Konflikt des Blutes - Ariel Tachna - E-Book

Konflikt des Blutes E-Book

Ariel Tachna

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Beschreibung

Fortsetzung zu Pakt des Blutes Buch 3 in der Serie - Blutspartnerschaft Die Allianz des Blutes zwischen Magiern und Vampiren wird stärker und fügt den dunklen Magiern empfindlichere Verluste zu. Immer verzweifelter suchen sie nach Informationen, um die drohende Niederlage abzuwenden. Sie wissen nicht, dass auch die Allianz unter wachsenden Spannungen in einigen Partnerschaften zu leiden hat. Der Konflikt breitet sich aus. Es gibt Partnerschaften, die weder persönlich noch professionell harmonieren und die drohen, die Allianz von innen heraus zu zerstören. Alain Magnier und Orlando St. Clair versuchen, ein Auseinanderbrechen der Allianz zu verhindern. Sie werden unterstützt durch Thierry Dumont und Sebastien Noyer, aber auch durch Raymond Payet und Jean Bellaiche, den Chef de la Cour von Paris, die beide selbst noch darum kämpfen, ihre Partnerschaft auf eine stabile Grundlage zu stellen, um durch ihr Vorbild andere überzeugen zu können. Während der Krieg immer brutaler wird und sich auf beiden Seiten die Verluste häufen, suchen die dunklen Magier immer noch nach Wegen, die Allianz zu zerstören. Derweil durchforsten die Blutspartner alte Quellen, um hinter den Vorurteilen und Legenden das entscheidende Quäntchen Wahrheit zu finden, das die Geschicke des Krieges endgültig zu ihren Gunsten wenden kann.

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

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Konflikt des Blutes

von Ariel Tachna

 

Fortsetzung zu Pakt des Blutes

Blutspartnerschaft Band 3

 

Die Allianz des Blutes zwischen Magiern und Vampiren wird stärker und fügt den dunklen Magiern empfindlichere Verluste zu. Immer verzweifelter suchen sie nach Informationen, um die drohende Niederlage abzuwenden. Sie wissen nicht, dass auch die Allianz unter wachsenden Spannungen in einigen Partnerschaften zu leiden hat.

Der Konflikt breitet sich aus. Es gibt Partnerschaften, die weder persönlich noch professionell harmonieren und die drohen, die Allianz von innen heraus zu zerstören. Alain Magnier und Orlando St. Clair versuchen, ein Auseinanderbrechen der Allianz zu verhindern. Sie werden unterstützt durch Thierry Dumont und Sebastien Noyer, aber auch durch Raymond Payet und Jean Bellaiche, den Chef de la Cour von Paris, die beide selbst noch darum kämpfen, ihre Partnerschaft auf eine stabile Grundlage zu stellen, um durch ihr Vorbild andere überzeugen zu können.

Während der Krieg immer brutaler wird und sich auf beiden Seiten die Verluste häufen, suchen die dunklen Magier immer noch nach Wegen, die Allianz zu zerstören. Derweil durchforsten die Blutspartner alte Quellen, um hinter den Vorurteilen und Legenden das entscheidende Quäntchen Wahrheit zu finden, das die Geschicke des Krieges endgültig zu ihren Gunsten wenden kann.

Für meine Adoptivschwestern Nancy, Holly, Connie, Cat, Carol, Madeleine, Gwen und Julianne, die den Text wieder und wieder gelesen und Verbesserungsvorschläge gemacht haben. Ohne euch wäre dieser Traum nicht wahrgeworden.

1

 

 

„WAS WILL der Mann mit dieser … dieser Farce nur erreichen?”, schimpfte Serrier und schaltete nach Chaviniers Bekanntgabe der Allianz zwischen den Magiern der Milice und den Vampiren von Paris angewidert den Fernseher aus. Ihm drehte sich der Magen um, wenn er nur daran dachte, dass diese Kreaturen ein Mitspracherecht in den Geschicken ihres Landes haben sollten. Für Serrier war es ein weiterer Grund, diese Regierung zu stürzen und durch Magier – seine Magier – zu ersetzen. Dieses Land brauchte eine Führung, die den Wert der Magie zu schätzen wusste und die niederen Teile der Bevölkerung in ihre Schranken wies. „Er muss doch wissen, dass ihn diese Allianz auch nicht mehr retten kann. Was kann ein Vampir schon gegen unsere Magie ausrichten? Und selbst dann, wenn sie unseren Flüchen widerstehen könnten – wir müssten unsere Pläne nur auf den Tag verschieben. Chavinier wird sich nicht in die natürliche Ordnung einmischen und Tag und Nacht vertauschen können; diese Macht hat selbst er nicht. Er setzt seinen Ruf aufs Spiel für nichts und wieder nichts.”

„Dann muss mehr dahinterstecken, als er öffentlich zugibt”, meinte Eric Simonet. „Er mag ein Gutmensch sein, aber er stellt keine Behauptungen auf, die er nicht durchzuziehen gedenkt. Chavinier ist nicht dumm. Er weiß genau, dass er damit nicht nur seinem Ruf, sondern auch der Moral seiner Leute schaden würde.”

„Worum geht es ihm dann?”, fragte Serrier. „Was kann er mit dieser Aktion gewinnen?”

„Wenn die Vampire die nächtlichen Patrouillen übernehmen, kann er mehr Magier tagsüber einsetzen”, warf Simon Aguiraud ein.

„Dann stehen sie ihm nicht mehr zur Verfügung, wenn wir nachts angreifen”, widersprach ihm Simonet. „Er hat die Wahrheit gesagt, als er darauf hingewiesen hat, dass sie seit der Allianz mit den Vampiren weniger Verluste und mehr Erfolge haben. Aber dennoch, sie müssen eine Schwäche haben. Joëlle hat ihnen eine empfindliche Niederlage zugefügt, bevor sie getötet wurde.”

„Sonnenlicht und Feuer”, sagte Serrier nachdenklich. „So hat es Bellaiche auf der Pressekonferenz gestern formuliert. Sonnenlicht und Feuer.”

„Worauf willst du hinaus?”

„Einige Minuten vor Sonnenaufgang”, erklärte Serrier. „Wenn wir eine Patrouille kurz vor Sonnenaufgang angreifen, werden sie innerhalb kürzester Zeit einen Teil ihrer Leute verlieren. Die Vampire müssen entweder Schutz suchen oder sie fallen der Sonne zum Opfer.”

„Vernichtet die Sonne sie so schnell?”

„Das weiß ich auch nicht”, gab Serrier zu. „Aber unser Blutsauger vom Dienst wird uns darüber informieren können. Und er wird mir die Wahrheit sagen, denn sonst besorge ich ihm keine Opfer mehr. Holt Claude, ich will ihn sprechen.”

Eric runzelte die Stirn, befolgte aber den Befehl des dunklen Magiers. Er ließ sich nicht anmerken, dass ihm allein bei dem Gedanken an den Vampir schlecht wurde. „Was ist mit der Frau?”

„Was soll mit ihr sein?”, fragte Serrier.

„Du brauchst sie nicht mehr, oder?”

Serrier zuckte mit den Schultern. „Man weiß nie, wofür sie noch gut sein kann. Selbst wenn sie uns keine neuen Informationen geben kann, wird Claude bestimmt gern mit ihr spielen. Es ist schon einige Zeit her, seit ich ihm ein Spielzeug überlassen konnte.”

Eric zuckte innerlich zusammen bei Serriers Vorschlag, die schlanke junge Frau, die er auf dessen Befehl hin entführt hatte, Claudes perversen Spielchen auszuliefern. Er hatte sich nie falsche Vorstellungen gemacht, was ihr Schicksal anging. Trotzdem hatte er gehofft, Serrier würde sie wenigstens schnell töten, wenn sie ihm nichts mehr sagen konnte. Eric hatte sich nach dem Tod seiner Familie zwar Serriers Rebellen angeschlossen, aber manchmal ließen ihn ihre Methoden an der Richtigkeit seiner Entscheidung zweifeln. Wie auch immer. Er hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen und es blieb ihm nichts anderes übrig, als andere Wege zu finden, sich seine Menschlichkeit nicht ganz zerstören zu lassen. Er hatte schon einmal – versehentlich angeblich – einem Gefangenen den Gnadentod geschenkt. Claude oder Serrier würden es ihm wahrscheinlich nicht ein zweites Mal abnehmen.

„Sonnenlicht und Feuer”, wiederholte Serrier erneut. „Wir können die Sonne nicht früher aufgehen lassen, aber es gibt genug Flüche, mit denen wir Feuer bewirken können. Wir müssen daran arbeiten, sie für den direkten Kampf einsatzfähig zu machen. Simon?”

„Ich kümmere mich darum”, erwiderte Aguiraud und machte sich auf den Weg zur Tür. „Die Vampire werden noch bedauern, uns diese Schwäche offenbart zu haben.”

Sobald Simon das Zimmer verlassen hatte, wandte sich Serrier wieder Eric zu. „Wir müssen wissen, was in Chaviniers Kopf vor sich geht, jetzt mehr als zuvor”, sagte er zu seinem Leutnant. „Hast du schon darüber nachgedacht, ob du zu ihm zurückkehren willst, um ihn für mich auszuhorchen?”

„Habe ich”, erwiderte Eric. „Es ist ein verlockender Gedanke, seine eigene Naivität gegen ihn auszunutzen. Aber ich glaube nicht, dass ich ihn von meiner Läuterung überzeugen kann. Ich kann nicht so tun, als hätte ich dem Mörder meiner Frau vergeben, um wieder mit ihm zusammenzuarbeiten – auch dann nicht, wenn ich ihn damit vernichten will. Ich bin noch viel zu wütend, und das ist meinem Verhalten und meiner Magie anzumerken. Nein, sie werden mich nicht wieder aufnehmen. Wir müssen einen anderen Spion finden, der noch nicht so viel mit der Milice zu tun hatte.”

