Königsfluch (Prequel von »Königsblau«) - Julia Zieschang - E-Book

Königsfluch (Prequel von »Königsblau«) E-Book

Julia Zieschang

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Beschreibung

Neues von der Bestseller-Autorin Julia Zieschang! **Erfahre die wahre Geschichte von König Blaubart** Celia kann ihr Glück kaum fassen: Sie soll den Thronerben George heiraten und damit selbst zur Königin werden. Doch ihr Traum wird schnell zum Albtraum, als sie erkennt, dass George nicht der Ehemann ist, den sie sich erhofft hat. Er ist kalt und verschlossen und scheint nicht fähig, jemand anderen zu lieben als sich selbst. Ganz anders ist dagegen sein Bruder Edmund. Seine Zuneigung wird mehr und mehr zum einzigen Lichtblick in Celias Leben, auch wenn sie nicht versteht, warum er Georges Verhalten immer wieder verteidigt. Bis sie hinter ein dunkles Geheimnis kommt, das wie ein Fluch über dem Palast liegt…  Diese Märchenadaption verführt und begeistert. Düster-romantisch erzählt Julia Zieschang von der Anziehung des Verbotenen und der Kraft der Liebe. »Königsfluch« ist die Vorgeschichte zum Bestseller-Roman »Königsblau« und gewährt uns einen Blick in die Vergangenheit des sagenumwobenen Königs Blaubart. Der Roman ist in sich abgeschlossen und kann als Einzelband gelesen werden. //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.// //Alle Bände der königlichen Bestseller-Reihe:  -- Königsfluch  -- Königsblau  -- Königsblau: Die E-Box zur märchenhaft-düsteren Reihe über den sagenumwobenen König Blaubart!// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Julia Zieschang

Königsfluch (Prequel von »Königsblau«)

**Erfahre die wahre Geschichte von König Blaubart** Celia kann ihr Glück kaum fassen: Sie soll den Thronerben George heiraten und damit selbst zur Königin werden. Doch ihr Traum wird schnell zum Albtraum, als sie erkennt, dass George nicht der Ehemann ist, den sie sich erhofft hat. Er ist kalt und verschlossen und scheint nicht fähig, jemand anderen zu lieben als sich selbst. Ganz anders ist dagegen sein Bruder Edmund. Seine Zuneigung wird mehr und mehr zum einzigen Lichtblick in Celias Leben, auch wenn sie nicht versteht, warum er Georges Verhalten immer wieder verteidigt. Bis sie hinter ein dunkles Geheimnis kommt, das wie ein Fluch über dem Palast liegt …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Danksagung

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© Kristin Vogelsang

Julia Zieschang fand man schon als kleines Mädchen oft hinter einem Buch versteckt vor. Damals waren es noch Märchenbücher, heute liest sie am liebsten romantische Fantasy. Wenn sie nicht gerade mit dem Lesen oder Schreiben von Geschichten beschäftigt ist, befindet sich eine Spiegelreflexkamera vor ihrem Gesicht, denn das Fotografieren ist ihre andere große Leidenschaft.

Für alle, die der Zauber von Märchen nie ganz losgelassen hat.

Ein Märchen

Verloren gegangener Teil des Gedichts

Ein Märchen wie viele,

Schon oftmals gelesen.

Und doch wie kein zweites,

So anders im Wesen.

Ein Mädchen von blauem Blute,

Das ganz allein reist;

Ein König mit blauem Bart,

Der später so heißt.

Ein Märchen wie viele,

Schon oftmals gelesen.

Und doch wie kein zweites,

So anders im Wesen.

Eine Erbse so grün,

Hält sie wach die ganze Nacht.

Ein Wunsch aus Verzweiflung,

Der ein Monster aus ihm macht.

Ein Märchen wie viele,

schon oftmals gelesen.

und doch wie kein zweites,

so anders im Wesen.

Fünf winzige Elfen,

sind die Retter in der Not.

Doch sei auf der Hut vor der Unke,

denn sie bringt den Tod.

Ein Märchen wie viele,

schon oftmals gelesen.

Und doch wie kein zweites,

so anders im Wesen.

Prolog

»Claire!« Atemlos kam Ric vor ihr zum Stehen. »Ich habe dich überall gesucht. Wieso liegst du nicht in deinem Bett? Hast du vergessen, was der Hofarzt gesagt hat?«

Claire wandte ihren Blick von der Glasfront des Wintergartens ab und betrachtete ihren Ehemann in der Uniform des Anführers der königlichen Bogenschützen. Ric hatte ihretwegen seine derbe Jägerkleidung gegen eine Uniform getauscht. Er sah darin weniger wild als vielmehr stattlich aus, aber immer noch wie ihr Ric. Die kantigen Gesichtszüge, die ausgeprägten Wangenknochen und das breite Kinn. All das war ihr inzwischen so vertraut geworden, als wäre es ihr eigenes Gesicht. Schwarze Locken umspielten seine Stirn. Das Zentrum bildeten noch immer seine aquamarinblauen Augen, die sie sorgenvoll ansahen.

Claire seufzte tief. »Wie könnte ich das? Du erinnerst mich ja nur täglich zehnmal daran.«

Rics Augen verengten sich, aber Claire wusste, es war vor allem die Sorge um sie, die ihn veranlasste, ärgerlich wegen ihres Verhaltens zu sein. »Und weshalb hältst du dich dann nicht an seine Anweisungen? Er hat dir strikte Bettruhe verordnet.«

»Hast du gewusst, dass dies hier der Lieblingsort meiner Eltern im Palast gewesen ist?«, fragte Claire anstelle einer Antwort. Sie sah sich im Wintergarten mit seinen prächtigen Palmen und den vielen Orchideen in den unterschiedlichsten Farben um. Hier hatten sich Ric und Claire verlobt und seitdem war es auch ihr Lieblingsplatz.

»Nein, aber ich kann verstehen, wieso. Trotzdem solltest du dich schonen. Ich begleite dich zurück in deine Gemächer.«

Claire drehte sich zu Ric und strich ihm eine dunkle Locke aus der Stirn. »Ich bin schwanger, nicht krank.«

»Hochschwanger«, korrigierte sie Ric mit Blick auf ihren kugelrunden Bauch.

