Königreich der Angst - Hunter S. Thompson - E-Book

Königreich der Angst E-Book

Hunter S. Thompson

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Beschreibung

In seinen endlich auch auf Deutsch vorliegenden Memoiren lässt Hunter S. Thompson noch einmal sein turbulentes Leben Revue passieren. Von seinen Anfängen als aufsässiger Jugendlicher in Louisville über unzählige Exzesse bis hin zu seinen legendären politischen Aktivitäten ist Königreich der Angst nicht zuletzt eine gnadenlose Abrechnung mit der gegenwärtigen amerikanischen Administration.

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Seitenzahl: 617

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Zum Buch

»Königreich der Angst« stellt so etwas wie die Memorien des Hunter S. Thompson dar. In einem großen Panorama, das mehrere Jahrzehnte umpsannt, werden wir Zeugen verrückter Trips, in denen Alkohol, Drogen, Frauen, Schusswaffen, Sprengstoff und nicht zuletzt Motorräder eine gewichtige Rolle spielen.

Thompson erzählt von seiner Zeit als jugendlicher Außenseiter in Louisville, von seinen Abenteuern im Pornogeschäft, seiner Kandidatur um den Sheriffsposten in Aspen, und wie er einmal fälschilich beschuldigt wurde, Jack Nicholson umbringen zu wollen.

Gleichzeitig lassen uns diese Anekdoten auch einen Blick auf das dunkle Amerika werfen. Auf die gegenwärtige politische Situation, die Thompson hellsichtig und scharfzüngig kritisiert.Dieses Buch ist eine Analyse unserer Zeit, in der korrupte Politiker, Kriegstreiber und bigotte Moralisten die Überhand gewonen haben. Die Angst und der Schrecken sind größer als je zuvor ...

Zum Autor

Hunter S. Thompson wurde 1937 in Louisville, Kentucky, geboren . Er begann seine Laufbahn als Sportjournalist, bevor er Reporter für den Rolling Stone und als Begründer des Gonzo-Journalismus zu einer Ikone der Hippiebewegung wurde. Hunter S. Thompson nahm sich am 20.02.2005 in seinem Wohnort Woody Creek, Colorado, das Leben.

Lieferbare Titel

Angst und Schrecken in Las Vegas – Hell’s Angels – The Rum Diary

Für Anita

Webt einen dreifachen Kreis rund um ihn, und schließt eure Augen in heiligem Schauder, denn an Honigtau hat er sich gelabt, und getrunken die Milch des Paradieses.

Samuel Taylor Coleridge, Kubla Khan

Der Autor dankt den folgenden Quellen für die Abdruckgenehmigungen:

Ref 1: »Schuld durch Mittäterschaft im Mittelpunkt des Auman-Falls« von Karen Abbott, von den Rocky Mountain News, 29. April 2002; Ref 2: »Die Schlacht um Aspen« aus dem Rolling Stone #67, 1. Oktober 1970; Ref 3 :Text aus »Take a Walk on the Wild Side« von Lou Reed © Lou Reed/EMI, All Rights Reserved; Ref 4 : »Dr. Hunter S. Thompson und die letzte Schlacht um Aspen« von Loren Jenkins, Smart Magazine, Jan./Feb. 1990; Ref 5: Text von »American Pie« von Don McLean © Songs of Universal/BMI, All Rights Reserved; Ref 6: »Knock Knock – Who’s There« von Edward T. Cross, aus der Aspen Times Daily, 18. Juni 1990; Ref 7: »D.A. schnappt Thompson bei Sex-Vergehen« von David Matthews-Price aus der Aspen Times Daily, 28. Februar 1990; Ref 8: »Gonzos letztes Gefecht?« aus der Village Voice, 15. Mai 1990; Ref 9: »D.A. erhebt möglicherweise Anklage gegen Autor aus Aspen« von Eve O’Brien aus der Denver Post,14. März 1990; Ref 10: Thompson muss vor Gericht erscheinen »von David Matthews-Price aus der Aspen Times Daily, Ref 11: »Thompson lehnt Schuldhandel ab; nimmt Kabrio an« von David Matthews-Price aus der Aspen Times Daily;Ref 12: »Der üble Sex-und-Drogen-Fall des Hunter S.Thompson« von Richard Stratton aus dem High Times Magazine; Ref 13: Texte aus »One Time One Night«, geschrieben von David Hidalgo und Louis Perez © 1988 DAVINCI MUSIC (BMI)/ NO K. O. MUSIC (BMI)/Administered by Bug. All Rights Reserved.

Inhaltsverzeichnis

Zum BuchZum AutorLieferbare TitelWidmungInschriftVorwort von Timothy FerrisMemo aus der SportredaktionTEIL 1
Wenn die Verhältnisse irre werden, werden die Irren zu Profis
Der Briefkasten: Louisville, Sommer 1946Würdest du es wieder tun?
Copyright

Vorwort von Timothy Ferris

Wenn, wie Paul Valéry es ausdrückte, »der wahre Dichter derjenie ist, der inspiriert«, dann ist Hunter Thompson ein wahrer Dichter. Sein Stil hat zahllose Nachahmer gefunden (die natürlich allesamt furchtbar gescheitert sind: Niemand schreibt wie Hunter), und er hat jenen Journalisten einen brillanten Fundus gnadenloser Gedankenschärfe und ätzender Empörung eröffnet, die genügend Feingefühl besitzen, um von seinem Vorbild zu profitieren, ohne zu versuchen, seinen Schreibstil zu kopieren. Seine berüchtigt intensive und impulsive Lebensweise – dokumentiert in seinen eigenen Werken und in den Berichten anderer, die den Mut hatten, ihn auf seiner Reise ein Stück weit zu begleiten – hat ebenfalls massenhaft Nachahmer auf den Plan gerufen. Die meisten von ihnen haben es allerdings klugerweise vermieden, sich zu nahe zu diesem sonderbar dunklen Stern hinaufzuschwingen. So gut wie jeder, der etwas von Hunter weiß, ist von ihm fasziniert, und die enge Verkettung seiner Arbeit mit seiner Person hat ihm ungewöhnlichen Ruhm eingebracht. Fünf Biografien sind über ihn erschienen, in Hollywood wurden zwei Spielfilme nach seinen Büchern gedreht, und sein Name erscheint auf einer halben Million Webseiten im Internet – öfter als die Namen William Burroughs, Allen Ginsberg, Jack Kerouac, Norman Mailer und Tom Wolfe zusammengenommen.

