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Mehr denn je suchen Menschen in "der schönsten Zeit des Jahres" nach spirituellen Impulsen, nach Orten, die Kraft geben und "authentisch" sind. die in Traditionen verwurzeln. Sommerfrische für die Seele bietet Inspirationen, Geschichten und Gedichte, die ganz spielerisch die spirituelle Dimension des Urlaubs aufnehmen. Die Autoren eröffnen neue Wege , die Urlaubserlebnisse mit allen Sinnen zu erfahren und als einen Schatz für den Alltag zu bewahren.
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Seitenzahl: 167
Eugen Eckert & Sigurd Rink
Sommerfrische für die Seele
Ein spiritueller Urlaubsführer
© KREUZ VERLAGin der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2012Alle Rechte vorbehaltenwww.kreuz-verlag.deUmschlaggestaltung: agentur IdeeUmschlagmotiv: © CorbisFotos Innenteil: Maren Boderke-EckertISBN (E-Book): 978-3-451-33931-8ISBN (Buch): 978-3-451-61058-5
Es ist Sommer
Vorwort
I. Vorfreude
Was in diesem Jahr dran ist
Himmelsrichtungen
Wohin soll die Reise gehen?
Warum es mich auf Inseln zieht
Eine Insel
Ich will auch mal weg
Elisabeth kannte keinen Urlaub
Wie immer
Sei behütet Tag und Nacht, Reisesegen
Die Entdeckung der Langsamkeit
Homo ludens – der spielende Mensch
Durchatmen
Parkbank, Buch und Sonnenschein
Das kleine Urlaubsritual
II. Ankommen
Der Weg ist das Ziel
Alltag, Urlaub, Fest
Ich verstehe dich trotzdem
Die ganz normale De-Pression
Heilige Räume oder: Suche den Ort, an dem Einheimische sich verirren
In dieser Welt baust du dein Haus
The Dancing Saints
Das kleine Urlaubsritual
Weißt du, wie viel Sternlein stehen?
Psalmen essen
Das kleine Urlaubsritual
Wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen
Der aufrechte Gang
III. Den Morgen begrüßen
Morgenstund hat Gold im Mund
Bewusst den Tag beginnen
Das kleine Urlaubsritual
Kaffeehauskultur
Die Theologie des Käsebrotes
Kein Urlaub ohne Fotoapparat
Das kleine Urlaubsritual
Wolkenloses Himmelblau
Wer schreibt, der bleibt
Das kleine Urlaubsritual
Auch wenn du fern bist
Lust auf Museum
Vertiefen
Weinen – vor Glück
Wenn Admirale tanzen
Das kleine Urlaubsritual
Meine Seele lobt dich, Gott
Über allen Gipfeln ist Ruh
Muss das sein?
Unser tägliches Brot
IV. Den Mittag genießen
Es lacht mir der Himmel
Kochen und essen
Mitten am Tag
Sich frei schwimmen
In den Sand setzen
Eyja
Labyrinth
Ich werde am Du
In deine Augen
Ich liebe Edi
Tanz am Strand
Singen, Genuss pur
Wir loben dich, Gott
Teezeit um Fünf
V. Den Abend feiern
Noch ein Platz frei?
Auf den Schoß nehmen
In den Spiegel blicken
Das kleine Urlaubsritual
Besser als ich noch
Wo die alte Moorhexe hext
Fische
Sternen gucken
Das kleine Urlaubsritual
Schlaf
Auf dem Weg durch diese Nacht
VI. Abschied nehmen und zurückkehren
Jäger und Sammler
Notwendige Abschiede
Das kleine Urlaubsritual
Scheiden tut weh
Sand sitzt in allen Ecken und Ritzen
Bonjour Tristesse
Das kleine Urlaubsritual
Wenn sie nur reden könnten
Man braucht nur eine Insel
Anmerkungen
Es ist Sommer, und ich atme,
atme durch und atme auf,
will genießen, will mich freuen –
geb der Sehnsucht freien Lauf.
Es ist Sommer, das beflügelt.
Und ich fliege, fliege aus.
Such mir Orte, auszuspannen –
mal weit weg und mal zu Haus.
Es ist Sommer. Gott sei Dank!
Es ist Sommer, und ich liebe,
lieb das Leben, bin verliebt.
Staune, dass es so viel Schönes
um mich her und in mir gibt.
Es ist Sommer, und ich denke.
Denke nach, auch über mich.
Werd mir klar, dass dieses Leben
halb nur schön wär’ ohne dich.
