Können Kriege gerecht sein? - Sigurd Rink - E-Book

Können Kriege gerecht sein? E-Book

Sigurd Rink

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Beschreibung

Früher demonstrierte er als Fundamentalpazifist gegen den Nato-Doppelbeschluss. Der Völkermord in Ruanda brachte ihn dazu, seine Überzeugungen grundsätzlich in Frage zu stellen. Seit er sich entschied, der erste hauptamtliche evangelische Militärbischof Deutschlands zu werden, reist er in dieser Funktion regelmäßig in Krisengebiete wie Afghanistan, Mali oder den Nahen Osten. Er erlebt hautnah, wie gefährlich und seelisch belastend ein Militäreinsatz ist, und sieht die moralische Herausforderung, mit der die Soldaten, aber auch die Seelsorger konfrontiert werden. In seinem Buch setzt sich der Autor mit den wichtigsten ethischen und humanistischen Aspekten eines Militäreinsatzes auseinander, die sich im Kern immer um eine Frage drehen: Kann es überhaupt einen gerechten oder zumindest gerechtfertigten Krieg geben?

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Können Kriege gerecht sein?

Der Autor

 Sigurd Rink, geboren 1960, schloss sein Studium der Evangelischen Theologie mit Promotion ab. Seither war er als Pfarrer, persönlicher Referent des Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), deren Pressesprecher sowie als Propst in regionalbischöflicher Funktion im Nassauer Land tätig. Er ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt mit seiner Familie in Berlin.

Das Buch

Sigurd Rink ist der erste hauptamtliche Militärbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). In den Achtzigerjahren hat er gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstriert, er war überzeugter Pazifist. Der Völkermord in Ruanda hat ihn dazu gebracht, seine Überzeugungen grundsätzlich in Frage zu stellen. Ob in Mali, Syrien oder Afghanistan: Alle militärischen Auslandsmissionen, an denen Soldaten der deutschen Bundeswehr beteiligt sind, werden vom Deutschen Bundestag beschlossen. In diesem Buch setzt sich Bischof Rink mit der Frage auseinander, ob es für ihn als gläubigen Christen und kritischen Bürger einen gerechten oder zumindest gerechtfertigten Krieg geben kann. Ein fundierter Beitrag zu einer wichtigen gesellschaftlichen Debatte.

Sigurd Rink

Können Kriege gerecht sein?

Glaube, Zweifel, Gewissen – wie ich als Militärbischof nach Antworten suche

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Unter Mitarbeit vonUta Rüenauver

© 2019 by Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung:Rothfos & Gabler, HamburgE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-8437-2060-1

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

Einleitende Worte

Ein Militärbischof sucht nach Antworten

Von der Kirche ins Krisengebiet

Kapitel 1Vom Fundamentalpazifisten zum Militärbischof

Zunahme der globalen Krisenherde

Kapitel 2Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden

»Friede den Hütten«

Kapitel 3Ethische Herausforderung – deutsche Militäreinsätze

Das Prinzip der Schutzverantwortung

Peacekeeping im Kosovo

UN-Mission in Mali

Europäische Schleuserbekämpfung

Waffenstillstandsüberwachung zwischen Israel und dem Libanon

Mit der Anti-IS-Koalition im Irak

Die NATO in Afghanistan

Kapitel 4Zukunftsfragen

Anforderungen an die Politik

Bibliografie

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Einleitende Worte

Widmung

Den stillen HeldenJohannes, Bolette und Theodor, Mechthild und Sigurd BurckhardtDen unbekannten Friedensstiftern

Ein Militärbischof sucht nach Antworten

Von der Kirche ins Krisengebiet

Anflug auf Afghanistan

Es beginnt mit einem kurzen Schock. Bevor die Maschine auf dem Flughafen von Masar-e-Scharif landet, muss sie noch einmal durchstarten. Sturmböen machen dem Piloten einen Strich durch die Rechnung. Auf der Runde zum nächsten Anflug wird der Blick frei auf die größte Stadt des afghanischen Nordens. Immer weiter breitet sie sich aus. Allen Krisen und Konflikten trotzt sie. Dann fällt der Blick auf das nahe Marmal-Gebirge. Majestätisch ruhen die kargen Berge in der Stille der Landschaft. Tiefen Frieden strahlen sie aus – in einer von Gewalt erschütterten Gegend.

Bald hat die Maschine erneut den mit deutscher Hilfe gebauten Flughafen erreicht. Und damit Camp Marmal, das Hauptquartier der deutschen Truppen. Schließlich gelingt die Landung. Als ich aus dem Flugzeug trete, schlägt mir die Hitze Afghanistans entgegen. Sie trifft auch die etwa fünfzig Bundeswehrsoldaten, die mit mir eingeflogen sind. Es ist ein freundlicher Empfang, den der General uns bei diesem Besuch im Frühjahr 2018 bereitet. Doch es herrscht eine hohe Gefährdungslage: »Fighting season«, wie man hier sagt.

Militärfahrzeuge bringen uns sicher ins angrenzende Camp. Beim letzten Mal hatte es noch Raketenbeschuss gegeben. Doch diesmal ist – Gott sei Dank – alles ruhig. Die Stadt in der Wüste: Biblische Bilder gehen mir durch den Kopf. Da steht die Kapelle, die von Soldaten eigenhändig geplant und erbaut wurde. Da ist die Moschee für die afghanischen Ortskräfte. Da die Oase, ein Ort der Erholung für die Soldatinnen und Soldaten. Und etwas abseits von all dem schweigt mahnend das große Ehrenmal für die gefallenen deutschen Soldaten.