„Was ist dein Vorschlag?”, fragte Serrier neugierig.

„Monique”, antwortete Eric nach kurzem Nachdenken. „Sie ist skrupellos genug, um das Nötige zu tun, aber sie kann sich auch gut genug verstellen, um damit durchzukommen.”

 

 

„SIE MACHEN es mir nicht leicht, General Chavinier. Das wissen Sie, nicht wahr?”, fragte Denise Cadoret und warf einen Blick auf den Text, der vor ihr auf dem Schreibtisch lag. „Gleiche Rechte für Vampire in der Verfassung. Das ist ein schwieriges Thema. Und dann erwarten Sie noch, dass sich die gesamte Regierung hinter Ihren Antrag stellt?”

Marcel ersparte der Justizministerin einen wütenden Blick. „Wie Sie sehr gut wissen, Madame le Ministre, ist die Angelegenheit dringlich.”

„Warum?”, wollte Madame Cadoret wissen. „Warum gerade jetzt? Seit es in Frankreich eine Regierung gibt, die Rechte einräumen kann, war die Situation der Vampire die gleiche. Was ist so dringend, dass wir das ausgerechnet jetzt ändern müssen? Ich will damit nicht sagen, dass wir ihnen nicht die gleichen Rechte zugestehen sollten, aber ich verstehe nicht, warum das Gesetz nicht die üblichen Entscheidungsprozesse über das Parlament durchlaufen kann. Sie verlangen, dass die Regierung in einer sehr kontroversen Angelegenheit vorprescht und, falls die Nationalversammlung den Gesetzentwurf ablehnt, zurücktreten muss. Das ist ein großes Risiko.”

„Weil es nur richtig ist”, unterbrach sie André Guy, der Menschenrechtsbeauftragte. „Die Vampire riskieren Leib und Leben für unseren Schutz. Wir sind es ihnen mehr als schuldig, dieses vergleichsweise kleine Risiko einzugehen.”

„Sie riskieren Leib und Leben für unseren Schutz”, wiederholte Marcel. „Und seit sie damit begonnen haben, sind wir gegen Serriers Rebellen nur einmal unterlegen. Das Patt hat ein Ende und wir gewinnen zunehmend die Oberhand.”

„Das ist ja alles schön und gut”, wollte der Minister für Wirtschaft, Finanzen und Arbeit widersprechen, merkte aber dann, wie unfreiwillig sarkastisch es sich anhörte. Er drehte sich gewichtig zu dem Chef de la Cour um, der an Chaviniers rechter Seite saß. „Ich meine es ehrlich. Es ist eine ausgesprochen erfreuliche Entwicklung, dass wir gegen die Rebellen Fortschritte erzielt haben. Aber so plötzlich einer unüberschaubaren Menge Menschen Bürgerrechte zu gewähren … Es ist ein Albtraum für die Verwaltung. Wir müssen uns um Arbeitsplätze kümmern, um die Gesundheitsversorgung, die Sozialversicherung …”

„Ja”, stimmte ihm Jean zu. „Es gibt Tausende von uns. Aber wir werden die bestehenden Systeme weit weniger belasten, als Sie befürchten. Wir brauchen keine Gesundheitsversorgung. Wir müssen nur trinken, und darum können wir uns sehr gut selbst kümmern. Wir werden nicht alt und gebrechlich, deshalb ist auch keine Sozialversicherung nötig. Die Chefs des Cours kennen ihre Städte. Sie können jederzeit und kurzfristig Listen aufstellen mit allen Vampiren in ihrem Verwaltungsbezirk, damit ihnen Ausweise ausgestellt werden können. Wir haben unsere eigenen Einkünfte und wir haben Wohnungen und Häuser, sonst würden wir den Tag nicht überleben. Auch darum muss sich niemand kümmern.”

„Es ist nicht nur die Verwaltung, die auf eine solche Maßnahme unvorbereitet ist”, warf Madame Cadoret ein. „Vampire waren noch nie unserer Gesetzgebung unterworfen. Wenn wir ihnen jetzt gleiche Rechte geben, werden auch die Gerichte sich umstellen müssen.”

„Wir haben die menschliche Gesetzgebung nie anerkannt, weil wir von ihr nicht anerkannt wurden”, gab Jean zu. „Aber das heißt nicht, dass wir unregierbar sind. Wir haben unsere eigenen Gesetze und Gerichte. Unser Justizsystem ist sehr viel älter als diese Republik.”

„Das ist noch ein Grund mehr, die Sache langsam anzugehen und sich Zeit zu lassen”, sagte Madame Cadoret beharrlich. „Wir wissen nichts über dieses Justizsystem, müssen erst herausfinden, ob es mit unserem kompatibel ist. Alles andere führt zu Chaos und Problemen.” Als Jean verärgert die Stirn runzelte, fuhr sie schnell fort: „Ich will damit nicht sagen, dass wir den Gesetzentwurf nicht in die Nationalversammlung einbringen sollen. Ich denke nur, dass General Chaviniers Zeitplan unrealistisch ist.”

„Ich will versuchen, auf Ihre Bedenken einzugehen und sie in ein realistisches Licht zu rücken”, erwiderte Jean kalt. „Meine Leute und ich kämpfen freiwillig in einem Krieg, der eine Regierung stützen soll, die uns derzeit das pure Recht auf Existenz abspricht, von anderen Rechten gar nicht zu reden. Zu Ihrem Glück ist uns bewusst, dass es um mehr geht als diese Regierung. Das ist mehr, als Sie und Ihre Kollegen in Ihrer Kurzsichtigkeit und Ignoranz anerkennen. Dieses Gesetz ist das einzige Zugeständnis, das wir für unsere Hilfe verlangen.”

„Wir haben uns kaum von der letzten Störung des magischen Gleichgewichts erholt”, warf Marcel ein. „Durch die Unterstützung der Vampire können wir Magier abstellen, die sich mit diesem Problem und seinen Folgewirkungen beschäftigen. Wie wollen Sie dem französischen Volk erklären, dass durch Ihren Widerstand die Allianz zu Scheitern verurteilt wurde und die Milice den Krieg verloren hat, dass durch Ihren Widerstand diese Republik dem Untergang geweiht wurde, Madame le Ministre?”

 

 

„WAS FÜR ein Biest”, knurrte Jean, als Marcel sie aus dem Kabinettssaal wieder in sein Büro transportierte.

„Wenn sie nett wäre, wäre sie jetzt nicht in dieser Position”, gab ihm Marcel recht. „Aber sie ist nicht reaktionär, nur vorsichtig. Sobald der Premierminister entschieden hat, wird sie ihn unterstützen und dafür sorgen, dass wir ein gutes Gesetz bekommen. Wir müssen nur Monsieur Pequignots Entscheidung abwarten.”

Jean zögerte einen Augenblick, gab sich aber dann einen Ruck. „Du weißt hoffentlich, dass wir die Allianz nicht aufkündigen, auch wenn die Vorlage 49-3 nicht eingebracht wird, oder? Egal, was passiert, unser Bündnis steht.”

„Ich weiß”, erwiderte Marcel. Er hatte sich schon gedacht, dass die Vampire zu der Allianz stehen würden, auch wenn die Regierung ihren Gesetzentwurf nicht unterstützte und zur sofortigen Abstimmung vorlegte. „Und ich vermute, der Premierminister weiß das auch. Indem du auf der Pressekonferenz öffentlich an meiner Seite gestanden hast, seid ihr für Serrier genauso zum Zielobjekt geworden, wie die Magier der Milice. Du solltest wahrscheinlich auch die Vampire, die uns nicht direkt unterstützen, warnen und zur Vorsicht mahnen. Wenn Serriers Magier sie finden, werden sie nicht erst lange fragen, ob sie uns helfen oder nicht. Sie werden angreifen, und auch wenn der Abbatoire bei Vampiren nicht wirkt, gibt es genug andere Flüche, die sie vernichten können. Ich weiß, warum du den Pressevertretern gesagt hast, außer Sonnenlicht und Feuer hätten Vampire nichts zu fürchten. Ich weiß auch, dass Sonnenlicht für Vampire mit Partnern kein Problem mehr darstellt. Aber es war trotzdem ein riskanter Schachzug, denn jetzt weiß Serrier, auf welche Flüche er sich spezialisieren muss, um euch zu verwunden.”

„Ich habe an eurer Seite gekämpft”, erinnerte ihn Jean. „Ich habe erlebt, wie ihr die Flüche neutralisieren könnt, bevor sie Schaden anrichten. Ihr müsst euch jetzt nur auf andere Sprüche einstellen, dann könnt ihr auch die neutralisieren. Und die Verbindung zwischen den Partnern wird genug Motivation sein, um die dunklen Magier erfolgreich zurückzuschlagen.” Jean erwähnte die persönliche Seite der Partnerschaften nicht, die offensichtlich eine immer größere Rolle einnahm. Er wollte nicht, dass der General sich durch diesen persönlichen Aspekt beeinflussen ließ. Aber Jean konnte sich noch gut an die intimen Geräusche erinnern, die aus dem Zelt auf Réunion zu hören gewesen waren, als er und Raymond nach dem Taifun die Störung der Elementarkräfte kontrollierten.

