Betrügen lernen - Werner Bartens - E-Book

Betrügen lernen E-Book

Werner Bartens

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Beschreibung

Bartens schreibt mit der ironischen Leichtigkeit eines geborenen Erzählers und der profunden Menschenkenntnis eines Mediziners

Alex ist Verhaltensforscher und beschäftigt sich mit dem Paarungsverhalten von Primaten. Seine Frau Clara ist Urologin und sieht berufsbedingt eindeutig zu viele nackte Männer. Er hat noch viel Liebe zu geben und sucht schüchtern ihre erogenen Zonen. Sie ist genervt von seinen Verführungsversuchen und Vorschlägen zur gemeinschaftlichen Beischlafplanung. Irgendwie lieben sie sich nach langen Ehejahren noch immer. Als seine roten Markierungen im Kalender immer spärlicher werden, entschließt er sich probeweise und um sich selbst zu beweisen, dass er’s noch kann, seine Frau zu betrügen. Kongresse und Vortragsreisen scheinen genug Gelegenheit dazu zu bieten. Doch die eigenen Fantasien in die Tat umzusetzen erweist sich für Alex als sehr viel schwieriger als gedacht.
Mit der ironischen Leichtigkeit eines geborenen Erzählers und der profunden Menschenkenntnis eines Mediziners erzählt Werner Bartens vom Einschlafen des Begehrens und dem Wiederentfachen der Glut, für das man allerdings wissen muss, wie man das Streichholz zu halten hat.

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Seitenzahl: 249

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Werner Bartens

Betrügen lernen

Roman

Karl Blessing Verlag

1. Auflage

Copyright © 2012 by Karl Blessing Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie, München – Zürich

Satz: Leingärtner, Nabburg

ePub-ISBN 978-3-641-07387-9

www.blessing-verlag.de

Für Dü, Sebi, Alex, Achim, Lennart, Tobi, Peter, Martin, Felix, Uli, Klaus und die anderen

Inhaltsverzeichnis

Im Strudel der Gefühle

Gästeliste

Party machen

Ständig auf Rot

Heiße Liebe

Abgeschieden

Schlechtes Programm

In der Männergruppe

Bauch, Beine, Po

Bunte Reihe

Immer vorbereitet

Harmonischer Energiefluss

Liebe ohne Worte

Der Pferdeflüsterer

Orale Anmache

Du willst es doch auch

Versuchskaninchen

Was ist denn schon dabei?

Dirty Talk

Ohne Orientierung

Ein Schnitt für die Liebe

Unser Lied

Signale an der Bar

Neue Liebe

Rückbildungsgymnastik

Auf Montage

Ein Hauch von Liebe

Letzte Korrekturen

Reibungsverluste

Ein Lied geht um die Welt

Nächtliche Sehnsucht

Ernüchterung

Das letzte Hemd

Pech im Spiel

Verbotene Früchte

Er ist so süß

Ich habe das Licht gesehen

Ungeahnte Nebenwirkungen

Flutschfinger

Liebe geht durch den Magen

Zigaretten holen

Schmusekatze

Warten auf ein Zeichen

Seltene Tiere

Kennen wir uns nicht irgendwoher?

Im Strudel der Gefühle

In langsamen kreisenden Bewegungen massiert mein Zeigefinger die kleine Erhebung. Sie hat in etwa die Größe einer Erbse und ähnelt von der Konsistenz her einer Backpflaume. Dieses runde Etwas ist erst fest, aber dann scheint das Gewebe langsam nachzugeben, wird geschmeidiger und weicher. Kurz darauf fühlt es sich wieder spröde und störrisch an.

Ich streichle von allen Seiten auf diese Erhebung zu, strahlenförmig zum Mittelpunkt – mein fleischgewordenes Karlsruhe. Karlsruhe wird die Fächerstadt genannt, weil alle Straßen der Innenstadt sternförmig auf das Zentrum zuführen wie bei einem Fächer. Das Zentrum, das mich im Moment interessiert, liegt allerdings ganz woanders. Ich habe es gerade ziemlich zärtlich im Griff. Manchmal fasse ich direkt auf den kleinen Hügel, der so unberechenbar ist und mal hart, mal weich, mal elastisch wird und ein kokettes Eigenleben zu führen scheint.

Sie lacht. Wie schön sie ist! Sie lacht erneut, aber die Augen hat sie noch geschlossen. Ich sehe, wie sich ihr Oberkörper langsam rhythmisch auf und ab bewegt. Ihre Bewegungen sind elegant, sogar in dieser wogenden Lage. Die angefeuchteten Haarspitzen liegen in langen dunklen Locken auf ihren Schultern. Sehr entspannt sieht sie aus, wie sie so daliegt. Warm und wohlig muss sie sich gerade fühlen. Ihre hohen Wangenknochen geben ihr einen vornehmen, geradezu feierlichen Ausdruck. Auf ihrem Dekolleté glänzen ein paar Tropfen. Wie sie schimmert, wie sie strahlt!

