König der Turniere - Juliane Stadler - E-Book

König der Turniere E-Book

Juliane Stadler

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Beschreibung

König der Turniere| Opulentes Mittelalterepos Juliane Stadlers großer historischer Roman über gefährliche Ritterturniere, perfide Intrigen und verbotene Liebe »Ein historischer Roman, wie man ihn sich nur wünschen kann.« SWR über Juliane Stadlers Debütroman »Krone des Himmels« Die großen europäischen Königshöfe im 12. Jahrhundert: Der ehrgeizige Ritter Erec schafft es, ins königliche Turnier-Team Englands aufgenommen zu werden und verliebt sich in die geheimnisvolle Genovefa. Frankreich, 1181: Der junge und außergewöhnlich talentierte Ritter Erec hat eine Truppe mittelloser Lanzenreiter um sich versammelt. Mit halsbrecherischem Wagemut gelingt es ihnen, in die erfolgreichste Turniermannschaft ihrer Zeit aufgenommen zu werden. Bei Hofe trifft Erec die faszinierende Genovefa, der er schon einmal unter mysteriösen Umständen begegnet ist. Eine schicksalhafte Liebe bahnt sich an, die unbedingt geheim bleiben muss, denn Genovefa ist verheiratet. Eigentlich sollte Erec am Ziel seiner Träume sein, aber mit seinen treuen Weggefährten gerät er mitten in eine lebensgefährliche Intrige und wird zum Spielball der Mächtigen … Wer die Romane von Ken Follett und Rebecca Gablé mag, wird Juliane Stadler großartige und exzellent recherchierte Romane lieben. Die promovierte Historikerin Juliane Stadler lässt in ihren schwelgerischen Romanen Geschichte lebendig werden und katapultiert ihre Leser:innen mitten hinein ins Herz des Mittelalters. Das perfekte Geschenk für alle Fans historischer Romane, packender Lesestoff, mitreißend erzählt und hervorragend recherchiert. Juliane Stadler studierte in Heidelberg Frühgeschichte, Archäologie und Alte Geschichte und promovierte über keltische Bestattungssitten. Mit ihrem Debüt »Krone des Himmels«, das mit dem Silbernen Homer ausgezeichnet wurde, gelang ihr auf Anhieb ein SPIEGEL-Bestseller. Zusammen mit ihrem Mann und zwei Söhnen lebt sie in der Domstadt Speyer.

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Für Jörg, meinen besten aller Ritter

 

© Piper Verlag GmbH, München 2023

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Covergestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign

Covermotiv: Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von shutterstock.com

 

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Zitat

Frankreich 1180

Stammbaum

Prolog

Buch I

Amateure

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Buch II

Profis

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Buch III

Champions

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Buch IV

Legenden

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

Kapitel 98

Kapitel 99

Kapitel 100

Kapitel 101

Kapitel 102

Kapitel 103

Kapitel 104

Kapitel 105

Kapitel 106

Kapitel 107

Kapitel 108

Kapitel 109

Kapitel 110

Kapitel 111

Kapitel 112

Kapitel 113

Epilog

Historisches Nachwort

Danksagung

Dramatis Personae

Glossar/Begriffserklärungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Literaturverzeichnis

We can be Heroes, just for one Day

David Bowie (1947–2016)

 

 

Prolog

Grafschaft Champagne, Mai 1181

»Hättest du die Güte, dir heute beim Turnier endlich den Hals zu brechen?«, erkundigte Richard sich bei seinem älteren Bruder und ließ es wie einen Scherz klingen.

Henri lachte, streifte die Handschuhe über und prüfte ein letztes Mal die Riemen und Gurte am Sattel seines Hengstes.

»Heute nicht, Bruderherz. Marguerite würde es mir übel nehmen, fürchte ich.«

Richard zog eine Grimasse. »Frauen kann man es wirklich nie recht machen.«

Wieder lachte Henri und zog sich auf den Pferderücken.

Sobald Henri Plantagenêt den Helm auf den Kopf setzte und auf sein Ross stieg, ging eine erstaunliche Verwandlung mit ihm vor. Er schien über den Menschen, der er war, hinauszuwachsen, wurde groß und strahlend und unvermeidlich wie die aufgehende Sonne. Seine Stimme klang entschlossener, sein Lachen ausgelassener, in seiner Haltung lagen mit einem Mal eine ganz selbstverständliche Stärke und Sicherheit, die sich auf alle in seiner Nähe übertrug.

Es war faszinierend und beunruhigend zugleich.

Richard kehrte an den Rand des Gefechtsplatzes zurück und beobachtete, wie die Turniermannschaft seines Bruders Aufstellung nahm und der Junge König die Männer mit leuchtenden Augen und ausladenden Gesten auf das bevorstehende Kampfspiel einschwor. Stets an seiner Seite war der Marschall – sein Ratgeber, Mentor und Freund. Wenn Henri die Sonne war, dann war Guillaume le Maréchal der Mond. Und gemeinsam beherrschten sie den Himmel.

Nicht nur die Ritter hingen an Henris Lippen und ließen sich von seiner Begeisterung anstecken, auch die Menschen entlang des Turnierfeldes jubelten und skandierten seinen Namen oder den Schlachtruf Anjous. Das irritierende Funkeln, das Richard in ihren Blicken entdeckte, kam Verehrung nahe, vielleicht sogar Anbetung. Sie sahen Henri an wie einen wiedererstandenen Artus.

Doch es war nicht Eifersucht, die Richard bei dieser Erkenntnis verspürte, sondern Besorgnis.

 

Am nächsten Morgen fand für alle, die nach dem Turnier und der anschließenden Zecherei schon wieder auf den Beinen waren, eine Jagd statt.

Irgendwo in der Ferne hörte Richard die Hundemeute lärmen, die endlich einen Hirsch aufgespürt hatte und sich dem Wild mit begeistertem Gebell an die Fersen heftete. Ein Hornsignal rief die verstreute Jagdgesellschaft zusammen. Doch Graf Philipp von Flandern lenkte sein Pferd fort von dem Tumult in einen anderen Teil des Forstes und bedeutete seinen Begleitern mit einem Wink, ihm zu folgen.

Als sie ein lichtes Waldstück erreicht hatten und das Gebell und die Rufe der anderen zu einem fernen Wüten abgeklungen waren, zügelten sie ihre Reittiere und ließen sie im Schritt durch Heidekraut und Blaubeersträucher laufen. Richard Plantagenêt lenkte seinen Hengst an Philipps Seite. Eine Weile ritten sie schweigend nebeneinander. Die übrigen Begleiter hielten diskret Abstand.

Der Graf schien darauf zu warten, dass Richard das Wort ergriff. Natürlich. Er wollte sich die Möglichkeit offenhalten, im Zweifel alles als Missverständnis abzutun. Doch die Auswahl der Männer, die Philipp zu diesem heimlichen Treffen gebeten hatte, sowie Zeit und Ort ließen wenig Raum für Missverständnisse. Sie waren hier zusammengekommen, um Verrat zu begehen.

Richard nahm sich einen Augenblick, um den Grafen von Flandern von der Seite zu mustern. Ein attraktiver Mann von vierzig Jahren, dessen athletische Statur und große Hände erahnen ließen, dass man einen erprobten Kriegsmann und Turnierritter vor sich sah. Und wie Richard wusste, hatte Philipp sich nicht nur dem Kampf, sondern ebenso der Kunst verschrieben, beherbergte Dichter und Troubadoure an seinem Hof und griff gelegentlich selbst zur Feder. Das honigfarbene Haar und der kurze Bart waren tadellos gestutzt; er trug einen eleganten Bliaut aus lindgrünem Brokat, edel und teuer, aber nicht geckenhaft, darüber einen leichten Mantel sowie eng anliegende Handschuhe und Stiefel aus Hirschleder. Nicht zuletzt der florierende Woll- und Tuchhandel hatte den Grafen von Flandern märchenhaft reich gemacht. Mehr noch.

»Es heißt, Ihr habet abgelehnt, als man Euch die Krone des Königreichs Jerusalem antrug«, eröffnete Richard die Unterhaltung. »Verratet mir den Grund.«

»Ihr wart noch nicht dort, im Heiligen Land«, entgegnete der Graf, als sei das Erklärung genug.

»Nein, in der Tat.« Für einen Moment ballte Richard die Faust um die Zügel. Was war das hier? Überheblichkeit oder Provokation? Glaubte Philipp, sich aufgrund seines Alters oder Titels über ihn stellen zu können? »Während Ihr Euch im Heiligen Land aufgehalten habt, war ich damit beschäftigt, mich mit meinem königlichen Vater und meinen herzallerliebsten Brüdern auseinanderzusetzen oder die Aufstände in meinem Herzogtum niederzuschlagen.«

Philipp lächelte gönnerhaft. »Natürlich«, lenkte er ein. »Und mit der Einnahme von Taillebourg habt Ihr für Ruhe gesorgt.« Es wirkte beschwichtigend, aber noch etwas anderes schwang darin mit. Bevor Richard entscheiden konnte, was es war – Spott? Geringschätzung? –, verging der Moment, und der Graf richtete den Blick wieder nach vorn.

»Sagt mir, Richard, warum sollte ich meinen gut bestellten Boden hier gegen ein staubiges, heißes Land am anderen Ende der Welt eintauschen? Ein Land, das zwischen Christen und Heiden aufgerieben wird – sofern beide nicht gerade ihresgleichen die Köpfe einschlagen. Und kommt mir jetzt nicht mit dem Papst oder dem Willen Gottes!« Er hob abwehrend die Rechte. »Jeder weiß, ich bin ein gottesfürchtiger Mann, aber anders als im Fall meines Vaters oder Großvaters sind meine Interessen weit weltlicherer Natur als die Krone des Heiligen Landes.«

Was du nicht sagst. Auch wenn daran eigentlich nie Zweifel bestanden hatte, überraschte es Richard, wie freimütig der Graf diese Tatsache eingestand.

