Kleine Jungen - großes Chaos - Claudia Torwegge - E-Book

Kleine Jungen - großes Chaos E-Book

Claudia Torwegge

5,0

Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. »Es ist mir sehr peinlich, Fräulein Franziska, aber es muß sein. Ich muß diese bedauerliche Unterredung mit Ihnen führen.« Jedesmal, wenn dieser verhängnisvolle Satz ausgesprochen wurde, und er wurde in ihrem jungen Leben in regelmäßigen Abständen immer wieder ausgesprochen, war es Franziska, als werfe man sie in kaltes Wasser. Sie war achtundzwanzig Jahre jung, braunhaarig und zierlich. Sie hatte fröhliche Bernsteinaugen, und wenn sie lachte, bildeten sich Grübchen in den Wangen. Sie war ein bezauberndes Wesen. Sie hatte immer blendende Stellungen, aus dem sie mit glänzenden Zeugnissen und besten Empfehlungen anläßlich irgendwelcher Begebenheiten mit schöner Regelmäßigkeit und ohne jedes eigene Verschulden wieder entlassen wurde. Während Franziska an diesem regnerischen Nachmittag in der pompösen Wohnhalle in einem ebenso pompösen Sessel der Villa Stratmann saß und Frau Lore sich nervös eine Zigarette anzündete, zogen vor Franziskas geistigem Auge blitzartig die gleichen Szenen, die sie immer wieder erlebte, vorüber. Es war wie in einem Film, der zu schnell ablief. Nur die markantesten Momente blieben im Gedächtnis haften. »Franziska… usw.« Und nun Frau Lore Stratmann, bei der es ihr nicht ganz so leid tat. Franziska nickte nur, und damit war für sie der Fall erledigt. Im Waisenhaus, in das sie mit acht Jahren gekommen war, hatte man sie dazu überreden wollen, Krankenpflegerin zu werden. Aber Franziska hatte einen ziemlichen harten Kopf, wenn es darum ging, wichtige und entscheidende Dinge durchzusetzen. Sie hatte vom Waisenhaus aus eine Haushaltsschule absolviert. Anfangs hatte sie in kleinen und mittleren Haushalten als Gehilfin gearbeitet und sich so nebenbei in Nähen und Kochen ausgebildet. Sie hatte auf eigene Kosten und von ihrem bescheiden verdienten Geld etliche Kurse absolviert. Und dann war die große Wende gekommen, die Stelle beim Handelsattaché. Eigentlich, dachte Franziska versonnen, wäre ich gern einmal bei Kindern gewesen.

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Leseprobe: Die andere Frau

Als die Sonne sich im Osten über die karstige Spitze des Bacher schob, lag das schmale Seitental noch im dichten Nebel. Leise und weit entfernt drang das kratzige Lied eines Rotschwanzes durch den Dunst wie eine verlorene, vergessene Melodie. So erschien es Alexander von Jost jedenfalls in seiner weltabgeschiedenen Einsamkeit. Der ehemalige Diplomat seufzte. Wie war es nur dazu gekommen, wie hatte er sich in eine solch verflixte Lage bringen können? Noch immer erschien ihm seine Situation wie ein schlechter Traum. Er öffnete den Reißverschluss seiner Wetterjacke, denn mit der steigenden Sonne wurde es allmählich wärmer. Er hatte eine empfindlich kalte Oktobernacht hinter sich und fühlte sich völlig steifgefroren. Doch es empfahl sich nicht unbedingt, dies mittels einiger Freiübungen zu ändern. Sein verstauchter Fuß war nicht zu gebrauchen, stark angeschwollen und schmerzte bei der kleinsten Bewegung höllisch. Der schlanke, große Mann mit den klaren, rehbraunen Augen blickte sich aufmerksam um. Der Nebel löste sich allmählich auf, Konturen wurden sichtbar, das Vogelkonzert intensivierte sich. Die Lärchen am gegenüberliegenden Berghang leuchteten in tiefem Gold, dazwischen das intensive Grün der Bergkiefern. Graues Geröll, das sich im Bachbett am Fuß des Hanges fortsetzte, bildete dazu einen aparten Kontrast. Die Natur in den schmalen und oft abgelegenen Tälern rund um den Wörthersee hatte auch im Herbst ihren besonderen Reiz. Aus diesem Grund war er am Vortag zu einer längeren Wanderung gestartet, einem gut beschilderten Steig gefolgt und allmählich wieder mit sich selbst und der Welt in Einklang gekommen. Doch er hatte sich verschätzt, was die Entfernungen anging. Und er hatte nicht berücksichtigt, wie früh die Sonne im Oktober sank und die Dämmerung kam. An einer unübersichtlichen Stelle war er im abendlichen Zwielicht gestolpert und einen Hang hinabgestürzt. Nachdem Alexander den ersten Schrecken überwunden hatte, war ihm bewusst geworden, dass er seinen rechten Fuß nicht benutzen konnte.

