Krallen rein! - Oliver Uschmann - E-Book

Krallen rein! E-Book

Oliver Uschmann

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Beschreibung

»Krallen rein« ist ein Plädoyer für die Katz ohne Kompromisse. Ein Buch, in dem Katzenfreunde erfahren, wie es sich als Eigentum einer Katermeute so lebt, was die frisch eingeritzten Hieroglyphen in den Möbeln bedeuten und wie die Katzen schon auf der Kairoer Konferenz vor 30.000 Jahren ihre Herrschaft über die Menschheit planten. Außerdem übersetzen die Autoren salbungsvolle Sprüche aus Katzenkalendern in die Wahrheit, verraten, wieso kraftvolles Kacken ein Liebesbeweis ist und offenbaren, warum man nach der Bestrahlung der Katzenschilddrüse wochenlang nuklear verseuchte Streu in einem Strahlenfass sammeln muss.

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Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

ISBN 978-3-492-97386-1

März 2016

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Gladkova Svetlana, shutterstock.com

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.

Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Vorwort oder eine Warnung

Wenn eine Katze in Ihr Leben tritt, ändert sich alles. Sie betreten eine neue Welt. Eine Welt ohne Schlaf. Eine Welt ohne Ruhe. Eine Welt voller ungeahnter Sorgen. Eine Welt schillernder Horizonte.

Sie werden ganz neue Gerüche kennenlernen, für die Sie nicht einmal einen Namen haben, und ganz neue Geräusche, die Sie aufschrecken lassen, tief in der Nacht, wenn das Rätseln beginnt: War dies nun ein Einbrecher, der die Terrassentür ausgehebelt hat, oder doch eher der Kater, der die größte Zimmerpalme des Hauses in ihrem schweren Topf zu Fall brachte? Glas wird splittern. Keramik wird bersten. Regale werden fallen.

Sie werden lernen, dass der Mensch jedes Obst mit Schale essen, die Katze dafür Sofas schälen kann. Wie ein Ingenieur werden Sie begreifen, dass alles, was Sie umgibt, aus Einzelteilen besteht, denn die Katze wird sie eines Tages gut sortiert vor Ihnen ausbreiten. Falls Ordnung, Sauberkeit, Ruhe oder andere spießige Werte Ihren Geist jemals eingeengt haben: Jubilieren Sie – Ihre Katze wird Sie davon befreien!

Auf der Suche nach dem verschwundenen Tier werden Sie lernen, die Landschaft oder die Stadt, die Ihr Heim umgibt, mit ganz anderen Augen zu sehen. In den Möbeln und an den Wänden finden Sie Hieroglyphen vor. Kunstvoll eingeritzte Bande in die Vergangenheit. Ehrerbietungen der Haustiger an ihre alten ägyptischen Göttinnen. Selbst Ihre Träume werden sich verändern. Mit geweiteten Augen rasen Sie in der Nacht durch dunkle Kammern und verwinkelte Schluchten, immer dem Tier hinterher, das Sie längst im Griff hat. Am Tage verwandelt sich Ihre Sprache in ein einziges Drama aus Wort und Klang. Entweder geben Sie nur noch Befehle aus wie ein längst von Rekruten entmachteter Obergefreiter, oder Sie verfallen in fanatisches Fauchen, schluchzendes Schnurren oder kieksendes Kauderwelsch. Kein Mensch, der nicht selber ein paar Katzen gehört, wird Sie noch länger verstehen. Niemand, dessen Haut von Kratzern frei und dessen Seele von diesen Geschöpfen unberührt ist, wird mit Ihnen Ihr Leben teilen.

Wenn die Katze Sie findet, dann war’s das.

Wenn die Katze Sie findet, beginnt ein neuer Akt Ihres Lebens.

Falls Sie wie wir bereits lange mit Katzen leben, finden Sie sich in diesen Geschichten wieder – und schenken dieses Buch jedem, der noch ernsthaft glaubt, was in den Katzenkalendern steht.

Falls Sie noch unerfahren sind und mit dem Gedanken spielen, sich für einen Mitbewohner dieser Spezies zu öffnen – vergessen Sie das Image der Katze als ruhigen, zum Pelztier gewordenen Buddhisten und lesen Sie auf den folgenden Seiten die unzensierte Wahrheit.

