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12 Krimis von Alfred Bekker & Jo Zybell.
Umfang: ca. 190 Taschenbuchseiten.
Zwölf Super Krimis zu Weihnachten: Eiskalt serviert von zwei Top-Autoren. Skrupellos, cool, grausam, raffiniert, mit hammerharter Pointe und immer kurzweilig. Lesestoff für lange Winterabende und besinnliche Feiertage.
Inhalt :
Alfred Bekker: Kommissar Weihnachtsmann
Jo Zybell: Der Weihnachtsmann schlägt zurück
Jo Zybell: Der neue Boss
Jo Zybell: „Seniorenkiller“
Jo Zybell: Der Jäger
Jo Zybell: Der Witz
Jo Zybell: Abrechnung
Jo Zybell: Noch einmal ganz neu anfangen
Alfred Bekker: Bluternte 1929
Alfred Bekker: Eis in den Bergen von Alfred Bekker
Alfred Bekker: Hinter Schloss und Riegel von Alfred Bekker
Alfred Bekker: Mord an Bord von Alfred Bekker
Mit einem Titelbild von Firuz Askin.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
von Alfred Bekker & Jo Zybell
Zwölf Super Krimis zu Weihnachten: Eiskalt serviert von zwei Top-Autoren. Skrupellos, cool, grausam, raffiniert und mit Pointe und immer kurzweilig.
Inhalt :
Alfred Bekker: Kommissar Weihnachtsmann
Jo Zybell: Der Weihnachtsmann schlägt zurück
Jo Zybell: Der neue Boss
Jo Zybell: „Seniorenkiller“
Jo Zybell: Der Jäger
Jo Zybell: Der Witz
Jo Zybell: Abrechnung
Jo Zybell: Noch einmal ganz neu anfangen
Alfred Bekker: Bluternte 1929
Alfred Bekker: Eis in den Bergen von Alfred Bekker
Alfred Bekker: Hinter Schloss und Riegel von Alfred Bekker
Alfred Bekker: Mord an Bord von Alfred Bekker
Cassiopeiapress, Uksak E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author, Titelbild Firuz Askin
© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress/Lengerich/Westf.
www.AlfredBekker.de
„Ich bin gegen einen Verkauf der Firma“, sagte Hans-Joachim Brendel. „Wir sind der europaweit führende Hersteller von Schokoladenweihnachtsmännern und ich bin fest davon überzeugt, dass uns die neuen Produktreihen wieder aus der Krise führen werden.“
Wie Zinnsoldaten stand eine Reihe von kleinen Schokoladenweihnachtsmännern vor ihm auf dem Tisch. „Hier liegt unsere Zukunft, Thomas!“
„Wir kriegen so ein Angebot nicht ein zweites Mal“, widersprach Thomas Menzel, Miteigentümer der Super-Schoko Werke.
„So ein Unsinn! Das Weihnachtsgeschäft liegt vor der Tür, und das werden wir nicht jemand anderem überlassen. Tut mir Leid, Thomas, gegen mein Votum kannst du den Verkauf nicht durchsetzen.“
„Es sei denn, dir passiert etwas!“
Thomas Menzel zog eine Pistole mit Schalldämpfer aus dem Jackett.
„Hey, was soll das?“, rief Brendel.
Aber es war zu spät.
Ein Geräusch ertönte, das wie ein kräftiges Niesen klang. Zweimal kurz hintereinander feuerte Menzel. Brendel sackte in sich zusammen.
Menzel erhob sich aus dem tiefen Ledersessel. Er lächelte kalt und nahm sich den äußersten Schokoladenweihnachtsmann. Er biss hinein und verzog gleich darauf das Gesicht. Weihnachtsmänner in Zartbitter! Wer kaufte denn so etwas?
Menzel fuhr an eine Flussbrücke und warf die Pistole in die Tiefe. Man würde Brendel erst am nächsten Morgen finden.
Alles perfekt, dachte Menzel.
Wenn er nach Hause kam würde er noch etwas mit seiner Jagdflinte auf Tontauben schießen und dafür sorgen, dass es jemand mitbekam.