Claire legte beide Hände ins Kreuz. »Ich brauchte einen Ortswechsel. Weißt du eigentlich wie langweilig es ist, den ganzen Tag auf die Decke des Himmelbettes zu starren?«

»Es ist ja nur noch von kurzer Dauer«, versuchte Ric sie zu besänftigen. Er legte eine Hand auf Claires Bauch und streichelte ihn liebevoll. »Außerdem habe ich da etwas, das dir Zerstreuung bringen wird. Besser gesagt, der König hat etwas.«

»Vater hat etwas für mich?«

Ric lächelte, als er das neugierige Funkeln in Claires Augen bemerkte. Er bot ihr seinen Arm an und Claire hakte sich unter, um sich von ihm in ihre Gemächer geleiten zu lassen.

»Was ist es?« Claire zuckte zusammen, als das Kind sie fest gegen den Bauch trat.

Ric blieb sofort stehen. »Ist alles in Ordnung? Soll ich den Arzt rufen lassen?«

»Ric, das Kind ist nur ein wenig unruhig. Das hat es sicherlich von seinem Vater.« Entschieden machte Claire einen Schritt nach vorne. Den restlichen Weg setzten sie schweigend fort. Claire dachte an ihre Hochzeit vor fast einem Jahr und wie glücklich sie gewesen war, dass Ric sich ihr zuliebe entschieden hatte ein schnöseliger Edelmann zu werden. Seine Wortwahl – nicht ihre.

In ihren Gemächern wartete bereits ihr Vater auf sie und so wie er im Raum umhertigerte, war er, genau wie Ric, höchst besorgt um Claires Gesundheit.

»Wo treibst du dich nur wieder herum?«, fragte König Edmund, noch ehe die Tür hinter ihr geschlossen war.

»Ich bin nur in den Wintergarten gegangen.« Claire schritt zu ihrem Bett und Ric half ihr dabei sich hinzusetzen. Er häufte eine Menge Kissen in Claires Rücken an, sodass sie aufrecht sitzen konnte.

»Im Wintergarten also.« Der Blick des Königs trübte sich. Ohne Zweifel dachte er an seine verstorbene Ehegattin.

»Warum wolltest du mich sprechen, Papa?«, fragte Claire betont fröhlich, um die traurigen Gedanken ihres Vaters zu verscheuchen.

»Es gibt etwas, das ich dir geben wollte. Es befindet sich schon seit geraumer Zeit in meinem Besitz, aber ich fand einfach nie den richtigen Zeitpunkt.« Der König begann vor Claires Bett auf- und abzulaufen. »Du erinnerst dich an den Ring?«

Claire verzog das Gesicht bei der Erwähnung des verhassten mattschwarzen Rings mit den drei Amethysten. Ärgerlicher als beabsichtigt fuhr sie ihren Vater an: »Wie könnte ich das nicht? Er hat mich über drei Jahre lang entstellt! Ich war gefangen in der Gestalt einer alte Frau.«

»Natürlich! Wie Recht du doch hast!« Der König kam zu ihr ans Bett und setzte sich an das Fußende. Nachdenklich fuhr er mit der Hand über die kunstvoll bestickte Überdecke. »Ich war nicht ganz ehrlich zu dir. Als der Ring verschwand, da wusste ich, was damit passiert war.« Schuldbewusst senkte er das Haupt.

»Ihr habt es gewusst?«, fragte Ric und raufte sich die Haare. »Wir haben tagelang den Palast nach ihm durchsuchen lassen. Alle waren in wilder Aufruhr und Claire hatte furchtbare Angst, er könnte in die falschen Hände gelangt sein!«

Claire warf Ric einen warnenden Blick zu, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Warum erzählst du mir das ausgerechnet jetzt, Papa?«

Sie griff nach der Hand ihres Vaters, weil sie spürte, dass er ihren Zuspruch gerade brauchte.

»Weil ich finde, du solltest es erfahren, bevor das Kind zur Welt kommt. Dann verstehst du vielleicht, was Mutterliebe anrichten kann und weshalb deine Mutter nicht mehr unter uns weilt. Einige Dinge waren selbst mir nicht bekannt. Ich wusste nicht, was sie getan hatte, um dich zu beschützen.« Der König entzog ihr seine Hand und schlug sie sich vors Gesicht. Seine Schultern bebten und Claire wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Ihr Vater hatte nicht mehr geweint seit dem Tag, an dem ihre Mutter starb.

»Ich verstehe nicht.« Hilflos legte sie eine Hand auf seine Schulter und drückte diese. »Was ist denn los?«

»Entschuldige bitte.« Der König wandte sich ab, zog ein Stofftaschentuch hervor und tupfte sich die Augen damit. »Damals, als sie kam, um den Ring ihrer Schwester zurückzufordern, da kannte ich noch nicht die Zusammenhänge. Weder wusste ich, dass der Ring von ihr stammte, noch was deine Mutter getan hatte.«

Der König machte eine Pause um sich zu sammeln.

»Von wem sprecht Ihr?«, fragte Ric und trat neugierig heran.

»Von der Seherin. Sie kam in den Palast und machte mir ein Angebot. Sie sagte, ihre Schwester wolle eine alte Schuld begleichen. Ich verstand überhaupt nicht, wovon sie sprach. Welche alte Schuld? Die Seherin gab mir ein magisches Buch. Sie nannte es Märchenbuch. Im Gegenzug dafür wollte sie den Ring zurückhaben. Ich gab ihn ihr, weil ich froh war das verfluchte Ding loszuwerden, das meine Tochter entstellt hatte. Die Seherin erklärte mir, dass sich in dem Buch alle bereits erfüllten Schicksale in geschriebener Form befänden. Es wäre das Gegenstück zu dem Teppich, denn es würde aufzeigen, wohin die einzelnen Schicksalsfäden tatsächlich geführt hätten und wie einzelne Knoten sich aufgelöst hätten. Du kannst mir glauben, ich habe kein Wort von dem verstanden, was sie zu mir sagte.«

Der König klopfte mit der Hand auf die Überdecke, dann erhob er sich mit einem Stöhnen und ging zur Fensterbank. Claire folgte ihm mit ihrem Blick, wie er ein dickes in dunkles Leder gebundene Buch in die Hände nahm und zu Claire zurückkehrte. Vor ihrem Bett blieb er stehen, zögerte einen kurzen Augenblick, ehe er ihr das Buch reichte. Es wog schwer in Claires Armen, weshalb sie es auf ihrem Bauch abstützte. Wozu hatte sie schließlich diese riesige Kugel? Andächtig strich sie über die goldenen Lettern auf dem Ledereinband, die das Wort Märchen bildeten. Das Buch wirkte sehr alt und war an den Ecken bereits abgenutzt. Auch der Einband hatte einige Kratzer, auch an manchen Buchstaben war die goldene Farbe bereits abgeblättert.