Der Militärpfarrer empfängt uns sichtlich erfreut. Für vier Monate teilt er sein Leben mit dem der Soldaten, geht alle Weg- und Durststrecken mit ihnen. »Gemeinsames Leben« hat Dietrich Bonhoeffer das in Bezug auf seine Vikare genannt. Wie in einem Brennglas werden in diesem Camp Deutschlands neue Herausforderungen in der Welt sichtbar, von denen der Bundespräsident, die Kanzlerin und auch die Verteidigungsministerin immer wieder sprechen. Das Ende des Kalten Krieges hat die alten geopolitischen Kräfteverhältnisse aufgelöst und Deutschland in eine Position mit veränderten Aufgaben gebracht. Seit 1990 ist die Bundeswehr an sogenannten friedenserhaltenden und friedenserzwingenden militärischen Einsätzen außerhalb des NATO-Gebietes beteiligt. Manche betrachten es als »Sündenfall« der aus der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges entstandenen Bundesrepublik: Deutsche Soldaten sind wieder in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt. An dreizehn Auslandseinsätzen, drei Missionen und drei einsatzgleichen Verpflichtungen weltweit nimmt die Bundeswehr gegenwärtig teil, Tendenz nicht absehbar.

Da auch die Soldaten ein im Grundgesetz verbürgtes Recht auf Gottesdienst und Seelsorge haben, werden die Einsätze von einem Militärpfarrer oder einer Militärpfarrerin begleitet. Als Militärbischof bin ich sozusagen der pastor pastorum, der »Pastor für die Pastoren«. Ich bin für die Auswahl und Betreuung der derzeit dreiundzwanzig Militärseelsorgerinnen und fünfundachtzig Militärseelsorger in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) verantwortlich. Daher besuche ich nicht nur die hiesigen Bundeswehrstandorte, sondern fliege regelmäßig auch zu den im Ausland stationierten deutschen Truppen.

Kirchenamt im Militär

Seit ich 2014 zum ersten hauptamtlichen Militärbischof der EKD ernannt wurde, hat sich mein Leben grundlegend verändert. Ich bin nun nicht mehr, wie in meinem vorigen Kirchenamt, der Propst im regionalbischöflichen Amt, der seinen alles in allem wohlgeordneten und friedlichen zweihundertzwanzig Kirchengemeinden einen Besuch abstattet und von den heimischen Kanzeln des Taunus Frieden und Gerechtigkeit predigt. Ich kann nicht die Augen verschließen vor der Realität der kriegerischen Auseinandersetzungen, an denen Deutschland wieder aktiv und in aller Konsequenz teilhat – und in die ich als Militärbischof nolens volens verwoben bin. Deutsche Soldaten kämpfen wieder, werden verwundet, sterben, töten und bleiben mitunter lebenslang von traumatischen Erfahrungen und anderen Einsatzfolgen gezeichnet.

Ich sehe es mit eigenen Augen, ich trage es mit und muss dazu eine Haltung finden, als Mensch und als Christ. Manche scheinbare Gewissheit kommt ins Wanken, seit ich mich mit dem Thema Frieden und Militär intensiver beschäftige.

»Nie wieder Krieg!« Dieser Leitsatz sei typisch deutsch, sagte mir einmal ein polnischer Gesprächspartner. In Kreisau war das, in der Begegnungsstätte auf dem niederschlesischen Gutshof, wo mutige NS-Gegner einst ein Attentat auf Hitler planten und Konzepte entwarfen für ein befreites Deutschland in einem gerecht geordneten Europa. In Ländern wie Polen oder Israel, wo die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg von anderen Perspektiven geprägt sei als bei der Mehrheit der Deutschen, heiße die Lehre von damals zugleich: »Nie wieder wehrlos.« Diese Worte stimmten mich nachdenklich.

Im gesellschaftlichen und im kirchlichen Umfeld sollte man sich bewusst machen, dass Friedensliebe wie nahezu jede ethische Maßgabe auch zeitlichen Rahmenbedingungen unterliegt. Das zum Frieden mahnende Zeugnis der Kirche fruchtet nämlich nur dann politisch, wenn es der komplexen Realität gewachsen ist.

Eine Totalverdammung militärischer Gewalt kann, auch das deutete mein polnischer Gesprächspartner an, die Flucht aus konkreter Verantwortung verschleiern. Wäre alles Militärische schlechthin vom Teufel, dann löste sich ja der Unterschied zwischen solcher Gewalt, die Unrecht stürzt, und solcher, die Unrecht stützt, in Nebel auf.

Andererseits steht für mich fest: Für Christinnen und Christen gibt es kein Zurück hinter das Wort des Weltkirchenrates von 1948. Es lautet: »Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!«

Krieg ist ein Übel. Er ist böse. Er verkörpert das Widergöttliche in der Welt, wie Christen es in der Erlösungsbitte des Vaterunsers ansprechen. Vom üblen Wesen des Krieges kann in der deutschen Gegenwart kaum jemand so anschaulich berichten wie Soldaten der Bundeswehr, die in Auslandseinsätzen mit Verletzung und Tod, Schuld und Hilflosigkeit konfrontiert werden, von denen mancher traumatisiert nach Hause kommt – und oft viel zu wenig Anteilnahme und Unterstützung findet.

Doch nicht die Angehörigen der Bundeswehr beschließen, auf Auslandsmissionen zu gehen, sondern es ist der Deutsche Bundestag, das Parlament, das wir gewählt haben. Die Gesellschaft sollte die Soldatinnen und Soldaten mit dem Auftrag, den sie ihnen erteilt hat, nicht allein lassen.

Kriegsrealität

In Afghanistan ist die Bundeswehr seit Anfang 2002, seit sich Deutschland nach den Anschlägen vom 11. September 2001 dem von den USA angeführten »Krieg gegen den Terror« angeschlossen hat. Natürlich stellt sich die Lage hier ganz anders dar als im Europa zur Zeit der Weltkriege. Die heutige Herausforderung heißt »asymmetrischer Krieg«, trägt also auch Züge von Bürgerkrieg und Terrorismus und mutet den Juristen, den über ethische Fragen Nachdenkenden und vor allem den Soldatinnen und Soldaten allerhand zu.

