Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte - Tanja Langer - E-Book

Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte E-Book

Tanja Langer

0,0

Beschreibung

Was ist das eigentlich, mein Leben? 10.000 verkaufte Exemplare bisher! Eva ist fast vierzig, Eva hat drei Kinder, Eva hat einen Mann und Eva geht immer wieder fremd. Und als sie vor dem Bild »Die Frau in drei Stadien« des Malers Edvard Munch steht, fährt ihr auch noch der Schreck ihrer eigenen Endlichkeit in die Glieder. Fortan – steht alles kopf: Wie geht das heute, Liebe und Eifersucht und das Leben mit Freunden, und wie soll man das überhaupt alles hinkriegen? Der tragikomische Roman entführt nach Sizilien und Norwegen, in den Orchestergraben einer Oper und den Alltag einer working mom. Tanja Langer erzählt in einer lebhaften, frischen Sprache, humorvoll und ernst, eingängig und komplex über alles, was uns manchmal im Leben zu fehlen scheint.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 749

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Meiner Mutterundzur Erinnerungan meinen Großvater (1893–1986)

Wir leben in vielen Räumen,hören viele Stimmen.

1. KAPITEL

Lose Enden

Tuttiliebe

In ihrem vierzigsten Jahr geriet für Eva das Leben durcheinander, als sie in Bergen vor einem Bild des berühmten Malers Edvard Munch stand. Eigentlich hatte das Durcheinander schon früher begonnen, vielleicht war es schon immer dagewesen. Ein geradezu regelmäßiges Durcheinander jedenfalls herrschte in Evas Liebesleben, obwohl sie nun schon seit fast zehn Jahren mit Stefan verheiratet war, einem Klarinettisten.

Eva wäre ihm gern treu gewesen, doch wie mit den Männern vor Stefan, vor ihrer Ehe, kam ihr immer etwas dazwischen, und stets blieb sie verwirrt und traurig zurück. Die Liebe wollte ihr nicht glücken. Sie war nicht einem treu, sondern zweien, sie rannte zweien weg, um es mit einem dritten zu versuchen. Sie ließ sich Horoskope stellen, die sie sofort wieder vergaß, und sprach viele Wochen und Monate lang mit ihrer persönlichen Stadtindianerin. Sie schwankte zwischen dem Eingeständnis, nun einmal so zu sein, wie sie war, und der Sehnsucht, doch einmal anders sein zu können. Sie ließ sich von ihrer Freundin Nora die Karten legen; und Nora, die sie kennengelernt hatte, als sie beide jung waren und sich auf Noras Rücken ein langer, kastanienbrauner Zopf kringelte, hatte schon damals gesagt: „Meine Liebe, du möchtest so gern treu sein, ich sehe es dir an.“

Und Eva hatte auch mit Nora geschlafen und dem Mann, der früher in Nora verliebt gewesen war und nun Eva liebte, alle drei zusammen in einem Bett. Eva hatte gespürt, wie zart eine Frau sein kann. Sie hatte Nora geküsst, bis ihr von so viel Nähe und Ähnlichkeit schwindelig wurde, und genau in diesem Augenblick war Robert in die Wohnung gekommen und hatte sich dazugelegt. Später, als es Robert längst nicht mehr gab, hatte sich ihr Gespräch immer wieder um Evas Neigung gedreht.

„Du hältst es eben mit der Tuttiliebe,“ sagte Nora. Nora war eine sehr belesene Person und hatte dieses schöne Wort bei Jean Paul aufgeschnappt. „Die Liebe zu vielen“, erläuterte sie, „um nicht zu sagen zu allen. Es handelt sich um eine Art Generalverliebtheit.“

Doch Eva wollte keine rechte Freude daran haben.

„Was ist so schlimm daran, viele Männer zu lieben?“, fragte Nora und rollte sich eine Zigarette.

„Nichts“, antwortete Eva.

„Warum macht es dich dann so traurig?“, fragte Nora weiter und leckte den Rand des Papierchens.

„Ich hänge so an jedem“, sagte Eva und sah ihre Freundin aus aufrichtig bekümmerten, grün gesprenkelten Augen an.

„Ich bin jedem verwachsen wie das Moos dem Baum, an den es sich schmiegt.“

Nora kicherte.

„Das Dumme ist nur“, sagte Eva, „dass in meinem Herzen Platz für eine komplette Baumschule ist.“

„Soso“, machte Nora spöttisch und zündete die Zigarette an, „lauter junge Tännchen, oder was?“

„Naja“, sagte Eva, „kannst auch sagen, ein ganzer Wald.“ Nora lachte.

„Du bist gemein!“, sagte Eva, fing aber auch an zu kichern.

Nora klemmte die Zigarette zwischen ihre schmalen, hübschen Lippen und begann, die Karten zu mischen.

„Ich verstehe immer noch nicht, was dich daran stört“, sagte sie.

„Nichts.“

„Mann, du schaffst mich. Wo ist dann das Problem?“

„Das Problem ist …“Eva zögerte. „Das Problem ist, wenn ich mich von einem losreißen muss wegen des andern.“

„Wer sagt denn, dass du das musst?“

„Meine Haut“, sagte Eva, verdutzt von ihrer Antwort.

„Hm“, machte Nora und legte die Karten vor Eva auf den Tisch. „Wir machen das Geheimnis der Hohepriesterin. Zieh deine neun Karten.“

So ging das wieder und wieder. Und Eva hatte gesehen, wie Nora sich das Haar kürzer schnitt, wie sie verschiedene Männer liebte, mit denen sie nicht zusammenleben wollte, und wie sie ein Mädchen bekam von einem, mit dem sie auch nicht die Wohnung teilen wollte. Sie hatten studiert, Eva Kunstgeschichte, Nora Psychologie, und beide die Berufe erlernt, mit denen sie jetzt ihr Geld verdienten. Nora arbeitete als Sexualberaterin und Eva im renommierten Berliner Auktionshaus Spoerli. Die Freundinnen hatten manchmal mehr und manchmal weniger Zeit miteinander verbracht, doch der Faden war nie abgerissen. Immer wieder hatten die beiden Frauen in Noras kleiner Küche gesessen, an deren Wänden lauter Filmplakate und Fotografien von dunkelhäutigen Jazzmusikern hingen, und auch von Noras Eltern, als sie jung waren. Nora hatte sich mit unveränderlicher Geste eine Zigarette gedreht, sie angezündet und mit der ebenso unveränderlichen Geste, die Eva so liebte, die Tarotkarten gemischt und auf den Tisch mit dem blauen Wachstuch gelegt. Sie hatten über alles geredet, über Therapien und Männer und Glück und Unglück und Sex und keinen Sex. Und immer wieder hatte Nora gesagt: „Meine Liebe, du möchtest so gern treu sein, ich weiß es. Du weißt nur nicht, wie du das anstellen sollst.“ Und Eva hatte geheiratet und Kinder bekommen, die sie liebte, und sie hatte sich so sehr bemüht, alles gut und richtig zu machen, und die ganze Zeit hatte es ein solches Durcheinander gegeben in ihrem Herzen. Noras Haare wurden langsam grau, früher als Evas, weil sie vier Jahre älter war, und Nora band ein buntes Tuch hinein, und manchmal färbte sie das Haar, und sie saßen in der Küche und tranken Espresso und deuteten die Karten.

Bis Eva in ihr vierzigstes Jahr kam. Da geschahen merkwürdige Dinge.

· 1 ·

In jenem Jahr fegten zwei schwere Orkane über Europa hinweg. Der eine mitten im Sommer, der sehr heiß war und voller Regen, und der andere im Herbst, als der Ätna auf Sizilien ungewöhnlich heftig spuckte und eine große Aschenwolke nach Catania schickte. In jenem Sommer trat die Elbe in der Region Mitteldeutschlands weit über ihre eingegrenzten Ufer, riss Dörfer mit sich fort und überschwemmte ganze Landstriche. Menschen wurden von Bäumen erschlagen, Häuser zerstört, und allmählich sickerte ins Bewusstsein der Bewohner der Alten Welt, dass die Natur sich in ihrer Macht zeigte und sie daran erinnerte, dass auch sie nur ein Teil von ihr waren, ein Teil der Natur.

Doch zunächst, am Anfang dieses bewegten Jahres, genaugenommen im März und kurz vor Ostern, war es nur ein unangenehm kalter Wind, der durch die Gassen von Agrigent im Süden Siziliens fegte.

Und

oh die kalten Winde von Agrigento,

sie fuhren listig unter das weiße Papiertuch, das über die geblümte Tischdecke gelegt und unzureichend befestigt war, und hoben Eva, die ihren Mann ansah, sein schönes blasses Gesicht mit den dunkel melancholischen Augen, fort von diesem Tisch, wirbelten sie hoch in die Luft, fegten sie weg wie eine trotz Achtsamkeit in ein Unwetter geratene Kohlmeise, von einer Bö erfasst, weil er ihrem Blick wie hundertfach zuvor nicht begegnete, warum auch immer nicht begegnete, aus Gründen, die sie herausfinden würde, in diesem Jahr, das wollte sie, unbedingt, denn wieder und wieder geschah es ihr, dass sie hinausfiel aus seinem Blick, mit aussetzendem Herzen ins Weltall hinein

nein

so weit nun doch nicht

nur in die Luft geschleudert zu den Wolken

flog sie hoch

fand, nach dem ersten Schrecken, federleicht, einen Weg, schmiegte sich in freundlichere Lüfte und wurde für einen Moment zu dem, was man den kleinen Meisen nachsagt:

liederlich, lose und frech.