»Was sind Märchen?«, fragte Claire.

»Besondere Geschichten, die, sobald sie zu ihrem Ende kommen, in dem Buch auf magische Weise erscheinen. Das zumindest hat die Seherin zu mir gesagt.« Der König kratzte sich am Ohr.

Claire starrte ratlos auf das Buch. »Mir erklärt sich immer noch nicht, weshalb die Seherin, wie du sie nanntest, dir ein solches Buch gegeben hat und weshalb ich es lesen soll?«

»Du wirst es verstehen, wenn du erfahren hast, was damals wirklich passiert ist. Vor deiner Geburt meine ich.« Der König holte tief Luft. »Es ist von größter Wichtigkeit, dass du die Wahrheit kennst. Die Wahrheit über mich, deine Mutter und George.«

George … So hatte ihn schon lange niemand mehr genannt, überlegte Claire.

»Was ist das für eine Wahrheit?«, fragte Ric mit deutlicher Anspannung in der Stimme. »Wird es sie aufregen?«

»Ich hoffe nicht. Zumindest nicht allzu sehr.« Der König verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere.

»Mach dir keine Gedanken, Ric.« Claire schlug das Buch auf und strich über die erste vergilbte Seite. Ric stellte sich so, dass er ebenfalls einen Blick hineinwerfen konnte.

»Rotkäppchen«, las Claire die Überschrift, die aus verschnörkelten Buchstaben bestand. »Ist es das?«

»Nein, es ist die vorletzte Geschichte. Die Märchen erscheinen in der Reihenfolge, wie sie beendet wurden.« Der König verlagerte sein Gewicht und rieb sich das Ohrläppchen.

Claire begann das Märchenbuch von hinten durchzublättern und erstarrte, als ihr auf den Seiten ihr eigener Name ins Auge stach. Sie hielt inne, las ein paar Zeilen und sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht. Sie blätterte vor, bis zum Beginn des Märchens. »Königsblau.« Das Wort war kaum mehr als ein Hauch. Es war erschreckend und schön zugleich, dort in Worte gefasst zu lesen, was ihnen tatsächlich widerfahren war. Der Anfang des Märchens lautete:

»Was die Dunkelheit zuvor verborgen hatte, kam ans Licht. Bluebeards schauriges Geheimnis offenbarte sich vor ihnen und der Anblick war so entsetzlich, dass es Rosalie den Magen umdrehte. Es übertraf alles, was sie sich jemals in ihren schlimmsten Fantasien ausgemalt hatte.«

»Das ist unsere Geschichte«, stellte Ric fest und riss ihr beinahe das Buch aus der Hand. »Dort«, er deutete auf die ersten Zeilen. »Das ist Rosalie, aber wie ist das möglich?« Ric sah fragend zum König.

Auch Claire hielt den Atem an. Den Namen von Rics Schwester hier auf dem alten Blatt Papier zu lesen, war weit mehr als merkwürdig. Ein ungutes Gefühl machte sich in Claire breit. Obwohl sie selbst Teil dieser Geschichte war, wollte sie die Ereignisse lieber nicht noch einmal vor ihrem inneren Auge aufleben lassen. Zu schaurig und auch traurig war das, was ihnen allen widerfahren war.

Der König räusperte sich. »Wie ich schon sagte, es ist ein magisches Buch. Grämt euch nicht darüber, dass eure Geschichte dort drinsteht. Freut euch, denn es bedeutet, dass ihr euer glückliches Ende bekommen habt.«

Claire und Ric tauschten einen Blick. Sie dachten beide dasselbe. Sie hatten zwar ihr »Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage« bekommen, aber der Preis dafür war hoch gewesen.

Claire blätterte zurück bis zum Anfang der nächsten Geschichte. Bedächtig strich sie über die Worte »Königsfluch.«

»Das ist sie, nicht wahr? Eure Geschichte. Die von Mama und dir.« Claire sah zu ihrem Vater.

»Ja, und es ist wichtig, dass du sie liest«, bestätigte der König. »Danach weißt du, weshalb alles gekommen ist, wie es gekommen ist.«

Plötzlich traten Claire Tränen in die Augen, was sie auf ihre Schwangerschaft schob. Ständig brach sie ohne Vorwarnung in Tränen aus und mehr über ihre Mutter zu erfahren, die Claire jeden Tag schmerzlich vermisste, machte sie sentimental.

»Danke, Papa. Ich werde gleich anfangen es zu lesen.«

»Ich hatte gehofft, du würdest das sagen. Und so wird dir die Zeit im Bett wenigstens nicht lang.« Der König machte Anstalten zu gehen.

»Soll ich bei dir bleiben oder möchtest du alleine sein?«, fragte Ric.

»Ehrlich gesagt wäre ich lieber alleine.« Claire wollte ungestört in die Geschichte eintauchen können und sich ihrer Mutter nahe fühlen.

»Gut.« Ric beugte sich zu ihr hinunter, strich ihr eine goldene Haarsträhne hinters Ohr und hauchte ihr einen Kuss auf die Stelle zwischen Ohr und Wange, ehe auch er ihre Gemächer verließ.

Sobald Claire allein war, holte sie tief Luft und versuchte sich zu sammeln für das, was sie gleich erfahren würde. Sie war ein wenig aufgeregt, denn sie ahnte, dass die Geschichte ihrer Mutter nicht weniger spannend sein würde als ihre eigene. Wie ihre Mutter wohl so in Claires Alter gewesen war?

Claire betrachtete die erste Seite, deren Ecken mit wunderschönen Ornamenten verziert waren, genau wie die Überschrift. Mit dem Zeigefinger fuhr sie die feinen Linien eines der verschnörkelten Ornamente nach. Das Papier fühlte sich an den Rändern abgegriffen und speckig an, doch die Tinte war gestochen scharf, als wären die Worte eben erst geschrieben worden.

»Königsfluch«, flüsterte Claire und begann zu lesen.