»Das Land, über das ich herrsche, reicht von der Küste des Nordmeers bis an die Spitze der Krondomäne. Ich bin Gebieter über den wichtigsten Handelsknoten des Abendlands, Reichsfürst des deutschen Kaisers und gleichzeitig einer der einflussreichsten französischen Kronvasallen. Das Königreich Jerusalem hat mir nichts zu bieten. Nichts, was ich nicht schon habe.«

»Und dennoch seid Ihr unzufrieden«, konstatierte Richard kühl.

Der Graf von Flandern blickte ihn mit einem herausfordernden Lächeln an, und in den blaugrauen Augen blitzte es. »Diesen Punkt haben wir gemeinsam, nicht wahr? Warum sonst wären wir hier?«

Kommen wir also endlich zur Sache. Richard richtete sich im Sattel auf und straffte die Schultern. Doch er würde den Teufel tun und weiterreden. Sie bewegten sich auf äußerst dünnem Eis, und Philipp sollte gefälligst den ersten Fuß in die Mitte setzen.

Nach einer kleinen Pause und einem wissenden Schmunzeln tat er ihm den Gefallen.

»Tatsächlich laufen die Dinge im Augenblick nicht … zufriedenstellend«, gab er zu und seufzte. »Seit ich vierzehn Jahre alt wurde und mein Vater mehr Zeit in Outremer als in seiner Grafschaft verbrachte, bin ich es gewohnt, meine Gefechte selbst zu schlagen, sei es auf dem Kampfplatz, beim Turnier oder auf dem Feld der Diplomatie. Und wie Ihr wisst, habe ich es stets verstanden, meine Interessen zu wahren.«

Richard nickte. Das ließ sich nicht bestreiten. Wenngleich die Mittel mitunter fragwürdig waren. So hatte Philipp seinen Rivalen, den Grafen Florens von Holland, gefangen genommen und so lange eingekerkert, bis der ihm völlig zermürbt schließlich für Zeeland huldigte und den flandrischen Kaufleuten Privilegien einräumte.

»Ich habe dem französischen Herrscherhaus und König Philippe Dieudonné stets zur Seite gestanden«, fuhr der Graf fort, »und alles getan, um ihm eine gute Ausgangsposition zu sichern, schon während sein Vater mit dem Tod rang.«

Ihm oder dir?

»Ich habe ihm meine Nichte Isabella anverheiratet, als Berater und Mentor gedient und bei seiner Krönung sogar das Zeremonienschwert getragen.« Ein Augenblick des Schweigens folgte, als erwarte er Lob oder Anerkennung. »Gott der Allmächtige hat mir eigene Kinder versagt. Daher habe ich es immer als meine Aufgabe begriffen, dem von ihm gesalbten Herrscher bestmöglich zu dienen, mit Hand und Herz.«

»Und für diese Selbstlosigkeit werdet Ihr dereinst den himmlischen Lohn erhalten«, beschied Richard liebenswürdig.

Philipp von Flandern stutzte kurz, dann lachte er, und es klang nicht unsympathisch. Als er sich wieder gefasst hatte, fuhr er unbeirrt fort. »Mein Platz war stets neben dem französischen König. Mit meiner Hilfe hat er sich von seiner gluckenhaften Mutter und ihren machtgierigen Brüdern losgesagt und den Weg zu einer selbstbestimmten Herrschaft eingeschlagen.«

»So selbstbestimmt, dass er sich schließlich auch von Euch abgewandt hat«, bemerkte Richard nicht ohne Spott. »Um seine Gunst meinem Vater und besonders meinem strahlenden Bruder zu schenken.« Henri, der den englischen Thron besteigen sollte und bereits als Mitregent gekrönt worden war. Der Junge König, wie alle ihn nannten, ungeachtet der Tatsache, dass ihr Vater seine Herrschaftsansprüche ignorierte und ihn am langen Arm verhungern ließ.

Ein weiteres Mal zeigte Philipp sein mokantes Lächeln. »So ist es«, stimmte er zu. »Eine Tatsache, die uns beiden missfallen dürfte.«

Deswegen sind wir hier, oder?

»Euer Bruder unterhält die erfolgreichste Turniermannschaft des Abendlands«, stellte der Graf von Flandern klar. »Er hat die größten Ritter der christlichen Welt um sich geschart, allen voran den unübertroffenen Marschall.«

Das erste Mal während ihres Gesprächs glaubte Richard, so etwas wie Unmut aus Philipps Stimme herauszuhören. Der Graf war selbst leidenschaftlicher Turnierausrichter und -kämpfer, der über eine bedeutende Mannschaft verfügte. Auch am gestrigen Turnier hatten sie teilgenommen – und verloren. Mehr als einmal hatte Philipp versucht, den Marschall und so manch anderen angesehenen Turnierhelden anzuwerben. Stets war ihm der Junge König zuvorgekommen, auch dank der großen Mengen englischen Silbers, mit denen ihr Vater Henris teures Vergnügen finanzierte. Um ihn ruhigzustellen und von einer weiteren Rebellion abzuhalten, argwöhnte Richard.

Nun auch noch von der Seite Dieudonnés verdrängt worden zu sein, musste ein herber Schlag für den eitlen und machtbesessenen flandrischen Grafen sein. Diese Vorstellung verschaffte Richard ein wärmendes Gefühl der Genugtuung, doch verging es sogleich wieder, als Philipp weitersprach.

»Euer Bruder ist dabei, zur Bedrohung zu werden. Das Volk liegt ihm zu Füßen, und er hat eine äußerst schlagkräftige Truppe von Kriegern samt ihren Häusern auf seiner Seite, sein Einfluss wächst rasant. Er wird zur Gefahr. Für Eure und meine Interessen, aber auch für den französischen König – selbst wenn dieser junge Narr das nicht begreifen will.«

Philipp hatte recht. Die neue Stellung Henris brachte das sorgfältig austarierte Machtgefüge im christlichen Abendland zum Wanken, senkte die Waagschale gefährlich zugunsten der Angevinen und ihres strahlenden Thronfolgers.

Richard war Teil dieses Herrscherhauses, gebot jedoch, anders als sein älterer Bruder, bereits seit Jahren nicht nur dem Titel nach über seine Ländereien, mit allen Vor- und Nachteilen. Ein Herzogtum zu führen, zumal ein derart rebellisches wie Aquitanien, hieß auch, sich die Finger schmutzig zu machen, wenn es darum ging, die zahlreichen aufrührerischen Adligen im Zaum zu halten. Das brachte Richard natürlich nicht nur Freunde ein, führte im Gegenteil dazu, dass die Aufständischen mehr oder weniger offen mit seinem strahlenden Bruder liebäugelten. Und der Junge König hatte nichts Besseres zu tun, als den Aufrührern die Hand hinzuhalten. Der ein oder andere gehörte inzwischen sogar seiner Turniermannschaft an.

Das und die Aussicht, Henri – dessen Verdienste sich bislang überwiegend auf den Turnierplatz beschränkten – Vasallentreue schwören zu müssen und sich dem unerfahrenen und bisweilen leichtfertigen Bruder unterzuordnen, wie sein Vater es verlangte, machte Richard unzufrieden. Nein, mehr noch, es machte ihn zornig.

»Ich fürchte, wenn Henri es darauf anlegt, werden die Menschen ihm folgen. Nicht dem unreifen französischen König, nicht Eurem Vater, dem Herrn der angevinischen Lande«, fuhr der Graf von Flandern fort. »Es ist kein Geheimnis, dass Henri unzufrieden ist, da Euer Vater ihn an der Ausübung seiner Herrschaftsrechte hindert. Was sollte ihn in seiner jetzigen Position davon abhalten, eine Rebellion gegen die eigene Familie und ehemalige Verbündete anzuzetteln und nach der Macht zu greifen? Es wäre nicht das erste Mal.«

»Und wir wissen, wie die Sache damals ausgegangen ist. Schließlich haben wir beide auf seiner Seite gekämpft, nicht wahr?«, erinnerte Richard ihn kühl. Graf Philipps Bruder Matthieu war im Kampf gefallen, Richards Mutter Eleonore seit damals eine Gefangene seines Vaters, weil er ihr die Unterstützung – oder, wie er glaubte, Aufwiegelung – der rebellischen Söhne nie verziehen hatte. Ein Scheitern auf ganzer Linie und anschließend die demütigende Unterwerfung dem siegreichen Alten König gegenüber.

Richard rang die unangenehmen Erinnerungen nieder und richtete den Blick nach vorne in den Wald. »Mein Bruder mag ein herausragender Turnierritter sein«, ergänzte er schließlich, »aber er besitzt kaum Erfahrung auf dem Schlachtfeld. Er ist kein Stratege, kein Militär. Er hat wenig Ahnung von Belagerung oder Kriegsführung.«

»Richtig«, gab Philipp mit ernster Miene zu. »Aber diesmal steht Guillaume le Maréchal treu und ergeben an seiner Seite. Und der verfügt über die Erfahrung und all die Fertigkeiten, die Eurem Bruder fehlen.«

Richard nickte bedächtig. Das war die Wahrheit. Der Marschall galt nicht umsonst als bester aller Ritter. Henri vertraute ihm bedingungslos, und über die Jahre war eine enge Freundschaft zwischen den beiden gewachsen.