Mehr als siebzehn Jahre sind deutsche Truppen nunmehr am Hindukusch stationiert. Es ist ihr bislang verlustreichster, in jeder Hinsicht teuerster und bald auch längster Einsatz. Als ich im Frühjahr 2018 nach Masar-e-Scharif und Kabul kam, hatte sich die Sicherheitslage seit meinem letzten Besuch weiter verschlechtert. Die Taliban und jetzt auch die Terroristen des sogenannten Islamischen Staats halten das Land unbarmherzig in Angst und Schrecken. Etwa die Hälfte des Territoriums haben sie derzeit in ihrer Gewalt. Ständig schlägt irgendwo eine Rakete ein, explodiert eine Bombe, jagt sich ein »Suizider«, ein Selbstmordattentäter, in die Luft. Hunderte, ja Tausende von Menschen verlieren ihr Leben, zum großen Teil Zivilisten. Ende 2018 meldete Präsident Ghani den Tod von fast dreißigtausend afghanischen Sicherheitskräften seit 2015 – ungezählt die Opfer aufseiten der Taliban. Es ist eine in jeder Hinsicht entgrenzte Sicherheitslage.

Und das nach fast zwei Jahrzehnten »Krieg gegen den Terror«. 2016 wurde das deutsche Generalkonsulat in Masar-e-Scharif durch einen Sprengstoffanschlag zerstört, 2017 dann die deutsche Botschaft in Kabul. Seither befinden sich die beiden Einrichtungen in den Camps und nicht mehr im Stadtgebiet. In der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit hatten die Soldatinnen und Soldaten den Auftrag, zur Stabilisierung des Landes beizutragen, sie sollten beim Aufbau der Infrastruktur helfen, Offiziere ausbilden, Schulen errichten. Inzwischen gleicht Camp Marmal einem abgeriegelten Hochsicherheitstrakt, der aus der Luft mit Kameras überwacht wird.

Sie fühlten sich wie in einem Käfig, erzählten mir Soldaten. Auch Militärseelsorger, die in Afghanistan in letzter Zeit Dienst taten oder immer noch tun, berichten vom schwer erträglichen Eingesperrtsein, von einem militärischen Paralleluniversum nahezu ohne Kontakt zur zivilen Welt. Die Bilder, auf denen man deutsche Soldaten beim Fußballspiel mit afghanischen Kindern oder mit der Schaufel in der Hand bei Bauarbeiten neben afghanischen Männern sieht, gehören lange der Vergangenheit an.

Heute tragen die Soldaten außerhalb des Camps dreißig Kilo schwere Schutzkleidung mit Weste, Helm und Brille und sind schwer bewaffnet. Sie wirken auf den ersten Blick eher wie eine Bedrohung denn wie Helfer. Auf die Straßen fahren sie nur noch im geschlossenen Konvoi, damit kein Selbstmordattentäter dazwischenfahren kann. Ohnehin wird aus Sicherheitsgründen der Landweg inzwischen möglichst gemieden, selbst kurze Wege legen die Soldaten mit dem Kampfhubschrauber zurück. Auch ich wurde von vier Soldaten in voller Ausrüstung, einem »Close Protection Team«, wie es in der Sprache des Militärs heißt, auf Schritt und Tritt geschützt und abgeschirmt.

Es ist eine surreale Situation. Immer wieder frage ich mich, und dies nicht nur in Afghanistan, sondern auch in anderen Einsatzgebieten: Was mache ich hier eigentlich? Was mache ich hier als evangelischer Pfarrer und Bischof, der ich doch in erster Linie bin? Ist es richtig, was ich tue? Und ist es richtig, was die Bundeswehr tut beziehungsweise die deutsche Politik? Wo ist der Sinn dieser Mission? Und wo ihr Erfolg?

Menschliche Grenzerfahrungen

Die Unwirklichkeit der Situation steigerte sich noch, als mich ein alter russischer Armeehubschrauber von Masar-e-Scharif nach Kabul brachte. Wir flogen über die Berge des Hindukusch und sahen eine betörend schöne Landschaft. Afghanistan ist ein zauberhaftes Land, von einer Stille, Kargheit und Erhabenheit, die einem die Sprache verschlagen kann. In Kabul dann ein Sternenhimmel, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte, und ein Sonnenaufgang wie eine Offenbarung.

Und dagegen, in größtmöglichem Kontrast, dieses martialische Kriegsszenario, die Bewaffnung, das schwere militärische Gerät, die Detonationen von Bomben und Raketen, die zerstörten Häuser, die Toten und Verletzten. Im Lager fand ein Gottesdienst für die Soldaten statt. Ich sprach – als Einziger in ziviler Kleidung unter lauter Uniformierten – vom Leben und vom Tod, vom Zweifel und von der Suche nach Sinn, von der bedingungslosen Liebe Gottes. Ich wusste nicht, ob ich die Männer und Frauen vor mir erreichte, ob meine Worte etwas mit ihrer Realität zu tun hatten. Was ich aber spürte, war ein Durchatmen bei denen, die den Gottesdienst besuchten. Endlich mal auf andere Gedanken kommen. Endlich mal den Kopf frei bekommen. Endlich einmal singen, zuhören, poetischen Texten lauschen. Das jedenfalls tat den Soldatinnen und Soldaten gut – auch wenn sie sonst vielleicht gar keinen Kontakt zur Kirche haben mochten. Hier wie an anderen Orten erzählten sie uns von Reibereien mit Kameraden und Vorgesetzten, von Konflikten mit dem Partner zu Hause, von der Monotonie im Camp, ihrem Zweifel an der Sinnhaftigkeit und am Erfolg ihres Auftrags und vom fehlenden Rückhalt in der deutschen Bevölkerung. Fast alltägliche Sorgen, könnte man meinen.