1. Kapitel

Das Grün und Blau hatte etwas Farbe auf ihre blasse Haut gezaubert. Am liebsten hätte er auch den Rest ihres Körpers gesehen, aber der Arm hatte reichen müssen. Er konnte es sich auch so vorstellen. Das herrliche Muster, das die Erbse auf ihren Körper gemalt hatte.

George – zwei Jahre zuvor

»Pst, nicht so laut«, kicherte Milla. »Wenn uns jemand hört.«

Ihr Lachen war für George das schönste Geräusch auf Erden. Niemand konnte so bezaubernd lachen wie sie. »Du machst dir viel zu viele Gedanken«, sagte George und fing wieder an sie zu küssen. »Hier draußen gibt es nur uns beide, das ist unser geheimer Ort.«

»Das ist wahr, trotzdem habe ich immer Angst, seit dein Vater …«

»Sch, sch.« George legte ihr seinen Zeigefinger auf die vollen Lippen. Er wollte jetzt nicht darüber reden, wie sein Vater vor einem halben Jahr herausgefunden hatte, dass George nur deshalb keine Prinzessin heiraten wollte, weil er Milla liebte. Beinahe hätte der König es geschafft, die beiden Liebenden zu trennen. Nachdem George ihn auf Knien angefleht hatte es nicht zu tun und geschworen hatte die Beziehung zu beenden, hatte dem König das nicht gereicht. Er hatte zur Strafe Georges Bruder Edmund auspeitschen lassen, während er dabei zusehen musste. Das war die Art ihres Vaters, sicherzugehen, dass George sich an die Abmachung hielt.

Seitdem waren sie vorsichtiger, kamen sich nur noch hier, an ihrem geheimen Ort näher.

Milla schlang ihre Arme um seinen Hals und George zog sie näher an sich heran, weil er es nicht ertragen konnte, wenn auch nur ein Hauch von Luft noch Platz zwischen ihnen fand. Ihr Kuss vertiefte sich und wieder einmal erstaunte es George wie perfekt ihr Mund auf seinen zu passen schien, wie exakt sich ihr Körper in die Mulden und Kurven seines Körpers schmiegte. Als wären sie zwei zusammengehörige Teile eines Ganzen.

Ohne ersichtlichen Grund unterbrach Milla den Kuss und lehnte sich mit einem frustrierten Seufzen zurück.

»Was bedrückt dich?«, fragte George. Er betrachtete Milla von der Seite. Ihre Lippen waren prall und ihre Augen strahlend. Das braune Haar fiel ihr in glänzenden Wellen über die Schultern. Millas Körper war kurvig und kräftig, was an ihrer Arbeit als Küchenmagd liegen mochte. Sie musste jeden Tag schwere Töpfe schleppen und kiloweise Kartoffeln kleinschneiden.

»Ich habe gehört, dein Vater unternimmt Anstrengungen, eine passende Partie für dich zu finden.«

Augenblicklich verdüsterte sich Georges Miene. Das war ein Thema, über das er lieber nicht sprechen wollte. »Vater kann machen, was er will. Ich werde niemand anderen heiraten als dich.«

»Du weißt, das würde er nicht zulassen.«

Milla klang dabei so niedergeschlagen, dass George sofort die Arme um sie schlang und sie an sich zog. Milla lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Ich werde verzichten, das hab ich dir doch gesagt.«

»Das wird nicht funktionieren. Der König wird niemals zulassen, dass du auf den Thron verzichtest, um eine Küchenmagd zu heiraten. Eher lässt er mich beseitigen, wenn du nicht anders zur Vernunft zu bringen bist.«

Zu Georges Bestürzung sammelten sich in Millas Augen Tränen.

»Das wird er nicht«, erklärte George. »Ich habe dir mein Wort gegeben, dich zu beschützen und dieses Versprechen werde ich halten. Du weißt, wie ernst es mir damit ist.«

Milla schüttelte den Kopf. »Lass uns nicht länger darüber reden, wir sollten die Zeit genießen, die uns noch bleibt, bis …«

»Bis was?«, hakte er nach, als Milla nicht weitersprach.

»Du weißt schon.«

»Nein, tue ich nicht.«

Milla legte den Kopf in den Nacken und sah zu ihm auf. »Bis Edmund stirbt. Du weißt, er wird es nicht schaffen. Das ist dir klar, nicht wahr?«

George presste die Lippen fest aufeinander. Sein Bruder Edmund lag im Sterben, aber er wollte es nicht wahrhaben. Edmund durfte nicht sterben. Sein kleiner Bruder hatte sich bei einem Jagdausflug eine schwere Verletzung unterhalb der Rippen zugezogen. Die Wunde hatte sich entzündet und hatte Wundbrand ausgelöst.

»George, nach allem, was ich gehört habe, steht es wirklich schlecht um ihn.«

Milla blickte ihn eindringlich an, ihre vollen Lippen waren einen Spalt breit geöffnet und George musste sich zusammenreißen, um sie nicht erneut zu küssen.

»Ich werde es verhindern«, presste er hervor. »Edmund wird nicht sterben.«

»Und wie willst du das anstellen? Selbst der Hofarzt ist ratlos, was seinen derzeitigen Zustand angeht. Nur ein Wunder kann ihn jetzt noch retten.«

»Ganz genau.« Georges Blick verfinsterte sich, während er an Milla vorbei auf die Lichtung starrte. Ihre kleine geheime Lichtung, auf der sie beide sich heimlich trafen.

Millas Augen huschten wachsam über sein Gesicht, registrierten jede seiner Gefühlsregungen. »Was hast du vor?«

Georges Kiefer verhärtete sich. Es war kein guter Plan, aber es war der einzige, den er hatte. »Du kennst die Geschichten von der Unke?«

Schlagartig wich sämtliche Farbe aus Millas Gesicht. Ihre Augen weiteten sich besorgt. »Nein, George, tu das nicht. Das ist es nicht wert.«

»Dann weißt du also, was man sich über die Unke erzählt«, erwiderte er düster.