„Sie werden bald ihre Chance bekommen, fürchte ich”, meinte Marcel niedergeschlagen. „Wir brauchen Thierry, wahrscheinlich auch Alain. Unser junger Spion hat uns neue Informationen zugespielt, auf die wir reagieren müssen. Ich werde zwar die nötigen Befehle geben, aber ich möchte vorher mit Thierry die strategische Seite diskutieren. Er ist darin besser als ich.”

Jean biss die Zähne zusammen, als die Erwähnung von Thierry ihn an den Partner des blonden Magiers erinnerte. Dieser Vampir war vor fünfhundert Jahren nach Paris gekommen und hatte ihm, kaum dass er angekommen war, den Geliebten, den möglichen Avoué, direkt vor der Nase weggeschnappt. Sie hatten sich zwar kürzlich darüber ausgesprochen und eine Art Waffenstillstand erreicht, aber Jean mochte Sebastien nicht leiden und hatte den Verdacht, dass der ihm auch nicht vertraute. Bedauerlicherweise schien Marcel große Stücke auf Sebastien zu halten, sodass Jean nichts anderes übrig blieb, als sich mit dem Mann zu arrangieren.

Jean lächelte Orlando zu, der mit den anderen den Raum betrat. Er behielt das Lächeln auch bei, als er Sebastien begrüßte, der ihm höflich zunickte. Jean war es leid, selbst mit vermeintlichen Verbündeten das Jeu des Cours zu spielen, doch es saß ihnen zu sehr im Blut, um es aufzugeben. Er beobachtete Orlando und Alain und fragte sich, ob die beiden sich wieder versöhnt hatten. Sein junger Freund wirkte sichtlich ruhiger als bei ihrem letzten Zusammentreffen, aber Jean wollte trotzdem ein Auge auf ihn haben und gegebenenfalls mit dem Magier reden, sollte sich im Laufe des Tages Anlass zur Besorgnis ergeben. Jean hatte sich zu lange um Orlando gekümmert und konnte diese Rolle noch nicht aufgeben. Er lehnte sich an die Wand, um Marcels Bericht abzuwarten und zu sehen, welchen Verlauf die Diskussion nehmen würde.

„Was gibt es Neues?”, fragte Alain, nachdem alle Platz genommen hatten. Er spürte, dass Jean, der hinter ihm an der Wand stand, ihn beobachtete, wusste aber nicht, wie er den älteren Vampir beruhigen sollte, zumal in diesem öffentlichen Rahmen. Marcel musste wichtige Neuigkeiten haben, sonst hätte er diese Besprechung nicht einberufen. Der Krieg ging vor, musste vorgehen.

„Unser junger Spion hat uns heute früh neue Informationen übermittelt, über die wir reden müssen”, berichtete Marcel. „Demnach hat Serrier vor, an Samhain seine Macht zu demonstrieren und einen größeren Anschlag zu verüben. Er scheint zu wissen, dass wir den Feiertag nutzen wollen, um die Elementarkräfte zu stabilisieren. Offensichtlich denkt er, dass wir dadurch zu abgelenkt sind, um ihm einen Strich durch seine Pläne zu machen.”

„Das ist keine große Überraschung”, meinte Thierry. „Obwohl er durch die Bekanntgabe der Allianz seine Pläne vermutlich noch an die neue Situation anpassen wird.”

„Ich habe die Nachricht erst nach unserer Pressekonferenz erhalten”, erwiderte Marcel. „Aber du hast recht, er kann immer noch Änderungen vornehmen. Mein Stand der Dinge ist, dass er vorhat, um zwölf Uhr mittags den Eiffelturm zum Einsturz zu bringen.”

„Das allein zeigt, dass er unsere Allianz bei seinen Planungen schon berücksichtigt hat”, bemerkte Alain. „Bisher hat er seine Aktionen immer im Schutz der Dunkelheit durchgeführt und das Tageslicht gemieden.”

„Richtig. Wenn die Vampire immer noch durch das Sonnenlicht in ihrer Bewegung eingeschränkt wären, müssten wir uns entscheiden, ob wir seinen Anschlag auf ein Wahrzeichen von Paris verhindern wollen – von den Menschleben, die er kosten wird, gar nicht zu reden – oder ob uns unser Ritual wichtiger ist als der Eiffelturm”, bestätigte Marcel. „Glücklicherweise sind unsere Verbündeten nicht mehr diesen Einschränkungen unterworfen.”

„Wenn sie dabei die Hilfe ihrer Partner bekommen”, ergänzte Jean. Er wusste genau, dass die anderen verstanden, was er damit meinte. Raymonds Abwesenheit nagte an ihm. Sie behinderte ihn zwar nicht in der Erfüllung seiner Pflichten, aber sie war eine ständige Irritation.

„Hat Raymond gesagt, wann er zurückkommen wird?”, wollte Marcel wissen und sah Jean direkt an. „Seine Einschätzung der Lage wäre eine wertvolle Hilfe für uns.”

„Wir schaffen es auch ohne ihn”, grummelte Thierry.

„Sicher”, stimmte Marcel ihm zu. „Aber das heißt nicht, dass wir auf ihn verzichten werden, falls er schon zurück sein sollte. Keiner von uns hat die Elementarkräfte so intensiv studiert wie Raymond. Warum sollten wir nicht auf seine Erfahrung und sein Wissen zurückgreifen?”

Jean gefiel es ganz und gar nicht, wie hier über seinen Partner geredet wurde. Thierrys Haltung war auch unter den Vampiren weit verbreitet und er konnte damit umgehen. Marcels Vorschlag war auf jeden Fall effektiver. Und doch störte es Jean ungemein, dass Raymonds Fähigkeiten so gering geschätzt und abgewertet wurden. „Wie viele Magier sind nötig, um das Ritual erfolgreich durchzuführen?”

„Wir brauchen Raymond wegen seines Feingefühls. Thierry hat sich freiwillig gemeldet, weil er schon vor dem Krieg Erfahrungen damit gesammelt hat”, zählte Marcel auf. „Wir benötigen weitere fünfzig Freiwillige, die uns ihre magische Energie zur Verfügung stellen. Das Ritual ist zwar ungefährlich, aber sehr anstrengend. Alle Beteiligten werden danach einige Tage Ruhe brauchen, um wieder zu Kräften zu kommen. Ich nehme von jeder Einheit höchstens zwei Freiwillige, damit sie einsatzfähig bleibt und wir den Dienstplan der Patrouillen nicht ändern müssen.”

„Ich übernehme die Patrouille am Eiffelturm”, meldete sich Alain. „Wenn Thierry wegen des Rituals ausfällt, bin ich am besten geeignet, ihn zu ersetzen.”

Orlando war nicht sehr begeistert über diesen Vorschlag, verkniff sich aber jede Reaktion. Er und Alain hatten sich nach dem dummen Missverständnis über Orlandos Grenzen und Alains Befürchtungen, Orlandos Vertrauen verloren zu haben, gerade erst wieder versöhnt. Und nun meldete Alain sich freiwillig für einen Einsatz, der in einer blutigen Schlacht enden konnte. Orlando verstand die Notwendigkeit dieses Krieges. Er verstand auch, warum Alain daran teilnahm. Dennoch lief sein Beschützerinstinkt Amok bei der Vorstellung, dass sein Avoué sich so in Gefahr begab. Er nahm sich vor, Alain nicht von der Seite zu weichen, aber auch er war nicht allmächtig, wenn es um den Schutz seines Magiers ging. Das galt besonders dann, wenn Serriers dunkle Magier ihre Flüche modifizierten, um die Vampire wirkungsvoller bekämpfen zu können, eine Möglichkeit, die sehr real war und über die sie schon seit Beginn der Allianz diskutiert hatten.

„Nimm wenigstens den Rest meiner Einheit mit, besser sogar noch eine dritte”, schlug Thierry vor. „Serrier braucht einen Sieg. Er wird nicht nur eine Handvoll Magier schicken. Wir können von Glück sagen, wenn er nicht seine gesamte Streitmacht einsetzt.”

„Was ist, wenn der Anschlag nur ein Ablenkungsmanöver ist?”, fragte Jean. „So würde ein Vampir vorgehen. Er würde dafür sorgen, dass ein bestimmtes Vorhaben bekannt wird, während er insgeheim ein anderes plant. Ich will damit nicht sagen, dass wir die Bedrohung ignorieren sollen, aber es kommt mir trotzdem alles ziemlich offensichtlich vor. Serriers düstere Gedanken sind normalerweise nicht so leicht zu durchschauen.”

„Das ist durchaus möglich”, gab Thierry zu. „Unser Spion steht nicht sehr hoch in Serriers Hierarchie. Es könnte eine Falle sein, entweder für ihn oder für uns.”

„Das könnte es”, meinte Marcel nachdenklich. „Aber der junge Dominique ist nicht meine einzige Informationsquelle. Wie sagt man doch? Je ne suis pas né de la dernière pluie. Die Informationen Dominiques sind mir von anderer Seite bestätigt worden. Sie sind glaubwürdig. Der Anschlag auf den Eiffelturm hat keine strategische Bedeutung. Es geht Serrier vielmehr um die symbolische Wirkung. Wenn sie es schaffen, ihn zum Einsturz zu bringen, wird das Image der Milice und der Regierung irreparablen Schaden nehmen.”

„Dann werden wir dafür sorgen, dass es ihnen nicht gelingt”, erklärte Thierry mit entschlossener Stimme.