Es ist im Übrigen ein Wunder, dass dieses Buch pünktlich in den Läden liegt. Denn drei Tage bevor wir das fertige Manuskript an den Verlag schicken wollten, war es plötzlich weg. So, wie alles weg war. Der Kater lag auf der Tastatur und sah uns an, als sage er: »Was muss ich da alles über mich lesen? Habe ich das autorisiert?« Mit einer einzigen Schrittfolge seiner Pfoten hatte er sämtliche Dateiversionen zunichtegemacht. Da wir täglich speichern, müssen es im Laufe der Arbeit über 125 Stück gewesen sein. Panisch klickten wir uns durch die Ordner. Wir wussten, dass Katzen fähig sind, die Strukturen zu verschieben und digitale Kisten unentwirrbar ineinander zu verschachteln. Gerade kam uns eine Idee, wohin der Ordner »Krallen rein!« gelangt sein könnte, da rannte der Kater erneut über das Keyboard. Was aussah wie wilde Willkür, war in Wirklichkeit die zerstörerischste Tastenkombination der EDV-Geschichte. Der Bildschirm wurde erst schwarz, dann blau, dann gab es einen Blitz. Schließlich erschien ein kleines Fenster in der Mitte. Ein Fehlercode. Niemand konnte ihn identifizieren. Nicht die IT aus dem Dorf. Nicht die IT im Verlag. Selbst der gütige, gratis gewährte Blick, den ein Experte der NSA auf den Rechner warf, brachte den Zugriff nicht zurück. Sollten Sie noch jung sein, Informatik studieren, in fünf oder zehn Jahren für die berühmte amerikanische Behörde arbeiten und dort im Büro vom legendären Cat Shutdown des Jahres 2015 hören ... jetzt wissen Sie, was damit gemeint ist.

Als wir, erfüllt von großer Müdigkeit und Ermattung, ganz unten angekommen waren, vor uns Tage und Wochen einer handschriftlichen Rekonstruktion des Geschriebenen aus dem Gedächtnis, bei der wir jeden Abend die Blätter im Tresor vor den Katzen in Sicherheit zu bringen gedachten, da betraten wir das Büro und fanden den Rechner eingeschaltet vor. Auf dem Bildschirm, glänzend weiß und geöffnet: die Datei mit dem Manuskript.

Der Kater saß daneben.

Wortlos meinte er: »So. Und das nächste Mal setzt man mich vorher in Kenntnis ...«

Die aktiven Helden dieses Buches sind vier der siebzehn Katzen, mit denen wir insgesamt bislang unsere Leben teilten: Gobi (), Tenhi (), Krischiperry () und Gandhi (). Die Geschichten beginnen vor zehn Jahren, als wir mit Gobi das Haus im Münsterland bezogen. Wie im echten Leben stehen die Katzen mal gemeinsam auf der Bühne, mal treten sie ab, weil ihre Zeit gekommen ist. Kater Tom zum Beispiel, der viel zu kurz bei uns lebte, findet sich nur im Nachwort wieder. Einige der Katzen, die uns vor dieser Zeit gefunden hatten, finden in der Erinnerung Erwähnung. Keine war wie die andere, denn sämtliche Katzen auf dem Erdenrund haben ihren eigenen Charakter. Einiges aber teilen sie dann doch.

Die Kenntnis der Mathematik, um den richtigen Ansprungswinkel zu errechnen, bei dem das Regal garantiert umfällt.Die Kenntnis der Psychologie von Machiavelli bis Adler, um dem Menschen stets das Gefühl zu geben, er wäre von selbst auf die vollständige Erfüllung ihrer Wünsche gekommen.Und schließlich ... die unbedingte Loyalität, sobald man sich ihrer nach langen Lernprozessen als würdig erwiesen hat.

Seien Sie vorbereitet.