»Mich dünkt, das wäre keine gute Idee. Eine ganz und gar schreckliche, um genau zu sein.«

George spürte, wie er ärgerlich wurde. Verstand sie nicht, dass er es um ihrer beider Willen tun musste? »Ich tue es doch für uns beide, damit wir zusammen sein können! Wenn ich dabei noch das Leben meines kleinen Bruders rette, wie könnte es das dann nicht wert sein?«

»Ich kenne die Geschichten, die sich um die Unke ranken«, murmelte Milla düster. »Sie ist das mächtigste magische Wesen und sie erfüllt jedem, der sie findet, einen Wunsch. Aber George«, ihre Stimme nahm an Dringlichkeit zu, »die Unke ist ebenso ein Symbol für Wiedergeburt und Tod. Im Gegenzug für jeden gewährten Wunsch muss etwas sterben. Und für dich als Thronerben wird sie einen besonders hohen Preis haben.«

Millas Augen waren weit aufgerissen, die Pupillen winzig klein. George legte ihr besänftigend eine Hand an die Wange und streichelte die zarte Haut mit seinem Daumen.

»Wenn du mir versprichst mich immer zu lieben, egal, was ich dafür tun muss, dann wird kein Preis jemals zu hoch für mich sein.«

In diesem Moment schien es ihm, als blickte Milla direkt in sein Innerstes. George musste ein Schaudern unterdrücken. Wie sehr er dieses Mädchen liebte, es schon immer getan hatte, seit sie mit vierzehn als Küchenmagd an den Palast gekommen war. Inzwischen waren zwei Jahre ins Land gezogen und er selbst war vor wenigen Monaten neunzehn geworden. Es war nur natürlich, dass sein Vater darauf drängte, den Erben des Throns zu vermählen, aber George verzichtete lieber auf seinen Titel als auf das Mädchen, das er liebte.

»Natürlich werde ich dich immer lieben. Es wird nie einen anderen für mich geben. Selbst wenn du eines Tages eine Prinzessin heiratest und ich nie mehr als deine Mätresse wäre, so wäre ich dennoch glücklich. Bitte, George, überlege es dir noch einmal, ob du dich nicht doch besser dem Willen deines Vaters beugst.«

George schüttelte den Kopf. Wenn er sich etwas vorgenommen hatte, war er stur wie ein Ochse und niemand konnte ihn davon abhalten. »Du weißt, ich muss es tun. Für Eddy und für uns.«

Etwas schimmerte in Millas Augenwinkel und sie wandte hastig den Kopf ab.

»Weinst du etwa?«, fragte George und Bestürzung lag in seiner Stimme.

»Nein«, sagte Milla und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Es ist nur so ein Gefühl. Etwas Schreckliches wird passieren, wenn du zur Unke gehst. Ich will das nicht.«

»Meine süße kleine Milla. Um mich brauchst du dich nicht zu sorgen. Es wird alles gut werden. Ich verspreche es dir.« George meinte jedes seiner Worte ernst. Ihm waren Versprechen heilig und er war sich sicher, dass alles, was er sagte, der Wahrheit entsprach. Seine Finger legten sich unter ihr Kinn und sie drehten sanft ihren Kopf zu ihm, damit er sie noch einmal küssen konnte.

Milla ließ es zu und George war einmal mehr wie berauscht davon, wie süß sie doch schmeckte, seine Milla.

***

George hatte kaum einen Schritt an den Palastwachen vorbei ins Innere gemacht, da fing James ihn ab.

»Wo habt Ihr gesteckt?«, fragte er und fügte dann in Hinblick auf die Wachen hinzu: »Prinz George.«

James kam einem Freund hier am Palast am nächsten. Obwohl James sein Diener war, störte dies weder George noch ihn. Die beiden waren von Kindesbeinen an zusammen aufgewachsen und es war immer klar gewesen, wer welche Rolle übernehmen würde.

»Was gibt es?«, antwortete George mit einer Gegenfrage, da er nicht das Bedürfnis verspürte, James darüber zu informieren, dass seine Lippen noch ganz wund von den vielen Küssen waren, die er mit Milla getauscht hatte.

»Es geht um Prinz Edmund. Sein Zustand hat sich erneut verschlechtert. Der Fieberwahn hält ihn fest in seinem Griff. Er kommt gar nicht mehr zu sich.«

»Bei allen Flüchen dieses Landes!«, stieß George hervor. »Ich muss zu ihm.«

Ohne länger auf James zu achten, rannte er los. Er durfte nun keine Zeit mehr verlieren. Aber sein Plan stand ohnehin fest. Er würde nur eben nach Eddy sehen und sich dann unverzüglich auf den Weg machen, um die Unke zu finden. Die Vorkehrungen dafür hatte er schon vor einiger Zeit getroffen, trotzdem hatte er es so lange hinausgezögert wie möglich. Er hatte gehofft, Eddy würde von allein wieder genesen, aber nun war klar, das würde nicht geschehen. Gottes Plan war es, seinen kleinen Bruder zu sich zu holen, aber George hatte seine eigenen Pläne und Gott würde diese nicht durchkreuzen!

Während er durch die endlos langen Gänge lief, bis er den Westflügel erreichte, dachte er darüber nach, weshalb er nicht schon viel eher losgeritten war. Vielleicht hatte ein kleiner Teil von ihm ebenfalls geglaubt, was Milla sagte und befürchtet, es würde ein schlimmes Unheil geschehen, wenn er die Unke aufsuchte. George schüttelte diesen Gedanken von sich ab. Zweifel konnte er sich gerade nicht leisten.

Als George leise das Zimmer seines Bruders betrat, ertrug er kaum dessen geschwächten Anblick. Blass wie der Tod lag Eddy in seinem Bett. Die Bettdecke verdeckte nur unzureichend, wie dünn und abgemagert sein Körper inzwischen war. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. George tunkte das Tuch in die Schüssel mit kaltem Wasser und tupfte ihm vorsichtig den Schweiß vom Gesicht. Ein gequältes Stöhnen entwich Eddy. Er rollte den Kopf hin und her und seine Augen flatterten, gepeinigt von einer seiner fiebrigen Wahnvorstellungen.

»Du sollst nicht länger leiden müssen, Eddy«, sagte George mit gedämpfter Stimme. Er hoffte, die Worte würden zu seinem Bruder durchdringen. »Aber nicht Gott wird dein Leiden beenden, sondern ich. Ich werde dir ein Heilmittel besorgen und alles, was du tun musst, ist bis dahin am Leben zu bleiben. Hörst du? Atme, Eddy, atme und kämpfe weiter. Nicht mehr lange und du hast es überstanden. Das verspreche ich dir.«

George legte seine Hand auf die spitze, abgemagerte Schulter seines Bruders und drückte diese leicht. Das Flattern seiner Augenlider ebbte ab, als hätte Georges Berührung Eddys Geist entspannt und die Wahnvorstellung verscheucht. Mit diesem tröstlichen Gedanken wandte George sich ab und verließ die Gemächer seines Bruders, um seine eigenen aufzusuchen.