In Anbetracht dessen, dass er in den meisten seiner Werke agierender Protagonist ist, stellt sich die Frage, wer denn in erster Linie verantwortlich ist für all diese Inspiration und die faszinierenden Geschichten: Hunter, der Schreiber, oder Hunter, über den geschrieben wird? Eine Frage, die sich besonders deshalb aufdrängt, weil Königreich der Angst als Lebenserinnerung auftritt und als solche die Konfrontation eines Autors mit sich selbst darstellt. Die Antworten liegen nicht auf der Hand – besonders deswegen nicht, weil Königreich der Angst ebenso wie Einsteins Autobiographische Notizen von der Reflexion darüber, wer der Autor ist, sehr schnell abschweift zu Darstellungen dessen, was er tut. Und diese vermitteln uns alles andere, als ein geschlossenes Gesamtbild. Jeder Mensch ist viele Menschen – Whitman verwies auf diesen Sachverhalt, als er sagte, dass in ihm ganze Völker enthalten seien –, und keine simple Gegenüberstellung des Künstlers als Schöpfer und des Künstlers als Subjekt kann letztlich mehr liefern als einen flüchtigen Ausschnitt der Realität. Trotzdem dürfte die nähere Betrachtung des Verhältnisses zwischen Hunter, dem Autor, und seinem in der ersten Person erzählenden Protagonisten zumindest einen schwachen Lichtschein in die dunklen Katakomben seiner ausufernden Kreativität werfen.

Zunächst einmal schreibt Hunter äußerst witzig. Er zählt zu den größten amerikanischen Humoristen aller Zeiten. Sein Witz ist zudem, wie wahrer Witz eigentlich immer, im Wesentlichen ernsthaft, und in seinem Kern tobt ein himmelschreiender Wirbelsturm aus Empörung und Schmerz, den Hunter in Werke von bleibendem Wert zu verwandeln vermochte. Diese Werke besitzen darüber hinaus den Vorzug, von den Fakten her verlässlich zu sein – solange es der Autor so möchte. Hunter ist ein akribisch recherchierender Reporter, der nicht scherzte, als er seinem Publikum im Strand in Redondo Beach sagte: »Ich bin der genaueste Journalist, den ihr je zu lesen bekommen werdet.« Während der dreißig Jahre unserer Freundschaft hat er meinen Stil und meine Wortwahl öfter und zutreffender korrigiert als ich die seine – und er hat sich nicht nur deshalb durchgesetzt, weil er üblicherweise mit einer .454er Magnum bewaffnet war, mit der er einmal auch eine seiner vielen IBM-Selectric-Schreibmaschinen zerschoss. »Diese Waffe ist einfach zu heftig, es sei denn, man will auf zweihundert Meter einen Buick vernichten«, erinnerte er sich an die Schüsse auf seine elektrische Schreibmaschine. »Die Kugel hat die Maschine mit einer solchen Geschwindigkeit durchschlagen, dass man denken könnte, irgendein Strahlsei durch sie hindurchgefahren. Man konnte kaum erkennen, wo ich sie getroffen hatte. Also bin ich losgegangen und habe eine Magnum Schrotflinte Kaliber 12 geholt und die dazu passende Munition. Da sah das Einschussmuster schon ganz anders aus.« Er bekommt es fertig, ein bereits außer Kontrolle geratenes Besäufnis wieder zu erden, indem er penible Erwägungen zu den verschiedensten Dingen anstellt und vorträgt: von der Frage, wie glaubhaft das Gerücht sei, das während der Parteiversammlung der Demokraten 1972 aufkam und das andeutete, George McGovern werde in Kürze den zweiten Platz auf seiner Kandidatenliste Leonard Woodcock, dem Präsidenten der United Auto Workers, antragen (Hunter entschied sich, diesem Gerücht nicht zu trauen, und wie gewöhnlich behielt er Recht), bis hin zum Studium der Einträge, die sich im Thesaurus für das Wort Gewalt fanden. (»Dazu gehören hier Macht, Ungestüm, Kraft, Heftigkeit, Schärfe, Wildheit, Grausamkeit, Willkür, Kraftmeierei, Gräuel[tat], Wutausbruch, Aufruhr, gewalttätige Leidenschaft … Kann einem ja Angst machen; das ist ja wie eine Art Porträt von mir in Worten.«)

Aber dann verlieren seine Werke, auf ein kaum wahrnehmbares Zeichen hin, ihre Erdung und driften in eine Art Hyperraum, wo die Fakten auf Stecknadelkopfgröße schrumpfen, ähnlich wie die Erde aus der Sicht eines Kosmonauten immer winziger wird. Das angestrebte Ziel ist dann nicht mehr die faktengetreue Darstellung, sondern verlagert sich auf die Suche nach einer verborgenen Wahrheit. Nur wenige Leser können diese Wendepunkte einwandfrei orten, und sehr viele stellen eine immer wiederkehrende Frage: Wie viel in den Schilderungen Hunters über seine Eskapaden – die schnellen Autos, unbändigen Motorräder, schwerkalibrigen Waffen und hochexplosiven Sprengstoffe, die schönen Frauen und die halluzinogenen Drogen, die beängstigenden Missgeschicke und die vielen waghalsigen Flirts mit dem drohenden Desaster, die seine Wendung »Angst und Schrecken« zu einem geflügelten Wort gemacht haben –, wie viel davon ist übertrieben?

Bei weitem nicht genug, als dass man sich entspannt zurücklehnen könnte.

Hunter hat sein Leben lang die Angst studiert – aber sie auch gelehrt. Er gab einem Song, den er kürzlich mit Warren Zevon schrieb, den Titel »You’re a Whole Different Person When You’re Scared«, und er ist überzeugt, sein Gegenüber nicht wirklich zu kennen, bevor er nicht auch diesen anderen Menschen in ihm kennt. Diverse Male ist er mit einer übel aussehenden Injektionsspritze für Pferde auf mich losgegangen, hat mich mit einer geladenen Schrotflinte bedroht, mit Elektroschockern und Reizgas-Spraydosen, hat mich mitgenommen, wenn er mit halsbrecherischer Geschwindigkeit in dunkler Nacht zu abgelegenen Mordschauplätzen raste – und ich möchte bezweifeln, dass meine Reaktionen auf derartige Strapazen sein Interesse weckten, denn ich habe ihm stets in aller Seelenruhe mein Leben anvertraut. Doch diejenigen, die sich angesichts solcher Behandlung derart verwandeln, dass sie die Infrarotsensoren von Hunters tückischer Neugier aktivieren, können sich auf einen interessanten Abend gefasst machen.