2

 

 

DIE SONNE ging gerade auf, als Raymond ins Hauptquartier der Milice zurückkam. Er hatte seine Rückkehr von Réunion nicht weiter hinauszögern wollen und torkelte vor Erschöpfung. Seit Jean die Insel verlassen hatte, war Raymonds Verlangen, wieder an der Seite seines Partners zu sein, ins Unermessliche gestiegen und er war sich jeder Minute ihrer Trennung schmerzhaft bewusst gewesen. Dass dieses Bedürfnis nach Nähe magische Ursachen hatte, änderte für ihn nichts an den Tatsachen. Jetzt musste er nur noch schnell Marcel seinen Bericht geben, dann wollte er sich auf die Suche nach Jean begeben und dafür sorgen, dass der Vampir sich satt trank. Sein Herz schlug wie wild vor Eifersucht bei der Vorstellung, dass Jean in der Zwischenzeit das Blut eines anderen Menschen getrunken haben könnte. Raymond hatte auf Réunion bis an die Grenzen seiner Kraft daran gearbeitet, die Lage zu stabilisieren, um die Verantwortung an Leutnant Raynaud de Lage und ihren Partner übergeben zu können. Er wusste sehr wohl, dass mit jeder Stunde die Schutzwirkung seines Blutes nachließ und Jean schwächer wurde. Vor zwei Tagen hatte er in den Nachrichten gesehen, wie Jean und Marcel die Allianz der Öffentlichkeit bekanntgaben. Jean war zurückhaltend elegant gekleidet gewesen und sein Anblick hatte Raymond nicht mehr losgelassen. Ob magisch verursacht oder nicht – Raymond war ehrlich genug, sich einzugestehen, dass er sich in den Vampir verliebte. Die Erkenntnis durchdrang sein ganzes Wesen, aber er war immer noch misstrauisch und fürchtete sich davor, sich dem Einfluss der Elementarmagie zu unterwerfen. Daher wollte er sich zurückhalten und darauf beschränken, Jean die Nahrung und den magischen Schutz seines Blutes anzubieten, so oft der Vampir dessen bedurfte.

Raymond machte sich auf den Weg durch die menschenleeren Gänge des Hauptquartiers. Er kam zu Marcels Büro, lehnte sich erschöpft an die Wand und klopfte an.

„Raymond?”

Raymond richtete sich auf, als er seinen Namen hörte. Er wollte keine Schwäche zeigen, da die anderen seine Anwesenheit auch so schon kaum tolerierten. Nach einigen Sekunden erkannte er die Stimme. „Wieso bist du noch hier, Jean?”, fragte er. „Die Sonne geht schon auf und ich bin mir sicher, dass mein Blut dich nicht mehr schützt.”

„Das ist richtig”, gab Jean zu. „Die Wirkung hat nur bis gestern Nachmittag angehalten. Ich bin gestern nach Einbruch der Dunkelheit gekommen, um eine Nachtpatrouille zu begleiten und um mit Marcel über die Gesetzesinitiative zu reden. Nachdem wir alle Neuigkeiten ausgetauscht hatten, war es schon zu spät für mich, nach Hause zu gehen. Marcel ist zu einer Verabredung aufgebrochen. Ich wollte in dein Büro gehen und dort den Tag verbringen, weil es keine Fenster hat. Wieso bist du hier?”

„Ich wollte Marcel von meiner Rückkehr unterrichten”, erklärte Raymond. „Außerdem wollte ich ihn fragen, wo du dich aufhältst. Er ist zwar nicht hier, aber wenigstens habe ich dich gefunden. Du musst trinken.”

Jean lachte leise. „Das hat Zeit bis heute Abend. Du bist erschöpft. Geh nach Hause und schlaf dich aus.”

Raymond lehnte sich mit einem müden Lächeln an die Wand. „Ich glaube nicht, dass ich noch bis zur Métro komme, ohne unterwegs einzuschlafen. Und einen magischen Transport schaffe ich auch nicht mehr. Ich suche mir hier eine ruhige Ecke und lege mich hin, nachdem du getrunken hast.”

Der Vampir runzelte die Stirn, legte einen Arm um Raymond und führte ihn zu seinem Büro. Jean genoss die Nähe des Magiers, verdrängte aber seine Gefühle und versteckte sie hinter seiner Besorgnis um Raymond. „Das wirst du nicht tun. Wir gehen jetzt in dein Büro und du wirst dir dort ein Bett machen. Während du schläfst, kann ich lesen. Es gibt mehr als genug Bücher dort. Wir sind jetzt Verbündete und ich sollte so viel wie möglich über euch lernen. Ich kann trinken, wenn du wieder aufgewacht bist. Dann überlegen wir, was wir als Nächstes tun. Gibt es etwas, was Marcel dringend erfahren muss? Ich kann es ihm ausrichten. Du schläfst ja schon im Stehen ein.”

„Nein, es kann warten”, murmelte Raymond, als sie sein Büro betraten. „Ich wollte ihn nur darüber informieren, dass ich zurück bin.”

„Ich werde es ihm ausrichten”, versprach Jean. „Mach dir jetzt ein Bett und ruhe dich aus.”

Raymond nickte und murmelte einen Spruch, mit dem er seinen Schreibtisch in eine kleine Liege umwandelte. „Ein richtiges Bett!”, verlangte Jean streng. „Auf dem Ding kann man doch nicht schlafen.”

Raymond lächelte und murmelte wieder vor sich hin. Die Liege verschwand und wurde durch ein kleines, aber bequemes Bett ersetzt. Die Beschwörungen hatten seine letzte Energie aufgebraucht und er ließ sich auf die Matratze fallen. Sein Kopf hatte kaum das Kissen berührt, da war er auch schon eingeschlafen. Jean legte kopfschüttelnd Raymonds Beine aufs Bett und deckte ihn zu. Für ihn hatte das Zimmer eine angenehme Temperatur, aber er wusste, dass Sterbliche mehr Wärme brauchten als Vampire. Raymond war erschöpft und Jean wollte nicht riskieren, dass sein Partner sich zu allem Überfluss auch noch eine Erkältung zuzog.

Jean setzte sich mit einem Buch über die Geschichte der Magie in den Schreibtischstuhl. Es war wahrscheinlich eine recht trockene Lektüre, aber Monsieur Lombard hatte darauf hingewiesen, dass Vampire und Magier schon in der Vergangenheit aufeinandergetroffen waren. Das hatte Jeans Neugier geweckt. Er wollte herausfinden, ob es Überlieferungen darüber gab. Wenn er mehr darüber erfuhr, konnte er vielleicht verhindern, dass seine Vampire bei den kommenden Kämpfen wieder die gleichen Verluste zu beklagen hatten, wie Monsieur Lombard sie angedeutet hatte. Jean war sich sicher, dass ihre neuen Partnerschaften ein wichtiger Schritt waren, denn sie schützten die Vampire nicht nur vor der Sonne, sondern stellten ihnen auch einen Magier an die Seite, der sie beschützte. Aber nicht jeder Vampir hatte einen Partner gefunden und jetzt, da Serrier über die Allianz Bescheid wusste, würden die dunklen Magier ihre Taktik anpassen und neue Flüche entwickeln, die für die Vampire gefährlich werden konnten.

Jean schaffte es, die ersten beiden Kapitel zu überfliegen. Dann wurden seine Gedanken von dem Mann abgelenkt, der neben ihm auf dem Bett lag und schlief. Er hatte nicht erwartet, Raymond so sehr zu vermissen. Das Blut und der magische Schutz, den es ihm gewährte – ja, er hatte damit gerechnet, dass ihm das fehlen würde. Aber nicht damit, auch den Mann selbst zu vermissen. Er hatte sich in den letzten Tagen mehr als einmal dabei ertappt, seine Gedanken mit dem Magier teilen zu wollen oder sich zu fragen, was Raymond wohl davon hielt. Wenn er ehrlich war, konnte er kaum glauben, den Magier erst seit zwei Wochen zu kennen. In dieser kurzen Zeit war Raymond – seine Nähe und die magische Verbindung zwischen ihnen – ein fester Bestandteil von Jeans Leben geworden. Sicher, er konnte auch ohne Raymond an seiner Seite überleben. Aber es fühlte sich an, als würde ihm etwas Grundlegendes fehlen, als wären seine Sinne irgendwie abgestumpft. Jetzt, wo Raymond wieder in Paris war, wurde alles wieder klar und der Schleier vor Jeans Augen lüftete sich. Jean redete sich ein, dass seine Reaktion lächerlich wäre, aber er konnte sie nicht ignorieren.

Er legte das Buch zur Seite. Dann ging er zum Bett und setzte sich auf die Bettkante, um den dunkelhaarigen Magier zu betrachten. Jean konnte die braunen Augen nicht sehen, weil Raymond schlief. Aber er konnte sie sich gut vorstellen. Er konnte sich vorstellen, wie sie sich langsam öffneten, wie sich die schmalen Lippen zu einem Lächeln verzogen und Raymond die Hand hob …

Bevor er es verhindern konnte, hatte die Vorstellung von ihm Besitz ergriffen. Er hob selbst die Hand, um Raymond über den Kopf zu streicheln. Nur Zentimeter von den dunklen Haaren entfernt hielt er inne. Er kämpfte mit sich selbst. Auf der einen Seite stand sein Wissen um die magischen Ursachen ihrer Verbindung, auf der anderen das unstillbare Verlangen, diesen Mann für sich zu beanspruchen. Jean hatte nicht mehr getrunken, seit er Réunion verlassen hatte. Er sollte halb verhungert sein und gierig nach dem nächsten Schluck Blut. Achtundvierzig Stunden waren kein Problem. Zweiundsiebzig Stunden ließen sich aushalten. Aber er hatte schon seit neunzig Stunden nicht mehr getrunken, und trotzdem waren die Konsequenzen ausgeblieben. Sicher, er hatte Durst, aber er war lange nicht so geschwächt, wie es unter normalen Umständen zu erwarten gewesen wäre. Jean wusste, dass Raymond ihn trinken lassen würde, sobald er aufwachte. Raymond hatte es ihm ja schon davor angeboten, aber das hatte Jean ihm nicht zumuten wollen. Jean hatte Raymonds Vertrauen nicht missbrauchen wollen. Es hätte ihm sehr schwerfallen sollen, Raymonds Angebot abzuschlagen. Aber das war nicht der Fall gewesen, im Gegenteil – er saß geduldig hier bei seinem Magier auf dem Bett und wartete ab, bis sein Partner wieder aufwachte.

