Kommunikation und Gesprächsführung für Pflegeberufe - Jürgen Wingchen - E-Book

Kommunikation und Gesprächsführung für Pflegeberufe E-Book

Jürgen Wingchen

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Beschreibung

Kommunikation – eine der Hauptaufgaben von Pflegekräften und zugleich eine der größten Herausforderungen. Hier ist der kompetente und praxisnahe Leitfaden rund um die Kommunikation in der Pflege. Als Basis dienen die bewährten Modelle und Theorien der Gesprächsführung. In einem zweiten Schritt werden diese Modelle ganz praxisnah auf Gesprächssituationen in der Pflege angewandt: Kommunikation mit älteren Menschen, mit Sterbenden und Trauernden, mit Aphasikern, mit Mitarbeitern und Angehörigen. Das Buch ist eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für alle, die ihre Kommunikation mit Klienten, Kollegen und Angehörigen nicht länger dem Zufall überlassen wollen. Eine gute Kommunikation lässt sich lernen und ist eine gute Stressprävention.

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Jürgen Wingchen

Kommunikationund Gesprächsführungfür Pflegeberufe

Ein Lehr- und Arbeitsbuch

3., aktualisierte Auflage

Der Autor:

Jürgen Wingchen

Deutz-Kalker Str. 8 50679 Köln

juergen-wingchen.jimdo.com

[email protected]

Jürgen Wingchen ist Diplom-Pädagoge in Köln.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-89993-819-7 (Print)ISBN 978-3-8426-8536-9 (PDF)

© 2014 Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. Alle Angaben erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Autors und des Verlages. Für Änderungen und Fehler, die trotz der sorgfältigen Überprüfung aller Angaben nicht völlig auszuschließen sind, kann keinerlei Verantwortung oder Haftung übernommen werden. Die im Folgenden verwendeten Personen- und Berufsbezeichnungen stehen immer gleichwertig für beide Geschlechter, auch wenn sie nur in einer Form benannt sind. Ein Markenzeichen kann warenrechtlich geschützt sein, ohne dass dieses besonders gekennzeichnet wurde.

Reihengestaltung:

Groothuis, Lohfert, Consorten | glcons.de

Satz:

PER Medien+Marketing GmbH, Braunschweig

Druck:

Druck Thiebes GmbH, Hagen

INHALT

1Einleitung

AModelle

2Grundlagen menschlicher Kommunikation

2.1Kommunikation und Interaktion

2.2Das Sender-Empfänger-Modell

2.3Metakommunikation

2.4Gedächtnissysteme und Kommunikation

2.5Paul Watzlawick: Inhalts- und Beziehungsaspekte von Kommunikation

2.6Die Erweiterung: Friedemann Schulz von Thun: Mit vier Ohren hören

2.7HoRmo Sapiens

2.8Die Bedürfnispyramide nach Maslow

2.9Die Frustrations-Aggressions-Hypothese

2.9.1Die Neuformulierung der Frustrations-Aggressions-Theorie durch Leonard Berkowitz

2.9.2Der erste Schwellenwert: Die Frustrationstoleranz

2.9.3Der Ärgeraffekt

2.9.4Der zweite Schwellenwert: internale und externale Reize

2.9.5Destruktive und konstruktive Folgen einer Frustration

2.9.6Aggressionsverschiebung

3Die personenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers

3.1Carl Rogers: Das Persönlichkeitsmodell

3.2Effektive Rahmenbedingungen für seelisches Wachstum

3.2.1Hilfen für die Schaffung effektiver Kommunikation

3.2.2Drei Forderungen an eine personenzentrierte Gesprächsführung

3.2.3Kommunikationssperren und »Killerphrasen«

4Das didaktisch-direktive Kommunikationsmodell nach Albert Ellis (REVT)

4.1REVT: Das Persönlichkeitsmodell

4.1.1Reize, Reaktionen, Kognitionen

4.1.2Zentrale menschliche Werte

4.2Albert Ellis: Von der Psychoanalyse zur Rational-Emotiven (Verhaltens-)Therapie

4.3REVT: Das ABC-Modell

4.3.1Emotionen

4.3.2Irrationale Ideen – Versuch einer Klassifikation

4.4Der Kommunikationsprozess: Der sokratische Dialog

4.4.1Voraussetzung für therapeutische Kommunikation

4.4.2Phasen des Kommunikationsprozesses

4.5REVT in der psychosozialen Beratung

5Die Transaktionsanalyse nach Eric Berne

5.1Transaktionsanalyse: Das Persönlichkeitsmodell

5.1.1Das Instanzenmodell nach Sigmund Freud

5.1.2Die Ich-Zustände der Transaktionsanalyse

5.1.3Die Strukturanalyse

5.2Analyse von Transaktionen

5.2.1Komplementäre Transaktionen

5.2.2Gekreuzte Transaktionen

5.2.3Verdeckte Transaktionen

5.3Komplexe Transaktionen

5.3.1Verfahren

5.3.2Rituale

5.3.3Zeitvertreibe

5.3.4Spiele

6Neurolinguistisches Programmieren

6.1Statt eines Persönlichkeitsmodells

6.1.1Landkarten des Denkens

6.1.2Repräsentationssysteme

6.2Spezifische NLP-Techniken

6.2.1Das Herstellen von Rapport

6.2.2Ankern

6.2.3Reframings

6.2.4Therapeutische Metaphern

7Nonverbale Kommunikation

7.1Dimensionen nonverbaler Kommunikation

7.2Geist und Körper

7.2.1Die Haltung

7.2.2Die Mimik

7.2.3Die Kleidung

7.2.4Die Gestik

7.2.5Redeweise

7.2.6Reviere

7.2.7Berührungen

7.2.8Olfaktorisch-gustatorische Kommunikation

7.3Körpersprache: Angeboren oder erlernt?

7.3.1Kulturübergreifende Verhaltensweisen

7.3.2Kulturüberformte Verhaltensweisen

7.3.3Angeborene »Pflegeauslöser«

7.4Störungen der Körpersprache

8Lachen in der therapeutischen und pflegerischen Kommunikation

8.1Verhaltensbiologische Anmerkungen zu Lächeln und Lachen

8.1.1Das Lächeln im menschlichen Verhaltensrepertoire

8.1.2Die Bedeutung des Lachens im menschlichen Verhalten

8.2Tiefenpsychologie des Lachens: Das Energiemodell

8.2.1Das Komische bei Sigmund Freud: Eingesparter Vorstellungsaufwand

8.2.2Humor: Ersparter Gefühlsaufwand

8.2.3Der Witz: Ersparter Hemmungs-/Unterdrückungsaufwand

8.3Lachen als Therapie: Befreiendes Lachen

8.3.1Lachen: Ausdruck des Lustprinzips

8.3.2Prinzip »Clown«

8.3.3Therapeutisches Lachen und Rapport

8.4Lach-Techniken

BKommunikationsfelder

9Personenzentrierte Gesprächsführung mit gerontopsychiatrisch veränderten alten Menschen