Schon bald hatte er alles Nötige zusammengepackt, was er für den mehrtägigen Ritt benötigte. Jetzt musste er nur noch aus dem Palast kommen, ohne dass jemand von seinen wahren Absichten erfuhr. Am allerwenigsten sein Vater, der König.

Draußen im Innenhof lief James auf ihn zu. »Wo wollt Ihr hin?«

Natürlich hatte dieser sofort durchschaut, dass sich George auf direktem Weg zu den Ställen befand. Seine Reitkleidung hatte dazu vermutlich ihr Übriges beigetragen.

»Das geht dich nichts an. Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten«, brummte George.

»Ihr seid meine Angelegenheit«, insistierte James. »Ich bin Euer Diener, schon vergessen?«

»Wie könnte ich das?«, lachte George.

»Ausgezeichnet. Ich wiederhole: Wo wollt Ihr hin?« James musterte ihn mit einer Mischung aus Besorgnis und Entschlossenheit.

»Schwöre, dass du es niemandem verrätst«, forderte George.

»Ich schwöre«, gelobte James.

»Ich mache mich auf den Weg, die Unke zu finden und ein Heilmittel für Eddy einzufordern.«

James sah aus, als würden ihm gleich die Augäpfel rausspringen. »Ihr macht Witze!«

»Sehe ich aus, als würde ich spaßen?« George schritt unbeirrt weiter auf die Stallungen zu.

»Das könnt Ihr nicht tun. George, ich bitte Euch, seid doch vernünftig. Ihr kennt doch die Geschichten über die Wünsche, die die Unke erfüllt. Sie alle enden mit Tod und Verzweiflung. Es kommt nichts Gutes dabei heraus, die Unke aufzusuchen.«

»Du klingst wie Milla. Ihr beide solltet euch zusammentun und die Gemeinschaft der Feiglinge gründen«, entgegnete George.

»Sehr witzig!« James schnaubte. »Mir scheint, Milla besitzt einen Funken mehr Verstand als Ihr.«

George funkelte ihn wütend an.

»Warum sucht Ihr keine Blumenelfe? Das ist weit weniger gefährlich.«

George warf ihm einen Blick aus zusammengekniffenen Augen zu. »Du weißt wieso. Die Elfen gelten schon seit Jahrzehnten als ausgestorben und selbst wenn sich noch irgendwo eine herumtreiben würde. Sie zu finden könnte Monate dauern. So viel Zeit hat Eddy nicht mehr.«

Inzwischen hatten sie den Stall erreicht. George stieß die Tür auf und stapfte zu seinem Pferd Reaper – einem Rappen, dessen Fell so schwarz war wie Georges Haar. Am Halfter führte er das Pferd hinaus ins Freie, wo er es anband, um Sattel und Zaumzeug zu holen. Unterdessen ließ er James’ Schimpftirade an sich abprallen.

Nachdem George Reaper gesattelt hatte, befestigte er links und rechts zwei prall gefüllte Taschen. Sein Schwert trug er an einem Gürtel bei sich, so wie eine Armbrust auf seinem Rücken.

George stieg mit einem Fuß in den Steigbügel und schwang sich auf sein Pferd.

»Gibt es nichts, was ich noch sagen könnte, um Euch von diesem törichten Unterfangen abzuhalten?«, jammerte James.

»Rein gar nichts«, versicherte George mit einem Lächeln. »Sei mir ein guter Freund und kümmere dich in meiner Abwesenheit um Eddy. Und erfinde irgendeine Geschichte für meinen Vater.«

James stöhnte und rieb sich die Stirn. Er hatte sich in seinem jungen Leben schon zu häufig eine Geschichte für den König ausdenken müssen, wann immer George beschlossen hatte, eine Auszeit vom Palastleben wäre angebracht.

»Dir fällt schon etwas ein«, meinte George gut gelaunt und drückte seinem Rappen die Fersen in die Flanke. Reaper setzte sich in Bewegung und im Schritttempo näherten sie sich dem Tor.

»Viel Glück!«, rief James ihm hinterher.

Sobald die Palastmauern hinter ihnen lagen, galoppierten sie los. In einem rasenden Tempo flogen Wiesen und Felder an ihnen vorbei und erst als sie den Wald erreichten, zügelte George sein Pferd und in einem gemächlichen Trab verschwanden sie zwischen den dichten Bäumen.

Den Weg zur Unke zu finden, war nicht das Problem. Jeder wusste von der Höhle, in der sie angeblich hauste. Glaubte man den Geschichten, dann begann die wahre Prüfung beim Eintritt in ebendiese. Dort galt es, gefährliche Rätsel zu lösen, und glaubte man dem, was gemunkelt wurde, konnten diese tödlich enden. Wer es jedoch bis zur Unke schaffte, der wurde belohnt, indem sie ihm einen Wunsch gewährte. Das vermochte nur die Unke, als mächtigstes magisches Wesen. Gleichzeitig war sie auch ein Symbol für Reinkarnation und Tod, aber darüber würde sich George Gedanken machen, wenn es soweit sein sollte. Er war neugierig darauf, wie die Unke tatsächlich aussehen mochte. Ob ihre Haut wie in den Geschichten von einem leuchtenden, gefährlich aussehenden Muster bedeckt war? Oder waren es doch Warzen, wie aus anderen Quellen berichtet wurde? Manche sagten, die Pupillen der Unke seien dreieckig, andere behaupteten sie seien herzförmig.

***

Es dämmerte bereits, als George den Wald verließ und in der Talsenke eine Siedlung entdeckte. Er war nun schon seit einigen Tagen unterwegs und hatte die meiste Zeit im Wald gejagt und geschlafen, um keine Zeit zu verlieren. Er trieb Reaper den schmalen Weg hinab und fand im Dorf ein kleines Wirtshaus, in dem er die Nacht verbringen konnte. Ein Bursche kümmerte sich um sein Pferd und führte es zur Tränke, während George es sich im Inneren des Wirtshauses gemütlich machte und sich eine warme Mahlzeit bestellte. Der Wirt servierte sie ihm und George machte sich hungrig darüber her. Er versenkte seinen Löffel erneut im Kartoffelbrei, als sich eine verhüllte Gestalt zu ihm setzte. Ihr Gesicht wurde von einem purpurnen Kopftuch verdeckt, das nur ihre Augen freiließ. Merkwürdig violette Augen, die wirkten, als wären sie nicht von dieser Welt.

