Kleine Schwestern und andere Sorgen - Patricia Vandenberg - E-Book

Kleine Schwestern und andere Sorgen E-Book

Patricia Vandenberg

0,0

Beschreibung

Sein Vater hat eine große Aufgabe übernommen: Dr. Daniel Norden leitet ab sofort die Behnisch-Klinik. Das führt natürlich zu entscheidenden Veränderungen in seiner Praxis. Jetzt wird es ernst für Danny, den Mädchenschwarm und allseits bewunderten jungen Mediziner. Er ist nun für die Praxis allein verantwortlich. Privat ist Dr. Danny Norden dabei, sein großes Glück zu finden. Seine Freundin, die sehbehinderte, zauberhafte Tatjana, ist mehr und mehr zu seiner großen Liebe geworden. Die neue Serie Praxis Dr. Norden ist prädestiniert, neben den Stammlesern der Erfolgsserie Dr. Norden auch viele jüngere Leserinnen und Leser hinzuzugewinnen. »Parkour laufen in der Neubausiedlung?«, wiederholte Dési Norden und rollte sich vom Rücken auf dem Bauch. Ein Duft nach Sonnencreme und Badesee lag in der Luft. Kreischen und Lachen, das Rauschen von Wasser wehte über die Liegewiese, auf der es sich Dési und ihre Freunde bequem gemacht hatten. Seit dem erfolgreich bestandenen Abitur lag ein Sommer voller Freiheit hinter ihnen. Ein paar Wochen noch, dann begann für die einen die Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker oder Bankkaufmann. Andere hatten sich für ein Studium entschieden. So wie Dési. Den lange gehegten Modedesign-Wunsch wollte sie nicht durch eine Dummheit in Gefahr bringen. »So ein Blödsinn. Aus dem Alter sind wir doch echt raus.« Ein Raunen ging durch die Gruppe. »War ja klar. Das Arzttöchterlein ist wieder einmal zu vernünftig, um Spaß zu haben«, unkte Freddie. »Wann fängt eigentlich dein Studium ›Spaßbremse‹ an?«, fragte Gaier, der eigentlich Maximilian Gaier hieß, aber von allen nur mit seinem Nachnamen angesprochen wurde. Auch die Freundinnen hatten einen passenden Kommentar parat. Nur Linus saß auf seinem Handtuch und starrte auf sein Handy. Sein offensichtliches Desinteresse ärgerte Dési mehr als die dummen Kommentare.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 102

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Praxis Dr. Norden – 13 –

Kleine Schwestern und andere Sorgen

Danny kehrt den großen Bruder heraus

Patricia Vandenberg

»Parkour laufen in der Neubausiedlung?«, wiederholte Dési Norden und rollte sich vom Rücken auf dem Bauch. Ein Duft nach Sonnencreme und Badesee lag in der Luft. Kreischen und Lachen, das Rauschen von Wasser wehte über die Liegewiese, auf der es sich Dési und ihre Freunde bequem gemacht hatten. Seit dem erfolgreich bestandenen Abitur lag ein Sommer voller Freiheit hinter ihnen. Ein paar Wochen noch, dann begann für die einen die Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker oder Bankkaufmann. Andere hatten sich für ein Studium entschieden. So wie Dési. Den lange gehegten Modedesign-Wunsch wollte sie nicht durch eine Dummheit in Gefahr bringen. »So ein Blödsinn. Aus dem Alter sind wir doch echt raus.«

Ein Raunen ging durch die Gruppe.

»War ja klar. Das Arzttöchterlein ist wieder einmal zu vernünftig, um Spaß zu haben«, unkte Freddie.

»Wann fängt eigentlich dein Studium ›Spaßbremse‹ an?«, fragte Gaier, der eigentlich Maximilian Gaier hieß, aber von allen nur mit seinem Nachnamen angesprochen wurde.

Auch die Freundinnen hatten einen passenden Kommentar parat. Nur Linus saß auf seinem Handtuch und starrte auf sein Handy. Sein offensichtliches Desinteresse ärgerte Dési mehr als die dummen Kommentare. Und viel Zeit blieb ihr nicht mehr, ihn wirklich kennenzulernen. Sie wusste nicht viel mehr von ihm, als dass er sich ­häufig im Skaterpark herumtrieb, gleiche Musik hörte wie sie und Sport studieren wollte. Wenn Studium und Ausbildung erst angefangen hatten, würden sich die Freunde in alle Winde zerstreuen. Um Gaier war es nicht schade. Aber sollte sie Linus einfach so ziehen lassen?

»Lasst sie doch, wenn sie keine Lust hat«, sagte er, ohne vom Mobiltelefon hochzusehen.

Dési spürte, wie ihr das Blut bis in die Haarspitzen schoss.

»Darum geht es doch gar nicht. Ich habe nur keine Lust, meinem Vater Patienten für die Klinik zu besorgen.« Zwei, drei Mal war sie im Park schon dabei gewesen. Hatte die Freunde beobachtet, die versucht hatten, mit so wenig Energieverlust wie möglich Barrieren zu überwinden und danach weiterzulaufen, um schnellstmöglich das gewünschte Ziel zu erreichen. Je höher und schwieriger die Hindernisse, umso besser. Schon im Park hatte Dési bei Sprüngen über Baumstämme und Mauern die Luft angehalten. Was sollte das erst in einer Neubausiedlung werden?

»Wie gesagt: Du musst nicht mitkommen, wenn du nicht willst.« Linus steckte das Telefon ein und stand auf. Er hob das Handtuch auf und schüttelte es aus. Der Lufthauch streifte Désis Gesicht, wirbelte ihre Haare durcheinander. Doch Linus hatte keine Augen für sie. Seine Aufmerksamkeit galt den Freunden. »Heute Abend? Sieben Uhr? Dann ist es noch lange genug hell.«

»Wir sehen uns.«

Handflächen klatschten aneinander. Nur Dési hatte sich wieder auf den Rücken gelegt. Sollte Linus doch dahin gehen, wo der Pfeffer wuchs. Sie griff nach ihrem Buch. Doch die Wörter tanzten vor ihren Augen, während Linus’ Schritte leiser wurden.

*

»Frische Brezen, Mylady!« Der Bäckergeselle Titus kippte seine dampfende Fracht in einen der Körbe im Verkaufsregal.

Der Duft nach frischem Gebäck und Milchkaffee ließ an gemütliche Nachmittage in der Familienküche denken. Viele der Gäste im angeschlossenen Café mochten sich auch so fühlen. In der Bäckerei war davon allerdings nicht viel zu spüren. Kunden drängelten sich vor dem Tresen. Traten von einem Bein auf das andere, warfen Blicke auf die Uhr über dem Durchgang zur Backstube.

»Ich brauche unbedingt noch Kornspitz und Dinkelbrötchen. Und was ist mit den Hefezöpfen? Die müssten doch gleich fertig sein«, rief Tatjana Norden, ohne sich nach ihrem Gesellen umzudrehen. Es war nicht das erste Mal, dass sie Titus überraschte.

»Gib zu, dass du eine innere Uhr eingebaut hast.« Er strich sich mit der Rechten über den Vollbart. »Oder aber, du bist der Prototyp eines menschlichen Roboters.«

Tatjana reichte lächelnd eine Tüte Brötchen über den Tresen, kassierte das Geld ab. Im nächsten Moment stand sie an der Kaffeemaschine, um die bestellten Getränke herauszulassen. Es war wie ein Tanz nach einer komplizierten Choreographie, ohne Takt und Musik.

Sie schickte Titus einen Seitenblick und verzog den Mund.

»In Wirklichkeit bin ich eine Außerirdische, die sich in dieses Irrenhaus verlaufen hat. Dummerweise habe ich keine Ahnung, wo mein Raumschiff steht. Und auch keine Zeit, es zu suchen.«

»Ein Glück für mich.« Titus’ Blick fiel auf das Gesicht seiner Kollegin Florentina, die in diesem Augenblick an den Tresen trat. »Allein könnte ich den Laden hier nicht stemmen.«

»Wieso allein?« Tatjana stellte die beiden Kaffeetassen auf ein Tablett. »Florentina ist doch auch noch hier.«

Titus schnitt eine Grimasse.

»Das ist der Beweis, dass du ein ganz normaler Mensch aus Fleisch und Blut bist. Sonst wüsstest du nämlich, dass unsere liebe Kollegin ganz grün im Gesicht ist.« Ein Alarm zerriss die Luft. »Tut mir leid, mein Typ wird verlangt. Ich muss meine Mädels vor dem Feuertod retten.«

Am Rascheln wusste Tatjana, dass er durch den rotsamtenen Vorhang geschlüpft war, der die Backstube vom Verkaufsraum trennte. Sie schob das Tablett zu Florentina hinüber.

»Danke«, sagte die Studentin. »Außerdem brauche ich einen Milchkaffee, zwei Rhabarberschorlen und einen … einen …« Mitten im Satz hielt sie inne und presste die Hand auf den Bauch. Sie keuchte leise. Nicht leise genug für Tatjana.

»Was ist los?«

»Keine Ahnung. Seit heute Nacht habe ich Magenkrämpfe«, gestand sie zögernd. »Aber es geht schon.«

Tatjana rieb sich die Ohren.

»Magenkrämpfe gehen überhaupt nicht! Wenn das Gesundheitsamt davon Wind bekommt, habe ich ein Problem. Warum hast du mir das nicht gleich heute früh gesagt? Dann hätte ich Annalena angerufen. Oder Chrissi. Oder Paulo.«

»Das habe ich heute Morgen schon gemacht.« Florentina klang wie ein kleines Mädchen, das die neue Strumpfhose zerrissen hatte. »Sie haben alle keine Zeit. Und im Stich wollte ich dich auch nicht lassen. Ich weiß doch, was hier immer los ist.«

»Das ehrt dich. Trotzdem gehst du jetzt nach Hause und kurierst dich aus.«

Tatjanas Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. Florentina band die Schürze ab und hängte sie an die Garderobe. Mit gesenktem Kopf schlich sie aus der Bäckerei. Tatjana sah ihr kurz nach. Der Ruf eines Gastes weckte sie aus ihren Gedanken.

»Wenn ich jetzt nicht endlich meine Rechnung bekomme, gehe ich!«, übertönte seine Stimme das Summen und Rauschen aus dem Café.

»Ich bin sofort bei Ihnen.« Tatjana griff nach dem Tablett mit dem Cappuccino und machte sich auf den Weg. Danach musste sie unbedingt Danny anrufen und ihn bitten, Fynn von der Krippe abzuholen. Sie war eben doch keine Außerirdische. Dabei hätte sie gerade jetzt übernatürliche Kräfte gut gebrauchen können.

*

»Da hatten Sie noch einmal Glück im Unglück!« Dr. Danny Norden überprüfte den Sitz des Klammerpflasters an der Stirn seiner Patientin. »Fertig. Sie können wieder aufstehen.« Er hielt ihr die Hand hin und half ihr, sich aufzusetzen.

»Ich verstehe immer noch nicht, wie ich die Glastür übersehen konnte.« Valentina Krasniqi schenkte ihm ein Lächeln, das der Sonne am Himmel Konkurrenz machte.

»So etwas kommt schon einmal vor.« Danny zog die Latexhandschuhe aus. Klatschend landeten sie im Abfall. »Besonders, wenn man es eilig hat.«

Valentina rutschte von der Liege. Als sie sich nach ihrer Schultertasche bückte, fiel ihr eine Locke des halblangen Haares ins Gesicht.

»Ehrlich gesagt habe ich momentan alle Zeit der Welt«, gestand sie. Sie richtete sich auf und klemmte die Strähne hinter das Ohr. »Seit meiner Scheidung habe ich mich in allen möglichen Berufen versucht. Meist komme ich aber nicht über die Probezeit hinaus. Na ja.« Sie ließ sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch fallen. »Sie wissen nicht zufällig eine Stelle?«

Die Tastatur klapperte unter Dannys Fingern, als er seinen Befund in die elektronische Patien­tenakte eintippte.

»Was haben Sie denn gelernt?«, erkundigte er sich nebenbei.

»Ursprünglich bin ich Dekorateurin. Während meiner Ehe habe ich als Mädchen für alles im Autohaus meines Mannes gearbeitet.« Mit beiden Händen hielt sie sich an der großen Tasche auf ihrem Schoß fest. »Ich kenne mich mit dem Computer aus, kann mit einer Bohrmaschine umgehen, verkaufe Ihnen aber auch ein Auto, wenn Sie wollen.«

»Nein, danke. Mein Bedarf ist gedeckt.« Ein roter Sportwagen blitzte vor seinem inneren Auge auf. Sinnbild von Freiheit und Unabhängigkeit und damit das Gegenteil der Familienkutsche, die draußen vor der Praxis parkte. Danny unterdrückte ein Seufzen. Er klickte die kleine Diskette im linken Eck des Bildschirms an. Die Daten waren gespeichert, die Behandlung beendet. »Aber falls mir etwas zu Ohren kommt, gebe ich Janine Bescheid. Wenn ich das richtig verstanden habe, sind sie befreundet?« Er erhob sich, um Valentina zur Tür zu begleiten.

Sie sprang auf, hängte die Tasche um und drehte sich um. Ein Klirren ließ Danny zusammenzucken. Er fuhr herum. Lange musste er nicht nach dem Grund für den Lärm suchen. Vor Valentinas Füßen lag seine Frau Tatjana und lachte zu ihm herüber. Das Sonnenlicht brach sich in den Scherben. Die Reflektion von Prismen tanzten auf Valentinas Stirn, ihren Wangen.

»Oh, das wollte ich nicht«, stammelte sie. »Es tut mir schrecklich leid.«

Wenn sie sich bei ihren Arbeitgebern auch so ungeschickt anstellte, wunderte sich Danny nicht darüber, dass sie nie über die Probezeit hinauskam.

»Halb so wild. Der Rahmen hatte eh schon einen Sprung«, schwindelte er, um ihr Leben nicht noch schwerer zu machen.

»Ich räume das auf.«

Er konnte sie gerade noch davon abhalten, sich nach den Scherben zu bücken.

»Auf dem Rückweg nehme ich Schaufel und Besen mit. Nicht, dass Sie sich zu allem Überfluss auch noch schneiden.« An den Schultern führte er Valentina aus dem Sprechzimmer, über den Flur und an den Tresen.

Seitdem die Praxis vom Vater auf den Sohn übergegangen war, hatte sich einiges verändert. Statt Bonbons tummelten sich vegane Gummibärchen im Glas auf dem Tresen. Die Assistentinnen trugen fröhlich-bunte Shirts zu den weißen Hosen. Große Kübelpflanzen, sanfte Farben an den Wänden und dezente Hintergrundmusik sorgten für eine Wohnzimmeratmosphäre. Woran sich nichts geändert hatte, waren Nächstenliebe, Humanität und Zeit. Danny Norden wusste zu gut, dass solche Begriffe immer weniger Platz hatten in einem System, in dem Effizienz und Wirtschaftlichkeit an oberster Stelle standen. Nie zuvor konnte die Medizin so viel Gutes bewirken. Nie zuvor wurde sie allerdings auch von so vielen Patienten hinterfragt. Vielen Menschen erschien sie zu sachlich, zu kühl und technisch. Immer mehr Patienten wünschten sich neben fachlicher Kompetenz das Gefühl, ein offenes Ohr vorzufinden. Eine mitfühlende Seele. All das hatte sich schon Dannys Vater Dr. Daniel Norden auf die Fahne geschrieben. Allem Fortschritt zum Trotz hielt Danny daran fest. Das volle Wartezimmer, die hoffnungsvollen Gesichter, die freundlichen Stimmen waren der schönste Beweis dafür, dass er richtig lag.

Doch bevor sich Danny Norden um seinen nächsten Patienten kümmern konnte, musste er erst einmal Ordnung machen. Er verabschiedete sich von Valentina und war gerade mit Kehrblech und Besen um die Ecke verschwunden, als Janine das Telefonat beendete.

»Was hat der Chef denn vor?«, fragte sie mit großen Augen. »Ich wollte ihm noch sagen, dass er seinen Sohn von der Krippe abholen muss.«

»Ich habe aus Versehen das Foto seiner Frau vom Tisch gefegt«, gestand Valentina zerknirscht.

Janine schüttelte den Kopf.

»Zuerst die Glastür und jetzt der Bilderrahmen? Heute scheint wirklich nicht dein Tag zu sein.« Sie lächelte. »Dann wird es ja höchste Zeit für gute Nachrichten.«

*

Der Sommertag neigte sich seinem Ende entgegen. In dem Maße, in dem die Luft abkühlte, erwachte die Stadt zu neuem Leben. Im Nachbarsgarten knatterte ein Rasenmäher. Der Geruch von brennender Kohle zog durch die Luft. Zwitschernd jagten sich Vögel durch Bäume und Sträucher. Und auch bei der Familie Norden wurde das Leben gefeiert.

»Wer möchte noch Salat?« Tatjana war gerade erst aus dem Haus gekommen. Kaum hatte sie sich hingesetzt, als sie schon wieder aufsprang und die grün gestreifte Porzellanschüssel hochhielt.

»Wir sollten etwas für Dési aufheben. Sie ist noch mit ihren Freunden unterwegs und hat später sicher Hunger«, bemerkte Felicitas.

»Fynn Domade haben!« Ihr zweijähriger Sohn packte seinen Teller mit beiden Händen und hielt ihn hoch. Reste von Kartoffelsalat gerieten in Schieflage, ein Klecks Ketchup machte sich auf den Weg Richtung Tisch.

Blitzschnell streckte Daniel Norden die Hand aus.

»Ich glaube, du bist satt. Oder?«

Fynn schüttelte den Kopf.

»Fynn doß und stak werd!« Er streckte den Arm aus und zeigte seinen Bizeps. Ganz so, wie der Mann auf dem Foto in Omas Zeitschrift.

Die Familie am Tisch lachte. Tatjana stand wieder auf.