»Der Marschall ist mit Haut und Haaren Eures Bruders Mann. Henri hat die Strahlkraft, Guillaume den strategischen und militärischen Verstand. Gemeinsam können sie alles erreichen.« Er lenkte sein Pferd näher an Richards heran und schlug einen verschwörerischen Tonfall an. »Wir sollten handeln, bevor sich diese Gefahr zu einer unkontrollierbaren Krise auswächst!«

Sie sahen einander an. Lauerten beide darauf, dass der andere sprach und die letzte Grenze übertrat.

Doch in Wahrheit hatten sie sie längst überschritten.

»Ich sehe die Sache so«, fasste Philipp die Lage zusammen. »Ihr wollt Euch Eurem Bruder nicht unterordnen und verhindern, dass er gemeinsame Sache mit Euren Gegnern macht. Ich möchte den jungen französischen König davor schützen, dass Henri ihm den Rang abläuft und die Vorherrschaft der Kapetinger gefährdet. Und ich will meinen Einfluss wiederhaben.«

Letzteres vor allem. Beinahe musste Richard lachen. Machthunger und Eitelkeit – das waren die Kräfte, die das Rad der Welt in Bewegung hielten.

»Was sagt Ihr?« Philipp sah ihn auffordernd an. »Ich muss sicher sein, dass wir auf einer Seite stehen.«

»Wie sieht Euer Plan aus?«, fragte Richard, denn er war überzeugt, dass es längst einen gab.

Philipp grinste. »Das heißt, wir arbeiten in dieser Sache zusammen?«

Natürlich würde der Graf ihn nicht ohne eindeutige Zusage davonkommen lassen. Und Richard war klar, dass die Umstände entschlossenes Handeln erforderten. Trotzdem war und blieb es Verrat, Verrat am eigenen Bruder. Aber hatte er jetzt noch eine Wahl? Richard holte tief Luft. »Ja, das tun wir«, sagte er schließlich. »Ihr habt mein Wort.«

»Ausgezeichnet.« Philipp nickte zufrieden und begann, sein Vorhaben auszuführen: »Ihr werdet mir gewiss beipflichten, dass wir uns nicht direkt gegen Euren Bruder stellen können. Ob es uns passt oder nicht, er ist ein vor Gott gesalbter Herrscher. Offen gegen ihn vorzugehen, wäre nicht nur ketzerisch, sondern in vielerlei Hinsicht riskant und würde die Sache eher zuspitzen als entschärfen. Wir müssen subtilere Mittel wählen.« Er machte eine Pause und sah Richard unverwandt an. »Wir müssen die Kette sprengen, die Henri und den Marschall verbindet.«

Richard schwieg nachdenklich. Ja, das war der erste, wenn nicht der wichtigste Schritt. Der Marschall stand seit vielen Jahren treu an Henris Seite, hatte es trotz seiner geringen Abkunft zu dessen Ausbilder, Mentor und engstem Freund gebracht. Er war Henris Rückgrat, und dies galt es zu brechen. »Zu dem Zweck habt ihr diese Männer hergebeten, nehme ich an?« Er ruckte mit dem Kinn zu ihren drei Begleitern, die außer Hörweite in einer kleinen Gruppe ritten und hin und wieder verstohlene Blicke in ihre Richtung warfen. Breitschultrige und kampfgestählte Männer, die Richard flüchtig kannte. Sie alle waren Ritter aus Henris Haushalt.

»So ist es«, bestätigte Philipp. »Sie sind Eurem Bruder ergeben. Aber sie verachten diesen Emporkömmling Guillaume le Maréchal und halten seinen Einfluss auf den Jungen König für schädlich und gefährlich. Ich denke, in Wahrheit neiden sie ihm seinen Erfolg sowie die Tatsache, dass er alle um sich herum in den Schatten stellt. Und mit dieser Ansicht sind sie nicht allein.«

Machthunger und Eitelkeit. Am Ende lief alles darauf hinaus.

»Wie dem auch sei«, fuhr Philipp fort, »sie werden uns nützliche Werkzeuge sein. Sie werden sich des Marschalls annehmen. Er mag der beste aller Ritter sein, aber mit einem Schlag aus den eigenen Reihen wird er nicht rechnen.« Der Graf lachte leise und klang beinahe vergnügt. »Jedermann weiß, Turniere sind eine teuflisch gefährliche Angelegenheit. Er wäre nicht der Erste, der dabei auf tragische Weise den Tod findet.«

Richard schluckte unmerklich. Es war der einfachste Weg, aber gleichzeitig war es schäbig und unritterlich. »Mein Bruder darf auf keinen Fall Verdacht schöpfen. Andernfalls könnten wir einen Krieg heraufbeschwören.«

»Oder wir verhindern einen.« Philipp lächelte einmal mehr auf diese gönnerhafte Weise, die Richard zunehmend die Galle hochtrieb. »Auch der französische König darf davon nichts ahnen. Selbstverständlich werden unsere Männer diskret und vorsichtig vorgehen. Sie glauben, es handle sich in erster Linie um eine offene Rechnung mit dem Marschall.« Wieder lachte er. »Ihr Engagement und ihre Verschwiegenheit in dieser Sache werden wir uns mit Gold und unserem Wohlwollen erkaufen. Männer ihres Schlages gieren nach Bedeutsamkeit, nach Einfluss, nach Anerkennung. Dafür sind sie zu allem bereit. Tun wir ihnen den Gefallen.«

Richard warf einen Blick zu den dreien und verspürte wachsende Abscheu diesen ehrlosen Schurken gegenüber. Gleichzeitig wusste er, dass sie genau diese Sorte Männer brauchten.

»Ist Euer Bruder erst einmal seines treuen Schoßhunds beraubt, werden wir ihn leicht von seinen ungesunden Ambitionen heilen. Meint Ihr nicht?«

»Dann ist es abgemacht.«

Philipp nickte und lächelte. Eine ganze Weile ritten sie schweigend nebeneinander.

»In wenigen Wochen richte ich ein Turnier in Amiens aus«, erklärte der Graf schließlich. »Keine Sorge, ich werde unsere Freunde anweisen, den Marschall diesmal noch zu verschonen. Ich möchte mein Fest nicht von einem hässlichen Unfall überschattet wissen. Seid mein Gast, Richard, reitet in meinem Banner!«

Der hob abwehrend die Hand. »Danke, ich verzichte. Ich kämpfe oft genug auf echten Schlachtfeldern gegen echte Feinde. Ich gedenke nicht, das auch noch zum Zeitvertreib zu tun.« Er hatte wenig übrig für das Gepränge und die Affektiertheit des Turnierkampfes. Er war ein Kriegsmann und schätzte die Ehrlichkeit der Schlacht.

»Kennt Ihr nicht die Zeilen des einzigartigen Chrétien de Troyes?«, unternahm Philipp noch einen Versuch. »Lanzen splittern, Schilde bersten, Panzer brechen und zerschellen, Sättel werden leer gefegt«, rezitierte der Graf. »Packt Euch da nicht …«

Direkt vor den Hufen seines Reittiers flatterte ein Rebhuhn auf, das sich im Kraut verborgen hatte. Sein Pferd stieß ein schrilles Wiehern aus und scheute. Trotz Philipps Versuch, es unter Kontrolle zu bringen, machte das Tier einen erschrockenen Satz zur Seite unter eine Buche, wobei sich der Graf den Kopf an einem Ast anschlug.

Philipp fluchte nicht, schimpfte nicht, wischte sich nur über die Schläfe und sah das Blut auf seinem Handschuh, während das Pferd unter ihm mit rollenden Augen auf der Stelle tanzte. Er wirkte völlig ruhig, geradezu kühl, als er mit der Linken einen schlanken Zweig von dem Baum brach. Auch noch, als er den Kopf seines aufgebrachten Reittiers mit dem Zügel an sich zerrte und mit beiläufiger Brutalität die Rute auf die weichen Nüstern drosch, bis Blut floss und sich das Ross mit einem erstickten Wiehern seinem Peiniger fügte.

Angewidert wandte Richard sich von der Szene ab. Der Graf von Flandern mochte ein äußerst scharfsinniger und gebildeter Mensch sein, aber unter dieser dünnen Schicht der Kultiviertheit verbarg sich wie Glut unter Asche eine verstörende, ganz selbstverständliche Grausamkeit.

Nicht zum ersten Mal fragte Richard sich, ob es eine gute Idee war, mit diesem Mann gemeinsame Sache zu machen.

Buch I

Amateure

»Je sui, ce voiz, un chevaliers,

Qui quier ce, que trover ne puis;

Assez ai quis et rien ne truis.«

»Et que voldroies tu trover?«

»Avantures por esprover

Ma proesce et mon hardemant.«

 

»Ich bin, wie du siehst, ein Ritter,

Der sucht, was er nicht finden kann;

Lange habe ich schon gesucht und finde nichts.«

»Was möchtest du denn finden?«

»Abenteuer, um meine Rittertugend

Und meine Kühnheit zu erproben.«

Yvain, Chrétien de Troyes (~ 1140–1190)

*

’Cause we’re gonna be legends

Gonna get their attention

What we’re doing here ain’t just scary

It’s about to be legendary

Legendary, Welshly Arms 2017

Kapitel 1

Grafschaft Auvergne, Ambert, Juli 1181

Atemlose Stille lag über dem Platz. Die Art von Stille, wie sie aus gespannter Erwartung, mühsam unterdrückter Erregung und vollkommener Konzentration hervorgeht. Sie dauerte an – zwei, drei, vier Herzschläge – und dehnte sich gleich einem straff gezogenen Band, bis das erlösende Signal sie schlagartig zerriss.