Mami Classic – 16 –

Kleine Jungen - großes Chaos

Claudia Torwegge

»Es ist mir sehr peinlich, Fräulein Franziska, aber es muß sein. Ich muß diese bedauerliche Unterredung mit Ihnen führen.«

Jedesmal, wenn dieser verhängnisvolle Satz ausgesprochen wurde, und er wurde in ihrem jungen Leben in regelmäßigen Abständen immer wieder ausgesprochen, war es Franziska, als werfe man sie in kaltes Wasser.

Sie war achtundzwanzig Jahre jung, braunhaarig und zierlich. Sie hatte fröhliche Bernsteinaugen, und wenn sie lachte, bildeten sich Grübchen in den Wangen. Sie war ein bezauberndes Wesen. Sie hatte immer blendende Stellungen, aus dem sie mit glänzenden Zeugnissen und besten Empfehlungen anläßlich irgendwelcher Begebenheiten mit schöner Regelmäßigkeit und ohne jedes eigene Verschulden wieder entlassen wurde.

Während Franziska an diesem regnerischen Nachmittag in der pompösen Wohnhalle in einem ebenso pompösen Sessel der Villa Stratmann saß und Frau Lore sich nervös eine Zigarette anzündete, zogen vor Franziskas geistigem Auge blitzartig die gleichen Szenen, die sie immer wieder erlebte, vorüber. Es war wie in einem Film, der zu schnell ablief. Nur die markantesten Momente blieben im Gedächtnis haften.

»Franziska… usw.« Und nun Frau Lore Stratmann, bei der es ihr nicht ganz so leid tat. Franziska nickte nur, und damit war für sie der Fall erledigt.

Im Waisenhaus, in das sie mit acht Jahren gekommen war, hatte man sie dazu überreden wollen, Krankenpflegerin zu werden. Aber Franziska hatte einen ziemlichen harten Kopf, wenn es darum ging, wichtige und entscheidende Dinge durchzusetzen. Sie hatte vom Waisenhaus aus eine Haushaltsschule absolviert. Anfangs hatte sie in kleinen und mittleren Haushalten als Gehilfin gearbeitet und sich so nebenbei in Nähen und Kochen ausgebildet. Sie hatte auf eigene Kosten und von ihrem bescheiden verdienten Geld etliche Kurse absolviert. Und dann war die große Wende gekommen, die Stelle beim Handelsattaché.

Eigentlich, dachte Franziska versonnen, wäre ich gern einmal bei Kindern gewesen. Keiner ihrer bisherigen Arbeitgeber hatte Kinder gehabt. Nur das Attaché-Ehepaar. Aber dessen Söhne und eine Tochter waren schon erwachsen. Sie waren auf irgendeinem vornehmen College in England untergebracht. Franziska hatte sie nie zu Gesicht bekommen.

Gerade noch schlüpfte Franziska durch das Portal, bevor es für den Publikumsverkehr geschlossen wurde.

Das nette Fräulein von der Stellenvermittlung hieß Hell, und so sah sie auch aus. Hellblond, mit etwas Landluft aus der Tube nachgeholfen, stets freundlich und hilfsbereit. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie Franziska sah.

»Ja… nun sagen Sie nur, was ist denn schon wieder über Sie hereingebrochen, Fräulein Bertrich?«

Franziska reichte Fräulein Hell das Kündigungsschreiben ihrer letzten Arbeitgeberin und meinte:

»Haben Sie etwas Brauchbares, Fräulein Hell?«

Die Dame von der Stellenvermittlung lächelte zufrieden. »Sie schickt mir ja geradezu der Himmel, Fräulein Bertrich. Händeringend suche ich schnellstens nach einer geeigneten Kraft. Sie werden es nicht glauben, ich habe im Zusammenhang mit dieser Sache tatsächlich an Sie gedacht, aber Sie waren ja bei Stratmanns ganz gut aufgehoben. Sie wechseln nicht gerne, das weiß ich doch.«

»Nur in Notfällen«, seufzte Franziska.

Die Dame vom Arbeitsamt kramte in ihren Papieren und zog einen grünen Ordner hervor. Darin lag ein dickes Schreiben, das Fräulein Hell sorgfältig studierte, ehe sie Franziska Auskunft gab.