Als hätte Raymond Jeans Gedanken lesen könnten, blinzelte er und öffnete die Augen. Er schaute Jean überrascht an und konnte kaum glauben, was er sah. Raymond hatte in den vergangen zwei Wochen oft davon geträumt, Jean beim Aufwachen an seiner Seite vorzufinden. Aber das waren Träume geblieben. „Träume ich?”, fragte er verschlafen.

Jean schüttelte den Kopf. „Nein, du bist wach.”

„Ich war mir nicht sicher”, murmelte Raymond im Halbschlaf. „Ich habe geträumt …” Er verstummte, als er erkannte, was er Jean beinahe verraten hätte. Kopfschüttelnd hielt er dem Vampir seinen Arm hin. „Du solltest jetzt trinken.”

Jean griff nach Raymonds Hand, hob sie aber nicht zum Mund. Sein Blick war auf den pochenden Puls am Hals seines Partners gerichtet. Jean wollte den Mund auf diese Stelle legen und seine Zähne in Raymonds Hals schlagen, aber dazu war er nicht eingeladen worden und er wollte den fragilen Waffenstillstand nicht gefährden, der zwischen ihnen herrschte. Er sehnte sich danach, durch seinen Vampirkuss mehr über Raymond zu erfahren, doch damit hätte er den Frieden zwischen ihnen aufs Spiel gesetzt. Raymond schien das Verlangen in Jeans Blick erkannt zu haben, denn er sah ihm in die Augen. Dann legte er langsam, sehr langsam, den Kopf zur Seite. Tausend Jahre Erfahrung als Vampir, tausend Jahre, in denen er sich vom Blut seiner Opfer ernährt hatte, hätten Jean nicht auf diesen Augenblick vorbereiten können. Raymonds Angebot hätte eine Selbstverständlichkeit sein sollen, die Jean nicht sonderlich überraschte. Seit seiner Umwandlung zum Vampir hatte er solche Momente schon öfter erlebt, als er zählen konnte. Immer wieder hatten ihm Sterbliche – ob wissentlich oder nicht – ihren Hals zum Biss angeboten. Vermutlich war es Raymonds bisheriges Zögern, das dieses erste Mal zu einer solchen Versuchung machte. Jean musste ein Lachen unterdrücken. ‚Zögern’ war diplomatisch ausgedrückt. ‚Abscheu’ wäre die bessere Bezeichnung für Raymonds Verhalten gewesen. Vielleicht lag es daran, dass sein letzter Biss schon so lange zurücklag. Vielleicht lag es daran, dass die magische Natur ihrer Partnerschaft ihn so besitzergreifend machte. Was immer auch der Grund sein mochte, Jeans Hände zitterten unkontrollierbar, als er sich über seinen Partner beugte, um dessen Angebot anzunehmen.

Raymond lief eine Gänsehaut über den Rücken, als Jean sich über ihn beugte. Er kämpfte dagegen an, sich zu wehren und die Flucht zu ergreifen, weil er sich vorkam, als wäre er Jean in die Falle gegangen. Dann spürte er Jeans Lippen an seinem Hals und der Fluchtreflex verschwand von einer Sekunde zur nächsten wieder. Stattdessen legte er den Kopf noch weiter in den Nacken und entblößte seinen Hals für den Biss des Vampirs.

Jean hielt ungläubig inne. Eben noch hatte er Raymond versichert, dass es kein Traum wäre. Jetzt kam es ihm vor, als würde er selbst träumen und müsste sich zwicken, um aus seinem Traum aufzuwachen. Er holte tief Luft und kämpfte um die Selbstbeherrschung, die Raymonds unerwartetes Angebot ihm geraubt hatte. Sein Geruchssinn wurde von der Mischung aus Sand, Schweiß und Sandelholz überwältigt, die von Raymond ausging. Sorgfältig bereitete Jean der Hals seines Partners auf den Biss vor. Raymonds Puls klopfte verführerisch und seine Haut schmeckte salzig nach Schweiß oder Meer. Jean konnte es nicht genau bestimmen, aber es zog ihn immer mehr in Raymonds Bann, und nur das zählte für ihn. Er spürte Raymonds keuchenden Atem, der ihm die Haare aus dem Gesicht blies. Dann fühlte er die Hand des Magiers um seinen Kopf und wurde nach unten gezogen.

Jean gab jede Zurückhaltung auf. Seine Zähne fuhren aus, so schnell, dass es ihn schmerzte. Sie bohrten sich fast ohne sein Zutun in Raymonds Hals und er trank in tiefen Zügen von dem kostbaren Blut, überwältigt von der Intimität und dem Vertrauen, das Raymond ihm entgegenbrachte.

Der Biss war so schmerzhaft, wie Raymond immer befürchtet hatte. Doch der Schmerz hielt nicht lange an. So schnell, wie er gekommen war, verschwand er auch wieder. Er wurde von einem Gefühl der Verbundenheit ersetzt, wie Raymond es schon von Jeans früheren Bissen ins Handgelenk kannte, nur dass es diesmal viel tiefer und intensiver war. Er schloss die Augen, während Jean kräftig an seinem Hals saugte und ihm mit den Lippen über die Haut glitt. Der Hunger, den Jean seit zwei Tagen unterdrückt hatte, brach nun mit aller Macht über ihn herein. Raymonds Blut schmeckte heiß und war so komplex, wie der Mann selbst. Jean speicherte die Vielfalt der Geschmacksrichtungen, um sie später genauer zu analysieren. Im Moment war er viel zu gefangen in dem unvergleichlichen Erlebnis ihrer Vereinigung, um sich näher damit zu befassen. Nach einiger Zeit schob sich ein bestimmter Geschmack in den Vordergrund. Es war Raymonds Erregung, ein Gefühl, das Jean zu gut kannte, um es falsch zu interpretieren. Aber nachdem Raymond sich auf Réunion so ablehnend geäußert hatte, wollte Jean dieses Gefühl nicht weiter fördern. Raymond fiel es auch ohne diese zusätzlichen Probleme schon schwer genug, mit den Veränderungen in seinem Leben zurechtzukommen, die durch ihre Blutspartnerschaft ausgelöst worden waren. Daher beschränkte Jean sich darauf, seine eigenen Reaktionen unter Kontrolle zu behalten und alles zu tun, um ihre Beziehung nicht noch weiter zu belasten. Er hatte unerträglichen Hunger und sich durch seine Zurückhaltung in den letzten Tagen selbst gefährdet. Trotzdem wollte er Raymond jetzt nicht durch seine Maßlosigkeit erschrecken. Um das Beste für das Gelingen ihrer Allianz geben zu können, brauchte er den Schutz noch, den das Blut seines Partners ihm gewährte.

Jean presste sich wie ein Geliebter an Raymonds Körper und löste erotische Fantasien aus, die den Magier vor Sehnsucht und Begehren erschauern ließen. Während ihrer Trennung hatte Raymonds Unterbewusstsein sich mit den Tatsachen abgefunden, die sein Verstand immer noch ablehnte. Er krallte sich mit der Hand in Jeans Haaren fest und drückte ihn an seinen Hals, um ihn zu ermuntern, mehr und tiefer zu trinken. Jeans Zähne lösten eine Erregung in ihm aus, die ihn unruhig werden ließ. Er schlängelte sich unter Jeans Körper hin und her und tastete mit der anderen Hand suchend nach der des Vampirs. Als er sie fand, griff er zu und verschränkte ihrer Finger miteinander, während Jean seinen Hunger nach Blut befriedigte.

Bei jedem anderen Menschen hätte Jean das als untrügliches Signal aufgefasst, über das Trinken hinaus zu erfreulicheren Aktivitäten überzugehen. Die zunehmende Erregung, die er in Raymonds Blut schmecken konnte, verstärkte dieses Bedürfnis noch zusätzlich. Aber er war nicht zum Chef de la Cour aufgestiegen, indem er seinen Bedürfnissen nachgab. Raymond war nicht ein beliebiger Fremder, den er in einem der Clubs aufgegabelt oder für den er im Sang Froid bezahlt hatte. Er war Jeans Partner, sein Schutz gegen das Sonnenlicht und sein Verbündeter in diesem Krieg. Außerdem hatte Jean in den letzten beiden Wochen gelernt, Raymond zu respektieren, denn hinter dem gut aussehenden Äußeren und dem manchmal so abweisenden Verhalten des Magiers verbargen sich profundes Wissen und ein starker Charakter. Darum hielt Jean sich zurück. Er stützte sich mit einer Hand über dem Magier ab, um sich nicht allzu fest an ihn zu drücken, während er die andere in Raymonds Hand ruhen ließ. Jean war überzeugt, das Richtige zu tun, aber das konnte die Versuchung nicht mindern, der Raymond ihn durch seine Nähe und sein heißes Blut aussetzte. Jean hatte schon genug getrunken, um den Hunger der letzten Tage zu stillen. Jetzt wollte er Raymonds Erfüllung schmecken. Er würde wahrscheinlich nie erfahren, wie es war, den Magier zu lieben, würde sich wahrscheinlich immer auf Momente wie diesen beschränken müssen. Aber wenigsten dieses Mal wollte er Raymond zeigen, welche Freuden der Kuss eines Vampirs bereiten konnte. Jean war selbstsüchtig genug, um zu hoffen, dass es Raymonds Lust nach mehr weckte und sie – unabhängig von den Erfordernissen ihrer Allianz – vielleicht in Zukunft auch persönlich Freude daran finden konnten.