Gleichzeitig ist dieser heulende Gewaltbesessene – gewohnheitsmäßig voll bis an den Kragen mit starken Rauschmitteln und mit egomanischen Zügen Beethoven’scher Dimension unter der Schädeldecke – aber auch gewissenhaft und rücksichtsvoll, höflich und mitfühlend, seltsam friedliebend auf seine Weise und unerschütterlich freigebig. Als er und ich jung waren und abgebrannt und man mich aus dem letzten festen Job feuerte, den ich je hatte, bot er sofort an, mir vierhundert Dollar zu schicken  – das ganze restliche Guthaben, das er damals noch auf seinem Konto hatte. Er hatte jedoch keine Ahnung, dass ich davon wusste. Wenn man sich fragt, wie er seine zahlreichen Exzesse hat überleben können, müssen seine tief verwurzelte Rechtschaffenheit und Integrität herausgestellt werden, aber hinzu kommt die Tatsache, dass er mit außergewöhnlichen Reflexen gesegnet ist. Ich habe einmal gesehen, wie er aus Versehen mit dem Handrücken einen Drink vom Tisch stieß, als er nach einem läutenden Telefon griff, aber dann das fallende Glas mit derselben Hand auffing, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten. Als wir Zuschauer unsere Verblüffung über dies Kunststück zum Ausdruck brachten, sagte er: »Na ja, wenn wir hier meiner Fähigkeit applaudieren, Rettungstaten zu vollbringen, sollten wir nie vergessen, wer die Unfälle eigentlich erst verursacht hat.« Mir ist nie jemand begegnet, der Hunter wirklich kannte und ihn nicht liebte.

Wir haben es mit einem hinreißenden, wenn auch furchteinflößenden Mann der Tat zu tun, so spektakulär und unvorhersehbar wie ein Blitzschlag, der gleichzeitig immer von einem eulenähnlichen, weisen Autor beobachtet wird, der zwar in derselben Haut steckt, aber nichtsdestoweniger ständig von dessen Verhalten überrascht und irritiert wird, genauso wie der Rest von uns. In Königreich der Angst ergeben sich aus den Interaktionen dieses seltsamen Gespanns Schilderungen von Abenteuern wie Hunters nächtlichem Ausflug zum Haus seines alten Freundes Jack Nicholson. Seinen Jeep hat er beladen »mit allerlei Scherzartikeln und technischem Plunder«, womit er die Herzen von Nicholsons Kindern zu erfreuen vorhatte: »Außer dem blutigen Wapitiherz gab es da noch einen klotzigen Outdoor-Verstärker, die Tonbandaufnahme vom Todeskampf eines Schweins, das lebendig von Bären gefressen wird, einen Suchscheinwerfer mit einer Million Watt und eine Neun-Millimeter-Pistole von Smith & Wesson, Halbautomatik mit Teakgriff, sowie eine Schachtel mit Hochleistungsmunition. Dann war da noch ein Leuchtfallschirm mit der Lichtstärke von vierzig Millionen Kerzen, der das Tal vierzig Meilen weit und vierzig Sekunden lang so grell erleuchten würde, dass jeder, der das Glück hatte, noch wach zu sein, annehmen musste, es handele sich um den ersten gleißenden Detonationsblitz einer mittelschweren Atombombenexplosion, die vielleicht das Ende der Welt ankündigte.« Als der Einsatz all dieser Mitbringsel auf einem Felsvorsprung oberhalb des Anwesens von Nicholson nicht den erwarteten freudigen Willkommensgruß bewirkt, empfindet der peinlich berührte Hunter das »als Brüskierung«.

»Langsam hatte ich eher gemischte Gefühle, was diesen Besuch betraf«, gesteht er, während er sich daran macht, das blutende Wapitiherz vor Nicholsons Eingangstür zu deponieren, aber schon bald ist er wieder guten Mutes und fragt sich: »Wieso lasse ich mich zu so negativen Gedanken hinreißen?«

Und das ist, wenn man etwas Farbe rausnimmt und die Lautstärke runterdreht, so ziemlich genau die condition humaine, das, was wir alle täglich erleben. Wir tun Dinge, ohne zu wissen, warum, wundern uns über die Folgen und wissen weder, woher wir kommen, noch, wohin wir gehen. Robert Frost schrieb, dass wir im Kreis herum tanzen und uns in Vermutungen ergehen, während das Geheimnis in der Mitte thront und weiß. Hunter tanzt, ohne Frage, aber statt Vermutungen anzustellen, hört er nie auf, nach dem Wissen zu streben. Sein Ziel – wie Joseph Conrad es in seinem Vorwort zu The Nigger of the Narcissus formuliert, einem Werk, das den jungen Hunter höchst beeindruckte – »besteht darin, euch kraft des geschriebenen Wortes hören, fühlen und vor allem sehen zu machen« und uns »Ermutigung, Trost, Angst, Bezauberung« zu spenden » – alles, was ihr verlangt und vielleicht auch noch jenes Fünkchen Wahrheit, nach dem zu fragen ihr vergessen habt.«

Und das ist unter anderem der Grund, warum wir ihn lieben.

Memo aus der Sportredaktion

Ich sah mir gestern Abend im Fernsehen das Footballspiel Denver gegen Oakland an, als es von einer EILMELDUNG unterbrochen wurde, in der das FBI verlauten ließ, unbekannte Terroristen hätten vor, wichtige Ziele vielerorts in den Vereinigten Staaten zu zerstören, möglicherweise innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden. Das FBI habe dies aus verlässlichen Quellen erfahren, wie die unsichtbare Stimme erklärte. Das amerikanische Volk sei aufgerufen, äußerst wachsam zu sein & sich bereitzuhalten, von einer Minute zur anderen evakuiert zu werden … Jede Person, die verdächtige Äußerungen machte oder irgendwie gefährlich aussah, sollte umgehend bei der lokalen Polizeidienststelle oder bei einer der Behörden zur Verbrechensbekämpfung gemeldet werden! Es herrschte Alarmstufe Rot.

»Scheiße! Nicht schon wieder!«, rief meine Anwältin aus. »Ich muss morgen nach Boston fliegen. Was, zum Henker, geht in diesem Land bloß vor?«

»Stellen Sie niemals diese Frage«, ermahnte ich sie, »es sei denn, Sie kennen bereits die Antwort.«

»Das tue ich doch«, sagte sie. »Wir sind im Arsch, absolut im Arsch.«

Die »Anmerkungen des Autors« – wenn es sie denn überhaupt gibt – sind ausnahmslos der schlechteste und lahmste Teil jedes Buches, und das gilt auch für meins. Grund dafür ist, dass es sich notwendigerweise um den verzweifelten »letzten Schliff« handelt, der einem Buch mitgegeben wird, kurz bevor es in Druck geht – und das Buch selbst, einschließlich der beiden Jahre fieberhafter Arbeit und schlimmer Seelenqual, scheint zum Misserfolg verurteilt, wenn der Autor seine Anmerkungen nicht rechtzeitig vor Veröffentlichung fertig stellen kann.

Aber täuscht euch nicht. Diese vier nutzlosen Seiten mit billigem Geschwafel sind mit Abstand der wichtigste Teil des Buches, sie sagen: Nichts sonst ist von Bedeutung.