9.1Das Freudsche Instanzenmodell und die psychiatrische Klassifikation

9.1.1Neurosen und endogene Psychosen

9.1.2Verwirrtheit

9.2Kommunikation mit Verwirrten und Wahnkranken

9.2.1Akzeptanz, Kongruenz und Empathie in der Kommunikation mit Wahnkranken

9.2.2Akzeptanz, Kongruenz und Empathie in der Kommunikation mit verwirrten alten Menschen

9.2.3Der person-zentrierte Ansatz nach Tom Kitwood

10Die Begleitung Sterbender und Trauernder

10.1Sterben: das Weggehen

10.1.1Phasenmodelle des Sterbens

10.1.2Kommunikation in der Begleitung Sterbender

10.2Verlassen sein: Die Trauer

10.2.1Phasenmodelle des Trauerns

10.2.2Trauern: Eine Aufgabe

10.2.3Trauern und Kommunikation

11Kommunikation und Aphasie

11.1Apoplex und Kommunikationsstörungen

11.1.1Neglect-Syndrom

11.1.2(Sprach-)Apraxie

11.2Aphasien: Eine Differenzierung

11.2.1Die Amnestische Aphasie

11.2.2Die Broca-Aphasie

11.2.3Die Wernicke-Aphasie

11.2.4Die Global-Aphasie (Totale Aphasie)

11.3Gespräche mit Aphasikern

11.3.1Kongruenz, Akzeptanz und Empathie

11.3.2Besondere Hinweise für die Kommunikation mit Aphasikern

12Kommunikation im Team

12.1Informationsgespräche

12.1.1Der Phasenverlauf von Informationsgesprächen

12.1.2Motivation und Vermittlung in Informationsgesprächen

12.2Beurteilungsgespräche

12.2.1Beurteilungsfehler

12.2.2Verlauf eines Beurteilungsgesprächs

12.3Kritikgespräche

13Angehörigenarbeit und Beschwerdemanagement

13.1Beschwerden und Konfusionen

13.2Beziehung schaffen

14Kommunikation in Krisensituationen

14.1Krisen und Probleme

14.2Phasenmodell der Krisenbewältigung nach Caplan

14.3Krankheit als Krise

Literatur

Register

1EINLEITUNG

Pflegerisches Handeln in den Institutionen der ambulanten, teilstationären und stationären Kranken- und Altenpflege ist immer ein Beziehungs- und Ausgestaltungsprozess zwischen Pflegenden und zu Pflegenden.

Die Mitarbeiter der Pflegedienste sind die ersten Ansprechpartner von Pflegebedürftigen, Patienten und ihren Angehörigen. Die Organisation und Durchführung beratender und helfender Gespräche stellt eine der wichtigsten Aufgaben von Mitarbeitern in der Kranken- und Altenpflege dar. Diese müssen nicht nur in der Lage sein Kontakte aufzubauen und aufrecht zu erhalten; sie müssen mit den zu betreuenden und zu versorgenden Menschen, die informiert, instruiert und angeleitet werden wollen, in einen konstruktiven Kommunikationsprozess treten können.

Die Mitglieder der Projektgruppe »Hilfe für das Alter« im Diakonischen Werk/Deutschland1 beschreiben kommunikative und Beratungskompetenz als Voraussetzung zur Bewältigung sozialer Aufgaben in der Altenpflege. Im Einzelnen nennen sie:

• Helfende Gespräche beim Einzug in eine stationäre Einrichtung

• Gespräche zur Förderung zwischenmenschlicher Beziehungen

• Beratende Anleitung zu sinnvollen Beschäftigungen

• Persönliche Gespräche

• Hilfen in Krisensituationen

• Seelsorgerische Aufgaben, sofern sie nicht den Pfarrern überlassen bleiben müssen oder sollen

Dieses Buch ist keine Gebrauchsanweisung für Kommunikation in der Pflege. Es geht auch nicht um richtige Formulierungen für den Umgang mit Sterbenden, demenziell veränderten Menschen, sich beschwerenden Angehörigen oder unliebsamen Kollegen. Jede Gesprächssituation stellt sich den Beteiligten anders dar. Vorrangiges Ziel einer Auseinandersetzung mit Fragen zur Kommunikation und Gesprächsführung ist die Stärkung kommunikativer Kompetenzen: Kommunizierende müssen in Gesprächssituationen so (re-)agieren können, dass sie ihr eigenes Kommunikationsverhalten als angemessen und effektiv empfinden.

Hinweise und Tipps, was zu tun ist, um aus einem Gespräch als »Sieger« hervorzugehen (ein Wunsch, den eine Teilnehmerin eines meiner Fortbildungsseminare äußerte), gibt es hier nicht. Wer im Pflegealltag Bewohnern, Patienten und deren Angehörigen den Krieg erklärt hat, ist nicht auf der Suche nach einem gesprächsbereiten Kommunikationspartner, sondern nach einem Opfer.

Stattdessen stelle ich Ihnen in zwei Teilen die Grundlagen der Kommunikation und Gesprächsführung vor: Im ersten Teil (Kapitel 2 bis 8) präsentiere ich Ihnen grundlegende Theorien und Modelle der Gesprächsführung.

Im zweiten Teil (Kapitel 9 bis 14) zeige ich Ihnen spezielle Kommunikationsfelder und Anwendungsfelder der beschriebenen Modelle. Auf diese Weise erhalten Sie ein Lehr- und Arbeitsbuch für die Gesprächsführung in der Pflege: strikt praxisorientiert und konkret auf Ihre Berufswirklichkeit abgestimmt.

Die Modelle

Wodurch unterscheiden sich Kommunikations- und Interaktionsprozesse? Inwieweit beeinflussen neurologische und hormonelle Veränderungen den Kommunikationsverlauf? Was sind Codes im Kommunikationsverlauf? Was ist unter Inhalts- und Beziehungsaspekten von Kommunikation zu verstehen? Inwieweit beeinflussen Wünsche und Bedürfnisse den Kommunikationsverlauf und was geschieht, wenn sie unerfüllt bleiben? Ich zeige Ihnen Modelle menschlicher Kommunikation, in denen sich die grundlegenden Richtungen der Psychologie widerspiegeln.

Die nondirektive, personenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers (Kapitel 3) steht für die humanistische Psychologie und ist in Pflegeund therapeutischen Berufen am bekanntesten. Begriffe wie personenzentrierte Pflege und personenzentriertes Führen sind feste Bestandteile in der Alten- und Krankenpflege.

