Königsblau: Die E-Box zur märchenhaft-düsteren Reihe über den sagenumwobenen König Blaubart! - Julia Zieschang - E-Book

Königsblau: Die E-Box zur märchenhaft-düsteren Reihe über den sagenumwobenen König Blaubart! E-Book

Julia Zieschang

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Beschreibung

Von der Bestseller-Autorin Julia Zieschang! **Lass dich in die gefährliche Welt der Märchen entführen** Ein dunkler Fluch, ein verwunschenes Schloss und ein magischer Schlüssel. Düster-romantisch erzählt Julia Zieschang von der Anziehung des Verbotenen und der Kraft der Liebe und gewährt uns damit einen ganz neuen Blick auf die sagenumwobene Geschichte des »König Blaubart«. //Diese E-Box enthält alle Bände der düster-romantischen Märchenadaption: »Königsfluch« **Erfahre die wahre Geschichte von König Blaubart** Celia kann ihr Glück kaum fassen: Sie soll den Thronerben George heiraten und damit selbst zur Königin werden. Doch ihr Traum wird schnell zum Albtraum, als sie erkennt, dass George nicht der Ehemann ist, den sie sich erhofft hat. Er ist kalt und verschlossen und scheint nicht fähig, jemand anderen zu lieben als sich selbst. Ganz anders ist dagegen sein Bruder Edmund. Seine Zuneigung wird mehr und mehr zum einzigen Lichtblick in Celias Leben, auch wenn sie nicht versteht, warum er Georges Verhalten immer wieder verteidigt. Bis sie hinter ein dunkles Geheimnis kommt, das wie ein Fluch über dem Palast liegt… »Königsblau« **Eine dunkle Liebe aus der Welt der Märchen** Ihr Leben lang hat Rosalie gehofft, nie an der königlichen Brautwahl ihres Landes teilnehmen zu müssen. Denn nichts fürchtet sie mehr, als dass die Entscheidung des Mannes mit den königsblauen Haaren und der eisigen Ausstrahlung auf sie fallen könnte. Doch als genau das geschieht, befindet sie sich plötzlich hinter den dicken Mauern einer Festung, die ebenso viele Rätsel aufwirft wie der Mann, der sich in ihr verbirgt…   //Dies ist eine E-Box aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.// 

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www.darkdiamonds.de Jeder Roman ein Juwel

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Dark Diamonds Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2018 Text © Julia Zieschang 2017, 2018 Coverbild: shutterstock.com / © Improvisor / © Zacarias Pereira da Mata / © Alex Staroseltsev / © Olga Rutko / © Bokeh Blur Background / © Carlos Caetano / © akiyoko Covergestaltung der Einzelbände: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck / Derya Yildirim Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-30144-1www.carlsen.de

Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Julia Zieschang

Königsblau

**Eine dunkle Liebe aus der Welt der Märchen** Ihr Leben lang hat Rosalie gehofft, nie an der königlichen Brautwahl ihres Landes teilnehmen zu müssen. Denn nichts fürchtet sie mehr, als dass die Entscheidung des Mannes mit den königsblauen Haaren und der eisigen Ausstrahlung auf sie fallen könnte. Doch als genau das geschieht, befindet sie sich plötzlich hinter den dicken Mauern einer Festung, die ebenso viele Rätsel aufwirft wie der Mann, der sich in ihr verbirgt …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Danksagung

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© Kristin Vogelsang

Julia Zieschang fand man schon als kleines Mädchen oft hinter einem Buch versteckt vor. Damals waren es noch Märchenbücher, heute liest sie am liebsten romantische Fantasy. Wenn sie nicht gerade mit dem Lesen oder Schreiben von Geschichten beschäftigt ist, befindet sich eine Spiegelreflexkamera vor ihrem Gesicht, denn das Fotografieren ist ihre andere große Leidenschaft.

Für Mama, die immer an mich und meine Geschichten glaubt und die sich ein Märchen gewünscht hat. Dieses hier ist für dich.

Ein Märchen

Ein Märchen wie viele,

Schon oftmals gelesen.

Und doch wie kein zweites,

So anders im Wesen.

Was bleibt, wenn die Schönheit vergangen ist?

Ein Mädchen ohne Jugend und hübschem Gesicht.

Das Leben in ihrem Innern lässt sie erstrahlen;

Und wird ein Leuchten in ihre Augen malen.

Ein Märchen wie viele,

Schon oftmals gelesen.

Und doch wie kein zweites,

So anders im Wesen.

Ein Held, der seine Schwester zu retten versucht;

Mit edlen Absichten sein Möglichstes tut.

Blaubart ist schlimmer, als manch einer glaubt;

Ein einziger Alptraum, der Leben raubt.

Ein Märchen wie viele,

Schon oftmals gelesen.

Und doch wie kein zweites,

So anders im Wesen.

Eine Rose so hübsch wie sie stachlig ist;

Die Neugier sie treibt, obwohl sie's besser wüsst'.

Den Schlüssel sie nimmt, trotz Verbot;

Was sie findet ist Leid und höchste Not.

Ein Märchen wie viele,

Schon oftmals gelesen.

Und doch wie kein zweites,

So anders im Wesen.

1. Kapitel

Was die Dunkelheit zuvor verborgen hatte, kam ans Licht. Bluebeards schauriges Geheimnis offenbarte sich vor ihnen und der Anblick war so entsetzlich, dass es Rosalie den Magen umdrehte. Es übertraf alles, was sie sich jemals in ihren schlimmsten Fantasien ausgemalt hatte.

Rosalie – Drei Monate zuvor

Rosalie senkte den Blick, um möglichst wenig aufzufallen. Sie hatte sich ihre langen schwarzen Haare zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr über die Schulter fiel, um sich unscheinbarer zu machen.

In einem Halbkreis stand sie zusammen mit rund dreißig weiteren unverheirateten Mädchen. Alle waren sie zwischen sechzehn und neunzehn Jahre alt, alle starrten sie auf den Staub vor ihren Schuhspitzen.

Bluebeard schritt langsam die Reihe entlang, blickte jeder von ihnen für einen Moment prüfend ins Gesicht.

Rosalie hatte so sehr darum gebetet, niemals bei einer dieser Auswahlverfahren dabei sein zu müssen. Bei der letzten war sie mit ihren fünfzehneinhalb Jahren noch zu jung gewesen, doch heute mit achtzehn kam sie nicht drum herum. Bluebeards letzte Ehefrau Isabella, an ihren Namen erinnerte sich Rosalie noch, hatte es auf vierundzwanzig Monate gebracht. Das war ausgesprochen lange. Die meisten Ehefrauen kamen auf durchschnittlich dreizehn Monate. Es waren schon Ehefrauen dabei gewesen, die es gerade mal fünf Monate bei ihm ausgehalten hatten. Das zumindest war es, was Bluebeard behauptete, Fakt jedoch war, dass keine der Ehefrauen jemals wieder zu ihren Familien zurückgekehrt war, geschweige denn, von irgendjemanden gesehen worden war. Niemand wusste, was mit ihnen geschehen war. Es ging das Gerücht um, dass Bluebeard sie, wenn er genug von ihnen hatte, auf einen weit entfernten Landsitz schickte, in dem sie – die abgelegten Ehefrauen – glücklich zusammenlebten.

Jetzt, nur vier Monate nach dem Verschwinden seiner letzten Frau, machte sich Bluebeard wieder auf die Suche. Er reiste von Dorf zu Dorf und die Mädchen mussten sich am Markplatz versammeln, damit Bluebeard sie besehen konnte. Rosalie kam sich vor wie ein Stück Fleisch. Ein Ausstellungsobjekt, das nach seiner Jugend und Saftigkeit beurteilt wurde.

Ihr Dorf war eines der letzten, das Bluebeard besuchen würde. Er reiste schon seit einigen Wochen durch das Land und Rosalie hatte jeden Abend vor dem Zubettgehen gebetet, er möge gar nicht erst bis in ihr Dorf kommen. Dass er jetzt hier, nur einen halben Meter von ihr entfernt, ein Mädchen mit rotblonden Haaren grob unter dem Kinn packte und es intensiv begutachtete, war ein schlechtes Zeichen. Denn es hieß, er habe noch nicht gefunden, wonach er suche.

Bluebeard ließ das Mädchen los und machte einen Schritt nach rechts, zu Rosalies Freundin Amanda. Sie beobachtete, wie das andere Mädchen erleichtert die Schultern sinken ließ, als er sich von ihr abwandte. Rosalie beäugte Bluebeard aus dem Augenwinkel. Er war groß, mit einer stattlichen Statur und edlen Gewändern, deren Stoff silberblau schimmerte und die Farbe seiner Haare und seines Bartes unterstrich. Diese schimmerten hier im Schein der Sonne in einem dunklen, kräftigen Blau. Königsblau. Wie passend, dachte Rosalie, wo Bluebeard doch der rechtmäßige Erbe des Throns war. Es hieß, er habe aus Desinteresse für die Angelegenheiten seines Landes den Thron seinem jüngeren Bruder Edmund überlassen. Aber auch das waren nur Gerüchte, genauso wie die über die Farbe seiner Haare.

Manche behaupteten, es sei ein Gift gewesen, ein gescheiterter Mordversuch, von dem nur die blaue Färbung der Haare als Beweis übriggeblieben war. Andere sagten, Bluebeard selbst habe es verursacht, es sei ein Experiment gewesen. Und wieder andere waren sich sicher, er habe schon von Geburt an blaue Haare gehabt, nur habe man damals versucht, es mit schwarzer Farbe zu vertuschen.

Bluebeard wandte sich an Rosalie, fasste ihr fest unters Kinn und zwang sie ihn anzusehen. Nur widerwillig hob sie den Blick, darum bemüht, sich ihre Angst nicht ansehen zu lassen. Ihr Herz schlug ihr wild in der Brust, während sie unerschrocken und mit einer Spur Trotz Bluebeards kaltem Blick aus dunklen, beinahe schwarzen Augen standhielt. Sie konnte kaum erkennen, wo seine Pupille aufhörte und die Iris begann und das verwirrte sie aus irgendeinem Grund. Bluebeard griff mit seiner anderen Hand nach ihrem Zopf und ließ ihn bedächtig durch seine Hand gleiten. Rosalies Mund wurde trocken, als sie das kleine zufriedene Grinsen um Bluebeards Mundwinkel entdeckte. Seine Barthaare waren dunkel, fast schwarz, wie sie jetzt aus der Nähe erkannte, aber sobald Licht darauf fiel, reflektierten die Härchen es in einem blauen Glanz. Um sich zu beruhigen, versuchte sie sich an seinen richtigen Namen zu erinnern, aber er wollte ihr partout nicht einfallen. Hatte sie ihn überhaupt schon einmal gehört?