»Ihr seid auf einem gefährlichen Weg«, begann sie zu sprechen und auch ihre Stimme war rätselhaft, verriet sie doch nichts über das Alter der Frau, der sie gehörte. Sie klang jung und alt zugleich.

George zuckte mit den Achseln und wandte sich seinem Essen zu.

»Prinz George, Ihr beschreitet einen Weg ohne Wiederkehr. Er wird Euch verändern und es wird nicht zu Eurem Besten sein.«

Er ließ langsam den Löffel sinken. »Woher wisst Ihr, wer ich bin?«, fragte er mit wachsendem Misstrauen. Wer war diese Frau?

»Ich bin eine Seherin. Und ich sehe für Eure Zukunft blau. Königsblau.«

»Na, so lange es nicht schwarz ist«, scherzte George und trank aus seinem Humpen Bier.

»Hört auf mich und kehrt um. Vielleicht könnt Ihr Euer Schicksal noch abwenden.«

Mit einem dumpfen Geräusch stellte er den Krug auf dem Tisch ab. »Niemand kann seinem Schicksal entkommen. Das solltet Ihr als Seherin am besten wissen.« George war sich nicht sicher, ob er amüsiert oder vielmehr beunruhigt über das Gerede der Frau sein sollte.

Sie senkte den Blick auf ihre behandschuhten Hände. »Ihr habt recht. Ich weiß es besser. Die Fäden des Schicksals sind auf eine Weise miteinander verwoben, die niemand zu durchschauen vermag. Selbst ich nicht. Die Verknüpfungen sind äußerst komplex, doch manchmal gibt es Knoten, die es ermöglichen, einen neuen Weg zu beschreiten, ohne das große Ganze zu verändern.«

»Und Ihr glaubt, Ihr könntet mein Schicksal verändern?« George konnte nicht umhin, dieses Gespräch interessant zu finden, auch wenn er kein Wort davon glaubte, was die Frau ihm erzählte. Seherin hin oder her – er würde seinen Bruder nicht sterben lassen.

Die Frau sah ihm lange ohne ein Wort in die Augen und George hatte den Eindruck, sie würde durch ihn hindurchblicken. In sein Innerstes. Schließlich schüttelte sie bedächtig den Kopf. »Nein, Euer Schicksal ist ein durchgängiger Faden, der viele andere Fäden kreuzt. Es ist Euch vorherbestimmt … doch ich musste Euch kennenlernen, bevor Ihr Euch verändert.«

Eine Gänsehaut breitete sich auf seinen Armen aus. »Müsst Ihr nicht zuerst in meiner Hand lesen, bevor Ihr solche Vorhersagen trefft?«, fragte er spöttisch, um das ungute Gefühl zu vertreiben.

»Gehabt Euch wohl!« Die Frau erhob sich.

»Wartet. Heißt das, ich werde die Unke finden und sie wird mir einen Wunsch gewähren?«

Die Frau nickte, dabei sahen ihre Augen ernst in seine. »Eure Mission wird von Erfolg gekrönt sein, aber Ihr werdet weit mehr verlieren, als Ihr gewinnt, König George.«

Mit diesen Worten verschwand die Frau so schnell wie sie gekommen war und erst nachdem George sich wieder seinem Essen zuwandte, fiel ihm auf, dass die Frau ihn König genannt hatte. Bei Gott, was hatte das schon wieder zu bedeuten? Der einzige Grund, warum er die Unke finden wollte, war Eddy wieder gesund zu wissen, damit er eines Tages den Thron besteigen konnte. Weshalb nur hatte die Seherin ihn einen König genannt?

***

Todesmutig wagte sich George in die Höhle. Mit jedem Schritt tiefer hinein, schwand das Licht und die Schatten übernahmen die Kontrolle. Irgendwann war alles schwarz um ihn herum und George streckte eine Hand tastend aus. Die andere Hand lag um den Schaft seines Schwertes, bereit, dieses jederzeit zu zücken, sollte es die Situation erfordern. Er lauschte. Es war ungewöhnlich still. Zu still, wie er fand. Einen Schritt vor den anderen setzend, bewegte er sich tiefer ins Innere der Höhle.

Nach einer halben Ewigkeit bemerkte er endlich einen schwachen Lichtschein. Er bewegte sich darauf zu und fand sich in einem Tunnel wieder, an dessen Wänden mit einigem Abstand Fackeln angebracht waren. George fragte sich, wer das wohl gewesen war. Die Unke? Er sah sich um, aber in dem Tunnel war alles ruhig.

Entschlossen marschierte er auf die erste Fackel zu. Dabei fiel sein Blick auf einen in die raue Felswand geschlagenen Reim. George runzelte die Stirn. Da die Worte seiner Meinung nach keinen Sinn ergaben, ging er weiter.

Kurze Zeit später teilte sich der Weg. Links führte er in einen unbeleuchteten Tunnel, rechts erhellten die Fackeln den Weg. George folgte dem beleuchteten Weg, der ihn sicher zum Ziel führen würde. Er bog um eine Ecke und wenige Meter weiter vollführte der Weg eine weitere Biegung. George trat auf etwas Hartes, das unter seinem Gewicht laut knackte. Er bückte sich und hob es auf. Es war ein Stück eines Knochens. Angewidert warf er es zurück auf den Boden und ging weiter. Immer mehr Knochenstücke tauchten auf, bis der ganze Boden nur noch aus den hellen Bruchstücken von menschlichen Skeletten zu bestehen schien. Jeder seiner Schritte knirschte und knackte. George versuchte nicht daran zu denken, wie viele Menschen das gewesen waren. Gänsehaut bedeckte seine Arme und das Grauen dieses Ortes erfüllte ihn.

Ein ohrenbetäubendes Donnergrollen ertönte und George traute seinen Augen kaum, als sich auf einmal die Höhlenwände zusammenzuschieben begannen. Selbst die Decke über ihm bewegte sich langsam auf ihn zu. Ohne zu zögern machte er kehrt, rannte über die Knochen den Weg zurück, den er gekommen war. Jetzt ahnte er, woher all die menschlichen Überreste stammten und weshalb es nur Bruchstücke waren. All diese unglücklichen Seelen waren von den Höhlenwänden zerquetscht worden.

