Kokainmeere - Ana Lilia Pérez - E-Book

Kokainmeere E-Book

Ana Lilia Pérez

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Beschreibung

Die Routen der Drogenkartelle: Von Mexiko in den
Hamburger Hafen


Hamburg ist Hauptumschlagplatz für die Verteilung von Kokain nach Nord- und Osteuropa, Deutschland zählt zu den Top-Konsumentenländern. Polizeiliche oder staatliche Kontrolle? Fehlanzeige – die Behörden sind machtlos gegen die mexikanischen Kartelle, deren Drogennetzwerk längst alle fünf Kontinente umspannt. Die Reporterin Ana Lilia Pérez zeichnet die Wege nach, auf denen das Kokain zu uns kommt, furchtlos schreibt sie gegen das verbrecherische System an, auch wenn sie dabei um das eigene Leben fürchten muss.

Die mexikanische Journalistin Ana Lilia Pérez wurde wegen ihrer Arbeit schon mehrfach mit dem Tod bedroht; Exil bekam sie unter anderem in Deutschland. In ihrem neuen Buch zeigt sie die mafi ösen Strukturen des globalen Kokainhandels, von den Produktionsstätten in Mittelamerika hin zu den Konsumentenländern in Europa. Akteure, Netzwerke, Handelsrouten, die Rolle der internationalen Behörden – Pérez hat detailliert und zumeist vor Ort recherchiert. In ihrer packenden Reportage schildert sie, auf welchen Wegen die Droge zu uns findet, ob über die Luxusyachten der Promis oder über Containerschiffe, unter der Flagge irgendeines Steuerparadieses, oder ob an Bord legal operierender Reedereien, die in Wirklichkeit den Kartellen gehören. Ein Geschäft, das keine Rezessionen und Börsenwerte kennt, seziert von einer couragierten Autorin im Kampf gegen die Mafia.

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Seitenzahl: 404

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ANA LILIA PÉREZ

KOKAINMEERE

Die Wege des weltweiten Drogenhandels

Aus dem mexikanischen Spanisch von Birgit Weilguny und Katrin Behringer

Pantheon

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Die Originalausgabe ist 2014 unter dem Titel Mares de cocaína. Las rutas náuticas del narcotráfico bei Grijalbo erschienen, einem mexikanischen Imprint der Penguin Random House Grupo Editorial, Barcelona. Der Text wurde für die deutsche Ausgabe gekürzt.

Der Pantheon Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH.Erste AuflageApril 2016Copyright © 2014 by Ana Lilia PérezCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016 Pantheon Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenUmschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München, unter Verwendung einer Abbildung von © Benoit Audureau/plainpictureRedaktion: Bettina Engels und Corinna Santa Cruz, FrankfurtSatz: Ditta Ahmadi, BerlinKarte: Peter Palm, BerlinISBN 978-3-641-18419-3V001www.pantheon-verlag.de

Inhalt

Die Seerouten des Drogenhandels

Vorwort

Einleitung

1 Die Schiffe der Drogendealer

2 Kolumbien – Die Herren des Pazifiks

3 Buenaventura – Die schwarze Perle des Ozeans

4 Die mexikanische Mafia erobert die Weltmeere

5 Die Mittelamerika-Routen

6 Brasilien – Das neue Paradies des Kokains

7 Die Anfänge des transatlantischen Drogenhandels

8 La Grande Nation

9 Deutschland – Umschlagplatz und Top-Konsumentenland

10 Das Teufelsmeer und die Kängururoute

11 Italien – Segelschiffe, Meeresbrisen und Kokainwellen

12 Portugal – Narcojäger auf hoher See

13 Großbritannien – Unter Feinden

14 Highway 10 – Die Autobahn der Drogenhändler

Register

Vorwort

Auf meiner Reise von Mexico City nach Berlin1 habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was Meinungsfreiheit ist und was sie gegenwärtig für die Menschen bedeutet. Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht; ein Recht, das der Entwicklung der Zivilisation innewohnt; und folglich sind Konzepte wie Demokratie ohne die Ausübung von Meinungsfreiheit nicht vorstellbar.

In Deutschland ist dieses Recht garantiert und wird frei und in hohem Maße ausgeübt, da die Verleger der Zeitschriften und Bücher Frauen und Männer sind, die sich ernsthaft für die Meinungsfreiheit und folglich auch für die Gesellschaft engagieren. Auf der anderen Seite gibt es Länder, in denen das Ausüben dieses Rechts das Risiko mit sich bringt, ermordet zu werden. Wir, die Journalisten, die die Meinungsfreiheit und das Recht der Bürger auf Information verteidigen, unterschreiben in diesen Ländern im Grunde unser Todesurteil.

In Mexiko, wo Demokratie nur auf dem Papier existiert, wurden im letzten Jahrzehnt mehr als achtzig Journalisten ermordet, ungefähr zwanzig sind spurlos verschwunden. Darüber hinaus gibt es weitere Gefahren für die Meinungsfreiheit wie die Zensur und die Selbstzensur. Den Beruf des Journalisten in einem Land wie Mexiko auszuüben ist eine mit großem Risiko behaftete Aufgabe. Obgleich es offiziell keinen Krieg gibt, ist mein Land eines der lebensgefährlichsten Länder auf der Welt; nicht nur für die Presse, sondern auch für die Bevölkerung im Allgemeinen. Jeden Tag werden Menschen auf so gewalttätige Art und Weise umgebracht, wie es in den vergangenen Jahrzehnten undenkbar schien. Dennoch bin ich mir sicher, dass es das Risiko wert ist: weil ich von der Bedeutung des Journalismus überzeugt bin; und weil die Meinungsfreiheit eine Lebensform und zugleich eine Pflicht gegenüber der Gesellschaft ist.

Ich habe über Jahre hinweg den Journalismus unter Wahrung zweier persönlicher Prinzipien ausgeübt: Ethik und Verteidigung der Meinungsfreiheit. Aus diesem Grund habe ich lange Zeit mit Bedrohungen und Gefahren gelebt und musste lernen, unter Angst zu arbeiten; aber ich mache weiter, weil ich glaube, dass der ehrliche Journalismus eine Säule für die Demokratie und für die Zukunft eines Landes ist.

2012 hat meine Reise nach Deutschland in einem zweijährigen Exil geendet, was mir das Leben gerettet hat. In diesem Land gaben mir Menschen wie Sie die Flügel, um meine Arbeit fortzusetzen und in mein Land zurückzukehren. Von neuem beginnend, war ich stark, firm und überzeugt, dass der Journalismus sich positiv auf die Bevölkerung auswirken kann, um eine kritische Gesellschaft zu festigen und unabhängiges und freies Denken zu fördern; so wie es in Deutschland bereits Realität ist.