Und oh die kalten Winde, die unter das gleißende Weiß des Papiertuches gefahren, ließen sie dort wieder fallen, wo die Bedienung, die stark nach Parfüm roch, es mit glänzenden Klammern feststeckte.

Eva steckte ihr aufgelöstes, dunkles Haar wieder fest und sah auf die Speisekarte und das Leben, das in Gestalt ihrer drei Kinder Lucie, David und Sina am Tisch saß und nach Nudeln verlangte. Sah Stefan, ihren Mann, der träumte, wer weiß wohin, die Freundin, Sibylle, mit ihrem kurzen blondierten Schopf, und daneben Ludwig, Sibylles Mann, mit dem unvermeidlichen Leatherman am Gürtel, seinem Taschenmesser, der seine Freude für den Tag kundtat, jungenhaft aufgekratzt und väterlich sonor, der fröhlich wissen wollte, welchen Wein bei diesem Essen im Freien, an diesem ersten sonnigen Urlaubstag auf Sizilien, ganz in der Nähe der alten Tempel. Und Eva sah die Gören der beiden, die hampelten und quietschten, lachte und sagte jaja, und Salat auch noch, und Vorspeisen auch, und sie schob ihn weg, den Kratzer im Hals und im Herzen. Sie hatten alle gerötete Gesichter von der Sonne, was machte da schon ein bisschen Wind?

Fortunas Rad dreht sich, dachte Eva, du steigst hinauf, du fällst hinunter, und: how we suffer from our vanity, wie es in dem Song hieß, den sie auf der Fahrt im Taxi zum Flughafen gehört hatte, gestern oder vorgestern. Wie leiden wir an unserer Vergänglichkeit, übersetzte Eva es sich in Gedanken, oder musste es Eitelkeit heißen, wie früher, als beide Begriffe noch eng miteinander verknüpft waren?

Sie rieb Lucie und David mit Sonnencreme ein. Liebevoll ließ sie die Finger über die zarte Haut ihrer beiden jüngeren Kinder fahren und küsste sie. Sie band Lucie ein Kopftuch um das Haar, das dunkel war und lockig wie ihr eigenes, drückte sie fest an sich und küsste sie noch einmal. Die Vierjährige lachte, machte sich los und rannte zu den anderen Kindern. So sind sie, die kleinen Damen, dachte Eva und sah ihrer Jüngsten verliebt hinterher. Sie war zufrieden und fand sich philosophisch gestimmt.

Wir sind Kinder, wir werden erwachsen, und kaum haben wir begriffen, dass unsere Jugend vorbei ist, kollern die Hormone und sagen: Du hast den Zenit überschritten. Schau in den Spiegel und sag, was du vom Leben noch erwartest. Du bist ein Kind gewesen, setzt Kinder in die Welt, du siehst sie heranwachsen. Du überprüfst deine Träume, all das, was wir uns mit zwanzig erhofften, mit dreißig erstrebten, und findest dich wieder in einem dichten Gestrüpp von Kompromissen. Wir jonglieren mit Eifersucht und Neid, wir kämpfen gegen Hader und schwindende Illusionen, wir kehren Gefühle unter den Teppich und werden von ihnen beherrscht, in der Liebe, der Ehe, dem Beruf. Wir zanken und versöhnen uns mit Eltern oder Freunden, und unter alldem wuchern unverändert Hoffnungen und die unerschöpfliche Sehnsucht nach Leidenschaft.

Wir sehen uns an, und die anderen, und müssen begreifen: Das ist das ganz normale Leben.

Verflucht, dachte Eva, wo bin ich jetzt wieder hingeraten?

Die beiden Ferienwohnungen, die sie von Berlin aus angemietet hatten, lagen auf einem Hügel, über den der Wind pfiff, in einem nüchternen Neubau, der im Prospekt vom Besitzer als romantischer Bauernhof bezeichnet worden war. Daneben standen zwei wacklige Baracken, und hinter dem Haus war ein schiefer Anbau an die Rückwand geklatscht. Keine Pflanze, kein blühendes Kraut, das sich lebenslustig aus einer Blechbüchse rankte. Ein geradezu feindseliger Verzicht auf Ästhetik. Der Besitzer, Signor Giovanni, ein kräftiger Mann mit schwieligen Händen, führte sie eine roh gezimmerte Treppe hinauf und schloss eine Tür aus Spanplatten auf. Eva würgte Tränen herunter. Sie war fassungslos. „Frühstück auf der idyllischen Terrasse mit Blick auf Olivenhaine“ hatte der alternative Reiseführer versprochen.

„Wo ist die Terrasse?“, fragte sie Signor Giovanni. Die anderen standen um sie herum. Evas Gesicht war hochrot.

„Aber Signora, bei diesem Wetter!“

„Wir haben eine Wohnung mit Terrasse vereinbart“, insistierte Eva.

„Wo ist die Terrasse?“

Stefan, der mit zwei Reisetaschen in der Hand verlegen einen halben Meter entfernt neben Eva stand, ahnte, was kommen würde. „Nun geh doch erst mal die Zimmer angucken“, sagte er, und dann drängten sich vier Erwachsene und fünf Kinder in der weiß gekachelten schmalen Küche.

„Einer soll wohl auf dem Sofa in der Küche schlafen“, sagte Stefan.

„Null Atmosphäre“, schnaufte Eva. „Ich bleibe keine fünf Minuten hier. Das ist die reine Abzockerei.“

„Vielleicht ändert sich der Eindruck, wenn die Sonne rauskommt“, sagte Sibylle.

„Ich sehe das überhaupt nicht ein“, sagte Ludwig. „Wir haben die Bude bezahlt, wir bleiben hier.“

„Wir könnten bestimmt etwas viel Schöneres finden“, sagte Eva. „Ich kratze doch nicht mein Geld zusammen, um auf Sizilien in einer Bude zu sitzen!“

„Wir machen doch sowieso Ausflüge“, sagte Ludwig, „und nachts schlafen wir. Da siehst du doch gar nichts. Rechne doch mal den Verlust, dafür können wir jeden Abend essen gehen.“

Dreimal doch war dreimal zu viel.

„Ich will aber nicht jeden Abend essen gehen“, zischte Eva, von Ludwigs Ton noch mehr gereizt. Sie starrte ihn mit geradezu hasserfüllten Augen an. „Ich will es im Urlaub nicht schäbiger haben als zu Hause.“

„Dann musst du beim nächsten Mal etwas mehr investieren!“

Eva und Ludwig standen sich gegenüber wie Kampfhähne. Sibylle und Stefan sahen sich besorgt an.

„Immer musst du mit dem Geld kommen, verdammt noch mal. Wer weiß, wann wir je wieder das Geld haben, um nach Sizilien zu fliegen.“

„Wir haben hier gebucht“, sagte Ludwig, „wir bleiben hier.“

„Ihr bleibt hier“, sagte Eva und reckte Ludwig das Kinn entgegen.

„Genau“, sagte Ludwig, ebenso halsstarrig wie Eva, „wir bleiben hier.“

Sibylle war dem Heulen nah. Immer musste Ludwig so rechthaberisch sein! Im entscheidenden Augenblick tat er so, als wäre er in der Klinik. In der Klinik mussten alle ihm gehorchen, er war der Chef der Abteilung. Es war wirklich scheußlich hier. Sibylle spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte. Sie sah den schönen Urlaub mit ihren Freunden jäh scheitern und blickte Stefan Hilfe suchend an.

Stefan sagte nichts; er musste nur in Evas hochrotes Gesicht sehen und wusste Bescheid. Sie zitterte; das schwarze Haar stand ihr vom Kopf, die grünen Augen waren Schlitze.

Eva klopfte an die dünne, hellhörige Wand und knurrte.

„Dieser schwäbische Altphilologe mit seiner dicken Frau und ihrer dünnen Schwester wird mir den ganzen Urlaub vermiesen. Hört doch das Geschwätz nebenan, wie laut die reden! Ausgerechnet! Da hätten wir ja gleich nach Stuttgart fahren können!“

Ihre Tochter Sina, neuneinhalbjährig, kicherte. Sie streckte den Finger gen Fenster. „Tolle Aussicht“, sagte sie, Augenbraue hoch, Augenbraue runter. „Gewächshäuser mit Plastikwelldächern.“

„Können wir raus?“, maulten David und Lucie, die beide an Evas Beinen hingen.

Eva zerrte Schubladen und die Türen des Einbauschrankes auf, knallte sie wieder zu. „Abgezählte Bestecke, dieser Geizhals! Ohne Terrasse, da bin ich eingesperrt, da werden wir hier sitzen und nackige dünne Wände anglotzen, als wären wir in einer pseudowestrenovierten Hütte im tiefsten Adlergebirge!“

„Die Hausbesitzerin spricht“, entfuhr es Ludwig.

„Ludwig!“, rief Sibylle. „Jetzt hör aber auf!“

Ludwig zog den Reißverschluss seiner Lederjacke langsam zu, trat von Eva gefolgt hinaus, betrachtete gründlich den gestückelten Anbau, die Baracken neben dem Haus, die sich in den pollenwirbelnden Wind duckten, deren Ärmlichkeit kein freundlicher Anstrich zu übertünchen versuchte. Kein bisschen Illusion, und ringsum nur halb geeggte graue Felder mit aufgeworfenen Erdkrusten und drei mickrigen Olivenbäumen, die auf Sonne warteten.

