm. Mit dem Frösteln ist es aber gleich vorbei, denn die Ekstase naht!

«Hallo Babe.»

Ist das alles? Ich drehe meinen Kopf nach rechts, setze einen hinreißenden Nimmmich-Blick auf, ziehe die Schürze ein paar Zentimeter hoch und lasse die Spitze des linken Halterlosen dezent rausspitzeln. Jetzt wollen wir mal sehen, ob er außer «Hallo Babe» noch mehr zu bieten hat!

«Wow, Baby! Was versteckst du da?»

Das lasse ich schon eher als passende Reaktion gelten.

Max lässt seine Sporttasche auf den Boden fallen und kommt auf mich zu. Ich drehe mich wieder in Richtung Salatschüssel und zeige mich verführerisch kühl. Es heißt doch, auch ein schöner Rücken könne entzücken. Das will ich doch gleich mal testen.

Max stellt sich hinter mich, umklammert meine Hüften mit seinen Händen und fängt an, mich hinter dem Ohr zu küssen. Das ist Wahnsinn, ich liebe das. Eindeutig eine meiner erogensten Zonen, und das weiß er sehr genau. Ich lasse meinen Kopf leicht nach vorne sinken, schließe die Augen und schmelze langsam dahin. Mein Körper wird zu Wachs unter seinen Berührungen und seine sanft knabbernden Küsse entlang meines Schlüsselbeins bringen mich gerade fast um den Verstand.

Oh mein Gott, hatte beinahe vergessen, wie wunderbar sich seine weichen Lippen auf meiner Haut anfühlen. Wie lange hat er mich schon nicht mehr so geküsst? Zu lange, aber das ist jetzt völlig egal. Seine Hände wandern jetzt langsam meine Hüften entlang und er wird mich gleich zu sich drehen, mich auf die Arbeitsfläche hoch hieven, meine Beine um seinen athletischen Körper schlingen und anfangen, meinen Körper mit zärtlichen Küssen zu übersäen. Und dann…

«Babe, du siehst so scharf aus!», haucht er mir ins Ohr.

Ich wusste, dass mein Plan sich auszahlen wird. Nimm mich. Jetzt!

«Aber lass uns doch später einfach genau hier weiter machen.»

BITTE? Sind das Halluzinationen? Wer spricht da aus dem Off zu mir? Wie «später»?

Ich reiße meine Augen auf und blicke mit Entsetzen in die mit Salatabfällen gefüllte Spüle. Wenn ich mich jetzt umdrehe, dann garantiere ich für nichts, also bleibe ich wie versteinert mit dem Rücken zu Max gewandt stehen und nicke nur, während ich den tonnenschweren Kloß im Hals herunterschlucke.

Er platziert noch einen Kuss in meinem Nacken, nimmt seine warmen Hände von meinen Lenden und setzt sich in Bewegung. Ich drehe mich um, lehne mich an die Arbeitsfläche und stütze mich mit beiden Händen ab, denn irgendwie bin ich gerade einer Ohnmacht nahe. Max macht die Kühlschranktür auf, nimmt sich ein Weißbier raus, aus dem Regal daneben ein Glas und bewegt seinen verdammt heißen, durchtrainierten Körper gemächlich in Richtung Couch. Das einzige was er neben maßloser Enttäuschung hinterlässt, ist der frische Zitronenduft seines Duschgels, der mich in der Nase kitzelt. Ich niese.

Mit verklärtem Blick folge ich Max und wäre ich nicht in einem tranceartigen Zustand, unfähig mich von der Stelle zu bewegen, würde ich einfach nur losrennen und ihm sein Scheißweißbier über den Schädel hauen.

Max hält kurz inne und schaut sich etwas desorientiert im Wohnzimmer um. Setzt sich wieder in Bewegung, steuert den Fernseher an und schnappt sich die Fernbedienung, die in der Schublade darunter verstaut ist. Dabei hatte ich einen Augenblick lang die Hoffnung, er würde zur Vernunft kommen, und wieder umkehren.