Für mich ist der Journalismus der schönste Beruf der Welt. Aus diesem Grund fühle ich mich trotz der Ängste und Risiken, mit denen meine Arbeit verbunden ist, sehr privilegiert. Ich lebe immer noch, ich atme, und ich kann mich an Sie als die Leser meines Buches wenden.

Das Buch, das Sie in den Händen halten, gibt mir Stärke. Es gibt mir Anerkennung für die bitteren Zeiten, die ich erlebt habe, und es ist für mich ein Anreiz, weiterzumachen. Ich widme es der deutschen Gesellschaft, die mir die Chance auf ein neues Leben gegeben hat. Darüber hinaus widme ich es der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte und dem deutschen PEN-Zentrum, die mir Exil gewährt und mir dadurch das Leben gerettet haben.

Ich widme es auch Martina Bäurle, Johannes von Dohnanyi, Teresa Ávila, Harald und Penka Ihmig und allen anderen Kolleginnen und Kollegen, die mir hier in diesem Land ihre Unterstützung und ihre Freundschaft angeboten haben. Ich möchte es außerdem meiner Familie widmen, deren Haltung, Stärke und Geist mich bedingungslos begleiten. Ich widme es auch meinem Land, weil wir Mexikaner einen besseren Staat verdienen; einen Staat, der tatsächlich die Meinungsfreiheit garantiert. Dieses Buch bedeutet auch, dass wir Hoffnung haben. Es bedeutet, dass wir mexikanische Journalisten nicht allein sind. Danke, dass Sie uns nicht allein lassen.

Dieses Buch ist insbesondere eine Umarmung für all diejenigen Autoren, die bedroht, verfolgt und eingesperrt sind. Eine Umarmung für diejenigen, die zensiert worden sind, weil sie im Interesse der Bevölkerung Korruption in den Zentren der Macht aufgedeckt haben. Es ist auch eine Umarmung für unsere Verschwundenen und Erinnerung an unsere Toten.

Vielen Dank an Sie, dass Sie meine Stimme hören möchten. Eine Stimme, die Nein zur Zensur sagt, die Ja zur Meinungsfreiheit sagt und Ja zur wahren friedlichen Demokratie.

Berlin, im November 2015

1 Ana Lilia Pérez wurde im November 2015 mit der vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger verliehenen Goldenen Victoria für Pressefreiheit ausgezeichnet. Die Rede, die sie bei der Preisverleihung gehalten hat, wurde für dieses Vorwort leicht abgewandelt.

Einleitung

Meine Recherchen über die Kokainmeere begannen im Jahr 2004. Ich untersuchte damals für mein Buch Camisas azules, manos negras (»Blaue Hemden, schwarze Hände«) die im halbstaatlichen mexikanischen Ölkonzern Pemex grassierende Korruption, die bis in höchste Regierungskreise reicht. Hierfür fuhr ich mit dem Schiff in das Zentrum der mexikanischen Erdölindustrie, in die Bucht von Campeche im Golf von Mexiko. Auf dieser abenteuerlichen Reise in eines der am stärksten boomenden Erdölfördergebiete der Welt war ich nicht allzu überrascht, zu erfahren, dass auf den Bohrinseln – Plattformen aus Stahl und Glasfaser neunzig Kilometer vor der Küste – Kokain konsumiert wird. Die Tatsache, dass Männer, die über lange Zeit von der Außenwelt abgeschnitten auf einer Plattform arbeiteten und sich dabei einem hohen Risiko aussetzten, auch während der Arbeitszeit zu Stimulantien griffen, verblüffte mich weniger als die Art und Weise, wie das Rauschgift auf die Bohrinseln gelangte.

Die Ölplattformen sind staatliches Sperrgebiet. Um sie zu betreten, muss man strenge Sicherheitskontrollen passieren. So gut wie jeder Neuankömmling wird komplett durchleuchtet, ebenso die Gegenstände, die er mit sich führt. Es sind abgeschirmte, von Armee und Polizei mit moderner Hightech-Ausrüstung minutiös überwachte Einrichtungen. Trotzdem ist hier Rauschgift erhältlich, vor allem Kokain. Ich fragte mich damals, wie das funktionierte und wer dahintersteckte.

Wieder auf dem Festland angekommen, skizzierte mir ein Kapitän, der Einsätze gegen den Rauschgifthandel koordinierte, in groben Zügen, wie der Drogenschmuggel auf See funktioniert. Er war darauf spezialisiert, Kokainladungen aufzuspüren, die von einem südamerikanischen Mutterschiff angeliefert werden, bevor sie an bestimmten Koordinaten entweder »zurückgelassen« und von Rauschgifthändlern mit Schnellbooten aufgefischt oder auf kleinere Schiffe umgeladen und dann in den Hafen gebracht werden. »Das läuft perfekt koordiniert ab«, sagte er.

Später erfuhr ich, dass Rauschgift auf denselben Tankern in die Bucht von Campeche gelangt, die auch die Kabotage erledigen, oder aber auf Schiffen versteckt wird, die im Auftrag des Staates die Plattformen errichten und warten; manchmal sogar mit den Fährbooten, die Arbeiter zur Plattform bringen. Einzelne Arbeiter fungieren in diesem Fall als Mulis, das heißt, sie schmuggeln Kokainplomben an oder in ihrem Körper.

Mir war schnell klar, dass ich auf die logistischen Strukturen eines der einträglichsten und bestorganisierten Geschäfte krimineller Kartelle gestoßen war – des Kokainschmuggels im großen Stil –, auf eine Infrastruktur, die Süchtige diesseits und jenseits des Atlantiks, ja bis in den hintersten Winkel des Pazifiks mit dem begehrten Rauschmittel versorgt. Auch der Tauschhandel zwischen den Rauschgiftschmugglern in Mexiko und Südamerika und ihren Kollegen im Mittleren Osten und in Asien wird, wie ich bald herausfand, von hier aus organisiert: Drogenausgangsstoffe und Waffen gegen weiterverarbeitetes Kokain und Heroin, das die bitterarme Bevölkerung der afrikanischen Länder vom Golf von Guinea bis zum Maghreb ebenso süchtig macht wie die Konsumenten des entlegenen, weitläufigen und finanzstarken Kontinents Australien, wo ein Gramm Kokain bis zu 785 Dollar kosten kann – während in Produzentenländern wie Kolumbien oder Peru ein Kilogramm aus erster Hand oft für achthundert Dollar zu haben ist.