Dem nondirektiven Ansatz Carl Rogers wird das direktive Denken des amerikanischen Therapeuten Albert Ellis gegenübergestellt (Kapitel 4). Auch Ellis fühlt sich dem humanistischen Denken verpflichtet, setzt sich aber direkt mit den Haltungen und Einstellungen seiner Kommunikationspartner auseinander und versucht diese direkt zu ändern.

Das transaktionsanalytische Modell Eric Bernes (Kapitel 5) steht dem tiefenpsychologischen Ansatz Sigmund Freuds nahe; im Ansatz des Neurolinguistischen Programmierens (Kapitel 6) finden sich u. a. Elemente der Lernpsychologie wieder.

Weitere Kapitel sind der körpersprachlichen nonverbalen Kommunikation (Kapitel 7) und dem Stellenwert des Lachens in der Gesprächsführung (Kapitel 8) gewidmet: Informationen werden nicht nur durch Worte mitgeteilt; Witz, Humor und Komik können Gespräche auflockern, die Kommunikation fördern, aber auch die Beziehung zwischen den Gesprächspartnern ruinieren und das Gespräch beenden.

Die Kommunikationsfelder

Die Kommunikationsfelder stehen für exemplarische Gesprächssituationen.

Lehrzielkatalog

Am Ende jedes Kapitels findet sich ein Lehrzielkatalog, der Ihnen zeigt, was Sie jetzt schon alles können.

Theorie und Praxis

»Wie soll ich überhaupt noch mit einem Menschen spontan reden, wenn ich das alles auch noch beachten soll?« Das fragen sich Teilnehmer in Kommunikationstrainings immer wieder. Carl Gustav Jung* riet einem seiner Studenten, alles über die Theorie zu lernen, aber das Textbuch zu vergessen, wenn er einem Patienten gegenübersitzt.

Kommunikative Kompetenz ist letztlich wie Autofahren. Scheinen die verschiedenen Anforderungen, die an den Fahrer bereits beim Losfahren gestellt werden, zunächst kaum gleichzeitig zu bewältigen (Gas geben, ersten Gang finden, »Kupplung kommen lassen«, drei Pedale gleichzeitig bedienen und auch noch auf den Verkehr achten), so werden die einzelnen Schritte später kaum noch bewusst wahrgenommen. Die Aufmerksamkeit des Fahrers wird erst wieder geweckt, wenn irgendetwas nicht wie üblich funktioniert.

* Birkenbihl, V. F. (1999). Signale des Körpers – Körpersprache verstehen. Landsberg am Lech, S. 189

__________

1 Vgl. Diakonisches Werk (1987). Altenpflegerin/Altenpfleger: Die staatlich anerkannte Fachkraft in der Altenhilfe. Stuttgart, S. 22

AMODELLE

2GRUNDLAGEN MENSCHLICHER KOMMUNIKATION

In unserer Umgangssprache bedeutet Kommunizieren so viel wie »miteinander sprechen«, »in Kontakt zu einem Gegenüber treten« und sich mit diesem auszutauschen. Hierbei denken wir zunächst an die menschliche Sprache, an gesprochene Worte, mit deren Hilfe Informationen von einer Person an eine andere weitergegeben werden.

In diesem Sinne kann Kommunikation als eine der Informationsvermittlung verpflichtete Form menschlichen Verhaltens oder als wechselseitige Verständigung zwischen Menschen mittels Sprache beschrieben werden. Hierbei können die zwei miteinander verschränkten Aspekte des Sich-Ausdrückens und des Verstehens unterschieden werden:

• Sprache ermöglicht den Ausdruck eigener Gefühle, Gedanken, Wünsche und Pläne

• Sprache ermöglicht das Verstehen von Gefühlen, Gedanken, Wünschen und Plänen anderer Menschen

2.1Kommunikation und Interaktion

Zunächst müssen wir zwei Begriffe voneinander abgrenzen, die häufig miteinander verwechselt oder gleichgesetzt werden: die menschliche Kommunikation und die menschliche Interaktion. Das Wort Inter-Aktion bedeutet so viel wie Zwischen-Handeln (im Sinne von wechselweisem Handeln) von Personen und steht für zwischenmenschliche Beziehungen schlechthin.

Groddeck & Wulf2 bezeichnen die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse und Interessen anderen gegenüber angemessen darstellen zu können, als kommunikative Kompetenz und beschreiben sie als Voraussetzung zur Teilnahme an Prozessen sozialen Handelns.

Die Interaktionsforschung setzt sich mit dem auseinander, was zwischen den Menschen geschieht. Sie behält eine untereinander oder gegeneinander stattfindende Ausführung im Blick3. Kommunikation beschreibt in diesem Prozess stets den Austausch von Informationen, Mitteilungen bzw. Botschaften.4

Die gemeinsame Arbeit zweier Pflegekräfte am Bett eines Patienten/Bewohners ist ein Beispiel für eine Form von Interaktionsgeschehen. Die Botschaften, die zwischen den drei Beteiligten ausgetauscht werden, machen die Kommunikation aus und umfassen von Seiten der Mitarbeiter:

• die Absprachen, die sie treffen, um den Arbeitsablauf patienten-/bewohnergerecht zu gestalten;

• die gezielten Informationen an den Patienten/Bewohner, was hier (mit ihm) geschieht;

• die Instruktionen, wie er sich im Sinne einer aktivierenden Pflege verhalten sollte;

• beabsichtigte oder unbeabsichtigte Signale von Sympathie oder Antipathie, Anerkennung oder Ablehnung.

Von Seiten des Patienten werden gleichfalls Botschaften an die Mitarbeiter vermittelt, die wiederum den Interaktionsprozess beeinflussen.

Reflexion

Inwieweit können sich Patienten/Bewohner in diesen Kommunikationsprozess einbringen?

2.2Das Sender-Empfänger-Modell

Eine Nachricht wird von einem Sender an einen Empfänger gesandt und hierbei zunächst ver- und dann wieder entschlüsselt. So wird Kommunikation im Sender-Empfänger-Modell beschrieben:

Dieser Vermittlungsprozess wird zum Teil von unserem Bewusstsein gesteuert; etwa, wenn wir einen Brief schreiben und uns Gedanken darüber machen, was beim Empfänger ankommen soll.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten zu kommunizieren. So ist es uns möglich, Informationen in Form gesprochener bzw. geschriebener Wort weiterzugeben. Aber auch mit geschlossenem Mund und ohne ein Schreibgerät zu benutzen können wir kommunizieren: Jeder, der sich schon einmal in einer fremden Sprache verständlich machen musste, weiß, was es heißt, mit Händen und Füßen zu reden. In der verbalen (sprachlichen) Kommunikation ist es problematisch, wenn Sender und Empfänger in diesem komplexen Prozess von Kodierung und Dekodierung einem Wort unterschiedliche Bedeutungen zuweisen. Der semantische Hof (der Bedeutungshof für ein Wort) kann sich von Mensch zu Mensch verändern.