»Es handelt sich um eine hochdotierte Stelle, als selbständige Hauswirtschafterin bei einem alleinstehenden Herrn und drei mutterlosen Kindern auf Schloßgut Riedberg, dem Besitztum der erst kürzlich verstorbenen Besitzerin desselben.«

Kinder, dachte Franziska, ich wäre so gerne einmal bei Kindern. Schloßgut Riedberg, von dem hatte sie bisher noch nichts gehört, war ihr unbekannt. Sie fragte: »Ist der jetzige Besitzer Witwer?«

»Kann ich nicht sagen, ich weiß es nicht, darüber steht nichts in dem Schreiben. Zuvor hatte sich Herr von Berchem telefonisch bei mir erkundigt. Es scheint sehr dringend zu sein«, sagte Fräulein Hell nachdenklich.

»Sind noch mehr Angaben gemacht?« fragte Franziska interessiert.

»Nur, was den Arbeitsbereich der Hauswirtschafterin, das Gehalt und die üblichen Angebot betrifft wie bezahlte Ferien, Freizeit, Zimmer mit Bad und Fernsehen

usw.«

Franziska überlegte sehr gründlich. Es waren zwei Dinge, die sie zu ihrer Zusage bewogen: einmal die Kinder, zum anderen die grüne Farbe des Aktenordners.

»Es ist in Ordnung«, sagte sie dann, »ich nehme an. Wann kann ich anfangen?«

»Ich soll sofort telefonisch nach Schloß Riedberg Bescheid geben, wenn ich jemand Geeigneten gefunden habe. Wann Sie anfangen können? Am liebsten gestern.«

»Gut«, sagte Franziska, »also dann morgen.«

*

Das Schloßgut war von der Stadt aus mit dem Bus zu erreichen. Franziska überlegte kurz, dann tat sie etwas Verrücktes. Sie kaufte sich einen kleinen Gebrauchtwagen. Er war nicht sehr teuer, nicht besonders hübsch, aber sonst tadellos.

Sie gab ihm sofort einen Namen, sie taufte ihn Poldi und fand, daß er dadurch schon eine sehr persönliche Note besaß. Ihren Führerschein hatte sie seinerzeit bei Gräfin Sybille gemacht. Sie hatte die Gräfin oft in deren schwerer Limousine chauffiert. Den kleinen wendigen Poldi zu steuern, war dagegen ein Kinderspiel.

Die Landschaft, durch die sie fuhr, war wunderschön. Wald, Wiesen, Felder, blühende Sträucher am Wegesrand. Darüber ein blauer Himmel und Sonnenschein. Da war plötzlich ein verbeulter Wegweiser und ein primitiver Pfeil, und darauf stand geschrieben: Nach Schloßgut Riedberg.

Franziska fuhr dem Pfeil nach. Der Weg war holprig und reichlich mit Schlaglöchern versehen. Schließlich mündete er in einen ganz schmalen Pfad, den selbst der kleine Poldi nur mit äußerster Vorsicht entlangschlich. Franziska tröstete sich zunächst damit, daß sie die falsche Einfahrt erwischt hatte. Eine richtige Schloßauffahrt sah schließlich anders aus, das wußte sie nicht nur aus Büchern und Filmen, sondern auch tatsächlich durch Gräfin Sybille, da sie die Dame zu deren Freuden chauffiert hatte. Jedenfalls führte der Weg nicht hügelan, sondern eher in die Ebene. Das bekümmerte Franziska etwas. Es paßte nicht zu ihren Träumen. Ein Schloß mußte herausragen, von weitem sichtbar sein.

Dann war der Weg plötzlich zu Ende, und sie stand vor einem Lattenzaun. Es war ein ungepflegter, defekter Zaun. Die Einfahrt bestand aus einem kleinen Tor, das in windschiefen Angeln hing. Franziska manövrierte Poldi hindurch und hielt vor einem mit groben Kopfsteinpflaster ausgelegten Hof.

Hühner gackerten, irgendwo hörte sie Ferkel grunzen. Von einem Schloß war weit und breit nichts zu sehen. Da gab es nur ein großes langgestrecktes Gebäude, mit einem kleinen Turm, der an Pisa erinnerte, und auf dem eine matte Zwiebelhaube saß. Alles machte einen baufälligen und ziemlich verwahrlosten Eindruck. Sie mußte sich geirrt haben. Das konnte unmöglich Schloßgut Riedberg sein.