Ich ging davon aus, dass hier wie zu allen Zeiten diejenigen, die die Seewege kontrollierten, die über die Mittel verfügten, um die Meere zu befahren und die Häfen zu infiltrieren, auch den Handel dominierten, da in dieser Phase – verglichen mit Anbau und Herstellung – die höchsten Profite erzielt werden. Um dies zu belegen, wagte ich mich über das Meer zu den dunklen Abgründen und Mechanismen des weltweiten Rauschgifthandels vor, jenes Mafia-Apparats, der Partner unterschiedlichster Gesinnung, Herkunft, Nationalität, Muttersprache und sozialer Stellung in einem lukrativen Geschäft vereint, bei dem es weder Konjunkturflauten und Börsencrashs noch politisches Lagerdenken gibt und an dem sich Sozialisten und Kapitalisten gleichermaßen beteiligen.

Je länger ich mich mit der Schifffahrt als dem Rückgrat des Welthandels – und damit auch des Rauschgifthandels – beschäftigte, desto gründlicher konnte ich mich davon überzeugen, dass sie eine Welt für sich ist, die ihren eigenen, den meisten Menschen völlig unbekannten Gesetzen gehorcht. Es ist eine Welt am Rande der staatlichen Aufmerksamkeit und der behördlichen Kontrolle. Die Ozeane und ihre Häfen sind rechtsfreie Zonen, und das organisierte Verbrechen profitiert davon. Die zahllosen Häfen dieser Welt, in denen Kokainschmuggler ungehindert durch den Zoll kommen, sind die Drehscheiben, die den weltweiten Vertrieb und Konsum des Rauschgifts überhaupt erst möglich machen. Für diese Organisationen, die weder Sprachbarrieren noch gesetzliche Schranken kennen, ist die Welt klein und überschaubar: Sie besteht nur aus Routen für die Übergabe von Drogen, aus Häfen und Zollstellen mit Beamten, die auf ihren Gehaltslisten stehen, aus den halcones genannten Spähern, die ihre Ladungen überwachen, und sonstigen Informanten, die für sie arbeiten – weil die kriminellen Organisationen die finanziellen Möglichkeiten haben, Beamte zu schmieren, auch in Ländern, in denen man stolz auf niedrige Korruptionsraten ist.

Als ich meine Nachforschungen anstellte, erlebte Mexiko gerade eine der turbulentesten Phasen seiner Geschichte, den »Krieg gegen die Drogen«: ein brutales, törichtes und sinnloses Blutbad als Folge der Entscheidungen eines gescheiterten Präsidenten, in dessen Regierungszeit die mexikanischen Mafiakartelle zu den Herrschern des weltweiten Kokainhandels aufgestiegen sind. Die Mexikaner konnten die noch in den achtziger Jahren dominierenden Kolumbianer ablösen, indem sie die Seerouten für den Rauschgiftschmuggel organisierten, kontrollierten und ausbauten. Seither ist ihre Herrschaft ungebrochen, auch wenn einige bekannte Anführer verhaftet wurden.

Auf dem Seeweg haben die mexikanischen Kartelle – in Kooperation mit galicischen, kolumbianischen, venezolanischen, peruanischen, britischen, italienischen, chinesischen, türkischen und russischen Mafiosi – entlegene Weltgegenden wie den australischen Kontinent, die Marshallinseln und die Häfen Asiens erobert. Unter ihrem Einfluss sind Guinea-Bissau zum ersten Drogenstaat der Welt, Spanien zur Rauschgiftbörse Europas, Panama zum wichtigsten Drehkreuz für den interozeanischen Drogenschmuggel, der Amazonas zum Zubringerfluss und verschiedene mexikanische Häfen zu wahren Drogenparadiesen geworden.

Investigativer Journalismus ist nie ganz risikolos. Für das vorliegende Buch aber musste ich von Anfang an mit den Haien schwimmen – weil mich die Recherchen in ein Milieu führten, in dem es oberstes Gebot ist, zu schweigen, wenn man am Leben bleiben will. Der angesehene Reeder, dem man gegenübersitzt, gehört womöglich einer kriminellen Organisation an, ohne dass man etwas davon ahnt. In einem solchen Umfeld kann jeder falsche Schritt tödlich sein – doch ich lernte, nur den Leuten zu vertrauen, die von meinem Vorhaben wussten und es unterstützten.

Um die Seerouten des Rauschgifthandels zu skizzieren, besuchte ich sowohl die Länder, in denen das Rauschgift verarbeitet und verschifft wird, als auch die Länder, für die es bestimmt ist. Nach der Veröffentlichung meines Buchs El cártel negro (»Das schwarze Kartell«), in dem ich die Aktivitäten des organisierten Verbrechens innerhalb der mexikanischen Erdölindustrie und internationaler Konzerne aufgedeckt hatte, musste ich Mexiko 2012 zu meiner eigenen Sicherheit verlassen. Als Stipendiatin der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte und später des internationalen Autorenverbandes PEN ließ ich mich in Deutschland nieder. Es sah damals ganz nach einer langen Flaute für mein Rechercheprojekt aus, so als wäre der Plan aufgegangen, sich einer Journalistin zu entledigen, die gierige Geschäftsleute und eine korrupte Regierung für die Stärkung der mexikanischen Mafia verantwortlich gemacht hatte. Doch neuer Wind kam auf und brachte es wieder auf Kurs. Denn auf dem eurasisch-afrikanischen Festland schließt sich der Kreis des Kokainhandels. Seine Häfen und sein Markt für den Drogenkonsum – der zweitgrößte nach den USA – machen ihn für die Rauschgiftschmuggler zu einem wichtigen Bestimmungsort für ihre Lieferungen und zum Umschlagplatz für Waffen, Grundstoffe und Geld. Seine Banken, Konsortien und Konzerne sind nicht nur Teil einer sauber bilanzierten Wirtschaft, sondern auch Orte, wo Schwarzgeld gewaschen wird. Und nicht zuletzt befinden sich hier ebenso die Schifffahrts- und Ermittlungsbehörden, die am besten darüber Bescheid wissen, wie die Mafia ihre Geschäfte über das Meer abwickelt.

Dieses Buch enthüllt, wie der organisierte Rauschgifthandel und seine wirtschaftlichen Strukturen den internationalen Handel unterwandert haben. Ich konnte es nur schreiben, weil mir Seeleute und andere Kenner der Materie Zugang zu ihren Kreisen verschafften. Weil sie gegen die omertà, die Schweigepflicht, verstießen, um die Öffentlichkeit wissen zu lassen, wie lang der Arm der Mafia tatsächlich ist. Nur mit ihrer Hilfe konnte ich erfahren, in welchem Ausmaß die Seeverkehrs- und Hafenwirtschaft von kriminellen Vereinigungen durchsetzt ist, nur mit ihrer Hilfe konnte ich verstehen, wie das Rauschgift auf See transportiert wird, und auch den Modus Operandi der großen Schifffahrtsunternehmer kennenlernen, die wissentlich oder unwissentlich am Drogenschmuggel beteiligt sind. Diese Insider stellten mir die nötigen Informationen über den Seehandel zur Verfügung, der den Kartellen als Tarnung und gleichzeitig zur Geldwäsche dient.

Meine Recherchen konnte ich nur dank der Kapitäne durchführen, die so großzügig waren, mich – manchmal als »autorisierte blinde Passagierin« – auf ihren Schiffen mitzunehmen, und von denen viele besorgt sind, dass Berufseinsteiger heute eher davon träumen, eine Schmuggeltour durchzuführen, als Kapitän zu werden; dank der Seeleute, die freimütig erzählten, wie attraktiv es ist, für reiche Rauschgifthändler zu arbeiten; dank des Zolls, der Polizei und der Marine und jener Taskforces, die ich interviewen konnte, in deren Archiven ich stöbern und deren Anstrengungen, den Zustrom des Kokains zu unterbrechen, ich miterleben durfte.

Dieses Buch gäbe es nicht ohne die Menschen, die mir bei Interviews, Übersetzungen, Reisen und der Suche in Archiven geholfen haben, darunter Martina Bäurle, Johannes von Dohnanyi, Isaac Mosqueda, Laura Schneider, Antonia Mendoza, Araceli Pérez, Harald Ihmig, Penka Ihmig, Yoselin Konow, Teresa Ávila, Peter Axer und meine Herausgeber bei Penguin Random House.

Ich danke Carmen Aristegui, Edgardo Buscaglia, Blanca Pérez, Marta Durán, Wolfgang Grenz, dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte, dem PEN-Zentrum Deutschland, der Leipziger Medienstiftung, Article 19, CIMAC Mexiko, Reporter ohne Grenzen, Freedom House und dem Knight Center for Journalism in the Americas.

1 Die Schiffe der Drogendealer

Wenn man im Hafen von Santa Marta steht, sieht man zum einen die Kordilleren, deren Ausläufer bis ins Andenhochland am Fuß der Sierra Nevada de Santa Marta reichen, und zum anderen, nur wenige Meter entfernt, die kolumbianische Karibikküste mit ihren sandigen Buchten. Im Morgendunst des Juni 2008 kündigte an einem der sieben Hafenkais, auf die sich die anlegenden Boote je nach ihrer Fracht verteilen, die Río Manzanares tutend ihre Abfahrt an und durchpflügte mit stampfenden Motoren das Wasser. Das kleine Fischereischiff aus Venezuela war am Vorabend nach Kolumbien gekommen, um Fracht aufzunehmen. Zu dieser frühen Stunde, in der Himmel und Meer in der Dunkelheit miteinander verschmelzen, wirkte es wie ein Geisterschiff.

Im Morgengrauen nahm die Río Manzanares Kurs auf die Karibik, scheinbar um nach Hause zurückzukehren. Doch der Eindruck täuschte, denn auf der Höhe von Puerto Bolívar durchquerte sie den Golf von Venezuela, vorbei an Aruba, Curaçao und Bonaire, Tortuga und Margarita. Auch am helllichten Tag fiel die Río Manzanares zwischen den Hunderten von Fähr-, Fracht-, Fischerei- und Vergnügungsschiffen, die sich in der Karibik tummeln, nicht weiter auf. Zwar kreuzte sie nun bereits in internationalen Gewässern, die vor allem von Öltankern und Frachtschiffen auf Transatlantikfahrt frequentiert werden, doch auch dafür konnte es eine Erklärung geben: Sie besaß eine Lizenz für Hochseefischerei, und viele Schiffe stachen durchaus auch zur Schonzeit in See, denn ohne Fleiß kein Preis. Doch in diesem Sommer gab sich die Besatzung nicht damit zufrieden, in den fischreichen Gewässern zwischen den großen und kleinen Inseln auf den Wellen zu treiben und ihre Netze auszuwerfen. Die Río Manzanares war diesmal nicht zum Fischen hier, sondern als Mutterschiff 2 – sowohl von der Mafia als auch von der Polizei so genannt, weil es Drogen auf hohe See bringt, die von dort auf kleinere Schiffe und Schleppkähne verladen werden, um mit der Fracht einen Hafen oder eine bestimmte Küste anzulaufen. Von dort aus wird das Rauschgift ins Landesinnere gebracht, wo es gelagert, weiterverarbeitet, verteilt und schließlich verkauft wird. Aus diesem Grund hatte sich die Río Manzanares weit über die Karibik hinaus in Richtung Äquator begeben, von wo aus man alle möglichen Staaten ansteuern kann.

An jenem Tag beförderte die Río Manzanares entgegen ihrer eigentlichen Bestimmung 2258 Kilogramm reines Kokain bester Qualität aus kolumbianischer Produktion, sorgfältig in achtzig Ballen verpackt. Die Besatzung hatte vermutlich den Auftrag, es nach Cedeira, einer Hafenstadt in der Provinz A Coruña an der Nordküste Spaniens, zu bringen. Dafür sollte wohl die im Schmugglerjargon als »Highway 10« bezeichnete Route entlang des zehnten nördlichen Breitengrads gewählt werden. Wie ich noch erläutern werde, bevorzugt das organisierte Verbrechen seit 2004 diese Route, nachdem die Kontrollen des maritimen Verkehrs in anderen Breiten verschärft wurden. Das Schiff sollte also auf der Nordhalbkugel bis zum Nullmeridian nach Osten kreuzen und dann über Guinea in den Nordatlantik weiterfahren.

Vor der galicischen Küste sollte sich auf offener See ein anderes Schiff nähern, das Kokain übernehmen und in seinen Kühlkammern zwischen Eisblöcken mit gefrorenem Fisch lagern. Diese Methode ist bei Rauschgiftschmugglern äußerst beliebt, weil der Stoff so für die Zollbeamten selbst mit Einsatz von Röntgentechnologie kaum zu entdecken ist. An einem weiteren Treffpunkt auf See sollte dieses zweite Schiff die heiße Ware dann auf Schnellboote verteilen, um sie zur Küste zu bringen, von wo aus sie über Land in irgendein geheimes Labor in Galicien gelangen sollte, um für den Verkauf in ganz Spanien und anderen europäischen Ländern mit Füllstoffen gestreckt und verpackt zu werden.

Die Río Manzanares hatte ihre besten Jahre längst hinter sich, das war nicht zu übersehen: Zwar verfügte sie über eine stabile Konstruktion und den erforderlichen Tiefgang, um auf langen Fahrten in karibischen Gewässern, im Pazifik oder im Südatlantik rund um den amerikanischen Kontinent dem Seegang standzuhalten, doch ihre Reling und selbst der Maschinenraum waren rostzerfressen, die blaue Farbe am Rumpf war braun gesprenkelt und das völlig verdreckte Schiff von Ratten bevölkert. Aber die Río Manzanares war noch nicht bereit, für immer vor Anker zu gehen. Sie trug den stolzen Namen des Flusses, der von der Serranía de Turimique bis zu seiner Mündung in den Golf von Cariaco an der Karibikküste achtzig Kilometer durch die hügeligen Wälder Venezuelas fließt. Unter diesem Namen hatte das Schiff jahrzehntelang die Gewässer des Kontinents befahren. Der Fluss wiederum war im 16. Jahrhundert von den spanischen Eroberern nach dem gleichnamigen Río Manzanares in der spanischen Hauptstadt Madrid benannt worden. Davor hatte ihn die indigene Bevölkerung Cumaná genannt, und unter diesem Namen hatte auch Alexander von Humboldt seinen Verlauf kartografiert. Fünf Jahrhunderte später war der Fluss nun also Namensgeber für ein Fischereischiff.

Bei der Überfahrt in jenem Sommer befanden sich fünf Besatzungsmitglieder an Bord, alles Seeleute aus Venezuela, die dringend Geld brauchten: der Schiffsführer Kapitän Luis José, der Maschinist Carlos und die Matrosen Asdrúbal, Luis und Efrahim. Der Eigentümer des Schiffes befand sich nicht an Bord, er musste sich an Land um seine Firmen kümmern, aber er hatte alles für seine Besatzung organisiert: etwas zu essen und ein paar Gallonen Wasser für die lange Fahrt. Angesichts der dürftigen Verpflegung – und unter den ungläubigen Blicken der anderen – hatte einer der erfahrenen und in Überlebensstrategien auf hoher See bestens beschlagenen Seemänner sechs Hundewelpen mit an Bord gebracht, als sie in See stachen. Die Hitze war mörderisch, sodass selbst die Wasservorräte rationiert werden mussten. Schon nach 24 Stunden wurden die Lebensmittel knapp. Der vorausschauende Seemann hatte gleich bei der Abfahrt begonnen, die großen Ratten, die hier überall herumrannten, an die Welpen zu verfüttern, und als sich die Speisekammer leerte, dienten die Hunde den Seeleuten als Nahrung. So rettete ihnen die bellende Fracht das Leben. Obwohl es im Schiffsbauch entsetzlich stank, wagte die Mannschaft nicht, die Luken zu öffnen oder die Lüftung einzuschalten, weil auch der Treibstoff streng rationiert war. Die fünf Seeleute waren am Ersticken, halb verhungert und völlig erschöpft, und dazu jedes Mal starr vor Schreck, wenn eine der großen Wellen das Schiff traf. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als wachsam zu sein, die Ohren zu spitzen und zu hoffen, dass sie die Fracht sicher ans Ziel bringen würden – eine Fracht, die siebzig Millionen Euro wert war (oder weit über zweihunderttausend Millionen Bolívar, wie sie sich ausrechneten), also ein Vermögen, das sie sich nicht einmal vorstellen konnten.

In ihren schlimmsten Albträumen versenkte ein Sturm das Schiff und sie ertranken alle, oder eine Welle spülte ihre Fracht über Bord, oder sie wurden von modernen, auf die Plünderung von Rauschgifttransporten spezialisierten Piraten, den sogenannten tumbadores,überfallen. Oder noch schlimmer: Sie wurden von einem Marineschiff kontrolliert. Sie hörten schon das Abfeuern der Leuchtraketen, mit denen das Militär oder die Polizei sie zum Anhalten aufforderte. Dann würden die Drogen konfisziert, und sie müssten für den Verlust geradestehen.

Ihre Befürchtungen waren nicht ganz unbegründet: Die kolumbianischen Kokainlieferanten sind – wie die mexikanischen – in einem solchen Fall gnadenlos. Ein unglückseliger Kurier, dem, unter welchen Umständen auch immer, Drogen abhandenkommen, ist praktisch ein toter Mann. Die Fracht der Río Manzanares war Eigentum einer mächtigen Mafiaorganisation, die Kokain nach Europa schmuggelt. In ihren Reihen befinden sich Reeder, Schiffseigner, Fischerei- oder Import-Export-Unternehmer, Bankiers, Scheichs, Zollbeamte und die einflussreichen Besitzer großer Schifffahrtsunternehmen. Die Mafiaorganisation, die den europäischen Markt für Rauschmittel bedient, kooperiert mit anderen kriminellen Organisationen und hat auf den Meeren und in den Häfen der alten und neuen Welt überall ihre Leute. Für den Drogentransport setzt sie eigene Schiffe ein, aber auch für längere oder kürzere Zeit angemietete Frachter; sie kommuniziert, gewöhnlich verschlüsselt, über Internet, Mobil- und Satellitentelefone und hat in der Schifffahrt große Erfahrung. Die Fahrten der Río Manzanares sowie zahlloser anderer Schiffe, von denen ich hier noch berichten werde, ergeben ein aussagekräftiges Bild von den Aktivitäten der Drogenmafia auf See, ihren wichtigsten Routen und ihrer einflussreichen Stellung in der Handelsschifffahrt.

Drogenkuriere auf See

Da sie wie Maultiere kleinere Drogenmengen in ihrem Gepäck, am oder gar im Körper mit sich tragen, werden kleine Drogenkuriere Mulis genannt. Während sie auf Flughäfen, beim Zoll oder an Grenzübergängen kontrolliert werden, befinden sich die Drogen in ihrem Magen, ihrem Anus oder ihrer Vagina. Die Kokainkapseln werden dann am Bestimmungsort wieder ausgeschieden oder manuell entfernt. Für die Mafia ist es die billigste Art des Transports, für die Kuriere ist sie jedoch hochriskant, sie setzen dabei für eine Handvoll Dollar oder Euro ihr Leben aufs Spiel.

Nicht alle Mulis werden losgeschickt, damit die Drogen in den Verkauf gehen. Manchmal ist ihre Fracht für die Fahnder bestimmt, damit diese ihre Sicherstellungsquoten erfüllen können. Dann verrät die Mafia ihre eigenen Kuriere, um die wirklich großen und kostbaren Lieferungen an den Kontrollen vorbeischleusen zu können, während die Polizei mit den kleinen Fischen beschäftigt ist.

Solche Mulis anzuwerben stellt kein Problem dar. In unserer Konsumwelt gehen selbst Schwangere derartig hohe Risiken ein, so etwa zwei Frauen aus Norwegen und Bolivien, die Kokain von Bolivien nach Spanien schmuggeln sollten. Die Norwegerin hatte siebenhundert Gramm geschluckt, die Bolivianerin fast ein Kilo. Ein anderes Beispiel ist der 47-jährige Nigerianer, der am 29. Oktober 2012 auf dem Internationalen Flughafen Mohammed V in Casablanca bewusstlos zusammenbrach: Er hatte in Doha 76 Kapseln mit Kokain geschluckt, um sie von Katar nach Benin zu bringen. Bei der Zwischenlandung in Casablanca aber platzten einige der Kapseln und vergifteten den Kurier. Sich vor Schmerzen den Bauch haltend, starb er noch vor Ort.

Dieses Schicksal ereilte im September 2011 in Bolivien auch die dreißigjährige Spanierin Esther Rodríguez Rey bei dem Versuch, Kokain nach Madrid zu schmuggeln. In Lima erwischte es im Mai desselben Jahres einen 21-jährigen Litauer, der ebenfalls auf dem Weg nach Madrid war; im Dezember 2004 war der Kanadier Sylvain Riel, der Kokain nach Kanada schmuggeln sollte, in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá gestorben; und im Juni 2013 starb in Barcelona die Rumänin Adina Vasile, in deren Magen mehrere mit Kokain gefüllte Kapseln geplatzt waren, die sie aus Venezuela eingeschmuggelt hatte.

Vom Ausmaß dieser Art des Drogenschmuggels kann man sich am ehesten eine Vorstellung machen, wenn man bedenkt, dass auf argentinischen Flughäfen, die sicher nicht die beliebtesten Umschlagplätze sind, pro Woche mindestens eine Person wegen eines entsprechenden Notfalls versorgt werden muss.

Aber der Stoff kann auch anders befördert werden. Die männlichen und weiblichen Drogenkuriere führen ihn in Prothesen, Brust- und Po-Implantaten oder in falschen Schwangerschaftsbäuchen aus Silikon mit sich. Dem Einfallsreichtum sind hier keine Grenzen gesetzt. In Großbritannien kam einmal ein Passagier an, der ein Porträt des ehemaligen Arsenal-Spielers Emmanuel Adebayor im Gepäck hatte. Der Rahmen war prall mit Drogen gefüllt. Der Reisende war aus Togo, dem Geburtsland des Spielers, gekommen und wollte nach Tottenham, nördlich von London, wo Adebayor bei den Hotspurs als Stürmer unter Vertrag stand. Noch eine Fußballvariante: Eine Woche vor dem Finale der Fußball-WM in Südafrika begaben sich im Juli 2010 drei Männer auf die lange Reise von Kolumbien nach Madrid. In ihrem Gepäck befand sich eine mit den T-Shirts der Nationalmannschaften Uruguays, Portugals und Großbritanniens umwickelte Nachbildung des WM-Pokals, die bis zum Rand mit elf Kilogramm Kokain gefüllt war. In Chile begleitete ein Händler persönlich die zehntausend Flaschen Rotwein, die er exportierte und in denen je dreihundert Gramm Kokain steckten. Im September 2012 hatte sich ein Besatzungsmitglied auf eine Mittelmeer-Kreuzfahrt ein gebratenes Hähnchen als Proviant mitgenommen, das mit Kokain »gewürzt« war. Ein Reisender auf dem Londoner Flughafen Gatwick führte den Stoff in Esskastanien- und Erdnusstüten mit.

In mexikanischen Städten an der Grenze zu den USA werden Kokain und Marihuana durch Pipelines oder unterirdische Tunnel, deren Ausgänge sich oft unter Parkuhren verstecken, auf die andere Seite verschoben. Ein ehemaliger Schmuggler berichtete von einem nach allen Regeln der Kunst inszenierten Begräbnis in der kalifornischen Grenzstadt Calexico, bei dem der Leichenwagen nichts als Marihuana geladen hatte: »Wir taten so, als müssten wir einen Verstorbenen aus dem Leichenschauhaus holen. Wir hatten sogar einen falschen Bescheid dabei und eine schwarz gekleidete Frau, die vorn saß und Mitleid erregen sollte. Alle glaubten uns und sahen sich lediglich die Papiere an, nicht aber den Wagen.«

Eine andere Bande im mexikanischen Bundesstaat Sonora benutzte Katapulte, um Marihuana-Päckchen über den Grenzzaun in die USA zu schleudern. Im Lauf des Jahres 2011 beschlagnahmten die mexikanischen Streitkräfte in dem an der Grenze zur Stadt Douglas in Arizona gelegenen Ort Agua Prieta vier dieser Katapulte: Sie waren aus drei Meter langen Vierkantrohren konstruiert und mit sechzehn breiten Gummibändern und einem Stück robustem Stoff versehen und erinnerten an die Katapulte, mit denen Alexander der Große die Schutzwälle des Persischen Reichs überwunden hatte.

Jede Art von Transportmittel wird genutzt, auch Schiffe, angefangen von kleinen Schnellbooten über moderne Schiffe bis hin zu U-Booten für lange Strecken. Und auf jedem Schiff lassen sich, vom Kiel bis unters Deck, zahllose Verstecke finden – nicht anders als bei fast allen Landfahrzeugen. Doch natürlich sind hier die geschmuggelten Mengen wesentlich größer – der Welthandel mit Drogen wird vorwiegend auf dem Seeweg abgewickelt. Die Kokain-Tanker kreuzen auf allen Weltmeeren, von den ruhigen Inselparadiesen bis hin zu den hektischen Großhäfen erreichen sie jeden Ort der Welt.