Worte können im Lauf der Zeit ihre Bedeutung verändern, was Gespräche zwischen den Generationen erschwert. Ältere Menschen verbinden mit dem Wort »geil« die Bedeutung »sexuell erregt«. Jugendliche bekunden mit ihm Interesse und Zustimmung. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ist ihnen häufig gar nicht bewusst. Auch wer die unterschiedliche Verwendung des Begriffes den verschiedenen Gruppen zuordnen kann, ist irritiert, wenn ältere Menschen diesen Bedeutungswechsel aufgreifen und das Wort als Zustimmung verwenden.

Andere Anteile der Kommunikation unterliegen nicht ohne weiteres der Kontrolle des Bewusstseins: Körperhaltung, Körperbewegung und Mimik geben vieles preis, was (noch) nicht in Worte gefasst wurde oder verschwiegen werden soll. So verraten z. B. Stimmlage und Körperhaltung Unsicherheiten, auch wenn der Betroffene versucht, ganz locker zu sein.

2.3Metakommunikation

Als Metakommunikation wird eine Kommunikation über Kommunikation bezeichnet. Der Kommunikationsprozess selbst wird zum Gegenstand der Kommunikation. Beispiel: Im Rahmen eines Gesprächs ist nicht nur bedeutsam, was sich die Beteiligten sagen, sondern auch auf welche Art und Weise sie das tun.

Sagt ein Kommunikationspartner: »In diesem Ton lasse ich nicht mit mir reden!«, so begibt er sich auf eine Metaebene der Kommunikation. Ein solcher Schritt kann dazu beitragen, wieder zu Umgangsformen zurückzufinden, die von Respekt getragen sind; er kann aber auch vom Thema ablenken und eine sachliche/inhaltliche Klärung verhindern.

Reflexion

Haben Sie schon einmal erlebt, dass Ihr Gesprächspartner durch einen Wechsel auf die Metaebene bewusst vom eigentlichen Thema ablenkte und eine Klärung unterlief?

Weitere Ebenen von Kommunikation lassen sich mit den Begriffen der Assoziation und der ersten bzw. zweiten Dissoziation beschreiben.

Assoziation meint so viel wie Vereinigung; Dissoziation so viel wie Trennung. Assoziation beschreibt eine Form von Kommunikation, in der eine Person eins mit ihren Gefühlen ist und diese auch zum Ausdruck bringt: Der Traurige weint, der Wütende schimpft. Im Zustand der ersten Dissoziation gelingt die Überwindung der eigenen Betroffenheit und die Wahrnehmung, das Erkennen und Nachfühlen der Betroffenheit des anderen: sein Fühlen, seine Trauer, seine Wut. Auf der Ebene der zweiten Dissoziation wird es möglich, die eigene Betroffenheit und die Befindlichkeit des Gegenübers gegeneinander zu stellen, Überlegungen zu ihren Ursachen bzw. über Lösungsmöglichkeiten anzustellen. Im Idealfall ist ein Kommunizierender:

• sich seines eigenen Fühlens bewusst (Assoziation);

• in der Lage, die Betroffenheit seines Gegenübers zu erspüren (erste Dissoziation);

• in der Lage, sich über die konkrete Situation zu erheben, diese zu analysieren und zu reflektieren (zweite Dissoziation).

Abb. 1: Bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Fühlen, Erleben, Denken, Handeln und dem des Gegenübers (Metaebene).

2.4Gedächtnissysteme und Kommunikation

Kommunikation setzt voraus, dass Informationen vom Empfänger aufgenommen und dekodiert werden können. Bevor eine Information bewusst wahrgenommen werden kann, muss sie verschiedene Instanzen überwinden (vgl. Abbildung 2).

Abb. 2: Der Weg zur bewussten Wahrnehmung von Information.

1. Über unsere fünf Sinne nehmen wir Informationen aus unserer Umgebung auf, um diese dem ersten Speichersystem unseres Gedächtnisses zuleiten zu können.5 Beeinträchtigungen der Sinneskanäle sind die ersten möglichen Kommunikationsblockaden.

2. Im ersten Speichersystem, in den sensorischen Speichern, verbleiben optische Informationen etwas weniger als eine Sekunde; akustische Informationen etwa eine Sekunde. Dieser kurze Zeitraum recht aus, um Reize identifizieren zu können. Würde dieses Speichersystem länger blockiert, so könnte es zu Überlagerungen mit neuen, nachströmenden Reizen kommen, was für die Informationsverarbeitung problematisch wäre.

3. Bewusst gewordene Informationen finden den Weg in das zweite Gedächtnissystem, den Kurzzeitspeicher, wo sie bis zu 30 Sekunden gespeichert werden. Die Kapazität dieses Systems ist äußerst begrenzt: Lediglich fünf bis sieben Einheiten finden hier Platz. Ist die Kapazität ausgeschöpft und kommt eine neue Information, so wird die älteste hinausgedrängt. Aus diesem Grund wird dieser Speicher als Schieberegister bezeichnet.Durch Wiederholungen ist es möglich, Daten länger im Gedächtnis zu behalten. Wird die Aufmerksamkeit aber vorübergehend abgelenkt, strömen neue Daten in den Kurzzeitspeicher und verdrängen die alten Informationen. Wenn Kinder eine Einkaufsliste vor sich hinmurmeln und dann – vielleicht durch die neuen Fahrräder ihrer Freunde – vorübergehend abgelenkt werden, vergessen sie die Einkäufe zumindest zum Teil.

4. Nach 30 Sekunden gehen nicht repetierte (wiederholte) Informationen, die noch nicht in das dritte Gedächtnissystem, den Langzeitspeicher, gelangt sind, unwiederbringlich verloren: Sie werden vergessen. Ob eine Information den Weg in den dritten Gedächtnisspeicher findet, hängt sowohl von der Bedeutsamkeit des Materials als auch von der Zahl der Wiederholungen ab: Je bedeutsamer eine Information für den Betroffenen ist, umso weniger Wiederholungen sind notwendig, um das Material in das Langzeitgedächtnis einzubringen.

Im dritten Speicher können Informationen nicht mehr verlorengehen und sind auch nach langen Zeiträumen noch abzurufen. Problematisch ist es nur, diese Informationen wiederzufinden.6

Dieses System der Informationsaufnahme und -verarbeitung leistet bei der Kommunikation hervorragende Dienste: Eine gesehene oder gehörte Information (z. B.: »Der Arzt kommt heute Nachmittag zwischen 15.00 und 16.00 Uhr zu Ihnen!«) wird wahrgenommen, als wichtig erkannt und im Langzeitspeicher abgelegt. Mögliche Antwort: »Ich werde heute Nachmittag hier sein!«

Störungen in den einzelnen Systemen wirken sich jedoch äußerst negativ auf Kommunikationsprozesse aus.