Aufgrund dieser unheilvollen Einsicht machen wir uns also an die widerwärtige Aufgabe, jetzt und hier die »Anmerkungen des Autors« zusammenzustoppeln, koste es, was es wolle. Ich bin nicht gerade scharf darauf, mich damit abzuquälen; genauso wenig wie ich erpicht bin, jetzt auf die Schnelle noch einen Kurs zu besuchen, in dem man lernt, Werbetexte für die eigenen Arbeiten zu verfassen. Solchen Müll hab ich schon vor vierzig Jahren vehement abgelehnt, weil ich ihn hasste und weil ich die Leute hasste, die mich dazu bringen wollten, ihn abzusondern. Aber was soll’s? Irgendwie sind wir wieder am Ausgangspunkt angelangt … Ist dies nicht ein großartiges Land?

Die unverfänglichste Antwort auf die Frage lautet: »Ja, und danke, dass Sie gefragt haben.« Jede andere Antwort sorgt dafür, dass ihr euren Namen auf der Warteliste für ein Quartier in Guantánamo Bay wieder findet.

Klingt nach einem echt großartigen Land, oder? Hereinspaziert, und viel Glück im Gefängnis. Kuba ist eine schöne Insel, vielleicht die schönste, die ich je gesehen habe. Man nennt sie nicht umsonst die Perle der Antillen. Die weißen Sandstrände sind grandios, und die sanfte karibische Brise, die man dort um Mitternacht spürt, lässt einen an Liebe, an Freude und an wilde romantische Abenteuer wie in vergangenen Zeiten denken.

In der Tat, die Chancen stehen gut für Kuba, denn die Dollar-Ökonomie wird kommen, sobald die gesamte Insel in ein geräumiges Konzentrationslager für die USA. umgewandelt worden ist. Woran ja bereits gearbeitet wird. Als Präsident Theodore Roosevelt Kuba 1906 erfolgreich annektierte, dürfte er kaum geahnt haben, dass er seinem Land einen Flecken Erde hinzufügte, der später zur größten und dauerhaftesten Gefängniskolonie der Weltgeschichte werden würde.

Guter alter Teddy. Alles, was er anpackte, war dazu verurteilt, in Schönheit zu erblühen. Der Mann konnte einfach nichts falsch machen.

Inzwischen machten daheim auf der Ranch die Raiders die hoch favorisierten Broncos fertig, bei denen auf ihre Weise ebenfalls Alarmstufe Rot herrschte. Ihre viel gepriesene Verteidigung war nur noch ein Häufchen Elend, und jetzt wurden sie gnadenlos auseinander genommen.

»George Bush ist viel bedeutender als Roosevelt«, sagte meine Anwältin. »Ich wünschte, wir könnten jetzt bei ihm sein.«

»Blödsinn«, schnaubte ich. »Wenn Teddy Roosevelt noch lebte, würde er sich aus Scham über dieses Land die Pulsadern aufschneiden.«

»Na und? Trotzdem muss ich morgen nach Boston«, murmelte sie. »Gehen denn überhaupt irgendwelche Flüge?«

In dem Moment wurde das Footballspiel abermals unterbrochen  – und zwar durch einen bezahlten Werbespot über die Schrecknisse des Marihuanakonsums. »Gütiger Gott«, sagte sie. »Jetzt sagen sie schon, wenn ich diesen Joint rauche, mache ich mich des Mordes an einem Bundesrichter schuldig – Scheiße, das ist doch ein Kapitalverbrechen, und da winkt die Todesstrafe.«

»Ganz recht«, erwiderte ich. »Und wenn Sie dies dreckige kleine Ding mir auch nur anbieten, mache ich mich dem Gesetz nach der Beihilfe zum Mord an einem Bundesrichter schuldig.«

»Also, ich schätze, wir werden wohl aufhören müssen, dies Zeug zu rauchen«, sagte sie traurig, als sie mir den Joint weiterreichte. »Aber was soll ich denn sonst rauchen oder nehmen, um mich nach einem Tag voller Niederlagen vor Gericht zu entspannen?«

»Nichts«, sagte ich. »Und besonders kein Xanax: Der Gouverneur von Florida hat gerade seine eigene Tochter zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie versucht hat, Xanax zu kaufen.«

Schluss jetzt mit dem Drogengequatsche. Heutzutage kann dich schon das Reden über Drogen hinter Gitter bringen. Die Zeiten haben sich drastisch geändert, aber nicht zum Besseren.

Ich mag dieses Buch, und ganz besonders gefällt mir sein Titel, der ziemlich genau auf den Punkt bringt, wie mies und abscheulich das Leben in den USA. während dieser ersten blutigen Jahre des post-amerikanischen Jahrhunderts geworden ist. Nur ein Narr oder eine Hure würden anders darüber denken.

Man könnte leicht behaupten, wir hätten all das der Bush-Familie aus Texas zu verdanken, aber das wäre allzu simpel. Die sind nur Laufburschen für das rachsüchtige und blutrünstige Kartell geifernder Jesus-Freaks und superreicher Geldscheffler, die dieses Land mindestens die letzten zwanzig, wenn nicht gar die vergangenen zweihundert Jahre regiert haben. Sie nehmen willfährig deren Befehle entgegen, ohne zu viele Fragen zu stellen.

In Amerika liegt die wahre Macht in den Händen einer schnell aufstrebenden neuen Oligarchie aus Zuhältern und Priestern, die keinen Bedarf an Demokratie sehen oder an Fairness oder auch nur an Bäumen – mit Ausnahme vielleicht derjenigen, die in ihren eigenen Gärten stehen. Und es macht diesen Leuten noch nicht mal was aus, das offen einzugestehen. Sie beten das Geld und die Macht und den Tod an. Die ideale Lösung aller Probleme der Nation wäre ihrer Ansicht nach ein weiterer hundertjähriger Krieg.

Älterwerden in einem faschistischen Polizeistaat wird für niemanden ein Zuckerschlecken sein, am allerwenigsten für Leute wie mich, die nicht dazu neigen, Nazis freiwillig zu erdulden, und die nichts als Verachtung für die flaggenhörigen Feiglinge empfinden, die allzu gern ihre aus der Mode gekommene Freiheit für diesen erbärmlichen Eintopf-Fraß aufgeben würden, den man ihnen als Freiheit von Furcht auftischt.

(Lynn Goldsmith)

Ho ho ho, verlieren wir nicht die Beherrschung. Freiheit gab es gestern in diesem Land. Ihr Kurs ist gesunken. Die einzige Freiheit, nach der uns heutzutage wirklich verlangt, ist die Freiheit von Dummheit. Etwas anderes zählt nicht.

Ich habe niemals auf Nummer Sicher gelebt, ganz im Gegenteil, aber ich bin stolz auf mein Leben, und mein Sohn ist das ebenfalls. Mehr wünsche ich mir gar nicht. Ich würde alles noch mal genauso machen, ohne auch nur das Geringste zu ändern, obwohl ich meine Lebensweise anderen Menschen nie weiterempfohlen habe. Das wäre grausam und unverantwortlich und falsch, denke ich, und so bin ich nicht.

Also, das wär’s dann, Leute. Uns bleibt keine Zeit mehr. Sorry. Mahalo.