»Die Menschheit lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen: in Katzenliebhaber und in vom Leben Benachteiligte.«

(Francesco Petrarca)

Heißt auf Deutsch:

Die Katze stählt den Menschen. Unerbittlich. Die Fremdenlegion ist ein Kindergeburtstag dagegen. Ein Tortenback-Seminar für Marzipandoppeldecker mit rosa Zuckerglasur. Wer mit Katzen lebt, wird zum Athleten der Geduld und übt sich in Strategien, mit denen sich Weltkonzerne leiten und Imperien errichten lassen. Ohne Erbarmen rammt die Katze mit ihrem flauschigen Dickschädel Löcher in den Wall aus Bequemlichkeit, den man sich vor ihrer Existenz errichtet hat. Zuverlässig fegt das Training, das sie einem zukommen lässt, sämtliche »Benachteiligungen« hinweg. Mangelnde Disziplin, ein unsteter Geist und das eingebildete Bedürfnis, in einem intakten Gebäude länger als zwei Stunden durchschlafen zu müssen, weichen unter dem Kommando der Katze den Fähigkeiten wahrer Sieger. Wo Wille auf Wille trifft, entdeckt man sich selbst zum ersten Mal im Leben. Als vierbeiniger Bildhauer des Daseins fährt die Katze erst dann ihre Krallen wieder ein, wenn sie aus dem rohen Block Mensch, den sie sich erwählt hat, den Helden herausschälte, der allem und jedem trotzen kann.

Der Einzug oder wer hat mich eigentlich gefragt?

Die Katze mag ihre Heimat. Umziehen ist für sie ein großer Graus, weil sie sich fortan an ein neues Haus, einen neuen Garten, neue Nachbarn und vollständig neue Verhältnisse von Höhen, Tiefen, Ecken und Winkeln zu gewöhnen hat. Und vor allem: Weil sie niemand vorher gefragt hat. Deswegen straft sie die Menschen ausdauernd mit meisterlichen Mitteln massiver Schuldgefühlserzeugung. Wenn sie sich sehen lässt. Und erst recht, wenn nicht ...

»Gobi?«

»Gobi!«

»Goooooooobiiiiiii??!!«

Seit einer Stunde laufen wir durch unser neues Haus und suchen die Katze. Gobi versteckt sich mal wieder. Aus Protest. Sie will, dass wir uns Sorgen machen. Sie will, dass wir alles Fürchterliche für denkbar halten. Dass sie irgendwo feststeckt im noch nicht ganz fertig eingerichteten Haus, irgendwo zwischen einem Brett und einem Stück Wand, und vor lauter Entkräftung nicht mal mehr miauen kann. Oder dass sie rausgelaufen ist in die noch vollkommen neue Umgebung und längst fünf Kilometer nordöstlich des Dorfes am Rande der A1 hinter der Planke steht und sich überlegt, ob man als Katze auf einen 100 km/h schnellen Laster aufspringen kann, der einen zurück nach Düsseldorf bringt. Krallen raus, Anlauf und zack in die Plane hängen, als pelzige Heckfigur. So etwas sollen wir uns innerlich vorstellen, wenn wir sie nicht finden, und Gobi weiß – so etwas stellen wir uns tatsächlich vor. Wir sind Katzenmenschen und Schriftsteller. Das heißt, wir vereinen eine hohe Panikrate und ausufernde Phantasie. Perfekte Voraussetzungen für eine beleidigte Katze, ihre Menschen zur Strafe für den Umzug in den Wahnsinn zu treiben.

»Gobi!«

»Goooooooobiiiiiii??!!«

»Im Keller warst du schon?«

»Drei Mal.«

»Garten?«

»Ich habe heute Morgen noch nicht einmal die Tür aufgemacht.«

Sylvia seufzt.

Sylvia rechnet.

Sylvia legt den Finger ans Kinn.