Signor Giovanni kam mit Handtüchern die Treppe heraufgewieselt. Siegessicher lachte er: „Sehen Sie, das Wetter ist nichts für die Terrasse, Signore! Und das soll so bleiben!“

Das war nun das endgültige Aus. Denn ausgelacht zu werden, das hasste auch Ludwig. „Wir ziehen um“, sagte er. „Wir ziehen um, auch wenn es finanziell ein Verlust ist. Wir gehen das Risiko ein.“

Und so kurvten sie, Abenteuer und Risiko genießend, durchs Umland von Sciacca. Eva fragte Bauern nach privaten Unterkünften, „Agriturismo“, nicht zu teuer. Die Bauern hielten ihr duftende, frisch geerntete Bohnen unter die Nase und schickten sie in die Orangenund Zitronenhaine, zu Häusern zwischen Akaziensträuchern, vor denen Hunde kläfften, aber keiner rauskam, nur einmal eine Frau, der es leid tat, alles besetzt, und dann, nach siebzehn Feldern und Hainen und Häusern, die hier unten am Meer viel freundlicher wirkten als oben auf dem unwirtlichen Berg, schrien die Kinder, wir wollen raus, wir müssen Pipi, wir haben keine Lust mehr, im Auto zu sitzen.

Und wie es der Zufall wollte, oder ein gütiger Stern, war da ein schönes altes Haus, ohne Schild, und die Kinder sprangen heraus und liefen herum, und die vier Erwachsenen standen und guckten schon müde vor Ernüchterung. Das Haus war verschlossen, die Läden, die Türen, doch da kam ein kleiner blauer Fiat, eine ältere Frau stieg aus, verwunderte sich lachend über die vielen Gäste und schloss ihr geschwungenes Eisentor auf. Sibylle schubste Eva, Eva nahm sich ein Herz, erzählte von Irrfahrt und Wünschen, zeigte auf die Kinder, die durch die Büsche hopsten, und sah die Signora bittend an. Die lachte noch einmal, winkte sie herein, und alle stiegen die Treppe zum oberen Teil des Hauses hinauf, in dem sich, wie hätte es anders sein können, zwei Wohnungen für Gäste befanden. Die Signora sagte, wir vermieten nur an Freunde, und nannte einen freundschaftlichen Preis, und Eva jubilierte. Eine riesige Terrasse, schrie sie, und seht mal, wie charmant, lauter alte Möbel aus Holz, und Bilder an der Wand! Und sie lobte alles und herzte die Signora. Zwei Stunden bat die sich aus, dann sei alles bereit.

Eva und Stefan hatten Ludwig und Sibylle in den Ferien kennengelernt, am Strand von Ibiza, kurz nachdem sie in das Haus mit Garten in Kleinmachnow gezogen waren, am Rande von Berlin. Die Kinder hatten zusammen gespielt, und die Erwachsenen hatten sich unterhalten. Ludwig war leitender Onkologe in Berlin-Mitte, und Sibylle hatte eine Praxis für Allgemeinmedizin in Neukölln. Sie fanden es „spannend“, dass Stefan als Klarinettist in der Komischen Oper („auch im ehemaligen Ostteil der Stadt“) arbeitete und Eva mit Kunst und Antiquitäten zu tun hatte. Wieder in Berlin, hatte man sich getroffen; es war so praktisch mit den Kindern. Sibylle und Ludwig, die selbst in Schöneberg im vierten Stock wohnten, kamen fast jeden zweiten Sonntag zu Eva und Stefan „aufs Land“.

Und jetzt, es war ihr zweiter Ferientag, saßen sie in Agrigent auf einer Terrasse mit großartigem Blick und warteten auf ihr Essen.

„Nachher gucken wir uns die Tempel an“, sagte Ludwig, noch immer leicht angespannt, weil er klein beigegeben hatte. Er zog seinen Kulturreiseführer aus der Lederjacke.

„Ja, Ludwig, machen wir.“ Eva lächelte ihr strahlendstes Lächeln, Ludwigs Zugeständnis quittierend. Sie nahm dafür sogar ihre Sonnenbrille ab.

„Ich möchte aber auch gern Geschäfte ansehen“, sagte Sibylle, „nicht gleich so viel Kultur!“

Sibylle hatte sich fest vorgenommen, ihre Garderobe um ein paar schicke Kleider zu erweitern und nicht zu viel zu essen, damit sie auch in die neuen Kleider hineinpassen würde. Heute allerdings wollte sie ihr erstes Essen im Freien unbeschwert genießen. Es war kühler auf Sizilien, als sie gedacht hatten. Sibylle trug ein Jackett zu ihren Jeans und hatte einen rosa Seidenschal um den Hals gewickelt. Sie sah zu Eva hinüber. Eva trug schwarze Wollstrumpfhosen und einen bunten Rock, der ihre Knie umspielte. Darüber hatte sie einen noch bunteren Strickpullover an, der unter der blauen Windjacke hervorsah. Sie sah aus wie ein Schulmädchen. Irgend etwas an ihr war stets verrutscht, falsch geknöpft oder hatte ein Loch.

Den Männern gefiel das. Den Männern gefiel Eva überhaupt. Das Quecksilbrige, die runden Arme. Sibylle bewunderte und beneidete Eva. Eva aß sorglos, Eva ging unbekümmert auf Menschen zu, Eva änderte alles, was ihr nicht passte. Und heute wirkte sie besonders vergnügt. Kein Wunder. Sie hatte gewonnen.

„Kriegen wir nach dem Essen ein Eis, Mama?“, fragte Fabian und schmiegte sich an Sibylle. Fabian war ein zappeliger, neugieriger Junge und hatte ständig Appetit auf Süßes.

„Jaja“, sagte Sibylle und sah sich nach dem Lärm um, der von der Straße vor dem Restaurant kam. Bauarbeiter fuhren mit einem Lader voller Sand vor. Es wirkt so, als wären Eva und Ludwig das Paar, dachte sie. Die beiden diskutierten schon wieder miteinander über die Reihenfolge der Besichtigungen. Sibylle ärgerte sich kurz, beobachtete dann aber die kräftigen, fröhlich sich zurufenden Männer.

Eva verriet nicht, wie sehr Ludwigs „Hausbesitzerin“ sie gefuchst hatte. Jedes Mal, wenn sie auf das Haus hin angesprochen wurde, liefen merkwürdige Verteidigungsreden durch ihren Kopf.

Seit fünf Jahren lebte sie inzwischen mit Stefan und den Kindern in dem Haus in Kleinmachnow am südlichen Rand von Berlin, einer freundlichen, grünen Siedlung, in der es überwiegend Einfamilienhäuser mit Gärten gab, aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren, und, seit der Wende, auch einige Blocks mit Reihenhäusern. Der Ort war ein kinderreiches Paradies am Rande der großen Stadt; viele arbeiteten in Berlin, ob sie nun schon immer dort wohnten oder durch die zahlreichen Besitzveränderungen hinzugezogen waren. Evas Vater hatte Eva das Haus überschrieben. Es war das Haus ihrer Großeltern gewesen und durch Rückübereignung wieder in den Besitz der Familie gekommen. Evas Schwester Anka, die nur fünfzehn Monate jünger war und eine Vagabundin, hatte auf ihren Anteil am Haus verzichtet.

Sie hatte sich lediglich eine Summe vom Vater als Unterstützung zusagen lassen, „für den Fall, dass ich es brauche“. Sie schaffte es gut ohne Hilfe, fand immer neue Jobs und schien überhaupt wenig Geld zu brauchen, um glücklich zu sein. Wegen der Kinder war es naheliegend, dass Eva und Stefan in das Haus zogen. Eva hatte sich zunächst gesträubt; sie fühlte sich unangenehm festgelegt, nun auf immer in einem Haus zu wohnen, noch dazu außerhalb der Stadt. Du musst ja nicht, hatte ihr Vater gesagt, ich meine, für immer. Wenn du es nicht aushältst, kannst du es sagen. Dann vermieten wir es eben.

Darauf konnte Eva sich einlassen. Heizöl, Wasser, Strom und Instandsetzungen fraßen eine Menge, und Evas und Stefans Einkommen war nicht riesig, auch wenn Stefan fest angestellt war. Solange die Kinder klein waren, konnte Eva nur unregelmäßig für das Auktionshaus Spoerli arbeiten. Noch dazu sparte Eva, die es immer in die Ferne zog, an allen Ecken und Enden, um einmal im Jahr verreisen zu können.

Die Bedienung im geblümten Kleid brachte Pasta und Limonade für die Kinder, Tintenfische, eingelegte Sardinen, gebackene Pflaumen in Speck, Salat, Brot und Wein für die Erwachsenen. Man stieß an, verteilte das Essen, lachte und freute sich. Blinzelte in die Sonne, tauschte Plätze, holte Sonnenbrillen heraus und Taschentücher für die verschnupften Nasen. Dünne Servietten flatterten, Blechbesteck lag leicht in der Hand, Evas Haare flogen, sie hielt sie fest, wenn sie die Gabel in den Mund schob und ihren kleinen Ärger fort. Sie aßen Spaghetti mit Sardellenpaste, und die Kinder redeten und redeten, von den wunderbaren Hühnern im Hof bei der Signora, und sie gackerten selbst vor Vergnügen und schlugen mit den kindlichen Flügeln. Und während die Kinder plapperten und spachtelten, freuten sich die Erwachsenen über das wunderbare Essen und blickten über die barocken Dächer der Stadt, gebrochenes Gelb, weiches Ocker, stumpfes, schönes Rot, auf glänzende silbergrüne Dachziegel, wie durchscheinend gemacht von den Jahrhunderten. Sie hingen ihren Gedanken nach. Das ist ja der Vorteil, wenn man mit alten Freunden reist: Man muss nicht immerzu reden.