Kommissar Vanderkamp traf als Letzter am Tatort ein. Zwei Beamten der Spurensicherung waren bereits dort. Außerdem der Gerichtsmediziner, der angab, dass Hans-Joachim Brendel irgendwann im Verlauf des vorigen Abends erschossen worden war. Seine Sekretärin hatte ihn am Morgen gefunden.
„Die Firma wird seit einiger Zeit von einem Giftattentäter erpresst“, sagte Brahm von der Spurensicherung. „Das hat mir zumindest einer der Miteigentümer erzählt. Der Täter drohte, Super-Schoko-Produkte in verschiedenen Geschäften zu vergiften, wenn man ihm nicht eine Million Euro zahlen würde.“
„Und Sie denken, das hat etwas mit dem Mord zu tun?“, fragte Vanderkamp.
„Angeblich wurde der Betrag gestern von einem Firmenkonto abgehoben und per Geldboten hier ins Büro gebracht.“
„Dann könnte das Ganze eine gescheiterte Geldübergabe sein“, sagte Vanderkamp. „Nur seltsam, dass Brendel den Erpresser hier her bestellte…“
„Allerdings!“
„Am besten lasse ich Sie mal ihre Arbeit machen und befrage erst einmal die Miteigentümer und die wichtigsten Mitarbeiter.“
Vanderkamp befragte die Miteigentümer der Firma. Neben Thomas Menzel war dies ich der Lebensmittelchemiker Dr. Heiner Bertram sowie die Juristin Dr. Martina Fahrner.
„Die Firma steckt in der Krise“, erklärte Martina Fahrner unumwunden. „Ich sage es Ihnen, weil Sie früher oder später doch darauf kämen. Die Meldungen beherrschen ja bereits den Wirtschaftsteil der Zeitungen. Kein Wunder, es geht ja auch um einige tausend Jobs.“ Die attraktive Blondine trug das Haar hochgesteckt und wirkte sehr elegant. „Ich hatte einen hervorragenden Vertrag mit einem Kaufinteressenten vorbereitet. Wir hätten alle ohne finanziellen Schaden aus der Sache herauskommen können. Aber Hans-Joachim – Herr Brendel – wollte die schlechte Lage nicht wahrhaben und redete die Situation immer wieder schön. Leider konnten wir gegen seinen Willen den Verkauf nicht realisieren.“
„Und jetzt?“, fragte Vanderkamp.
Martina Fahrner zuckte mit den Schultern. „Auf der persönlichen Ebene bedauern wir natürlich alle Hans-Joachims Tod. Aber auch wenn es jetzt hart klingt, aber wahrscheinlich werden dadurch einige tausend Arbeitsplätze gerettet.“
„Nicht nur Arbeitsplätze. Auch Ihre Einlagen in die Firma“, stellte Vanderkamp klar.
„Unsere Firma hatte noch ein anderes Problem, das nicht in den Zeitungen stand“, eröffnete Thomas Menzel. „Wir wurden seit Wochen von einem Irren erpresst, der damit drohte, unsere Osterhasen in den Filialen verschiedener Supermarktketten zu vergiften. Das wäre der Todesstoß für die Firma gewesen.“
„Hans-Joachim hat – mit unser aller Zustimmung – eine Million Euro abgehoben und hier in die Firma bringen lassen“, berichtete Dr. Bertram. „Das Geld ist nicht mehr im Safe.“
„Wer kannte die Kombination?“, fragte Vanderkamp.
„Jeder der Eigentümer“, erklärte Bertram.
Eine junge Frau betrat den Raum und sprach Menzel an. „Ich soll Sie fragen, was mit der neuen Zartbitter-Linie bei den Weihnachtsmännern ist.“
„Die hat noch keiner probiert“, mischte sich Martina Fahrner ein. Sie wandte sich an Vanderkamp. „Das war Hans-Joachims Privileg. Die neuen Produkte kamen immer erst zu ihm und wenn er sie für gut befand, verteilte er sie an die anderen.“
„Ich habe die Dinger schon probiert“, sagte Menzel an die junge Frau gerichtet. „Sagen Sie denen in der Produktion, dass die so nicht in den Handel können und stören Sie uns für die nächste Stunde nicht mehr.“
„Verdächtige?“, fragte Brahm, als Vanderkamp zu ihm zurückkehrte.