Raymond spürte sofort, dass Jeans Biss eine neue Dimension bekam, auch wenn er nicht sagen konnte, was passiert war. Die Zähne des Vampirs bohrten sich noch genauso tief in seinen Hals und er saugte noch genauso gierig, aber alles hatte sich verändert. Plötzlich schien Raymonds Genuss im Mittelpunkt zu stehen und er wollte mit dem Kopf schütteln, wollte Jean erklären, dass es nicht nötig wäre. Aber er wusste nicht mehr, was ‚es’ eigentlich war. Jean hatte nicht nur der Allianz wegen vier Tage nicht getrunken. Sie hatten vereinbart, dass Jean sich diskret verhalten würde, wenn er von einem anderen Menschen trank. Niemand hätte dem Vampir daraus einen Vorwurf gemacht, schon gar nicht, so lange Raymond sich auf einem anderen Kontinent aufhielt. Raymond selbst wäre der Letzte gewesen, der dafür kein Verständnis gehabt hätte. Die Allianz war auch nicht der Grund, warum Jean Raymonds Hand hielt und zärtlich drückte. Vielleicht gehörte es zu der Verbindung, die sich durch die Macht der Magie zwischen ihnen entwickelt hatte. Aber die hatte schon früher auf sie eingewirkt, noch bevor sie auf der Insel mehr über ihre Wirkung herausgefunden hatten. Diese Macht wirkte schon auf sie ein, seit Jean ihn das erste Mal gebissen hatte. In diesem Moment leckte Jean ihm über die Haut, direkt unter den Zähnen, die immer noch tief in seinem Hals versenkt waren. Raymond konnte nicht mehr klar denken. Nur eine letzte Erkenntnis schoss ihm noch durch den Kopf, bevor er die Beherrschung über seine Sinne verlor: Jean wollte ihn lieben.

Mit einem letzten Seufzer kam Raymond zum Höhepunkt. Er klammerte sich an Jeans Hand und Haaren fest, bog den Rücken durch und presste sich an ihn, dann schlugen die Gefühle über ihm zusammen und er fiel aufs Bett zurück. Verwirrt versuchte er, seine Gedanken zu sortieren und seine Reaktion zu analysieren. Aber er konnte sich nicht konzentrieren. Das Einzige, was er fühlte, war Jeans Zunge, die ihm zärtlich über die Bisswunden am Hals fuhr.

„Köstlich.”

Dieses eine Wort, fast liebevoll geflüstert, brach den Bann. Raymond wäre vor Scham am liebsten in der Matratze versunken und wurde rot, als er den feuchten Fleck spürte, der sich auf seiner Hose ausbreitete. Er zog eine verärgerte Grimasse, setzte sich auf und murmelte einen Spruch vor sich hin, um die Spuren seines Fehltritts wieder zu beseitigen. Die Zufriedenheit in Jeans Miene machte ihn nur noch ärgerlicher und er flüchtete sich, wie es seine Art war, in wissenschaftliche Distanz. „Nach allem, was ich gelesen habe, hätte ich nicht erwartet, dass ein Vampir vier Tage auf Blut verzichten kann.”

Jean unterdrückte einen resignierten Seufzer und ging auf den Themenwechsel ein. Er war davon genauso überrascht worden wie Raymond. Er hätte zwar nicht viel länger auf Raymonds Rückkehr warten können, aber es hatte ihn dennoch überrascht, dass er die vier Tage überhaupt durchgehalten hatte. „Normalerweise können wir das auch nicht”, stimmte er Raymond zu. „Zwei Tage, vielleicht auch drei, sind in der Regel die Grenze. Ich kann es mir nicht erklären. Möglicherweise hat Orlando recht. Er hat mir erzählt, dass er nach dem ersten Schluck von Alains Blut so satt gewesen wäre, als hätte er einen anderen Menschen komplett ausgesaugt. Damals habe ich mir nichts dabei gedacht. Später habe ich es auf den Aveu de Sang zurückgeführt, der ihm eines Tages erlauben wird, länger ohne Blut durchzuhalten als wir alle. Aber vielleicht hat es doch mit dem magischen Bund zu tun. Der Aveu de Sang verhindert nur, dass Orlando zu viel trinkt und davon krank wird. Theoretisch kann er jeden Tag so viel trinken wie er will, ohne seinen Avoué zu gefährden. Für die anderen Partnerschaften sollte das – normalerweise zumindest – nicht zutreffen. Andererseits haben sie sich in keiner Weise so entwickelt, wie wir es vermutet hatten. Vielleicht beschützt dein Blut mich nicht nur vor dem Sonnenlicht, sondern ernährt mich auch länger, sodass ich nicht mehr so oft trinken muss.”

Raymond dachte darüber nach. „Wir können uns nicht erlauben, diese Vermutung zu testen”, sagte er nach einigen Minuten. „Ich weiß nicht, was mit einem Vampir passiert, der zu lange hungert. Ich will nicht riskieren, dass jemand durch einen Versuch ernsthaft geschwächt wird.”

„Es ist wie bei einem Auto, wenn das Benzin ausgeht”, erklärte Jean. „Wenn der Vampir schnell genug frisches Blut bekommt, ist es kein Problem und er erholt sich rasch wieder. Aber wenn er zu lange wartet, fällt er in eine Art Winterschlaf. Dann kann er nur noch durch das Blut eines anderen Vampirs wieder geweckt werden, der seiner Linie entstammt.”

„Seiner Linie?”, wollte Raymond wissen.

„Vampire haben keine Familien wie die Sterblichen. Wir haben nur eine Art Abstammungslinie, die auf den Vampir, der uns geschaffen hat, und auf dessen Schöpfer zurückgeht. Ich bewahre die Stammbäume auf, habe mich damit aber noch nie genauer befasst. Wenn du mehr wissen willst, müsstest du dich an Monsieur Lombard wenden. Für uns spielt diese Information keine große Rolle, solange wir jederzeit trinken können. Nur für einen Vampir wie Orlando, der nur von einem Menschen trinken kann, könnte es wichtig werden. Oder für einen Vampir, der eingeschlossen und ausgehungert wird.”

Raymond lächelte. „Hoffentlich finde ich gelegentlich Zeit, der Frage nachzugehen. Ich setzte es auf jeden Fall auf die Liste der Themen, die ich nach dem Krieg, wenn wir wieder ein normales Leben führen können, erforschen will.”

Jean sah ihn verblüfft an, fasste sich dann aber doch ein Herz. „Du willst dich auch nach dem Krieg noch mit Vampiren befassen?”, fragte er.

Raymond wandte verlegen den Blick ab. Ihm war immer noch peinlich, was zwischen ihnen vorgefallen war. Doch dann siegte seine Ehrlichkeit. „Wenn meine Neugier erst geweckt ist, bin ich sehr beharrlich.”

3

 

 

„DU WILLST mir doch nicht sagen, dass du ihr vertraust!”, rief Thierry.

„Nicht blind”, versicherte ihm Marcel. „Aber das heißt nicht, dass sie nicht doch die Wahrheit sagen könnte.”

„Findest du es nicht auffällig, dass sie genau zwei Tage nach Bekanntgabe der Allianz und zwei Tage vor dem Rite d’équilibrage aufgetaucht ist?”, wollte Alain wissen.

„Ich finde es sogar sehr auffällig”, stimmte Marcel ihm zu. „Aber auch das heißt nicht, dass sie lügen muss. Du hast es auch unglaubwürdig gefunden, als Raymond sich von Serrier lossagte und zu uns gekommen ist. Erinnerst du dich? Und ohne Raymonds Hilfe wären wir nicht ansatzweise so weit, wie wir es jetzt sind.”

Weder Alain noch Thierry waren allzu glücklich über Marcels Argument, konnten ihm aber auch nicht widersprechen. „Was tun wir also?”, fragte Alain. „Sie aufnehmen, ihr einen Partner suchen und riskieren, dass sie alles an Serrier verrät?”

„Ich bin optimistisch, nicht naiv”, erwiderte Marcel. „Wir können sie einer Einheit zuweisen, die nachts auf Patrouille geht. Wir informieren die anderen, dass sie nicht mit ihr über die Details der Allianz sprechen sollen. Sie wird sehen, wie die Vampire mit uns arbeiten und kämpfen, aber sie wird nicht erfahren, wie es funktioniert.”

„Es gibt Möglichkeiten, in Erfahrung zu bringen, ob sie die Wahrheit sagt”, erinnerte Jean die Anwesenden. „Wenn Antonio oder Blair oder einer der anderen Vampire ohne Partner sie beißt, wissen wir sofort, ob sie ehrlich war oder nicht.”

„Und wenn sie nicht ehrlich war, weiß sie nach dem Biss mehr über die Funktionsweise der Allianz, als Serrier jemals erfahren darf”, bemerkte Thierry.

„Dann sagen wir ihr eben nicht, warum er sie beißt”, schlug Jean vor. „Ihr könnt sie auch mit einer Beschwörung belegen, so wie ihr es bei Dominique Cornet auf dem Gare de Lyon gemacht habt.”