Schließlich ließ er ihr Kinn los, nur um sie grob am Oberarm zu packen und nach vorne zu zerren. Rosalie stolperte ihm entgegen. Alles schien sich zu drehen, während Bluebeard verkündete: »Das ist sie. Meine zukünftige Braut.«

Mit diesen Worten zerbrach Rosalies Welt in tausend Stücke. Alles was sie noch wahrnahm, war der entsetzte Ausdruck auf Amandas Gesicht. Rosalie hatte das Gefühl, ihr bliebe das Herz stehen.

»Sagt mir Euren Namen«, forderte Bluebeard.

Sie brauchte einen Moment, bis er ihr wieder einfiel. »Rosalie«, stammelte sie, »mein Name ist Rosalie.«

»Rosalie, Ihr habt die Ehre, meine neunte Ehefrau zu werden. Ich lasse Euch eine Kutsche da, mit der Ihr Euch in zwei Tagen auf den Weg zu mir machen werdet. Ich erwarte Euch in vier Wochen auf meinem Anwesen.«

Rosalie wollte schreien, weglaufen. Stattdessen stand sie stocksteif da, während Bluebeard ihre Hand zu seinem Mund führte und ihren Handrücken küsste. Sein rauer Bart kratzte unangenehm auf ihrer Haut. Rosalie ekelte sich vor der Berührung seiner Lippen. Bluebeards ganze Erscheinung stieß sie ab. Das Blau seines Bartes und seiner Haare, die kalten schwarzen Augen, der unnachgiebige Ton in seiner Stimme.

Um sie herum klatschten die Menschen Beifall, riefen Worte des Jubels und der Begeisterung aus. Auch Rosalie hätte sich gefreut, wenn sie auf der anderen Seite gestanden hätte. Hätte sich gefreut, nicht ausgewählt worden, dem Schicksal Bluebeards Braut zu werden, entkommen zu sein. Lediglich Amanda blickte sie traurig an. Auch wenn sie ebenfalls klatschte, sah Rosalie doch, dass es ein gedämpftes, zurückhaltendes Klatschen war.

Bluebeard gab seinen Männern ein Zeichen. Gemeinsam bestiegen sie ihre Pferde und ritten davon. Verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Langsam senkte sich die Staubwolke wieder, die die Pferde aufgewirbelt hatten, und alles war wie immer. Als wäre nichts geschehen.

Rosalie wischte sich den Handrücken an dem Stoff ihres Kleides ab und wünschte, es wäre tatsächlich so. Für einen Moment versuchte sie sich vorzumachen, dies wäre ein ganz normaler Tag und ihr Leben würde weitergehen wie bisher. Es gelang ihr noch für drei Sekunden die Fassade aufrechtzuerhalten. Dann warf sich Amanda in ihre Arme und beide weinten sie bittere Tränen.

***

»Wieso ich?« Diese Frage stellte sich Rosalie nun schon seit Stunden.

Amanda griff nach ihrer Hand und drückte sie tröstend. »Ich weiß es nicht.«

»Er sucht sich immer die schönsten Mädchen aus, nicht wahr?«

»Das sagen die Leute zumindest.« Rosalies Mutter strich ihr tröstend übers Haar.

»Es ist ein Gerücht von vielen«, stimmte Amanda zu.

»Gütiger Gott, ich werde nie wieder zurückkehren. Ich werde Vater und Ric nicht mehr sehen, bevor ich abreise und euch werde ich ab übermorgen auch nie wieder sehen.« Rosalies Brust verengte sich. Sie kämpfte mit den Tränen.

»Das weißt du nicht, Liebes.« Ihre Mutter zog sie eng an sich und Rosalie ließ sich von ihr trösten, wie sie es schon früher getan hatte, wenn Rosalie sich wehgetan hatte.

Nur dass diese Wunde niemals heilen würde. Rosalies Herz fühlte sich an, als hätte man es ihr aus der Brust gerissen. Sie hatte noch nie zuvor eine solch tiefe Traurigkeit verspürt.

»Es sind alles nur Gerüchte. Und Bluebeard ist immerhin von königlichem Blute. Dir wird es an nichts fehlen. Du wirst die schönsten Kleider bekommen, das beste Essen wird dir serviert werden und du wirst Diener haben. Du solltest dich freuen, Rosalie, es ist eine große Ehre, auserwählt zu werden. Du wirst ein schönes Leben haben.«

»Du meinst, ein paar schöne Monate, bevor er mich durch die nächste Ehefrau ersetzt«, entgegnete sie bitter.

»Aber dann kommst du zu seinen anderen Frauen und kannst dort ein glückliches Leben führen«, meinte Amanda.

»Glaubst du wirklich, dass es dieses Anwesen gibt?« Rosalie zweifelte sehr stark daran. Nachdem sie einmal in die erschreckend kalten Augen von Bluebeard geblickt hatte, konnte sie sich nicht vorstellen, dass er seinen Frauen ein schönes Leben bereitete. Nein, an Bluebeard war wahrhaftig nichts Schönes. Weder im Inneren noch im Äußeren.

»Nun ja«, setzte Amanda an, sprach dann jedoch nicht weiter.

»Hat überhaupt irgendwer eine seiner Ehefrauen jemals wieder gesehen?«

Panik keimte in Rosalie auf, die sie zu bekämpfen versuchte, doch es mochte ihr nicht gelingen. Die Angst vor ihrer Zukunft mit dem Mann, der nach der Farbe seines Bartes benannt worden war, schnürte ihr die Kehle zu.

»Nein.« Amanda schüttelte leicht den Kopf, wich Rosalies Blick aus.

»Das muss nichts heißen, Liebes. Vielleicht durften sie ihre Familien besuchen und mussten es nur geheim halten.«

Rosalie löste sich aus der Umarmung ihrer Mutter.

»Und welchen Sinn sollte das haben?«

Niemand antwortete ihr. Amanda blickte ratlos auf ihre Hände.

»Ich wünschte, Vater und Ric wären hier.« Rosalie warf einen sehnsuchtsvollen Blick gen Tür, als erwarte sie, diese würde jeden Moment geöffnet und ihr Vater und Bruder träten ein.

»Sie könnten auch nichts weiter tun, Liebes. Wir müssen dich gehen lassen, es ist die Anordnung von König Edmund. Wir können uns dem König nicht widersetzen.«

»Ich weiß.« Rosalie versuchte den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken.

Sie konnten nichts tun. Niemand konnte ihr helfen. Sie waren völlig machtlos.

»Lass uns lieber die guten Seiten betrachten«, schlug Amanda vor. »Du wirst die Hochzeit haben, von der wir alle träumen. Bluebeard wird es sich etwas kosten lassen. Er wird dir das schönste Kleid beschaffen, das leckerste Essen und für gute Unterhaltung sorgen. Und außerdem sieht er gar nicht so schlecht aus. Ich dachte immer, er hätte einen dicken Bauch und wäre viel älter, aber hast du sein Gesicht gesehen? Er sah noch so jung aus, dabei muss er schon näher an den vierzig als an der dreißig sein, aber ich konnte kaum eine Falte erkennen und …«

»Amanda«, unterbrach Rosalie ihren Redeschwall.

»Das tröstet dich alles nicht«, vollendete Amanda ihren Satz zerknirscht.

»Seine Augen sind so schwarz. Ich fürchte mich vor seinen Augen«, flüsterte Rosalie.

»Viele Menschen haben dunkle Augen, das ist kein Grund, sie zu fürchten, Liebes.«

»Nein, natürlich nicht.« Rosalie wusste selbst, dass das dumm war, aber sie konnte sich einfach nicht erklären, weshalb sie eine solche Angst vor Bluebeard hatte. Sie wusste nur, dass die Stimme tief in ihrem Innern sie anschrie zu fliehen. Aber wie konnte sie das tun, wie konnte sie vor dem Bruder des Königs fliehen und damit ihre Familie dem Zorn des Königs und Bluebeards aussetzen? Rosalie schüttelte den Kopf, wie um diesen möglichen Ausweg aus ihrem Kopf zu verscheuchen. Weglaufen war keine Option.

»Ich wünschte nur, du könntest mich begleiten, Mutter. Du solltest am Hochzeitstag deiner Tochter dabei sein.«

Der Blick ihrer Mutter wurde traurig. »Ich habe immer von dem Tag deiner Hochzeit geträumt. Ich bedaure es zutiefst, ihn nicht miterleben zu können.«

»Ich verstehe nicht, weshalb er dir eine Kutsche dalässt, aber verlangt, dass du allein zu ihm reist. Du wirst gute vier Wochen unterwegs sein. Kann Bluebeard sich nicht denken, dass du gerne etwas Gesellschaft hättest?« Amanda fuchtelte aufgebracht mit den Händen.

»Doch, aber es ist ihm gleichgültig«, erklärte Rosalie. »Es ist ihm gleichgültig, wie ich mich fühle und es ist ihm gleichgültig, was ich mir wünsche.«

»Nein, das glaube ich nicht.« Amanda schüttelte den Kopf. »Da steckt mehr dahinter. Vielleicht will er nicht, dass Fremde sein Anwesen betreten? Habt ihr schon von jemandem gehört, der es gesehen hat?«

»Ich kenne niemanden«, sagte Rosalies Mutter langsam.

»Du hast Recht«, stieß Rosalie hervor. »Niemand hat es je von innen gesehen. Niemand weiß, was sich hinter den Mauern seiner Festung verbirgt.«

»Wir dürfen nicht vergessen, dass es alles nur Gerüchte sind. Nichts, was wir mit Sicherheit wissen«, wandte ihre Mutter ein.

»Ich will ihn nicht heiraten. Ich will nicht von hier fort.«

»Ich will auch nicht, dass du gehst.« In Amandas Blick spiegelte sich ihre eigene Verzweiflung.

»Rosalie, du wirst ein besseres Leben haben, als wir es uns alle je zu träumen gewagt haben. Du wirst es gut haben. Davon bin ich überzeugt.« Der unerschütterliche Glaube ihrer Mutter tröstete Rosalie. Vielleicht würde alles gar nicht so schlimm werden, wie sie es sich jetzt ausmalte. Vielleicht musste sie Bluebeard nur besser kennenlernen, um seine liebenswerten Seiten zu entdecken.