»So, wie es momentan hier aussieht, hat Gobi rund 374 Möglichkeiten, sich in dem Durcheinander zu verstecken.«

Das ist nicht einfach so dahergesagt mit den 374 Optionen. Nicht so, wie wenn einer anmerkt: Ich habe dir schon 1000 Mal gesagt, dass ... Wenn Sylvia eine Zahl äußert, ist sie wörtlich zu nehmen. Die Prozessorgeschwindigkeit ihres Gehirns ist um ein Vielfaches höher als meine. Unter ihren Fähigkeiten hat sie eine ganz besonders stark ausgeprägt: das räumliche Denken. Aufgaben, in denen man zum Beispiel im Geiste einen Würfel drehen und dann sagen muss, wie er schließlich zum Liegen kommt, erledigt sie in wenigen Sekunden. Technische Zeichnungen sind für sie wie Gemälde, auf denen man das vollständige Gebilde lediglich selber im Kopf verfertigen muss. Die Terrakotta-Armee würde sie als Faltvorlage erkennen. Wenn sie also die Räume unseres neuen Hauses abscannt, die noch deckenhoch mit Kartons, Werkzeug und zerlegten Möbeln vollstehen, ist es tatsächlich so, dass Gobi rund 374 Möglichkeiten hat, sich zu verstecken. Ich frage mich, wie viele dieser Nischen wir schon abgearbeitet haben. Achtzig? Hundert? Hundertzwei?

»Goooooooobiiiiiii??!!«

Gobi ist übrigens auch hochbegabt. Man sieht es der Katze an, es liegt in ihrem Blick. Was hinter diesen Augen in dem putzigen, vollen, getigerten Europäisch-Kurzhaar-Kopf vor sich geht, ist von äußerster Komplexität und langfristiger Planung. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Gobi von den 374 Möglichkeiten weiß, uns beim Suchen beobachtet und gerade ganz gemütlich mitzählt. 89, 90, 91 ... je nachdem, wie sauer sie heute ist, wird sie uns bei vielleicht dreihundert aufgedeckten Verstecken erlösen. Oder in ein anderes umziehen, das wir bereits abgesucht hatten. Wir hätten ihr den Umzug schonender beibringen müssen.

DIE MACHT DER GEWOHNHEIT
Katzen lieben ihre gewohnte Umgebung. Die Betonung liegt auf gewohnt. Sie teilen dieses Anhaften ans Vertraute mit Erwachsenen, die sich irgendwann in einem Leben eingerichtet haben und daran nichts mehr ändern wollen. Da sie die Welt zusätzlich ein wenig magischer wahrnehmen, teilen sie diesen Hang aber vor allem mit Kindern, denen man ungefragt zumutet, einen geliebten Ort aufzugeben. Bei sensiblen Zehnjährigen etwa, die später im Leben beruflich Bücher schreiben, reicht es sogar schon, wenn lediglich gute Freunde der Eltern die Wohnung wechseln. Hat der Zehnjährige seine ganze bisherige Kindheit regelmäßig bei ihnen zu Besuch verbracht, ist ihm alles darin zu einem gewohnten Teilzeit-Zuhause geworden. Das Wohnzimmer mit den Samtteppichen und den feinen Fransen am unteren Rand der Sessel. Die Sofas, auf denen die Erwachsenen immer Dallas schauten, sich über J. R. Ewing aufregten und dabei genau wie er goldbraunes Zeug aus Bleikristallgläsern tranken. Der schmale Flur mit der Bibliothek. Die schweren Vorhänge, hinter denen man sich verstecken konnte. Jeder Winkel, jede kleinste Ecke wächst dem Kind ans Herz, so wie es auch jeden Garten als Märchenwald empfindet. Für das Kind ist wie für die Katze alles groß, geräumig und geheimnisvoll. Katze und Kind kriechen in Wandschränke und Truhen. Sie können den Geruch jeder Sofafaser unterscheiden. Und dann? Umzug! Der Zehnjährige ist entsetzt. Schockiert. Persönlich beleidigt. Selbst bei einer Wohnung, die nur einen Außenposten seiner Welt darstellte.
Die Auflösung ihres eigenen, angestammten Reviers empfindet die Katze erst recht als bodenlose Frechheit. Es fühlt sich in dem kleinen Köpfchen an wie ein erzwungener und unerwarteter Rauswurf aufgrund plötzlichen »Eigenbedarfs«. Oder wie eine Umsiedlung, wenn ein böser Konzern einen Staudamm bauen will und das ganze Tal überflutet. Im Normalfall kommen dann Steven Seagal oder Arnold Schwarzenegger vorbei und retten die Heimat. Aber wo sind die, wenn man sie mal braucht, als Kind oder als Katze?