Stefan las an der Fassade gegenüber auf einem ovalen Schild mit Pfeil „Teatro in vicolo“. Er wünschte sich, nach dem Essen diesem Schild zu folgen, die steilen Treppen und Gassen hinunterzuspringen und zu entdecken, wo es war und was sie dort spielten. Er spürte ein Ziehen in der Brust und im Bauch und sah sich selbst als jungen Musiker, mit seinem Instrumentenkoffer in der Hand. Er war in Prag gewesen als Student, in Budapest, Paris und Rom, und hatte immer Ausschau gehalten nach diesen Gässchentheatern und Winkeltheatern, von Familien oder Freunden betrieben, eigensinnig, ohne viel Geld. Vielleicht mochte er diese kleinen Orte, weil er selbst aus einem eher dörflichen Stadtteil Berlins kam, Kladow, am westlichen Ufer des Wannsees, auf dessen anderer Seite Eva groß geworden war.

Sein Vater war Dachdeckermeister; die Mutter hatte sein Talent entdeckt und gefördert. Zuerst hatte er Flöte gespielt; im Schulorchester dann Klarinette. Durch seinen Onkel hatte er einen Soloklarinettisten gefunden, der ihn unterrichtete und für die Aufnahme in die Hochschule der Künste vorbereitete.

Stefan liebte den Geruch enger Garderoben, nach Puder, Parfüm, Staub und Schweiß, mit vollgepferchten Kleiderstangen, auf denen sich Kostüme für Jahrhunderte drängten. Deshalb spielte er neben und nach dem Studium in Off-Theatern, bis ihn Mitte der Neunzigerjahre sein ehemaliger Professor der Komischen Oper empfahl. Da Eva zum zweiten Mal schwanger war, war Stefan glücklich: Er wurde als zweiter Klarinettist engagiert. Zu Anfang war das Haus für Stefans Empfinden zu groß, allein das Orchester umfasste hundert Mitglieder, doch mit der Zeit schien es für ihn auf ein überschaubares, familiäres Gehäuse zusammenzuschrumpfen. Die anderen Musiker waren wie er Einzelgänger und unkomplizierte Familientiere zugleich, die sich in der Gruppe wohl fühlten und verbargen, sich anschmiegten und dabei zurückzogen. Du hättest gut in ein mittelalterliches Kloster gepasst, sagte Eva zu ihm, wenn sie mit seiner Eigenbrötelei nicht zurechtkam, du kommst mir manchmal vor wie ein Mönch mit Klarinette. Wie sollte ich anders Musik machen, gab Stefan zurück, und so gesehen hatte er natürlich recht.

„Auf die Ferien!“, hob Ludwig überraschend das Glas, und „auf die Ferien!“, riefen alle, nun doch erleichtert, dass einer zu reden anfing. Der Wein funkelte in der Sonne und ein bisschen schon in den Köpfen, und Eva griff das Gespräch der Kinder auf, die ihre Nudeln mampften.

„Mein Vater“, fing sie an, „als er klein war, so alt wie du, Sina, und du, Fabian, also neun, hat seiner Mutter einmal ein paar Küken geschenkt. Das war kurz nach dem Krieg, und er hatte sie von einem Bauern bekommen.“

„Welcher Krieg?“, fragte Sina, die jeden Abend darum kämpfte, die Tagesschau mitsehen zu dürfen, was Eva wegen der vielen Grausamkeiten kurz vor dem Einschlafen ablehnte.

„Der mit dem Hitler“, sagte Eva, die andererseits den Kindern keineswegs die Schreckensgeschichte ihres Landes vorenthielt. „Er bekam sie für irgendeinen Dienst auf dem Feld oder im Stall. Das war damals richtig was wert, so eine Handvoll Küken.“

„Mama, mach doch mal den Hitler.“

„Nein, Sina, nicht hier.“

„Warum nicht hier?“

„Jedenfalls hielten sie die Küken in der Küche, in der sie auch schliefen, zu fünft, meine Oma und ihre Söhne, mein Papa, also Opa, und meine Onkel, Onkel Justus, Onkel Peter, na ihr wisst schon“, sagte Eva und hatte plötzlich das Gefühl, von einem dieser Onkel zum anderen geworfen zu werden.

„Es war alles ganz winzig, müsst ihr wissen“ (zu den Kindern), „die Küken wohnten in einer alten Kartoffelkiste.“

„Können wir auch Hühner haben?“, fragte Jennifer, Sibylles und Ludwigs zweites Kind, gerade sieben, mit ihrer lauten, rauen Stimme.

„In unserer Wohnung im vierten Stock?“, rief Ludwig. „Du spinnst wohl!“

Schon wieder das Haus, dachte Eva.

Das Haus stand nur wenig entfernt von dort, wo sich früher die Mauer zwischen Westberlin und der DDR entlanggezogen hatte. Damals war es linientreuen Parteigängern vorbehalten gewesen, in dieser Gegend zu wohnen, in der man am nächtlichen Himmel hin und wieder rote und gelbe Leuchtkugeln aufblinken sah und die Scheinwerfer, die die Stacheldrahtzäune am Todesstreifen abschweiften, um Republikflüchtlinge anzuleuchten. In der nahe gelegenen Hakeburg war eine Parteischule der SED für künftige Spitzenfunktionäre untergebracht, aus der politische Berühmtheiten hervorgegangen waren.

Einige von den „Ehemaligen“ wohnten noch immer in dieser Ecke, und sie beäugten misstrauisch die Westler, die nun kamen und die Geschichte auf den Kopf stellten und ihren Nachbarn die Häuser wegnahmen und ihre Existenz bedrohten. Eva hatte für sich beschlossen, dass es in Ordnung war, dass sie nun in dem Haus lebte, das ihre Großeltern vor dem Zweiten Weltkrieg gebaut und sicher mühsam abbezahlt hatten. Sie wusste nicht allzu viel über diese Großeltern, die die Eltern ihrer Mutter gewesen und früh verstorben waren. Die Kindheit, die ihre Mutter in diesem Haus verbracht hatte, schien ihr weit weg und schwer zu fassen; also vergaß sie die meiste Zeit, dass ihre Mutter in genau diesen Wänden geatmet, gegessen und gespielt hatte. Dass sie durch diese Straße zu ihrer Schule gelaufen war, in den Dreißigerjahren. Es fehlte einfach das Gespräch darüber. Als sie in das Alter kam, in dem man beginnt, die Eltern nach ihrer Geschichte zu fragen, war ihre Mutter schon nicht mehr da.

So blieb das Haus selbst ein noch unerschlossener Gedächtniskörper, in dem sie unter den typischen blassrosa und gelb gemusterten Osttapeten zunächst das Zentralorgan der ehemaligen DDR, das ‚Neue Deutschland‘, und darunter die Tageszeitung der Nazis, den ‚Völkischen Beobachter‘ von den Wänden gekratzt hatten. Unmöglich, hatte Eva mit dem Spatel in der Hand gedacht, dass dies das Fleckchen sein soll, an dem meine Füße in die Erde wachsen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb pflanzte sie Holunder, Ranunkel und Jasmin (Brombeeren wucherten wie von selbst), sammelte Brennnesseln und Regenwasser in einer abgenutzten Tonne für eine Jauche gegen Blattläuse.

Stefan hatte es gefallen, hierher zu ziehen. Zum einen arbeitete er mit vielen Kollegen aus dem ehemaligen Osten und fand es selbstverständlich. Zum anderen hatte er die DDR gut gekannt, von seinen Großeltern, die in Brechts Buckow am Schermützelsee, kurz vor Frankfurt an der Oder, eine Gartenwirtschaft betrieben hatten. Es gab einen Geruch, der ihn an seine frühen Kindertage dort erinnerte und den er mochte, genau wie das Gefühl, dass in diesen Straßen die Zeit langsamer vorangeschritten war. Als speicherten sie den atmosphärischen Rest eines friedlicheren, vergessenen Deutschlands vor der Teilung und vor dem Nationalsozialismus.

Die Kinder liebten den wilden Garten mit den alten Bäumen und den Tümpel mit den Enten gleich nebenan. Manche Nachbarn lugten noch immer skeptisch zwischen den Gardinen hervor, wenn Eva Besuch bekam, wenn junge Frauen mit undisziplinierten Kindern aus ihren Autos sprangen und krakeelten. Wenn Eva ihren Bürgersteig nicht rechtzeitig fegte oder laut rufend im Nachthemd durch den Garten Lucie oder David hinterherlief oder Stefan abends auf der Terrasse Klarinette spielte. Das fanden die Nachbarn allerdings auch ganz schön.

Eva schob das Haus fort und Ludwigs Sticheleien und erzählte munter weiter.

„Die Küken wuchsen und wuchsen, und bald wurde ihr Gehege zu klein, die Küche wurde zu klein, das heißt, sie war ohnehin sehr klein, und außerdem stank es nach Hühnern, das durfte auf keinen Fall sein.“

„Warum durfte das nicht sein?“, fragte Fabian.

„Weil ihre Oma Hemden wusch“, erklärte Sibylle.

„Wieso hat sie Hemden gewaschen?“

„Um Geld dafür zu kriegen.“

„Von wem?“, fragte David, der sich auch an der Unterhaltung beteiligen wollte.

„Von den Leuten, für die sie die Hemden gewaschen hat“, antwortete Sina ihrem kleinen Bruder. Sie tat genervt, doch sie liebte solche Gespräche.