Jetzt wirft sie den Kopf nach hinten und rekelt sich auf dem Rücken hin und her. Es sieht so aus, als würde sie ein wenig mit den Schultern zucken. Eigentlich ist sie eher ein heller Typ, trotz der dunklen Haare, aber jetzt, in den letzten Strahlen der Abendsonne, glänzt ihr Körper fast bronzefarben. Am Übergang zwischen Schlüsselbein und Brustbein, dort, wo sich unten am Hals ein Grübchen einsenkt, wirkt ihre Haut besonders zart und verletzlich.

Ich konzentriere mich weiter auf die behutsame Massage dieses kleinen runden Etwas, das sich immer wieder dem Zugriff meiner Finger entzieht. Keck bewegt sich das runde Teil hin und her, fast widerspenstig. Es lässt sich nicht richtig fassen, immer noch nicht, vielleicht ist es einfach zu feucht dazu. Ganz vorsichtig will ich schon die Fingernägel zu Hilfe nehmen, aber das wäre zu grob. Ich streichele und massiere beharrlich weiter.

Sie liegt inzwischen wieder etwas ruhiger da. Wie bezaubernd sie ist! Majestätisch hebt und senkt sich ihr Brustkorb mit jedem Atemzug. Erfüllt und zufrieden sieht sie aus. Eine Frau, die nicht mehr auf der Suche ist, sondern angekommen – eins mit sich und der Welt. Sie hat die Augen immer noch geschlossen, genießt die Wärme, das Licht und den lauen Abend. Auf ihren Augenlidern glänzen ein paar Tropfen. Sie lässt sich treiben.

Ich befinde mich mittlerweile ebenfalls in einem dämmrigen Zwischenzustand, tranceartig. Nicht richtig wach, sondern schläfrig – aber dennoch mit geschärften Sinnen. Es ist, als inhaliere ich jeden Reiz. Jede neue Geruchsnuance, jeden leichten Luftzug und erst recht jede Vibration sauge ich ein. Mein Finger ruht für einen Moment auf der runden Erhebung, die ich die ganze Zeit bearbeitet habe. Ich halte inne, ich habe es ja nicht eilig.

Unerwartet bewegt sie sich. Das runde Ding ist auf einmal viel weicher, zarter als bisher und lässt sich plötzlich in alle Richtungen mühelos verschieben. Es ist so weit.

Die dunkelhaarige Schöne bäumt sich auf, ihr Körper bebt. Sie macht den Rücken erst rund, als ob sie sich zusammenkauern wolle, dann überstreckt sie ihren Oberkörper langsam nach hinten. Es durchströmt sie. Sie reißt die Augen auf, dunkelbraun, tief und unergründlich sind sie, mit einem matten Schimmer wie ein frisch geöffnetes Glas Nutella, dessen Inhalt noch unberührt ist. Ich bin unter Spannung, elektrisiert, drücke deutlich fester zu und massiere den runden Punkt, sodass er fast zum wunden Punkt wird und auf und nieder hüpft. Sie kreischt kurz auf, zuckt. Wild sieht sie aus, unbändig und verwegen. Sie lacht. Dann atmet sie tief und ruhig weiter.

Ich schrecke aus meinem tranceartigen Dämmer hoch, und es dauert sehr lange, bis ich die Lage erkenne. Nach und nach klärt sich die Situation: In den Liegemulden im Thermalbecken sind nach einer längeren Phase der Ruhe die Massagedüsen plötzlich wieder angesprungen. Der harte Strahl hat die dunkelhaarige Schöne am anderen Beckenrand, die ich die ganze Zeit beobachtet habe, unsanft aus ihrem bezaubernden Schlummer geweckt.

Und endlich, endlich habe ich es zur gleichen Zeit geschafft, das hartnäckige Hornhautpolster abzulösen, das sich auf dem Hühnerauge an meinem kleinen rechten Zeh gebildet hatte. Es drückt mich schon länger dort. Nirgendwo kann man Hühneraugen besser loswerden als in dem von den Besuchen zahlreicher Kurgäste bereits brackigen Thermalwasser. Es braucht zwar eine gewisse Zeit, bis die verkrusteten Schichten eingeweicht sind, aber dann löst sich die Hornhaut fast von allein ab.

Während die Dunkelhaarige die Sprudelfontänen im Außenbecken des Bades zuvor sichtlich genossen hat, ist sie nun der aufdringlichen Wasserwirbel überdrüssig. Die aufgeschäumten Fluten schütteln ihren Oberkörper noch ein paar Mal heftig durch. Ihre Brüste wogen hin und her und sind der ständigen Bewegung des Wassers ausgeliefert. Zudem sieht es so aus, als ob ihr Bikinioberteil immer weiter von den sprudelnden Luftblasen aufgepumpt werde und gleich zu platzen drohte. Sie hat genug von den Wasserspielen, richtet sich auf, verlässt ihren Stammplatz in der Ruhemulde und watet dem Ausgang zu, der zur Liegewiese führt.