Auf der Fahrt von Düsseldorf nach Herbern verhielt sich Gobi in der Transportbox auf dem Beifahrersitz ruhig. Kein Knatschen. Kein Klagen. Dafür aber: Spannung in der Luft. Katzen beherrschen das vorwurfsvolle Schweigen besser als Schwiegermütter. Sie haben eine telepathische Verbindung zu ihren Menschen und können über diesen Kanal nicht nur empfangen, sondern auch senden. Es gibt hundert verschiedene Facetten lautloser Kommunikation, die möglich sind, wenn eine Katze nur so daliegt. Das gleiche Liegen kann im Inneren des Menschen auf magische Weise gelassenen Frieden oder größte Unruhe erzeugen. Empfindet der Mensch Frieden, liegt es daran, dass die Katze ein wohliges, gnadenvolles »Alles ist okay!« über den Telepathie-Kanal sendet. Empfindet der Mensch Unruhe, liegt es daran, dass die Katze ein giftiges, vorwurfsvolles »Du bist schuldig!« auf den Weg bringt.

Im Münsterland angekommen, durchschritt Gobi das neue Haus mit arrogantem Blick und zur Schau gestelltem Widerwillen. Nur ihr hoch aufgestellter, aber nicht aufgeplusterter Schwanz verriet, dass sie in Wahrheit hoch erregt und voller Vorfreude war. Sie erkannte natürlich in Sekunden, dass sich ihr Revier verdoppelt hatte. Verdreifacht, wenn man den Garten mitrechnet. Ein Garten, in dem sich sogar ein Teich befindet. Schwanz und Gesichtsausdruck drifteten bei der Erstbegehung der neuen Heimat kolossal auseinander. Wie der Mensch verrät sich auch die Katze durch ihre Körpersprache, solange sie noch nicht ausreichend viele Kurse über Body Language bei international renommierten Dozenten belegt hat. Doch selbst dann kann es ihr passieren, dass der Schwanz wider besseren Wissens und Trainings trotzdem eigenständig macht, was er will.

Seit dieser Erstbegehung hat Gobi sich noch nicht dazu herablassen können, ihre Freude über die maßlose Größe der neuen Umgebung offen zu zeigen. Sie nutzt die räumlichen Möglichkeiten lieber aus, um unsere Abbitte noch ein wenig in die Länge zu ziehen.

»Goooooooobiiiiiii??!!«

Ich rufe immer verzweifelter. Zeige Schwäche.

Sylvia versucht es mit gutem Zureden: »Liebes, bitte. Wir haben es ja verstanden. Oliver arbeitet ab sofort auch schneller, um mit mir endlich alle Möbel aufzubauen.«

Sylvias Argumente sind gut. Und natürlich verstehen Katzen jedes Wort. Sie tun nur so, als wären sie unseres Vokabulars nicht mächtig, um sich vor einer Menge Arbeit und Verantwortung drücken zu können. Wie Männer. Wie Büroangestellte. Wie Politiker oder Teenager. Antworten können sie in unserer Sprache natürlich nicht geben, und würden sie es versuchen, verstünde man nicht, was sie eigentlich gerade sagen wollen. Wie bei Männern. Bei Büroangestellten. Bei Politikern oder Teenagern. Wo immer Gobi gerade sitzt – sie hört ganz genau, was Sylvia ihr verspricht.

»Gobi, Schatz. Wir machen heute noch die Schreibtische fertig! Versprochen!«

Ein gutes Versprechen.

Als Mensch mit Katzen muss man nach dem Einzug bei der Frage, welche Möbel man zuerst aufstellt, andere Kriterien anwenden. Ein Single-Mann ohne Katzen würde nach einem Umzug als Allererstes seine Medienecke errichten. Stereoanlage, Flachbildfernseher, Subwoofer, Videospielkonsole und das Sofa. Eine Single-Frau ohne Katzen begänne in aller Ruhe Karton für Karton und würde nach dem Aufbauen der ersten Möbel in Raum X bereits passende Bilder aufhängen. Ein Ehepaar kümmert sich als Erstes um die Küche und um das Bett. Menschen mit Katzen hingegen müssen – ganz egal, ob Single oder Paar – zuallererst die Möbelstücke aufbauen, auf denen die Katze am liebsten liegt. Zum Beispiel den Schreibtisch mit den schnaufenden Laptops, aus deren Lüftungen immer so schöne warme Luft rauskommt.

»Ich hole auch Poularde!«, trage ich nun zu Sylvias Bestechungsversuchen bei. Das ist eine von Gobis Lieblingssorten aus der Produktreihe von Sheba. Geschnetzeltes mit Poularde in feiner Soße. Darauf steht sie so, wie wir Menschen auf Currywurst stehen. Oder auf Gyros überbacken. Es ist okay, und man kann es essen, aber wirklich gut sind ganz andere Sorten. Tüten und Dosen mit reinem Fleisch, nahezu ohne Zusätze, Nebenerzeugnisse oder diesen ganzen unsinnigen Füllstoff aus Getreide, mit dem manche Hersteller werben, um die Müsli-Synapsen der Menschen anzuregen. Als ob Katzen selber Getreide bräuchten. Was machen sie denn in freier Wildbahn im Weizenfeld? Jagen sie zwischen den Ähren die Mäuse, oder knabbern sie die Körner aus den Fruchtständen? Gut, vielleicht hat die ein oder andere Maus an einer Ähre geknabbert, und ihr Mageninhalt füllt daraufhin automatisch auch den Magen der Katze, die sich denkt: »Warum nur war diese Maus besonders schmackhaft?« Vielleicht stellen sich die Futterhersteller das so vor. Damit die Katze den Getreideanteil im Futter verdauen kann, sollte er dann allerdings doch besser aus Mausmagensäure statt aus ganzen Ähren bestehen.

Ein kaum hörbares Geräusch huscht für eine Tausendstelsekunde durch die Luft. War es oben? War es unten? War es Einbildung? Man weiß es nicht. Sylvias Ohr jedenfalls tanzt unter den roten Haaren auf und ab.

»Hast du das gehört???«

Ich nicke zaghaft.

Sylvia fragt: »Wo? Wo? Wo?«

Ich zucke mit den Schultern.

»Männer! Ich denke, ihr seid Jäger und geschult im Häuserkampf? Da müsst ihr doch Richtungen raushören können!«

Ich seufze. Gejagt habe ich in meiner Kindheit nicht einmal die Spinnen in der Wohnung. Immer wenn eine auftauchte, zerrte meine Mutter mich hinter sich, um mir Deckung vor der Bestie zu garantieren. Währenddessen schoss mein Vater den Achtbeiner aus der Distanz mit einer Badeschlappe von der Wand. Und was den Häuserkampf angeht, verhielt es sich in meiner Erziehung wie mit jedem anderen Kampf auch: Ich ging ihm aus dem Weg und folgte Mutters Credo, mich in keinem Fall »auf das Niveau der Schläger hinab zu begeben«. Im Ergebnis begab ich mich also – falls die Flucht vor Stefan, Kevin und Dominik auf dem Schulweg nicht gelang – statt auf deren Niveau lieber auf den Asphalt vor ihren Füßen hinab und fühlte mich unter ihren Tritten angenehm intellektuell überlegen.

Das Geräusch hallt erneut durch unsere neuen vier Wände. Es war also kein Versehen von Gobi. Sie will, dass wir sie finden, da sie unsere Angebote von eben akzeptiert hat. Leicht macht sie es uns deswegen trotzdem nicht.

»Da!«

Sylvia hebt den Finger.

»Unten«, rate ich ins Blaue.

»Gibt’s hier irgendwo noch einen Hohlraum?«, fragt Sylvia.

Das ist eine berechtigte Angst in Häusern, die man übernimmt und die zuvor schon von zwei, drei anderen Parteien bewohnt wurden. Menschen klatschen ganze Gebäudeteile mit Rigipsplatten oder hauchdünnen Sperrholzwänden zu. Klopft man mal aus Spaß alle vorhandenen Wände und Ecken behutsam mit der Faust ab, entdeckt man mehr versteckte Bonushöhlen als in Super Mario Land. Es scheint eine westfälische Sitte zu sein. Immer wieder hört man zwischen Paderborn, Münster und Telgte von wundersamen Hausvergrößerungen um bis zu 150 Quadratmeter, sobald die Bewohner die Hälfte ihrer Wände entfernt haben und dahinter unerwartet ganze Geheimwohnungen vorfanden.

»Gobi!!??«, rufe ich erneut. Dabei stelle ich mir ganz fest das appetitlich glänzende Fleischmenü vor. Die Katze soll das Bild in meinem Kopf telepathisch empfangen und unwiderstehlichen Appetit bekommen.

»Ich gehe auch sofort los und hole zur Poularde noch Hühnchen in Kräutern dazu. Und Putenhäppchen in heller Soße!«

Langsam bekomme ich selber Hunger bei der Aufzählung. Ich verfüttere sowieso nichts, was ich nicht grundsätzlich selber probiert habe. Die Kräuterkomposition von Sheba ist reizvoll. Die helle Soße an der Pute ist auch nicht übel, aber ein wenig zu bitter. Wie angebratene und wieder kalt gewordene Leber vom Grill.

»Mäh!«

Gobi steht auf den Treppenstufen hinter uns. Als hätte sie die ganze Zeit da gehockt oder wäre eben wie bei Akte X aus der Wand heraus teleportiert. Sie betont das »Mäh!« so, als wäre sie immer noch beleidigt, wüsste aber auch, dass sie es mit dem Verstecken ein wenig übertrieben hat.

FEINE LAUTE
Das berühmte »Miau« kommt im Alltag mit Katzen viel seltener vor als unzählige Versionen von »Mau!«, »Meh-au!«, »Miek!« oder eben »Mäh!«, um nur die häufigsten zu nennen. Letzteres darf man sich nicht wie das Mähen von Schafen vorstellen, sondern wie eine einzige putzige Patzigkeit. Von jedem Laut, den die Katze von sich gibt, existieren unzählige Varianten. Durch Feinheiten in der Betonung bringt es die Katzensprache auf ebenso viele Vokabeln wie die Menschensprache durch ihre Vielfalt der einzelnen Wörter. Wobei mit »Katzensprache« lediglich die Kommunikation mit dem Menschen gemeint ist. Untereinander verständigen sich Katzen – vom Fauchen einmal abgesehen – rein telepathisch sowie durch Gestik und Mimik. Die Deutung der Körpersprache kann man als Mensch schnell lernen. Für den Gedankenkanal der Telepathie wird man erst mit der Zeit offen.

»So«, sagt Sylvia, »dann aber flott. Wenn wir unsere Versprechen jetzt nicht halten, verschwindet die Süße das nächste Mal für Tage im Schornstein.«

Gobi schaut Sylvia entsetzt an, als sie das sagt. Nicht, weil es eine unfaire Unterstellung wäre. Eher, als wolle sie sagen: »Mist, das mit dem Schornstein kann ich jetzt vergessen.«

»Gut«, fasse ich zusammen, »wir haben 17 Uhr. Ich muss zu Edeka und Poularde holen. Danach sollten wir die Schreibtische aufbauen.«

Sylvia nickt und fügt hinzu: »Heute mindestens die Schreibtische. Streng genommen haben wir ja eben versprochen, dass du mit mir im Eiltempo alle Möbel aufstellst.«

»Aber ich muss auch noch Artikel abgeben!«, protestiere ich.

Der Chef des Magazins, für das ich zurzeit arbeite und jeden Tag nach Dortmund in die Redaktion fahre, hat mich für vier Wochen von der Anwesenheitspflicht freigestellt. Ich darf Home Office machen. Mit Betonung auf Office. Von Home-Baustelle war nur die Rede, wenn ich dennoch pünktlich meine Texte abliefere. Plattenkritiken zum Beispiel. Die Musik, die ich dort bespreche, hat sehr häufig damit zu tun, dass Männer sehr wütend schreien. Das kann kein Mensch nebenher hören, wenn er Möbel aufbaut. Vor allem keiner, dessen räumliches Denkvermögen im Vergleich zu dem seiner Frau ungefähr den sprachlichen Kapazitäten eines Lukas Podolski entspricht.

Gobi sagt: »Mauk!«

Das ist ein ganz seltenes Wort. Scharf wie Chili und streng wie ein richterlicher Beschluss.