„Damit würden wir ihr verraten, dass wir ihr nicht vertrauen. Wenn sie ehrlich ist, spielt das keine Rolle. Aber wenn sie eine Spionin ist, weiß sie sofort, dass wir etwas zu verbergen haben. Wir müssen ihr irgendeine Erklärung geben, bevor jemand sie beißen kann”, warf Raymond ein. „Sie wird nicht einfach ihren Arm ausstrecken, ohne dass wir ihr einen Grund dafür nennen.”

Jean lachte leise. „Nein, das kann ich mir auch nicht vorstellen. Aber vor der Allianz mussten wir alle Opfer finden, und wir haben willige Opfer bevorzugt, weil ihr Blut süßer schmeckt. Antonio kann sehr überzeugend sein, wenn er es will.”

„Holt ihn”, befahl Marcel. „Wir werden mit ihm reden. Wenn er dazu bereit ist, werden wir ihn Monique vorstellen.”

Einige Minuten später traf Antonio ein und Marcel erklärte ihm die Situation. „Wir haben eine Magierin, die uns um Schutz gebeten hat. Sie sagt, sie habe Serrier verlassen, weil der einen Vampir aufgenommen hat, der Menschen tötet. Das wussten wir bereits. Aber sie behauptet, die Grausamkeit des Vampirs habe sie dazu getrieben, Serrier zu verlassen. Der Zeitpunkt scheint uns etwas … verdächtig zu sein. Wir müssen wissen, ob sie die Wahrheit sagt und vertrauenswürdig ist. Jean hat vorgeschlagen, dich um Hilfe zu bitten.”

Antonio nickte. „Wenn sie erlaubt, dass ich sie beiße, kann ich euch sagen, was ich in ihrem Blut schmecke.”

„So einfach ist die Lage nicht”, mischte sich Jean ein. „So lange wir nicht wissen, ob sie ehrlich ist, wollen wir sie nicht in unsere Methoden einweihen. Wir können ihr nicht verraten, warum du sie beißen willst.”

„Wir wollen nicht, dass sie erfährt, dass es mit der Allianz zu tun hat”, fügte Marcel hinzu. „Sie darf es nicht mit uns in Verbindung bringen.”

Antonio nickte erneut. „Das geht. Es dauert vielleicht etwas länger; vor allem dann, wenn sie wegen dem Gesetzlosen Angst vor Vampiren hat. Aber ich werde es in Erfahrung bringen. Wo finde ich sie?”

„Im Untergeschoss”, antwortete Alain. „Wir haben dort Schlafräume für Notfälle. Wir haben ihr gesagt, dass sie hier sicherer ist als zuhause, weil Serrier nach ihr suchen wird, wenn er von ihrer Desertion erfährt. Ich weiß nicht, ob sie uns glaubt. Aber sie konnte das Angebot schlecht ablehnen, ohne ihre eigene Geschichte unglaubwürdig zu machen. Schließlich hat sie uns selbst um Schutz gebeten.”

„Wenn mich jemand zu ihr bringt, kann ich ihr mein Mitgefühl aussprechen. Wir sind beide dort unten gefangen – sie aus Angst vor Serrier, ich aus Angst vor der Sonne. Es wird sowieso bald hell und ich hätte es nicht mehr nach Hause geschafft. Das gibt mir den perfekten Grund, ihr Gesellschaft zu leisten.”

„Gut”, entschied Marcel. „Berichte uns anschließend, was du erfahren hast. Wir müssen in der Zwischenzeit die kommende Schlacht und das Rite d’équilibrage vorbereiten.”

„Dann mache ich mich jetzt auf den Weg”, sagte Antonio, stand auf und ging zur Tür.

„Ich bringe dich zu ihr”, bot Sebastien an und erhob sich ebenfalls. „Ich bin hier sowieso keine große Hilfe mehr und es sieht nicht so verdächtig aus, wenn wir ihr zu zweit ‚zufällig’ begegnen. Außerdem kennt sie mich noch nicht.”

Thierry runzelte die Stirn und fragte sich eifersüchtig, ob Monique Sebastien wohl attraktiver finden würde als Antonio. Bevor er den Gedanken zu Ende bringen konnte, lächelte Sebastien ihn an und streichelte ihm über den Hals. „Ich komme zurück, sobald die beiden sich getroffen haben.”

Thierry wusste, dass er und Sebastien sich nichts versprochen hatten, konnte seine Erleichterung allerdings dennoch nicht verbergen. Er wollte den Vampir mit niemandem teilen. Er warf Alain, der ihn feixend angrinste, einen bösen Blick zu, musste seinem besten Freund aber insgeheim recht geben.

„Die Partnerschaften scheinen sehr … intensiv zu sein”, meinte Antonio nachdenklich, als sie sich durch die verwinkelten Korridore auf den Weg zu Monique machten, die noch auf Marcels Entscheidung wartete.

„Das sind sie”, bestätigte Sebastien. „Nur die Beziehung zu meinem Avoué war damit vergleichbar.”

„Ich hatte auch gehofft, einen Partner oder eine Partnerin zu finden. Aber bisher hatte ich kein Glück”, sagte Antonio leise. „Ich komme mir vor, als würde ich Jean im Stich lassen.”

Sebastien zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass du uns jetzt nicht mehr helfen könntest, wenn du einen Partner hättest. Die Verbindung ist nicht so exklusiv wie ein Aveu de Sang. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, von einem anderen zu trinken. Dazu müsste ich schon in einer sehr großen Notlage sein. Ich will kein fremdes Blut mehr schmecken, obwohl ich es noch trinken kann. Du solltest die Hoffnung nicht aufgeben. Ich weiß nicht, ob du schon davon gehört hast, dass der Chef de la Cour von Amiens vor wenigen Tagen hier seine Partnerin gefunden hat. Wenn die Allianz noch mehr Verbündete bekommt, ist vielleicht auch der richtige Magier für dich dabei.”

„Ich habe davon gehört”, erwiderte Antonio, als sie im Untergeschoss ankamen. „Wo ist mein Zielobjekt?”

Sebastien zeigte ans Ende des Ganges. „Die letzte Tür links.”

Antonio grinste verwegen. „Ich glaube, ich muss mich etwas ausruhen. Ich melde mich, sobald ich mehr erfahren habe.”

„Pass auf dich auf”, warnte ihn Sebastien und stieg wieder die Treppe hinauf ins Erdgeschoss. „Selbst wenn sie ehrlich bereut – sie hat zwei Jahre lang an Serriers Seite gekämpft.”

„Ich werde auf der Hut bleiben”, versprach Antonio. Dann ging er durch den Flur zu der Tür, hinter der die dunkle Magierin wartete. Er öffnete sie schwungvoll und trat ein, als würde er ein leeres Zimmer erwarten. „Oh, das tut mir leid”, entschuldigte er sich dann. Vor ihm stand eine vollbusige Frau mit langen, dunklen Haaren. „Ich wusste nicht, dass sich hier unten noch jemand aufhält. Ich habe nur einen Platz zum Schlafen gesucht, weil ich vor Sonnenuntergang nicht aus dem Haus kann.”

Monique drehte sich zu ihm um und verbarg ihre Nervosität hinter der stoischen Fassade, die sie in der Gesellschaft von Serriers Halsabschneidern gelernt hatte. Sie wusste sehr wohl, dass Äußerlichkeiten trügen konnten. Das hielt sie allerdings nicht davon ab, die Latino-Schönheit des Mannes anerkennend zu mustern. Er hatte dunkle Haare, dunkle Augen, helle Haut und die leise Andeutung eines spanischen Akzents. Mit seinem muskulösen, hochgewachsenen Körper war er alles, was eine Frau sich in einem Mann wünschen konnte.

„Du musst einer der Vampire sein”, stellte sie fest. Serrier hatte ihr aufgetragen, so viel wie möglich über die Allianz und die Vampire in Erfahrung zu bringen, egal, mit welchen Mitteln. Sie wusste nicht, ob Vampire an fleischlichen Genüssen interessiert waren – abgesehen von ihrem Appetit nach Blut –, doch Monique hatte keine Hemmungen, es herauszufinden. Chavinier schien ihr noch nicht zu vertrauen, was sie nicht überraschte. Aber sie war nicht auf ihn angewiesen, um an Informationen zu kommen. Vielleicht war der Vampir, der so überrascht vor ihr stand und hier offensichtlich nicht mit ihr gerechnet hatte, sogar der geeignetere Informant. Er wusste nichts über sie und war deshalb nicht so misstrauisch wie Chavinier. „Ich bin froh, dass ihr euch dem Kampf gegen Serrier angeschlossen habt.”

Antonio ließ sich keine Reaktion anmerken auf ihren plumpen Versuch, sein Vertrauen zu erlangen. Er musste ihr Blut nicht schmecken, um sie zu durchschauen. Aber er wollte ihr Spiel noch etwas länger mitmachen und sie, sollte sich die Gelegenheit ergeben, beißen, um seine Einschätzung der Lage zu bestätigen. „Es scheint mir in unserem besten Interesse zu sein, Serrier nicht gewinnen zu lassen”, stimmte er ihr zu. Es war die Wahrheit und bestätigte nur das, was Jean schon in aller Öffentlichkeit mitgeteilt hatte.

„Dann machst du dir bestimmt wegen der Sonne Sorgen”, bohrte sie nach und winkte ihn ins Zimmer. „Wenn sie dich im Freien überrascht …” Sie sah auf ihre Armbanduhr und lenkte damit seinen Blick auf ihren schlanken Arm, den sie unter ihren wohlgeformten Busen hielt.