Menschliche Wesen waren nicht zu erblicken. Niemand kam, an den sie sich mit einer Frage hätte wenden können. Unschlüssig blieb sie stehen, als ein Wagen den Feldweg entlangkam. Er fuhr durch das Tor in den Hof und stoppte dicht hinter Poldi. Es war das blaue Auto von der Bushaltestelle.

Der Schlag wurde geöffnet, und ein junger Mann stieg aus.

»Guten Morgen«, sagte Franziska freundlich. »Entschuldigen Sie bitte, ich suche Schloß Riedberg.«

»Preisen Sie sich glücklich, Sie haben es gefunden«, antwortete der junge Mann mit einem hintergründigen Lächeln, welches Franziska überhaupt nicht gefiel. Es klang nicht gerade höflich.

»Das soll Schloß Riedberg sein?« fragte Franziska entgeistert und deutete auf das Haus mit dem schiefen Turm.

Der jungen Mann lachte herzhaft, nun sah er eigentlich ganz nett aus, fand Franziska und wurde neugierig.

»Ihre Reaktion ist mir nur zu begreiflich, mein Fräulein.« Er lächelte immer noch. »Trösten Sie sich, innen ist es entschieden gemütlicher, als es von außen den Anschein erweckt. Sie sind doch Fräulein Bertrich, wenn ich richtig vermute?«

»Ja, allerdings.« Sie reichte dem jungen Mann die Empfehlung vom Arbeitsamt, die er ungelesen in seiner Jackentasche verschwinden ließ. Ihre Traumwelt purzelte wieder einmal mit Donnergetöse zusammen, und sie mußte sich erst einmal in den Trümmern zurechtfinden. »Mein Name ist Bertrich.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich war an der Bushaltestelle, um Sie abzuholen.«

»Sind Sie vielleicht…?«

»Berchem«, stellte er sich vor und deutete so etwas wie eine Verbeugung an. »Ich bin der Chef hier seit geraumer Zeit. Sie sind die neue Wirtschafterin, nicht wahr? Kommen Sie gleich mit.«

Franziska zögerte, blickte etwas entgeistert auf das vor ihr liegende Gebäude und dachte sich, Franziska, das kann doch nicht dein Ernst sein, so tief bist du noch nicht gesunken. Dann hörte sie die Stimme des jungen Mannes neben sich, der plötzlich lauthals loslachte.

»Das dort, was Sie da sehen, sind unsere Stallungen. Wir züchten hier niedliche süße kleine Ferkelchen, müssen Sie wissen«, sagte Paul von Berchem und grinste immer noch über das ganze Gesicht.

Franziska war perplex. Ihr fiel keine geeignete Antwort ein, als nur »na und« zu murmeln.

Paul von Berchem nahm die junge Frau einfach bei der Hand, zog sie hinter sich her und meinte: »Kommen Sie gleich mit, es ist nämlich höchste Zeit, daß sich jemand um das hier kümmert. Es geht drunter und drüber. Drei Hausdamen sind mir nur deshalb davongelaufen, weil die Bengels hier sind. Ich hoffe, Sie haben bessere Nerven.«

»Ja, aber… ich meine, ich habe Sie mir ganz anders vorgestellt.«

»Wieso denn?« fragte er etwas irritiert. »Ist irgend etwas nicht in Ordnung?«

»Nein, nein, aber ich meine… älter habe ich Sie mir vorgestellt, als Witwer.«

»Wieso Witwer? Ich bin kein Witwer.« Franziska wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Sie kam da nicht mehr mit und mußte erst ihre Gedanken ordnen. Vielleicht war der junge Mann hier nur der Verwalter und hatte mit dem Baron überhaupt nichts zu tun? Sie raffte sich zusammen und erklärte entschlossen: »Ich möchte zuerst mit Baron von Berchem sprechen.« O Gott… von Berchem, so hatte sich der junge Mann ja eben vorgestellt. Wo hatte sie nur ihre Gedanken? Sie blickte ein wenig beschämt in das offene Gesicht mit den stahlblauen Augen.

Paul von Berchem baute sich vor Franziska auf und meinte diesmal mit ernster Miene: »Wollen Sie nicht mit mir vorliebnehmen? Einen anderen von Berchem kann ich Ihnen nicht präsentieren.«

Er zog sie hinter sich her. »Wir haben auch noch ein Hauptportal«, sagte er so nebenbei, als sie die Stallungen schon fast erreicht hatten. Auf halbem Weg dorthin hörten sie ein lautes Protestieren. Gärtner Karl hatte alle Mühe, den Streit zwischen drei Buben zu schlichten, wer zuerst eines der kleinen Ferkelchen in den Hof tragen dürfte.