Pferde schnaubten, als sie aus dem Stand in den Galopp schnellten, die Ruhe wich dem rhythmischen Trommeln der Hufe, dem Keuchen der Tiere und Rasseln der Kettenhemden und schließlich einem Splittern und Spleißen, dem Geräusch von gequältem Holz, als Lanzen auf Schild oder Rüstung des Gegners zerbarsten. Laute des Schmerzes folgten, das dumpfe Aufschlagen von Körpern im Sand. Das Stöhnen der Zuschauer, das schließlich in Klatschen, Stampfen und laute Jubel- oder Schmährufe überging.

»Heiliger Georg!«, rief Pépin. »Wenn sich der Kerl nicht mindestens sechs Rippen gebrochen hat, soll mich der Teufel holen.« Er schnalzte mit der Zunge. »Du kannst wieder hinschauen, Mila!« Energisch zog er der jungen Frau neben sich die Hände vom Gesicht.

Wie viele andere Neugierige standen sie am Rand des eingezäunten Sandplatzes und folgten gespannt den Wettkämpfen. Oft verrieten Schilde und Waffenröcke oder die bunt bemalten Lanzen, wen man vor sich hatte. Am heutigen Tag verkündete zudem ein stimmgewaltiger Ausrufer dem Publikum, welche Ritter gerade gegeneinander antraten. Der Tjost war, zusammen mit dem Ringstechen der Knappen und dem farbenprächtigen Buhurt, nur das Vorgeplänkel vor dem eigentlichen Turnier, dem schlachtenartigen Kampfspiel, das zwei Tage später folgen sollte. Doch für junge, unbekannte Ritter war das Lanzenstechen die bessere Bühne, um sich und ihr Können für alle gut sichtbar zu präsentieren. Im stürmischen Gerangel eines Gefechts war es weit mühsamer, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, vermutete Pépin.

»Alles gut, Mila«, beruhigte er seine Begleiterin, »der Kerl zappelt noch, steht sogar schon wieder auf den eigenen Füßen, schau doch!«

Vorsichtig öffnete sie die Augen und sah in die gewiesene Richtung. Gestützt von einem Knappen, verließ der Unterlegene humpelnd das Feld.

»Was ist los mit dir? Das war nicht mal einer von uns.«

Die junge Frau zuckte mit den Schultern. »Ich kann einfach nicht mitansehen, wenn sie sich gegenseitig aufspießen und die Knochen brechen.«

»Du flickst sie anschließend schon wieder zusammen«, entgegnete Pépin mit derart unerschütterlichem Vertrauen in der Stimme, dass sie lächeln musste und ihm durch die struppigen Haare wuschelte. An der Seite ihres Vaters, eines fahrenden Hufschmieds, reiste Mila von Turnier zu Turnier und kümmerte sich für ein paar Münzen um all die kleineren und größeren Verletzungen, die sich die Ritter bei den ruppigen Kampfspielen zuzogen. Platzwunden und gequetschte Rippen, ausgerenkte Glieder und gebrochene Finger – in Pépins Vorstellung gab es nichts, was ihre heilenden Hände nicht richten konnten. Auch seine Blessuren versorgte sie, selbst wenn er sie nicht im Turnier, sondern bei Prügeleien mit anderen Knechten oder Knappen verpasst bekam. Sie und ihr Vater gehörten zwar nicht fest zu ihrer Truppe, doch in all der Zeit, die er nun schon mit Erec und seinen Mitstreitern von einem zum nächsten Provinzwettkampf vagabundierte, war Mila stets Teil des bunten Turnierjahrmarkts und zu einer schwesterlichen Freundin geworden. Für jeden von ihnen.

»Ich tue, was ich kann«, nahm sie das Gespräch auf, »aber ich musste schon zu oft erleben, dass Männer in der Blüte ihrer Jahre von splitternden Lanzen aufgeschlitzt und von Hufen zertrampelt wurden oder nach einem Sturz vom Pferd nie wieder aufgestanden sind. Gott allein kann ihnen dann noch helfen.«

»Lionel ist als Nächstes dran«, brummte Josce, der sich an ihre Seite gesellte. Er war bei seinem Lanzenritt nicht zu Boden gegangen, einen Fels wie ihn warf so schnell nichts aus dem Sattel. Besonders gute Laune bereitete ihm das trotzdem nicht, denn sein Kontrahent hatte zwei Lanzen an seinem Schild gebrochen und den Sieg davongetragen. Auch Valéry hatte sein Stechen verloren und sich daraufhin, wie so oft, in irgendeinen Schmollwinkel zurückgezogen.

Aber nun war Lionel an der Reihe. Pépin suchte den Platz ab, bis er den blond gelockten Ritter entdeckte. Gerade führte Erec ihn auf dem Rücken eines zierlichen Grauschimmels an den Tilt, die Holzschranke, welche die Bahnen der Reiter trennte. Knappen zu unterhalten, konnten sie sich nicht leisten, daher halfen sie sich auf dem Platz gegenseitig mit Pferden und Waffen.

Nachdem Lionel den Menschen auf der kleinen Tribüne und am Rande des Tjostplatzes ein strahlendes Lächeln zugeworfen hatte, streifte er den Helm mit dem breiten Nasenschutz über. Erec reichte dem Freund die Lanze und nickte ihm ein letztes Mal aufmunternd zu, bevor er sich vom Tilt zurückzog. Unbehaglich stellte Pépin fest, dass Ross und Reiter auf gegnerischer Seite, verglichen mit Lionel, von geradezu Furcht einflößender Größe waren.

Mila wollte die Hände wieder vor die Augen schlagen, doch Pépin hielt sie immer noch fest und machte auch keine Anstalten loszulassen. Also wendete sie den Blick zur Seite in Richtung der einfachen Tribüne, auf der das frisch vermählte Brautpaar mit seinen Gästen Platz genommen hatte. Ihnen zu Ehren wurden die Kampfspiele ausgerichtet. Und auch wenn das hier nur die bescheidene Kleinstadt Ambert war, trugen die Damen farbenfrohe Gewänder mit Schleppärmeln und aufwendigen Bordüren, wie man sie wohl eher in Paris oder Rouen erwartet hätte. Neben diesen schimmernden Pfauen wirkte Mila in ihrem schlichten grauen Kleid wie ein Rebhuhn. Als Pépin bemerkte, wie sie beschämt den verblichenen Stoff glatt zu streichen versuchte, drückte er aufmunternd ihre Hand.

In dem Augenblick ertönte das Signal, und die Reiter auf dem Kampfplatz preschten los. Wenige Herzschläge später ein splitterndes Krachen, dann ein dumpfer Aufschlag.

»Volltreffer!«, schrie Pépin in den Jubel der Menge und riss die Arme hoch. »Was für ein Stoß! Lio hat ihn voll erwischt!« Mila seufzte erleichtert.

Während sein Gegner sich gerade vom Boden aufzurappeln suchte, reckte Lionel den Lanzenstumpf triumphierend in die Höhe und ließ sein Ross steigen.

»Elender Aufschneider!«, murrte Josce, aber er grinste dabei.

»Wer hätte gedacht, dass Lionel mit seinem Schaukelpferdchen einen solchen Klotz aus dem Sattel hebt?« Armand nickte anerkennend. Der Troubadour war von seiner Runde über den Platz zurückgekehrt, wo er die Wettkampfpausen mit Gesang und Lautenspiel gefüllt hatte. Dem Klimpern in seinem Beutel nach hatte er den Geschmack der Leute getroffen.

»Da ist Damien de Brienne!«, rief Pépin aufgeregt und deutete auf den Platz, wo sich der Ritter aus der Champagne gerade seine Handschuhe überstreifte. »Zusammen mit Benoît.« Jetzt zog er geräuschvoll die Nase hoch und spuckte den Rotz in weitem Bogen in Richtung des Knappen. Nicht weit genug, aber der Bursche war ohnehin gerade damit beschäftigt, seinem Herrn den Helm aufzusetzen. Dann eben später, Drecksack.

»Was macht Erec da?«, fragte Josce unvermittelt. Alle Blicke folgten seinem ausgestreckten Zeigefinger ans gegenüberliegende Ende der Schranke, wo ihr Freund gerade Titus heranführte, seinen prächtigen braunen Hengst mit der schwarzen Mähne und den dunklen Fesseln. »Wurde er nicht mit diesem Normannen zusammengelost?«

»Wie es aussieht, hat de Brienne etwas an der Reihenfolge gedreht«, mutmaßte Armand. »Oder Erec. Zuzutrauen wäre es beiden. Sie lassen doch keine Gelegenheit aus, sich zu messen. Gott allein weiß, warum!«

Erec trug bereits volle Rüstung und saß auf. Lionel hielt Titus am Zügel, obwohl der Hengst wie eine Bronzestatue verharrte, anscheinend unbeeindruckt von all dem Getümmel. Lediglich die geblähten Nüstern und der stolz gewölbte Hals verrieten seine Anspannung. Erec dagegen war bemüht, eine möglichst lässige Figur abzugeben. Scheinbar gelangweilt, stützte er sich mit dem Unterarm auf den Sattelbogen, während er wartete, dass de Brienne sich bereit machte. Schließlich war es so weit, und beide Kontrahenten nahmen die Lanzen auf. Lionel und Benoît verließen das Feld, der Ausrufer kündigte die Namen der Widersacher an.

Dann ertönte die Glocke.

Wie ein Pfeil von der Sehne schnellte Titus mit einem einzigen großen Satz in den Galopp, während Erec den Schild hob und die Lanze senkte. Augenblicke dehnten sich zu einer Ewigkeit, bis endlich das beinahe erlösende Krachen erklang.