Es ist Sommer. Gott sei Dank!
Es ist Sommer, und ich sammle,
sammle Farben, Töne, Kraft.
Nur ein Vorrat gibt die Aussicht,
dass man’s durch den Winter schafft.
Es ist Sommer, und ich lebe –
aus dem Koffer, in den Tag.
Lass die Seele einfach baumeln.
Heute mach ich, was ich mag.
Es ist Sommer. Gott sei Dank![1]
Eugen Eckert
Urlaub beginnt im Kopf. Lange bevor die Taschen gepackt, die Wohnung versorgt, die Verkehrsmittel gebucht sind, stehen spannende Fragen im Raum: Wie möchte ich eigentlich meinen Urlaub verbringen? Wer soll mich begleiten? Welches ist das Sehnsuchtsziel, das ich diesmal bereisen möchte?
Mitten an einem trüben Sonntagnachmittag im nass-kalten November kann ich so auf andere Gedanken kommen. Während draußen der Wind die Blätter über die Straßen fegt, fläze ich mich auf das Sofa und greife mir ganz altmodisch meinen Atlas. Landschaften, Bilder ziehen an mir vorüber. Kinofilme: »Jenseits von Afrika«, »Zimt und Koriander« oder »Wie im Himmel«. Romane und Erzählungen: »So zärtlich war Suleyken«, »Der Stechlin« oder »Muscheln in meiner Hand«. Ach, was mag das für eine Landschaft sein: Persien, Iran? Die Märchen aus Tausendundeiner Nacht gehen mir durch den Sinn. Sultane und Harems, Zitadellen und blaue Moscheen, die Gerüche der Gewürze auf dem Basar von Damaskus. Safranblüten, Muskatnüsse, Vanilleschoten, Pfefferkörner.
Schon die Vorfreude auf Urlaub ist Urlaub, Fest – etwas ganz anderes als Alltag jedenfalls. Oft mögen die Bilder, die Sehnsüchte, die Imaginationen der Fantasie sogar die Wirklichkeit übertreffen. Damaskus mag ersticken im Gestank der Laster und Istanbul eine lärmende Mega-City sein: Meine Bilder, mein Fernweh wird dadurch kaum geschmälert werden.
So beginnt der Urlaub ganz unspektakulär – zu Hause auf dem Sofa. Und wenn dann aus Sehnsuchtsfantasien erste Pläne werden, dann mag das Sofa dem Esstisch weichen: Er bietet einfach mehr Platz für eine echte Landkarte. Eine Vermessung der Welt, die ich erkunden werde, wie einst Alexander von Humboldt Ecuador.
Dabei ist es ganz nebensächlich, ob die Karte, die vor mir liegt, Patagonien am Ende der bewohnten Erde beschreibt oder den Rheinsteig des oberen Mittelrheintals. Jede Landschaft hat ihren Reiz, ihre Bilder, ihre starken, spirituellen Orte. (Ein Bekannter gewann einmal in einem Gewinnspiel ein Wochenende im Hotel seines Wohnortes. Die Erfahrung dieses Kurzurlaubs war für ihn so beeindruckend, dass er nun regelmäßig dort absteigt. Nah – und doch so fern.)
Kein Rechner dieser Welt kann für mich die Faszination von Atlas und Landkarte einholen. Es ist ein haptisches Vergnügen. Ich brauche den Finger auf der Landkarte, um mich zu orientieren und erste Gedanken über die Reise zu entwickeln. Und doch kommt auch die Zeit, in der der heimische Computer bei der Vorbereitung der Reise ganz praktisch wird. Wenn es darum geht, sich ein besseres Bild der Terra incognita, des unbekannten Landes der Sehnsucht zu machen, dann können sie schon wichtig werden, die kleinen Helfer des World Wide Web, von Amazon bis Wikipedia.
So beginnt Urlaub leise, ganz unscheinbar, beinahe beiläufig. Und kann dennoch schon in diesem zarten Anfang eine große Wirkung entfalten: bereits im Planen ein gerüttelt Maß an Sommerfrische für die Seele. Eine Perspektive, auf die hin sich das Leben neu ausrichten kann.