George sah mit Entsetzen, wie sich die Wand an der Stelle vorschob, wo der Weg eine Biegung machte. George musste hinaus, bevor die Wand ihm die einzige Möglichkeit zur Flucht versperrte. Er rannte so schnell er konnte, aber immer wieder sank er in die Knochen ein wie in Kies. Die Todesangst trieb ihn an. Als der Spalt nur noch gute dreißig Zentimeter breit war, setzte George all seine Kraft in einen Sprung. Er hechtete hinaus und landete mit dem Bauch hart auf dem Boden. Knapp hinter ihm schloss sich die Wand mit einem lauten Grollen. Er konnte den Luftzug auf seiner Haut spüren. Die Fackeln an den Wänden flackerten unheilvoll. George rang einen Moment um Atem, dann rappelte er sich auf und rieb sich stöhnend den linken Ellenbogen, mit dem er seinen Sprung abgefangen hatte.

Ihm dämmerte, dass der Reim vielleicht doch kein Unsinn gewesen war, sondern ein Rätsel, dessen Missachtung ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Er unterdrückte ein Schaudern. Jetzt war nicht die rechte Zeit, um zu zweifeln. Sein Bruder konnte jeden Augenblick seinen letzten Atemzug tun.

George zwang sich weiterzugehen. Er lief ein Stück den Tunnel zurück, bis er zu der Abzweigung kam, die in den unbeleuchteten Teil führte. Ohne zu zögern, nahm er eine der Fackeln aus der Wand und lief hinein in die Finsternis.

2. Kapitel

Cecelia – jetzt

»Prinzessin, Ihr müsst unter Deck! Schnell!« Ihr Erster Offizier schrie die Worte, um gegen den tosenden Sturm anzukommen.

Er wankte auf sie zu, aber es war bereits zu spät. Celia sah die meterhohe Welle, die sich unaufhaltsam vor ihnen aufbäumte. Jeden Moment würde sie über dem Schiff zusammenbrechen und alles unter sich begraben. Gischt spritzte über die Reling, aber Celia war bereits bis auf die Haut durchnässt. Ihr Haar klebte im Gesicht und ihre Hände waren klamm vor Kälte. Verzweifelt klammerte sie sich an der Reling fest. Der Sturm war so schnell aufgezogen, dass Celia erst klar wurde, in welcher Gefahr sie sich befanden, als es bereits zu spät war. Es führte kein Weg daran vorbei: Das Schiff würde kentern und sie alle würden in der unbarmherzigen See ertrinken. Nun würde Celia nie bei ihrem Verlobten ankommen, stattdessen hier und jetzt mit gerade Mal achtzehn Jahren sterben. Celia berührte das Medaillon an ihrem Hals und bekreuzigte sich, während sich das Heck des Schiffes gefährlich weit nach hinten neigte, als sie die Welle hinauffuhren. Celias Herz raste wie wild und ihre Fingerknöchelchen stachen weiß hervor, so fest umklammerte sie die Reling.

»Prinzessin, lasst um Himmelswillen nicht los!«, schrie der Offizier, der es aufgegeben hatte, sie zu erreichen, und sich selbst an einem Seil festhielt.

Grundgütiger, als wenn es in ihrer Macht läge, ob die Welle sie mit sich reißen würde oder nicht! In diesem Moment brach die Welle sich Bahn und traf sie mit einer alles zerstörerischen Wucht. Das Tosen war ohrenbetäubend und die Kraft der Wassermassen traf Celia. Sie hatte nicht die geringste Aussicht sich zu widersetzen. Ihre Finger lösten sich von dem glitschigen Holz und die Welle riss sie mit sich fort. Spülte sie ins graue Meer, als wäre sie ein Papierschiffchen, und wirbelte sie herum. Schnell verlor sie die Orientierung, sah weder oben noch unten, nur Wasser, Wasser, Wasser. Brutales Meerwasser, das ihr in den Augen brannte. Sie konnte dem Druck auf ihrer Lunge nicht länger Stand halten und das Wasser drang durch ihren Mund und ihre Nase bis in ihre Lungen. Luftblasen stiegen empor und Celia verlor das Bewusstsein.

***

Celias Lungen brannten, als stünden sie in Flammen. Sie hustete und spuckte einen Schwall Salzwasser aus. So fühlte es sich also an zu sterben. Es tat weh.

Sie hustete erneut, röchelte nach Luft. Wie weh es tat. Ihr Körper bäumte sich auf und sie spuckte einen erneuten Schwall Wasser aus. Nun schien auch ihr Rachen in Flammen zu stehen, aber der Druck auf ihre Lungen ließ nach. Erschöpft sank Celias Kopf zurück auf den Boden und sie verlor erneut das Bewusstsein.

Als sie das nächste Mal zu sich kam, nahm sie als Erstes das sanfte Rauschen des Meeres wahr und den weichen Untergrund, auf dem sie lag. Ihr Gesicht fühlte sich warm und trocken an, genau wie ihr Oberkörper. Ihre Füße wurden von Wasser umspült und ihre Röcke klebten ihr feucht an den Beinen. Ihre Finger zuckten und griffen in feinen, weichen Sand. Quälend langsam öffnete Celia die Augen und blinzelte gegen das Licht. Es dauerte eine Weile, bis diese sich an die Helligkeit gewöhnt hatten und sie etwas erkennen konnte.

Celia sah sich um. Sie befand sich allein an einem Strand. Offenbar war sie als Einzige an Land gespült worden. Als Erstes tastete ihre Hand nach dem Medaillon. Als ihre Finger das von der Sonne erwärmte Metall umschlossen, seufzte sie vor Erleichterung. Mühsam richtete sie sich auf, zog die Beine vom Wasser weg und saß einen Moment einfach nur im Sand. Die Sonne schien an einem strahlend blauen Himmel. Nichts deutete mehr auf den Sturm und das Unwetter hin, das Celia beinahe das Leben gekostet hätte.

Sie stemmte sich auf die Beine und versuchte sich den Sand mit den Fingern aus den Haaren zu kämmen, aber es war zwecklos. Sie waren steif und fest vom Salz. Ihr Kleid hingegen wog eine halbe Tonne, weil die Röcke sich mit Wasser vollgesogen hatten. Als sie an sich hinabblickte, stellte sie fest, dass ihr Kleid am Saum ein großes Stück eingerissen war.