Meere, weiß wie Schnee

Das Gesicht des internationalen Drogenhandels hat sich in den letzten Jahren gewandelt. In den neunziger Jahren waren die Kartelle aus Medellín und Cali noch die wichtigsten Drogenlieferanten, und das Kokain wurde auf dem Luftweg, dem Landweg oder dem Seeweg transportiert. In letzterem Fall schickten die Dealer ihre eigenen Schiffe los, um in den internationalen Gewässern des Pazifiks die Ladung von den Kolumbianern zu übernehmen. Beide Seiten nutzten dafür oft Fischereischiffe mit etwa fünf bis zehn Tonnen Ladekapazität. Heute hingegen bestimmen Kapitäne, Reeder, Werften, Zollbeamte und Import-Export-Unternehmer das Geschäft. Sie verschiffen die illegale Fracht von allen Häfen der Welt aus.

Das Meer ist heute der wichtigste Transportweg für den Welthandel, und so werden auch die meisten Drogen per Schiff befördert – versteckt zwischen der Ladung, in doppelten Böden, Lüftungsanlagen oder zwischen den großen Maschinen im Maschinenraum. In jeder Nische, jedem Abstellraum, jedem Detail der Ausstattung, jedem noch so kleinen Winkel kann man Kokain verstecken, zum Beispiel an Deck, in Laderäumen, Schlafkojen, Kajüten, in der Kombüse, ja sogar in Lampenfüßen, im Grunde an jedem Ort an, auf, über oder unter dem Schiff. Im Grunde sind die Schiffe Mulis im großen Stil: Sie schlucken die Drogen tonnenweise und schmuggeln sie in ihren Körpern aus Stahl, Holz oder Fiberglas, ohne sich dabei ihre Mägen zu verätzen oder ihre Eingeweide zu verbrennen. Bei ihnen liegt das Risiko woanders.

Drogenkuriere reisen nicht nur im Flugzeug um die Welt, sondern auch auf Touristenbooten, Kreuzfahrtschiffen oder Fähren. Wenn diese »Mulis auf hoher See« gut vorbereitet sind, mischen sie sich unter die Reisenden, genießen abends an Deck die mediterrane Brise, plaudern mit den Senioren, die ihre Ersparnisse und ihre ganze Pension in luxuriöse Kreuzfahrten stecken, oder frönen auf den Casinoschiffen vor der amerikanischen Küste und der französischen Côte d’Azur an der Seite von Geschäftsleuten dem Glücksspiel.

Auf Frachtschiffen wird das Kokain ebenfalls geschickt getarnt. So treffen im Hafen von Miami regelmäßig Schiffe mit südamerikanischen Bananen und Hunderten Kilogramm Kokain ein, versteckt in Päckchen unter den Bananen oder in kunstvoll handbemalten Bananenattrappen aus Glasfaser, die sich auf den ersten Blick nicht von echten Bananen unterscheiden lassen.

Geschmuggeltes Kokain findet sich immer häufiger in Containern mit Lebensmitteln aller Art, besonders wenn deren Konsistenz oder Geruch zur Tarnung geeignet sind, wie bei Zitronen, Oliven und eben Bananen. Von den argentinischen Häfen aus werden enorme Mengen der angeblich besten Äpfel ganz Argentiniens nach Spanien verschifft. Darunter finden sich auch »weiße Äpfel« aus reinem Kokain. Auf die gleiche Weise gelangen »weiße Ananas« aus Costa Rica nach Großbritannien. Und in der Dominikanischen Republik wird die Droge als Recyclingpapier oder -plastik getarnt. Man muss sich schließlich für den Umweltschutz engagieren.

Man findet das Kokain ebenso in Fässern mit fossilen Brennstoffen oder Chemikalien für die verschiedensten Zwecke, im Innern von Maschinen, sogar zwischen losem Reis, Mais, Saatgut oder Düngemitteln. Dem Einfallsreichtum der Rauschgiftschmuggler sind abermals keine Grenzen gesetzt. So stachen beispielsweise von Guayaquil aus, dem größten Hafen Ecuadors, Frachtschiffe in Richtung Casablanca oder Tanger in Marokko in See, die mit Kokain versetztes Chilipulver transportierten (die beiden Komponenten werden später durch ein chemisches Verfahren wieder getrennt). Die Idee mag verrückt erscheinen, macht aber durchaus Sinn: Hafenbehörden sind mit Kontrollen von Massengutfrachten oft zurückhaltend, weil sie dafür die gesamte Ladung vom Schiff löschen, das heißt abladen müssten, was ein spezielles Equipment und viel Zeit und Personal erfordert. Diese organisatorische Schwierigkeit spielt natürlich den Rauschgiftschmugglern in die Hände. Werden auf einem Öltanker oder Massengutfrachter Drogen vermutet und entschließen sich die Behörden zu einer Überprüfung, dann brauchen sie zu diesem Zweck einen zweiten Tanker oder ein zweites Frachtschiff von ausreichender Größe. Verläuft die Kontrolle ergebnislos, muss der Zoll dem Frachtunternehmen hohe Entschädigungssummen zahlen und läuft sogar Gefahr, von der Reederei oder dem Eigentümer der Fracht verklagt zu werden.

Eine Fracht, deren Überprüfung besonders schwierig beziehungsweise gefährlich ist, eignet sich bestens für Drogentransporte. Das ist vor allem bei Gefahrengütern wie Atommüll, Sondermüll und verseuchtem Schrott der Fall. Um diese zu kontrollieren, braucht man eine Spezialausrüstung und genügend Raum für Manöver. Das Schiff könnte aufgrund des hohen Gewichts seiner Fracht außerdem Schlagseite bekommen und im Hafen ein Chaos anrichten. In einigen Häfen ist die Polizei trotzdem das Risiko eingegangen und konnte den einen oder anderen kleinen Sieg für sich verbuchen. So wurden 2007 in Havanna zwanzig Kilogramm Kokain auf zwanzig Päckchen verteilt in einer Schrottladung gefunden.