»Was ist passiert, Pep? Was? Sag schon?«, wollte Mila wissen, die wieder den Blick abgewandt hatte.

»Bei Sankt Georgs Knochen, schau doch selbst!« Beide Ritter saßen noch im Sattel, während sie ihre schnaufenden Rösser in den Kanter parierten und das Publikum applaudierte. Beide Lanzen waren gebrochen. »Sie haben einander am Schild getroffen, aber nicht hart genug, wie’s aussieht.«

Das hieß: noch eine Runde.

Erec brachte Titus wieder in Position, und Lionel eilte mit einer neuen Lanze herbei. De Brienne trank einen Schluck Wasser aus dem hingehaltenen Schlauch, bevor auch er eine neue Lanze aufnahm.

Das Signal ertönte. Erneut schossen die Gegner mit der Gewalt zweier Flutwellen aufeinander zu. Erneut ein Bersten, dann Stöhnen von den Rängen.

»Hol’s der Teufel!«, fluchte Josce.

Erec suchte schwankend sein Gleichgewicht im Sattel, blieb aber oben. Auch de Brienne wankte heftig, stürzte jedoch nicht. Beide Lanzen waren gebrochen.

»Das gibt’s doch nicht«, ächzte Pépin. »Bei diesem Stoß hätte Damien bis nach Marseille fliegen müssen.«

»Und Erec mindestens bis Lyon«, ergänzte Josce.

Beide Ritter wendeten ihre Pferde und lenkten sie ein weiteres Mal an den Tilt, wo Lio und Benoît bereits mit neuen Lanzen warteten. Erec löste Helm und Kettenhaube und wischte sich mit dem Handrücken das unordentliche braune Haar aus der Stirn. Dann sagte er etwas zu Lionel, der ihm eine heftige Erwiderung gab.

»Was ist da los?«, fragte Armand und blickte mit zusammengekniffenen Augen zu den Freunden. Die beiden schienen in einen Streit verwickelt. Erec hielt Lio Helm und Haube hin, während der immer wieder energisch den Kopf schüttelte.

Wachsende Sorge füllte Pépins Brust. Welche Dummheit heckte der Ritter da aus?

Schließlich schleuderte Erec Helm und Kettenhaube neben Lionel auf den Boden und zog dem verdutzten Freund die Lanze aus der Hand. Dann nahm er die Startposition ein.

»Was zum Teufel …? Ist er von allen guten Geistern verlassen?«, rief Josce entsetzt. »Er wird doch nicht ohne Helm reiten. Das wird er doch nicht, Armand, oder?«

Ein ungläubiges Keuchen ging durch die Reihen der Zuschauer, als auch sie begriffen, was der Ritter auf dem Platz vorhatte. Wie jeder wusste, war beim Tjost der Kopf zugleich der empfindlichste wie auch gefährdetste Körperteil.

Armand zerbiss einen lästerlichen Fluch zwischen den Zähnen. »Ich fürchte, genau das wird er. Gott helfe dir, Erec, du dämlicher Hornochse!«

»Warum schreitet denn niemand ein?«, rief Mila mit angstvollem Blick. »Er bringt sich ja um! Untersagen die Turnierregeln nicht, einen Ritter ohne Helm anzugreifen?« Wie alle anderen lehnte sie inzwischen vorne an der Bande und krallte die Finger ins Holz.

»Bei einem verlorenen Helm, ja«, murmelte Armand, »aber ich fürchte, das gilt nicht, wenn ein Reiter freiwillig darauf verzichtet.«

Der Turniervogt sah das offenbar genauso, denn schon erklang die Glocke, und die Pferde sprengten los. Wieder breitete sich dieses atemlose Schweigen aus, während das Trommeln der Hufe wie harter Herzschlag pulsierte.

Gebannt hingen alle Blicke an Erec und seinem Gegner. De Brienne hob die Lanze schräg nach oben, sodass ihre Spitze unweigerlich Erecs ungeschützten Kopf treffen musste. Auch Pépin hielt den Atem an; das Kribbeln in seiner Brust wurde unerträglich, vibrierte bis in die Knochen.

Noch vier Galoppsprünge. Drei. Zwei.

Im letzten Augenblick riss Erec seinen Schild vors Gesicht – und lenkte die feindliche Waffe seitlich ab. Gleichzeitig führte er die eigene Lanze mit einem kräftigen Stoß in die Lücke, die sich zwischen Damiens rechter Schulter und dessen Schild auftat. Mit weit ausgebreiteten Armen flog der Ritter aus dem Sattel und schlug einen Herzschlag später dumpf in den Sand.

Es dauerte einen weiteren Augenblick, bis die Menge aus ihrer Starre erwachte und in frenetischen Beifall ausbrach. Jubelnd riss Pépin die Arme hoch, und auch die anderen fielen johlend und klatschend ein. Bei Sankt Georg und allen Heiligen, was für ein Ritt!

 

Seine Freunde hatten sich bereits hingelegt, doch wie jeden Abend stattete Erec Titus vor dem Schlafen noch einen Besuch im Stall ab. Sein Hengst begrüßte ihn mit einem Wiehern und schob den großen Kopf über den Verschlag. Natürlich wusste er, dass Erec nie ohne eine Leckerei aufkreuzte. Ungeduldig stieß er ihn mit der weichen Nase und schnupperte an seinem Wams.

»Nur die Ruhe, mein Lieber.« Erec zog eine Möhre aus dem Ärmel. »Ich hab dich nicht vergessen.« Zufrieden nahm der Hengst die Gabe mit den Lippen auf und zog sich kauend von der Stalltür zurück, sodass Erec eintreten konnte. Er griff sich eine Bürste und fing an, mit bedächtigem Schwung Titus’ Fell zu säubern. Das rhythmische Auf und Ab der Bürstenstriche, das geräuschvolle Mahlen der Pferdekiefer, das Rascheln des Strohs unter den Hufen und der süßherbe Geruch von Heu und Pferdeschweiß – all das hatte eine beruhigende Wirkung auf Erec und klärte seinen Geist. Er war sicher, auch wenn er eines Tages einen Knappen unterhalten könnte, diese Aufgabe würde er weiterhin selbst erledigen. Es half ihm, zu sich zu finden und seine Gedanken zu ordnen.

»Du hast deine Sache gut gemacht, Junge«, raunte er dem Ross zu. »Morgen darfst du ausruhen, aber am Turniertag musst du noch einmal alles geben. Sicher willst du nicht, dass ich dich am Ende des Tages irgendeinem Pferdeschinder überlassen muss?« Titus schnaubte und klang beinahe empört.

»Das würdest du ohnehin nie übers Herz bringen«, beschied eine vertraute Stimme, und Armand trat an die Stalltür, die Laute auf dem Rücken. Er ließ sie selten außer Sichtweite, und Erec vermutete, dass das Instrument in Armands Leben einen ähnlichen Platz einnahm wie Titus in seinem.

»Titus und mein Schwert sind alles, was ich besitze.« Er klopfte dem Hengst den muskulösen Hals. »Also sollte ich wohl dafür sorgen, beides nicht zu verlieren.«

»Als Allererstes solltest du dafür sorgen, deinen leeren Kopf nicht zu verlieren«, fuhr Armand ihn unerwartet heftig an. Erst als der Freund ins Licht der Stalllaterne trat, erkannte Erec das zornige Funkeln in seinen Augen. Aber darunter mischte sich auch Sorge.

»Ganz ehrlich? Hätte ich nicht Angst um meine Finger, würde ich dir für deinen Auftritt heute Mittag ordentlich eine verpassen, Erec de Lacône! Das war lebensgefährlicher Leichtsinn, verdammt!«

»Ich weiß nicht, was du hast, es ist doch alles gut gegangen.«

»Himmel, Erec, das war reines Glück! Genauso gut hätte de Brienne dir den Schädel von den Schultern reißen können!«

Erec zog eine Grimasse zwischen Kränkung und Grinsen. »Na, nur Glück war es auch nicht, musst du zugeben. Dem Preis für den spektakulärsten Tjost bin ich damit jedenfalls ein gutes Stück näher.«

»Vergiss den Tjost. Von mir bekommst du den Preis für die leichtsinnigste Dummheit auf Gottes weiter Erde!«

»Herrje, Armand, reg dich wieder ab! Mir ist nichts passiert. Du führst dich auf wie meine Mutter.«

»Wäre ich sie, würde ich dich zweifellos windelweich prügeln und zum Nachdenken ein paar Tage in eine Kammer sperren.«

Statt einer Erwiderung drehte Erec seinem Freund den Rücken zu und widmete sich schweigend Titus’ Fell. Wie immer tat die beruhigende Beschäftigung ihre Wirkung, und nach wenigen Bürstenstrichen ließ er seufzend die Hände sinken. »Zugegeben, es war nicht gerade mein schlauester Einfall«, gestand er. »Die Sache hätte übel ausgehen können, ja. Ist sie aber nicht. Und sie hat uns Aufmerksamkeit und ein Engagement für den Turniertag eingebracht.«

Armand schnaubte gereizt.

»Unsere Kasse ist leer«, beharrte Erec und wandte sich wieder um. »Es sieht wirklich nicht rosig aus. Womöglich stehen wir in wenigen Tagen vor dem endgültigen Aus.« Er seufzte. »Manchmal frage ich mich, was mein Vater dazu sagen würde – sein Sohn, ein Herumtreiber und erfolgloser Habenichts. Gewiss wäre er maßlos enttäuscht.«

Armand strich sich die dunklen Locken zurück, die wild in seine Stirn züngelten. Sein Zorn schien mit einem Mal verraucht, und auf seine Lippen trat ein Lächeln, das wie immer eine Prise Schwermut enthielt.