„Sämtliche Miteigentümer hätten ein Motiv“, sagte der Kommissar.
„Eins steht fest: Der Mörder hat sich an den Weihnachtsmännern vergriffen.“
„Wieso?“
„Sehen Sie hier! Wir haben die Schmauchspuren gesichert. Es ist natürlich überall Schmauch auf dem Schreibtisch, nur nicht unmittelbar hinter den aufgereihten Weihnachtsmännern. Aber am Ende der Reihe ist eine völlig schmachfreie Stelle, so als hätte der Täter sich einen der Weihnachtsmänner genommen, nachdem er geschossen hatte.“
„Ich denke, dann weiß ich, wen ich zu verhaften habe“, sagte Vanderkamp. „Thomas Menzel hatte nämlich als einziger bereits die neuen Zartbitter-Weihnachtsmänner probiert.“
Blass vor Zorn schlug Max die Tür des Chefbüros hinter sich zu. Einen der Stühle in der Warteecke beförderte er mit einem Tritt gegen die Glastür, die ins Treppenhaus führte. Er verschwand in der Personaltoilette.
In Gedanken hatte er Leo Kalevski, seinen Abteilungsleiter, schon gut und gern ein halbes Dutzend Mal erwürgt, erschossen oder erschlagen. Heute hätte er sich am liebsten den Brieföffner vom Schreibtisch des Chefs gegriffen, um ihm das gute Stück in den Bauch zu rammen.
Gekündigt! Fristlos! Und das vier Wochen vor Weihnachten!
Mit zitternden Fingern zündete Max sich eine Zigarette an. "Dieses Schwein", murmelte er. Nur weil er mit einem Kunden Streit angefangen hatte!
Okay - es war bereits das dritte Mal innerhalb von zwei Wochen. Aber der Kalevski hatte ja keine Ahnung – saß fett und breit in seinem Chefsessel, während Max und die Kollegen sich mit den nörgelnden Kunden auseinandersetzen mussten, die sich Tag für Tag durch die Regalreihen schoben, und immer mehr Leute versuchten in diesen schlechten Zeiten Preisnachlässe herauszuschinden. Man kam sich vor, wie auf einem orientalischen Basar! Aber davon hatte dieser Saftarsch ja keine Ahnung! Als der noch ein kleiner Verkäufer war, hatten die Leute noch Geld.
Max zog einen Flachmann aus der Innentasche seines Jacketts und goss sich einen kräftigen Schluck in den Hals. Er verfluchte den Tag, an dem er vor zwei Jahren als Verkäufer in der Spielwarenabteilung dieses gottverdammten Kaufhauses angefangen hatte.
Ab nächste Woche sollte er seinen Resturlaub nehmen. Und zum ersten Januar eine neue Stelle suchen. Illusorisch! Und wie sollte er das Janine und den Kindern beibringen?
Max warf die Zigarette in die Kloschüssel und verließ die Toilette. Kurz darauf, im Personalraum, durchsuchte er seinen Spind nach den Pfefferminzbonbons, die er gestern gekauft hatte. Der Hass hatte sich in seiner Brust zu einem kalten Klumpen zusammengeballt. Eine tickende Zeitbombe.
*
Vielleicht hätte Max an diesem und den nächsten Tagen weiter nicht getan, als ein paar Kunden zu vergraulen und vor den Kollegen Gift und Galle über den Chef auszuspucken. Im schlimmsten Fall hätte er sich volllaufen und sich für den Rest der Woche krankschreiben lassen. Alles schon da gewesen.
Aber der Teufel wollte es, dass ein Anruf sich von der Zentrale in den Personalraum verirrte, ausgerechnet als Max nach einem Kaugummi suchte, mit dem er seine Fahne vertuschen konnte.