• Die Leistung des Wahrnehmungsapparates kann beeinträchtigt sein: Mit zunehmendem Alter kommt es zu Veränderungen in den sensorischen Speichersystemen.

• Akustische Informationen verschwinden schneller aus dem sensorischen Speicher, sodass weniger Zeit zur Verfügung steht, um Reize zu identifizieren und in den Kurzzeitspeicher zu überführen. Möglicherweise müssen Informationen mehrfach angeboten werden.

• Optische Informationen blockieren den sensorischen Speicher länger, sodass es zu möglichen Überlagerungen mit nachströmenden Reizen kommt.

• Ältere Menschen benötigen nicht nur mehr Zeit, um Informationen im Kurzzeitgedächtnis aufzunehmen, sondern auch, um diese wieder abzurufen. Gedächtnis- und Kommunikationsprozesse verlaufen im Alter zwar deutlich langsamer als bei jungen Menschen, aber keinesfalls ineffektiver.

• Auch die Gedächtnisspanne, der Umfang an Informationen, die gleichzeitig in diesem Speichersystem Platz finden, ist reduziert. Zu viele gleichzeitig angebotene Reize verwirren.

• Stress hat direkten Einfluss auf das Konzentrationsvermögen und die intellektuelle Leistungsfähigkeit. Stresshormone beeinträchtigen die Arbeit der Nervenzellen, die Garanten jeder intellektuellen Tätigkeit. Kommunikation in Stresssituationen ist zwangsläufig ineffektiv. Kommunikationspartner, die Stress und Unruhe ausstrahlen, sorgen selbst dafür, beim Gegenüber unverstanden zu bleiben. Die Kommunikationstrainerin Vera F. Birkenbihl sprach vom »psychologischen Nebel der Gesprächssituation«.

2.5Paul Watzlawick: Inhalts- und Beziehungsaspekte von Kommunikation

Paul Watzlawick (1921–2007) und seine Mitarbeiter prägten den Satz, dass es nicht möglich ist, nicht zu kommunizieren. Er unterscheidet zwischen einer Inhalts- und einer Beziehungsebene.

Unterhalten sich zwei Menschen, so ist nicht nur die Vermittlung von Inhalten (Informationen, Gedanken, Ideen, Fakten) wichtig. Der Verlauf einer Unterhaltung hängt nicht nur davon ab, welche Informationen sie austauschen. Mindestens ebenso bedeutsam ist, wie die beiden miteinander umgehen: Ob sie sich sympathisch sind oder nicht. Die Art des Miteinander-Umgehens bezeichnet Watzlawick – in Abgrenzung zur Inhaltsebene – als Beziehungsebene.

Abb. 3: Aspekte der Kommunikation.

In der Inhaltsebene liefert uns der Sprecher Informationen.7 Auf der Beziehungsebene hingegen erhalten wir Informationen über die Informationen. Hier wird deutlich, wie die Information gemeint war! Hier erfahren wir, ob unser Gegenüber uns gut oder schlecht gesonnen ist. Hier bekommen wir einen Eindruck von seinem (momentanen) Gemüts- bzw. Gefühlszustand.

Der Inhalt wird gewöhnlich verbal (gesprochen, geschrieben), die Beziehung nonverbal (nicht-gesprochen) vermittelt.

Im Idealfall ergänzen sich die beiden Kommunikationsebenen. Zu der Formulierung: »Sicher habe ich dich lieb!«, passt auf der Beziehungsebene eine warmherzige, freundliche, zugewandte Haltung und Stimmlage. Wird dieser Satz hektisch, unwirsch, ohne das Gegenüber anzusehen, formuliert, passen Inhalt und Form nicht zusammen; sie widersprechen sich. Der Gesprächspartner sieht sich zwei Aussagen gegenüber, die sich gegenseitig ausschließen. Solche Beziehungsfallen werden Doppelbindungen, oder auch Doublebinds genannt.

Auch eine so einfache Frage wie: »Gehen Sie heute wieder ins Kino?«, ist nur scheinbar eindeutig zu verstehen. Auf der Inhaltsebene dürfte es zu keinen Missverständnissen kommen. Jeder versteht, worum es hier geht. Aber erst die Art, wie diese Frage gestellt wird, vermittelt ihren ganzen Bedeutungsgehalt. Ist es reines Interesse, will jemand wissen, ob die andere Person ins Kino gehen will? Schwingt möglicherweise im Tonfall ein leichter Vorwurf mit? »Gehen Sie heute Abend (etwa schon wieder) ins Kino?« Oder verrät die Körperhaltung die Neugierde des Fragenden? »Was machen Sie heute – Gehen Sie vielleicht ins Kino?«

Reflexion

Erinnern Sie sich an vier unterschiedliche Gesprächssituationen mit Patienten/Bewohnern.

Was sagten sie zu Ihnen, und wie sagten sie es?

Können Sie sich vorstellen, dass ein anderes Wie den Inhalt möglicherweise in einem anderen Licht hätte erscheinen lassen?

Konfusion bedeutet lt. Duden so viel wie Verwirrung oder Durcheinander. Im Kommunikationsmodell Watzlawicks steht es für ein Durcheinander von Inhalts- und Beziehungsebene. So können Probleme von der Inhalts- auf die Beziehungsebene verlagert werden, um sie dort in Angriff zu nehmen und zu lösen: Besteht auf der Inhaltsebene keine Einigkeit (z. B.: »Du willst ins Café, ich will aber ins Kino!«), so wird eine Problemlösung auf der Beziehungsebene versucht (»Dann mach es doch mir zuliebe!«). Umgekehrt können auch Beziehungsprobleme auf der Inhaltsebene in Angriff genommen werden. Ist die Beziehungsebene gestört, kann das akribische und scheinbar so sachliche Suchen, Finden und Bemängeln von Fehlern beim anderen zu einer Strategie der Beziehungsaufarbeitung werden. Auch vermag die Suche nach gemeinsam zu bewältigenden Aufgaben bei gestörter Beziehungsebene zwei Menschen – vorübergehend – zu verbinden.

2.6Die Erweiterung: Friedemann Schulz von Thun: Mit vier Ohren hören

Der Psychologe Friedemann Schulz von Thun8 unterscheidet nicht nur zwischen einer Inhalts- und einer Beziehungsebene, er hat vier verschiedene Ebenen einer Nachricht herausgearbeitet (vgl. Abbildung 4).

Abb. 4: Ebenen einer Nachricht.

Schulz von Thun unterscheidet

• Sachinhalt

• Appell

• Selbstoffenbarung

• Beziehungsaspekt

Beispiel: eine scheinbar einfache Botschaft: A sagt: »Es ist ganz schön heiß hier drin!«

1. Der Sachinhalt dieser Information ist offensichtlich: A hält sich an einem Ort auf, an dem es heiß ist. Über diese Tatsache informiert sie eine andere oder mehrere andere Personen. Die Information ist eindeutig.