„Warum haben die Leute ihre Hemden nicht selber gewaschen?“

„Das weißt du doch“, sagte Eva ungehalten, und Sibylle sagte: „Die Leute hatten keine Waschmaschine, nun lass sie doch mal zu Ende erzählen.“

„Und die sollten nach Waschpulver und Stärke duften und nicht nach Hühnerkacke.“

„Wer?“

„Die Hemden!“, schrien Sibylle und Eva und fingen an zu kichern.

Ludwig schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht mehr wehren, er fing an zu lachen. „Du bist ein Huhn, Eva, hör auf mit dem Quatsch!“, rief er und rieb sich vor Vergnügen den Bart.

„Nicht aufhören!“, brüllten die Kinder.

Stefan schmunzelte und sagte gar nichts. Er genoss das Essen, die Sonne und den Wein.

„Was haben sie also gemacht?“, fragte Sibylle, als sie vom Kichern wieder Luft bekam. Sie stopfte eingelegte Paprikascheiben in den Mund und trank einen Schluck Wein. Sie wurde rot, weil einer der Männer, die neben der Terrasse Sand schippten, ihr schöne Augen machte. Tatsächlich! Sibylle vergewisserte sich, ja, er zwinkerte ihr zu, nicht Eva, obwohl doch Eva, wie Sibylle dachte, viel hübscher war als sie, mit ihren vielen dunklen Locken, aber nein! Er meinte sie! Ihr Haar war hell! Das war ein echter Vorteil hier im Süden. Hätte sie es nicht so kurz geschnitten! Fiele es ihr wieder weich ins Gesicht! Sie würde es wieder wachsen lassen, ja, das war eine schöne Idee, und plötzlich freute sie sich, weil sie merkte, dass sie endlich an etwas anderes als an die Praxis dachte.

„Sie haben sie geschlachtet“, sagte Ludwig trocken. Seine Augen leuchteten jetzt hellblau, er hatte viele Fältchen, und seine Augenbrauen tanzten. Die linke Augenbraue war geteilt; als Kind war er vom Fahrrad auf einen Stein gestürzt und hatte genäht werden müssen, was er damals mit Interesse verfolgt hatte, um anschließend selbige Operation an der Puppe seiner Schwester Hilde auszuprobieren.

„Nein, nein, nein“, rief Eva, „das hätten sie niemals getan!“

Sibylle dachte an die Zeit, als sie zum letzten Mal in Italien gewesen war, mit ihrem Rucksack und einem Zelt, wo waren sie nur hin, diese Tage, so frei und mutig war sie gewesen, und die Männer hatten sie angesehen, allerdings ein bisschen zu gierig für ihren Geschmack und mit einem Hauch Verachtung, so hatten sie ihr nachgepfiffen, aber sie hatte sich zur Wehr gesetzt, strenger Blick, mach die Fliege, aber presto, zwanzig Jahre war das her, zwanzig …

„Sie haben den Hühnern auf dem Dach des Hauses ein Gehege gebaut“, sagte Eva und trank ihren Wein aus.

… jetzt war es eindeutig anders, ihre dunklen Augen sahen sie aufmerksam an, voller Respekt, denn …

„Das ist doch nicht dein Ernst! Auf dem Dach?“ (Ludwig)

… sie hatte zwei Kinder an der Hand …

„Sie haben ihnen ein hübsches, ordentliches Gehege gebaut oben auf dem Dach des Hauses!“ Eva lachte.

… belästigt worden war sie nie, Sibylle, und der einzige Mann, der ihr nahe kam, auf dem Campeggio in Firenze, als es in Strömen regnete und sie mit dem abgebauten Zelt und dem Rucksack auf der überdachten Terrasse saß und heißen Kaffee schlürfte und auf die Stadt sah und sich fragte, wieso sie so ein Pech haben musste. Da war er aufgetaucht, braungebrannt mit hinreißenden Augen und Muskeln, und wie der die weißen Zähne beim Lächeln …

„Und alle Lüneburger Passanten haben hinaufgezeigt und gesagt: Das sind die Hühner von Frau Greta.“

… aus Südafrika war der gekommen, aber ein Weißer, der ihr leise auf Afrikaans ins Ohr sang und leider leider …

„Einmal ist ein Huhn aus dem Gehege geklettert, wer weiß, wie“, sagte Eva, „und ist vom Dach gefallen.“

… gleich am nächsten Abend eine andere ansah …

„Da hat Greta –“

… und nicht nur das, ins Zelt ist er verschwunden mit der anderen, wo er doch die Nacht zuvor mit ihr, und noch nicht mal besonders gelungen, zu schnell für sie, die sich zum ersten Mal im Sturm so hatte einnehmen lassen, aber mit ihr ist er dann durch Florenz gelaufen und nach Elba gefahren …

„also meine Oma, beschlossen, die Hühner doch lieber bei einem Bauern unterzubringen.“

… und sein Freund war mitgekommen, der eigentlich viel netter war und sie tröstete, hätte sie sich mal an den gehalten, sie war so dumm gewesen und einfach diesem Lächeln erlegen … Jetzt aber genug, sie trank noch einen Schluck, die Sibylle, das war nicht wieder vorgekommen, so eine Nummer, noch einen Schluck, das war so lange her, aber irgendwie schön war es doch und sie würde alles wieder genauso machen und –

Erleichtert von dieser Einsicht lächelte sie dem Bauarbeiter zu, der oben auf dem Transporter stand.

„In allen Filmen“, sagte Ludwig und bestellte Kaffee, „in allen Filmen, die in der Zeit nach dem Krieg spielen, verdienen die Frauen mit Hemdenwaschen Geld.“

„In welchem denn zum Beispiel?“, fragte Sibylle, nun wieder im Hier und Jetzt.

Die Kinder hatten nun genug und sprangen vom Tisch auf. Sina und Fabian führten die Bande an, „dürfen wir?“, riefen sie kurz über die Schulter, und schon waren sie los, auf Erkundung. Sina nahm ihre kleine Schwester Lucie an die Hand, David und Jennifer trotteten hinterher.

„Naja“, sagte Ludwig.

„Es tut auch nichts zur Sache“, Eva jetzt wieder, etwas spitz, „er will nur sagen, dass das Schicksal meiner Großmutter nicht so außergewöhnlich ist, wie ich mir das einbilde.“

„Nein, nein“, sagte Ludwig.

„Müsst ihr denn immer vom Krieg reden?“, meldete sich Stefan plötzlich. Er hasste solche Gespräche. „Lasst uns mal lieber gucken, welche Tempel –“

Eva zog nur einen Mundwinkel hoch und sagte: „Erzähl uns doch mal von deiner Großmutter, Ludwig!“

„Miststück!“, sagte Ludwig und lachte.

„Jetzt hört doch endlich auf!“, rief Sibylle eifersüchtig, und Stefan wollte los, die Rechnung bitte, heute zahlen wir, ihr das nächste Mal, und die Kinder gerufen, und noch mal schnell zu den bagnos, Händchen waschen und ihr wisst schon, und nein, Eis gibt’s später, wie sind wir eigentlich auf das Thema gekommen, jetzt aber erst mal die Treppen hinunter, mitten hinein in die fremde Stadt mit ihren Winkeln und Mörderecken.

Vielleicht tat Eva ihren Nachbarn unrecht, wenn sie in ihren Gesichtern Ablehnung vermutete; aber es war nicht leicht, mit ihnen ein Gespräch anzufangen und eine andere Meinung von ihnen zu gewinnen. Sei’s drum, das würde schon kommen. Es war genug los. Am Haus, das vor Unordnung, Türenschlagen und Kinderstimmen pulsierte, hätte vieles repariert werden müssen. Der Putz war grau von den Jahren, an der Vorderseite wucherte wilder Wein. Siebzig Jahre war es alt, und überall zog es durch die klappernden Doppelfenster. Die Dielen hatte Eva abgeschliffen und geölt. In der Küche hatte sie den blau-schwarzen Terrazzoboden glänzend geschrubbt. Das Haus hatte zwei Stockwerke und ein spitzgiebliges Dach; nach hinten zum Garten hin gab es eine Terrasse.

Du, Eva, sagte Sibylle manchmal, den Zaun müsst ihr machen. Er sieht richtig einladend aus, so viele Latten sind weg! Ist gut, lachte Eva, wenn Ludwig mir dabei hilft! Und dann lachten alle drei, weil Ludwig nur darauf wartete, etwas ausbessern zu dürfen, auch wenn Stefan mit ihm zankte, wie man was richtig zu tun hätte. Ludwig war Arzt durch und durch. Ob gebrochene Zehen, abgerissene Puppenarme oder lockere Wegplatten, er konnte alles. Er zog seinen Leatherman aus dem Etui am Gürtel, klappte das passende Utensil auf und los ging’s. Stefan spielte lieber mit den Kindern; Sybille und Eva kochten große Essen; und dann lehnte sich Sibylle am langen Tisch im Garten zurück und sagte: Sieht es hier nicht aus wie in einem französischen Film?

Zwei Apfelbäume, ein Kirschbaum, kurz: Das Haus war ein geselliger Ort. Die Kinder tobten im Garten oder spielten am benachbarten Tümpel, dass sie Kinder wären, deren Eltern gestorben wären, und dass sie sich nun allein durchschlagen müssten. Die leibhaftigen Eltern unterdessen bosselten, lasen und plauderten. Sibylle stritt fast jedes Mal mit Ludwig darüber, dass sie schrecklich gern auch ein eigenes Haus hätte. Wir müssen die Praxis abbezahlen, sagte Ludwig, der Wiederholung nicht müde werdend, du hast sie unbedingt gewollt, und ich lege mich dafür krumm. Ich mache Nachtschichten und bin fast ständig im Bereitschaftsdienst, hör auf, mich auch noch mit dem Haus zu nerven.