HST

PS: »Der Unterschied zwischen dem beinahe-richtigen Wort & dem richtigen Wort entspricht … dem Unterschied zwischen einem Leuchtkäfer und einem Blitz.«

Mark Twain

TEIL 1

Wenn die Verhältnisse irre werden, werden die Irren zu Profis

So was wie Witze gibt es nicht. Die Wahrheit ist der größte Witz von allen.

Muhammad Ali

Der Briefkasten: Louisville, Sommer 1946

Meine Eltern waren anständige Leute, und wie meine Freunde wurde auch ich dazu erzogen, alle Polizisten als Freunde und Beschützer anzusehen – ihre Dienstmarke war das Symbol hoher Autorität, ja, vielleicht der allerhöchsten. Warum, hat nie jemand gefragt. Das war eine jener widernatürlichen Fragen, von denen man sich am besten fern hielt. Wenn man sie stellen musste, hatte man sich todsicher irgendwas zuschulden kommen lassen und gehörte wahrscheinlich schon seit langer Zeit hinter Gitter. Gewinnchancen gleich null.

Dem FBI stand ich das erste Mal Auge in Auge gegenüber, als ich neun war. Zwei grimmige Agents tauchten bei uns zu Hause auf und jagten meinen Eltern einen Mordsschrecken ein, indem sie ihnen eröffneten, ich sei »Hauptverdächtiger« eines nach den Bundesgesetzen strafbaren Vergehens: Ein Briefkasten der Bundespost war umgestürzt worden, direkt vor die Räder eines mit hoher Geschwindigkeit heranrollenden Busses. Und das, sagten sie, würde mit fünf Jahren Gefängnis bestraft.

»O nein!«, jammerte meine Mutter. »Aber doch nicht ins Gefängnis! Das ist ja Wahnsinn! Er ist doch noch ein Kind! Wie hätte er das denn ahnen sollen?«

»Die entsprechende Warnung steht deutlich auf jedem Briefkasten«, sagte der Agent im grauen Anzug. »Und er ist doch wohl alt genug, um lesen zu können.«

»Nicht unbedingt«, warf mein Vater bissig ein. »Woher wollen Sie denn wissen, dass er nicht blind ist oder geistig minderbemittelt?«

»Bis du geistig minderbemittelt, mein Sohn?«, fragte mich der Agent. »Bist du blind? Als wir reinkamen, hast du da vielleicht nur so getan, als würdest du die Zeitung lesen?« Er deutete auf den Louisville Courier-Journal auf der Couch.

»Das war nur der Sportteil«, antwortete ich ihm. »All die anderen Sachen kann ich nicht lesen.«

»Sehen Sie«, mischte sich mein Vater ein. »Ich hab Ihnen doch gesagt, er ist minderbemittelt.«

»Unkenntnis schützt vor Strafe nicht«, erwiderte der Agent im brauen Anzug. »Sich am Eigentum der US-Mail zu vergreifen, ist eine strafbare Handlung, die den Bundesgesetzen unterliegt. Der erwähnte Briefkasten wurde stark beschädigt.«

Briefkästen waren damals noch riesige, schwere, grüne Tresore, die wie römische Meilensteine entlang der örtlichen Busstrecken standen und selten, wenn überhaupt je, bewegt wurden. Ich war kaum groß genug, um an den Einwurfschlitz zu reichen, geschweige denn kräftig genug, um das Mistding umzukippen und vor einen Bus zu stoßen. Unmöglich hätte ich dies Verbrechen ohne die Hilfe anderer bewerkstelligen können. Und genau darum ging es ihnen: Sie wollten Namen und Adressen, am besten gleich mit einem vollständigen Schuldgeständnis. Sie wüssten bereits, dass ich schuldig sei, sagten sie, denn andere Missetäter hätten mich verpfiffen. Meine Eltern ließen die Köpfe hängen, und ich sah, dass meine Mutter weinte.

Ich war es gewesen, klar, und ich hatte jede Menge Hilfe dabei gehabt. Er war sorgsam ausgeheckt worden, dieser hinterhältige Plan, und er wurde mit jenem teuflischen Geschick ausgeführt, das smarte neunjährige Jungen an den Tag legen können, wenn sie zu viel Zeit haben und nach Rache an einem ebenso blöden wie fiesen Busfahrer dürsten, der sich einen Spaß daraus machte, die Türen zu schließen und in dem Moment loszufahren, wenn wir außer Atem und taumelnd die Anhöhe erreichten und ihn anflehten, uns noch einsteigen zu lassen … Er war neu, wahrscheinlich ein hirnamputierter Ersatzmann für unseren regulären Fahrer, der stets freundlich war und nett und immer bereitwillig ein paar Sekunden auf Kinder wartete, die nicht zu spät in den Unterricht kommen wollten. Alle Kids in der Nachbarschaft waren einhellig der Meinung, dass dieser Schweinehund von Aushilfsfahrer ein Sadist war, der eine Strafe verdient hatte. An den Hawks A.C. war es, ihm diese zu verabreichen. Und wir sahen das eher als unsere Pflicht an denn als Dummejungenstreich. Es war ein dreister Anschlag auf die Ehrbarkeit der gesamten Nachbarschaft.

Wir würden Seile brauchen und Flaschenzüge, aber ganz gewiss brauchten wir keine Zeugen, um die Sache vernünftig durchzuziehen. Wir mussten das eiserne Monstrum so weit kippen, dass es perfekt ausbalanciert war, um genau in dem Moment zu fallen, wenn der Blödmann mit dem gewohnt unverschämten Tempo in die Haltestelle rauschte. Alles, was den Briefkasten mehr oder wenig aufrecht hielt, war die »unsichtbare« Leine in meiner Hand, die wir mit aller Sorgfalt von der Stra-ßenecke aus über mehr als zehn Meter Rasen bis zu der Stelle gespannt hatten, wo wir versteckt im Buschwerk hockten.

Unsere Konstruktion erwies sich als perfekt. Der Mistkerl kam pünktlich und fuhr viel zu schnell, um noch anhalten zu können, als der Briefkasten vor ihm runterkrachte … Der Zusammenprall verursachte einen furchtbaren Lärm, als sei eine Bombe detoniert oder in Deutschland ein Güterzug in die Luft geflogen. Zumindest klingt es in meiner Erinnerung so. Es war das schlimmste Getöse, das ich je gehört hatte. Die Leute kamen verängstigt wie aufgescheuchte Hühner aus ihren Häusern gestürzt und schrien hysterisch herum, während der Fahrer aus seinem Bus torkelte und im Gras zusammensackte … Wie gewöhnlich befanden sich so kurz vor der Endstation keine Fahrgäste mehr im Bus. Der Mann war unverletzt, aber er schäumte vor Wut, als er uns entdeckte und mit ansehen musste, wie wir den Abhang hinunter flohen und in einer nahe gelegenen Gasse verschwanden. Blitzartig wurde ihm klar, wer die Täter waren, und den meisten Nachbarn ebenso.