«Caro, das Ding heißt nicht Fernbedienung weil es möglichst fern von der Couch platziert wird, sondern um den Fernseher damit vom Sofa aus fern bedienen zu können. Wieso kannst du sie nicht einfach auf dem Tisch liegen lassen?»

Weil sie da nicht hin gehört. Und schau mich gefälligst an, wenn du mit mir sprichst, du Blindgänger! Wir besitzen eine Stereoanlage, eine Playstation, eine Wii und ein Heimkino, das sind summa summarum sechs Fernbedienungen, die Wii hat ja gleich zwei davon. Und nachdem ich diejenige bin, die jeden Tag Max’ Fingerabdrücke von der Glasplatte des Wohnzimmertischs abwischen darf, bin auch ich diejenige die keine Lust hat, die Scheißdinger ständig hin und her zu stapeln, also räume ich sie weg. Noch dazu sieht es gleich ordentlicher aus, aber mit Ordnung hielt es mein lieber Freund noch nie sonderlich eng. Man könnte meinen, Max hat jede Hausmilbe in diesen vier Wänden ins Herz geschlossen.

«Stört das Feng Shui.»

«Klar. Dann male ich sie rot an und schon passt es wieder.», erwidert er lachend.

Gerade ist sicher nicht der richtige Moment, um Witze zu reißen. Ich persönlich bin nämlich gar nicht zum Spaßen aufgelegt. Vielmehr ist mir zum Weinen zumute, ich schaffe es aber, die Tränen zu unterdrücken. Während also in meiner Welt Untergangsstimmung herrscht, ist in Max’ Universum alles in bester Ordnung. Er kommt gar nicht auf die Idee, mich gedemütigt und verletzt zu haben. Ist ja auch alles überhaupt kein Problem, denn ich laufe ja nicht weg, weil ich nämlich nie weglaufe. Ich drohte bisher immer nur, aber meine Androhungen umzusetzen, brachte ich nie übers Herz.

Dafür ist Max in der Umsetzung unschlagbar und ausgesprochen effizient. Der Fernseher ist an, er sitzt in entspannter Haltung auf der Couch, nippt an seinem Bier und sieht dabei auch noch überglücklich aus. Anstatt mich mit seinen Augen zu verschlingen, lässt er sich lieber von der Flimmerkiste betören.

Ich wünschte, ich wäre rechteckig, zehn Zentimeter dünn und würde Sony heißen, anstatt hier in unserer Scheißküche, in Scheißstrapsen, einer beschissen teuren Kochschürze zu stehen und mir in diesen scheißunbequemen Schuhen dicke Beine zu holen! Fühle mich wie die berühmtberüchtigte heiße Kartoffel, die gerade fallen gelassen wurde.

Keine Frau hat es verdient, so abserviert und derart entwürdigend behandelt zu werden. Und schon gar nicht ich, schließlich war ich mit 19 Jahren Vize Miss Tropicana. In diesem Fall ist es natürlich auch zweitrangig, dass es sich um den Misstitel unserer Stammdisco handelte und ich nur vier Konkurrentinnen hatte. Titel bleibt Titel! Also, was bildet sich dieser verdammte Mistkerl eigentlich ein? Das Moulin Rouge würde sich sicher um mich reißen!

Eines ist sicher, der Appetit ist mir vergangen, und vermutlich ist es auch besser, schnellstmöglich das Gemüsemesser beiseite zu legen, nicht dass noch ein tief verborgener Killerinstinkt in mir schlummert.

Als nächstes werde ich mich dieser lächerlichen Verkleidung entledigen und mich in Schale werfen, um zum Gegenschlag auszuholen. Auf dem Weg ins Schlafzimmer höre ich noch wie der liebe Gerhard Delling, fachmännisch wie immer, die Spiele der ersten Bundesliga anmoderiert. Somit ist es Punkt 18.30 Uhr.

Schlüpfe in meine dunkelblaue Lieblingsjeans, in der meine langen Beine noch länger aussehen, ziehe mein giftgrünes «A star was born – 1978»-Shirt an und überlege, welche Schimpfwörter ich ihm gleich an den Kopf werfen werde.