Rosalie beschloss stark zu sein und ihr Schicksal anzunehmen, denn etwas anderes blieb ihr ohnehin nicht übrig.

***

Bevor Rosalie in die Kutsche stieg, warf sie sich ein letztes Mal in Amandas Arme. Ihre Freundin streichelte ihr über den Rücken. »Pass gut auf dich auf, Rosie, und schreib mir, wann immer du kannst.«

»Das werde ich«, versprach Rosalie. »Du wirst ganz viele Briefe von mir bekommen.«

Als nächstes war ihre Mutter dran. Diese zog Rosalie fest an ihre Brust, dann gab sie ihr einen Kuss auf die Stirn und auf beide Wangen. »Sei eine gute Ehefrau, Liebes. Mach Bluebeard glücklich und dann wirst du schon sehen, wie es weitergeht. Du musst dich nur in Geduld üben und euch Zeit geben, einander kennenzulernen. Aller Anfang ist schwer.«

Rosalie war sich nicht sicher, ob es tatsächlich so einfach war, aber sie wollte ihrer Mutter nicht widersprechen. »Richtest du Vater und Ric Grüße von mir aus, wenn sie wieder zurück sind?«

»Selbstverständlich.« Ihre Mutter drückte ihre Hand, dann ließ sie sie los, damit einer der Soldaten, die Rosalie auf dem langen Weg zu Bluebeards Festung begleiten und beschützen würden, ihr in die Kutsche helfen konnte.

Sobald die Tür hinter Rosalie geschlossen war, knallte die Peitsche des Kutschers und die Kutsche setzte sich ruckelnd in Bewegung. Rosalie lehnte sich weit aus dem engen Fenster und winkte ihrer Mutter und Amanda zu, bis sie um eine Ecke bog und die beiden aus ihrem Sichtfeld verschwanden.

Sobald Rosalie sie nicht mehr sehen konnte, sank sie mit einem Seufzen auf das Polster der Bank zurück. Sie fühlte sich furchtbar einsam. Sie spielte mit der Spitze ihres Zopfes, damit ihre Finger eine Beschäftigung hatten, bemüht darum nicht in Tränen auszubrechen. Wie lange würde sie es bei Bluebeard aushalten müssen, ehe er genug von ihr hatte und sich eine neue Ehefrau suchte? Sechs Monate? Elf? Oder achtzehn? Und was geschah danach? Könnte sie vielleicht doch zu ihrer Familie zurückkehren? Rosalie hoffte es und betete, Gott möge ihr gnädig sein und ihr erlauben, ihren Bruder und ihren Vater noch einmal in die Arme zu schließen.

Weshalb nur hatte Bluebeard ausgerechnet sie ausgesucht? Rosalie versuchte sich daran zu erinnern, was sie über seine acht Ehefrauen wusste, aber das war nicht besonders viel. Sie alle waren bei der Wahl zwischen sechzehn und neunzehn Jahre alt gewesen, allen wurde außergewöhnliche Schönheit zugesprochen, aber so weit Rosalie wusste, gab es sonst keine Gemeinsamkeiten. Weder in Haarfarbe noch Körpergröße noch Herkunft.

Rosalie bereute es, sich vor der Begutachtung durch Bluebeard nicht einfach die Wangen mit einem Messer aufgeritzt zu haben. Sie hatte darüber nachgedacht, es sich dann aber nicht getraut, ihr eigenes Gesicht zu entstellen. Das ungute Gefühl beschlich Rosalie, dass ein vernarbtes Gesicht das geringere Übel gewesen wäre.

2. Kapitel

Claire – Jetzt

Claire kämpfte wie jeden Tag damit alle spiegelnden Oberflächen zu vermeiden. In einen Spiegel hatte sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr geblickt. Sie alle waren mit schwarzen Tüchern verhangen, aber das bedeutete nicht, dass die Gefahr, sich selbst zu erblicken, damit gebannt war. Fensterscheiben oder Wasseroberflächen waren besonders gefährlich, aber auch auf den zerkratzten Messinglöffeln konnte Claire ihr Gesicht erkennen, wenn sie nicht aufpasste, und dann erschrak sie jedes Mal aufs Neue. Claire wusste nicht, was sie noch tun könnte, um wenigstens für sich die Illusion ihres wahren Alters aufrechtzuerhalten. Es fiel ihr mit jedem Tag schwerer. Und heute war es nahezu unerträglich. Denn genau vor drei Jahren war es geschehen und noch immer brach sie deswegen in Tränen aus, wenn niemand es mitbekam, noch immer weinte sie sich in den Schlaf. Selbst nach drei Jahren hatte sich Claire nicht an die Runzeln und Falten gewöhnt, die jetzt zu ihr gehörten.

Sie blickte auf den verhassten mattschwarzen Ring, dessen Zentrum ein großer Amethyst bildete, der zu beiden Seiten von einem kleineren Amethyst flankiert wurde. Wie oft hatte sie schon versucht ihn abzunehmen, hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, sich den Mittelfinger abzuhacken. Da es sich um einen verzauberten Ring handelte, würde das nur nicht viel nützen. Wahrscheinlich wäre der Finger eher wieder dran, als sie das Blut aufgewischt hätte, oder noch wahrscheinlicher, er ließe sich gar nicht erst abtrennen.

Nein, die einzige Möglichkeit war, den Fluch zu brechen, den Zauber rückgängig zu machen und das ging nur auf einem Weg. Claire wusste, dass sie ihre Jugend nur dann zurückbekäme, wenn sie ihre wahre Liebe fände. Zumindest hatte das so in dem Brief ihrer Mutter gestanden. Claire stand auf und holte das vom vielen Lesen zerknitterte Papier aus ihrer Schreibtischschublade. Dann setzte sie sich mit dem Brief auf ihr Bett und erinnerte sich zurück an ihren letzten Tag voller Jugend und Schönheit – an den Tag ihres sechzehnten Geburtstages.

***

Claire schlug mit einem strahlenden Lächeln die Augen auf. Sie begrüßte den Tag mit einem kleinen Jauchzer, denn heute würde sie sechzehn werden. Claire liebte ihre Geburtstage. Dann wurde sie verwöhnt – noch etwas mehr als sonst – und durfte sich alles wünschen, was sie wollte. Claire jedoch hatte nur einen einzigen Wunsch: Ihre große Liebe zu heiraten. Und nun war sie endlich alt genug, um vermählt zu werden. Sie wusste nicht, wie oft sie sich als Kind ihre Hochzeit ausgemalt hatte, sie wusste nur, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte als einen Mann, der sie liebte und Kinder, die sie großziehen konnte.

Nachdem sie mit ihrer Zofe Melinda das schönste Kleid ausgewählt hatte, half diese ihr beim Anziehen. Anschließend frisierte die Zofe ihre blonden Haare zu einem kunstvollen Zopf, der sich um ihren Kopf wand. Nachdem Claire vorzeigbar war, machte sie sich auf den Weg zum Speisesaal, wo ihr Vater bereits mit einer riesigen Geburtstagstorte auf sie wartete, die Jahr für Jahr höher und aufwändiger zu werden schienen.

Als er Claire erblickte, erhob er sich, betrachtete stolz ihr hübsches Gesicht und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. »Meine Claire, schon sechzehn Jahre alt und wie es scheint, wirst du mit jedem Jahr hübscher.«

»Danke, Papa.« Claire errötete leicht. Sie wusste natürlich, dass sie besonders hübsch war, aber es machte sie dennoch verlegen, wenn sie darauf hingewiesen wurde. »Gibt es die Torte zum Frühstück?«

»Selbstverständlich, mein Kind, wie jedes Jahr.«

»Nicht wie jedes Jahr«, murmelte Claire traurig.

Über das Gesicht ihres Vaters huschte ein Schatten. »Nein, nicht wie jedes Jahr. Auf das Geburtstagslied deiner Mutter werden wir wohl verzichten müssen.«

Claires Herz zog sich bei der Erinnerung an ihre Mutter schmerzhaft zusammen. Sie hatte die schönste, glockenhellste Stimme auf der ganzen Welt gehabt. Zumindest glaubte das Claire. Keiner konnte Lieder auf die Art singen, wie ihre Mutter es vermocht hatte. So, dass jeder andächtig stehenblieb und lauschte, um nur ja kein Wort zu verpassen.

Claires Mutter war vor zwei Monaten verstorben. An ihrem Sterbebett hatte sie ihrer Tochter ein kleines Päckchen mit einer Schleife für ihren Geburtstag überreicht. Sie hatte Claire das Versprechen abgenommen, das, was sie darin vorfinden würde, noch am selben Tag zu tragen und erst danach den Brief zu lesen. Claire hatte nicht verstanden, weshalb die Reihenfolge für ihre Mutter so wichtig war, aber sie gab ihr das Versprechen, weil sie ihre Mutter aufrichtig liebte. Es war das letzte Geschenk ihrer Mutter, für das diese eine sehr lange Zeit verreist war und kurz nachdem sie zurückkam erkrankte sie schwer und starb.

Ihr Vater sagte ein paar tröstende Worte zu Claire, von denen er selbst nicht überzeugt zu sein schien. Auch er trauerte noch immer um seine Frau.

Claire beschloss im Stillen, sobald sie eine ruhige Minute fände, das Päckchen zu öffnen, doch zuerst würde sie ein großes Stück Torte essen.

***

Als Claire endlich ein paar Minuten Zeit fand, in denen niemand etwas von ihr wollte, stahl sie sich in ihre Gemächer und holte das Päckchen aus einer kunstvollen Truhe hervor. Sie schloss für einen Moment die Augen und stellte sich vor, wie die Hände ihrer Mutter die silberne Schleife um das Papier gebunden hatten. Ihr Magen verkrampfte sich. Sie vermisste ihre Mutter schrecklich.

Langsam löste Claire die Schleife. Ihre Finger entfalteten geschickt das Papier und zum Vorschein kam ein Brief. Als Claire diesen entfaltete, plumpste ihr etwas Kleines in den Schoß. Sie nahm es auf und betrachtete es. Es war ein schwarzer Ring mit drei lilafarbenen Edelsteinen. Amethysten, wie sie vermutete.