»Warum noch leugnen, Hunter?«, sagte einer der FBI-Agenten. »Wir wissen sowieso genau, was am Sonnabend dort oben an der Ecke geschehen ist. Deine Kumpel haben bereits gestanden, Junge. Verpfiffen haben sie dich. Wir wissen, dass du es warst. Also lüg uns nicht an und mach dadurch alles nur noch schlimmer für dich. Es wäre doch schade, wenn ein netter Junge wie du in einem Bundesgefängnis endet.« Er griente und zwinkerte meinem Vater zu, der mich anfauchte: »Sag die Wahrheit, verdammt! Lüge diese Männer nicht an! Sie haben Zeugen!« Die FBI-Agenten nickten einander grimmig zu und bewegten sich in meine Richtung, als wollten sie mich in Gewahrsam nehmen.

Es war ein magischer Moment in meinem Leben, ein prägendes Erlebnis, und das wäre es wohl auch für jeden anderen neunjährigen Jungen gewesen, der in den vierziger Jahren nach dem 2. Weltkrieg aufwuchs – und ich entsinne mich noch deutlich, wie ich dachte: Das war’s dann also. Die sind Spezialagenten vom FBI …

KRAWUMM! Es war wie ein Blitzschlag, der den Himmel für drei oder vier schockierende Sekundenbruchteile erhellt, bevor der Donner zu hören ist – in Echtzeit wahrscheinlich nicht länger als ein paar Zeptosekunden –, aber wenn du ein neunjähriger Junge bist und zwei (2) ausgewachsene FBI-Agenten vor dir hast, die sich anschicken, dich festzunehmen und in ein Bundesgefängnis zu sperren, dann können dir ein paar lautlose Zeptosekunden vorkommen wie der Rest deines Lebens … Und genau so fühlte es sich an jenem Tag für mich an, und in bitterem Rückblick muss ich sagen: Es stimmte. Sie hatten mich am Wickel, auf frischer Tat ertappt. Ich war schuldig. Wozu noch leugnen? Gestehe alles ein, jetzt, und liefere dich ihnen aus, hoffe auf ihre Gnade, oder –

Oder was? Was wäre, wenn ich nicht gestand? Eine interessante Frage. Und ich war ein neugieriger Bengel. Also beschloss ich das Ruder selbst in die Hand zu nehmen und ihnen eine Frage zu stellen.

»Wer?«, sagte ich. »Welche Zeugen?«

An sich keine so ungewöhnliche Frage unter diesen Umständen  – und es hätte mich auch wirklich interessiert zu erfahren, wer von meinen besten Freunden und Blutsbrüdern bei den gefürchteten Hawks A. C. unter dem Druck nachgegeben hatte und mich an diese Schlägertypen verraten hatte, diese aufgeblasenen Brutalos und Speichellecker mit ihren Dienstmarken und Plastikkarten in den Brieftaschen, die verkündeten, dass sie für J. Edgar Hoover arbeiteten und das Recht, ja sogar die Pflicht hatten, mich ins Gefängnis zu stecken, weil »in der Nachbarschaft ein Gerücht kursierte«, dass ein paar von meinen Jungs Muffensausen bekommen und mich verpfiffen hätten. Was? Nein. Unmöglich.

Oder zumindest unwahrscheinlich. Scheiße, niemand verpfiff die Hawks A.C., und schon gar nicht deren Präsidenten. Schon gar nicht MICH. Also fragte ich noch mal: »Zeugen? Welche Zeugen?«

Und damit war die Sache gelaufen, soweit ich mich erinnere. Wir schwiegen alle einen Augenblick einträchtig, wie mein alter Freund Edward Bennett Williams sagen würde. Niemand sprach – am allerwenigsten ich –, und als mein Vater das unheimliche Schweigen durchbrach, schwang Zweifel in seiner Stimme mit. »Ich glaube, mein Sohn hat da irgendwie Recht, Officer. Mit wem genau haben Sie denn eigentlich gesprochen? Das wollte ich auch gerade fragen.«

»Bestimmt nicht Duke!«, rief ich. »Der ist mit seinem Vater nach Lexington gefahren! Und Ching auch nicht! Und auch nicht Jay! –«

»Halt die Klappe«, sagte mein Vater. »Sei still, blöder Bengel, und lass mich das hier regeln.«

Und so geschah es denn auch, Leute. Diese FBI-Agenten tauchten nie wieder auf. Nie wieder. Und mir wurde eine äußerst wichtige Lektion zuteil: Glaub nie auch nur das Geringste, was ein FBI-Agent dir zu irgendeinem Sachverhalt mitteilt – besonders dann nicht, wenn er zu glauben scheint, dass du dich eines Verbrechens schuldig gemacht hast. Es kann gut sein, dass er keine Beweise hat. Vielleicht blufft er. Vielleicht bist du wirklich unschuldig. Vielleicht. Paragraphen erweisen sich immer wieder als dehnbar … Es ist auf jeden Fall einen Versuch wert.

(HST Archiv)

Wie dem auch sei, wegen des Vorfalls wurde nie jemand festgenommen. Die FBI-Agenten verschwanden, der US-Briefkasten wurde wieder auf seine schweren Eisenfüße gestellt, und das besoffene Schwein von Ersatzbusfahrer haben wir nie wieder gesehen.

Würdest du es wieder tun?

Diese Story hat keine Moral – zumindest nicht für clevere Menschen  –, aber ich zog daraus dennoch viele nützliche Lehren, die mein Leben auf schicksalhafte Weise prägten. Unter anderem half sie mir, den Unterschied zwischen Moral und Weisheit zu erkennen. Moral unterliegt der Zeit, Weisheit ist dauerhaft … Ho ho. Darüber solltet ihr eine Nacht lang schlafen.

Aus der Sache mit dem umgestürzten Briefkasten nahm ich zum Beispiel die Erkenntnis mit, dass das FBI keineswegs unschlagbar war, und das ist für einen Neunjährigen in Amerika eine sehr wichtige Lektion. Ohne sie wäre ich heute ein völlig anderer Mensch. Ich würde nicht auf diese Weise mit euch reden und auch nicht frühmorgens um 4 Uhr 23 vor dieser gottverdammten Schreibmaschine sitzen, ein leeres Glas neben mir, eine nicht angezündete Zigarette zwischen den Lippen und auf dem Fernsehschirm eine nackte Frau, die »Porgy & Bess« singt.

Drüben an einer Wand sehe ich die zweieinhalb Meter lange Holzfällersäge mit zwei Griffen, zweihundert großen Sägezähnen und der Aufschrift GESTÄNDNISSE DES GEILSTEN HINTERNS DER WELT in goldenen Buchstaben quer über dem rostigen langen Sägeblatt … An einem Ende hängen der versteinerte Lauf eines Wapitihirsches und ein hübsch bemalter Holzvogel aus Russland, der angeblich allen, die unter ihm hindurchgehen, Frieden, Glück & Reichtum bringt.