Ich kann sie verstehen und mir vorstellen, wie sie sich gerade fühlt. Obwohl ich ihr die ganze Zeit mit zärtlichem Interesse aus der Ferne zugesehen habe, während ich mit meinem kleinen rechten Zeh beschäftigt gewesen bin, weiß ich um die zwiespältigen Eigenschaften von Massagedüsen in Thermalbädern. Der aufdringliche Strahl aus der Wand kann wunderbar entspannen und verkrampfte Rückenmuskeln lösen oder müde Beine auflockern. Andererseits ist er manchmal in so unvorteilhafter Höhe angebracht, dass er entweder die eben noch eng anliegende Badehose zu grotesken Formationen aufbläht oder man achtgeben muss, keinen Einlauf verpasst zu bekommen.

Ich bleibe noch eine Weile vor meiner Massagedüse stehen und lehne versonnen an der Beckenwand. Ich taste mit dem Zeigefinger das Hühnerauge ab, das jetzt, von der Hornhaut befreit, nicht mehr so unangenehm hervorsticht. Sehnsüchtig schaue ich auf die Liegemulde, in der sie sich eben noch aalte und von den Strömungen des Whirlpools umschmeichelt wurde. Jetzt hat ein Herr, der mehr graue Haare auf den Schultern trägt als auf dem Kopf, ihren Platz eingenommen. Er trägt eine weiß-blau gestreifte Badekappe, den Klassiker, der neben der Blumenblüten-Variante in Beige für Damen als einziges Modell in den Schwimmbädern überlebt hat.

Kurze Zeit später entdecke ich sie wieder. Sie hat sich auf der Liegewiese einen Platz gesucht, der direkt in meiner Blickrichtung liegt. Das kann kein Zufall sein. Es hätte auch woanders geeignete Standorte für ihr Handtuch gegeben. Die Sonne wird zwar bald untergehen, ist aber noch warm genug, um ihre nasse Haut zu trocknen. Sie legt sich so hin, dass ihr Blick auf das Becken gerichtet ist – und auf mich. In dieser Position kann ich sie ausgiebig betrachten, denn sie wird von der Sonne beschienen. Andererseits kann sie mich kaum sehen, denn die letzten Strahlen blenden sie, sobald sie zu mir herübersieht. Was für ein elegant geschwungener Körper. Welche Harmonie. Sie lächelt.

Ich werde sie ansprechen. Jetzt. Ich werde den Bauch einziehen und mit rankem Becken am Beckenrand entlanggehen und mich ihr vorstellen. Oder vielleicht doch besser nachher beim Essen? Ich bin zu allem entschlossen, jetzt, da das lästige Hühnerauge endlich weg ist. Bestimmt ist sie auch geschäftlich unterwegs so wie ich und hat sich in dem Badehotel eingebucht. Allein. Eine Frau wie sie reist sicher allein. Sie ist sich ihrer Ausstrahlung bewusst, sie ist selbstsicher, und vermutlich ist sie aufgeschlossen für Neues.

Vielleicht ist sie auch wegen des Vortrags hier, den ich morgen über »Nähe, Annäherung und Distanz in Primatenverbänden« halten werde. Ich bin ja schon überall angekündigt. Zumindest im Kurhaus und im Hotel hängen die Plakate, auf denen zwei Schimpansen beim ausgelassenen Liebesspiel zu sehen sind. Vereinfacht gesagt, geht es in meinem Vortrag um das Paarungsverhalten von Affen.

Ich male mir aus, wie ich schon heute einen angeregten Abend mit der unbekannten Schönen aus dem Bad verbringen werde. Vielleicht kann ich heute bereits mit ihr gemeinsam essen gehen. Ich könnte ihr Einblicke in mein abwechslungsreiches Vortragsleben geben und etwas über die Balzrituale der Paviane erzählen. Da gibt es eine Menge anregenden Gesprächsstoff. Auf jeden Fall werde ich nachher noch ein wenig mit ihr an der Bar sitzen, mit ihr lachen, mit ihr flirten, ihr näher kommen, ich werde …

Als sich der nicht sehr muskulöse und nicht sehr attraktive Mann mit dem schütteren Haar zu ihr hinunter auf das Badehandtuch beugt und sie küsst, weiß ich, dass es jetzt Zeit ist zu gehen. Ich muss das Wasser verlassen und die Niederlage mit Würde tragen. Meine Hände sind schon ganz schrumpelig geworden, Waschfrauenhände. Außerdem stehen ja überall die mit ärztlicher Autorität gezeichneten Warnschilder, dass man sich nicht länger als 20 Minuten in dem Jodquellenbad aufhalten soll. Weiß der Himmel, was dann passiert.

Erst will ich trotzig in der Thermaltunke ausharren. Sollen sie mich doch irgendwann finden, in Jodwasser gegerbt, verschmäht, aufgeweicht von innen wie von außen. Ich fühle mich ausgebuht. Sollen mich doch die Kurärzte bergen, denke ich. Sie werden schon die richtige Todesursache feststellen. Er ist von uns gegangen im Jod, aber die Liebe hat ihn aus dem Leben gerissen, wird vielleicht ein poetisch veranlagter Gerichtsmediziner sagen, wenn sie mich untersuchen.