Stelle für den Notfall auch meine gepackte Reisetasche im Flur bereit, denn wer weiß, in welcher Geschwindigkeit ich im Falle Plan B die Wohnung verlassen möchte. Oder muss. Aber ehrlich gesagt ist Plan B so gar nicht das, was mir als Ausgang des heutigen Abends vorschwebt. Vielmehr ist mir nach einer bühnenreifen Szene meinerseits, ein paar Shakespeare-reifen Worten der Reue seinerseits, einigen Schmollmomenten – wiederum meinerseits – und anschließend einer wunderbaren Versöhnung – diese natürlich beiderseits. Und als Höhepunkt mein Höhepunkt.

Klingt doch eigentlich ganz wunderbar, also auf zu Plan C!

So müsste ich richtig stehen. Habe mich etwa einen Meter vor Max mitten in seinem Blickfeld aufgebaut.

«Mensch Caro, könntest du bitte aus dem Bild gehen.»

In dieser Tonlage ist das «bitte» eher als «plötzlich» zu verstehen.

«Ne, könnte ich nicht.»

Er rückt ein Stück beiseite und bahnt seinen Blick an mir vorbei. Ich korrigiere meine Position und rücke entsprechend nach.

«Was soll denn das? Neue Starallüren, oder wie?»

Was das soll? Er wagt es allen Ernstes, das zu fragen? Ich werde ihm gleich demonstrieren, was das soll. Schnappe mir die Fernbedienung vom Couchtisch und drücke auf Off. Aus die Maus. Bye, bye, liebe Bundesliga.

«Sag mal Caro, spinnst du? Mach den Fernseher wieder an!»

Er setzt sich aufrecht hin und streckt die Brust raus. Typisch Mann, immer dieses Gockelgehabe. Und die guten Manieren sind auch vergessen. Herr Maximilian Reuther kauft ein «Bitte».

«Ich denke nicht daran! Und ich schaue mir das auch nicht mehr lange mit an, Max! Ich habe es so satt!»

Meine Lautstärke hebt sich, obwohl ich mir vorgenommen hatte, auf normalem Level zu bleiben. Ich möchte eine vernünftige Diskussion führen, sofern das von Blödmann zu Frau überhaupt möglich ist! Muss mich zusammenreißen und mich besser auf mein Vorhaben konzentrieren.

Max streckt sich in meine Richtung und startet einen Versuch, mir die Fernbedienung aus der Hand zu reißen. Blitzschnell ziehe ich meinen Arm weg.

Das ist ja wirklich nicht zu fassen! Ich plane hier gerade den Aufstand des Jahrhunderts und er hat nur sein Scheißfußball im Kopf. Ich werde überhaupt nicht ernst genommen, also muss ich wohl noch deutlicher werden. Das mit der Lautstärkenkontrolle ziehe ich augenblicklich wieder zurück.

«So geht das nicht weiter, Max! Siehst du nicht, was mit unserer Beziehung passiert? Ein altes Ehepaar führt ein aufregenderes Leben als wir die letzten beiden Jahre. Ich bin jung und ich möchte was erleben. Ich will mit dir was unternehmen. Was Sinnvolles, meine ich. Und dazu zählt nicht, mir jeden Sonntag auf dem Fußballplatz den Hintern abzufrieren. Und auch nicht, mit dir und den Jungs Playstation zu spielen. Und sicher nicht jeden Samstag Sportschau zu gucken.»

Ich muss Luft holen, denn dieser Monolog kam wie aus der Pistole geschossen. Außerdem kämpfe ich seit dem Ehepaar-Vergleich mit den Tränen und eines muss ich zu verhindern wissen: Ich werde nicht heulen, denn eigentlich ist es er, dem die Tränen vor Reue über die Wangen kullern sollen. In Bächen. In Strömen. Ein Grand Canyon voll.

Ich reiße mich zusammen.

«Ach, Caro, nicht schon wieder die alten Kamellen. Du kannst jederzeit mit zum Bergsteigen gehen.»

Was für ein beschissener Vorschlag. War ja klar, dass ich mich wieder seinen Vorlieben beugen soll. Verdammter Egoist! Meine Wut steigert sich.