Der seltsam aussehende Vogel hängt dort, aus sentimentalen Gründen, schon fünfzehn extrem aktive Jahre lang, und zum ersten Mal erwäge ich jetzt, Bilanz zu ziehen. Hat dies geschnitzte Objekt steinalter russischer Volkskunst einen positiven Einfluss auf mein Leben gehabt? Oder einen negativen? Soll ich diesen Vogel meinem Sohn und meinem Enkel weitergeben? Oder soll ich ihn nach draußen schaffen und auf dem Hof exekutieren wie eine heimtückische Hure?

Das ist die große Frage. Soll der Vogel am Leben bleiben und verehrt werden von den Generationen, die da kommen? Oder soll er eines gewaltsamen Todes sterben, weil er mir Unglück gebracht hat?

Diese Frage zieht beängstigende Konsequenzen nach sich. Ist es wirklich klug, jetzt Bilanz zu ziehen? Was geschieht, wenn ich am Ende als Verlierer dastehe? Ihr Götter, lasst mich in dieser Sache bedachtsam sein. Bewege ich mich etwa schon auf gefährlichem Terrain?

Sieht ganz so aus. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt meines Lebens ist es nicht angebracht, überhastet Urteile zu fällen, worüber auch immer. Ohnehin würde höchstens ein abergläubischer Eingeborener einen solchen Scheißdreck glauben.

Plötzlich hörte ich Anita vom Büro her kreischen, als sei irgendwo am anderen Ende des Hauses Feuer ausgebrochen. Wunderbar, dachte ich. Was bin ich für ein Glückspilz, die kleine Unterbrechung kommt mir gerade recht. Nur her damit. Und gleich zur Attacke schreiten. Ich griff nach dem zehn Kilo schweren Feuerlöscher neben der Tür und malte mir schon aus, endlich mal wieder richtig Spaß zu haben.

Aber, ach, es sollte nicht sein. Anita kam mit einem Computerausdruck in der Hand um die Ecke gerannt. »Der Präsident droht, die Ölfelder der Saudis zu besetzen, wenn die uns nicht helfen, das Übel des Terrorismus auszumerzen – er will das Militär einsetzen.« Sie sah so erschüttert aus, als sei soeben der 4. Weltkrieg ausgebrochen. »Das ist doch der reine Wahnsinn!«, jammerte sie laut. »Wir können doch nicht einfach so in Saudi-Arabien einmarschieren.«

Ich nahm sie in den Arm und schaltete CNN ein, wo Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gezeigt wurde, der seinen Gipsarm wie eine geballte Faust in die Kamera streckte, das Gerücht als »baren Unsinn« anprangerte und wieder einmal drohte, diese »verantwortungslosen Informanten« der Presse in den Katakomben des Pentagon »aufzuspüren und zu eliminieren«. Er hätte Lust, auf der Stelle jemanden zu bestrafen. Die Vereinigten Staaten würden natürlich niemals engen arabischen Verbündeten wie den Saudis den Krieg erklären. Das wäre der reine Wahnsinn.

»Nicht unbedingt«, sagte ich, »zumindest nicht, bis katastrophaler Murks daraus wird und Bush in Washington auf dem Scheiterhaufen brennt. Gescheit ist reich und mächtig; wahnsinnig ist falsch und arm und schwach. Die Reichen sind frei, die Armen sperrt man in Käfige.« Res Ipsa Loquitur, Amen, Mahalo …

Okay, so viel also dazu. Schluss mit diesen unausgegorenen Hasch-Tiraden. Was, wenn der Vogel sagt, ich liege falsch und hab mein Leben lang falsch gelegen?

Dann würde ich wohl ganz bestimmt nicht entspannt hier sitzen und mich noch mal anschicken, am Rande eines Krieges mit der gesamten muslimischen Welt endgültige Urteile über den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zu fällen. Nein. Das würde mich ja zum Verräter machen und überdies zu einem gefährlichen Sicherheitsrisiko, zu einem Terroristen, in den Augen des Gesetzes zu einem Monster.

Verflixt. Was soll ich sagen? Dies Land steht am Scheideweg, und es droht wieder einmal eine unheilvolle Polarisierung zwischen richtig und falsch. Die Politik zwingt uns die Frage auf: »Auf welcher Seite stehst du?« … Vielleicht wäre ein Autoaufkleber mit der Frage angebracht: BIST DU GESUND IN DER BIRNE ODER KRANK?

Dieser Frage habe ich mich mein Leben lang Tag für Tag gestellt, und an den meisten Tagen habe ich wie auf einem x-beliebigen Formular das GESUND-Kästchen angekreuzt – sei es auch nur, weil ich nicht tot bin und nicht im Gefängnis und nicht kreuzunglücklich über mein Leben.

In den Klassenzimmern und den Gerichtssälen dieser Nation herrscht kein Mangel an gefährlichem Geschwafel. Irre Mythen und abstruse Legenden sind harte Währung in unserer Kultur, gleich Passwörtern oder Codeschlüsseln zum Überleben. Nicht mal ein tollwütiges Untier würde sein Kind mit Hassgefühlen gegen den Weihnachtsmann oder Jesus oder die Zahnfee in die Schule schicken. Das wäre unfair. Wie ein Leprakranker würde er (oder sie) von den Klassenkameraden & sogar den Lehrern ausgegrenzt und verachtet werden, und mit guten Zeugnissen käme er gewiss nicht nach Hause. Schon eher wird er sich darauf verlegen, schwarze Regenmäntel zu tragen & beunruhigende Witze über Rohrbomben zu reißen.

Absonderliches Verhalten ist bei cleveren Kindern ganz natürlich, etwa so wie Neugier bei einem Kätzchen. Auch mir war es nicht fremd, damals als Junge in Kentucky. Ich war immer auf neue Abenteuer aus, und das führte mich schon bald in ein Labyrinth komplexer Verhaltensexperimente, die zu erklären meine Eltern sich schwer taten. Ich war ein allgemein beliebter Junge mit annehmbaren Noten & einer einigermaßen verhei-ßungsvollen Zukunft, aber ich war gestraft mit einem schwarzen Humor, der vielen Erwachsenen Angst einjagte, ohne dass sie hätten genau sagen können, warum …

Außerdem war ich ein jugendlicher Straftäter. Ich war Billy the Kid aus Louisville. Ich war »kriminell«: Ich stahl, zerstörte mutwillig, trank. Mehr muss man als Krimineller ja auch nicht tun. In der sechsten Klasse wurde ich zum Chef der Schülerlotsen gewählt – der Kids, die Abzeichen tragen, während der Pausen den Verkehr regulieren und auf Streife gehen. Das war eine verantwortungsvolle Stellung, und die Rektorin war sauer, dass man mich gewählt hatte. Sie sagte: »Das ist ja grässlich. Es geht nicht an, dass Hunter solche Aufgaben übernimmt. Er ist ein kleiner Hitler.« Ich war nicht sicher, was sie damit meinte, vermutlich, dass es in meiner Natur lag, auf viele meiner Mitschüler Einfluss auszuüben; und wahrscheinlich auch, dass ich mich zum Wohle der Gesellschaft einer Lobotomie hätte unterziehen sollen.