2. Auf der Ebene der Selbstoffenbarung geht es darum, was A von sich preisgibt. Es scheint ihr warm zu sein; vielleicht sogar zu warm. Es geht A nicht um die messbare Raumtemperatur. Sie sagt vielmehr etwas darüber aus, wie sie die Temperatur empfindet.

3. Auf der Appell-Seite einer Botschaft lässt sich erkennen, wozu A den Empfänger veranlassen möchte. Im obigen Beispiel: »Mach bitte das Fenster auf!« – »Mach die Klimaanlage an!« – »Fass dich kurz, mir ist zu heiß!«

4. Auf der Beziehungsebene werden zwei unterschiedliche Botschaften vermittelt: Zum einen gibt A zu erkennen, wie sie den Empfänger einschätzt, was sie von ihm hält. Die Wortwahl, die Betonung, ein liebevoller oder barscher Tonfall lassen erkennen, ob hier Wertschätzung oder Missachtung mitschwingen. Zum anderen wird aber auch deutlich, wie A die Beziehung zwischen sich und dem Empfänger sieht: Traut er sich, etwas Bestimmtes zu sagen – oder auch nicht? Im Beispiel könnte die Beziehungsebene signalisieren: »Ich bestimme hier, ob gelüftet wird – und du hast damit zu leben!«

2.7HoRmo Sapiens

Wie wir miteinander umgehen, hat natürlich Einfluss auf unser Wohlbefinden. In der Regel werden Menschen es vorziehen, zuvorkommend und freundlich behandelt zu werden, während ein selbstherrliches und demütigendes Verhalten des Gegenübers zumindest ärgerlich werden lässt.

Wie Individuen mit den wahrgenommenen Informationen auf der Inhalts- und der Beziehungsebene umgehen, hängt von der momentanen Befindlichkeit ab. Vera F. Birkenbihl stellte ein einfaches Denk-Modell vor, das für die Analyse von Kommunikationsprozessen bedeutsam ist.

Das Gehirn ist keinesfalls ein homogenes Organ. Vielmehr finden sich dort unterschiedliche Gehirnteile, die sich im Laufe der Evolution herausbildeten und die als Alt- und Neuhirn bezeichnet werden. Birkenbihl bezeichnete die alten Teile als Reptilienhirn. Es unterscheidet sich in der Funktion nicht von dem Gehirn eines Reptils und bildete sich vor ca. 450 Millionen Jahren. Das Neuhirn, der Sitz des logischen Denkens, entwickelte sich im Verlauf der Evolution erst vor 1,5 Millionen Jahren. So verwundert es auch nicht, dass das Reptiliengehirn, wenn es ums nackte Überleben geht, den größeren Einfluss auf menschliches Verhalten ausübt. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Befriedigung von Bedürfnissen in Frage gestellt wird. In solchen Situationen wird das Reptilienhirn (das Tier in uns) aktiv und mischt sich ein. Werden in Gefahrensituationen elementare Bedürfnisse in Frage gestellt, wird das Handeln nicht mehr vom logischen Denken, sondern vom Kampf- und Fluchtverhalten bestimmt.

Die Gefährdung oder Unterdrückung von Bedürfnisbefriedigungen löst Unlustreaktionen aus, die zur Ausschüttung von Stresshormonen führen. Dies zieht eine Störung oder Unterbindung der Impulsweiterleitung im Nervensystem nach sich. Stammesgeschichtlich ältere Gehirnteile (das Reptilienhirn) reagieren dann mit Flucht, Angriff oder Totstellen.

In Stresssituationen wird der Homo Sapiens, so Birkenbihl9 zuweilen als ein weniger von seinem Intellekt als vielmehr von seinen Hormonen geleitetes Wesen entlarvt, das sie folgerichtig als HoRmo Sapiens bezeichnet.

Solange die Gesprächssituation nicht durch Angst, Nervosität, Ärger, Eifersucht, Wut, Neid etc. beeinflusst wird, kann sich das Denkhirn mit den vermittelten Inhalten auseinandersetzen. Je belastender die Situation jedoch empfunden wird, umso mehr treten die Inhalte in den Hintergrund: Das bedrohte Reptilienhirn übernimmt das Regiment und stört die analytische Arbeit des Denkhirns. Damit verlagert sich die Kommunikation von der Sach- auf die Beziehungsebene.

2.8Die Bedürfnispyramide nach Maslow

Der Amerikaner Abraham Maslow (1908–1970) ordnete die menschlichen Bedürfnisse in einer Hierarchie, die häufig als Maslowsche Bedürfnispyramide dargestellt wird. Sind die Bedürfnisse einer unteren Stufe befriedigt, wendet sich das Individuum denen der nächsthöheren Stufe zu.

Sind z. B. die grundlegenden physiologischen Bedürfnisse (wie Hunger und Durst) [Stufe 1] befriedigt, so tritt auf der nächsthöheren Stufe das Bedürfnis nach Sicherheit [Stufe 2] in den Vordergrund. Es folgen die sozialen Bedürfnisse (Liebe und soziale Zugehörigkeit) [Stufe 3] und schließlich die Bedürfnisse nach Wertschätzung [Stufe 4] und nach Selbstverwirklichung [Stufe 5].

Vorübergehend können Bedürfnisse einer unteren Stufe auf einer höheren kompensiert werden. So ist es möglich, Hunger und Durst vorübergehend in Kauf zu nehmen, um höhere Ziele zu erreichen. Die physiologischen Bedürfnisse sichern das nackte Überleben. Es geht um die Grundversorgung mit Essen, Trinken, Sauerstoff und Wärmezufuhr. Aber auch Bedürfnisse, die wir im Allgemeinen nicht bewusst registrieren, gehören hierher, wie das Bedürfnis nach Hautkontakt, nach Berührung, nach »Streicheleinheiten«.

Auch ein Mensch mit erstklassiger Versorgung an Essen und Trinken, in einer optimalen Atmosphäre und Raumtemperatur, wird krank, wenn das elementare Bedürfnis nach Hautkontakt unbefriedigt bleibt.

Die anderen Sinne sind ebenso stimulierungsbedürftig wie die Haut. So verwundert es auch nicht, wenn in Studien festgestellt wurde, dass der Entzug sensorischer Reize (Reizdeprivation) sich negativer auf das Befinden (zumindest) der (erwachsenen) Versuchspersonen auswirkt, als eine Einschränkung der Sozialkontakte, die einer höheren Stufe zugeordnet sind.

Solange das physiologische Fundament der Pyramide noch nicht gelegt ist, interessieren die höheren Stufen noch nicht. So ist ein erschöpfter, müder, von Schmerzen geplagter Mensch auch kaum zur Kommunikation oder Gruppenaktivität zu zwingen.

Abb. 5: Bedürfnispyramide nach Maslow.