Er ging zum Telefon und nahm ab. Eine männliche Stimme wollte den Abteilungsleiter sprechen. "Am Apparat", knurrte Max und fragte sich zugleich, was in ihn gefahren war.
"Ich soll doch am vierzehnten und fünfzehnten den Weihnachtmann in der Spielwarenabteilung mimen." Der Mann druckste ein wenig herum.
"Ja, und?"
"Es geht um das Honorar, Herr Kalevski." Die Stimme des Mannes wurde unsicherer. "Sie sagten, ich soll deswegen noch einmal anrufen, und ..."
"Ach ja - genau!" Max versuchte den jovialen Tonfall des Chefs zu imitieren. "Hören Sie zu, Herr ..."
"... Kaulig", sagte die Stimme erwartungsvoll.
"... Herr Kaulig – wir regeln das in diesem Jahr betriebsintern. Das Budget ist elend schmal, Sie verstehen ..." Der Mann jammerte noch ein bisschen, aber Max ließ ihn abblitzen und vertröstete ihn auf Ostern.
Grimmige Zufriedenheit erfüllte ihn, als er auflegte. Dem Laden schaden, wo es nur ging. Mehr wollte er nicht. Zunächst jedenfalls.
*
"Wie war es, Schatz?" Janine begrüßte ihn mit einem Kuss auf die Wange.
"Wie immer", sagte Max und schaltete den Fernseher ein. Die Familienserie flimmerte über den Bildschirm, ohne dass er etwas davon mitbekam. Die Wut arbeitete in ihm.
Später nötigten ihn die beiden Mädchen zu einem Spiel – „Fang den Hut“. Er verlor ständig. In seinem Hirn schien ein Karussell zu rotieren: Kalevski, die zickige Kundin, die sich heute bei ihm über Max beschwert hatte, die Kündigung, der Brieföffner auf dem Schreibtisch des Chefs, und dann dieser Anruf – der Weihnachtsmann in der Spielwarenabteilung. Am Vierzehnten also ...
"Was ist los mit dir, Max – Ärger in der Abteilung?" Janine musterte ihn besorgt, als sie sich an diesem Abend neben ihn ins Bett legte.
"Nichts Besonderes." Max drehte sich zur Seite und starrte die Garderobenschrankwand an. "Mein Magen macht wieder Schwierigkeiten."
Er litt unter einer chronischen Magenschleimhautentzündung. Seit Jahren schon.
In dieser Nacht tat Max kein Auge zu. Immer wieder die Szene im Chefzimmer: Kalevski rot vor Erregung. Und immer wieder seine Stimme: "Ich hab' Sie zweimal verwarnt – jetzt reicht's!" Und immer wieder der Brieföffner. Max stellte sich vor, wie er's machte. Erst am frühen Morgen fiel er in einen unruhigen Schlaf.
*
Der nächste Tag war eine Katastrophe. Jedem Kunden, der Max ansprach, hätte er am liebsten den Stinkefinger gezeigt. Bis zum Mittagessen hielt er durch. Dann meldete er sich krank.
In einer Kneipe am Marktplatz, ganz in der Nähe des Kaufhauses, trank er ein Bier nach dem anderen. Als hätte man ihm eine unsichtbare Zwangsjacke angelegt, schnürte die Wut ihn ein. Enger und enger.
Der Gedanke, dass Kalevski am vierzehnten umsonst auf seinen Weihnachtsmann warten würde, befriedigte ihn nicht mehr. Viel befriedigender war der Gedanke, der Weihnachtsmann würde den Chef am vierzehnten in seinem Büro besuchen. Und ihm sagen, was für ein Schwein er ist ...
Als er am Abend durch die Fußgängerzone wankte, fielen ihm plötzlich die zahlreichen Weihnachtsmänner auf, die Prospekte oder Werbegeschenke verteilten. Am nächsten Vormittag – vor Janine tat er, als würde er zur Arbeit ins Kaufhaus gehen – kaufte er sich ein Weihnachtsmann-Kostüm.