»Dein Vater, Gott hab ihn selig, ist tot und begraben, Erec. Und Tote neigen selten zu Gefühlsausbrüchen. Mein Vater ist am Leben, und ich schätze, für ihn ist meine Existenz tatsächlich eine einzige Enttäuschung.« Er zuckte gleichgültig mit den Schultern, auch wenn Erec wusste, dass ihm diese Tatsache keineswegs egal, sondern Quell steten Kummers war. »Dir hat das Schicksal einen älteren Bruder vor die Nase gesetzt«, fuhr Armand fort, »der noch dazu äußerst fruchtbar ist und einen Erben nach dem anderen in die Welt pflanzt, sodass du nicht hoffen darfst, irgendwann euer Gut zu übernehmen.

Mich hat es zum einzigen Sohn eines Kreuzzugsveteranen gemacht, dessen Fußstapfen von jeher viel zu groß für mich waren und der es seinem missratenen Nachkommen nicht verzeihen kann, dass dieser lieber eine Laute als ein Schwert schwingt. Ich werde nach seinem Dahinscheiden wohl ebenfalls leer ausgehen, zumal er kräftig daran arbeitet, einen geeigneteren Nachfolger zu zeugen. Bleibt uns also nur, das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Und bisher haben wir das noch immer ganz gut hinbekommen, meinst du nicht?«

Erec nickte und fuhr mit dem Bürsten fort. Er hoffte, der Freund würde auch diesmal recht behalten, denn so schlecht hatte es noch nie gestanden. Ihre Reserven waren nahezu aufgebraucht. Genau wie Wagemut und Begeisterung, die ihn und die anderen im vergangenen Jahr überhaupt erst zum Leben auf dem Turnierplatz getrieben hatten.

Es stimmte, Erec brauchte nicht auf ein Erbe zu hoffen. Zudem fehlte es ihm an betuchten Verwandten oder Gönnern, die ihn in ihren Haushalt aufnehmen und durchfüttern konnten. Turniere boten ihm die Möglichkeit, seine Fähigkeiten als Kämpfer unter Beweis zu stellen und sich für eine Anstellung in fürstlichem Haus oder den Kriegsdienst zu empfehlen. Mit Glück und Geschick konnte er beim Massengefecht vielleicht einen gegnerischen Ritter gefangen nehmen, ein Pferd oder Waffen erbeuten, die gutes Geld einbrachten.

Zumindest in der Theorie. Die ungeschönte Wahrheit war, dass ihr Wanderleben mit erheblichen Kosten einherging und sich ihre Geldschatulle inzwischen bis fast auf den Grund geleert hatte. Die meist armen Landritter, die wie sie auf den kleinen Wettkämpfen in der Provinz antraten, brachten nicht gerade lohnende Beute ein, auch stellten sich die ausgelobten Preise bescheiden dar. Tatsächlich war das Turnier anlässlich der Hochzeit des Kastellans von Ambert das erste seit vielen Wochen, das im Falle eines Sieges anständige Gewinne versprach. Umso wichtiger, dass sie allesamt ihr Bestes gaben. Gleich morgen würde er die anderen ins Gebet nehmen.

Armand war herangetreten und verschränkte grinsend die Arme auf der Boxentür. »Zieh nicht so eine verdrießliche Miene. Mit deinem Namen ist es dir vorherbestimmt, ein großer Turnierheld zu werden.«

»Ja, ja, mach dich nur lustig!«, brummte Erec missgelaunt. Armand war nicht der Erste, der ihn mit seinem Namen aufzog. Oftmals erschien es Erec wie eine Bürde, dass er immerzu mit dem Artusritter aus dem Versroman verglichen wurde, selbst wenn er diesen Namen nun schon zweiundzwanzig Jahre trug und damit beinahe zehn Jahre länger, als Chrétien de Troyes’ Verse überhaupt existierten. »Allerdings fehlt mir eine Enide, die ich als Braut heimführen könnte«, wandte er ein.

»Gewinnst du ein Turnier, gewinnst du auch die Herzen der Menschen«, winkte Armand ab.

Erec seufzte schwer. »Silber wäre mir fürs Erste lieber.«

Kapitel 2

Grafschaft Auvergne, Ambert, Juli 1181

Der Sonntagsgottesdienst wollte nicht enden, und Armand war nicht der Einzige, der hinterher geradezu erleichtert aus der finsteren und zugigen Kirche von Ambert drängte. Die salbungsvolle Litanei des Priesters hatte ihm mehr als einmal die Augen zufallen lassen, wie er eingestehen musste.

An Erecs Seite trat er auf den sonnigen Kirchplatz, der sich mehr und mehr mit Menschen füllte. Der Rest ihrer Truppe verschwand, um sich dem Müßiggang hinzugeben. Am Tage des Herrn fanden keine Wettkämpfe statt. Wäre es nach der Kirche gegangen, hätte man die gefährlichen Kampfspiele längst auch an allen anderen Tagen verboten. Aber entsprechende Vorstöße waren jedes Mal am trotzigen Widerstand der Ritterschaft gescheitert. Wenn es um das beliebte Hauen und Stechen ging, schienen selbst die Drohungen des Papstes ungehört zu verhallen.

Armand reckte verstohlen die steifen Glieder und blinzelte in die Helligkeit, als Pépin unvermittelt an seiner Seite auftauchte. Der Junge hatte die gespenstische Angewohnheit, bisweilen wie aus dem Nichts zu erscheinen. »Ich habe dich gar nicht beim Gottesdienst gesehen«, bemerkte Armand mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Nur, weil ich so ein kleines, schmächtiges Kerlchen bin«, erwiderte der Knabe unverfroren und grinste von einem Ohr zum anderen. »Und wie soll ich wachsen, wenn ich so wenig zu essen bekomme?«

»Korrigiere mich, falls ich irre, Pep, aber füttern wir dich nicht schon mehr als drei Monate durch?«, fragte Erec und bemühte sich vergeblich um eine strenge Miene. »Genau genommen, seit ich dich in Roanne mit den Fingern an meiner Börse erwischt habe?«

Pépin wirkte keine Spur verlegen, sein Grinsen wurde im Gegenteil noch breiter, sodass sich zwei Grübchen in seine schmutzigen Wangen kerbten. »Da bringt dein verbeulter Kopf sicher irgendetwas durcheinander«, behauptete er frech. »Aber jetzt muss ich los, nach den Gäulen sehen.« Er wollte sich zum Gehen wenden, als Erec ihn am Kragen schnappte und noch einmal zurückzog. »Und du lässt deine Hände aus fremder Leute Taschen! Haben wir uns verstanden?«

Pep riss sich los, machte eine übertrieben tiefe höfische Verbeugung und flitzte davon.

»Ist es zu fassen?« Erec schüttelte den Kopf, musste dabei aber grinsen.

Armand ließ den Blick über den Platz wandern, wo die Gläubigen schwatzend zusammenstanden und die Sonne genossen. Unweit des Kirchenportals entdeckte er die junge Braut, umringt von weiteren elegant gekleideten Damen. Sie wirkte ein wenig verloren und warf einen unsicheren Blick zu dem Mann, dem sie wenige Tage zuvor zur Frau gegeben worden war. Jérôme d’Ambert war gewiss fünfzehn Jahre älter als das Mädchen und von einschüchternder Massigkeit. Er lachte dröhnend über einen Scherz seiner Begleiter und schenkte seiner jugendlichen Braut keinerlei Beachtung.

Armes Kind, dachte Armand. Sicher keine Liebesheirat. Ehen wurden aus politischen, dynastischen oder materiellen Gründen geschlossen, die Gefühle der Beteiligten spielten dabei nur selten eine Rolle.

Doch noch während er die Braut bedauerte, griff eine der Damen die Hand des Mädchens und drückte sie aufmunternd. Sie flüsterte ihr etwas ins Ohr, was die junge Frau zu einem Kichern veranlasste und ihre Augen blitzen ließ. Armand empfand stille Dankbarkeit der Fremden gegenüber, von der er nur den Rücken und die rostroten Flechten sah, die sich unter einem zarten Schleier hervor bis auf die Taille lockten. Ihr Kleid war elegant und edel, vielleicht eine Spur zu edel für die französische Provinz.

»Schau an, schau an!«, riss Erecs Stimme ihn aus seinen Betrachtungen. Doch die Worte galten nicht Armand. Ein paar Schritte entfernt verließen Damien de Brienne und sein Knappe gerade den Kirchplatz. Der Ritter bewegte sich stockend und hielt sich betont aufrecht. Hin und wieder zuckte ein Ausdruck von Schmerz über sein Gesicht.

»Da sieht jemand aber ganz schön mitgenommen aus«, bemerkte Erec nicht ohne Häme. »Geradezu bemitleidenswert.«

»Lass ihn in Frieden, Erec. Du kannst Gott danken, dass du nicht an seiner Stelle bist.«

»Ja, schon gut«, winkte sein Freund ab, war aber bereits losgelaufen. »Ich will ihm nur eben Guten Tag sagen.«

Armand verdrehte die Augen und folgte ihm.

»Na, wie geht’s, mein Freund?«, erkundigte sich Erec gut gelaunt und versetzte Damien einen Klaps gegen die Schulter, der den Ritter vor Schmerz zusammenfahren ließ. Für einen Augenblick verengten sich die Augen seines Gegenübers zu Schlitzen, dann hatte er sich unter Kontrolle. »Morgen sitze ich wieder im Sattel«, kündigte de Brienne an, und obwohl er dabei lächelte, klang es wie eine Drohung, fand Armand.