Wir bedanken uns
Dieses Buch verdankt seine Entstehung unserer Lust am Reisen, immer wieder auch in spirituellen Kontexten. Wir sind oft und gerne unterwegs – mit unseren Familien, mit einem Pastoralkolleg, im Kurpastorendienst am Urlaubsort oder auch im Rahmen eines Sabbatical, also einer Auszeit für Seele und Leib. Ein geflügeltes Wort sagt: »Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen.« Weil wir viel reisen, haben wir viel zu erzählen. Und da wir eine Menge Erfahrungen miteinander teilen und darum auch die Themen untereinander aufgeteilt haben, verzichten wir bei unseren anekdotisch-erzählenden Texten bewusst auf die namentliche Zuordnung. Diese haben wir lediglich bei Fremdtexten oder jenen Gedichten vorgenommen, die zu Liedern vertont sind und deren Noten von der Website der Frankfurter Band HABAKUK abgerufen werden können (www.habakuk-musik.de).
Dieses Buch gäbe es allerdings nicht ohne die stets aufmunternde, richtungweisende und geistesgegenwärtige Begleitung durch Rolf Hartmann, Lektor im Kreuz Verlag. Ihm danken wir für intensive Gespräche und anspornende Kritik. Für das Festhalten schöner Augenblicke mit ihren Fotos danken wir Maren Boderke-Eckert.
Eugen Eckert & Sigurd Rink
Tu deinem Leib Gutes,
damit deine Seele
gerne in ihm wohnt.
Teresa von Avila
Janosch leitet sein »Wörterbuch der Lebenskunst« folgendermaßen ein: »Das Leben ist so. Du wirst hineingeworfen wie in ein kaltes Wasser, ungefragt, ob du willst oder nicht. Du kommst lebend nicht mehr heraus. Darüber kannst du:
a. unglücklich sein und ersaufen;
b. dich lustlos und frierend so lange über Wasser halten, bis es vorbei ist;
c. einen Sinn suchen und einfordern und dich grämen, weil er sich nicht zeigt;
Oder du kannst:
d. dich darin voller Freude tummeln wie ein Fisch und sagen: ›Ich wollte sowieso in kaltes Wasser, kaltes Wasser ist meine Leidenschaft. Was für ein verdammt schönes Vergnügen, Leute.‹
Und das wäre die Kunst, um die es hier geht.« [2]
Wer schon einmal einen Urlaub geplant hat, weiß, wie viele Anteile Lebenskunst bereits zur Wahl des Zieles gehören, denn jedes Jahr stellt sich die Frage neu, was wir aus der »schönsten Zeit im Jahr« machen wollen. Und jedes Jahr beginnen die Debatten neu.
Johannes möchte endlich wieder einmal in die Berge, Susanne aber kann sich nur am Meer erholen. Friederike träumt vom Sternenzelt beim Camping, doch Daniel reichen vier oder fünf Sterne – und der damit verbundene Luxus. Peter steht auf ganz viel Kultur. Hanna stimmt ein bisschen zu, vorausgesetzt, die Wellness kommt nicht zu kurz. Die Kinder aber rollen bei Worten wie Museum oder Kirche nicht nur die Augen. Sie finden eigentlich alles öde und legen für alle Fälle erst einmal ein Generalveto ein. Und schnell hat es sich wieder einmal gezeigt, wie viel Gesprächsbedarf und auch Streitpotenzial die Frage in sich birgt, was wir mit unserem Urlaub machen. Zu Hause bleiben oder reisen? Ein Ziel im Inland oder im Ausland suchen? Aktiv sein oder ausruhen? Mit Freunden fahren oder alleine? Stationär oder mobil? Mit welchem Verkehrsmittel? Mit wie viel Gepäck? Wohin? Und wer entscheidet?
Vielleicht kann die biblische Weisheit helfen, wenn es um solche Entscheidungen geht: Im Buch Kohelet, dem Buch des Predigers, heißt es im dritten Kapitel: »Für alles gibt es eine Zeit– Zeit für jedes Vorhaben unter dem Himmel.«[3] Sich auf diesen Gedanken einzulassen würde bedeuten: Auf dem Weg zur Wahl eines Urlaubszieles ist grundsätzlich erst einmal alles denkbar, für alle Ideen, Vorstellungen und Wünsche können Argumente gesammelt werden. Bis dann schließlich gemeinsam geprüft wird, was in diesem Jahr wirklich dran ist.
In einer Reihe von Gegensatzpaaren erinnert der Prediger daran, wie wichtig es ist, immer neu zu prüfen, wo wir in unserem Leben gerade stehen und was wir wirklich brauchen. Denn es gibt:
»Zeit zu gebären und Zeit zu sterben,
Zeit zu pflanzen und Zeit auszureißen.