Claire runzelte die Stirn über dieses merkwürdige Geschenk. Der Ring entsprach ganz und gar nicht ihrem Geschmack und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass er ihrer Mutter gefallen hatte. Schließlich war er schwarz. Nicht golden oder silbern, sondern mattschwarz, als wäre er verbrannt. Was sich ihre Mutter dabei nur gedacht hatte?

Ratlos entfaltete Claire den Brief, in der Hoffnung, darin eine Antwort zu dem rätselhaften Geschenk zu finden, hielt dann jedoch inne, als sie sich an ihr Versprechen erinnerte. Sie nahm den Ring wieder auf und drehte ihn unschlüssig hin und her. Ihrer Mutter war es sehr wichtig gewesen, dass sie diesen zuerst ansteckte, ehe sie ihren Brief las und da Claire niemals ein Versprechen brach, beschloss sie den Ring zu tragen, auch wenn er ihr nicht sonderlich gefiel. Immerhin war er das letzte Geschenk von ihrer Mutter und schon allein deswegen würde sie ihn in Ehren halten.

Nervös strich Claire sich eine goldene Haarsträhne hinters Ohr. Das ist doch Unsinn, schalt sie sich. Es bestand überhaupt kein Grund zur Nervosität. Außerdem war sie schrecklich neugierig, was in dem Brief stehen würde.

Kurzentschlossen steckte sie sich den Ring an den Mittelfinger. Das Metall wurde merkwürdig warm, beinahe als finge es an zu glühen. Claire schüttelte über sich selbst den Kopf. Bestimmt bildete sie sich das nur ein. Sie nahm den Brief wieder auf. Während sie las, versuchte sie das merkwürdige Prickeln ihres gesamten Körpers zu ignorieren. Vielleicht war etwas in der Torte gewesen, auf das sie allergisch reagierte? Sie scheuchte den Gedanken beiseite, um sich auf die letzten Worte, die ihre Mutter an sie gerichtet hatte, besser konzentrieren zu können.

Liebste Claire, mein hübsches Kind, nun bist du sechzehn Jahre alt und ich sollte langsam anfangen, dich nicht mehr als Kind zu bezeichnen. Du bist eine erwachsene Frau und du wirst deinen Weg gehen, auch wenn ich dich nicht mehr begleiten kann. Mein liebes Kind, ich liebe dich über alles und möchte immer nur dein Bestes, auch wenn es für dich im Moment vielleicht nicht so aussehen mag. Ich weiß, du wirst mich hassen für das, was ich dir angetan habe und es ist dein gutes Recht, dies zu tun. Ich wünschte, es hätte einen anderen Weg gegeben, aber dieser hier ist der Einzige, der dich beschützen wird.

Claire runzelte die Stirn. Der Brief ihrer Mutter ergab überhaupt keinen Sinn. Sie musste kurz vor ihrem Tod schon sehr verwirrt gewesen sein, anders konnte Claire sich ihre Worte nicht erklären.

Dies ist deine einzige Chance auf echtes Glück und die wahre Liebe, und nichts wünsche ich mir mehr auf dieser Welt, als dass du glücklich und geliebt wirst. Es mag dir vorkommen wie Diebstahl und in gewisser Weise ist es das auch. Ich habe dir deine Jugend und deine Schönheit geraubt, aber bitte glaube mir, Claire, es musste sein. Um beides wiederzuerlangen, halte dich an den Reim. Er ist ein mächtiger Zauber und er kann nur auf diesem Weg gebrochen werden.

Der Ring verhüllt deine Jugend und Pracht; Nichts kann ihn lösen, drum gib jetzt Acht: Erkennst du des Zaubers wahre Macht, fällt er von dir ab wie der Morgen von der Nacht.

Ich hoffe, du kannst mir eines Tages vergeben, mein Kind. Alles, was ich tat, diente stets nur deinem Besten.

In ewiger Liebe, Deine Mutter

Claire verstand immer noch nicht, aber inzwischen juckte ihre Kopfhaut, ihr ganzer Körper so unerträglich, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Sie legte den Brief zur Seite, hob ihre Hand, um sich am Kopf zu kratzen und erstarrte. Das da war nicht ihre Hand. Die Haut ihrer Hand war glatt und straff, aber das da vor ihren Augen war schlaff und hatte Falten. Sie wackelte testweise mit den Fingern und die alten Finger wackelten mit.

Was in Gottes Namen ging hier vor sich? Sie schob den Ärmel ihres Kleides höher und auch hier hing die Haut locker an ihrem Arm herab, wackelte leicht, wenn sie den Arm bewegte. Claires Herz setzte einen Schlag aus, dann stand sie auf und stürzte zu dem großen Wandspiegel in ihrem Ankleidezimmer. Die Züge des Gesichts, das ihr entgegenstarrte, waren ihr vertraut, es war, als werfe Claire einen Blick in ihre Zukunft. In eine sechzig Jahre entfernte Zukunft. Die Augen der alten Frau mit den schneeweißen Haaren waren vor Schreck weit aufgerissen, der Mund formte ein bestürztes O. Claire legte sich eine Hand auf die Brust und die Frau im Spiegel tat es ihr gleich.

Noch während ihr Verstand versuchte zu begreifen, was das alles zu bedeuten hatte, war ihr Herz schneller. Es raste vor Panik und ihr Magen fühlte sich flau an. Claire befürchtete, die Torte würde ihr jeden Moment wieder hochkommen. Sie warf sich auf ihr Bett, um nicht länger in den Spiegel sehen zu müssen, drückte ihr Gesicht in ein Kissen und zwang sich ruhig zu atmen. Sie schloss die Augen. Kurze Zeit später fühlte sie sich wie immer. Das Prickeln ihrer Haut hatte aufgehört und Claire glaubte, sich das alles nur eingebildet zu haben. Sie hob langsam eine Hand und berührte ihre Wange. Doch sie fühlte nicht die zarte, glatte Haut einer Sechzehnjährigen, sondern unebenes, lockeres Gewebe. Sie griff nach ihren Haaren und zog sich eine Strähne aus der Frisur vor die Augen. Weiß. Ihre Haare waren immer noch weiß.

Mit der anderen Hand tastete Claire blind um sich, bis ihre Finger Papier fühlten. Sie griff nach dem Brief und las ihn ein zweites Mal und dann ein drittes. Claire begriff, dass es mit dem Ring an ihrer Hand zu tun hatte. Sie versuchte ihn sich vom Finger zu ziehen, doch er saß fest. Ließ sich nicht einen Millimeter verrücken, als wäre er passgenau um ihren Finger herum geschmiedet worden. Aber das konnte nicht sein. Noch beim Anstecken war er viel zu groß und locker gewesen. Claire rüttelte und zog weiter an dem Ring, bis ihr Finger rot war und schmerzhaft pochte.

Sie rief ihrer Zofe zu, diese möge ihr Öl bringen und es vor ihrer Tür abstellen. Claire schämte sich für diese alte Hülle, die nicht sie war.

Doch auch das Olivenöl half nicht den Ring zu lockern. Inzwischen blutete ihre Haut rund um den Ring, so sehr zog und kratzte sie daran, aber es war nichts zu machen, der Ring saß fest und Claire sah langsam ein, dass der Zauber mächtiger war als sie selbst.

Sie las noch einmal den Brief ihrer Mutter und blieb an dem Reim hängen:

Der Ring verhüllt deine Jugend und Pracht; Nichts kann ihn lösen, drum gib jetzt Acht: Erkennst du des Zaubers wahre Macht, fällt er von dir ab wie der Morgen von der Nacht.

Ihre Mutter hatte geschrieben, dass der Ring ihre einzige Chance auf echtes Glück und die wahre Liebe wäre, also war dies die Macht des Zaubers, folgerte Claire. Sie musste jemanden finden, der sie trotz ihres hässlichen Äußeren lieben würde und dann würde der Zauber von ihr abfallen und sie wieder jung und hübsch werden.

Claire brach in bittere Tränen aus. Weshalb hatte ihre Mutter ihr dies angetan? Hatte sie nicht geschrieben, sie würde Claire lieben? Was war das für eine merkwürdige Art, das zu zeigen, indem sie ihr eigenes Kind entstellte?

Niemals würde sie jemanden finden, der sie mit diesem Aussehen lieben würde. Claire konnte sich nicht einmal mehr selbst lieben. Sie ekelte sich vor ihren eigenen Runzeln und Falten, wie konnte sie da erwarten, dass jemand diese liebenswert fände? Jemand, der keine siebzig Jahre alt war?

Ihre Zofe betrat das Zimmer und Claire kroch hektisch unter ihre Bettdecke. Melinda durfte sie nicht in diesem Zustand sehen. Niemand durfte das!

»Nicht! Verschwinde!«, rief Claire panisch. Hatte Melinda noch einen Blick auf ihre weißen Haare erhaschen können?

»Aber Prin…«

»Du sollst verschwinden!« Claires Stimme klang selbst in ihren Ohren schrill.

»Aber Ihr Vater wünscht Euch zu sehen. Es ist immerhin Euer Geburtstag.«

»Denkst du etwa, ich weiß das nicht? Sag ihm, ich fühle mich nicht wohl. Sag ihm, ich möchte mich ausruhen und heute nicht mehr gestört werden. Von niemandem. Auch von dir nicht, Melinda.«

»Sehr wohl. Wie Ihr wünscht.«

***

Irgendwann hatte Claire eingesehen, dass sie sich nicht ewig verstecken konnte. Und als ihr besorgter Vater das fünfte Mal vor ihrer Zimmertür stand, wies sie ihn nicht mehr ab.

Claire hatte sich die Bettdecke über den Kopf gezogen, spürte aber, wie sich ihr Vater neben sie auf das Bett setzte.

»Claire, mein liebes Mädchen, was hast du denn?« Er strich unbeholfen über die Bettdecke an der Stelle, an der er ihren Kopf vermutete.

»Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, ohne dass du vor Schreck tot umfällst.«

Ihr Vater lachte tief und rau. »Nichts, was du tust, kann mich jemals so sehr erschrecken. Mach dir darum keine Gedanken.«

Claire bezweifelte dies zutiefst, aber ihr blieb ohnehin keine andere Wahl. Sie holte tief Luft und schlug die Bettdecke zurück. Sie hörte wie ihrem Vater der Atem stockte, dann drehte sie ihm langsam ihr Gesicht zu.