Ich scheide dann doch noch nicht aus dem Leben, sondern gehe in das griechisch-römische Dampfbad. Hier beträgt die Sicht weniger als einen halben Meter. Das ist auch besser so. Ich will auf keinen Fall durch den Anblick weiterer wogender Körper abgelenkt werden.

Gästeliste

Clara sitzt am Schreibtisch und beantwortet Mails. Der tägliche Wahnsinn. Seit zwei Stunden geht das jetzt schon so. Die Steuererklärung müsste sie auch noch erledigen, aber das wird heute nichts mehr. Sie hat sich damit abgefunden, dass sie wieder nicht alles schaffen wird, wie so oft. Irgendetwas kommt immer dazwischen. Dafür hat sie sich gerade eine Flasche Rotwein aufgemacht, nachher wird sie noch eine ihrer Lieblings-DVDs einlegen, Notting Hill oder vielleicht auch den Pferdeflüsterer. Die Entscheidung zwischen Hugh Grant und Robert Redford ist nicht leicht zu treffen, aber es gibt schlimmere Schicksale.

Durchatmen und zur Ruhe kommen. Ein bisschen Zeit für sich haben. Kostbar ist das und sehr, sehr selten. Und was macht sie mit dieser Zeit für sich allein – sie sitzt an ihren Mails! Rebecca und Miriam, die beiden fünfjährigen Zwillingstöchter, schlafen bereits. Clara hat ihnen eine Gutenachtgeschichte vorgelesen, mit ihnen gebetet und gekuschelt, den Kuchen für das Sommerfest im Kindergarten morgen Nachmittag hat Clara auch schon gebacken. Es könnte ein schöner Abend werden, wenn dieser Papierkram endlich erledigt wäre. Schluss. Schluss für heute.

Clara hat gerade den Film eingelegt, und Robert Redford beginnt zielsicher seinen verknitterten Charme auszuspielen – sie hat sich doch für den Pferdeflüsterer entschieden. Allmählich lässt sich der Filmheld darauf ein, mit dem nach einem Unfall verschreckten Pferd und dem Mädchen, das es geritten hat, zu arbeiten. Er drängt niemanden, er wartet, bis die anderen so weit sind. Er lässt kommen und gewährt die Zeit, die nötig ist. Was für ein Mann! Robert Redford lächelt nur und schaut, und sein Blick sagt: Ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß, und trotzdem haben wir alle Zeit der Welt und müssen uns zu nichts gezwungen fühlen. Wir haben keine Eile – da klingelt das Telefon.

»Dorothee hier, störe ich?«

Natürlich stört sie, Dorothee stört immer. Andererseits ist sie eine treue Seele, und sie hat ja sonst niemanden, bei dem sie anrufen kann.

»Nein, du weißt doch, dass du jederzeit anrufen kannst«, sagt Clara, und sie fragt sich, ob Dorothee an ihrer leicht erhöhten Tonlage merkt, dass sie schwindelt.

»Es ist wegen des Festes.«

Pause, Pause, Pause.

Dorothee wartet offensichtlich darauf, dass Clara sofort nachfragt, sobald das Stichwort Fest fällt. Clara ist aber viel zu müde, um neugierig zu reagieren. Und nur weil Clara und ihr Mann ihren zehnten Hochzeitstag ein bisschen aufwendiger feiern wollen, muss sie ja nicht gleich in Ekstase geraten, wenn Dorothee über das Fest sprechen will. Dorothee ist mit der Planung des Festes betraut worden, ein Fehler. Sie soll eigentlich die Sketche, Vorführungen und sonstigen Beiträge der Freunde und Bekannten koordinieren. Aber dieses Amt nimmt sie furchtbar ernst, und die Gästekoordination hat sie auch noch übernommen.

»Also ich verrate dir jetzt nicht, was wir schon alles vorbereitet haben«, sagt Dorothee und legt wieder eine bedeutungsschwere Pause ein. »Ihr werdet euch wundern, aber ich sage jetzt nichts. Trotzdem muss ich was Dringendes mit dir besprechen.«

Wieder Pause, Pause, Pause.

Es nervt. Wieder scheint Dorothee darauf zu warten, dass es Clara nicht mehr aushalten kann, die unerhörten Neuigkeiten zu erfahren. Nun komm schon, denkt Clara, und bevor sie sich so gewieft abwartend und geduldig vorkommen kann wie Robert Redford, platzt es von allein aus Dorothee heraus, Clara muss gar nicht nachhaken.

»Du wirst es nicht fassen, aber stell dir nur vor: Klaus kommt nicht mit Tina. Er hat sie sitzen lassen. Einfach so, für eine andere. Von einem Tag auf den anderen.«

»Gut, dass du uns das sagst«, heuchelt Clara.

»Für eine Krankengymnastin. Einfach so. Und mit der will er jetzt kommen! Stell dir das vor.«

So schwer findet Clara die Vorstellung gar nicht, dass Klaus seine Frau sitzen gelassen hat. »Ich konnte mit Tina eh nie so viel anfangen, von mir aus soll er die Neue ruhig mitbringen.«

»Klar, das ist wohl so eine total Durchtrainierte und Schlanke, hat einen Superbody. Ist ja auch kein Wunder bei dem Beruf. Aber dafür gleich alles aufgeben – den Mann, die Familie, einfach alles? Ich fasse es nicht.« Dann macht Dorothee nur eine kurze Pause. »Ich wäre froh, wenn ich einen Mann hätte!«

Clara nickt müde. Sie will sich jetzt nicht mehr auf die Erwägungen von Dorothee einlassen, die seit Jahren chronisch auf der Suche ist und darüber die meisten anderen Dinge im Leben vergessen oder verdrängt hat. Sie will auch nicht mit ihr gemeinsam überlegen, was Klaus an seiner Neuen attraktiv gefunden haben könnte und warum es mit Tina nicht mehr ging und welcher Mann für Dorothee vielleicht doch noch infrage käme, wenn man alle Idioten, alle noch nicht Erwachsenen und alle Triebgesteuerten abzieht, also den Großteil der männlichen Menschheit ausschließt.

»Danke, dass du angerufen hast – uns ist klar, dass es bis kurz vor dem Fest immer noch Absagen geben kann«, sagt Clara.

»Dann sag es bitte auch Alex, hörst du. Ich will euch wenigstens auf dem Laufenden halten. Wo ist der eigentlich?«

»Unterwegs, auf Vortragsreise. Er erzählt mal wieder was über seine Affen.«

Party machen

Nach meinem Vortrag über die Kuschelsucht der Bonobos, ihre Hippiepraktiken der freien Liebe und die sexuellen Hierarchien der Paviane stehe ich noch auf dieser Party herum, und plötzlich ist sie da. Nicht die Frau von gestern Nachmittag aus dem Thermalbecken, sondern: sie. Sie ist sehr, sehr jung. Sehr, sehr melancholisch attraktiv und langhaarig schön. Helles Haar, eng stehende Augen, die intensiv wasserblau leuchten. Es ist schon spät, halb drei Uhr morgens vielleicht. Erstaunlich, was in diesem Kurort abgeht. Eigentlich bin ich sehr, sehr müde und will längst gehen. Ich habe bereits die Jacke geholt und über den Arm gelegt. Ein kurzer Blick, ein Nicken, dann ein langer Blick.

Ich stehe, schaue sie an. Sie schaut. Ich bleibe. Ich will etwas sagen, aber es geht mir wie Obelix, als der zum ersten Mal die wunderschöne Falbala sieht und nur ein paar Krächzlaute und Konsonanten herausbringt. Ich räuspere mich kurz und bin still – aber irgendwie geht es dann doch. Erst holt sie zwei Bier, dann hole ich zwei, dann weiß ich, dass ich später nicht mehr wissen werde, was wir noch alles durcheinandergetrunken haben.

Eigentlich kann ich nicht mehr. Neue Damenbekanntschaften sind mittlerweile vor allem eine Frage der Kondition für mich. Man muss durchhalten, auch wenn man ahnt, was kommt. Dabei müsste ich jetzt nur ein wenig länger ausharren und ihr das unbändige Gefühl der Grenzenlosigkeit geben. Offener Horizont, keine Ziele, keine Verpflichtungen. Einfach nur: zwei Menschen, wir, sonst nichts. Goldstaub im Orbit könnten wir sein, ein Funken nur, aber doch ein kurzes Aufglühen in der Ewigkeit.

Dass in diesem Moment alles egal ist und leicht, müsste sie auch spüren. Ich könnte ihr vorschlagen, dass wir noch in einen Club gehen, im Parkteich mit den Enten um die Wette kraulen oder genauso gut mit dem Cabrio nach Warschau fahren könnten oder gleich zu ihr oder zu mir oder auch bis zum Morgen warten, um dann den goldenen Asphalt der Morgendämmerung zu küssen.

Ihre Freundin fragt mich in diesem Moment, ob ich Feminist bin, was mich an diesem Abend eindeutig überfordert. Die Freundin findet die Gleichberechtigung auf dem richtigen Wege, nur mit der Reproduktion gebe es noch ein ziemliches Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern. Die Freundin verzieht sich zum Glück schnell wieder. Mir geht das Ungleichgewicht mit der Reproduktion durch den Kopf. Da ist was dran. Ich will tänzelnd leicht wirken, unbeschwert und lässig. Schwebend.

Mir tun nur leider die Füße weh. Besonders der kleine Zeh rechts drückt, das ist der mit dem Hühnerauge, an dem eigentlich kein Hühnerauge mehr drücken sollte. Die Schuhe sind zwar sehr elegant und außerdem doppelt genäht, aber eigentlich zu eng für meinen breiten Spann. Wie hatte ich mir diese superteuren englischen Treter gewünscht, deren Seehundleder zuvor in langen Polarnächten von Eskimofrauen weich gekaut worden ist. Die Schuhe sind nicht zu klein, darauf bestehe ich. Schließlich habe ich im Geschäft von der Verkäuferin den Großzehentest machen lassen. Im Stehen hatten die Zehen noch genügend Platz vorn. Aber die Schuhe sind trotzdem eindeutig zu eng.

Vielleicht habe ich auch Wasser in den Beinen? Meine Füße holen mich auf den Boden der Realität zurück.

Plötzlich gebe ich mir keine Mühe mehr, besonders originell, verführerisch, verwegen oder auch nur melancholisch verloren und rettungsbedürftig zu wirken. Das zieht ja bei manchen Frauen, so eine Art James Dean für Arme mit diesem traurigen Blick aus hungrigen Augen, so kühl und cool und neorauchig wie Carl, mein Kollege aus der Gerichtsmedizin, der nicht nur beruflich zum Morbiden neigt. Er sieht immer so aus, dass man ihm sofort einen Rettungsring zuwerfen oder etwas Essbares zustecken möchte.

Ich bin erschöpft und gleichgültig und fühle mich wie Marcello Mastroianni in der Verfilmung von Albert Camus’ Der Fremde. Dem Filmhelden ist alles so was von egal, dass er sogar jemanden umbringt, weil der ihn zu sehr nervt. Ich versuche daher auch gar nicht mehr, einen Schlüsselreiz bei ihr auszulösen, der uns beide hätte ausbrechen lassen können aus dem bürgerlichen Gehäuse unserer Konventionen.

Ich berühre sie ganz, ganz beiläufig am Arm, während ich dem Ausgang zustrebe. In Frauenzeitschriften steht, dass so etwas bei Frauen einen wohligen Schauer und sogar Gänsehaut auslöst. Ich streife sie noch mal ganz leicht und wie zufällig am Unterarm. Ein bisschen Hoffnung ist da noch, dass sie doch mitkommen könnte.

Nichts. Keine Reaktion. Und ich denke bei mir: Wer lässt sich schon vom schweren Duft der Resignation verführen? Ungeduscht, geduzt und ausgebuht fahre ich nach Hause. Das stimmt zwar nicht, und dieser letzte Satz ist auch weitgehend von Max Goldt, aber es ist nun mal arschkalt, und ich komme mir inwendig ungewaschen vor, als ich durch die Nacht zum Hotel stapfe.

Ich bin schon längst nicht mehr der Partylöwe, der ich auch früher nie gewesen war. Ich habe auch keine Lust auf schnellen Sex nach Besuchen in zugigen Clubkellern, in denen ein paar Bierkisten die einzige Möblierung darstellen und eher als Statement denn als Sitzgelegenheit zu verstehen sind. Das endet nur mit einer Blasenentzündung. Mir ist auch nicht nach gepiercten Lippen und nicht nach Intimrasuren. Diese genitalen Brötchen finde ich abstoßend. Mir ist nicht nach schnellen Nummern und nicht nach ebenso aussichtslosem wie abgeklärtem Hauptstadt-Blues. Ich will keine jungen Dinger aufreißen, die ewig frieren und sich trotzdem immer zu dünn anziehen und später irgendwas mit Medien machen wollen.

Ich bin keine 20 mehr, und weder Charlotte Roches Intimliteratur noch dieses zu Recht in der Versenkung verschwundene Buch über den geklonten nachtaktiven mexikanischen Schwanzlurch, der nicht erwachsen werden kann, treffen meine Stimmung. Das Bild von dem Schwanzlurch ist ja ganz hübsch, aber muss es immer dieses desillusioniert Düstere sein, dieses weltenschwer und früh Vergreiste? Muss man immer in inniger Zuneigung aneinander verzweifeln? Dieses Unbehauste ist mir zuwider. Ich mag lieber kuscheln. Ich weiß auch genau, mit wem. Ich will nur etwas von Clara, meiner Frau.

Ständig auf Rot

Mit der Ehe von Alex und Clara ist das so: Die beiden sind nur noch selten miteinander intim. So würde er das bezeichnen, wobei er nicht oft darüber redet. Ihm ist das viel zu wenig, er fühlt sich permanent auf Entzug. Dabei will er gar nicht täglich. Einmal in der Woche, manchmal vielleicht zweimal, das würde ihm ja schon reichen.

Sie haben ausreichend Sex, wäre hingegen ihre Einschätzung. Jedenfalls so, wie sie Sex haben. Ihr sind andere Dinge viel wichtiger. Gemeinsame Interessen und Pläne. Unternehmungen, die sie zusammen machen. Zärtlichkeit und Nähe spüren, klar, aber es muss nicht immer Sex sein. Einfach mal am Nacken gestreichelt werden, ohne weitere Verwicklungen. Auch geistige Nähe und Vertrautheit können unglaublich stimulierend sein, und das muss überhaupt nichts mit Erotik zu tun haben.

Für ihn ist es nicht nur – aber auch – eine Frage der Quantität und vor allem der Regelmäßigkeit. Für sie ist hingegen vor allem die Qualität entscheidend.

Als beide noch kinderlos waren, hat Alex mal eine Harald-Schmidt-Sendung gesehen, in der Dirty Harry über Paare mit Kindern lästerte. Seine Gagschreiber hatten ihm einen Witz vorgefertigt, den Alex damals noch nicht kapierte, jetzt aber umso besser versteht. »Sex nach der Geburt, das normalisiert sich wieder«, sagte Harald Schmidt damals. »So etwa nach vier (Pause, Pause, Pause) – so etwa nach vier Jahren.« Heute wäre Alex sogar froh, wenn es fünf Jahre nach der Geburt von Miriam und Rebecca im Bett wieder normal laufen würde.

Einig sind sich Alex und Clara beim Thema Sex eigentlich nur darüber, dass in den Lifestylemagazinen, die sie gelegentlich kaufen, um sich ihrer Gerade-noch-Jugendhaftigkeit zu versichern, nicht so viel über Sex in der Schwangerschaft geschrieben werden sollte. Und auch nicht so viel über Sex in der ersten Zeit nach der Schwangerschaft, beispielsweise während sie noch stillt. Immer wieder protzen diese Hefte mit Enthüllungen darüber, dass auch nach der Geburt der Kinder das Liebesleben prickelnd und aufregend wie am ersten Tag sein kann. Das sei Quatsch, finden Alex und Clara, aber die Sehnsucht danach war offenbar ein unstillbarer Kaufanreiz.

Alex und Clara mögen sich immer noch, das schon, aber nach fast zehn Jahren ist ihre Ehe langsam verwittert. Das Feuer füreinander ist ein wenig erloschen. Manchmal ist nicht mal mehr Glut da, nur noch kalte Asche. Dabei mag er sie offenbar sehr. Er glaubt sogar, dass er sie liebt. Sie glaubt das auch, aber die Routine, in der ihre Beziehung erstarrt ist, lässt sie verzweifeln und sich voneinander abwenden. Und ohne diese innere Leidenschaft will sie nun mal nicht mit ihm ins Bett gehen.

Er denkt hingegen: Diese Leidenschaft ergibt sich schon. Appetit kommt beim Essen. Ihr kommt das Kotzen bei dem Gedanken, dass er will, sie aber nicht, und dass sie es trotzdem ihm zuliebe über sich ergehen lassen würde.

Früher haben Mädchen rote Balken in ihre Kalender gemalt, wenn sie ihre Tage hatten oder sie erwarteten. Alex hat lange Jahre in seinem Computer einen Kalender geführt, in den er eintrug, wenn er rudern ging, Tennis spielte oder anderweitig Sport trieb. Jetzt hat er so einen aufwendigen Business-Timer, dick wie die Bibel und mit tausend Extrafunktionen, die er alle nicht versteht und nicht braucht. Er schreibt gar nichts rein, weil er sich seine wenigen Termine für Vorträge und Reisen auch so merken kann.

Aber manchmal steht doch etwas drin. Er hat angefangen, sich zu notieren, wann er und Clara Sex hatten. So verwegen, es aufzuschreiben, wann er es erhofft, ist er noch nicht. Erst hat er rote Striche gemacht, aber das sind ja nicht seine Tage, über die er hier Buch führt. Inzwischen verwendet er einen Kugelschreiber, aber er ist immer noch unschlüssig, welche die richtige Farbe für die Einträge ist, die er alle zwei Monate in seinen Kalender macht.

Vielleicht liegt es einfach an Claras Beruf. »Schwänze, Schwänze, Schwänze, ich kann keine Schwänze mehr sehen«, sagt sie immer wieder entnervt. Sie ist Urologin. Da sieht sie jeden Tag Männer und ihre Leiden mit ihrem besten Stück: Impotenz, Angst vor Schmerzen beim Pieseln und vor allem Erektionsstörungen: Es klappt zu wenig, zu selten, gar nicht mehr, nicht dauerhaft genug, und ganz gelegentlich gibt es auch mal Männer mit zu langen Erektionen. Alles hat sie schon gesehen, sogar diese wirklich seltenen Bindegewebsveränderungen mit Schiefstand.

Immer ist die drohende Erschlaffung untenrum das Schlimmste, was den Männern passieren kann. Schlaganfall, Herzinfarkt, Bandscheibenvorfall, Burn-out, ja manchmal sogar Krebs stecken sie irgendwie schon weg – aber wenn sie eine Erektionsstörung haben, droht gleich der Weltuntergang. Männer scheinen ihre Existenzberechtigung vor allem darin zu sehen, einen hochzukriegen, vermutet Clara mittlerweile. Dabei gibt es doch noch andere Ziele im Leben, und zumeist liegen die Gründe auch viel tiefer, wenn es im Bett nicht klappt.

Kürzlich war Clara auf einer Tagung der Urologen in Bad Boll. Ihr Kollege Dr. Hagemann hat dort einen ziemlich enttäuschenden Vortrag gehalten mit dem Titel »Der Penis – Probleme und Perspektiven«, in dem er allzu viele Fragen offenließ und sich viel zu sehr auf das Medizinische konzentrierte, statt die überschätzte Rolle des Penis in der Partnerschaft zu thematisieren. Ausgerechnet Hagemann, früher mal die Hoffnung der Branche. Besser hat ihr da schon die abwägende Präsentation gefallen, die Wulf Dietrichsen über »Chancen und Risiken der Intimität in Zeiten fortwährender Verfügbarkeit« gehalten hat. Aber richtig neu ist auch das für sie nicht gewesen.

Aber kann die berufliche Beschäftigung mit dem männlichen Genital tatsächlich eine Erklärung sein für Claras chronische Distanz und Lustlosigkeit? Hat ihr erloschenes Interesse damit zu tun? Auch Alex hat ja beruflich fast nur mit dem Miteinander von Männlein und Weiblein zu tun. Er ist Verhaltensforscher, Soziobiologe nennt er sich, und er betont gern das Soziale, das Miteinander beim Sex. In seinem Institut für Evolutionspsychologie ist er der Experte, der die verschiedensten Tiere in ihrem Beziehungs- und Paarungsverhalten beobachtet. Flirt, Bindung, Kopulation – das ganze Programm. Monogam, polygam, er kennt alle Spielarten. Besonders fasziniert es ihn, wenn manche Tiere ihr Leben lang einem Partner treu bleiben, Präriewühlmäuse beispielsweise – während ihre promisken Kollegen, die Bergwühlmäuse, es munter durcheinander treiben. Sind viele Frauen im Publikum, betont Alex in seinen Vorträgen die Treue im Tierreich besonders und stellt sie als Erfolgsprinzip der Evolution dar. Er will sich das nur ungern eingestehen, aber wahrscheinlich machen diese romantischen Schlussfolgerungen seine Auftritte so erfolgreich.

Und Alex kommt rum, das muss man schon sagen. Er hat im südlichen Alaska bei 20 Grad unter null den Rauhäutigen Gelbbauchmolch erforscht. Dieser Schwanzlurch produziert in seiner Haut ein starkes Gift. Bei der Paarung umklammert das Männchen das Weibchen im Wasser von oben mit den Beinen. Ihr kann das Gift aber nichts anhaben, und Feinde haben die beiden Liebenden in dieser Lage auch nicht zu befürchten. Einen besseren Schutz vor ungebetenen Gästen beim Liebesakt kann man sich kaum vorstellen. Wer die beiden Gelbbauchmolche angreift, der verendet. Kann die Nähe von Eros und Tod raffinierter aufgeführt werden?

Im thailändischen Regenwald hat Alex die Zeit gemessen, die das Orang-Utan-Männchen nach dem Geschlechtsverkehr noch bei der Partnerin verweilt, bis es sich ausführlich dem Stuhlgang zuwendet. Was dem Menschen die Zigarette danach, ist dem Orang-Utan anscheinend die Defäkation. Den Fachartikel, in dem er die auf die Sekunde genau dokumentierten 137 Affenkopulationen und die anschließenden Entleerungen ausgewertet hat, konnte er ziemlich hochrangig publizieren.

Aber auch für viele Menschenrituale interessiert sich Alex bei seinen Forschungen. Kaum einer seiner Kollegen kann eine so stattliche Sammlung von Bambusrohren sein Eigen nennen, mit denen die eingeborenen Völker der indonesischen Inselgruppen ihren Penis schützen, wenn sie auf die Jagd gehen. Alex beschäftigt sich also ebenfalls beruflich viel mit sexuellen Gepflogenheiten, aber ihm verleidet das nicht die Lust, im Gegenteil. Er denkt ständig an Clara und ihren auch nach fast zehn Ehejahren noch immer begehrenswerten Körper.

Schließlich ist Alex kein Bärtierchen, keine Sechsstreifen-Rennechse und auch keine Strumpfbandnatter. Diese Tiere gelten als asexuell, sie pflanzen sich für sich und mit sich selbst fort und brauchen dazu keinen Partner. Truthähne können das angeblich auch, allein und selbstgenügsam.

Alex will sich auch nicht die Südlichen See-Elefanten zum Vorbild nehmen, die er vor Jahren mal erforscht hat. Die kommen nur einmal im Jahr an Land, um sich zu paaren. Es gibt traditionelle Strandabschnitte, an denen sich Hunderte erwachsene Männchen und Weibchen treffen, allerdings müssen sich die See-Elefanten erst mal bekämpfen, um die Rangfolge auszumachen, in der sie die Weibchen anschließend begatten dürfen. Wer sich dann als Chef der See-Elefanten herausstellt, ist der Strandmeister, und der hat das Vorrecht. Er kann dann so viele Weibchen hintereinander beglücken, wie er mag und solange seine Ausdauer reicht.