Zeit zu töten und Zeit zu heilen,
Zeit einzureißen und Zeit zu bauen.
Zeit zu weinen und Zeit zu lachen,
Zeit zu trauern und Zeit zu tanzen.
Zeit, Steine zu werfen, und Zeit, Steine zu sammeln,
Zeit zu umarmen und Zeit, das Umarmen zu meiden.
Zeit zu suchen und Zeit, verloren zu geben,
Zeit zu bewahren und Zeit wegzuwerfen.
Zeit auseinanderzureißen und Zeit zusammenzunähen,
Zeit zu schweigen und Zeit, Worte zu machen.
Zeit zu lieben und Zeit zu hassen,
Zeit für den Krieg und Zeit für den Frieden.«
Kohelet 3,2–8
Wo stehen wir? Und was brauchen wir? War die zurückliegende Zeit leichtfüßig und heiter? Suchen wir darum Orte zum Singen, Tanzen und Lachen? Waren unsere Wege anstrengend und gehetzt? Brauchen wir also Ruhe, Schlaf und Erholung? Gab es Schmerzliches und noch lange nicht Verarbeitetes? Wollen wir nun neue Wege ausprobieren, auf denen wir Schritt für Schritt vorankommen können? Ist die Liebe zu kurz gekommen? Ist darum gerade jetzt Zweisamkeit angesagt, in aller Gemeinsamkeit? Sind wir einfach nur neugierig? Welches von den vielen schönen Zielen auf dieser Erde haben wir bislang noch nicht entdeckt? Stehen wir vor Veränderungen und Umbrüchen? Suchen wir also ein Ambiente, um in Ruhe nachdenken und reden zu können? Oder wollen wir vielleicht sogar endlich einmal unser Zuhause genießen, wenn schon alle Welt wegfährt?
Bei der Entscheidung für ein Urlaubsziel in sich hineinzuhören und in Ruhe zu überlegen, was ich in diesen Tagen, auf die ich mich freuen möchte, wirklich brauche, das hilft zumindest, sehr bewusst ein Ziel zu wählen.
Am besten im Gespräch mit denen um mich her. Die Devise heißt weder, sich unterbuttern zu lassen, noch, unter Aufbietung aller Kräfte zu dominieren. Dann werde entweder ich unglücklich oder mein Gegenüber. Einer von uns ersäuft, sagt Janosch. Auch faule Kompromisse sind nicht wirklich tragfähig. Wem hilft es, wenn einer von uns ganz lustlos mitkommt und nur hofft, dass die Zeit so schnell wie möglich vergeht?
Wenn wir zusammenleben und auch zusammen Urlaub machen wollen, sind immer Kompromisse nötig. Bei Gabriele und Hinrich ist es so, dass im einen Jahr sie und im nächsten Jahr er entscheidet, wohin die Reise gehen soll. »Ich wollte sowieso in kaltes Wasser«, lautet die Kompromissformel dessen, der sich auf die Entscheidung des anderen einlässt. Bei Familie Greiling gilt seit Jahren, dass sie das größte Organisationstalent hat und weiß, was ihr Mann und die Kinder brauchen. Die anderen verlassen sich auf ihren guten Geschmack, und, wohin es auch geht, sie tummeln sich voller Freude wie Fische an ihrem Urlaubsort.
Eine kreative Idee zu entwickeln, ein Verfahren und eine Spielregel, wie die Entscheidung fällt, wohin die Reise geht, ist eine interessante Herausforderung. Zu ihr gehört auch das Wissen oder zumindest die Ahnung, dass nicht jedes Jahr dem anderen gleicht. Denn »für alles gibt es eine Zeit– Zeit für jedes Vorhaben unter dem Himmel«.
Am Anfang der Urlaubsplanung steht die spannende Frage: Wohin soll es denn überhaupt gehen? Viele Ziele gehen einem durch den Kopf, bekannte und unbekannte. Vielleicht ist es an diesem Punkt gar nicht schlecht, sich einmal einen Kompass vor Augen zu halten. Er richtet sich ganz automatisch aus, zeigt die Richtungen und Wege, lässt einen über die Ziele meditieren.
Wege nach Norden
Seltsamerweise steht der Norden bei der Urlaubswahl der meisten Zeitgenossen nicht gerade hoch im Kurs. Neun von zehn Reisenden zieht es eher in den Süden, der Sonne entgegen. Dabei hat die Nordlandfahrt so ganz ihre eigenen Reize. Nach Norden fahren heißt zwar nicht unbedingt der Sonne entgegenfahren, dafür aber umso mehr dem Licht. Wohl nirgendwo gibt es so faszinierende Lichtspiele wie im Norden. Spektakuläre wie die Mitternachtssonne, aber auch weniger bekannte, wie etwa das Nordlicht.