«ICH HABE HÖHENANGST!»

Gut gebrüllt, Löwe. Das war einige Dezibel über Normallautstärke, fast schon ohrenbetäubend. Was fällt ihm aber auch ein, mir jetzt damit zu kommen! Bergsteigen! Dass ich nicht lache. Wir sind seit knapp sieben Jahren ein Paar und ich habe ihm bereits bei unserem zweiten Rendezvous erzählt, dass ich panische Höhenangst habe. Das ist wirklich entwürdigend.

«Gegenvorschlag. Wie wäre es mal mit Kino. Oder mit Spazierengehen. Oder mit Wellnessen. Ich hätte auch noch Joggen im Angebot. Oder einfach mal eine Essenseinladung. Ein romantisches Wochenende. Eine Liebeserklärung. Gerne auch mal wieder einen Orgasmus! Irgendetwas, das mir das Gefühl gibt, dass ich dir noch wichtig bin! Stattdessen servierst du mich als perfekte Dita von Teese eiskalt ab! Samt Abendessen. Und meine Vorliebe fürs Kochen kennst du sehr genau! Weißt du eigentlich, wie weh das tut?»

Jetzt ist es passiert. Es bin doch ich, der die Tränen in Bächen über die Wangen kullern. Still und leise. Ich schluchze nicht. Ich bewege mich nicht. Stehe weiterhin wie angewurzelt vor ihm und starre ihn mit verschwommenem Blick an. Jetzt ist er am Zug. Ich bin ausnahmsweise einmal sprachlos.

Er beugt sich nach vorne, greift nach meiner Hand und schaut zu mir hoch. Zieht mich sanft zu sich hin und ich tapse ihm einen Schritt entgegen. Er sitzt, ich stehe – rein psychologisch betrachtet bin ich auf jeden Fall in der besseren Position. Er schaut zu mir hoch, ich zu ihm herunter. Keine Ahnung, wie ich seinen Blick deuten soll. Mitleidig? Verständnisvoll? Schuldig? Einsichtig? Eine Mischung aus allem?

«Können wir das vielleicht später besprechen, Schatz? Die Jungs kommen gleich.»

Soeben hat es 13 geschlagen und doch noch Plan B eingeläutet!

RACHE(B)ENGEL

Mein geliebter Mini und ich befinden uns auf dem Weg zu Marie und haben knapp die Hälfte hinter uns. Die ersten zehn Kilometer war ich damit beschäftigt, mir die Tränen aus dem Gesicht zu wischen und eine Packung Taschentücher zu verbrauchen. Die nächsten zehn, Max zu hassen und einen ausgeklügelten Rachefeldzug zu planen. Vergeltung mag vielleicht unreif und hysterisch klingen, aber in Situationen wie dieser hilft sie über den ersten Schmerz hinweg. Nur leider ist mir nichts wirklich Sinnvolles eingefallen. Erst dachte ich daran, unseren Nachbarn zu fragen, ob sein Hund nicht mal versehentlich in Max’ Fußballschuhe pinkeln könnte, und dann kam mir noch die glorreiche Idee, das Laufwerk der geliebten Playstation mit Honig zu sabotieren. Also, nicht wirklich sehr einfallsreich, aber als Racheengel war ich schon immer eher untauglich.

Jetzt sind es noch etwa fünfundzwanzig Kilometer bis zu Maries Wohnung, und die aktuellen Gedanken kreisen um die Frage: Bin ich jetzt Single oder nicht?

Ich habe unsere Wohnung Hals über Kopf verlassen, mir nur die Tasche und meinen Bademantel geschnappt und weg war ich. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss, und die neunzig Sekunden Ewigkeit im Auto vor dem Haus waren vergebene Wartezeit. Max kam nicht um Gnade und Verzeihung winselnd hinterher gelaufen. Kein Kniefall, keine Tränen, kein Heiratsantrag. Bis jetzt auch kein Anruf, keine SMS, keine Liebeserklärung über meinen Lieblingsradiosender. Die traurige Wahrheit: Kein Happy End!