»Wenn du meinst. Aber vielleicht solltest du dich noch ein bisschen schonen«, schlug Erec vor. »Immerhin bist du gestern geflogen wie ein Vöglein – wenngleich die Landung nicht besonders elegant aussah.«

»Nett, wie du dich um mich sorgst«, entgegnete Damien gelassen, »aber nach einem knusprigen Braten und einer Nacht in einem gemütlichen Federbett bin ich wieder ganz der Alte. Und wer weiß, vielleicht werde ich noch ein, zwei Becher guten Wein auf dich und deine Bande von Gossenrittern trinken und mich an dem Gedanken wärmen, dass euch Wanzen und ein knurrender Magen um den Schlaf bringen. Gehab dich wohl, Erec. Wir sehen uns morgen auf dem Platz.« Damit ließ Damien sie stehen und stolzierte mit steifen Schritten davon.

Armand beobachtete, wie jegliche Schadenfreude aus Erecs Zügen sickerte und einem ernsten Gesichtsausdruck wich.

»Ihr solltet diese albernen Sticheleien bleiben lassen«, mahnte er halbherzig, »das führt doch zu nichts.«

Erec seufzte, und diesmal klang es bekümmert. »Aber was er sagt, ist wahr. Ich muss mit den Männern sprechen, noch heute.«

 

»Wir sind pleite. Vollkommen abgebrannt. Arm wie Kirchenmäuse.« Erec lehnte mit verschränkten Armen an der Wand ihrer schäbigen Unterkunft und blickte düster in die Runde. »Wenn wir morgen nichts reinholen, werden wir das nächste Turnier auf Steckenpferden bestreiten müssen. Das ist die heilige Wahrheit.«

Ein Augenblick betretenen Schweigens trat ein, in dem nur Armands gedämpftes Saitenzupfen zu hören war.

»Wie wäre es, wenn Armand seine Laute verkauft?«, schlug Lionel grinsend vor. »Das hätte den zusätzlichen Vorteil, dass wir nicht länger dieses Gedudel ertragen müssten.«

»Mein Gedudel bringt uns derzeit mehr Münzen ein als euer Lanzengestocher oder Schwertgefuchtel«, knurrte der Troubadour, der, über sein Instrument gebeugt, auf einer Kiste saß und die Finger unstet über die Saiten tanzen ließ. »Was glaubst du, wer dein Abendessen bezahlt hat?«

Lionel rührte verdrossen in der grauen Pampe, die seine Schale füllte. »Allzu begeistert können die Zuhörer nicht gewesen sein, wenn lediglich das dabei herausgesprungen ist«, beschied er und ließ den zähen Brei angewidert zurück in die Schale platschen.

»Ich habe das gekocht.« Mila stemmte die Hände in die Hüften und funkelte den jungen Ritter herausfordernd an.

»Ah, tatsächlich? Ich … nun …« Lionel räusperte sich und setzte ein Lächeln auf, das noch jede Frau schwach gemacht hatte. Jede außer Mila.

»Ich wollte lediglich ausdrücken, dass es allerhöchste Anerkennung verdient, was du trotz der bescheidenen Mittel daraus … gezaubert hast«, erklärte er rasch. Zum Beweis schaufelte er sich, weiterhin grinsend, eine üppige Portion in den Mund. Sobald Mila den Blick abwendete, wandelte sich sein Gesichtsausdruck jedoch schlagartig in eine Grimasse unterdrückter Abscheu, und Erec musste sich ein Lachen verkneifen.

»Ernsthaft, Männer«, sagte er schließlich. »Es sieht nicht gut aus. Ich habe keine Ahnung, wovon wir die nächsten Tage diese Unterkunft oder den Mietstall, geschweige denn das Pferdefutter zahlen sollen. Davon abgesehen würde es Milas Vater sicher gutheißen, wenn wir ihn endlich für das Beschlagen der Gäule entlohnen. Und unsere Waffenröcke haben auch schon bessere Tage gesehen.«

»Vermutlich lange bevor sie in unseren Besitz kamen«, bemerkte Valéry.

Erec überging den Kommentar. »Wie ihr wisst, hat Jérôme d’Ambert uns für morgen zur Verstärkung seines Turnierbanners angeheuert. Wenn wir uns nicht ganz dumm anstellen, schaffen wir es vielleicht, ein oder zwei gegnerische Ritter gefangen zu nehmen und einen Anteil vom Lösegeld rauszuschlagen.«

»Das ist doch alles ein großer Haufen Pferdescheiße!«, beschwerte sich Josce. »Seit einem Dreivierteljahr tingeln wir jetzt von einer Provinzprügelei zur nächsten, kommen gerade mal so über die Runden. Wenn wir es zu was bringen wollen, müssen wir uns endlich bei größeren Wettkämpfen beweisen! Nur da können wir die Aufmerksamkeit der Fürsten auf uns ziehen.«

»Und der Frauen«, warf Lionel mit erhobenem Zeigefinger ein.

»Und nur so können wir irgendwann einen reichen Goldesel finden, der unsere Rechnungen bezahlt«, fuhr Josce fort. »Lasst uns nach Flandern oder Richtung Rouen gehen, da gibt es ordentlich Beute zu machen. Die Kämpfer, die dort antreten, sind wohlhabend, und wenn wir sie schlagen …«

»Du sagst es, Josce«, unterbrach Armand ihn. »Sie sind wohlhabend. Sie besitzen bessere Waffen und bessere Pferde. Bessere als die meisten von uns. Wir würden uns zum Gespött machen.«

»Sind wir das nicht längst?«, fragte Valéry herausfordernd. Er saß in der hintersten Ecke der Kammer auf einem Schemel, hatte die langen Beine auf einem Holzklotz abgestellt und war wie immer dunkel gekleidet. Auch seine Haare waren schwarz, was seine Haut stets blass aussehen und die sturmblauen Augen besonders hervorstechen ließ. »Mehr als die Hälfte von uns reitet auf fußlahmen Kleppern und kämpft mit schartigen Schwertern. Unsere Schilde sind derart zerhauen, dass man weder die Farben noch unser Zeichen erkennt. Und die Fetzen, die du Waffenröcke nennst, sind einfach nur beschämend.«

Lionel verdrehte die Augen. »Hört, hört, die Krähe spricht. Ich frage mich, warum du nicht längst davongeflattert bist, wenn wir dermaßen unter deiner Würde sind.«

Diese Frage hatte sich Erec auch schon gestellt, schließlich entstammte Valéry d’Anier als Einziger von ihnen einer betuchten Familie.

»Der Grund liegt doch auf der Hand«, polterte Josce, »er ist nicht gut genug, um anderswo unterzukommen. Da kann sein Gaul aus noch so edler Zucht sein, am Ende zählt eben der Mann, der draufsitzt. Wie man gestern wieder mal gesehen hat.«

Valéry richtete sich mit grimmiger Miene auf.

»Beruhigt euch, Männer!« Beschwichtigend hob Erec die Hände. Insgeheim musste er Valéry zustimmen, sie waren alles andere als eine glanzvolle Truppe. Lediglich er und Valéry selbst verfügten über anständig ausgebildete Turnierrösser; die anderen Pferde waren zwar kampferfahren und längst nicht so schlecht, wie der Ritter behauptete, aber eben auch nicht übermäßig gut. Und auch ihre restliche Ausrüstung ließ zu wünschen übrig, ganz besonders die schäbigen Waffenröcke.

»Ich stimme Armand zu. Flandern ist noch eine Nummer zu groß für uns, da gibt es nichts schönzureden. Aber denkt dran, selbst Guillaume le Maréchal hat auf kleinen Provinzturnieren angefangen. Und seht, wo er heute ist.«

»Ja, ja, der heilige Marschall«, spottete Lionel. »Held der Turniere, Retter von Jungfrauen, Lehrmeister und Freund des angevinischen Thronfolgers. Was gäbe ich darum, wie er zu sein.« Er seufzte schmachtend – was ihm Erecs strafenden Blick einbrachte.

»Was ich sagen will, ist: Wir müssen den Leuten was Besonderes bieten, sie für uns einnehmen, ihre Aufmerksamkeit auf uns ziehen.«

»Und was schwebt dir da vor? Ohne Helm reiten womöglich?«, erkundigte sich Lionel spitz. »Oder sollen wir Josce beim Buhurt in ein Seidenkleidchen stecken?«

»Auch wenn ich der Vorstellung, einen Ochsen wie Josce im Kleid zu sehen, einiges abgewinnen kann, dachte ich eher an …«

Die Tür wurde aufgerissen, und Pépin stolperte herein. Seine struppigen sandfarbenen Haare standen in alle Richtungen vom Kopf. Blut lief aus einem Nasenloch, und um sein linkes Auge begann ein prächtiges Veilchen zu blühen.

»Himmel, Pep! Nicht schon wieder!« Mit einem besorgten Blick, der seine Wangen augenblicklich in Flammen setzte, war Mila bei dem Jungen. Sie fasste ihn bei den Schultern und zwang ihn auf einen Schemel, um sich die Blessuren genauer anzusehen. »Was hast du angestellt?«

»Warum denkst du immer, ich sei schuld?«, beschwerte der Knabe sich, woraufhin Mila nur vielsagend die Augenbrauen hochzog. Sie tauchte einen Lappen in die Wasserschüssel und begann, ihm das Blut abzutupfen.