Tatsächlich trug Ludwig außer seinem Leatherman stets den Pieper an der Hose, der ihm signalisierte, dass er im Krankenhaus gebraucht wurde. Wenn er auch nicht „aufs Land“ ziehen wollte: Er kam gern zu Eva und Stefan. Vielleicht wegen Eva. Sie hatte sprühendes dunkles Haar. Ihre Augen hatten die Farbe eines sommergrünen Waldes, und ihre Haut war hell und zart. Sie trug Kleider und Röcke, die ihren runden Po betonten, und sie bewegte sich wie ein niemals alt werdendes Mädchen. Ludwig, den sie mit ihrer Spottnatur nicht verschonte, mochte ihren Witz, auch wenn er ihn selbst traf; er lachte dann heftig und stoßweise. Er ließ sich auf ihre Zipperlein ein, ihr Bauchzwicken hier und den verspannten Nacken da, gab Ratschläge oder pustete Bedenken fort, doch: Wär ich verheiratet mit dir, entfuhr es ihm, könnt ich dich nicht ertragen!

Sibylle klagte nie, sie hatte eine ausdauernde, wachsame Natur, und nicht umsonst liebte Ludwig ihre feine Kühle, die stets ein Geheimnis für sich bewahrte. Ludwig wunderte sich, wie gelassen Stefan mit seiner Frau umging, ja, manchmal hatte Ludwig den Eindruck, dass Stefan ihre Reize einfach übersah, ihr wippendes Auf und Nieder; nun gut, dachte er, sie leben schon zehn Jahre zusammen, da vergisst man hin und wieder, sich anzuschauen.

Dabei verhielt es sich mit Stefan einfach so: Er nahm Eva wie Sonne und Regen und Wind.

Ludwig selbst, nebenbei bemerkt, achtete auch nur halb auf Sibylle, sonst hätte er gewiss registriert, dass ihr Gesicht sich verschlossen hatte mit der Zeit. Dass in ihren blauen Augen mit dem türkisen Schimmer etwas Undurchdringliches erschien, etwas wie von abgelegten Träumen.

· 2 ·

Sizilien war kalt, die Vögel froren. Zogen die Wolken fort, brannte die Sonne; schoben sich Wolken vor die Sonne, fröstelten sie. Nach drei Tagen hatten alle einen Sonnenbrand, die Kinder husteten und die Erwachsenen schnieften. So hatten sie sich das nicht vorgestellt, ihre Osterferien im Süden. Mittags tranken sie Weißwein und abends Rotwein. So halten wir die Bakterien in Schach, sagte Ludwig. Ludwig musste es wissen, er war schließlich Arzt. Allerdings war es Eva, die kleine braune Flaschen mit weißen Kügelchen aus ihrer homöopathischen Reiseapotheke nahm, sie auf dem Tisch in einer Reihe aufstellte und ihre Notizen in einem vollgekritzelten Heft mit den Symptomen der Kinder verglich.

„Ärger bei kaltem Ostwind“, murmelte sie. „Aconitum. Ist der Schleim dick und gelb?“, fragte sie Jennifer.

„Hast du Durst oder eher nicht?“, fragte sie David.

Und die Kinder nickten und schüttelten den Kopf, widersprachen sich in ihren Angaben und ließen die Kügelchen in ihren kleinen Mündern zergehen.

„Kann ich auch ein leckeres Placebo haben?“, fragte Ludwig und biss sich auf die Lippen.

„Los jetzt“, sagte Stefan, „wir gehen vor dem Essen noch mal raus!“

Und alle Kinder zogen Schuhe und Jacken an und rannten ihm hinterher.

„Ich lege mich mal hin, wenn ihr nichts dagegen habt“, sagte Sibylle und verzog sich.

Ludwig hatte das Kochen übernommen. Er packte alles auf die bunte Tischdecke, Salat, Tomaten, eingelegte Paprika, Spaghetti, Hackfleisch. Eva kämpfte mit dem Heizofen und den Tränen. Sie zog die Nase hoch und versuchte an ihre Großmutter zu denken, die so tapfer gewesen war und fünf Kinder allein großgezogen hatte und es von der Hemdenwäscherin zur Reinigungsinhaberin gebracht hatte.

Ludwig beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Er spürte die Spannung, die von ihrem Rücken ausging, und verstand selbst nicht, was ihn an Eva so aufbrachte. Es musste seine Angewohnheit sein, sich zu behaupten; er musste jeden Tag beweisen, dass er sich durchsetzen konnte. Eva erinnerte ihn an die Zeiten, als er das lockige Haar bis über die Schultern trug und in der dicken Lederjacke mit seinem schweren Motorrad zur Uni und später zum Krankenhaus fuhr. Als er seine Stelle als Assistenzarzt angetreten hatte, war er im rot-weiß gestreiften Komplettlederanzug und dem Helm in der Hand auf der Station aufgetaucht. Vielleicht sah Eva noch diesen unbeschwerten Ludwig in ihm, er konnte nicht darüber nachdenken, ohne dass es ihm weh tat. Er versorgte die Familie; er legte Geld für die Kinder an. Sie kauften nur gesunde Lebensmittel; sie verreisten. Manchmal aber erzählte er Eva und Stefan von seinem besten Freund, der als „Arzt ohne Grenzen“ in die Krisengebiete dieser Welt zog, nach Bosnien, Afghanistan, Pakistan. Dann schüttelte Ludwig den Kopf und sagte etwas wehmütig: Er braucht das wohl.

„Soll ich dir helfen?“, fragte er Eva, die den Ofen nicht anbekam.

„Du kannst mir nicht helfen“, gab Eva zurück. „Hilf dir lieber selbst.“

„Mensch, Eva.“

Alle Energie wich aus Ludwig. Er ließ seine Arme herabhängen, mit dem Messer in der einen, der halb geschälten Möhre in der anderen Hand.

„Ist doch wahr.“

Eva drehte sich langsam um. Er sah, dass ihre Augen gerötet waren.

Verdammt. Sie zog die Nase hoch.

„Ich –“

Sie sahen sich an. Fang du an, dachte Ludwig.

Gib du mal nach, dachte Eva, gib mir ein Zeichen.

„Tut mir leid“, würgte Ludwig heraus, „ich weiß nicht, was das ist.“

„Der Urlaub wird ein Desaster, Ludwig, wenn wir so weitermachen.“

Eva drehte das Feuerzeug in ihren Händen. Wenn wir uns jetzt einfach küssen könnten, wäre alles gut, schoss es ihr durch den Kopf, und dann sah sie Ludwig an und musste lachen. Ich finde ihn überhaupt nicht erotisch, dachte sie, er ist ein Bär, der sich erkältet hat.

„Wieso lachst du jetzt?“ Sein Ton wurde leicht autoritär. Sie lacht mich aus, dachte er.

„Nein, nein“, sagte Eva, als hätte sie seine Gedanken gelesen, „ich dachte nur gerade, wie komisch wir beide sind.“

„Komisch?“ Er wurde wütend, sein Nacken verspannte sich.

„Weil wir uns immer zanken müssen, wie zwei Kinder.“ Eva sagte es freundlich.

Du legst das Kind in mir frei, dachte Ludwig und erschrak. Wie kam er dazu, solche Sätze zu denken? Sie hatte ihn auf seine Kindheit schon direkt angesprochen. Aber seine Großeltern waren gestorben, und mit den Eltern hatte er gebrochen. Warum, hatte Eva gefragt. Wegen Geld, hatte er geantwortet, war aufgestanden, ich nehme mir jetzt mal den tropfenden Wasserhahn vor, und im Bad verschwunden.

„Ich helf dir und du hilfst mir, was hältst du davon?“, sagte Ludwig schließlich.

„Komm, gib mal her.“

Eva überließ ihm das Feuerzeug. Er drehte die Gasflasche zu, wieder auf, ließ den Zünder ein paar Mal anspringen, bis er die Flamme des Feuerzeugs annahm. Die Flamme verteilte sich über die sichtbare Fläche des Brenners, glimmte hinter dem Metallgitter violett auf.

„Es sieht schön aus, findest du nicht?“

„Ja“, sagte Ludwig. „Es ist schön, dass du immer auf die schönen Dinge aufmerksam machst.“

Der Ofen brannte gleichmäßig.

„Schön, schön, dann machen wir jetzt mal ein schönes Essen, ja?“

Ludwig entkorkte eine Flasche Rotwein.

„Komm“, sagte er, „wir trinken einen Schluck.“

Sie kicherten, und dann standen sie nebeneinander und schnippelten das Gemüse, froh, diese Klippe genommen zu haben. Auch wenn beide das Gefühl hatten, etwas unter den Teppich zu kehren, von dem sie nicht einmal hätten sagen können, was es eigentlich war.

Als Sibylle aufwachte, war es still. Beim Einschlafen hatte sie Ludwig und Eva nebenan klappern hören. Sie zog eine bequeme Hose und einen Pullover an und ging über die Terrasse in die Küche. Draußen duftete es nach Zitronen und Orangen, irgendwo unter den Bäumen hörte sie die Stimmen der Kinder. In der Küche war niemand, für das Abendessen stand alles bereit. Sibylle kochte Tee und freute sich: über das alte Büfett, den Wasserhahn aus Bronze, das tiefe viereckige Waschbecken aus weißer Keramik, die Steine, die als Arbeitsfläche dienten, die Kacheln. Dinge konnten sie glücklich machen, und wie so oft hatte sie den Wunsch, sie mit nach Hause zu nehmen und dort alles genauso zu gestalten wie in den Häusern, in denen sie leihweise wohnten.

Sie setzte sich an den Tisch und genoss es, einen Moment für sich zu haben. Sie war erschöpft. Von der Sonne, die brannte, von den Wolken, die Kälte mit sich brachten. Vom An- und Ausziehen der Jacken, von den bellenden Winden. Mit einem Mal war sie müde von ihrem ganzen Leben. Sie wollte gerade den Kopf auf den Tisch legen und ein bisschen heulen, als die Kinder hereinpolterten. Sie schrak hoch. Die Kinder wollten nur ein paar Kekse, dann rannten sie wieder fort.

Sibylle sah hinaus auf die Terrasse. Das letzte Sonnenlicht fiel auf den Holztisch mit den Zitronen, den Korb mit den Mandeln, den Stein, mit dem man die Mandeln aufschlagen konnte. Sie hatte am Morgen einige probiert. Die Mandeln schmeckten frisch, hinterließen aber ein beißendes Kribbeln auf Zunge und Gaumen, das bis zur Kopfhaut hinaufzog wie die Sehnsucht danach, allein zu leben.

Im Alltag hatte Sibylle kaum Zeit zum Nachdenken. Immer musste sie ihre Aufmerksamkeit auf die Patienten richten, die Kinder, Ludwig, und oft hatte sie kein Gefühl mehr für sich selbst. Die Tage waren angefüllt mit den Geschichten anderer. Manchmal diskutierte sie abends mit Ludwig besondere Fälle. Hast du den neuen Säureblocker ausprobiert? Was ist aus der stillenden Mutter mit dem Brustkrebs geworden? Soll ich den Schmerzpatienten in die Klinik einweisen? Nur wenn Eva und Stefan sie danach fragten, erzählten sie von ihrem Alltag und ihren Patienten. Einmal – es ging um ein krebskrankes Kind – hatte Ludwig dabei fast geweint.

Sibylle fühlte den heißen Tee in ihrer Brust hinunterlaufen. In ihr hämmerte die Frage, wie das Leben wohl aussehen könnte ohne Ludwig, ohne die Kinder, womöglich sogar ohne die Praxis. Diese Frage befiel sie hin und wieder, ohne Not, mehr aus einer allgemeinen Müdigkeit heraus. Sie suchte ein Bild für dieses andere Leben, doch je mehr sie sich anstrengte, desto heller und leerer wurde die Fläche in ihrem Kopf, bis sie brannte und schmerzte. Dann gab etwas in ihr nach, und allmählich drang das in sie ein, was sie sah: die Terrasse, die Zitronen, die Mandeln. Das Licht verschwand, sie konnte zusehen, wie die Farben entwichen. Der Olivenhain war schon fast schwarz. Am Horizont leuchteten Lichter auf, eine blinkende Kette.

Sibylle fiel ihre erste Reise ein, an die sie sich überhaupt erinnern konnte. Vier oder fünf Jahre alt war sie damals, in Jugoslawien, und das, woran Sibylle dachte, waren die bunten Lichterketten, die auf der Terrasse des Hotels aufgehängt waren und im Wind schaukelten. Sibylle erinnerte sich an den Kellner, der sie bedient hatte und mit ihr und den anderen Kindern manchmal am Nachmittag im Wasser getobt und Ball gespielt hatte. Sie erinnerte sich an die Freundin ihrer Mutter, Gerti, die mitgefahren war, samt ihren zwei rotzfrechen kleinen Mädchen. Natürlich hatte es dem Kellner gefallen, den Tisch mit den beiden hübschen Frauen und ihren lebhaften Töchtern zu bedienen. Sibylles Vater war „unabkömmlich“, wie die Mutter es mit spitzen Lippen nannte.

Sibylle fiel das Wort wieder ein, das sie als Kind oft gehört hatte. Es hatte ihr gar nichts ausgemacht, mit der Mutter allein zu verreisen, im Gegenteil, sie liebte diese Reisen. Ihre Mutter schaffte es, einem Neckermannpauschalurlaub in weitläufigen, damals noch eleganten Hotelanlagen den Hauch eines Abenteuers zu verleihen. Sie war entspannter als zu Hause, machte Unsinn mit den Kindern und kicherte ununterbrochen mit Gerti. Später hatte sich Gerti das Leben genommen, und ihre Mutter hatte wochenlang geschluchzt und „ich begreife das nicht, ich begreife das nicht!“ gerufen. Gerti hatte sich ohne jede Ankündigung aus dem Fenster des fünften Stocks geworfen.

Sibylle wollte nicht an diesen Tod denken. Sie konzentrierte sich auf das Bild ihrer lachenden Mutter in einem pinkfarbenen Kleid mit weißen Blumen darauf. Vera. Eine typische Gestalt der Sechzigerjahre, mit hellrosa Lippenstift und passendem Nagellack; sie hatte Sibylle mit zweiundzwanzig bekommen und wirkte sehr jung. Als kleines Mädchen war Sibylle von allem fasziniert, was zu ihrer Mutter gehörte, ob es die weiße Lacklederhandtasche war, in der es nach Parfüm roch und Mentholzigaretten, oder ihre Armbänder, mit denen sie klapperte, oder ihre Aufregung, kurz bevor abends Sibylles Vater nach Hause kam. Sie toupierte sich das Haar, zog sich ein anderes Kleid an, fluchte und rauchte eine Zigarette nach der anderen.

Ob meine Tochter mich auch so neugierig ansieht? Ich habe noch nie darüber nachgedacht. Jenni war ein hellhäutiges Kind mit einem Puppengesicht; wenn sie den Mund öffnete, erschraken alle, weil ihre Stimme ungewöhnlich tief war. Sie war tollpatschig und verletzte sich oft; wenn irgendein Kind aus Versehen in ein Schwimmbecken fiel, war sie es. Dass sie aber auch kein bisschen anmutig ist, regte sich Sibylles Mutter manchmal über ihr Enkelkind auf. Es traf Sibylle jedes Mal wie ein Messerstich. Sie grübelte weiter über das Verhältnis ihrer Eltern zueinander. Es war ihr, als dächte sie an fremde Menschen. Warum war Mama immer so aufgeregt, bevor Papa nach Hause kam? Weil er launisch war und sie nie wusste, in welcher Stimmung er käme? Oder weil sie so verliebt in ihn war?

Es lag schon so lange zurück.

Es roch nach Zitronen und Meer. Der Streifen über dem Horizont war dunkelblau bis violett, darüber bildete sich ein schmales ausgefranstes Band von zartem Orange, der Himmel öffnete sich in lichtem Blau. Der Abendstern. Sibylle stellte sich an die Tür zur Terrasse und wünschte, die anderen würden nicht wiederkommen. Nicht so bald. Sie hatte das Gefühl, einer wichtigen Sache auf der Spur zu sein. Zu nah wollte sie ihr aber auch nicht kommen. Sie sah, wie der violette Streifen dunkler wurde und blaugraue Wolken sich wie Nachtschatten herabsenkten.

„Wie gut die Zitronen riechen!“, rief Sina. „Hier, Papa, riech mal! Und wie dick die sind!“

Die neunjährige Sina hielt Stefan eine dicke Zitrone hin. Sie hatte seine dunklen, etwas tief liegenden Augen, und seinen vollen roten Mund, sie gab sich manchmal verschlossen wie er (was Eva aufregte), und sie himmelte ihn an. Stefan roch an der Frucht und rief: „Toll!“ Er vergötterte Sina, seine Älteste, sein erstes Kind, in das er sich verliebt hatte von Anfang an.

Stefan hatte mit allen fünf Kindern das Grundstück der Signora verlassen. Überall hingen reife Zitronen und Orangen an den Bäumen. Sie waren Trampelpfaden gefolgt, vorbei an den Zäunen der benachbarten Häuser, die sich hinter hohen Azaleenbüschen verbargen. Sie hatten Gehege mit Gänsen, Ziegen und einem Esel gefunden und waren von einem Hund verjagt worden. Die Kinder rannten umher, kletterten auf Mäuerchen am Rand der Haine, sprangen hinter die Bäume, sammelten Steine und Stöckchen, spielten mit Stefan Verstecken und waren von allem begeistert. Stefan blieb immer wieder stehen und sah zum Meer hinunter oder in die Berge hinauf. Er sog die würzigen Gerüche ein, Pinien, Olivenbäume, Zitrusfrüchte.

Nett hier, dachte er. Im Kopf hörte er Mozarts Klarinettenkonzert. Obwohl es zu den meistgespielten Stücken gehörte, liebte er es. Er mochte die Intervallsprünge, die Anordnung der Dreiklangfiguren. Die Melodie, die so einfach und komplex war, dass er jedes Mal vor Bewunderung aus dem Häuschen geriet, wenn er sie hörte oder spielte. Er sah auf die weich geschwungenen Hügel, das dunkle Grün der hohen Zedern, das hellere Grün der Olivenhaine, das Ocker der Felder, das letzte Graublau des Meeres, Flächen, wie von einem Maler rhythmisch aneinandergefügt.