Sind die physiologischen Bedürfnisse befriedigt, treten die Bedürfnisse nach Sicherheit in den Vordergrund, die allgegenwärtig sind:

• Menschen möchten ihr Eigentum vor unbefugtem Zugriff sichern und schließen ihre Wohnung ab.

• Menschen möchten finanziell abgesichert sein und schließen Renten- und Lebensversicherungen ab oder legen ihr Geld an.

• Menschen möchten ihre Zukunft planen können und halbwegs wissen, was sie morgen erwartet.

• Menschen möchten wissen, wo sie sich wann befinden. Die Sicherheit der Orientierung in Raum und Zeit ist sehr bedeutsam.

Denken Sie an das ungute Gefühl, wenn Sie nachts aufwachen und die Uhr stehengeblieben ist; denken Sie an die Angst bei Fahrten im Nebel, wenn jede Orientierung aufhört; stellen Sie sich vor, wie Sie sich fühlen, wenn Sie sich in einem unbekannten Waldstück verlaufen haben und die Dunkelheit bricht herein. Die Orientierungsprobleme eines nichtorientierten/desorientierten Menschen sind vergleichbar, aber gravierender, da sie zeitlich unbegrenzt sind. Umzüge in Pflegeheime bzw. Einweisungen in Krankenhäuser sind immer Brüche mit einer gewohnten, Sicherheit gebenden Alltagswelt. In Kliniken wird dem Kranken ein für ihn vorbestimmter Ort zugewiesen, der von fremden Menschen nach Belieben betreten wird.10

Reflexion

• Welche Einschränkungen der Sicherheitsbedürfnisse sind bei Bewohnern von Pflegeheimen bzw. Patienten im Krankenhaus festzustellen?

• Wie würden Sie mit solchen Einschränkungen umgehen?

• Welche Verhaltensweisen konnten Sie in Ihrer bisherigen beruflichen Praxis in solchen Situationen feststellen?

• Was könnte man in Krankenhäusern und Pflegeheimen ändern, um diesen Bedürfnissen besser gerecht werden zu können?

Auf der nächsthöheren Stufe sind die Bedürfnisse nach Liebe und (sozialer) Zugehörigkeit angesiedelt. Liebe und Zugehörigkeit erfahren Menschen in Gruppen, in die sie hineingeboren werden (Familie) oder später hineinwachsen. Hier erfolgt Kommunikation; hier findet der Einzelne Geborgenheit: Er weiß, wo er hingehört.

Reflexion

• Welche Einschränkungen der Bedürfnisse nach sozialer Zugehörigkeit sind bei Bewohnern von Pflegeheimen bzw. Patienten in Krankenhäusern festzustellen?

• Wie würden Sie mit solchen Einschränkungen umgehen?

• Welche Verhaltensweisen konnten Sie in Ihrer bisherigen beruflichen Praxis in solchen Situationen feststellen?

• Was könnte man in Krankenhäusern und Pflegeheimen ändern, um diesen Bedürfnissen besser gerecht werden zu können?

• Welche Möglichkeiten sehen Sie, neue soziale Beziehungen aufzubauen bzw. in alte, gewachsene soziale Systeme integriert zu bleiben?

Auch wenn die physiologischen Bedürfnisse sowie solche nach Sicherheit und Gruppenzugehörigkeit (Stufen 1–3) zunächst befriedigt sind, bleibt ein weiteres – das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und Wertschätzung – zunächst noch unbefriedigt. Anerkennung (Stufe 4) ohne Integration in einen Sozialverband (Stufe 3) wird langfristig häufig als unbefriedigend erlebt. Nicht selten wird die Einbindung in Gruppen, in denen Anerkennung versagt bleibt, zwar als belastend erlebt, ohne deshalb aufgegeben zu werden.

Reflexion

Wurden Sie in Ihrem Berufs- oder Privatleben bereits einmal mit Situationen konfrontiert, in denen Menschen von ihren Kommunikations- bzw. Interaktionspartnern soziale Anerkennung versagt wurde, der Kontakt aber immer wieder gesucht wurde?

Beim Ringen um die Anerkennung durch die Mitmenschen spielen Statussymbole eine große Rolle. Überall, wo es um Status, Geld oder Geltung geht, sollen die Mitmenschen dem Betreffenden ihre Anerkennung bekunden.

Ein Mensch, dessen Selbstwertgefühl hinreichend stabil ist, wird auf dieser Stufe nicht Defizite einer anderen Stufe kompensieren müssen. Je sicherer er sich fühlt, umso weniger wird er die Bedürfnisse der 4. Stufe übertrieben befriedigen müssen, um möglicherweise Defizite der Stufen 2 und 3 zu kompensieren.

Menschen mit einem schwachen Selbstwertgefühl, die sich unsicher, unbeachtet, ungeliebt und keiner Gruppe zugehörig fühlen, werden umso mehr um ihre Anerkennung kämpfen. Ihr Handeln wird weniger vom logischen, schlussfolgernden Denken, als vielmehr vom Kampf- oder Fluchtverhalten bestimmt:

In diesen Situationen werden diese Menschen laut. Sie schreien (Schreien gehört zu den Kampfsignalen; es soll einschüchtern).

• Sie ziehen sich zurück. Kontakte werden vermieden, indem sie sich räumlich absondern und allein bleiben oder in sich selbst zurückziehen.

• Unter Umständen versuchen sie aufzufallen – positiv oder negativ: Lieber eine negative Anerkennung als gar keine!

• Sie beziehen vieles auf sich, was sie gar nicht betrifft und fühlen sich grundlos angegriffen.

• Die Ausübung von Macht wird zu einem Mittel, Anerkennung und Zuwendung zu erhalten. Diese Macht kann auch sehr subtil eingesetzt werden, indem das eigene Leiden als Mittel eingesetzt wird, um andere zu einem bestimmten Verhalten zu nötigen

Reflexion

• Welche Einschränkungen des Bedürfnisses nach sozialer Anerkennung sind bei Bewohnern von Pflegeheimen bzw. Patienten im Krankenhaus festzustellen?

• Wie würden Sie mit solchen Einschränkungen umgehen?

• Welche Verhaltensweisen konnten Sie in Ihrer bisherigen beruflichen Praxis in solchen Situationen feststellen?

• Was könnte man in Krankenhäusern und Pflegeheimen ändern, um diesen Bedürfnissen besser gerecht werden zu können?

• Wie wird in diesen Einrichtungen mit den Statussymbolen von Bewohnern und Patienten umgegangen?

• Welche Formen von Statussymbolen können Sie unterscheiden?

Die Stufen 1 bis 4 werden auch als Defizitmotive beschrieben: Das Verhalten des Einzelnen dient dazu, einen bestimmten Mangelzustand auszugleichen.