»Spuck’s aus!«, fordert Josce den Burschen auf. »Was hast du ausgefressen?«

Ein verwegenes Grinsen trat auf Pépins Lippen, und er zuckte mit den Schultern. »Kleine Meinungsverschiedenheit mit Benoît.«

»Und um was ging’s diesmal?«

»Nun«, Pep wischte sich mit dem Handrücken die Nase und verteilte das Blut über die halbe Wange, »er war der Meinung, ich sei ein schwächlicher Straßenköter in Gesellschaft heruntergekommener Gossenritter. Ich war der Meinung, dass meine Faust hervorragend in sein Gesicht passt!«

»Was hast du dir dabei gedacht?«, schalt Mila ihn aufgebracht. »Benoît ist mindestens zwei Jahre älter als du, fünfzehn oder sechzehn.«

Pépins Grinsen wurde noch breiter und reichte jetzt beinahe von einem Ohr zum anderen. »Aber da, wo ich herkomme, weiß man, wie man großen Kotzbrocken eine Lektion erteilt. Jedenfalls wird Benoît die nächsten Tage wohl ein bisschen Mühe beim Schnaufen haben.«

»Teufelskerl!«, lobte Josce den Jungen, und auch die anderen nickten anerkennend.

»Ihr seid unmöglich. Allesamt!« Mila blickte streng und mit glühenden Wangen von einem zum anderen. »Wie soll ein Junge je zu einem ehrlichen, anständigen Mann werden, wenn er in Gesellschaft solcher Rüpel und Raufbolde aufwächst?«

»Vielleicht will ich das ja gar nicht werden, ein ehrlicher, anständiger Mann«, murmelte Pépin und betonte die Worte, als seien sie in seiner Welt keine Auszeichnung, sondern vielmehr das Gegenteil.

Josce lachte dröhnend und drosch ihm so heftig auf die Schulter, dass der Junge beinahe vom Schemel fiel. »Teufelskerl, sag ich doch!«

Mila seufzte und hob in gespielter Verzweiflung die Hände. »Ich werde jetzt zu meinem Vater gehen. Er hatte noch kein Abendessen.« Sie packte den kleinen Kessel mit der Grütze am Henkel. »Sicher weiß er meine Kochkünste mehr zu schätzen«, fügte sie mit einem ungnädigen Blick in Richtung Lionel hinzu und schlüpfte hinaus.

Der zog eine komische Grimasse, sobald sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. »Ich hoffe, ihr Vater ist ein guter Lügner.«

 

Die Nacht war bereits hereingebrochen, als Erec seinen gewohnten Abendbesuch bei Titus unternahm.

»Na, wie geht’s dir, mein Lieber? Ich hab was für dich.«

Erec trat an die Box, um dem Hengst einen Kanten Brot zu überreichen, doch der machte keine Anstalten, zu ihm zu kommen. Stattdessen wandte er ihm die Kehrseite zu und blickte nur kurz über die Schulter. Erec runzelte die Stirn. Er konnte sich nicht erinnern, dass Titus jemals einen Leckerbissen verschmäht hätte. Sorge regte sich in seiner Brust. Hatte der Hengst beim Wettkampf gestern Schaden genommen? War er womöglich krank?

Er öffnete den Verschlag und trat zu seinem Pferd. Das spärliche Licht der Stalllaterne reichte kaum bis in den hinteren Winkel der Box, aber eins war nicht zu übersehen: Titus kaute mit vollen Backen, während sich seine Ohren munter in verschiedene Richtungen bewegten.

»Was frisst du da?« Erec griff das Halfter und zog den großen Kopf zu sich heran. »Wer hat dir das gegeben?« Er wandte sich dem leeren Nachbarverschlag zu. »Pépin? Bist du hier irgendwo? Pep?«

»Ich hoffe, Ihr könnt mir verzeihen«, antwortete jemand aus der Dunkelheit. Kaum mehr als ein Flüstern, aber unverkennbar die Stimme einer Frau. »Ich fürchte, ich habe Euren Burschen angestiftet, den Dorfkrug aufzusuchen. Und Euren Hengst habe ich mit Äpfeln bestochen.«

Titus schnaubte zufrieden, was ihm einen vorwurfsvollen Blick Erecs einbrachte. »Treuloser Schurke!«, schalt er sein Pferd.

»Wer seid Ihr?«, fragte er schließlich in Richtung der geheimnisvollen Stimme. »Kommt ans Licht und zeigt Euch.«

»Um Euret- und meinetwillen werde ich das nicht tun.«

Neugier und ein Anflug von Ärger stiegen in Erec auf. Was wurde hier gespielt? »Also seid Ihr hässlich?«

Als Antwort erntete er ein überraschtes Luftschnappen, dann ein plätscherndes Lachen. Er bemerkte einen fremden Duft, der sich unter den vertrauten Stallgeruch mischte. Seine Haut begann zu prickeln.

»Warum treibt Ihr Euch mitten in der Nacht in einem Stall herum?«

Es dauerte einige Augenblicke, ehe die Fremde antwortete. »Ich war neugierig, glaube ich, wollte mir persönlich ein Bild machen von dem Kämpfer, der so verwegen war, ohne Helm ins Lanzenstechen zu gehen. Verwegen oder töricht, ich bin nicht sicher.«

Also war sie beim Tjost gewesen und hatte ihn reiten sehen.

»Findet Ihr es nicht unfair, dass Ihr wisst, wer ich bin, mich umgekehrt aber im Dunkeln lasst?« Erec verließ Titus’ Box und schloss die Tür hinter sich.

»Macht Euch das nervös, Erec?« Die Stimme klang amüsiert.

Auch Erec musste grinsen. Nein, nervös machte es ihn nicht. Wenn er ehrlich war, verspürte er vielmehr eine wachsende Erregung. Langsam näherte er sich dem Winkel des Stalls, aus dem er die Stimme vermutete und der mit Dunkelheit und Schatten gefüllt war. »Was genau wollt Ihr von mir?«

Wieder ein leises Lachen, diesmal ganz nah. »Findet es heraus, wenn Ihr Euch traut.« Eine Hand streckte sich ihm aus dem Schatten entgegen, und die Stalllaterne ließ kurz Ringe aufscheinen und glänzenden Stoff. Sie griff nach seinen Fingern und zog ihn in die Dunkelheit.

Hitze strömte durch Erecs Körper und konzentrierte sich schmerzhaft in seinem Schritt. Er spürte weiche, glatte Haut, die seine Hand umfasste, einen warmen Körper unmittelbar vor sich, hörte ihren Atem. Ein Duft nach Lavendel, Geißblatt und frischem Leinen hing zwischen ihnen.

Erec zögerte. »Was wollt Ihr von mir?«, wiederholte er seine Frage. Natürlich war ihm klar, dass diese Situation weit schlimmere Konsequenzen haben konnte als ein Lanzenritt ohne Helm. Auch wenn eine lauter werdende Stimme hinter seiner Stirn – oder von einer Stelle unterhalb seines Nabels – ihn drängte, die Bedenken beiseitezuschieben.

Vor ihm blitzte ein amüsiertes Lächeln auf. Kurz spiegelte sich der Lichtschein der Laterne in einem Augenpaar, Augen in der blassgrünen Farbe von Amseleiern. »Ich wollte mich lediglich davon überzeugen, dass Ihr trotz Eures überaus leichtsinnigen Verhaltens beim Tjost keinen Schaden genommen habt«, erklärte die Unbekannte. »Das wäre äußerst bedauerlich angesichts Eures Talents. Ihr erlaubt doch?«

Bevor er Einwände hätte erheben können, legte sich ihre schmale Hand auf seine Brust und glitt sacht über seinen Bliaut die Rippen hinab. Sein Herzschlag beschleunigte sich, und die Haut begann unter ihrer Berührung zu glühen. Beiläufig drückte sie die Stelle, an der Damiens Lanzenstoß einen schmerzhaften Bluterguss hinterlassen hatte. Er zuckte zusammen. Offenbar hatte sie seinen Wettkampf genauestens verfolgt.

Sie ließ ihm jedoch keine Zeit, darüber verärgert oder geschmeichelt zu sein, denn ihre Fingerspitzen fuhren nun langsam auch die andere Hälfte seines Oberkörpers ab, strichen über seine Brustwarze und jede einzelne Rippe, und auch wenn er sich bemühte, regungslos zu bleiben, konnte er ein Schaudern nicht unterdrücken.

»Wie mir scheint, sind alle wichtigen Teile heil geblieben«, flüsterte die Frau, und er hörte ein Schmunzeln aus ihrer Stimme. »Doch halt, wartet, eine Stelle noch …« Ihre Hand, die auf seinem Brustbein verharrt hatte, glitt nun aufreizend langsam hinab zu seinem Nabel – und ein kleines Stück darüber hinaus, hielt dann jedoch unvermittelt inne. »Ach nein«, lenkte sie ein und nahm die Finger weg. »Das zu überprüfen, hebe ich mir für unser nächstes Treffen auf.« Sie lachte ihr helles, plätscherndes Lachen. »Aber tut mir den Gefallen und vergesst bis dahin nicht das Atmen.«

Erst jetzt merkte Erec, dass er tatsächlich die Luft angehalten hatte, und er füllte hastig seine Lungen. Verwirrung und Verlegenheit stiegen ihm heiß in die Stirn. Einen Herzschlag lang schloss er die Augen.

»Es war mir ein Vergnügen, Euch kennenzulernen, Erec«, verabschiedete sich die Fremde, und wieder blitzte ihr Lächeln auf. Er hörte das Rascheln von Stoff, als sie Kapuze oder Schal überstreifte. Mit gesenktem Kopf trat sie aus der Dunkelheit an ihm vorbei und huschte ohne ein weiteres Wort davon. Ließ nicht mehr zurück als den schwachen Geruch nach Lavendel und Geißblatt.