Stefan fing an zu pfeifen. Hier gehört das Konzert hin, dachte er, hier auf einen der Hügel. Wie die Hügel die Wellenbewegung des leuchtenden Meeres aufnahmen! Er folgte den Linien, mit einer großen Bewegung des Armes drehte er sich langsam um sich selbst. Hier die chromatischen Läufe, dachte er, damdadada, und hier der Dialog der Klarinette mit der ersten Violine, dadadadaa! Stefan fiel die Reihe ungleicher Zypressen ins Auge, die die Plantage der Signora schützte. Wie eigenwillig sie vor den Hügeln in den Himmel ragten! Wie sie sich im Winde bogen, ohne zu brechen! Eva hatte recht, hier war es schöner als bei dem fiesen Alten auf dem kalten Berg. Darin verstehen wir uns, dachte Stefan, wir mögen dieselben Landschaften. Eintönige Weiten schrecken uns. Immer aufgeregter war sie geworden, als sie sich im Auto dem Meer genähert hatten. Zypressen werden für Särge benutzt, hatte Eva erzählt, und Schiffsmöbel, weil sie so dauerhaft sind, und ihr Duft ist heilsam, und wie sie duften! Sina hatte ihm im Rückspiegel zugezwinkert und mit den Augen gerollt, Mama wieder, und Eva hatte gerufen: Ein ganzes Orchester hast du da, mit Dicken und Dünnen! Der lange Hagestolz da, der ist wie euer Cellist, und die da … Und sie alle hatten gelacht.

Stefan hörte die Stimmen der Kinder zwischen den Bäumen und die der Klarinette in seinem Kopf, wie sie jetzt im Adagio den Aufschwung zur Phrase nahm, babababa, und die Streicher antworteten, und weiter kletterte ihr Gesang in die Höhe, erhob sich, um erneut in das Tutti der Streicher hinabzutauchen. So lieblich war diese Musik, liebenswürdig geradezu, wie die Landschaft, die ihn umgab. Wie nah sie beieinanderlagen, das Schöne und der Tod! Mozart hatte das Konzert in A-Dur zur selben Zeit geschrieben wie sein Requiem, keine zwei Monate, bevor er starb. Stefan machte dieser Gedanke nicht traurig, im Gegenteil, er nahm die Dinge, wie sie kamen, und er liebte ihre Vielfalt.

· 3 ·

Am Abend aßen die Kinder schnell ihre Nudeln, die Augen fielen ihnen zu. Die Erwachsenen brachten sie ins Bett, setzten sich in die Küche, aßen Fisch und Salat und tranken Wein.

„Habe ich euch eigentlich schon mal von meinem Optiker erzählt?“, fragte Sibylle.

„Der mit dem Verhältnis?“, fragte Eva freudig.

„Genau.“

„Hast du. Gibt’s denn was Neues?“

„Naja. Seine Frau hat es rausgekriegt.“

„Auweia.“

„Sie kommt auch zu mir, schon seit Jahren, und jetzt kam sie, angeblich wegen Schwindelanfällen. Die Schwindelanfälle waren aber nur ein Vorwand. Eigentlich wollte sie sich bei mir ausweinen.“

„Und die Geliebte“, fragte Eva, „die kommt doch auch zu dir, oder?“

„Alle kommen zu mir!“ Die beiden Paare lachten.

„Dann weißt du es ja von allen Seiten“, sagte Stefan. „Das ist bestimmt interessant.“

„Vor allem, wenn du sie siehst. Das traust du denen gar nicht zu. Sie ist eine ganz biedere Frau, immer in geraden Röcken und Strickjacke, mit so einem komischen hellblauen Regenmantel mit Goldknöpfen. Sie hat einen kleinen Schreibwarenladen.“

„Und er?“, fragte Eva.

„Soll ich noch eine Flasche aufmachen?“ Ludwig war schon aufgestanden.

„Er wirkt auch eher konventionell.“

„Das tut offenbar nichts zur Sache.“

Ludwig machte das Licht aus, nur die Kerzen auf dem Tisch und auf der Anrichte leuchteten. Alle hatten von der Sonne gereizte Gesichter.

„Ich sehe sie in ihrem hellblauen Regenmantel zum Hermannplatz hinuntergehen“, begann Eva. „Sie geht die Straße hinab, vorbei an den Dönerläden, den Ramschläden, den Supermärkten. Sie hält den Mantel mit ihren Händen zu. Niemand würde vermuten, dass sie darunter nackt ist. Sie ist fünfzig Jahre alt, hat getöntes, gewelltes Kurzhaar, trägt sonst gerade Röcke und Strickjacken. Sie wirkt älter als diese intellektuellen Fünfzigjährigen, für die die Zeit stehen zu bleiben scheint. Viele Leute kommen in ihr Schreibwarengeschäft. Sie eilt die Straße entlang, als habe sie etwas einzukaufen, in der Mittagspause. Niemand achtet auf sie, der eine oder andere Kunde grüßt sie, mit den Augenbrauen, die in die Höhe gezogen werden, einem Nicken. Ihr Herz rast, auch nach einem Jahr, nach zwei Jahren. Sie kennt den Hintereingang, die Höfe, die sie durchqueren muss. Sie kann schließlich nicht jeden zweiten oder dritten Tag vorn zum Optiker hineinspazieren.“

Eva trank einen Schluck, die anderen sahen sie gespannt an.

„Sie sind beide verheiratet, seit Langem schon. Die Ehen sind nicht schlecht. So ist es. Sie kannten sich schon länger, als es anfing. Sie kam, weil sie eine Brille brauchte. Er sah ihr in die hellen Augen. Die Augen, ein wenig müde zunächst, wurden lebendig. Ein bisschen schüchtern am Anfang. Sie musste ihn ansehen, bei jeder Brille, die er ihr aufsetzte. Sie spürte seine trockenen Hände, er spürte ihr weiches Haar. Sie roch sein Aftershave, er ihren Geruch, das viele Papier, Sandelholz und etwas wie süße Marmelade. Sein Haar war ungepflegt im Nacken; er ließ es schneiden. Er besorgte Briefpapier bei ihr; sie holte die neue Brille. Sie kam wieder, nach zwei Tagen, bat ihn, den Bügel fester zu stellen. Er kaufte ein Stempelkissen und Büroklammern; sie benötigte ein Tuch zum Polieren der Brille. Er kaufte Filzstifte zum Auszeichnen der Ware; und ihr fiel nichts mehr ein. Sie legte die Brille mehrmals so zur Seite, dass sie hätte herunterfallen können. Ein Kunde hätte etwas darauf ablegen und sie zerbrechen können; nichts geschah. Eines Tages rannte sie ihn fast um, als sie mittags vom Bäcker kam. Er sah sie an, sie ihn, und sie gingen über Hinterhöfe in seinen über Mittag geschlossenen Laden. Hinten hatte er einen Ruheraum, mit einem alten, mit Cord bezogenen Sofa. Sie küssten sich. Sehr lang. Sie musste gehen, es war kurz vor halb drei. Sie fand den Weg am nächsten Tag allein. Und so ging es weiter. Er kannte jede Hautfalte von ihr, und sie wusste jede von ihm.“

Alle schwiegen in den Raum hinein. Eva, dachten sie, oder auch nicht, was rührst du nur an diese Sachen.

Denn die Paare reden über Gott und die Welt, doch über ihre Sehnsucht reden sie nicht. Das traut sich keiner zu sagen, was ihm fehlt, oder ihr, nach zehn Jahren zusammen oder fünfzehn, ist doch ’ne Menge, was uns verbindet, ist nicht schön, all die Trennungen, von denen man so hört, da sind wir anders, und das finden wir gut. Gibt doch auch Freundschaft und ’ne gewisse Zärtlichkeit und manchmal auch mehr, wir haben zweimal die Woche Sex, nur was für einen, und wir zweimal in drei Monaten, man sagt, das sind in jeder Ehe solche Phasen, leichte Beruhigung, leichte Flaute, o.k., das gibt sich wieder, dafür sind die Ferien ja auch da, was dagegen zu unternehmen. Und so gucken die beiden Paare, wie das bei den andern wohl so ist, und lauschen, ohne es zu wollen, was da passiert in der Nacht, und würden gern mal fragen, wie es so läuft, naja, im Bett, und überhaupt. Und sie trösten sich mit Blicken, das ist halt das Leben, was willst du mehr?

Sie machen Ausflüge und gehen auf den Markt, wo es frischen Fisch gibt, von den Fischern, Eimer voll, Sardinen, Wolfsbarsch, Makrelen, silbern schimmernd mit glasigen Augen, und russischen Salat und Salami und Käse, alles auf Sizilien gewachsen, geerntet und gerollt. Sie gehen ins schwefelhaltige Schwimmbad, und die Eheringe von allen werden blass vom bösen stinkenden Schwefel und bekommen erst später ihre Farbe zurück im stürmischen Wind am Meer, da sammeln sie Steine am Strand von Capo Bianco. Und überall wartet das Osterfest, überall Palmwedel und die Fenster geputzt und Schaufenster geschmückt, und – Mama guck doch mal so ein großes Ei! Fast so groß wie ich, schreit David – in glänzendes buntes Papier gewickelt, weil doch das Küken aus dem Ei schlüpft wie der Herr Jesus einst aus dem Grab, und nun so ein Riesenei, als hätten die Sizilianer Sorge, dass es dem Herrn Jesus in einem kleinen zu eng werden könnte, er soll es doch recht bequem haben, in diesem riesengroßen Ei, mit Schokolade und Pralinen drin, aber leider, leider, nein, so eins kaufen wir lieber nicht.

Und Eva, die sich auskennt mit so was, wie sollte es auch anders