Also, wie ist mein verdammter Status? Unglücklich, tief gekränkt und noch liiert?

Unglücklich und vorübergehend Single – bis zum nächsten Anruf von Max?

Oder gar Single? Am Ende auf ewig?

Auf diesem Gebiet kann ich mit meinem Erfahrungsschatz sicher nicht punkten, bedenkt man meine Single-Statistik der letzten Jahre. Ja, fast zwei Jahrzehnte. Ich war ja so gut wie nie ein Single. Erschreckend!

Vielleicht hat Marie Recht und ich sollte mich wirklich einfach einmal austoben. Den Männermarkt unsicher machen. Mir holen, was mir zusteht. Womöglich ist heute der Tag, an dem ich mich Marie und ihren Ratschlägen gegenüber endlich einmal solidarisch zeigen sollte. Als lang überfällige Gegenleistung.

Meine Freundin Marie ist die Urmutter der Solidarität. Wäre sie in der Politik, hätte sicher sie den Soli-Zuschlag eingeführt, allerdings hätte sie ihn wie geplant auch wieder abgeschafft. Aber das ist ein anderes Thema.

Zum ersten Mal bewies sie diese bei ihr stark ausgeprägte Tugend am Zaun einer Pferdekoppel. Marie kam zu mir herüber und teilte mit mir ihren Sack voll trockenes Brot, da ich nichts zum Verfüttern dabei hatte. Wir waren beide sieben Jahre alt und es sollte der erste Tag einer ganz großen und innigen Freundschaft werden.

Als ich mir in der sechsten Klasse am Schwebebalken das linke Bein brach, wurde ich von meinen Klassenkameraden gehänselt, also sprang Marie solange vom Baum, bis sie sich den Arm brach. Eigentlich hätte es auch das Bein werden sollen, aber Gips war Gips und Marie engagierte ihren älteren Bruder, der uns ein geniales Graffiti auf die weißen Gliedmaßen zauberte. Ab dem Zeitpunkt waren wir die Stars in der Klasse und Marie hatte wieder einmal meine Ehre gerettet. Gips war das In-Accessoire der späten Achtziger, zumindest an unserer Schule.

Maries aktuellste Tat liegt etwa vier Wochen zurück und spielte sich auf einer öffentlichen Toilette mitten in München ab. Während ich auf dem einen Klo eine ziemlich hartnäckige Auseinandersetzung mit meinem Darm hatte, imitierte Marie in der Kabine daneben Geräusche, die den meinen sehr ähnlich waren, nur dass sie sie mit ihrer bezaubernden Stimme nachahmte. Als die Vorstellung beendet war, zählten wir leise bis drei und verließen gleichzeitig die Toiletten. Das machte die Sache nur halb so peinlich. Anschließend lachten wir uns über die erstaunten Gesichter der in der Warteschlange stehenden Leute schief. Marie, die Synchronstimme des gefürchteten Norovirus!

So ist sie, immer bemüht, dass es anderen gut geht.

Und heute wird sie ihren Freund verbannen, damit wir ungestört die Geschehnisse des Abends analysieren können. Sie quartiert ihn nicht weit aus, nur in die Wohnung nach nebenan. Jan und sie sind nämlich Nachbarn. Also gewesen. Jetzt sind sie beides, Nachbarn und ein Paar. War damals eine völlig verrückte und verzwickte Geschichte, aber zu meiner chaotischen Freundin passt sie genau ins Bild.

Apropos, vielleicht sollte ich sie auch mal darüber informieren, dass ich demnächst bei ihr reinplatzen werde. Sie ist zwar darauf vorbereitet, aber so konkret weiß sie es ja auch noch nicht. Bestimmt denkt sie, Max konnte mir nicht widerstehen und ich befinde mich gerade mitten in meinem dritten Orgasmus. Leider falsch gedacht – nicht Höhe, sondern vielmehr absoluter Tiefpunkt.

Am anderen Ende klingelt es, aber keiner hebt ab. Noch bevor ich es schaffe, auf die Wahlwiederholungstaste zu drücken, blinkt schon Maries Name in meinem Display. Ich gehe ran.