Er sprang vom Bett auf, sein Kopf rot vor Zorn. »Wer seid Ihr und was habt Ihr im Bett meiner Tochter zu suchen? Ich werde Euch in den Kerker werfen lassen. Ich werde …«

»Papa«, unterbrach Claire ihn verzweifelt. »Ich bin es. Erkennst du mich denn nicht wieder?«

»Was für eine dumme Frage! Wie sollte ich in einer alten Hexe meine wunderschöne Tochter wiedererkennen?« Er schnappte empört nach Luft.

»Sieh mir in die Augen«, beschwor Claire ihn, »und dann lies diesen Brief.«

»Was … was hat das alles zu bedeuten?« Ihr Vater taumelte einen Schritt rückwärts.

Claire hielt seinem Blick stand, den Brief in der ausgestreckten Hand.

Er griff danach und während er die Zeilen las, beobachtete Claire sehr genau jede seiner Gefühlsregungen. Unglauben. Bestürzung. Fassungslosigkeit. Wut. Verzweiflung.

Langsam ließ ihr Vater den Brief sinken und sah sie lange und durchdringend an. »Ich erkenne dich nicht wieder und doch bist du es, Claire. Deine Gesichtszüge, die Augen, das bist eindeutig du. Aber ich verstehe nicht. Wo hat deine Mutter diesen Ring her und weshalb hat sie dir das getan?«

»Ich weiß es nicht.« Claire brach in Tränen aus. »Er geht nicht mehr ab. Ich bekomme diesen verfluchten Ring nicht von meinem Finger.«

»Ich werde den besten Goldschmied des Landes kommen lassen. Er soll den Ring lösen.« Ihr Vater wandte sich zum Gehen.

»Nein!« Claire schnellte nach vorne und griff nach dem Arm ihres Vaters. »Niemand darf mich so sehen Papa. Außerdem wird der Goldschmied auch nichts ausrichten können. Glaub mir, ich habe alles bereits versucht, aber der Zauber ist mächtiger als wir.«

»Irgendetwas müssen wir doch tun können! Ich kann nicht glauben, dass ich völlig machtlos sein soll. Ausgerechnet ich!« Verzweiflung spiegelte sich in seinen Augen und Claire schluckte hart.

Sie hatte ihren Vater nicht mehr so traurig gesehen, seit ihre Mutter gestorben war und es brach ihr das Herz, ihm solchen Kummer zu verursachen.

»Ich werde gehen«, beschloss sie. »Ich kann nicht länger hierbleiben. Nicht, solange ich so aussehe. Was sollen wir den Leuten sagen? Dass mir ein Ring meine Jugend gestohlen hat? Das würde niemand glauben. Nein, der einzige Weg für mich ist der fort von hier. Vielleicht gelingt es mir, einen Gegenzauber zu finden, aber dazu musst du mich gehen lassen.«

Claire blickte ihren Vater beschwörend an. Dieser sah unendlich traurig aus.

»Und was sagen wir den Leuten, wenn du gehst?«, fragte er nach scheinbar endlosen Minuten des Schweigens.

»Sag ihnen, ich sei weggelaufen. Das ist allemal besser als die Wahrheit. Das Mitleid würde ich nicht ertragen. Bitte Papa, tu es für mich.«

Er seufzte schwer. »In Ordnung, mein Kind, ich werde es tun. Aber wo willst du hingehen?«

»Irgendwohin, wo mich niemand sieht. Wo ich in Ruhe nach einem Gegenzauber forschen kann, ohne von Menschen gestört zu werden.« Claire runzelte die Stirn, während sie überlegte, wo so ein Ort zu finden wäre. Schließlich hellte sich ihr Gesicht auf. »Ich weiß, wohin ich gehen werde!«

»Und wohin wäre das?«

»In Mamas Sommerhaus. In den Bergen. Das ist so weit abgelegen, dass niemand dort entlangkommen wird. Ich werde völlig ungestört sein. Niemand wird mich sehen.«

»Es ist bereits Ende September.« Ihr Vater klang besorgt. »Das könnte gefährlich werden. Niemand geht in die Berge, wenn der erste Schnee kommt.«

»Ich weiß. Aber wir haben Glück und dieses Jahr einen besonders langen Sommer. Ich werde gleich morgen früh aufbrechen.«

Ihr Vater ergriff ihre Hand. Für einen Moment hielt er inne, dann drückte er diese sanft. »Ich hoffe, du hast recht. Und während du weg bist, werde ich meine eigenen Nachforschungen anstellen und sobald ich etwas herausgefunden habe, was dir helfen könnte, werde ich einen Boten nach dir schicken lassen.«

»Danke, Papa.« Claire rang sich ein Lächeln ab, welches jedoch verrutschte, als sie den Kummer in den Augen ihres Vaters las.

»Für dich würde ich alles tun, meine Claire«, sagte er und hob die Hand. Für einen Moment sah es so aus, als wolle er ihre Wange streicheln, doch dann ließ er die Hand wieder auf die Decke sinken.

Claire wusste, dass das so nicht ganz stimmte. Ihr Vater mochte das glauben, aber ihre Mutter hatte ihr vor Jahren erklärt, dass es einen Menschen gab, der noch über ihnen beiden stand. Für den ihr Vater alles tun würde, denn einzig ihm allein verdankte er seine Macht. Und dieser eine Mensch war sein Bruder George.

***

Mittlerweile waren drei Sommer ins Land gezogen und Claire hatte immer noch keine Lösung gefunden. Obwohl ihr Vater darauf bestanden hatte ihr Diener mitzuschicken, hatte Claire sie wieder nach Hause gesandt. Sie wollte niemanden um sich herum haben, der ihr mitleidige Blicke zuwerfen würde, wenn er glaubte, sie sähe nicht hin. Nun bekam sie lediglich zweimal im Jahr andere Menschen zu Gesicht, wenn ihr Vater ihr Lebensmittelvorräte schickte und Briefe, in denen immer das Gleiche stand. Dass er sie vermisse, nach einer Lösung suche, aber noch keine gefunden hätte.

Manchmal kam sich Claire einsam vor, doch eigentlich war sie das gar nicht. Sie hatte schnell unverhoffte neue Freunde im Sommerhaus ihrer Mutter gefunden. Winzige Freunde, die ihren Alltag erträglicher machten, die versuchten sie aufzuheitern und die manchmal ganz schön lästig sein konnten.

Einer dieser lästigen kleinen Freunde umschwirrte gerade ihren Kopf. Claire scheuchte sie weg wie eine Fliege, aber die Blumenelfe blieb hartnäckig.

»Da vorne kommt jemand. Er wird bald hier sein«, berichtete sie ihr aufgeregt.

»Na und? Soll er doch, wenn er verrückt genug ist, um diese Jahreszeit noch den Bergpass entlang zu reiten. Jeden Tag kann der erste Schnee kommen, aber das ist nicht mein Problem.«

Claire wandte Poppy – die Elfen waren alle nach den Blumen benannt, in denen sie geboren wurden und Poppy war demnach eine Mohnblumenelfe – den Rücken zu. Sie wollte jetzt allein sein. Immerhin war heute ihr neunzehnter Geburtstag und sie hatte allen Grund, traurig zu sein, zumal sie aussah wie neunzig. Oder zumindest wie achtzig, wobei das in Claires Augen auch schon keinen großen Unterschied mehr machte.

»Aber Claire, du weißt doch, was in dem Brief deiner Mutter stand. Du musst die wahre Liebe finden und vielleicht ist er es. Du solltest dir diese seltene Chance nicht entgehen lassen.«

»O ja, er wird mich sehen und sich auf der Stelle in mich verlieben, weil ich ja auch so unbeschreiblich schön bin. Dann werde ich wieder jung und wir heiraten. Sonst noch was?«

Die kleine Elfe schwirrte ganz dicht an Claires Auge heran, damit diese ihr Beachtung schenken musste. »Du könntest ihm ein Abendessen anbieten und einen Schlafplatz für die Nacht. Dazu wird er nicht nein sagen.«

Die hohe piepsige Stimme der Elfen machte es schwer sie ernst zu nehmen, denn auch wenn sie recht hatten, klangen sie wie Kleinkinder.

»Schön, und was dann? Er wird morgen früh seine Sachen packen und weiterziehen. Was habe ich davon?«

Poppy schüttelte den Kopf, was sehr niedlich aussah. »Du bist ein hoffnungsloser Fall. Es scheint fast, als möchtest du für immer so bleiben.«

Nun wurde Claire zornig. »Habe ich nicht schon alles versucht? Habe ich nicht jedes Buch über Heilpflanzen, jedes Buch über Zauberelixiere gelesen, das ich finden konnte? Und nichts hat geholfen. Und nun willst du mir weismachen, dass irgendein dahergelaufener Reisender, der noch dazu lebensmüde sein muss, wenn er vorhat jetzt noch über den Bergpass zu ziehen, meine wahre Liebe ist? Tut mir leid, aber ich halte das nicht für erfolgsversprechend.«

Poppy stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus, flog nah an Claires Wange heran. Ihre winzigen durchscheinenden Flügelchen, die immer schimmerten, als hätte jemand sie mit silbrigem Puder bestäubt, kitzelten Claires Wange. Und dann brüllte die Elfe ihr in allerhöchstem Sopran so laut ins Ohr, dass Claire zusammenzuckte und vermutlich nie wieder etwas hören würde: »Geh jetzt da raus und biete ihm ein Dach für die Nacht an! Du brauchst dringend menschliche Gesellschaft!«

Claire rieb sich das Ohr. »Schon gut, du hättest nicht so schreien müssen. Vermutlich hast du recht, ich brauche tatsächlich mal wieder jemanden in meiner Größe zum Reden. Ihr Blumenelfen könnt ja so

3. Kapitel

Rosalie – Zwei Monate zuvor

Rosalie spähte aus dem Kutschenfenster, als die Mauern von Bluebeards Festung langsam in Sicht kamen. Obwohl sie nicht hier sein wollte, war sie froh bald aus der Kutsche rauszukommen. Nach einer knapp vierwöchigen Reise tat Rosalie jeder einzelne Knochen weh. Obwohl sie nachts fast immer in Gasthäusern Rast gemacht hatten, in denen es ein richtiges Bett und warmes Essen gegeben hatte, waren die Tage, in denen sie allein in der Kutsche saß und die vorbeiziehende Landschaft durch das Fenster aus beobachtete, sehr lang und sehr anstrengend gewesen. Das ständige Ruckeln und Holpern, wenn die Kutschräder über einen Stein oder in ein Schlagloch fuhren, hatten ihr zu Anfang Übelkeit verursacht. Inzwischen hatte sich ihr Magen daran gewöhnt, nicht jedoch ihr Hintern oder ihr Rücken oder jede andere Stelle ihres Körpers, die voller Verspannungen schmerzte.