Ein bisschen Glück mit dem Wetter vorausgesetzt, entdeckt man Szenerien, die kaum mit der Kamera festzuhalten sind. Der Norden steht für Klarheit in den Farben, wie sie etwa in den Hütten Norwegens gespiegelt werden. Nicht nur im Sommer entwickeln sich immer wieder frappierende Lichtspiele. Das Licht der Hebriden etwa (»Hebridian light«), einer Inselgruppe im Westen Schottlands, ist Legende. Schon der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy hat versucht, diese Stimmung in Klangbildern einzufangen.
Faszinierend ist der Norden aber nicht nur im Sommer. Die langen Tage zwischen Schnee und Eis in der Osterzeit etwa entwickeln ihren ganz eigenen Reiz. Wer jemals die Hardangervidda, eine einzigartige Hochebene in Mittelnorwegen, auf Langlaufskiern von Hütte zu Hütte gekreuzt hat, wird diese Eindrücke wohl nie mehr vergessen.
Wege nach Osten
Wohl kaum eine Himmelsrichtung harrt noch so der Entdeckung wie der Osten. Kein Wunder, haben doch der Kalte Krieg und der »Eiserne Vorhang« diesen Weg über Jahrzehnte versperrt. Und doch sind schon die ersten Pioniere unterwegs und entdecken die neuen alten Wege gen Osten. Kirchen etwa sind »geostet«. Und das hat seinen guten Grund: Liegen doch im Osten die uralten Kulturlandschaften. Allen voran natürlich der »Nahe Osten« mit dem Pilgerziel Jerusalem. Aber auch die anderen vielen Wege in die Steppen Eurasiens. Alte Klöster erzählen von der bewegten Geschichte dieser Wege. Das orthodoxe Christentum entfaltet seinen mystischen Reiz. Und man darf sich mit großer Wahrscheinlichkeit gewiss sein, dass jenseits einzelner Kulturreisender kaum jemand diese Himmelsrichtung einschlägt.
Wege nach Süden
Über die Sehnsucht des deutschsprachigen Raumes nach Süden zu schreiben, das ist fast schon müßig. Hat sich dieses Bild doch über Jahrhunderte hinweg in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Süden heißt Rom, die Ewige Stadt. Süden heißt das Land, »in dem die Zitronen blühen«, heißt Neapel und Golf von Sorrent. Süden heißt eine unüberschaubare Vielzahl von Städten und Kulturlandschaften, jedes zweite Denkmal der Unesco befindet sich in einem einzigen Land– Italien.
Die Deutschen lieben den Süden. Luther pilgerte nach Rom. Goethe hatte seine italienische Reise. Und lange bevor es Urlaub gab, fuhren die Bürger einmal in ihrem Leben gen Süden.
Süden heißt aber oft auch Armut. Dürre und Mangel. An Wasser. An Wolken. An Regen. Etwas, was der Reisende häufig übersieht – vielleicht auch gar nicht wahrhaben will.
Wege nach Westen
Vielleicht – ähnlich wie der Norden – eine unterschätzte Himmelsrichtung. Westen heißt Wind. Westen heißt Sturm. Westen heißt Regenschauer und Sonne an einem Tag. Der winzige Zipfel Eurasiens, der sich Europa nennt, ist Westland. Der Atlantik tost mit all seiner Macht gegen die Ufer des Westens, peitscht seine Wolken gegen die ersten Bergrücken. Darauf muss man Lust haben. Die Seele frei atmen lassen. Die Gischt auf der Haut spüren.
Und zugleich ist der Westen so mild, eine weltweit einzigartige Formation. Noch hoch im Norden oder vor Irland die Wärmflasche des Golfstroms. Palmen im Park. Zehn oder zwölf Grad temperiert, kein Schnee in Sicht.
Die zerklüfteten Küsten sind schon eine Reise wert. Das Irland Heinrich Bölls, der Giant’s Causeway im Norden der Grünen Insel. Die Mourne Mountains, die sanft zum Meer hinabfallen.
Oder die Fjorde Norwegens. 200Kilometer ins Land gefräst. 1200Meter aufsteigende Berge aus dem Nichts. Das ist Westland.