Doch aus einigen kamen im offenen Gespräch Erlebnisse hervor, mit denen sie nicht fertigwurden, obwohl sie teilweise schon länger zurücklagen. Eine Soldatin konnte die Todesangst nicht vergessen, die sie durchlitten hatte, als sie unter feindlichen Beschuss geraten war. Ein Sanitäter wurde von den Bildern eines Einsatzes verfolgt: Man hatte ihn zu einem Militärfahrzeug gerufen, die Kameraden im Wagen waren alle verwundet, und er hatte entscheiden müssen, wer von den schwer verletzten Menschen zuerst behandelt wurde, bei wem sich die Hilfe sozusagen am meisten lohnte. »Triage« sagen die Mediziner dazu. Man kennt diese Situation auch von Katastrophenfällen in Deutschland, Zugunglücken etwa oder Amokläufen. Den Sanitäter plagten Schuldgefühle.

Genauso wie den Soldaten, der einen Taliban erschossen hatte und nicht darüber hinwegkam. »Moral injury« nennen die Bundeswehrpsychologen diese Art seelischer Verwundung, »moralische Verletzung«.

Das war Krieg in all seiner Brutalität. Da wurde gegen elementare christliche Regeln verstoßen. »Du sollst nicht töten!« Das fünfte Gebot und die Grundlage jeden menschlichen Zusammenlebens – es war hier außer Kraft gesetzt. Die Soldatinnen und Soldaten hatten das Handwerk des Tötens gelernt, um es im schlimmsten Fall auch auszuüben. Ich selbst wüsste nicht, wie ich mit solchen Erlebnissen fertigwerden sollte, wie sie uns die Soldaten schilderten, die in den vergangenen Jahren in Afghanistan ihren Dienst taten; mit dieser Last, ja Schuld, die sie im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland auf sich zu nehmen bereit waren. Was macht ein solcher Einsatz mit Menschen?

»Christlicher Glaube zielt auf Tod und Leben.«

Der Militärpfarrer, der am Ostermontag 2013 das Ehrenmal im Camp Warehouse entwidmete – die Bundeswehr gab damals dieses Lager auf, um in eine andere Liegenschaft am Rande Kabuls umzuziehen; die Gedenktafeln der Gefallenen hängen heute in Schwielowsee bei Potsdam in der Gedenkstätte »Wald der Erinnerung« der Bundeswehr – , sagte in seiner Ansprache:

»Christlicher Glaube zielt auf Tod und Leben. Wenn er überhaupt etwas taugt, dann hat sich das hier zu zeigen. Die Botschaft von der Auferstehung Jesu macht den Schmerz dieser Tode nicht einfach ungeschehen. Es ist und bleibt nicht egal, ob ein Mensch alt und lebenssatt sterben darf oder ob mit gerade mal zwanzig Jahren hier, in diesem verzweiflungsvollen Land, ein hoffnungsvolles Leben abgebrochen wird. Die Osterbotschaft ist nicht die billige Patentantwort auf das Leid aller Zeiten. Hoffnung, wenn sie tragen will, muss den Schmerz aushalten.

Ich habe als Christ keine Antwort auf das Warum dieser Tode. Und ich werde mir verkneifen, mit frommen Floskeln den Schmerz zu übertünchen. Die gefallenen Kameraden haben Ehrlichkeit verdient. Sie haben auch verdient, dass ich, dass wir die offene Wunde dieser Tode aushalten. Wir schulden ihren Eltern, ihren Ehefrauen und Partnerinnen, ihren Kindern, dass wir den Schmerz des Verlustes teilen.«

Er fuhr fort, indem er versuchte, das Menschsein jedes einzelnen Soldaten in seiner einmaligen Vergänglichkeit und Würde zu betonen:

»Es bleibt dabei, diese Menschen haben ihr eigenes Leben gelebt, so kurz es war und so brutal ihr Tod gewesen ist. Diese Menschen hatten ihren je eigenen Namen, ihr Gesicht, ihre Stimme, ihre Art zu gehen, zu reden, zu schweigen. In je ihrer Art haben sie das Leben anderer Menschen geteilt, haben mitgefühlt, mitgefeiert, vielleicht gestritten, sich gefreut und wohl manchmal geärgert. Sie erlebten Gemeinschaft und Kameradschaft, manchmal mag es schwierig gewesen sein – wie es zum Menschenleben gehört. Sie haben Spuren hinterlassen, waren da, unverwechselbar. Nie wieder wird es genau solche Menschen geben wie diese gefallenen Kameraden. Sie waren Einzelstücke, wie jeder von uns ein unverwechselbares Einzelstück ist. Sie waren Kinder, Freunde, Lebenspartner, Kameraden, mancher von ihnen hat selbst Kindern das Leben geschenkt. Das alles wird nie nichts sein. Nie wird diese Welt eine Welt sein, in der nicht diese Menschen einmal gelebt haben. Das bleibt. Und wir schulden es unseren Gefallenen, dass wir uns bewusst bleiben: Sie waren einmal hier.«

Richtige Worte, zweifellos. Ich hoffe, sie haben in der Realität dieses Einsatzes die Seelen der Soldaten erreicht.