«War auf dem Klo! Tschuldige! Alles klar bei dir?»

«Es ist vorbei. Er hat mich einfach stehen lassen, Marie!»

Ich kann meine Tränen nicht zurück halten und schluchze ihr ins Mikrofon. Sammle mich kurz und fahre fort.

«Erst hat es so ausgesehen, als wäre alles gut. Er küsst mich zärtlich, sagt mir was Liebes ins Ohr – und dann …» Ich schnappe nach Luft. «Wirft er sich mit einem Bier auf unser Sofa und schaut Sportschau. Stell dir das mal vor. SPORTSCHAU!»

Meine Nase läuft und den Straßenverlauf nehme ich auch nur noch sehr verschwommen wahr. Ich bremse runter und greife nach den Papiertaschentüchern.

«Warte kurz.»

Lege mein Handy beiseite, schneuze mich aus und nehme Marie wieder ans Ohr. Ein Grund, warum ich mir einen Mini gekauft habe, ist, dass meine Beine lang genug sind, um im Notfall auch mal mit meinen Oberschenkeln lenken zu können. Und das hier war jetzt eindeutig ein Notfall!

«Bin wieder da. Was mache ich jetzt?»

«Du kommst jetzt erst einmal her. Und dann sehen wir weiter. Ich schicke in der Zwischenzeit Jan in die Wüste.»

Auch wenn ich zu Tode betrübt bin, muss ich jetzt schmunzeln.

«Okay. Bin schon fast da.»

Ein tiefer Seufzer folgt, doch ich komme nicht dazu, weiter zu reden. Die Leitung ist tot. Ich wette, Maries Akku ist leer. Immer das gleiche bei ihr. Sie ist und bleibt ein Chaot!

Also gut, dann schalte ich jetzt wieder auf Hass und Rache, denn das wirkte beim letzten Heulanfall auch Wunder. Und vielleicht fällt mir noch eine bessere Vergeltungstat ein, als Max’ Playstation zu demolieren oder Hunde-Pipi in seinen Fußballschuhen. Eine, die ihm wirklich richtig weh tut …

So, da bin ich, am anderen Ende der Welt. Zumindest könnte man das meinen, wenn man Marie besuchen möchte. Sie wohnt auf halber Strecke zwischen München und Garmisch, und der Erfindung Autobahn sind sie hier noch nicht auf den Geschmack gekommen. Die Fahrten zu Marie ziehen sich also immer ein bisschen in die Länge. Aber wo die Liebe eben hinfällt.

Hole meine Tasche aus dem Kofferraum, schnappe mir meine Handtasche und betätige die Klingel von Marie Kletschka, dem Engel in der Not. Es dauert keine drei Sekunden und der Summer für die Eingangstüre ertönt.

Auch das muss man Marie lassen, sie ist immer auf Zack.

Stolpere mit meinem Gepäck die beiden Stockwerke hoch und werde im Flur bereits von Marie erwartet. Und nicht nur von ihr, sondern auch von zwei gefüllten Rotweingläsern, die sie mir als Quäntchen Trost entgegen hält.

«Hi Süße.»

Allein der Tonfall von Maries Begrüßung lässt auf Weltuntergang schließen.

«Oje, du siehst wirklich beschissen aus!»

Na besten Dank. Selten so einen herzlichen Empfang genossen. Aber vermutlich hat sie recht und ich sehe wie ein Häufchen Elend aus. Nach dem Heul-Marathon hängt mir die Wimperntusche sicher bis am Kinn und mit der verschnieften, geschwollenen Nase könnte ich locker Gérard Depardieu Konkurrenz machen. Ach, ist doch sowieso alles egal!

Ich kriege nicht einmal eine vernünftige Begrüßung über die Lippen, steuere auf Marie zu und greife mit meiner freien Hand nach dem Glas Wein, das sie mir einladend vors Gesicht hält.

«Hier, das hilft. So, und jetzt komm erst einmal rein.»

Ihr mitleidiger Blick spricht Bände. Hätte sie jetzt gesagt, spring aus dem Fenster, hätte ich das auch getan.