»Mauk!« heißt: »Ich weiß, was du gerade denkst, aber wegen Kinkerlitzchen wie dem Beruf wird hier nicht verhandelt. Kopfhörer auf und Möbel bauen! Zack! Aber vorher Poularde holen. Poularde, Kräuterhuhn und Putengeschnetzeltes!«

»Siehst du«, sagt Sylvia und zeigt auf die Katze: »Sie sagt ›Mauk!‹«

»Ich weiß«, seufze ich.

Eine Stunde später zieht Gobi ihre Zunge durch die Soßen des Drei-Schälchen-Auswahlbüfetts, während im Obergeschoss der Akkuschrauber röhrt. Die Schrauben zwischen Schreibtischbein und Platte direkt vor den Augen, denke ich an die Tische, unter denen ich mich als Kind versteckte, wenn ich mit meinen Eltern zu Gast in der Wohnung ihrer besten Freunde war. Nichts konnte mich beruhigen, als sie ungefragt diese kleine Welt auflösten. Ich protestierte. Verfluchte das neue Stadtviertel. Weigerte mich, das teure Mietshaus mit den japanischen Nachbarn zu betreten. Versteckte mich aus Protest im Treppenhaus in einer gigantischen Vase. Erst ein Büfett bei McDonald’s konnte mich beruhigen. Mit drei Soßen.

Der Mensch und die Katze, sie teilen mehr als nur ein paar Gene.

»Ein Kätzchen ist für die Tierwelt, was eine Rosenknospe für den Garten ist.«

Robert Southey

Heißt auf Deutsch:

Die Rosenknospe wächst nicht einfach so in der Luft des Gartens. Sie ist üblicherweise an einem Rosenstock befestigt. Und die Rose sticht. Lernt man nicht den richtigen Umgang mit ihr, blutet man schnell aus allen Löchern. Rosen sind keine Tulpen. Ihre atemberaubende Schönheit ist hart erkauft.
Wäre eine Rose wie eine Katze, würde sie sich schon gegen das Einpflanzen wehren. Natürlich wüsste sie, dass man es gut mit ihr meint und der neue Garten der richtige ist, damit der Stock wächst und gedeiht, aber gestochen würde allein aus Prinzip.
Wäre eine Rose wie eine Katze, käme sie voller Misstrauen von ihrem ursprünglichen Züchter in ihr neues Zuhause. Sie würde den Menschen, der verspricht, sich um sie zu kümmern, unerbittlich auf seine Fähigkeiten als Gärtner testen.
Den Passanten, die am Gartenzaun vorbeispazieren, böte sich ein unnachahmliches Schauspiel. Ein Mann in Latzhose und Strohhut oder eine Frau in geblümter Bluse kämpft – dicke Handschuhe an den Händen – mit der widerspenstigen Rose. Er streitet, diskutiert und redet auf sie ein, während sie ihn sticht. Erdkrume fliegt durch die Gegend. Blutstropfen tränken den Randstein. Vögel sitzen in den Bäumen und Hecken und geben Wetten darauf ab, wer gewinnt. Die Spatzen setzen auf den Menschen, die Rotkehlchen auf die Rose. Ein Kleiber läuft als Buchmacher umtriebig zwischen ihnen die Äste auf und ab. Ist die Rose schließlich eingepflanzt, wird sie erblühen. Der Mensch hat es mit Narben in der Haut bezahlt, die er sein Leben lang liebevoll als Erinnerung streichelt.

Die Integration (1) oder wie man einen misstrauischen Scheunentiger zähmt

Die Katze braucht Gesellschaft. Die Katze braucht Gefährten. Allerdings gilt für alle Beteiligten, dass für eine gelungene Integration viele Sensibilitäten beachtet und faire Geschäftsbedingungen ausgearbeitet werden müssen. Diese Aufgabe erfordert kluge Entscheidungen, vollen Einsatz und besten Willen aller beteiligten Menschen und Tiere. Eine strenge Erziehung spielt dabei ebenso eine Rolle wie bedingungslose Liebe und das Wissen darum, dass wir alle die Welt immer noch wie ein Wunder betrachten, solange wir klein genug sind.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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