Selbstverantwortung im Graubereich der Wirklichkeit

Ich konnte und wollte die Soldaten nicht vom Sinn und Erfolg ihres Auftrags überzeugen. Das war nicht meine Aufgabe. Ich war im Dienst der Kirche gekommen, nicht im Dienst des Staates. Meine Funktion und die der Militärseelsorger vor Ort ist es nicht, politische Entscheidungen über militärische Interventionen und deren Umsetzung kirchlich zu legitimieren. Im Gegenteil, die Militärseelsorge hat den Auftrag, das Gewissen der Soldaten zu schärfen, sie aufzufordern, sich nicht als willenlose Befehlsempfänger, sondern als selbstbestimmte, eigenverantwortliche Individuen wahrzunehmen, die ihr Tun hinterfragen und Rechenschaft darüber ablegen.

Sein Menschsein so zu begreifen und zu leben ist Aufgabe jedes einzelnen Menschen, das ist meine feste Überzeugung. Für Soldatinnen und Soldaten aber hat diese Aufgabe noch einmal eine sehr viel existenziellere Dimension. Sie müssen in Erwägung ziehen, zu töten und getötet zu werden. Bei ihnen geht es um Leben und Tod. Zugleich aber ist es innerhalb der hierarchischen Struktur des Militärs ein Leichtes, die Verantwortung für das eigene Handeln abzuweisen und sich auf die Gehorsamspflicht gegenüber den Vorgesetzten zurückzuziehen.

Von den Kreuzzügen bis zum Nationalsozialismus – allzu oft hat die Kirche in der Vergangenheit eine unheilvolle Rolle gespielt, war Kriegstreiber und Kriegsrechtfertiger, hat sich der Politik angedient und die größten Verbrechen unterstützt. Ich bin mir bewusst, dass die Militärseelsorge und das Militärbischofsamt bei manchen diese Erinnerungen wachrufen. Es gab eine Zeit, da habe auch ich jenen absoluten Standpunkt vertreten, Kirche und Militär hätten sich zueinander wie Feuer und Wasser zu verhalten.

Inzwischen habe ich diese Haltung zwar nicht aufgegeben, doch zwangen mich das Weltgeschehen und mein Nachdenken darüber zu einer Relativierung. Ich habe mich in die riskante und verantwortungsethisch anspruchsvolle Grauzone der Wirklichkeit begeben, in der es nicht nur Gut und Böse, Wahr und Falsch gibt und eindeutige, endgültige Antworten nicht zu haben sind. Die Frage, ob Kriege gerechtfertigt sein können, die sich die Kirche seit ihrem Bestehen stellt und deren eilfertige Bejahung sie immer wieder zum Mittäter bei Menschheitsverbrechen machte, diese Frage würde ich inzwischen sehr differenziert beantworten.

Ja, ich denke heute, dass rechtserhaltende Gewalt unter äußersten Umständen, als Ultima Ratio, gerechtfertigt sein kann – niemals als Frieden bringende Lösung, sondern lediglich, um die Bedingung der Möglichkeit von Frieden zu schaffen. Ich weiß, dass ich mich mit dieser Haltung ebenso wie mit meinem Amt angreifbar mache, gerade auch in Kirchenkreisen. Das will ich auch. Ich will mich der komplexen, unübersichtlichen, unfriedlichen Wirklichkeit stellen und mit dem Kompass meines Glaubens nach Antworten suchen. Und diese Antworten können, wenn sie überhaupt zu finden sind, immer nur vorläufig sein.

Als Militärbischof bewege ich mich viel in Bundeswehrkreisen. Dennoch bin ich der militärischen Handlungsoption nicht unbedingt nähergerückt. Im Gegenteil, ich würde sogar behaupten, nun aus eigener Anschauung von ihren Konsequenzen und Verheerungen zu wissen, ihren menschlichen Kosten in erster Linie. Die Ultima Ratio, die äußerste Möglichkeit eines Einsatzes rechtserhaltender Gewalt, ist für mich keine hohle Phrase, die man relativieren kann. Sie ist angesichts dessen, was militärische Interventionen bewirken – nicht zuletzt auch im Leben von Soldatinnen und Soldaten –, mit äußerster Sorgfalt zu prüfen. Daher stehe auch ich nicht vorbehaltlos zur westlichen Außen- und Verteidigungspolitik. Meine Fragen und Zweifel haben sich seit meinem Amtsantritt eher noch vermehrt.

Als ich im März 2018 mit fünfundzwanzig Soldatinnen und Soldaten auf Pilgerreise ins Heilige Land fuhr, sagte unser deutschstämmiger, mit einer Israelin verheirateter Führer zu uns: »Wenn Sie aus Israel nach Hause zurückkehren, werden Sie mehr Fragen und Zweifel an der Lage hier haben als jemals zuvor.« Als ich im Februar 2019 diese Reise wiederholte, erschloss sich mir erneut die Wahrheit dieses Satzes – der gleichermaßen auch für andere Krisenherde der Welt gilt.

Ich kann und will in diesem Buch keine Antworten geben. Stattdessen möchte ich mich meinen Zweifeln aussetzen, möchte meine Position hinterfragen, mein Gewissen schärfen – im Grunde das, was die Militärseelsorge bei den Soldatinnen und Soldaten zu erreichen versucht.

Kapitel 1Vom Fundamentalpazifisten zum Militärbischof

Zunahme der globalen Krisenherde

Folgenschwerer Anruf

»Es gibt kein richtiges Leben im falschen.« Mit diesem Zitat des Philosophen Theodor W. Adorno kommentierte eine Verwandte 2014 meinen Amtsantritt als Militärbischof. Adorno hatte vermutlich recht. Vermutlich gibt es tatsächlich kein richtiges Leben im falschen. Ich bin mir nicht sicher. Was ich aber weiß, ist, dass die Welt nicht ist, wie sie sein sollte. Sie ist voll von Ungerechtigkeit, Krieg und Leid, und im Moment scheint sie besonders aus den Fugen geraten zu sein. Die Welt ist unerlöst, wie Christinnen und Christen sagen. Gott verheißt zwar Erlösung, Frieden und Glückseligkeit, aber das ist oft ein jenseits des irdischen Lebens liegender Zielhorizont. Er ist, wie sich die Philosophen ausdrücken würden, eine regulative Idee, die den Menschen Orientierung gibt, um den richtigen Weg zu finden und sich und die Welt zum Besseren zu gestalten.