Rosalie sah die aus massiven dunkelgrauen Steinen bestehende Mauer, die jeglichen Blick auf Bluebeards Festung verwehrte – so hoch war sie – mit Skepsis entgegen. Was sich dahinter wohl verbergen mochte? Was sie wohl erwartete? War bereits alles vorbereitet für ihre Hochzeit oder gönnte man ihr zuerst ein paar Tage Ruhe, um wieder Kraft zu schöpfen?

Rosalies Magen zog sich bei der Vorstellung, was sie nach der Hochzeit erwartete, krampfhaft zusammen. Es war ihr egal, wie viele prächtige Kleider sie bekommen und wie reich sie nach dieser Eheschließung sein würde. Der Gedanke an die bevorstehende Hochzeitsnacht mit Bluebeard schnürte ihr die Luft ab. Nackte Angst ergriff von ihr Besitz. Rosalie drückte die Fingernägel so fest in die Handballen, bis sich dort jeweils vier blutige halbmondförmige Sicheln bildeten. Der Schmerz half ihr nicht völlig den Verstand zu verlieren.

Die Mauern kamen näher und Rosalie fragte sich, ob sie sich auf der falschen Seite des Anwesens befanden und erst einmal halb herum fahren mussten, denn sie konnte weit und breit kein Tor erkennen.

Der Kutscher knallte mit der Peitsche und die Pferde beschleunigten ihr Tempo. Es waren längst nicht mehr die Pferde vom Beginn ihrer Reise. Nach ungefähr einem Drittel der Strecke waren sie ausgetauscht worden und dann noch ein weiteres Mal nach dem zweiten Drittel.

Der Kutscher steuerte die Pferde viel zu weit nach rechts, viel zu nah an die Mauer heran, fand Rosalie. Wenn er nicht aufpasste, würden sie damit kollidieren. Wobei Rosalie nichts gegen einen Unfall gehabt hätte. Ein gebrochenes Bein würde die Hochzeit sicherlich hinauszögern.

Die Peitsche knallte erneut und jetzt machten sie eine scharfe Rechtskurve, direkt auf die Mauer zu. Rosalie riss vor Schreck die Augen auf.

»Was tut Ihr da?«, rief sie dem Kutscher zu, doch als Antwort knallte nur ein weiteres Mal die Peitsche.

Die Pferde schnaubten nervös. Auch sie wollten nicht mitten in eine Mauer hinein galoppieren, doch der Kutscher ließ ihnen keine Wahl. Rosalie zog den Kopf zurück in den Wagen. Sie wollte die Kollision mit der Mauer nicht sehen. Ihre Finger krallten sich in das Polster der Sitzbank und sie schloss die Augen, was völlig unsinnig war, denn sie würde den Moment des Aufpralls doch sowieso nicht sehen.

Als nach zwei Minuten Fahrt immer noch nichts passiert war, wagte sie es die Augen zu öffnen und wieder aus dem Fenster zu sehen. Mit Staunen stellte sie fest, dass sie durch eine gepflegte Gartenanlage fuhren. Eine riesige gepflegte Gartenanlage.

Trotzdem war irgendetwas komisch. Rosalie wusste nur nicht genau, was es war. Sie kamen an einem See vorbei, auf dem ein paar Schwäne schwammen. Verwirrt schüttelte Rosalie den Kopf. Hatte sie vielleicht bis eben geschlafen und sich die Mauer nur eingebildet?

Sie lehnte sich weit aus dem Fenster und schaute zurück. Hinter ihr sah sie die Soldaten zu Pferd, die ihr die ganze Zeit über folgten, um sie zu beschützen oder sie daran zu hindern zu fliehen – Rosalie war sich nicht ganz sicher. Wahrscheinlich war ihr Befehl eine Mischung aus beidem. Doch was Rosalie staunen ließ, war der Weg, dem sie folgten und der direkt auf die Mauer zuführte. Doch noch immer konnte sie kein Tor oder sonst etwas erkennen, das ein Durchkommen ermöglicht hätte.

Rosalie hielt sich verwirrt den dröhnenden Kopf. Hatte sie Halluzinationen oder waren sie gerade mitten durch eine meterdicke Steinmauer gefahren?

Weiter vorne konnte sie Bluebeards Festung erspähen, die aus dem gleichen trostlosen graublauen Stein wie die Mauer bestand. Überhaupt erschien ihr alles sehr trostlos. Erst jetzt bemerkte sie, was ihr schon zuvor ein ungutes Gefühl verursacht hatte. In dem Garten gab es nicht eine einzige blühende Pflanze, nur vereinzelt ein paar Bäume, aber selbst die trugen keine Blätter mehr, die jetzt im Herbst für etwas Farbe hätten sorgen können. Selbst das Wasser des Sees bildete da keine Ausnahme, schimmerte es doch in einträchtigem Graublau. Sehr merkwürdig.

Rosalie erschauderte. In den vielen Wochen allein hatte sie gelernt den Gedanken zu akzeptieren, Bluebeards Ehefrau Nummer neun zu werden. Was blieb ihr auch anderes übrig? Sie konnte nicht vor dem Bruder des Königs fliehen, ihr blieb nur, ihr Schicksal mit Würde anzunehmen oder von nun an ein Häufchen Elend zu sein. Und letzteres widersprach Rosalies gesamter Persönlichkeit.

Doch als sie nun durch diesen toten Garten zu der noch toteren Festung fuhren, geriet ihr Beschluss, stark zu sein, trotzdem ins Wanken. Sich etwas vorzustellen und es dann mit eigenen Augen zu sehen, war nun mal etwas anderes.

Nicht zum ersten Mal wünschte Rosalie sich, sie hätte jemanden an ihrer Seite, dessen Hand sie drücken könnte. Vorzugsweise Amanda oder ihre Mutter, auch wenn sie gleichzeitig froh war, dass die beiden nicht hier waren, denn von diesen Gemäuern ging eine unterschwellige Gefahr aus, genau wie von Bluebeard. Das hatte Rosalie schon gespürt, als sie zum ersten Mal in dessen kalte schwarze Augen geblickt hatte.

Rosalie erlaubte sich einen kurzen Moment des Bedauerns, dass sie keine Möglichkeit mehr gehabt hatte, sich von ihrem Bruder Ric und von ihrem Vater zu verabschieden. Die beiden waren wahrscheinlich noch immer nicht nach Hause zurückgekehrt, wussten nichts von Rosalies Schicksal.

Bestimmt schob Rosalie die Gedanken an die Menschen beiseite, die sie liebte und bereits jetzt schmerzlich vermisste, um sich ganz auf die bevorstehende Ankunft in Bluebeards Festung zu konzentrieren.

Die Kutsche passierte das Tor in den Innenhof. Ein Tor, das diesmal zu sehen war, wie Rosalie mit Erleichterung feststellte. Die Pferde wurden langsamer und Rosalie setzte sich kerzengerade hin, straffte ihre Schultern und verbannte ihre Gefühle aus ihrem Gesicht. Sie würde das hier mit Würde ertragen. Das war sie sich selbst und ihrer Familie schuldig.

Die Kutsche hielt und wenige Augenblicke später wurde sie von außen geöffnet. Ein Diener reichte Rosalie seine Hand und stützte sie beim Aussteigen. Rosalie strich ihre Röcke glatt. Es war herrlich, sich endlich wieder bewegen zu können und der Enge der Kutsche entkommen zu sein. Sie sah sich im Innenhof um, doch auch hier gab es außer graublauen Steinwänden nicht viel zu sehen. Für eine Festung herrschte erschreckend wenig Betrieb, wie Rosalie fand. Wo waren Bluebeards Angestellte?

Die Kutsche fuhr wieder an, vermutlich in Richtung der Ställe und Rosalie kam sich merkwürdig deplatziert vor in dem verlassenen Innenhof.

»Lady Rosalie, bitte folgt mir.« Die Worte des Dieners, richteten Rosalies Aufmerksamkeit wieder auf ihn.

Langsam schritt sie hinter ihm her, gespannt und ängstlich zugleich, was sie hinter den Gemäuern wohl erwarten mochte.

Das Erste, was Rosalie auffiel: wie finster es war. Obwohl helllichter Tag war, schien kaum ein Lichtstrahl ins Innere zu gelangen. Es roch modrig und alt, so als wäre schon länger nicht mehr gelüftet worden. Rosalie fröstelte.

In der Eingangshalle hing ein mächtiger Kronleuchter von der Decke. Gegenüber führte eine breite Treppe in den ersten Stock. Schon von unten sah Rosalie das mehrere Meter hohe Gemälde von Bluebeard, welches sie bei jedem Schritt auf der Treppe genau zu beobachten schien. Auf dem Gemälde war ein sehr junger Bluebeard, vielleicht fünf oder sechs Jahre älter als Rosalie jetzt. Er war groß und schlank und hatte eine stattliche Pose eingenommen. Objektiv betrachtet war er durchaus sehr ansehnlich. Dennoch war Rosalie froh, als der Diener nach links in einen Gang abbog und sie Bluebeards Portrait, und somit dessen stechendem Blick, den Rücken zukehren konnte.

Rosalie folgte ihm, ohne zu wissen, wohin er sie bringen würde. Der Boden unter ihren Füßen war mit dickem Teppich ausgelegt, der angenehm weich unter ihren Schritten nachgab. Sie kamen an ein paar Gemälden und einem prächtigen Wandteppich vorbei, dessen aufwändige Stickarbeit Rosalie jedoch nicht würdigen konnte, da der Diener bereits mehrere Meter vorausgegangen war. Schnell holte sie wieder auf.

Vor einer dunklen Holztür blieb der Diener stehen. »Eure Gemächer, Lady Rosalie.«

Gemächer? Das bedeutete, es war mehr als nur ein Zimmer. Rosalie hatte noch nie mehr als ihr kleines Zimmer zu Hause besessen, in dem gerade einmal Platz für ein Bett, eine Kleidertruhe und einen winzigen Waschtisch gewesen waren.

Der Diener hielt ihr die Tür auf und staunend trat Rosalie ein. Hier spendete ein großes Fenster Licht, was den Raum sofort einladend erscheinen ließ. Die dominierenden Farben des Raumes waren weiß, ein dunkler Roséton und ein paar goldene Akzente.