All das kann man meditieren, wenn es um die Wahl des Urlaubs geht. Kann nachsinnen: Was würde mir jetzt guttun? Worauf habe ich Lust? Wo finde ich Erfüllung in der ganz anderen Zeit, die vor mir liegt? Der Schöpfer hat schon gut daran getan, so vielfältige Landschaften zu erschaffen.
Es hätte was,
mal hier zu bleiben
und, weit entfernt
vom Urlaubstreiben,
was nah liegt
einfach zu genießen.
Den Park, den Zoo,
die Gartenbank,
das Schwimmbad, Wald,
vertrauten Trank.
Es hätte was,
mal aufzuräumen –
und sich dabei
weit wegzuträumen.
Balkonien liegt
günstig nah:
Ich glaube fast
wir bleiben da.
Es hätte auch was,
weit zu reisen,
was andres sehn,
exotisch speisen.
Ganz andre Sitten,
viel Kultur,
und wilde Tiere
in Natur.
Es hätte was,
die Welt zu sehen,
auf unbekanntem
Pfad zu gehen.
Die Mongolei?
Doch Panama?
Warst du schon mal
in Afrika?
Es hätte selbst was,
loszufahren,
und sich zu weite
Trips zu sparen.
Die Berge, Seen,
das Meer, der Strand;
Historisches
im Hinterland.
Es braucht halt Zeit,
bis schließlich steht,
wohin die nächste
Reise geht.
»Das täte ich gern: umschlossen auf meiner Insel, vom hohen Felsen herab dem Meer nachsinnen, so vielfältig bewegt.«[4] Mit diesen Worten beginnt das anrührende Gedicht »Meine Insel«. Es wird St. Columba zugeschrieben, der im 6.Jahrhundert lebte und zu den »Zwölf Aposteln Irlands« zählt. Um ihn, den Gründer zahlreicher Klöster und deren geistlicher Führer, schart sich jene Gruppe iro-schottischer Mönche, deren tief geprägte religiöse Tradition, die »keltische Spiritualität«, Ausgangspunkt und Grundlage für die Christianisierung der britischen Insel und weiter Teile Nord- und Westeuropas war.
Die Legende erzählt, dass St. Columba nach Konflikten mit seinem theologischen Lehrer St. Finian 561 n.Chr. Irland verlassen musste. Gemeinsam mit zwölf Freunden stieg er in ein Boot und legte das Ziel der Reise in Gottes Hände. Der Ort, an dem die Brüder strandeten, war die Hebriden-Insel Iona vor der Westküste Schottlands. Hier, wo Himmel und Erde untrennbar miteinander verwoben sind, gründete St. Columba jenes Kloster, das für Jahrhunderte zu einem geistlichen Zentrum Schottlands wurde. Hier entstanden theologische Standardwerke, wahrscheinlich auch das Book of Kells[5], ein Meisterwerk westlicher Kalligraphie, das mit aufwendigem Schriftbild und in leuchtenden Farben verziert eine Abschrift der vier Evangelien aus der lateinischen Vulgata enthält. Und hier entstanden zu Herzen gehende Schöpfungshymnen.
Alles auf dieser knapp neun Quadratkilometer großen und von nur 125Menschen bewohnten Insel Iona atmet Heiligkeit. Selbst die Hinreise steckt voller kontemplativer Überraschungen, zu denen zerklüftete Gebirgszüge genauso gehören wie tosende Wasserfälle, verfallene Burgen und, mit dem McCaig’s Tower ein viel zu ehrgeiziger und darum nie fertig gestellter Nachbau des Kolosseums von Rom über der Küstenstadt Oban. Erst mit dem Bau der Eisenbahnlinie und dem Beginn der Dampfschiff-Ära gegen Ende des 19.Jahrhunderts wuchs Oban vom kleinen Fischerdorf zum Haupt-Fährhafen für die Inneren und Äußeren Hebriden. Von hier abzulegen bedeutet, bis zum Ende der Welt zu fahren. Darum ist selbst das Warten auf die Fähre im Hafen von Oban eine kontemplative Übung. Diese streckt sich über Stunden, denn die Fähre führt zunächst nach Craignure auf der Isle of Mull. Dort startet der Bus, der die Insel Mull auf sich abenteuerlich schlängelnder, einspuriger Straße durchquert, der sich manchmal auch im Rückwärtsgang zur letzten Haltebucht zurückschlängeln muss, um ein entgegenkommendes Fahrzeug passieren zu lassen, bis irgendwann die Straße in Fionnphort vor der Fähre nach Iona endet.