Meine Entscheidung, mich zum Militärbischof berufen zu lassen, stößt bei manchen Familienangehörigen, im Freundes- und Bekanntenkreis und gerade auch bei Kirchenleuten nach wie vor auf großes Befremden und heftige Kritik. Ausgerechnet Sigurd Rink, den man bislang für einen überzeugten Pazifisten gehalten, der sich in der Evangelischen Kirche und ihren Akademien immer für Friedensarbeit stark gemacht hatte, suchte nun die Nähe zum Bösen, begab sich auf das Feld des Militärischen. »Ich kenne kaum einen Menschen, der so zivil ist wie du«, sagte mir ein befreundeter Redakteur einer großen Frankfurter Tageszeitung, »wie soll das zusammengehen?« Ich kann diese erschrockenen Reaktionen verstehen. Hätte man mir vorhergesagt, dass ich einmal Militärbischof sein würde, ich hätte es als groben Unfug für unmöglich erklärt.

Als mich vor nunmehr fünf Jahren der damalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider in meinem nachweihnachtlichen Winterurlaub in der Steiermark anrief und fragte, ob ich mich für das neu zu besetzende und neu zu strukturierende Amt des Militärbischofs zur Verfügung stellen würde, fiel ich aus allen Wolken. Natürlich wusste ich, dass es innerhalb der Kirche die Militärseelsorge und einen Militärbischof gibt, aber diese Welt war mir bis dahin fremd gewesen; als junger Mann hatte ich, da ich angehender Theologe war, nicht einmal Wehrdienst leisten beziehungsweise verweigern müssen. Es schien mir für die Glaubwürdigkeit der Kirche schon immer ratsam, dass sie auf Abstand zum Staat ging, und mit dem Militär sollte sie am besten möglichst wenig zu tun haben.

Schneider erklärte mir, dass das bisherige Nebenamt des Militärbischofs in ein Hauptamt umgewandelt werden solle. Seit Abschluss des Militärseelsorgevertrags zwischen der Evangelischen Kirche und der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1957 war die Nebenamtlichkeit des Militärbischofs als zentral angesehen worden. Er sollte immer in einer Landeskirche, also im Zivilen, verankert bleiben, um seine für das Amt entscheidende Unabhängigkeit gegenüber den Streitkräften wahren zu können.

Doch die Weltlage hatte sich inzwischen maßgeblich geändert. Die globalen Krisenherde hatten zugenommen, die Bundeswehr war zu einer Berufsarmee geworden und in vielen Ländern der Welt im Einsatz. Damit waren auch die Anforderungen an die Militärpfarrerinnen und Militärpfarrer und an den Militärbischof substanziell gestiegen, und das Nebenamt schien nicht mehr ausreichend. So hatte sich der Rat der EKD schließlich zu dem riskanten und anhaltend umstrittenen Schritt durchgerungen, das Militärbischofsamt – im Unterschied zur römisch-katholischen Kirche in Deutschland – zum Hauptamt zu erklären. Und ich sollte der erste hauptamtliche evangelische Militärbischof werden.

In vielen vorbereitenden Gesprächen fragte ich immer wieder nach, ob denn bekannt sei, dass ich nicht gedient und keine große Affinität zur Bundeswehr habe. Ob bekannt sei, dass ich seit zwölf Jahren Propst im liberalen Südhessen bin, wo die Bundeswehr in den Neunzigerjahren auf Drängen der Städte und Gemeinden fast alle Standorte aufgegeben hatte und so gut wie nicht mehr präsent ist. Ob bekannt sei, dass ich aus der hessen-nassauischen Kirche komme, der Kirche von Martin Niemöller. Martin Niemöller, der die Bekennende Kirche mitbegründet und Jahre in Konzentrationslagern verbracht hatte, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Friedensaktivist gegen eine Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ausgesprochen hatte. Diese hessen-nassauische Kirche Martin Niemöllers ist meine Heimatkirche, sie hat mich sozialisiert und geprägt. Sie ist traditionell sehr partizipativ und basisdemokratisch, also immer auf Aushandeln und Konsensfindung ausgerichtet. Noch nicht einmal ein Bischofsamt gibt es in Hessen-Nassau, wie sonst in vielen Landeskirchen.

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Einleitende Worte

»Dieser SteinSteht groß in seiner StilleUnd in der Mitte der DingeDie Trauer.«

Peter Huchel,Verona

Zuweilen stehe ich am Grab meiner Familie. Sie ruhen auf einem Kirchhof im Marburger Land: meine Großmutter, die Söhne im Krieg verlor; mein Vater, der von der Ostfront schwer gezeichnet nach Hause kam, meine Mutter, eine stille Heldin, deren beide älteren Brüder fielen. Ich stehe auf diesem weiten, stillen Feld und höre nichts als die Vögel. Und ich frage mich: Weshalb hat mein Vater dieses Gedicht von Peter Huchel für den gemeinsamen Grabstein gewählt? Wieso endet es dort mit der Trauer? Und nicht mit Freude. Oder Hoffnung. Oder Auferweckung?