Rosalie trat ans Fenster, von dem aus sie einen Blick auf die Gartenanlage hatte. In der Ferne konnte sie den See erspähen.

»Lady Rosalie, Bluebeard wünscht Euch zu sehen. Ich lasse Euch kurz alleine, damit Ihr Euch frisch machen könnt.«

Rosalie nickte ihm zu und der Diener schloss die Tür. Sie ging zu dem Waschtisch, neben dem ein Krug mit Wasser stand, füllte etwas in die Schale und bespritzte sich das Gesicht. Danach sah sie sich um. Auf dem Bett lag ein dunkelblaues Kleid bereit und Rosalie nahm an, dass sie es tragen sollte. Sie hatte nichts dagegen aus ihrer Reisekleidung hinauszukommen, also zog sie sich rasch um. Das Kleid passte ihr wie maßgeschneidert, was in Rosalie ein befremdliches Gefühl auslöste, auch wenn sie nicht recht zuordnen konnte, weshalb. Sie löste ihren Zopf und versuchte mit den Fingern die gröbsten Knoten zu entwirren. Nachdem ihr das gelungen war, blickte ihr ein blasses Mädchen entgegen mit langen schwarzen Locken, die ihr fast bis zur Taille reichten, in einem tiefblauen Kleid, das das helle Blau ihrer Augen betonte. Doch ihre Augen strahlten nicht wie üblich und verliehen ihr damit nicht ihren unwiderstehlichen Liebreiz. Stattdessen wirkten sie farblos und ihre Wangen beinahe kränklich blass. Rosalie hatte ihr Strahlen verloren und sie fragte sich, ob sie nicht bald noch viel mehr verlieren würde.

Es klopfte an der Tür und Rosalie schrak aus ihren Gedanken auf.

»Ich komme!«, rief sie und drehte ihrem Spiegelbild den Rücken zu.

***

Es war der gleiche Diener wie zuvor und er führte sie schweigend den Weg zurück, den sie gekommen waren, die Treppe hinab zur Eingangshalle und von dort aus in das Kaminzimmer.

Bluebeard saß in einem Sessel am Feuer. Als Rosalie eintrat, stellte er seinen Weinbecher auf den kleinen Tisch vor sich ab und erhob sich, um sie zu begrüßen.

»Lady Rosalie, meine Teuerste. Wie schön, Euch gesund und wohlbehalten bei mir zu haben. Hattet Ihr eine angenehme Fahrt?«

Obwohl Bluebeard charmante Worte wählte und sie anlächelte, erreichte das Lächeln nicht seine Augen, die in dem dämmrigen Licht komplett schwarz wirkten. Diese musterten Rosalie kalt und ihre Beine wurden zittrig, während sie auf ihn zuging. Ein Glück, konnte er nicht durch die vielen Lagen an Stoff blicken, denn sonst hätte er es gesehen.

Rosalie reichte ihm ihre Hand, auf die er einen Kuss hauchte. »Ich bin ein wenig erschöpft von der langen Reise«, gestand sie.

»Das ist nur allzu verständlich. Wärt Ihr dennoch so gütig mir beim Abendessen Gesellschaft zu leisten? Danach dürft Ihr Euch sogleich in Euren Gemächern ausruhen.«

Rosalie konnte sich nicht vorstellen in Bluebeards Anwesenheit auch nur einen Bissen herunterzubekommen. Sie überlegte gerade, ob sie vielleicht Reiseübelkeit als Vorwand vorbringen könnte, als sie sah, wie sich Bluebeards Augen leicht verengten.

»Ein Abendessen wäre wunderbar«, brachte sie mit einem schmalen Lächeln hervor.

»Dann lasst uns gehen.« Bluebeard reichte ihr seinen Arm, an dem sie sich unterhakte und gemeinsam schritten sie zum Speisesaal.

***

Das Essen schmeckte vorzüglich, aber etwas anderes hatte Rosalie auch nicht erwartet. Der Rehrücken war auf den Punkt gebraten und die grünen Bohnen noch knackig. Zum Nachtisch hatte es eine süße Creme aus Maronen gegeben, die so luftig aufgeschlagen war, dass sie auf der Zunge zerging.

Nachdem sie fertig gespeist hatten, hob Bluebeard seinen silbernen Weinbecher und prostete ihr zu. Rosalie tat es ihm gleich und nahm einen tiefen Schluck Rotwein. Die Wärme, die der Alkohol in ihrem Magen verursachte, empfand sie als tröstlich.

Bluebeard lehnte sich im Stuhl zurück. »In drei Tagen findet die Hochzeit statt. Bis dahin solltet Ihr Euch besser von der Reise erholen. In Euren Gemächern«, fügte er hinzu.

Rosalie verstand, was er ihr damit sagen wollte. Sie hatte in ihren Räumen zu bleiben und sich nicht blicken zu lassen.

»Sehr wohl.« Sie trank einen weiteren Schluck Wein, um Mut für die Frage zu finden, die sie seit Wochen quälte und die sie sich jeden Tag immerzu stellte.

»Darf … darf ich Euch etwas fragen?«

Bluebeard machte eine ausschweifende Handbewegung mit seinem Weinbecher, die Rosalie zum Weiterreden aufforderte.

»Wieso ich? Weshalb habt Ihr unter all den Mädchen mich auserwählt?«

Bluebeard stellte den Becher auf den Tisch und beäugte sie aus zusammengekniffenen Augen. Rosalie schluckte. Dann verschränkte er die Arme unter der Brust und sah beinahe amüsiert aus. Rosalie meinte zu sehen, wie sich seine Mundwinkel unter dem blauen Bart leicht hoben. »Ihr wollt wissen, weshalb Euch die Ehre zuteilwird, meine nächste Ehefrau zu werden?«

Rosalie nickte.

»Ihr seid jung, unschuldig und von unvergleichlicher Schönheit. Eure Seele ist rein und Eure Augen strahlen vor Lebensfreude. Das war es, wonach ich gesucht habe und in Euch habe ich es gefunden.«

»Und Eure vorherigen Ehefrauen hatten dies nicht? Ich meine gehört zu haben, sie wären alle von unvergleichlicher Schönheit und Jugend gewesen.«

»Ich habe nie gesagt, sie wären es nicht gewesen. In der Tat war eine schöner als die andere.«

War. Wieso hatte Bluebeard nicht ist gesagt? Ein ungutes Gefühl beschlich Rosalie und sie versuchte es zu betäuben, indem sie hastig einen weiteren Schluck Wein trank. Sie durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Nicht, wenn sie vielleicht ein paar Antworten haben wollte. Die wohlige Wärme des Alkohols verscheuchte das Unwohlsein, das seine Worte in ihr ausgelöst hatten.

»Waren sie Euch nicht hübsch genug oder weshalb habt Ihr sie so schnell abgelegt?«

Rosalie merkte, dass sie einen Fehler begangen hatte, weil Bluebeards Augen sich verdunkelten. Er beugte sich bedrohlich weit über den Tisch nach vorne und Rosalie zog automatisch die Schultern hoch.

»Ihr wollt wissen, was mit ihnen geschehen ist?« Ein unheilschwangerer Unterton lag in seiner Stimme.

Rosalie war sich nicht sicher, ob sie nicken oder den Kopf schütteln sollte, deshalb blieb sie starr.

»Ich kann Euch beruhigen, dass die Ehe mit mir nicht von langer Dauer sein wird. Vielleicht ein paar Monate, vielleicht auch zwei Jahre, das hängt ganz von Euch ab. Von Eurer Neugier. Merkt Euch eins, Lady Rosalie, wenn es etwas gibt, was ich verabscheue, dann ist es zu viel Neugier und Eure Fragen lassen vermuten, dass es Euch daran nicht mangelt.«

»Es tut mir leid«, brachte sie erstickt hervor.

Wenn er sie aus diesen kalten Augen musterte, fühlte sie sich automatisch schwach und unterlegen. Ihr Fluchtinstinkt wurde größer, warnte sie vor dem Mann, der in drei Tagen ihr Ehemann sein würde. Rosalie wünschte sich, sie könnte einfach von hier fliehen. Doch wohin sollte sie gehen? Ein ganzes Königreich würde nach der vermissten Ehefrau Bluebeards suchen, dafür würde er schon sorgen.

»Schon gut. Ich verzeihe Euch.« Plötzlich hellte sich Bluebeards Miene wieder auf. Er wirkte beinahe zufrieden.

Rosalie war verwirrt. Sie konnte sich nicht erinnern, irgendetwas richtig gemacht zu haben.

»Ich freue mich sehr, dass Ihr hier seid, Lady Rosalie, und sollte ich das bisher nicht ausreichend zum Ausdruck gebracht haben, so bedaure ich diesen Umstand zutiefst.«

Rosalie rang sich ein Lächeln ab. »Das muss es nicht«, sagte sie, weil sie glaubte, das würde von ihr erwartet. »Wir beide kennen uns bisher kaum, aber ich bin zuversichtlich, wenn wir uns erst besser kennen, wird es uns leichter fallen, einander nicht zu verärgern.«

4. Kapitel

Claire – Jetzt

Claire hatte sich ein dünnes Tuch um die Schultern geschlungen, durch das der Wind unerbittlich blies. Er zerrte an ihrer Kleidung und ließ sie frösteln, während sie den Weg von ihrem Hauseingang zum Tor zurücklegte. Das Tor bot kaum Schutz vor Einbrechern, denn es war nur ein Holzzaun, der das Anwesen umgab und der nicht schwer zu überwinden war.

Allerdings war Schutz auch nicht notwendig, denn es verirrte sich kaum jemand in diesen entlegenen Winkel des Landes. Hier gab es nichts, weswegen es sich lohnen würde herzukommen. Keine Dörfer und auch kaum Wild, das es zu jagen galt. Hier, am Beginn der Berge, gab es nur massives Gestein und im Winter unendliche Massen an Schnee.

Während Claire den Weg entlanglief, schwirrte Poppy aufgeregt um ihren Kopf herum. Das weckte die Aufmerksamkeit der anderen Elfen, die aus ihren Blumen kamen und sich Poppy anschlossen. Gemeinsam flogen sie fröhlich um Claire herum.