*
Einige Tage vor dem Vierzehnten ging er morgens in die Agentur für Arbeit. Seine Frau glaubte noch immer, er würde ins Kaufhaus zur Arbeit gehen.
Max zog eine Nummer aus dem kleinen Holzkasten im Wartebereich vor dem Büro der Arbeitsberatung. Er sah auf die Uhr und setzte sich auf den letzten freien Stuhl. Etwa fünfundzwanzig Leute warteten mit ihm auf Einlass ins Büro des Beraters.
Zwei Männer beobachtete er – wie sie aufstanden, wie sie ins Büro gingen, wie sie wieder hinauskamen. Und jedes Mal sah er auf die Uhr.
Max überschlug die Anzahl der Wartenden und die durchschnittliche Zeit, die man beim Berater verbrachte. Frühestens in zwei Stunden später man hier die Nummer aufgerufen, die vor ihm dran war.
Er stand auf und verließ die Agentur. Zwei Stunden. Das müsste reichen ...
*
Am späten Vormittag des Vierzehnten dann betrat er wieder die Arbeitsagentur. Erleichtert registrierte er, dass einige Leute schon keinen Sitzplatz mehr fanden im Wartebereich.
Es würde länger als nur zwei Stunden dauern, bis er an die Reihe käme. Er zog eine Nummer und verließ das Arbeitsamt. Mehr als zwei Stunden Zeit. Die Wut tanzte ihm in der Brust herum, wie ein lange eingesperrter Hund.
Er fuhr zum Bahnhof, schloss sich in die Toilette ein und holte Kostüm, Perücke und Bart aus seinem Koffer. Als Weihnachtsmann verkleidet verließ er den Bahnhof. Das Kaufhaus war nur wenige Minuten entfernt von hier.
In der Spielzeugabteilung ließ er sich einen Sack mit Werbegeschenken aushändigen – niemand erkannte ihn – und quatschte Mütter und Familien mit Kindern an, die sich durch die Regale drängten. Es war halbzwölf.
Um zwölf sah er die Chefsekretärin durch die Abteilung in Richtung Kantine eilen. Max wusste, dass Kalevski nie zum Mittagessen ging.
Er stahl sich aus der Spielwarenabteilung in das Treppenhaus und huschte durch die Glastür auf den Gang, in dem die Verwaltung lag. Er klopfte an die Tür des Abteilungsleiterbüros.
Kalevski sah ihn verwundert an, als er eintrat. "Was gibt's denn?"
"Ich will mein Honorar abholen", flüsterte Max und näherte sich dem Schreibtisch.
"Da müssen Sie zur Buchhaltung gehen, die stellen Ihnen einen Scheck..." Kalevski unterbrach sich. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, als Max nach dem Brieföffner griff. Max presste ihm den Sack ins Gesicht und stieß zu. Immer wieder. Seine Wut tobte sich aus bis zur Erschöpfung.
*
Sein Herzschlag dröhnte ihm in den Schläfen. Ein Blick auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde – nichts wie zurück zur Arbeitsagentur! Den Müllcontainer am Bahnhof, in dem er sein Weihnachtsmannkostüm entsorgen würde, hatte er längst ausgeguckt.
In der Kundentoilette wusch Max sich das Blut von den Händen. Während er durch das Treppenhaus zurück in die Spielwarenabteilung huschte, zwang er sich, ruhig zu atmen und langsam zu gehen.
Er schlenderte durch die Regalreihen, griff für den einen oder anderen Knirps noch einmal in seinen mittlerweile fast leeren Sack, und näherte sich so allmählich der Rolltreppe. Dort schob er sich kurz die Maske über die Stirn, um sich den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen.
Fast wäre er mit der Frau zusammengestoßen. "'Tschuldigung", murmelte er, zog wieder die lächelnde Weihnachtsmannmaske über die Nase und versuchte sich an der Frau und ihren beiden Kindern vorbei auf die Treppe zu schieben.
„Papa!“, rief eines der Mädchen und lachte ihn an. Max war zu keiner Bewegung mehr fähig. Seine Glieder gehorchten einfach nicht mehr und sein Atem stockte.