Ich habe mir von jeher ausgemalt, einmal am Rande der Gesellschaft zu existieren, Mitglied einer sehr kleinen Gruppe von Outlaws, von Gesetzlosen, zu sein. Ich wurde nie von irgendeiner Mehrheit anerkannt. Die meisten Menschen nehmen an, dass es schwierig sei, so zu leben, und da haben sie Recht – man versucht nach wie vor immer wieder mal, mich einzulochen. Ich habe mich auch stets davor gehütet, Menschen, die nicht gut außerhalb des Gesetzes leben können, dazu anzustacheln, ihre Fesseln abzuwerfen und Amok zu laufen. Manche sind einfach nicht für das Leben eines Gesetzlosen geschaffen.

Rückblickend gesehen, waren die einzigen Dinge, wegen derer man mich festgenommen hat, Dinge, die ich nicht getan hatte. All die »Verbrechen«, die ich begangen habe, waren mehr oder weniger dem Zufall zuzuschreiben. Jedes Mal, wenn man mich erwischte, war ich gerade am falschen Ort und handelte im Übereifer. Es herrschte einfach das allgemeine Gefühl, man dürfe mich nicht ungeschoren davonkommen lassen.

Es mag durchaus sein, dass jede Kultur eine Art Gott der Gesetzlosen braucht, und vielleicht bin das im Moment ja ich. Wer weiß? Ich hab diesbezüglich keine Studien betrieben, sondern die Idee überfiel mich blitzartig, als ich in der Saturday Review vom Januar /Februar 1984 Peter Whitmers Artikel über mich las.

Mir fallen Lono ein, Robin Hood & Bacchus & die Griechen mit ihren fetten Knaben & die Iren mit ihrer zügellosen trunkenen Verehrung dem Untergang geweihter Helden … Jesus Maria, ich wette, dass sogar die Schweden so was wie einen Outlaw-Gott haben.

Nur in der Heiligen Schrift werden, glaube ich, keine anständigen Gesetzlosen erwähnt – hauptsächlich wegen der Kirche & all ihrer Ableger, die samt und sonders an uneingeschränkte Bestrafung sämtlicher Sünder glauben. Die Bibel macht keine Ausnahmen für Gesetzlose mit sozialem Gewissen. Alle werden im Höllenfeuer schmoren. Strafe muss sein. Scheiß auf diese Leute.

(PAUSE WEGEN UNTERBRECHUNG)

Entschuldigung, aber da kam gerade ein Anruf von Newsweek in New York. Man wollte wissen, was ich von dem heute abgewickelten »schockierenden Mutombo/Van Horne-Tauschhandel« hielte, einer folgenschweren Verschiebung der Kräfteverhältnisse in der NBA East, von der ich nur am Rande etwas mitbekommen hatte. Sie bedeutete, dass die 76er diesen schrillen Albinoschlaffi loswurden, der in entscheidenden Situationen ausnahmslos versagt hat. Mir leuchtete der Handel absolut ein, und deswegen griff ich auch zum Telefon. Scheiße, was soll’s?, dachte ich. Die Leute stellen mir solche Fragen, weil sie wissen, dass ich ein berühmter Sportjournalist bin.

»Der Handel ist so sinnlos«, sagte ich, »als würde man eine benutzte Matratze gegen einen 300-Dollar-Schein tauschen.«

Und das war’s dann offenbar. Der Schreiberling wurde plötzlich von seinem Arbeitsplatz weggerufen und legte auf. Na und?, dachte ich. Ich wollte sowieso nicht mit ihm sprechen. Auf mich wartete eine Menge Arbeit, und Anita bekam langsam Hunger. Es wurde Zeit, den Wagen mal wieder auf die Straße zu bringen.

Es gibt acht oder neun wahrhaft exotische Städte im weiten amerikanischen Westen, die zu besuchen sich lohnt, doch Thomasville, Colorado, gehört nicht zu ihnen. Richard Nixon verurteilte die Stadt zum Untergang, als er 1970 widerstrebend das GESETZ zur REINHALTUNG der LUFT unterschrieb – was bald darauf zur Zwangsstilllegung beider Tankstellen der Stadt führte, weil deren fünfzig Jahre alten unterirdischen Tanks durchgerostet waren und deswegen fauliges Benzin in die Wildwasserstrudel des Frying Pan River sickerte, der früher mal als Mekka der Forellenangler galt.

Wir brauchten ungefähr fünf Stunden für die dreißig steilen Meilen hinauf nach Thomasville. Ich fuhr meinen treuen Red Shark, einen überholten und modern ausgestatteten 454 Chevy Caprice von 1973 mit elektrischen Scheibenhebern und heizbaren Sitzen und einer Höchstgeschwindigkeit von fast 220 – allerdings nicht auf einer kurvenreichen zweispurigen Asphaltstraße, die über dreißig Meilen hinweg fast zweitausend Meter ansteigt. Das ist eine heftige Klettertour; aus der Sommerhitze, umgeben von Pfirsichbäumen, bis hinauf an die frostige und trostlose Baumgrenze und dann zu den schneebedeckten Gipfeln der Continental Divide, wo wilde Tiere umherstreifen und Menschen nur unter Qualen überleben. Das ist die Straße, die zum gefürchteten Hagerman Pass hinaufführt.

Aber so weit sind wir noch nicht. Wir wollen doch nicht vorgreifen. Das machen nur echte Blödmänner …

Wir waren schon fast in Thomasville, als ich eine Traube blinkender Polizeilichter sah und einen Cop bemerkte, der mitten auf der Straße stand und eine rote Flagge schwenkte. »Jesus Maria«, stöhnte ich. »Was ist denn das hier für ’ne Scheiße?« Anita mühte sich verzweifelt ab, eine Zweiliterflasche Chivas Regal außer Sichtweite zu bugsieren – gar nicht so leicht in einem riesigen roten Kabrio mit heruntergelassenem Verdeck, zumal wenn man sich dazu als hübsches halb nacktes Mädel über die Rücklehne nach hinten beugen muss. Da glotzen die Leute.

Jedenfalls erfuhren wir sehr bald, dass »die neuen, soeben frisch aus Washington übermittelten Anweisungen« vorsahen, Psychopathen, Ausländern und sonstigem gefährlichem Gesocks

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Kingdom of Fear bei Simon & Schuster, New York

Redaktion: Alexander Wagner

Deutsche Erstausgabe 06/2006

Copyright © The Estate of Hunter S. Thompson, 2003

All rights reserved

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2006 by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: Greiner & Reichel, Köln

eISBN: 978-3-641-09726-4

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