Wir betreten Maries Flur, ich stelle meine Tasche ab, schaue ihr in die Augen und da ist es vorbei mit der Beherrschung. Die Tränen schießen mir wie Torpedos aus den Augen.

Marie nimmt mir mein Glas wieder ab, stellt beide Gläser auf den Telefontisch neben uns und schließt mich in die Arme. Sie drückt mich so fest an sich, dass mir beinahe die Luft weg bleibt und ich drohe, dem Erstickungstod zu erliegen. Keine richtig schöne Vorstellung, aber im Moment wäre auch das noch okay. Sage keinen Ton, schluchze einfach nur vor mich hin, die Stirn an Maries Schulter gelehnt.

Ich spüre, wie ihr T-Shirt unter meinem Gesicht langsam feucht wird, und da jetzt auch noch meine Nase anfängt zu laufen, ziehe ich vorsichtshalber meinen Kopf wieder hoch. Freundschaft hat auch ihre Grenzen – es gibt nämlich Körperflüssigkeiten, an welchen man andere nicht zwingend teilhaben lassen möchte.

«Brauche bitte ein Taschentuch.», murmele ich schniefend.

Sie dreht sich um, flitzt auf die Toilette und kommt mit einer Hand voll Kosmetiktücher zurück.

«Hier. Und du kannst ruhig verschwenderisch sein, hab noch zwei ganze Packungen auf Lager.»

Mir huscht ein zartes Lächeln über die Lippen und Marie schmunzelt zurück. Sie schnappt sich die beiden Weingläser, setzt sich in Bewegung und schiebt gleichzeitig mit dem rechten Fuß meine Reisetasche in Richtung Wohnzimmer. Ich folge ihr schneuzend und stelle fest, dass meine Tränendrüsen langsam außer Betrieb gehen. Es läuft kaum etwas nach.

«So, jetzt setzt du dich erst einmal hin, trinkst einen Schluck und versuchst dich ein wenig zu entspannen.»

Ich folge ohne Widerrede. Setze mich im Schneidersitz auf Maries Couch und warte auf weitere Anweisungen. Ich selbst bin nämlich nicht in der Lage, selbständig irgendeine Aktivität zu zeigen. Außer den befohlenen Schluck Wein zu nehmen. Betäubungsmittel. Vielleicht sollte ich Marie noch nach einer Messerspitze Zyankali fragen, das sie vermutlich nicht vorrätig hat. Dann eben noch ein Schluck Traubensaft.

«Wie wäre es mit ein paar Schmuseeinheiten? Ich könnte Herkules holen.»

Marie hat vielleicht Nerven! Ich habe womöglich gerade eine Trennung hinter mir und da soll ich mich schon anderen Männern öffnen? Aber Herkules ist nur Jans Kater und ich muss zustimmen, so eine flauschige, starke Katzenschulter zum Anlehnen könnte tatsächlich nicht schaden.

«Ja, Herkules klingt gut.»

«Bin gleich wieder da. Mach bloß keinen Unsinn.»

Also bitte, als wäre ich der Typ, der in Krisensituationen unüberlegt handeln würde. Ich bin doch der Superstratege, zumindest dachte ich das bis heute. Und außerdem bezweifle ich, dass man sich aus dem zweiten Stock so richtig vernünftig umbringen kann.

Keine dreißig Sekunden später ist sie wieder zurück. Rekordverdächtig, aber gut – zu Jans Wohnung sind es ja gerade mal zwei Meter über den Flur. Gleiches Stockwerk, nur eine Türe weiter. Ich sage ja, Marie ist ein Ass in Sachen Effizienz.

Herkules wackelt gemächlich hinter ihr her, und als wüsste er, worin sein heutiger Auftrag besteht, springt er zu mir auf die Couch und lümmelt sich schnurrend neben mich. Seinen Kopf legt er auf meinen Unterschenkel und schaut mich mitleidig an. Oder auffordernd. Er will gestreichelt werden, also komme ich auch diesem Appell nach und kraule seinen samtigen weißen Bauch. Heute mache ich sowieso alles, was mir aufgetragen wird. Ein eigener Wille – was bitteschön ist das?