Die Frau musterte ihn mit erschrockenem Blick. Es war Janine.
Die Leute drängten sich zwischen ihnen hindurch auf die Rolltreppe, die beiden Mädchen sahen besorgt zu ihrer Mutter hoch. "Max...", flüsterte Janine.
Dann glitt wieder ein Strahlen über die Mädchengesichter. "Hey Papa, du bist ja der Weihnachtsmann!"
Janine zog ihn von der Rolltreppe weg. "Warum hast du mir denn so gar nichts gesagt, Max?", flüsterte sie halb vorwurfsvoll, halb mitleidig.
Er glaubte, sie würde von seinem Weihnachtsmann-Job sprechen. Nervös sah er sich um.
Janine kramte einen Brief aus der Tasche. "Der kam heute morgen, ich wollte dich hier abpassen." Sie hielt ihm den Brief hin. „Nimm doch die Maske ab, du musst es lesen.“ Sie machte ein kummervolles Gesicht und schüttelte den Kopf. „Dass du mir so gar nichts gesagt hast ...“
Max gehorchte reflexartig und schob wieder die Maske über die Stirn. Wie betäubt fühlte er sich.
Zwei Kolleginnen, die Janine kannten, näherten sich mit erstaunten Mienen. "Ja ist denn das die Möglichkeit? Der Max als Weihnachtsmann!"
Wie im Traum nahm Max den Brief und überflog ihn: Der Briefkopf des Kaufhauses, Kalevskis Unterschrift, Sehr geehrter und so weiter, und dann: In Anbetracht des nahenden Weihnachtsfestes und Ihrer ansonsten guten Leistungen bin ich bereit die Kündigung rückgängig zu machen. Zu einem klärenden Gespräch bitte ich Sie, am 14. des Monats nach der Mittagspause in mein Büro ...
Wie aus einem Film, der ihn nichts anging, hörte er das Gekicher der Kolleginnen – "Machst dich gut als Weihnachtsmann, Max ..." – wie durch eine Milchglasscheibe sah er das Lächeln über Janines erleichterte Züge gleiten. "Jetzt wird alles wieder gut, Max ..."
Und irgendwo kreischte die Stimme der Chefsekretärin: "Polizei! Hilfe! Polizei!"
Das Läuten des Telefons zerriss die nächtliche Stille! Vera fuhr hoch. Sie rieb sich die Augen und sah auf den Wecker. Halb drei. Sie starrte das Mobilteil ihres Telefons an und wusste genau, was sie erwartete, wenn sie dran ging. Dennoch nahm sie ab.
Das Stöhnen am anderen Ende der Leitung war so widerlich und langweilig, wie schon in den letzten Nächten. Und auch die üblichen Sprüche sonderte der Kerl wieder ab: "Bald komm' ich zu dir, Schätzchen." Er flüsterte stöhnend. "Vielleicht steh' ich morgen Nacht schon vor deiner Tür ..."
Vera richtete sich im Bett auf. "Hören Sie zu, Sie Schwachkopf! Ich steh' nicht auf Schlappschwänze, die ihr Gesicht verstecken müssen! Ich steh' auf richtige Männer!"
Das erste Mal – vor vier oder fünf Nächten – war sie furchtbar erschrocken gewesen. Gestern hatte sie schon keine Spur von Angst mehr empfunden. Heute war sie nur noch wütend.
"Und wenn Sie wollen, dass wir uns im Gerichtssaal kennenlernen, rufen Sie morgen wieder an! Bis dahin ist die Fangschaltung installiert!" Vera knallte den Hörer auf und warf sich in ihr Kissen.
Zehn Minuten später sprang sie aus dem Bett. Viel zu wütend war sie, um wieder einschlafen zu können. Sie zog ein paar Bewerbungsmappen aus ihrer Aktentasche, warf sie auf ihren Schreibtisch und schaltete den Computer an.