„Wir sind keine Frischlinge”, erwiderte Antonio und kam ins Zimmer. „Wir gehen dem Sonnenlicht schon seit Jahren aus dem Weg, einige von uns sogar seit vielen hundert Jahren. Wir können auf uns aufpassen.”

Monique lächelte, aber in ihren Augen lag eine grausame Befriedigung. Sie ahnte nicht, wie leicht ihre Fassade für jemanden zu durchschauen war, der das Jeu des Cours beherrschte. In Gedanken freute sie sich schon, Serrier berichten zu können, dass die Vampire bei Sonnenaufgang immer noch verwundbar waren und das Kampfgeschehen verlassen mussten. „Und die Magie?”, hakte sie nach. „Macht ihr euch keine Sorgen um die Wirkung ihrer Flüche?”

„Wir kämpfen nicht allein”, antwortete Antonio ausweichend und ging einen Schritt auf sie zu. „Wir haben Magier an unserer Seite, die die Flüche neutralisieren oder erwidern können.” Als die Frau nicht vor ihm zurückwich, lächelte er sie gewinnend an und streckte die Hand aus. „Ich heiße übrigens Antonio.”

„Monique Leclerc”, erwiderte sie und reichte ihm die Hand. Anstatt sie zu schütteln, hob Antonio sie an die Lippen. Er verbeugte sich galant und gab ihr einen Handkuss. Monique konnte die prickelnde Erregung nicht verhindern, die sie bei seiner Geste durchfuhr.

Antonio ließ ihre Hand nicht los und zog Monique mit sich zu der kleinen Couch, die an der gegenüberliegenden Wand stand. „Und warum bist du hier?”, fragte er scheinbar ahnungslos. „Ich habe hier unten bisher nur Vampire angetroffen.”

„Bist du oft hier?”, wich Monique mit einer Gegenfrage aus. Sie wollte mit einem Unbekannten nicht über ihre Lage reden, solange noch alles in der Schwebe hing.

Antonio zuckte mit den Schultern. „Ab und zu”, sagte er und streichelte ihr mit dem Daumen über den Handrücken. Es war der Beginn jener subtilen Verführung, mit der er seine Opfer dazu brachte, ihn von ihrem Blut trinken zu lassen.

Monique zuckte bei der unerwarteten Berührung zusammen. Antonio summte beruhigend, bis sie sich wieder entspannte. Monique erinnerte sich daran, dass sie alle Mittel einsetzen musste, um Serrier die begehrten Informationen zu beschaffen. Sonst hatte sie andere Sorgen als einen Vampir, der sich für sie zu interessieren schien.

Antonio wunderte sich nicht über Moniques erschrockene Reaktion auf seine Annäherungsversuche. Sicher, sie war attraktiv und musste es gewöhnt sein, das Interesse von Männern zu erwecken. Aber hier, im Hauptquartier der feindlichen Milice und mit einer ungewissen Zukunft, die in Marcels Händen lag, hatte sie wahrscheinlich nicht damit gerechnet. Antonio erkannte natürlich, dass ihre Nachgiebigkeit nicht ehrlich gemeint war und sie nur ihren Auftrag erfüllen wollte. Doch das konnte er ihr nicht vorwerfen, denn seine Motivation war genauso eigennützig.

„Dann bist du also jede Nacht hier?”, fragte sie beharrlich. „Im Hauptquartier der Milice, meine ich.”

Antonio beugte sich lächelnd zu ihr herab. „Das könnte ich sein”, schnurrte er ihr ins Ohr. „Wenn ich wüsste, dass du auch hier bist …”

Monique hätte ihn gerne in seine Schranken verwiesen, riss sich jedoch zusammen. Der Vampir konnte ihr Kontakte zur Milice vermitteln und – was noch wichtiger war – vermutlich auch Interna über die Allianz verraten. Sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, ihre weiblichen Reize einzusetzen, wenn sie sich Informationen beschaffen wollte. Die Situation war ihr nicht unbekannt. Sie lächelte freundlich und legte eine Hand auf sein Bein. „Das ließe sich vermutlich einrichten.”

Antonio hätte beinahe den Kopf geschüttelt. Kein Vampir würde sich jemals so offensichtlich verhalten. Aber sie hatte ihm die Gelegenheit geboten und er nutzte sie. Er senkte den Kopf und fuhr ihr mit den Lippen über die Haare. Als sie sich seiner Annäherung nicht entzog, ließ er den Mund nach unten gleiten und küsste sie auf den Hals. Sie legte den Kopf in den Nacken und er ließ sie seine Zunge spüren. Ihr Atem stockte. Ermutigt durch ihre Reaktion fuhr er mit den Zähnen über die Haut an ihrem Hals und kratzte sie leicht. Dann leckte er sich das Blut von den Zähnen.

Zwei Eindrücke stürmten auf ihn ein: Ihr falsches Spiel und das Gefühl, von ihrer Magie umhüllt und beschützt zu werden. So hatten die anderen Vampire die Wirkung des Blutes ihrer Partner beschrieben. Schnell zog Antonio sich zurück und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich wäre kein guter Gastgeber, wenn ich dir nichts anbieten würde. Möchtest du etwas essen? Eine Flasche Wein vielleicht? Ich bin mindestens noch bis Sonnenuntergang hier.”

„Ich habe etwas Hunger”, gestand Monique geziert. „Soll ich dich begleiten?”

„Nein, das ist nicht nötig”, lehnte Antonio ab. „So schnell kannst du gar nicht schauen, dann bin ich auch schon wieder zurück.”

Monique schmollte. Aber was bei anderen Männern unfehlbar wirkte, schien den Vampir nicht zu beeindrucken. „Dann beeile dich.”

„Das werde ich”, versprach er und verließ das Zimmer. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss. Er war unschlüssig. Er konnte sie nicht als Partnerin akzeptieren, solange alles, was sie taten und sagten, an Serrier weitergegeben würde. Aber das änderte nichts an der unvorstellbaren Tatsache, dass sie seine Partnerin war. Er brauchte sie, wenn er seinen vollen Beitrag für die Allianz leisten wollte.

Antonio kannte seine Loyalität, auch wenn er sich nichts mehr wünschte, als endlich wieder das Sonnenlicht zu erleben. Er warf einen letzten, sehnsuchtsvollen Blick auf die geschlossen Tür. Dann stieg er die Treppe hinauf und machte sich auf den Weg zu seinen Freunden.

„Das ging aber schnell”, meinte Marcel, als Antonio das Zimmer betrat. „Konntest du herausfinden, was wir wissen müssen?”

„Ja. Sie ist eine Spionin”, berichtete Antonio pflichtgemäß. „Ich musste sie nicht erst beißen, um unseren Verdacht zu bestätigen. Ihre Gefühle sind eindeutig. Ihre Verachtung, ihre Lügen und ihre Berechnung haben sie verraten.”

„Merci”, bedankte sich Marcel. „Jetzt müssen wir nur noch entscheiden, was wir mit ihr machen.”

„Mit ihr machen?”, wollte Antonio wissen. Die Frau würde ihn zerstören, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Trotzdem hatte er das lächerliche Bedürfnis, sie in Schutz zu nehmen. Obwohl er die Skrupellosigkeit in ihrem Blut geschmeckt hatte, konnte er nicht vergessen, dass sie seine Partnerin war. Den anderen gegenüber erwähnte er das allerdings nicht. Es hatte mit ihrer gegenwärtigen Diskussion nichts zu tun und auch keine Auswirkung auf sein eigenes Verhalten – Antonio würde niemals zu Serrier überlaufen –, deshalb mussten sie es nicht erfahren.

„Wir könnten sie wegen Verschwörung ins Gefängnis werfen lassen. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob wir es ihr nachweisen können”, meinte Thierry. „Oder wir können sie mit falschen Informationen versorgen und versuchen, Serrier damit in die Irre zu führen.”

„Er fragt sich wahrscheinlich, wo wir das Rite d’équilibrage durchführen wollen”, überlegte Alain. „Vielleicht könnten wir ihm einen falschen Ort zuspielen.”

„Wenn er weiß, dass ich an dem Ritual teilnehme, dann weiß er auch, dass es in der Nähe von Wasser stattfindet”, warf Raymond ein.

„Dann müssen wir nur einen unterirdischen See außerhalb von Paris finden”, schlug Thierry vor. „Wir können Sicherheitsbedenken vortäuschen und ihn damit aus der Stadt locken. Es lenkt ihn zumindest von unserem tatsächlichen Zielort ab.”

„Was schlägst du vor?”, fragte Marcel.

„Der See in Saint-Léonard bietet sich an”, erwiderte Thierry. „Aber Serrier wird uns nicht abnehmen, dass wir uns die diplomatischen Verwicklungen angetan haben, nur um die Erlaubnis zu bekommen, das Ritual in der Schweiz durchzuführen. Es gibt auch in Frankreich passende Orte, beispielsweise die Grottes de Choranche.”

„Gibt es einen Grund, der gegen die Höhlen sprechen würde?”, fragte Jean neugierig.

„Sie sind offen für Besucher”, erklärte Thierry. „Aber unter diesen Umständen können wir sie wahrscheinlich für einen Tag schließen lassen.”

„Warum nicht die Grotte de Thaïs?”, schlug Alain vor. „Sie ist ab Mitte Oktober geschlossen und öffnet erst wieder im Frühjahr. Dort sind wir ungestört genug, um uns auf das Ritual konzentrieren zu können.”

„Es ist ja nicht so, dass wir die Höhle wirklich benutzen wollen”, mischte sich Sebastien ein.

„Nein”, stimmte Raymond zu. „Aber Serrier ist nicht dumm. Wenn unser Köder nicht glaubwürdig genug ist, wird er Lunte riechen.”