Manche Mafiabanden kennzeichnen die verschiffte Ware mit Codes, Symbolen oder Namen. So verließ ein Spezialbagger für Ölförderung den Hafen von Buenos Aires in Richtung Lagos. Das ist an sich nicht ungewöhnlich, denn das schwarze Gold ist der wichtigste Wirtschaftsmotor Nigerias. Die Firma, an die der Bagger angeblich geliefert werden sollte, existierte allerdings nicht. Das Wertvollste an dieser Fracht war das hochreine Kokain aus Kolumbien, das – bleiverkleidet, um bei einer möglichen Durchleuchtung nicht gesehen zu werden – sowohl in der Walze als auch in der Basis der schweren Maschine steckte: 536 Kilogramm, verteilt auf 348 bunte und mit dekorativem Paketband verschnürte Päckchen, auf denen allesamt in Blockschrift handgeschrieben »Caballo« zu lesen war.

Die Ladung war von einem überaus einflussreichen kolumbianischen Rauschgiftboss ebenjenes Beinamens verschifft worden. Caballo verfügte sowohl in den Häfen Mittel- und Südamerikas als auch in den Häfen Europas über exzellente Verbindungen und kennzeichnete seine Ware, die er in die USA, nach Mexiko und Europa verkaufte, immer auf diese Weise. Seine Organisation nutzt aber auch andere Verstecke: Aus Rosario in Argentinien schickte sie beispielsweise 67 Kilogramm Kokain in einer Erntemaschine nach Bulgarien. Die Maschine reiste auf dem Seeweg bis Varna an der Schwarzmeerküste, wo sie mitsamt den Drogen auf ein anderes Schiff verladen und weiter die Donau aufwärts verschifft wurde.

Andere kriminelle Organisationen wenden ähnliche Methoden an. So brachte etwa der argentinische Transportunternehmer Óscar Allende in Buenos Aires Windturbinen voller Kokain nach Spanien auf den Weg, als deren Empfänger laut spanischem Zoll ein gewisser Zoran Matijevic angegeben war. Es lohnt sich, diesen Fall genauer zu betrachten: Der gebürtige Serbe Zoran Matijevic ist französischer Staatsbürger und lebt in Paris. Er war zunächst als Manager des Fußballclubs Nizza und später als Spielervermittler für die FIFA tätig. 2009 beschlagnahmte die spanische Polizei nach einer geheimen Operation unter dem Decknamen »Ciclón« (»Zyklon«) sechshundert Kilogramm Kokain. Das Kokain war in besagten Windturbinen verschickt worden, und zwar in einem Container, der aus Argentinien über Tanger weiter nach Algeciras reiste. Dort hatte man die Ladung am 21. Februar 2009 gelöscht und auf dem Landweg weiter nach Madrid verbracht, wo die Drogen in den Verkauf gehen sollten. Offiziell war Matijevic nach Argentinien gereist, um an Verhandlungen über Transfers von Spielern wie Éver Banega oder Ángel di María zu europäischen Klubs teilzunehmen. Außerdem wollte er helfen, Radamel Falcao vom argentinischen Verein River Plate an Werder Bremen zu verkaufen, und den Transfer von Leonel Núñez von den Argentinos Juniors zu Olympiakos Piräus unter Dach und Fach bringen. Doch die spanischen Behörden entdeckten sein doppeltes Spiel. Matijevic wurde nach der Sicherstellung des Kokains verhaftet und wegen seiner herausragenden Rolle innerhalb eines gewaltigen Netzwerks, das unter Ausnutzung seiner FIFA-Lizenz Betäubungsmittel von Südamerika nach Spanien geschmuggelt hatte, vor Gericht gestellt. Mit ihm wurden auch der Spieleragent Pablo Acosta Rivera und die ehemaligen Fußballspieler Jesús Emilio Díez de Mier und der aus Serbien stammende Predrag Stanković angeklagt.

Dies sind nur einige Beispiele für den Einfallsreichtum, mit dem die am häufigsten konsumierte Droge der Welt auf dem Seeweg transportiert wird. Und die Entfernungen? Sie verteuern die Ware: Wenn das Gramm, das ein Kokainsüchtiger zum Frühstück schnupft, auf abenteuerliche Weise Tausende von Seemeilen unterwegs war, wird er die Kosten dafür tragen müssen – über den Preis, den sein Dealer von ihm verlangt. Je länger die Reise, umso teurer das Rauschgift.

Infiltrierte Häfen

Die großen Mafiaorganisationen nutzen den legalen Seehandel, über den neunzig Prozent des Welthandels mit Waren abgewickelt werden, für ihre Geschäfte; außerdem besitzen sie eigene Fracht- und Fischereischiffe, Schnellboote, Jachten, Segelboote oder sogar Mini-U-Boote und haben unter den Reedern, Schiffseignern, -agenten und -betreibern, den Spediteuren, Zollbeamten, etc. in jedem Hafen ihre Leute.

Innerhalb der legalen Schifffahrt gedeihen kriminelle Verbindungen, die man nicht für möglich halten würde. Es gibt keinen Hafen, keine Insel, keine Inselgruppe und keine Küste, die der Mafia unzugänglich wären. An Land herrscht erbitterte Konkurrenz um die Kontrolle von Schmuggelrouten, was in Mexiko und Mittelamerika regelmäßig zu Blutvergießen führt. Aber »das Meer ist groß und bietet Platz für alle«. So hat es José Ferreira Leite, Leiter des Operationszentrums für den Kampf gegen den Drogenhandel im Atlantik (Maritime Analysis and Operations Centre – Narcotics, MAOC-N) und einer der renommiertesten europäischen Experten in diesem Bereich, einmal ausgedrückt. Trotzdem gibt es auch hier Versuche der Mafia, bestimmte Routen zu kontrollieren. So beanspruchen Mitglieder eines mexikanischen Kartells ein Gebiet im Pazifik für sich und erheben neuerdings eine Art Wegzoll für die Passage von Drogenlieferungen.

Den wahren Einfluss der Mafia kann man ermessen, wenn man sich vor Augen führt, dass Hafengelände – ob staatlich oder privat betrieben – überall auf der Welt staatliche Sicherheitszonen sind. Außerdem ist jeder Hafen verpflichtet, internationale Sicherheitsvorschriften zu beachten. Seit den Attentaten vom 11. September 2001 haben die USA mithilfe der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) die weltweite Systematisierung und Verstärkung der Sicherheitsvorkehrungen sowie die Verbesserung der Infrastruktur und die Bereitstellung von mehr Sicherheitspersonal durch die Regierungen durchgesetzt. Das führte dazu, dass sich heute praktisch jeder, der ein Hafengelände betritt, einer Sicherheitskontrolle unterziehen muss (nachzulesen im internationalen ISPS-Code für die Gefahrenabwehr auf Schiffen und in Hafenanlagen).

ENDE DER LESEPROBE