Auf der 5. Stufe tritt das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung in den Vordergrund. Hier geht es nicht darum, ein Defizit zu vermeiden, vielmehr sollen eigene Fähigkeiten zur Geltung gebracht und kreativ (weiter-)entwickelt werden.

Leistungen werden erbracht, weil dies befriedigend erlebt wird. Man wendet sich Interessen zu, weil sie Freude machen. Einem Beobachter ist es meist jedoch nicht möglich zu unterscheiden, ob ein bestimmtes Verhalten der Selbstverwirklichung des Betreffenden dient oder nur gezeigt wird, um Anerkennung und Wertschätzung zu erhalten.

Ein erfolgreicher Arzt mag in seiner praktischen Arbeit in der Klinik die einmalige Chance sehen,

• seine wissenschaftlichen Kompetenzen und Interessen zum Wohl seiner Patienten umsetzen zu können (Stufe 5: Selbstverwirklichung);

• die Rolle des »Herrschers über Leben und Tod«, des »Halbgottes in Weiß« umsetzen (Stufe 4: Soziale Anerkennung);

• die Integration in sein Team zu genießen (Stufe 3: Soziale Zugehörigkeit);

• die Voraussetzung sehen, über ein geregeltes Einkommen seine Sicherheits- und physiologischen Bedürfnisse befriedigen zu können (Stufe 2 und 1).

Beobachtbar ist das menschliche Verhalten, das konkrete Tun. Welches Bedürfnis, bzw. welche Bedürfnisse der Einzelne durch sein Handeln tatsächlich befriedigt, ist nicht ersichtlich.

2.9Die Frustrations-Aggressions-Hypothese

Der Psychologe John Dollard und seine Mitarbeiter stellten 1939 eine Theorie vor, die als Frustrations-Aggressions-Hypothese bekannt wurde. Die Kernaussage ihrer Theorie war, dass dem Auftreten eines aggressiven Verhaltens eine Frustration vorausgeht; dass umgekehrt eine Frustration zu irgendeiner Form von Aggression führt.11 Die Stärke der Aggression hängt vom Ausmaß der Frustration ab.

Als Aggression wird in der Regel ein auf die Verletzung einer Person und oder die Beschädigung einer Sache gerichtetes Verhalten bezeichnet.

Der Psychoanalytiker Erich Fromm12 wies darauf hin, dass das Wort Frustration zur Beschreibung von zwei unterschiedlichen Phänomenen verwandt wird:

• Zum einen umschreibt Frustration die Unterbrechung einer bereits begonnenen zielgerichteten Handlung,

• zum anderen meint Frustration bereits die Negation eines Begehrens oder Wunsches.

Dollard und seine Mitarbeiter sprachen dann von Frustration, wenn ein Mensch die mit dem Erreichen eines Zieles zu erwartende Befriedigung antizipiert (lat.: vorwegnimmt) und am Erreichen dieses Zieles gehindert wird.

2.9.1Die Neuformulierung der Frustrations-Aggressions-Theorie durch Leonard Berkowitz

Schon bald wurde den Mitarbeitern der Gruppe um John Dollard jedoch klar, dass nicht jedem aggressiven Akt eine Frustration vorausgeht, dass nicht jede Frustration in aggressives Verhalten einmündet. Bereits zwei Jahre später (1941) rückte Neal E. Miller, ein Mitarbeiter von John Dollard, von der 1939er These ab und beschrieb Frustration als einen Anreiz für aggressives Verhalten. Dieser kann jedoch zu schwach sein, um aggressives Verhalten tatsächlich auszulösen.13

Die Aussage, dass einer Frustration Aggression folgt, darf demnach nicht so verstanden werden, dass der Konfrontation mit einer unüberwindbaren Barriere, die das Erreichen eines Zieles unmöglich macht, nicht auch andere Konsequenzen folgen können. Dies ist in der Tat sogar häufig der Fall. Zwar sind Formen von Aggressionsanreizen grundsätzlich vorhanden, andere Konsequenzen sind aber möglicherweise stärker ausgeprägt als der Anreiz zum Aggressiv-werden.

In den 1960er Jahren ließ der Psychologe Leonard Berkowitz diese Überlegungen in eine modifizierte Frustrations-Aggressions-Theorie einfließen: Bevor einer Frustration aggressive Handlungen folgen, werden zunächst Emotionen (Gefühle) der Wut oder des Ärgers freigesetzt. Erst bei Überschreiten eines Schwellenwertes kommt es zu aggressivem Verhalten.

Erich Fromm14 meinte, dass es in erster Linie eine Frage des Charakters sei, wie ein Mensch auf Frustrationen reagiert.

Abb. 6: Aggressionsmodell nach Berkowitz.

2.9.2Der erste Schwellenwert: Die Frustrationstoleranz

Eine besondere charakterliche Disposition, die darüber entscheidet wie ein Mensch mit Frustrationen umgeht, ist die Frustrationstoleranz. Hierunter wird die Fähigkeit verstanden, Frustrationen auszuhalten und sich konstruktiv mit ihnen auseinanderzusetzen. In der Umgangssprache spricht man von einem dicken Fell, von Selbstdisziplin oder von einem starken Willen.15 Die unterschiedlich ausgeprägte Frustrationstoleranz ist teilweise angeboren, aber auch erlernt. Werden Kindern möglichst alle Frustrationen erspart, so werden sie auch als Erwachsene kaum angemessen mit solchen Erfahrungen umgehen können. Darüber hinaus ist die Frustrationstoleranz keine feststehende Größe. So mag ein Mensch in einer Situation mehr Spannungen aushalten als in einer anderen. Dies dürfte zum Teil davon abhängen, welche Erfahrungen er in vergleichbaren Situationen sammeln konnte.16

2.9.3Der Ärgeraffekt

Bei Überschreiten der Frustrationstoleranz stellt sich ein Gefühl des Ärgers ein. Affekte, Gefühle bedeuten jedoch (noch) nicht, dass ein Mensch ein bestimmtes Verhalten zeigt. Ob aus dem Ärgeraffekt Aggressionen erwachsen, hängt von anderen Faktoren ab.

Das Ausmaß (die Größe) des Ärgeraffekts hängt

• von der körperlichen Erregung der betroffenen Person,

• von der aufgebrachten Aufmerksamkeit und

• von der bisherigen Lebenserfahrung ab.

2.9.4Der zweite Schwellenwert: internale und externale Reize

Erst bei Überschreiten eines zweiten Schwellenwertes, der sich aus internalen und externalen Reizen zusammensetzt, folgt möglicherweise aggressives Verhalten.

1.Internale Reize: Die Disposition zum Aggressivwerden ist in der Person selbst angelegt: Sogenannte internale Reize (charakterliche Disposition, Erregung, Aufmerksamkeit, Erfahrungen) bestimmen über Aggressivwerden oder Nicht-Aggressivwerden.

2.Externale Reize: