Kognition/Kommunikation und Verhaltensweisen - Sabine Hindrichs - E-Book

Kognition/Kommunikation und Verhaltensweisen E-Book

Sabine Hindrichs

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Beschreibung

Frau Schweizer erkennt weder Tochter noch Pflegekraft. Herr Schopenhauer beschimpft Mitbewohner und begegnet Betreuern aggressiv. Wie ist nach dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff mit eingeschränkten geistigen und kommunikativen Fähigkeiten von pflegebedürftigen Menschen umzugehen? Das Autorenteam informiert grundlegend zu diesen Themen, also den Modulen 2 und 3 der Begutachtungsrichtlinien. Und zwar nicht nur mit konkreten Handlungsvorschlägen für die Praxis, sondern auch mit aktuellen Bezüge zu Dokumentation, NBI und Qualitätssicherung. Zahlreiche Fotos, Tabellen und Grafiken helfen dabei, sich das vielfältige Wissen schnell anzueignen. Ideal ist das Handbuch in der Ausbildung einzusetzen, aber auch als Praxishandbuch oder Nachschlagewerk im Pflegealltag. Es unterstützt dabei, Patienten bestmöglich einzustufen, die Pflege zu planen und den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff mit Leben zu füllen.

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Seitenzahl: 258

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Sabine Hindrichs • Ulrich Rommel

Margarete Stöcker • Manuela Ahmann

Kognition/Kommunikation

und Verhaltensweisen

PSG II und PSG III und Pflegebedürftigkeitsbegriffin der Praxis anwenden

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sämtliche Angaben und Darstellungen in diesem Buch entsprechen demaktuellen Stand des Wissens und sind bestmöglich aufbereitet.Der Verlag und der Autor können jedoch trotzdem keine Haftung für Schädenübernehmen, die im Zusammenhang mit Inhalten dieses Buches entstehen.

© VINCENTZ NETWORK, Hannover 2017

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Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne Weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen.

Titelfoto: Fotolia/Composing Picture-Factory, pavelkubarkov, oneinchpunch, js-photo, Gerhard Seybert, Dan Kosmayerh

Satz: Heidrun Herschel, Wunstorf

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund, www.readbox.net

ISBN 978-3-86630-588-5

Sabine Hindrichs • Ulrich Rommel

Margarete Stöcker • Manuela Ahmann

Kognition/Kommunikation

und Verhaltensweisen

PSG II und PSG III und Pflegebedürftigkeitsbegriffin der Praxis anwenden

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1 Pflegethema Kognition/Kommunikation, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen

1.1 Leitgedanken zum Thema „Kognition und Kommunikation“

1.2 Definition „Kognition und Kommunikation“ im Rahmen von Pflege und Betreuung

1.3 Medizinische Aspekte und Störungen der „Kognition und Störungen der Kommunikation“ in der Pflege und Betreuung

1.4 Leitgedanken zum Thema „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“

1.5 Definition „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“ im Rahmen von Pflege und Betreuung

1.6 Medizinische Aspekte und Störungen von „Verhaltensweisen und psychischen Problemlagen“ in der Pflege und Betreuung

Kapitel 2 Kognition/Kommunikation und Verhaltensweisen im Kontext des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes

2.1 Pflegestärkungsgesetz II und der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff

2.2 Themenmodul 2 „Kognitive und Kommunikative Fähigkeiten“

2.3 Themenmodul 3 „Verhaltensweisen und Psychische Problemlagen“

2.4 Prävention und Rehabilitation/Hilfsmittel

Kapitel 3 Verhaltensweisen und psychische Problemlagen

3.1 Abwehrendes und herausforderndes Verhalten

3.2 Die psychiatrische Krise und der psychiatrische Notfall

3.3 Allgemeine Leitsätze im Umgang mit abwehrendem und herausforderndem Verhalten

3.4 Gefahrensituationen

3.5 Schutz-, Abwehr- und Befreiungstechniken bei abwehrendem und herausforderndem Verhalten in der praktischen Umsetzung

3.6 Rechtliche Aspekte und Hinweise

Kapitel 4 Kognition, Kommunikation und Verhaltensweisen in der Dokumentation

4.1 Pflegeprozess und Pflegedokumentation

4.2 Prozessschritt 1 - Informationssammlung

4.3 Prozessschritt 2 - Maßnahmenplanung (4/6)

4.4 Prozessschritt - Berichteblatt

4.5 Prozessschritt - Evaluation

Kapitel 5 Konzepte in der praktischen Umsetzung

5.1 Zielgruppenspezifische Methoden bei Störung im Bereich der Kognition und Kommunikation, bei auffälligen Verhaltensweisen und psychische Problemlagen

5.2 Zielgruppenspezifische Angebote bei Störung im Bereich der Kognition und Kommunikation

5.3 Zielgruppenspezifische Angebote im Umgang bei auffälligen Verhaltensweisen und psychische Problemlagen

5.4 Ergänzende Angebote

Kapitel 6 Gerontopsychiatrie und Qualitätssicherung

6.1 Pflege- und Versorgungskonzepte – Umsetzungsstandard zur Rahmenempfehlung

6.2 Interne Qualitätssicherung

6.3 QPR - Qualitätsprüfung SGB XI

6.4 Qualitätsindikatoren

6.5 Betreuungsleistungen und zusätzliche Betreuungskräfte

Kapitel 7 Anhang

7.1 Falldarstellung Frau Sofia Isolde Schweizer

7.2 Falldarstellung – Herr Siegfried Ingmar Schopenhauer

7.3 Blanko Formulare MMSE© und CMAI©

Literaturverzeichnis

Die Autoren

 

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Buch-Code: AH1052

Vorwort

Der zweite Band der Themenmodul Reihe Pflegethema zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff beschäftigt sich mit den Themenmodulen„Kognitive und Kommunikative Fähigkeiten“ und„Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“, dem zweiten und dritten wissenschaftsbasierten Pflege- und Betreuungsthema aus dem neuen Begutachtungsinstrument. Die Politik betont schon fast „mantrahaft“, dass vor allem Menschen mit einer demenziellen Erkrankung durch das Neue Begutachtungsverfahren bessergestellt und gerechter „eingestuft“ werden. Ob das so ist, wird die Auswertung der Pflegegrade und Einstufungen in der Zukunft zeigen. Mit diesem Buch wollen wir Ihnen eine Hilfestellung geben, um zum einen Ihre Klienten/Bewohner bestmöglich einzustufen und Ihre Pflege planen zu können, und zum anderen aber auch helfen, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff inhaltlich und pflegefachlich mit Leben zu füllen.

Zum 01.01.2017 sollte mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes, dem neuen Begutachtungsverfahren und der Ablösung der Pflegestufen durch die Pflegegrade ein Paradigmenwechsel im Bereich der Langzeitpflege stattfinden, in dem die äußeren Kennzeichen von Pflege und Betreuung grundlegend und sichtbar umgestaltet wurden. Das, was der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff vor allem bewirken soll, ein neues Verständnis von Pflege, muss in den Köpfen der professionellen Pflege und Betreuung noch stattfinden und integriert werden. Dies kann aber nicht durch ein Gesetz zu einem bestimmten Datum quasi per Unterschrift verordnet werden, sondern ist ein Prozess, der sicher über mehrere Jahre gehen wird (Professor Büscher geht von mindestens 2 – 3 Jahren aus). Das erfordert, dass die pflegefachlichen Grundlagen der Profession Pflege konsequent am neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ausgerichtet und entsprechend in Lehre, Fort- und Weiterbildung so vermittelt werden.

Auf diesem Weg möchten wir Sie mit der Themenmodul Reihe Pflegethema entlang der Themenmodule des neuen Begutachtungsverfahrens (NBI) pflegefachlich hin zum neuen Verständnis von Pflegebedürftigkeit unterstützend begleiten. Dabei soll der neue Begriff der Pflegebedürftigkeit aus unterschiedlichen Blickwinkeln bzw. Perspektiven betrachtet werden. Für jedes Themenmodul (mit Ausnahme dieses Buches, das die Themenmodulen 2 + 3 zum Inhalt hat) wird es ein Praxishandbuch geben. Die einzelnen Bücher werden thematisch immer dem gleichen Aufbau folgen:

1. Pflegethema – Themenmodul

2. Themenmodul im Kontext des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes

3. Expertenstandard zum Themenmodul

4. Themenmodul in der Dokumentation

5. Themenmodul in der Praktischen Umsetzung

6. Themenmodul und Qualitätssicherung

Zunächst erhalten Sie eine Einführung ins Thema, die einer Darstellung des aktuellen pflegefachlichen Stands des Wissens in Deutschland folgt. Pflegetheoretisch liegt unseren Darstellungen ein personenzentrierter beziehungsbasierter Ansatz zugrunde, wobei wir uns bewusst nicht auf ein bestimmtes Pflegemodell festgelegt haben, da dieses aus unserer Sicht von jeder Einrichtung entsprechend ihrer Klientel und der eigenen kulturellen Prägung gewählt werden sollte. Für den Bereich der Dokumentation orientieren wir uns am Strukturmodell der entbürokratisierten Pflegedokumentation.

Der systematische Aufbau der einzelnen Bücher orientiert sich an einer Idee von Professor Andreas Büscher, dem Wissenschaftlichen Leiter des DNQP (Deutsches Netzwerk für Qualität in der Pflege), wie die Erkenntnisse aus der Begutachtung für die Wahl des Hilfeangebotes/Versorgungssettings, die Durchführung der Pflege und deren Dokumentation genutzt werden können und dabei sich eines aus dem anderen ergibt und zusammenpasst.

Zu Beginn einer „Pflegekarriere“ steht die Perspektive aus leistungsrechtlicher Sicht als Grundlage für den Grad der Pflegebedürftigkeit. Sie gibt erste Hinweise für die Versorgungsmöglichkeiten der pflegebedürftigen Person und ihrem Unterstützungsbedarf.

Ausgehend vom Grad der Pflegebedürftigkeit erfolgt der Übergang in den Versorgungsprozess der pflegebedürftigen Person und dem damit erforderlichen Unterstützungsbedarf. In welcher Form und Ausgestaltung die pflegebedürftige Person Unterstützung in Anspruch nimmt, wird durch eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren beeinflusst. Dies geschieht aufgrund der individuellen Lebenssituation, den Wünschen und Bedürfnissen der pflegebedürftigen Person, dementsprechend hat sie die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten für ihre Pflege und Betreuung (ambulante, teilstationäre und stationäre Versorgungangebote).

Unabhängig für welchen Versorgungsbereich sich die pflegebedürftige Person entscheidet, erfolgt ein an ihren individuellen Wünschen und Bedürfnissen orientierter Versorgungsprozess (Pflegeprozess). Um den Praxistransfer des aktuellen theoretischen Pflegewissen, sowie die leistungsrechtlichen Erfordernisse sicherzustellen, bedarf es einer Integrationsfähigkeit dieser Faktoren in den pflegepraktischen Alltag der unterschiedlichen Versorgungbereiche. Der Grad der Selbstständigkeit, in Kombination mit einem personenzentrierten Ansatz, ermöglicht einen an der pflegebedürftigen Person orientierten und ausgerichteten Pflegeprozess. Die Dokumentation des prozesshaften pflegefachlichen Handelns sollte sich an diesen Faktoren orientieren, um den Pflegeprozess prägnant und aussagekräftig schriftlich darzustellen. Das Strukturmodell zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation ist mit seiner Anschlussfähigkeit an den Pflegebedürftigkeitsbegriff eine Form der Dokumentation, die diese Faktoren alle integriert und berücksichtigt.

Exemplarisch werden in jedem Themenband zwei pflegebedürftige Personen im stationären Versorgungsbereich als praxisnahes Beispiel durchgehend beschrieben, um sowohl den Grad ihrer Pflegebedürftigkeit als auch ihren individuellen gewünschten Versorgungsbedarf zu ermitteln. In dieser Ausgabe werden uns die beiden pflegebedürftigen Personen Frau Sofia Isolde Schweizer und Herr Siegfried Ingmar Schopenhauer zu den Themenmodulen Kognitive und Kommunikative Fähigkeiten und Verhaltensweisen und psychische Problemlagen begleiten.

Im vorliegenden Band zu „Kognitive und Kommunikative Fähigkeiten und Verhaltensweisen“ war es uns besonders wichtig, das Thema von allen Seiten her in seinen unterschiedlichen Dimensionen zu betrachten und Ihnen nicht nur theoretische Grundlagen zu vermitteln, sondern praxisnah Hilfestellung und Ideen für Ihren Alltag zu vermitteln. Insbesondere im Kapitel „Themenmodule in der Praktischen Umsetzung“ wollen wir Ihnen mit Beispielen aus der Praxis unterschiedliche Umsetzungsmöglichkeiten vorstellen, verbunden mit der Hoffnung, dass die eine oder andere Idee von Ihnen aufgegriffen und umgesetzt wird.

Manuela Ahmann

Sabine Hindrichs

Margarete Stöcker

Ulrich Rommel

Dortmund/Stuttgart 2017

*(Frau Sofia Isolde Schweizer sowie Herr Siegfried Ingmar Schopenhauer sind von den Autoren frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt)

Kapitel 1: Pflegethema Kognition/Kommunikation, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen

1.1 Leitgedanken zum Thema „Kognition und Kommunikation“

Wir leben in einer „Informationsgesellschaft“1, die entscheidend durch Informationsaufnahme und -weitergabe geprägt ist. Für ein möglichst selbstbestimmtes Leben ist es daher von zentraler Bedeutung, wie wir kommunizieren und unsere kognitiven Fähigkeiten nutzen können. Liegen Beeinträchtigungen der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten vor, kann man von Einbußen der Selbstständigkeit in fast allen Lebensbereichen ausgehen.

Kognitive Fähigkeiten sind hauptverantwortlich dafür, dass wir unsere Sprache nutzen und uns ausdrücken können. Auch wenn durch neurologische, psychiatrische und/ oder somatische Erkrankungen die reguläre Kommunikationsfähigkeit eingeschränkt ist, schwindet oder verloren gegangen ist, können kognitive Fähigkeiten durchaus erhalten sein. In extremer Form kann dies bei einem Wachkoma (locked-in-Syndrom) auftreten.2 Andererseits kann, auch bei weitestgehendem Verlust der kognitiven Fähigkeiten durchaus eine gelingende Kommunikation basaler Bedürfnisse über Verhaltensweisen, Gestik und Mimik geben.

Grafik 1.1: Zusammenhang Kognition, Kommunikation und Selbständigkeit

In der Regel ist es aber so, dass es für Menschen, die Störungen der Kommunikationsfähigkeit, der Orientierung, des Erkennens und der Verarbeitung von Informationen haben, es im Verlauf der Erkrankung immer schwieriger wird, sich im Alltagsleben zurechtzufinden, in einer Gesellschaft, die bei der Bewältigung von Alltagsaufgaben immer höhere und komplexere Anforderungen an den Einzelnen hat3.

Foto 1.1: Die Welt nicht mehr verstehen! “Wer bin ich?”

Zu den zentralen Aufgaben der Pflege und Betreuung zählen deshalb die Erhaltung und die Förderung der geistigen Fähigkeiten und Ressourcen der pflegebedürftigen Person und die Schaffung von Kompensationsmöglichkeiten, dort wo Einschränkungen oder Verluste von Fähigkeiten vorliegen.

Dabei ist es vor allem wichtig zu verstehen, wie erheblich die Einschränkung ist, wenn man nicht mehr weiß, an welchem Ort, in welcher Zeit, in welcher Situation und welcher sozialen Rolle man sich befindet, sowie Informationen und Sinnesreizen nicht verarbeiten kann.

Das empathische Sich-Einfühlen besteht generell darin, den inneren Bezugsrahmen eines anderen wahrzunehmen, denn erst dann kann man Sachverhalte verstehen, bewerten und richtig Handeln. Dies gilt in besonderem Maße bei Menschen mit eingeschränkten kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten.

Sich nicht ausdrücken zu können, nicht verstanden zu werden, sich in einer Welt wiederzufinden, die völlig fremd ist, mit Blitzlichtern aus der Vergangenheit, die man nicht mehr zuordnen kann … kann die Basis für einen Rückzug aus der sozialen Teilhabe am Leben und/oder abwehrendes und herausforderndes Verhalten sein.

Unter dieser Sichtwiese kann Pflegeabwehr und herausforderndes Verhalten, die einzige verbliebene Möglichkeit sein, um deutlich zu machen, dass der Betroffene fachlich gut gemeinte Maßnahmen der Pflege und Betreuung nicht will oder in ihrem Handlungsablauf nicht versteht.

Die Grundvoraussetzung für eine gelingende Kommunikation in Pflege und Betreuung ist die Beachtung folgender Faktoren in Bezug auf die pflegebedürftige Person:

Grafik 1.2: Einflussfaktoren gelingende Kommunikation

1.1.1 Der personzentrierte Ansatz in Bezug auf Kognition und Kommunikation

Die Autoren dieses Buches favorisieren einen personzentrierten Ansatz auf der Grundlage von Carl R. Rogers4, wie er auch von den Autorinnen des Strukturmodels zur Entbürokratisierung um Elisabeth Beikirch empfohlen wird. Rogers personzentrierter Ansatz bildet auch die Grundlage von Tom Kitwoods Modell zur Pflege von demenziell Erkrankten. Eine personzentrierte Haltung und Herangehensweise beschränkt sich aber nicht nur auf den Einstieg in den Pflegeprozess, sondern hilft vor allem in der konkreten Pflegesituation, z. B. um auftretende Konflikte bewältigen zu können. Dazu müssen Pflege- und Betreuungskräfte über die Kompetenz verfügen, Konflikte wahrzunehmen, zu analysieren und gemeinsam mit den beteiligten Personen nach geeigneten Strategien und Lösungen zu suchen.

Dies gelingt am besten durch aktives Zuhören, z. B. basierend auf den Grundlagen der klientenzentrierten Gesprächstherapie von Carl R. Rogers.

Folgt man dem personzentrierten Ansatz von Rogers, sollte die Gesprächsführung folgende drei Komponenten enthalten:5

Grafik 1.3: Grundlagen der klientenzentrierten Gesprächstherapie

Die Schulung und Entwicklung von rhetorischen Fähigkeiten kommt in der Aus- und Fortbildung von Pflege- und Betreuungskräften oft zu kurz.6 Da aber hinter der Kunst der „Beredsamkeit“ nicht nur (Natur-)Talent, sondern auch erlernbares Können steckt und z. B. Kenntnisse über den Einsatz von Körpersprache elementarer Bestandteil einer gelungenen Kommunikation in Pflege- und Betreuungsbeziehungen sind, sollte die Schulung kommunikativer Techniken und rhetorischer Fähigkeiten7 fester Bestandteil von Fort- und Weiterbildungsplänen von Einrichtungen sein.

Wichtige Aspekte in der Kommunikation mit pflegebedürftigen Personen sind auch erlebtes und spürbares Mitgefühl, Engagement und fachliche Kompetenz. Denn für Pflege- und Betreuungskräfte wird es immer wichtiger zu beraten, zu informieren und anzuleiten. Und selbst der Smalltalk hat hinsichtlich der Beziehungsgestaltung eine große Bedeutung, vor allem auch in Beziehung zu den Angehörigen.

1.1.2 Kommunikationsmodell

Es gibt einige bewährte Kommunikationsmodelle und -techniken, die von Pflege- und Betreuungskräften in den unterschiedlichsten Situationen und für die jeweiligen Adressaten angewandt werden können. Das bekannteste Modell ist das Kommunikationsquadrat von Friedemann Schulz von Thun8, bekannt unter dem Namen „Vier-Ohren-Modell“ oder „Nachrichtenquadrat“.

Nach Schulz von Thun muss man für eine gelingende Kommunikation beachten, dass jede Nachricht, unabhängig davon, ob man es will oder nicht, auf Seiten des Senders gleichzeitig vier Botschaften (Aspekte) enthält, denen auf Seiten des Empfängers dieselben vier Aspekte gegenüberstehen, wie der Empfänger die gesendete Botschaft wahrnimmt („Mit vier Ohren empfangen“):

1. Sachinhalt – Worüber ich informiere (der vordergründige bzw. offensichtliche Teil einer Information).

2. Selbstoffenbarung – Was ich von mir zu erkennen gebe, wie will ich, dass mich der andere sieht bzw. wie befürchte ich, dass mich der andere wahrnimmt. Dieser Aspekt birgt ein hohes Konfliktpotenzial – Die Selbstoffenbarung enthält die Ich-Botschaften.

3. Beziehung – Was ich von dir halte und wie ich zu dir stehe. Auf dieser Ebene geschieht die Kommunikation überwiegend nonverbal. Die Beziehungsebene enthält vor allem Du- und Wir- Botschaften.

4. Appell – Was ich bei dir erreichen möchte. Wie der Sender Einfluss nehmen möchte auf den Empfänger.

Grafik 1.4: Kommunikationsmodell

1.1.3 Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund

Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen mit Migrationshintergrund wird in den nächsten Jahren voraussichtlich kontinuierlich steigen. Dabei handelt es sich überwiegend um Arbeitsmigrantinnen und -migranten der ersten Generation, die seit Anfang der 50er-Jahre nach Deutschland gekommen sind, um hier für eine bestimmte Zeit zu arbeiten und dann wieder in ihre Ursprungsländer zurückzukehren. Für die Mehrzahl von ihnen ist Deutschland aber zur Heimat geworden, sie sind geblieben. Trotzdem die meisten Migrantinnen und Migranten schon Jahrzehnte in Deutschland leben und vollständig integriert sind, gibt es drei Bereiche, in denen größere Unterschiede auftreten können. Dies ist erstens im Empfinden von und im Umgang mit Krankheit und Behinderung. Zweitens kulturelle und religiöse Prägungen, die im Besonderen Speisevorschriften und den Umgang mit Sterben, Tod und Bestattung betreffen. Der dritte und bedeutsamste Bereich ist dabei die Kommunikation, da die deutsche Sprachkompetenz sehr gering ist oder die erworbene (deutsche) Sprachkompetenz oft sehr früh verloren geht und nur noch die Muttersprache ihres Herkunftslandes beherrscht wird. Aus diesem Grund fällt es den Pflegekräften meistens sehr schwer einzuschätzen, ob Kommunikationsprobleme sprachlicher oder kognitiver Natur sind.

Gelingende interkulturelle Kommunikation erfordert Einfallsreichtum, Kreativität und kollegiale Unterstützung. Oft ist Kommunikationsaufbau bzw. der Zugang zum Klienten nur über die nonverbale Kommunikation möglich. Für die Information und die Beratung von Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund sind allerdings in der Regel aktive Sprachkenntnisse bzw. Kommunikation in der Muttersprache der Betroffenen notwendig. Für die Selbst- und Fremdeinschätzung der interkulturellen Handlungskompetenz kann man sich z. B. am modifizierten Kompetenzmodell nach Benner von Rommel et al.9 orientieren, das im Rahmen eines Modellprojektes zur interkulturellen Öffnung eines Pflegedienstes entwickelt wurde.

Grafik 1.5: Modell Interkulturelle Handlungskompetenz (modifiziert nach Benner)

Sehr gute Broschüren und Handreichungen speziell für das Thema Demenz in unterschiedlichen Sprachen bietet das Demenz-Servicezentrum für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte des Landes Nordrhein-Westfalen10.

1.2 Definition „Kognition und Kommunikation“ im Rahmen von Pflege und Betreuung

Kognitive und kommunikative Prozesse waren insbesondere in den letzten 100 Jahren Objekte von vielfältigen wissenschaftlichen Untersuchungen und Auseinandersetzungen. Mit der Begründung der experimentellen Psychologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Kognition der experimentellen Forschung zugänglich. Der Begriff Kommunikation ist in der modernen Welt erst seit 1940 alltagsgebräuchlich.

Definition Kognition

Das Wort Kognition ist vom lateinischen Wort cognitio (= Erkennen, Erkenntnis) abgeleitet.

Als Begriff ist Kognition nicht einheitlich definiert, im Allgemeinen wird darunter aber die Informationsverarbeitung von Menschen verstanden. Umgangssprachlich wird meist vom „Denken“ gesprochen.

Der Pschyrembel® Pflege definiert Kognition als: „… Oberbegriff für alle Vorgänge oder Strukturen, die mit dem Aufnehmen, Verarbeiten und Speichern von Reizen zusammenhängen.“

Die Kognitionspsychologie geht davon aus, dass menschliches Verhalten weitgehend von kognitiven Prozessen beeinflusst wird und nicht nur als Reaktion auf Umweltreize zu verstehen ist. Sie subsumiert unter dem Begriff der Kognition alle informationsverarbeitenden Prozesse höherer Lebewesen. Dazu gehören Wahrnehmungs- und Denkprozesse sowie deren Ergebnisse.

Informationsverarbeitende Prozesse können sowohl bewusst als auch unbewusst ablaufen.11

Gründete das Verständnis von Kognition und den damit verbundenen Prozessen früher nur auf abstrakten Vorstellungen und theoretischen Modellen, so ist es Neurowissenschaftlern12 heute möglich, viele Vorgänge der Kognition über moderne bildgebende Verfahren (PET und fMRI) und spezielle Computerprogramme darzustellen.13

Kognition umfasst die Verarbeitung von Sinnesreizen aus der Wahrnehmung der Umwelt, die die Grundlage von Orientierung sind und dem daraus resultierenden Handeln. Zusätzlich erfolgt auf der Basis von Verarbeitung von Erfahrungen aus dem Langzeitgedächtnis die Bewertung und Interpretation von Informationen, die die Erkennbarkeit der Umwelt realisiert. Bei Menschen mit Demenz können diese Wahrnehmungsprozesse gestört sein. Im Verlauf der Erkrankung gehört die Störung der Wahrnehmung zu den primären Krankheitssymptomen.

Kognition ist ein Sammelbegriff und umfasst die informationsverarbeitenden Fähigkeiten und Prozesse eines Menschen:

Foto 1.2: Fähigkeit Prozess zu verarbeiten

■ Wahrnehmung,

■ Aufmerksamkeit,

■ Denken und Problemlösen,

■ Gedächtnis,

■ Lernen und Erinnern,

■ Planen,

■ Sprache und Spracherkennung,

■ Kreativität,

■ Motivation,

■ Einbildungskraft (Imagination), Vorstellung,

■ Volition (willentliche Umsetzung von Zielen und Motiven),

■ Entscheidungsfindung und Urteilen,

■ Wille,

■ Selbstbeobachtung (Introspektion),

■ Glauben,

■ Emotionen und Handeln.

 

Falldarstellung zur Kognition:

Falldarstellung

Foto 1.3: Wahrnehmung „Hund wird erkannt!

Die hier gezeigte Bewohnerin erschien abwehrend und herausfordernd in ihrem Verhalten. Sie drohte mit erhobenem Arm und schimpfte unverständlich. Nach langsamer Annäherung und Wahrnehmung wurde der Hund als solches erkannt. Ihr bisheriges Drohen mit erhobenem Arm und Schimpfen verschwand. Aus der Biografie war bekannt, dass sie selbst einen Hund besaß. Liebevoll streichelte sie den Hund und instruierte anschließend eine hinzukommende zweite an Demenz erkrankte Bewohnerin, wie man einen Hund richtig streichelt. Sie fragte zur Überraschung des Personals auch nach dem Namen des Hundes. Nachdem die zweite Bewohnerin mehrfach nochmalig nach dem Namen des Hundes fragte, schaute sie völlig entsetzt und sagte: „Dat ham die doch schon gesagt, der heißt „Belami“, Du dumme Nuss!“

Grafik 1.6: Informationsverarbeitende Fähigkeiten und Prozesse

Definition Kommunikation

Menschen kommunizieren miteinander, um Bedürfnisse und Gefühle auszudrücken, Mitteilungen auszutauschen oder um sich zu unterhalten.14

Das Wort Kommunikation kommt vom lateinischen communicatio (= Mitteilung, Gemeinsamkeit). Es bezeichnet den Vorgang, in dem ein Sender einem Empfänger etwas kundtut. Dabei wird eine Information vom Sender kodiert (verschlüsselt) und vom Empfänger dekodiert (entschlüsselt). Das setzt einen Kontakt voraus oder stiftet diesen.15

Die Kommunikation wird dabei unterschieden in:

■ verbale Kommunikation (Worte, Sprache),

■ nonverbale Kommunikation (Mimik, Gestik, Körpersprache, Augenkontakt),

■ paraverbale Kommunikation (sprachlicher Ausdruck, Tonfall, Tonhöhe, Sprechtempo).

 

 

Unter sozialer Kommunikation versteht man den Austausch, die Vermittlung und die Aufnahme von Informationen zwischen Menschen.16

Kommunikation verläuft in der Regel alltäglich, scheinbar selbstverständlich. Erst wenn Missverständnisse und Misserfolge entstehen, die im Zusammenhang mit der Kommunikation auftreten, wird klar, welche Bedeutung die Kommunikation für die Bewältigung und Teilhabe am Alltag hat.

Kommunikation wird dann als erfolgreich bewertet, wenn Informationen, Botschaften und Gedanken an die andere Person richtig übermittelt werden können. Die nonverbale Kommunikation kann dabei das Gesagte in seiner Bedeutung unterstützen.

Foto 1.4: Empathische Kommunikation

Paul Watzlawick hat fünf Grundregeln (pragmatische Axiome) aufgestellt, die die menschliche Kommunikation erklären und ihre Paradoxie zeigen:

1. Man kann nicht – nicht kommunizieren.

2. Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.

3. Kommunikation ist immer Ursache und Wirkung.

4. Menschliche Kommunikation bedient sich analoger und digitaler Modalitäten.

5. Kommunikation ist symmetrisch oder komplementär.

Ein Axiom bezeichnet einen Grundsatz, der keines Beweises bedarf.

Kommunikation als Qualitätskriterium in Pflege und Betreuung

Die Kommunikation mit den Patienten/Bewohnern und ihren Angehörigen sowie im Team selbst stellt ein wichtiges Qualitätskriterium der alltäglichen Pflege und Betreuung dar. Nicht zuletzt hat auch eine nicht ausreichende Kommunikation im Team und mit Vorgesetzten Auswirkungen auf die Versorgungqualität.

Kommunikation als Qualitätskriterium in Pflege und Betreuung:

Die Qualität einer erfolgreichen Kommunikation wird im Allgemeinen beeinflusst durch

■ Kundenorientierte Gesprächsführung

■ Strukturen der Kommunikation

■ Zielorientierte Gesprächsführung

■ Beratungskompetenz

■ Rhetorik/Körpersprache

■ Fähigkeit zu Konfliktbewältigung

■ Nonverbale Kommunikation

■ Erfolgreiche Meetings und Diskussionsrunden

■ Interne Kommunikationsregelungen

Tabelle 1.1. Faktoren die die Qualität der Kommunikation beeinflussen

1.3 Medizinische Aspekte und Störungen der „Kognition und Störungen der Kommunikation“ in der Pflege und Betreuung

Die Vielfältigkeit der innenwohnenden Problematik der medizinischen Aspekte von Störungen der Kognition und der Kommunikation in der Pflege und Betreuung können nicht im Rahmen dieses Buch, umfänglich dargestellt werden und daher haben wir uns auf ausgewählte Schwerpunkte beschränkt und diese aufgegriffen und dargestellt.

Kognitive und kommunikative Störungen greifen insbesondere Einschränkungen von pflegebedürftigen Personen auf, die durch neurologische-psychiatrische Erkrankungen, aber auch durch somatische Erkrankungen, wie zum Beispiel Einschränkungen oder Verlust des Hörens und Sehens, verursacht werden.

Im Vordergrund stehen dabei Menschen mit Demenz, aber auch Erkrankungen wie Depressionen, chronische Angst- und Panikstörungen, Schizophrenie, chronische Suchterkrankungen und angeborene oder erworbene geistige Behinderungen in vielfältigen Ausprägungen und der damit eingeschränkten Teilnahme am sozialen Leben.

Ebenso treten bei neurologisch erkrankten Personen, beispielsweise bedingt durch einen Schlaganfall, Multiple Sklerose oder Morbus Parkinson, erhebliche Einschränkungen in kognitiven und kommunikativen Bereichen auf.

Störungen der Kognition und Störungen der Kommunikation

Demenz (syn. Hirnleistungsstörungen) umfasst ein ätiologisch heterogenes klinisches Syndrom, das durch erworbene Einbußen von intellektuellen Fähigkeiten und Gedächtnis gekennzeichnet ist.

Die Alzheimer (50 – 70 %) und die vaskuläre Demenz (15 – 25 % ) sind die häufigsten Formen.17

Neben kognitiven Defiziten sollte zur Stellung der Diagnose mindestens eine weitere der folgenden Störungen vorhanden sein:

■ Aphasie: Störung der Sprache,

■ Agnosie: Unfähigkeit, Gegenstände wiederzuerkennen,

■ Apraxie: Beeinträchtigung motorischer Aktivitäten,

■ Störung der Exekutivfunktionen, z. B. Planen, Organisieren, Einhalten einer Reihenfolge.

Das größte Kommunikationsproblem für einen Menschen mit Demenz ist es, dass er sowohl beeinträchtigt ist sich auszudrücken als auch darin, aufzunehmen und zu verstehen, was andere ihm mitteilen wollen. Darüber hinaus führt die Wahrnehmung der eigenen Defizite zu einem Gefühl der Verunsicherung und zu Ängsten bei sozialen Kontakten. Dies verstärkt letztlich das Rückzugsverhalten eines Menschen mit Demenz, vor allem zu Beginn der Erkrankung.

Legt man das Kommunikationsmodell in Anlehnung an Rüttinger und Sauer18 zugrunde, ist die Informationsübertragung in 4 Stufen unterteilt: Darbietung, Aufmerksamkeit, Verstehen und Behalten des Verstandenen.19

Informationsübertragung wird in 4 Stufen nach dem Kommunikationsmodell in Anlehnung an Rüttinger und Sauer (Rüttinger, B., Sauer, J. 2000) unterteilt:

Grafik:1.7: Kommunikationsmodell in Anlehnung an Rüttinger und Sauer

Bei Menschen mit Demenz kommt es zu Störungen in allen vier Stufen des Kommunikationsmodells in Anlehnung an Rüttinger und Sauer.

Im Allgemeinen zeigen sich zusammenfassend die folgenden primären Symptome gestörter Kognition und Kommunikation:

■ Gedächtnisstörungen – Amnesien,

■ Sprachstörungen – Aphasien,

■ Wahrnehmungsstörungen – Agnosien,

■ Handlungsstörungen – Apraxien,

■ Störungen des abstrakten Denkens – Abstraktionsstörungen,

■ Verlust der Kritik und Urteilsfähigkeit – Assessmentstörungen.

Grafik 1.8: Störungen der Informationsübertragung im Kommunikationsmodell bei Menschen mit Demenz (Quelle: Rösler, M., Retz, W., Thome, J. 1997)20

Es wird für den Betroffen immer schwerer, Informationen im Kurzzeitgedächtnis abzuspeichern und abzurufen, neues Wissen zu lernen, abzurufen und einzuordnen, sowie Entscheidungen im Alltag zu treffen. Im frühen Stadium können dabei Erinnerungen aus dem Langzeitgedächtnis noch recht gut wiedergeben und eingeordnet werden.

Menschen, die an Demenz erkrankt sind, brauchen spezielle Betreuungsangebote und Herangehensweisen. Werden diese nicht angewendet und umgesetzt, können sich die sogenannten sekundären Symptome verstärkten, die die Pflege und Betreuung erheblich erschweren und das Wohlbefinden der Betroffenen belasten.

 

Sekundärsymptome:

■ Affektlabilität (Schwankungen der Grundstimmung),

■ depressive Verstimmungen,

■ Angst und paranoide Entwicklung,

■ Abwehr und herausforderndes Verhalten, Aggressivität,

■ Unruhe,

■ Angetriebenheit,

■ Antriebsverminderung,

■ Perseveration.

Beim Umgang mit Betroffenen steht an erster Stelle die Wahrnehmung, Deutung und das Verstehen der individuellen Verhaltensweisen.

Dabei ist die Berücksichtigung der Wahrnehmung des Betroffenen als Person mit individuellen Bedürfnissen, ihrer einzigartigen Biografie sowie einer empathischen Einstellung und der Nutzung von pflegewissenschaftlichen Fachkenntnissen und der eigenen Biografie von Pflegepersonen von entscheidender Bedeutung.21

 

Hilfen für den Umgang mit demenziell erkrankten Menschen

Grundsätzlich sollten die Mitarbeiter der Pflege und Betreuung über Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten allgemeiner Kommunikationsregeln, unter Beachtung von Empathie, Nähe und Distanz, besitzen.

Dabei hat das Modell des personenzentrierten Ansatzes nach Kitwood22 die Pflege und vor allem den Umgang mit dementen Menschen maßgeblich beeinflusst und verändert.

Im Mittelpunkt aller pflegerischen, betreuenden und therapeutischen Bestrebungen sollten demnach das Wohlbefinden des an Demenz erkrankten Menschen und eine gelingende Beziehung zwischen ihm und seinen Mitmenschen stehen.

Foto 1.5: Wertschätzender Kommunikationsaufbau

„Die Suche nach dem Wohlbefinden kann dabei eine täglich neue Herausforderung sein!“

 

Im Umgang und in der Kommunikation mit Menschen mit kognitiven und kommunikativen Einschränkungen sind zu beachten:

■ Aufrichtigen Blickkontakt suchen, aufnehmen und halten (Augen sind das Spiegelbild der Seele, in den Augen eines Menschen erkennt man seine wahren Gefühle).

■ Achten sie auf ihre eigene und die Mimik und Gestik des Betroffenen.

■ Mit deutlich etwas tieferer Stimme sprechen (Beachte: Einschränkung von Hören hoher Frequenzen).

■ Sprechen sie Menschen mit Demenz persönlich mit dem von ihm bevorzugten Namen an (Gegebenenfalls auch mit Vornamen oder Kosenamen, wenn dies die einzige Möglichkeit ist, den Betroffen noch zu erreichen. Vergessen sie nicht, diese Vorgehensweise zu dokumentieren).

■ Kurze einfache Sätze verwenden, keine Mehrfachaufforderungen in einem Satz.

■ Körperkontakt wird häufig im frühen Stadium abgelehnt, im fortgeschritten Stadium eingefordert.

■ Niemals überraschend von hinten ansprechen.

■ Warum-Fragen vermeiden, eher Antworten geben.

■ Bei Nicht-Verstehen wiederholen oder das Gesagte deutlich umschreiben.

■ Beachten Sie Mehrdeutigkeit im Sprachgebrauch (Bsp.: „Einwecken“, kann auch Einkochen von Obst bedeuten).

■ Handlungen ankündigen, kommentieren und erläutern.

■ Spiegeln sie Emotionen, um das Verständnis für die Situation zu verdeutlichen.

■ Rückblicke in die Vergangenheit akzeptieren, respektieren und annehmen.

■ Korrigieren Sie Ihr Gegenüber nicht ständig.

■ Das Verhalten mit den Gefühlen und unerfüllten menschlichen Bedürfnissen in Verbindung bringen.

■ Achten Sie auf Antriebe (Handlungsauslöser und Gefühle (Befindlichkeit)

Menschen mit Demenz reagieren viel stärker auf die paraverbale Betonung der Worte und die mit ihnen verbundene Körpersprache. Sie spüren, ob das Gesagte positiv wohlwollend gemeint ist oder ob sie kritisiert werden. Stress und Hektik der Mitarbeiter werden intuitiv wahrgenommen und übertragen sich.

Gute, zielgerichtete Kommunikation mit demenzkranken Menschen beruhigt und gibt Orientierung, lindert Ängste und Sorgen. Der Betroffene fühlt sich wahr- und ernstgenommen, sein Wohlbefinden steigt. Er wird in seiner Würde gestärkt, beteiligt sich besser an pflegerischen und therapeutischen Maßnahmen.23

 

Die wichtigste Grundregel für die Kommunikation mit Menschen mit Demenz ist, dass das Kommunikationsverhalten an den Schweregrad der Demenz angepasst werden muss.24

Das bedeutet

■ Im frühen Stadium der Demenz orientierende (nicht korrigierende) Informationen einfließen lassen.

■ Im mittleren Stadium den Schwerpunkt der Kommunikation auf die emotionale Ebene legen (Validation, siehe Kapitel 5).

■ Im späten Stadium den Schwerpunkt der Kommunikation auf die nonverbale Kommunikation legen (z. B. basale Stimulation, Berührung).

Durch den Einsatz, die Anwendung, die Erprobung einer Vielzahl von weiteren methodischen und konzeptionellen Ansätzen in der Pflege und Betreuung, wie z. B. Milieutherapie, Validation, Snoezelen, Basale Stimulation, Aromapflege und Musik, kann eine bedürfnis- und bedarfsorientierte Pflege und Betreuung von demenziell erkrankten Menschen gelingen. Die Anwendung solcher Methoden und Konzepte setzt differenzierte Kenntnisse und das Schaffen notwendiger Rahmenbedingungen voraus. Mögliche methodische und konzeptionelle Ansätze in der Pflege und Betreuung werden ausführlich in ihrer Anwendung in der Grundsatzstellungnahme – Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen Herausgeber: Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkasse – beschrieben.

 

Auf der Grundlage der verschiedenen Modelle (siehe Kapitel 5: Professioneller Zugang in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz) wurden in den letzten Jahren unterschiedliche Betreuungskonzepte und Methoden entwickelt, die maßgeblich die Konzeptentwicklung der stationären Einrichtungen in der Betreuung von Menschen mit Demenz beeinflussen. Ausgehend von den Bedürfnissen, Fähigkeiten und Gewohnheiten der Betroffenen wird eine individuelle Pflege und Betreuung der Demenzkranken zur Erhaltung und Förderung ihrer Lebensqualität angestrebt. Im folgenden Kapitel werden verschiedene Konzepte bzw. Methoden vorgestellt, die in der Praxis zur Anwendung kommen. Die Anwendung aller in diesem Kapitel aufgeführten Methoden/Konzepte setzt differenzierte Kenntnisse der Methoden, der Nebenwirkungen, Kontraindikationen und alternativer Interventionsformen voraus. Darüber hinaus müssen adäquate Rahmenbedingungen und eine entsprechende Arbeitsorganisation geschaffen werden, die eine Umsetzung in der Praxis möglich machen. Den vorgestellten Methoden liegt ein Pflegeverständnis zugrunde, das eine bedürfnisorientierte, umfassende und individuelle Pflege ermöglicht. Unerlässlich sind eine differenzierte Biographiearbeit, prozessbegleitende Assessments, Evaluation und Dokumentation. Die Auswahl der Angebote muss sich an den Bedürfnissen der Menschen mit Demenz orientieren. Es muss kontinuierlich überprüft werden, ob die Demenzkranken wirklich davon profitieren. Wirkung und Nutzen aller Methoden sind noch nicht hinreichend belegt. Es besteht ein großer Forschungsbedarf, vor allem hinsichtlich des Einsatzes bei Menschen mit Demenz.

Quelle: Grundsatzstellungnahme – Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen Herausgeber: Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkasse November 2009 S. 108

Weitere Ausgangspunkte für eine konzeptionelle Positionierung von Pflegeeinrichtungen zum Umgang mit demenzkranken Menschen sind theoretische Modelle zur Versorgung und Betreuung.

Theoretische Modelle zur Versorgung und Betreuung

Medizinisches Modell

Beim medizinischen Modell konzentriert sich die Betrachtung der Krankheit auf medizinische Aspekte der Erkrankung. Primäres Ziel in diesem Modell ist die Heilung der Krankheit, die Hauptstrategien beziehen sich auf die körperliche Pflege und die medikamentöse Kontrolle der Demenzsymptome und Verhaltensauffälligkeiten. Da eine Heilung oder Vermeidung der primären Demenzformen bisher nicht möglich ist, hat sich der Schwerpunkt der Behandlung unter diesem Modell darauf verlagert, durch medikamentöse und nichtmedikamentöse Maßnahmen Symptome der Krankheit positiv zu beeinflussen (Radzey, B. et al. 2001).25

Rehabilitationsmodell

Auf der Grundlage des Rehabilitationsmodells wird versucht, durch Übung und gezielte Anregung der Sinneswahrnehmung eine Verbesserung der kognitiven und funktionalen Leistungen zu erzielen. Dieser Ansatz basiert auf der Annahme, dass durch Trainingsmaßnahmen der Abbauprozess bei der Demenz zumindest verlangsamt werden kann (Radzey, B. et al. 2001).26

Ökologische Modelle

Bei den ökologischen Modellen wird anders als beim medizinischen oder Rehabilitationsmodell das Erleben und Verhalten von Menschen mit Demenz im Kontext zu ihrer Umwelt in den Mittelpunkt gestellt. Umwelt umfasst dabei die physische, die sinnes- und die soziale Umwelt und sieht im Sinne systemtheoretischer Modelle eine permanente Wechselbeziehung zwischen der Person und ihrer Umwelt. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Einfluss der Umweltfaktoren mit der Abnahme der Kompetenzen eines Menschen steigt. Geschlussfolgert wird daraus, dass durch eine günstige Umweltgestaltung (Milieu) positive Effekte auf das Verhalten und Erleben erzielt werden können. Dabei werden auf der einen Seite Stressoren beseitigt und auf der anderen Seite gezielt Stimulationen angeboten (Radzey, B. et al. 2001).

Psychosoziales Modell

Schließlich ist das psychosoziale Modell zu erwähnen, das im angloamerikanischen Raum der dominierende Ansatz bei der Konzeption von speziellen Versorgungsformen für Menschen mit Demenz ist und zunehmend auch im deutschsprachigen Raum Beachtung findet. Hier werden die soziale Beziehung und der soziale Umgang der Personen in den Mittelpunkt gestellt. Prominenter Vertreter dieser Sichtweise war Tom Kitwood27