Die Blumen, die das Zuhause der kleinen Wesen darstellten, waren keine gewöhnlichen Blumen, die an Jahreszeiten gebunden waren oder verblühten. Nein, diese Blumen blühten immer. Claire mochte es, dass ihr Garten dadurch das ganze Jahr über mit bunten Blumen übersät war. Bluebell, die Glockenblumenelfe, Daisy, die Gänseblümchenelfe, Tulip, die Tulpenelfe und Poppy, die Mohnblumenelfe, umschwirrten Claires Kopf wie ein Schwarm Fliegen.

Nur zu gut erinnerte sich Claire daran, wie sie entdeckt hatte, dass sie gar nicht so einsam in dem Sommerhaus ihrer Mutter war wie angenommen. Zuerst hatte Claire die kleinen Elfen für eine Halluzination gehalten, hervorgerufen durch altersschwache Augen. Schließlich galten Blumenelfen allgemein als ausgestorben. Die Blumenelfen hatten ihr dann erzählt, dass sie ein gut gehütetes Geheimnis von Claires Mutter waren. Diese hatte die kleinen Wesen vor dem Rest des Landes versteckt, indem sie ihnen erlaubte im Garten ihres Sommerhauses zu wohnen, wo kein Mensch auf die Idee käme, nach ihnen zu suchen. Tulip hatte Claire erklärt, weshalb es so wichtig sei, dass niemand von ihnen erfahre. Denn sollte herauskommen, dass es noch vier lebende Blumenelfen gäbe, so stünde es schlecht um die kleinen Wesen. Es würde Jagd auf sie gemacht werden, denn ihre Flügel können jede Krankheit heilen und ihr Blut kann Dinge unsichtbar machen. Dummerweise können die Elfen sich selbst nur unsichtbar machen, wenn sie sich in ihrer jeweiligen Blume befinden, doch auch das war im Winter kein unscheinbares Versteck, denn jeder Jäger, der wüsste, wonach er sucht, würde die außersaisonal blühenden Blumen sofort bemerken.

»Was ist los?«, fragte Tulip und riss damit Claire aus ihren Gedanken.

»Wieso geht Claire zum Tor?« Daisy flatterte aufgeregt mit ihren silbrig schimmernden Flügeln.

Alle schauten Poppy an. Selbst Bluebell war neugierig.

»Ja, Poppy, wieso mache ich das?« Auch Claire schaute Poppy an, jedoch unmissverständlich finster.

»Weil ich vorhin einen Reiter entdeckt habe, der auf dem Weg in die Berge ist. Und ihr wisst schon, es könnte der Eine sein …«, raunte Poppy geheimnisvoll.

Sofort entstand leises Getuschel um Claire herum. »Der Eine«, wisperten alle vier immer und immer wieder.

Claire fühlte sich wie in einer Höhle und das Echo prallte von allen Seiten zu ihr zurück und machte sie halb wahnsinnig.

»Könnt ihr mal leise sein!«, fuhr sie die kleinen Wesen an.

Sofort verstummten alle vier.

»Und überhaupt, wäre es nicht besser, ihr würdet euch in euren Blumen verstecken? Oder wollt ihr unbedingt von ihm gesehen werden?«

»Claire hat recht«, wisperte Bluebell. »Wir sollten uns verstecken.«

»Danke«, gab Claire verstimmt zurück. So sehr sie die kleinen Wesen auch mochte, mindestens genauso anstrengend waren sie auch. Wie Kinder, nur hundertmal nerviger.

Inzwischen war Claire am Gartentor angelangt und spähte den schmalen Weg hinab, den der Reiter nehmen musste. Die Elfen ließen sie allein und verschwanden in ihren Blumen. Ohne ihre Stimmen konnte Claire leises Hufgetrappel in der Ferne vernehmen. Anscheinend hatte Poppy recht und da kam tatsächlich jemand. Claire wurde bewusst, dass sie bis eben nicht daran geglaubt hatte, jemand wäre tatsächlich so verrückt und würde kurz vor dem Beginn des Winters noch hier heraufkommen.

Aber so war es und wenig später wurde in der Ferne die Silhouette eines Reiters sichtbar. Claire konnte seine Konturen ausmachen, wenn sie die Augen zusammenkniff, denn die Sonne ging bereits hinter ihm unter und blendete sie. Die Umrisse von ihm und seinem Pferd hoben sich dunkel vor dem wie in Flammen stehenden Himmel ab.

Claire vernahm leises Kichern hinter sich und als sie sich umdrehte, sah sie, wie Tulip ein großes Blütenblatt ihrer gelben Tulpe beiseiteschob, um dazwischen hervorzulugen.

»Tulip, wolltest du dich nicht unsichtbar machen?«, zischte Claire.

»Vergessen!«, kicherte diese und verschwand auf der Stelle. Nur das immer noch leicht verschobene Blütenblatt deutete darauf hin, dass Tulip sich in der Blume befand und weiterhin die gesamte Szenerie neugierig beobachtete.

Claire seufzte und hielt sich ihr Tuch enger vor der Brust zusammen. Dabei achtete sie sorgfältig darauf, keinen Blick auf ihre Hand zu werfen, da die schlaffe Haut sie nur traurig machte.

Der Reiter drosselte das Tempo, als er Claire neben dem Tor erblickte. Claire hob eine Hand zum Gruß und der Mann erwiderte ihre Geste. Er brachte sein Pferd neben ihr zum Stehen und Claire musste den Kopf in den Nacken legen, um zu ihm aufzusehen. Bei seinem Anblick verschlug es ihr den Atem. Dunkle vom Wind zerzauste Locken, ein deutlicher Bartschatten und strahlend helle blaue Augen, die in seinem kantigen Gesicht funkelten wie geschliffene Aquamarine. Die Augen bildeten das Zentrum seines Gesichts, fingen Claires Blick ein und hielten ihn gefangen. Augenblicklich fühlte sie sich schlecht. Dieser Mann war so überaus attraktiv, dass es mehr als abwegig erschien, ihn zu sich ins Haus einzuladen. Wohin sollte das führen? Er würde niemals …

Der Mann unterbrach ihre mitleidigen Gedanken, als er anfing zu sprechen: »Seid gegrüßt, Mütterchen. Ich hatte nicht erwartet so weit oben am Beginn der Berge noch einem Menschen zu begegnen.«

Claire zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen und eigentlich waren seine Worte schlimmer als jede Ohrfeige. Mütterchen, der Reiter hatte sie Mütterchen genannt! Und damit nicht nur einen, sondern gleich zwei wunde Punkte getroffen. Dass sie alt und hässlich war und dass sie in diesem alten Körper niemals Mutter werden könnte, niemals ein eigenes Baby in den Armen wiegen würde. Claire wusste nicht, wie sie noch weitere 51 Jahre in diesem Körper aushalten sollte, bis der Tod käme. Sie musste unbedingt eine Möglichkeit finden, den Ring loszuwerden, aber es durch die wahre Liebe zu versuchen, erschien ihr geradezu absurd. Welcher normale Mensch mit Verstand würde sich in jemanden verlieben, der aussah wie seine eigene Großmutter?

»Habe ich etwas Falsches gesagt?« Der Reiter sah sie verunsichert an und Claire bemerkte, dass sich Tränen in ihren Augen gesammelt hatten. Wütend blinzelte sie sie weg.

»Wenn ich irgendetwas gesagt habe, womit ich Euch gekränkt habe, so tut es mir leid.«

»Das habt Ihr nicht. Es ist nur, ich bekomme nicht allzu oft Besuch und schon gar nicht um diese Jahreszeit. Es verirrt sich kaum jemand hier herauf. Ich bin sehr einsam. Wollt Ihr nicht hereinkommen und mir für einen Abend Gesellschaft leisten? Ich könnte Euch eine warme Mahlzeit und einen Schlafplatz für die Nacht anbieten.«

Claire sah das Zögern in den klaren blauen Augen dieses Mannes. Hell wie der Himmel an einem perfekten Sommertag, vor den sich gerade eine dunkle Wolke schob, als er über ihr Angebot nachdachte. Während er noch mit sich rang, betrachtete Claire sein Gesicht. Er hatte ausgeprägte Wangenknochen und ein breites Kinn. Beides ließ ihn sehr hart wirken, doch die schwarzen Locken nahmen in ihrer Verspieltheit etwas von dieser Härte. Claires Blick wanderte weiter hinab. Auch seine Schultern waren breit und die Arme stark. Um seine rechte Schulter hing ein Köcher, Claire sah die befiederten Enden der Pfeile. An seinem Gürtel befestigt trug er ein Schwert, dessen Scheide bis zum Schaft seiner Lederstiefel reichte.

Die schmalen Lippen des Reiters verzogen sich zu einem freundlichen Lächeln. »Da es meine letzte Chance auf ein warmes Essen und ein richtiges Bett für die nächsten Wochen sein wird und die Sonne ohnehin bereits untergeht, nehme ich Euer großzügiges Angebot dankend an. Mein Name ist übrigens Ric!«

Er streckte ihr seine Hand entgegen und Claire ergriff sie. Sie fühlte sich kalt an, was kein Wunder angesichts der Temperaturen war und der Händedruck war wie erwartet kräftig.

»Claire«, sagte sie schlicht.

»Claire, was für ein schöner Name!« Ric stieg behände von seinem Pferd und Claire öffnete ihm das Tor.

»Hat Euer Pferd auch einen Namen?«

»Selbstverständlich. Das hier ist Chubby.« Er klopfte sein Pferd am Hals. Ein Brauner, dessen schwarze Mähne und Schweif zu den Haaren seines Reiters passten.

»Ihr habt Euer Pferd mollig genannt?« Claire konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Sie öffnete beiden das Tor und ließ sie herein.

Ric griff nach den Zügeln und Chubby folgte ihm, während sie gemeinsam in Richtung Haus gingen. Nur undeutlich war sich Claire der Anwesenheit der vier Blumenelfen bewusst. Sie hatte sie beinahe vergessen.

»Als sie zu uns kam, war sie das auch. Sie war ein richtiges kleines Pummelchen.« Ric tätschelte Chubbys Nüstern. »Was allerdings daran lag, dass sie ein Fohlen erwartete.«

»Tatsächlich? Na, jetzt zumindest, bist du kein Pummelchen mehr.« Claire klopfte die Backe des Pferdes und Chubby schnaubte zustimmend. »Hinter dem Haus befindet sich ein kleiner Schuppen. Dort könnt Ihr sie für die Nacht unterstellen. Ich warte im Haus auf Euch.«

Claire zeigte in die entsprechende Richtung. »Das ist sehr freundlich von Euch. Komm, Chubby, wir sehen uns deinen Unterschlupf einmal an.«