Doch dann plötzlich standen die drei Rangen vor Franziska. Neugierig musterten sie die junge Frau, und jeder von ihnen hatte so ein Viecherl unter dem Arm. Die drei wirkten so lieb, so daß Franziska sie spontan in die Arme nahm und jedem über das Haar strich.

Eine gute Gelegenheit, dachte Paul, Franziska gleich mit den drei Rangen bekanntzumachen.

Er stellte Gustl, Denni und Bernd Franziska als ihre neue Ersatzmutter vor. Drei Augenpaare musterten Franziska wortlos. Nach einer kurzen Weile kam Franziskas bange Frage: »Akzeptiert ihr mich denn?«

Die drei sahen sich nur an, nickten und überlegten. Dann plötzlich ein Fußstampfen, und ein lautes: »Ja…«, war zu hören.

Das Fußstampfen hatten sich die Kinder angewöhnt als Ausdruck einer gemeinsamen Zustimmung bei einer für sie so wichtigen Entscheidung wie dieser.

Dann schob Berchem Franziska einfach vor sich her, um ins Schloß zu gehen, damit Franziska schnellstens mit ihrem Arbeitsfeld vertraut wurde. Auf halbem Weg dorthin hörten sie leises Palavern. »Die drei halten wohl Kriegsrat«, lachte Paul, legte seinen Kopf überlegend in den Nacken und meinte: »Bestimmt zu Ihren Gunsten, Fräulein Franziska.«

Die Kinder blicken den beiden nach. Gustl, der ältere, genannt Dicki, meinte jovial: »Na klar, Jungs, es wäre schön, wenn die Neue unsere Mutter würde.«

Nur widerstrebend kam Franziska mit. Ihre hochgespannten Erwartungen waren bitter enttäuscht. Sie hatte plötzlich keine Lust mehr.

Doch dann lag das Schloß vor ihnen, das, in einem Winkel, der von den Stallungen aus nicht einzusehen war und doch in unmittelbarer Nähe lag, umgeben von altem Baumbestand trutzig aufragte. Es hatte in der ersten Etage viele Erker mit runden Butzenscheiben und war sonnengelb getüncht, die Fensterrahmen in Weiß gehalten. Das Ganze machte einen sehr gepflegten Eindruck, und Franziska leistete insgeheim Abbitte.

Paul von Berchem führte sie durch die Diele in eine geräumige Wohnhalle. Was die Inneneinrichtung dieses Schlosses betraf, so hatte der Baron recht. Sie war sehr komfortabel und gepflegt. Die Wohnhalle war sogar ausgesprochen gemütlich. Franziska, die eine besondere Vorliebe für alte Einrichtungsgegenstände hatte, war fasziniert von dem alten Kachelofen, der mit seinen grünen Kacheln im Winter wohlige Wärme versprach. Nur… der Hausherr, von dem sie sich ständig beobachtet fühlte, irritierte sie.

Paul von Berchem forderte sie mit einer eleganten Handbewegung auf, in einem der Gobelinsessel vor dem Kamin Platz zu nehmen. Er wartete höflich, bis sie saß, dann ließ er sich gleichfalls, und zwar seufzend, in einen Sessel sinken.

Franziska betrachtete ihren zukünftigen Chef etwas genauer. Sie nahm ihn sozusagen erst einmal unter die Lupe. Dabei mußte sie ihren ersten Eindruck etwas korrigieren.

Ehrlich, wie sie von Natur aus war, tat sie es und stellte bei sich fest, daß er gar nicht so übel aussah. Er hatte natürlich gewelltes Haar von brünetter Farbe, stahlblaue Augen und ein energisch ausgeprägtes Kinn. Er trug eine etwas ausgebeulte Hose und die passende Kordjoppe dazu. Er wirkte angenehm salopp. Alles in allem, faßte Franziska zusammen, war er ein erfreulicher Durchschnittstyp.

Sie beschloß, sich sofort genauer zu erkunden, und fragte daher burschikos: »Darf ich nun auch erfahren, wer Sie wirklich sind, mit wem ich es in Zukunft zu tun haben werde?«

»Hm…« Paul von Berchem zögerte einen Augenblick. Eigentlich sollte das doch der Dame egal sein, reagierte er wütend. Eine Frechheit. Aber angesichts der Tatsache, daß er dringend eine Haushälterin benötigte, würde er ihr wohl Rede und Antwort stehen müssen.

»Ein abgedankter Studienrat«, sagte er in einem Ton, dessen Stimmlage Ärger verriet, »wenn Sie es genau wissen wollen.«