Ich ahne: Es hat etwas mit dem Thema, mit dem Kern dieses Buches zu tun. Denn die Generationen des beginnenden 20. Jahrhunderts haben in unvorstellbarer Weise unter den Kriegen gelitten. Wer seinen Mann, seine Frau, seinen Sohn, seine Tochter, seine Mutter, seinen Vater im Krieg verliert, bleibt davon für immer gezeichnet. Ein Schatten legt sich über sein Leben. Gott selbst, der »Backofen voller Liebe«, von dem Martin Luther predigte, hat es fortan schwerer, ihn mit seinen wärmenden Strahlen zu erreichen. Und vielleicht, wer weiß, liegt dieser Schatten, den Peter Huchel Trauer nennt, zuweilen selbst noch auf uns Nachgeborenen.

Wie gerne hätte ich meinen Patenonkel und Namenspatron Sigurd Burckhardt noch kennengelernt, bevor er an den Folgen des Krieges starb. Der Krieg, der große, der »vaterländische« Krieg, der dreißigjährige Weltkrieg zwischen 1914 und 1945, wie manch kluger Historiker heute beide Weltkriege zusammenfasst, lastet auf der deutschen wie auf der europäischen Seele. »Das wird kein Sommerbuch«, höre ich von Verlagsseite – und vielleicht würde es tatsächlich besser in den November passen: Volkstrauertag, Totensonntag, Ewigkeitssonntag.

Aber dieses Buch erscheint mir nötig: Wir sind in unserer Gesellschaft Meister der Ausblendung. Krankenhäuser werden ausgeblendet, Hospize und Rettungsdienste. Mit Tod und Krankheit wollen wir möglichst nichts zu tun haben. Genauso wenig mit Gewalt und Krieg, weswegen uns die Polizei nicht ganz geheuer ist und erst recht nicht das Militär.

Manchmal sehen wir ein Straßenschild, das den Weg zu einer Kaserne weist. Was aber hinter einem Kasernentor oder gar in einem Camp der Bundeswehr in Mali passiert, will kaum jemand so genau wissen. Vielleicht gibt es in der Familie noch einen Onkel, der »beim Bund« war. Aber auch diese Spur verliert sich, jetzt, wo die Streitkräfte klein und freiwillig geworden sind.

Es wurde Zeit, dass ich dieses Buch schreibe. Nach nun fünf Jahren im Amt des Militärbischofs, des, wie es kirchlich heißt, Bischofs für die Seelsorge in der Bundeswehr. Ich habe das Buch nicht als Politiker geschrieben, wenngleich es sehr politisch geworden ist. Und ich habe es auch nicht als Angehöriger des Militärs geschrieben, sondern als gläubiger Christ und als Mann der Kirche.

Dieses Buch ist riskant. Denn es handelt von einer Ethik im Ernstfall des Lebens. Ich sehe jetzt schon voraus, wie es von allen möglichen Seiten Kritik erfährt. Von meiner Kirche, von der Politik, von den Streitkräften. Gut so. Ich bin in meinem Amt inzwischen Kritik gewohnt und beziehe sie nicht mehr notwendig auf meine Person. Auch wenn ich als Autor natürlich mein erster und kritischster Leser bin.

Ich fühlte mich als Militärbischof dazu verpflichtet, dieses Buch zu schreiben. Über ein Thema, über das viel zu viel geschwiegen wird. Zuweilen aus Unkenntnis. Zuweilen aber auch, weil sich mit den Themen Krieg, Bundeswehr und Auslandseinsätze kein Blumentopf gewinnen lässt. In der Politik ist dies mehr als deutlich. Wer sich dort mit Sicherheits- und Verteidigungspolitik beschäftigt, braucht nicht zu erwarten, hohe Beliebtheitswerte einzufahren. Die große Fluktuation im Amt des Verteidigungsministers spricht Bände. Für viele Politiker hat sich die Verteidigungspolitik als »Karrierekiller« erwiesen. Zu komplex ist sie und zu anstößig.

Für die Bundeswehrangehörigen gilt die fehlende Anerkennung erst recht. Vielleicht hat das auch ein wenig mit ihrem für die Armee üblichen, um Knappheit und Präzision bemühten Auftreten zu tun. Ich würde mir wünschen, dass häufiger Soldatinnen und Soldaten in den Medien präsent wären, um von ihren Einsätzen zu berichten. Wie sonst sollen wir von dieser Wirklichkeit erfahren, die auch zu unserer Welt gehört, ob wir wollen oder nicht?

Ich wollte in diesem Buch von dieser Seite der Welt berichten. Ich weiß, dass es nur – wie Paulus in 1. Korinther 13 sagt – »Stückwerk ist«. Der Untertitel sagt es bereits: Es ist ein tastender, fragender Versuch, der zu einer Debatte beitragen und keine definitiven Antworten geben will.

Das Thema ist kompliziert und brisant. Meine Gedanken mögen manchem falsch und naiv erscheinen. Ich nehme dieses Risiko in Kauf und jede Unzulänglichkeit auf mein Konto. Wenn ich im Folgenden einigen Menschen danke, so danke ich ihnen für ihre Hilfe, ihre Gedanken und Erkenntnisse, nicht aber mache ich sie für den Inhalt des Buches verantwortlich.

Es ist bezeichnend für die Brisanz des Themas, dass einige meiner Gesprächspartner nicht namentlich genannt werden möchten. Ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Dieses Buch hat eigentlich zwei Co-Autoren: Uta Rüenauver und Klaus Beckmann. Und so ist es selbstverständlich, dass ihnen auch der erste Dank gebührt. Der Ullstein Verlag hat mich mit Uta Rüenauver zusammengeführt, und diese Auswahl gestaltete sich als Glücksfall. Mit Uta Rüenauver hatte ich eine erfahrene Philosophin und Autorin an meiner Seite, mit der ich Stunden und Stunden damit zubrachte, die zentralen Inhalte des Buches zu kondensieren. Dass sie zudem aus meiner hessischen Heimat stammt, konnte nur von Vorteil sein.