*
Die Atmosphäre war eisig. Jens Kosiak zwang sich, seine Kollegin anzulächeln. Vera Schierling verzog keine Miene. Aus den Augenwinkeln sah Kosiak die verstohlenen Blicke der Kollegen. Natürlich empfanden sie die Spannung genauso deutlich wie er. Die Spannung zwischen ihm und der Schierling. Seit Wochen prägte sie die Teambesprechungen der Personalabteilung.
Nur der Chef schien nichts zu merken. Dr. Altmann plauderte munter drauf los. "Alter Schwätzer!", dachte Kosiak und lächelte ihn freundlich an.
Altmann saß zwischen ihm und Vera Schierling, seinen beiden Abteilungsleitern. "Eines noch, meine Damen und Herren." Der Chef lehnte sich zurück und grinste genüsslich in die Runde. "Da es sich ja mittlerweile herumgesprochen hat, dass ich in die Geschäftsleitung berufen worden bin, möchte ich es Ihnen hiermit auch offiziell mitteilen. Vier Wochen leite ich die Personalabteilung noch, danach wird ein anderer auf meinem Stuhl sitzen. In den nächsten vierzehn Tagen fällt die Entscheidung über meine Nachfolge."
Jens Kosiak brauchte sich nicht umzuschauen. Er wusste auch so, dass alle Mitarbeiter jetzt ihn und die Schierling beobachteten. Ein anderer, hatte der Chef gesagt, nicht: eine andere. Sein Lächeln geriet noch um eine Spur zufriedener.
"Übrigens, Frau Schierling", flötete der Chef, "Ihre Gutachten über die Bewerbungen für die Marketingabteilung sind mal wieder hervorragend.“ Anerkennend nickte er der Schierling zu. „Bis Weihnachten sollten wir eine Entscheidung treffen. Bitte übernehmen Sie doch die Organisation des Auswahlverfahrens."
Das Lächeln gefror Kosiak auf den Lippen, und Vera Schierlings triumphierender Blick traf ihn wie ein Faustschlag in die Magengrube.
*
Jens Kosiak starrte zum Fenster seines Büros hinaus. Es wurde bereits dunkel. Wie ein Gliederwurm aus Spielzeugautos quälte sich tief unter ihm der einsetzende Berufsverkehr durch die von weihnachtlichen Lichterketten erleuchteten Straßenschluchten.
Und durch Kosiaks Hirn quälte sich ein Wust von Grübeleien: Wut, Bitterkeit, Angst und Enttäuschung. Sie hatte einfach ein Stein im Brett beim Chef, die Schierling. Aber aufgeben? Kam nicht in Frage.
Versunken im Anblick der Rushhour ordnete er seine Gedanken. Ganz langsam schälte sich aus all dem Durcheinander in seinem Kopf eine klare Vorstellung heraus. Eine klare Vorstellung von dem, was er zu tun hatte.
Vera Schierling – Gott, wie er diese Frau hasste! Wenn Altmann die Schierling mit der Besetzung der wichtigen Marketingstellen betraute, dann hatte er sie der Geschäftsleitung längst als seine Nachfolgerin verkauft! Wegen ihrer Qualitäten? Nein. Wegen ihrer Oberweite, wegen ihrer Figur.
"Das werde ich niemals akzeptieren!", stieß Kosiak zwischen den Zähnen hervor. Nein, es war wirklich nicht seine Art, so kurz vor dem Ziel aufzugeben.
Sein Handy orgelte los, er zog es aus der Hosentasche. "Kosiak?"
Eine heisere Männerstimme meldete sich. "Ich mach' diesen Telefonscheiß' nicht mehr mit, ich ..."
"Nicht am Telefon, Sie Idiot!" Kosiak unterbrach den anderen scharf. "Wir treffen uns in zwei Stunden im Café am Römer. Ich hab' einen neuen Auftrag für Sie.“
„Aber ich ...“
„Einen sehr lukrativen Auftrag."
„Na, gut. Ich komme.“
Als er später seinen BMW aus der Tiefgarage steuerte, war er zufrieden mit seiner Entscheidung. Die nächste Runde des Kampfes war eröffnet.