Klaus Beckmann ist ein langjähriger Standort- und Einsatzpfarrer und seit einiger Zeit als Militärdekan mein persönlicher Referent. Seine pointierten, immer profunden theologischen und politischen Gedanken haben dieses Buch sehr bereichert. Es ist ein großer Genuss und Gewinn, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Mein erster gremialer Dank gilt dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), zunächst unter dem Vorsitz von Nikolaus Schneider, dann von Heinrich Bedford-Strohm. Dem Rat verdanke ich meine Berufung zum Militärbischof und somit auch die Möglichkeit, dieses Buch zu schreiben. Ich empfinde es als einen sehr mutigen Schritt, zuzulassen, dass gerade im Feld der Soldatenseelsorge und der Friedensethik die Expertise verstärkt wird. Auch danke ich dem Rat und seinen Vorsitzenden für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und die Freiheit, abweichende Meinungen und Debattenbeiträge formulieren zu können.

Der Synode der EKD unter ihrer Präses Irmgard Schwaetzer danke ich für die Möglichkeit, meine Gedanken zur Seelsorge an Soldaten in einem jährlichen Bericht zu unterbreiten.

Meinem Beirat für die Seelsorge in der Bundeswehr unter dem Vorsitz des Friedensbeauftragten der EKD, Renke Brahms, und der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs danke ich für Ermöglichung eines Austauschs mit Persönlichkeiten aus der Kirchenleitung und aus der Bundeswehr.

Bettine von Arnim nannte einst eines ihrer Bücher: »Dies Buch gehört dem König«. Solche Widmung käme mir heute natürlich nicht in den Sinn, aber zweifellos habe ich in friedens- und militärethischen Fragen am meisten von den politischen und militärischen Amtsträgern gelernt. Allen voran meinen Gesprächspartnern im Verteidigungsministerium, Ursula von der Leyen und ihren Staatssekretären und – stellvertretend für die Soldatinnen und Soldaten – dem Generalinspekteur und seinen Inspekteuren. Es ist ein besonderes Geschenk, in einem derart komplexen und schwierigen Handlungsfeld von so viel kompetenten und zugleich warmherzigen Menschen umgeben zu sein.

Ich danke meinem Stab in der Bundesbehörde »Evangelisches Kirchenamt für die Bundeswehr« für zahlreiche Anregungen und Verbesserungsvorschläge. Wir waren und sind nicht immer einer Meinung. Und vielleicht hätte sich der ein oder andere gewünscht, dass ein solches Buch gar nicht erscheint. Dennoch habe ich viel von der Expertise meines Hauses gelernt.

Ich danke der Presseabteilung des Verteidigungsministeriums für die sehr genaue Durchsicht des Manuskripts, einen Faktencheck gleichsam. Das heißt nicht, dass wir in allem einer Meinung wären. Das wäre auch seltsam. Aber gewonnen hat das Buch durch die Zusammenarbeit, und Fehler, die sich dennoch eingeschlichen haben, nehme ich getrost auf mich.

Ich danke den Presseexperten der EKD, allen voran meinem verdienten Mitarbeiter Roger Töpelmann, der das Manuskript immer wieder kritisch durchforstet und zahlreiche Anregungen gegeben hat.

Ich danke meinen 108 Pfarrerinnen und Pfarrern im Feld, die mich an ihrer Arbeit in der Seelsorge immer wieder haben teilhaben lassen, allen voran Ralf Zielinski, der mich als mein langjähriger persönlicher Referent mit der besonderen Welt der Marine und ihren Einsätzen vertraut gemacht hat.

Ich danke dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Hans Peter Bartels, und den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses, stellvertretend Frau Heidtrud Henn, für viele Begegnungen und offene Gespräche.

Ich danke der Forschungsstätte Evangelische Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg. Sie nimmt mit ihrem Grundlagenforschungsprojekt gegenwärtig maßgebliche Neuverortungen vor, die nur rudimentär in dieses Buch einfließen konnten, aber die Friedens- und Militärethik in Zukunft stark prägen werden.

Ich danke den Grand Old Men, den Wegbereitern der heutigen, zeitgemäßen Friedensethik, allen voran dem ehemaligen Ratsvorsitzenden Bischof Wolfgang Huber, meinem akademischen Lehrer Wilfried Härle sowie meinem Examensfreund und Studienleiter an der Akademie Frankfurt, Eberhard Martin Pausch. Ohne die bahnbrechenden Arbeiten dieser drei Theologen, insbesondere die Friedensdenkschrift der EKD von 2007, stünde die evangelische Kirche viel ärmer und schlechter da. Mein Studium an der Alma Mater der Evangelischen Theologie, der Philipps-Universität Marburg, in den 1980er Jahren ist ohne diese drei prägenden Persönlichkeiten undenkbar.

Zum Schluss ein Wort zu meinem Verlag. Als Ullstein vor einem Jahr mit dem Wunsch auf mich zutrat, dieses Buchprojekt mit mir zu realisieren, konnte ich nicht ahnen, wie gut ich begleitet werden würde. Es war wirklich im besten Sinne Old School, ich fühlte mich bestens betreut, von Julika Jänicke und Alexandra Krishnabhakdi vom Ullstein Verlag und der Lektorin Hanna Schuler, die dem Buch durch ihre sorgfältige, sprachbewusste Bearbeitung den Feinschliff verpasst hat. Wenn Verlage heutzutage noch so umsichtig und gewissenhaft arbeiten, kann es um die Bücherlandschaft so schlecht nicht bestellt sein. Bei den Streitkräften sagt man kurz und bündig: »Respekt und Anerkennung«.

Ich wünsche dem Buch viele aufmerksame Leserinnen und Leser und bin gespannt auf die Reaktionen.

Berlin, Ostern 2019Sigurd Immanuel Rink