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Unser emotionales Leben vollzieht sich zwischen den Polen Kränkung und Anerkennung. Der Bedarf an Anerkennung scheint dabei unerschöpflich: Wieder und wieder wollen wir anerkannt sein, in unserem Charakter, in unserem Beruf und Körper, wieder und wieder brauchen wir neuen Zuspruch. Wo einem solche Anerkennung verweigert oder entzogen wird, da tritt die Kränkung auf den Plan: Wir sind gekränkt, wenn wir uns missachtet und ungerecht behandelt fühlen, wenn wir zurückgesetzt und respektlos behandelt werden, wenn wir nicht so wahrgenommen werden, wie wir es uns wünschen. Je stärker das Streben nach Anerkennung, desto größer das Risiko von Kränkung. In der heutigen Zeit scheint das Kränkungsgefühl besonders verbreitet. Weshalb behalten wir Kränkungen so gut im Gedächtnis? Warum leiden Künstler so sehr, wenn ihre Werke keine Anerkennung finden? Wie kränkt und wie anerkennt man mit Blicken? Wie wird der Tod als wohl größte Kränkung des Lebens inszeniert? In ihren Essays geht Corina Caduff sowohl von eigenen Erfahrungen - unter anderem einem Gang zu einem Medium, das Kontakt mit dem Jenseits verspricht - als auch von Beispielen aus dem Kunstbetrieb oder der Wissenschaftsgeschichte aus. Dabei behandelt sie scheinbar Entlegenes genauso wie klassische Themen: Geld, Krankheit und das Antlitz von Toten.
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Seitenzahl: 171
Die Autorin
Corina Caduff, geboren 1965 in Chur, ist Professorin an der Zürcher Hochschule der Künste. 2005–2009 war sie Mitglied des »Literaturclubs« (Schweizer Fernsehen). Sie promovierte 1991 über Elfriede Jelinek, arbeitete 1992–1994 als Redaktorin bei Schweizer Radio DRS 2 und habilitierte sich später an der Technischen Universität Berlin. Im Lenos Verlag erschien 2007 ihr Buch Land in Aufruhr. Die Künste und ihre Schauplätze und 2013 Szenen des Todes. Sie lebt in Zürich.
Kränken und Anerkennen
Fliegen
Kränkung, Anerkennung
Krankheit, Tod, Literatur
Kunst und Kritik
Erschrecken
Geld
Blicken
Die Kränkungen der Menschheit
Tote zeigen
Die Anerkennung des Jenseits
»Jetzt! Lauf, lauf!«, schreit er hinter mir. Ich renne los, blindlings stürme ich nach vorn und renne, so gut ich kann, gegen die Kraft an, die mich an den Schulterriemen zurückzieht, ich renne und renne– und schon mache ich die ersten Schritte im Leeren, zugleich zieht es mich hoch, ich höre auf mit den Beinbewegungen, schaue, starr vor Schreck und Freude, den steilen Bergabhang hinunter und kralle mich mit den Händen an den Seilen fest.
»Geht es?«, fragt er zwei, drei Sekunden später dicht hinter mir. »Ja«, sage ich mit klarer Stimme, »ja, es geht gut.«
Ich hänge mit Marcel an einem Gleitschirm über der Rigi. Ich mache einen sogenannten Passagierflug, das heisst, wir hängen zu zweit an einem Schirm, ich vorn, er hinten. In praktisch jedem Fluggebiet findet sich dieses Angebot. Der Passagier muss nichts können– ausser loszulaufen, mit seiner ganzen Kraft, mit Vertrauen und Lust, über alle Abgründe hinweg.
Dieses Loslaufen in die Luft hinein ist das Schönste. Dieses Loslaufen verwandelt.
Angefangen hat es, so rede ich mir ein, mit Träumen. Ich träumte ab und zu vom Fliegen über den Bergen, genauer gesagt von einer Art Schweben, von einem Vorankommen in riesigen Gleitschritten nahe der Erdoberfläche, über Bergkuppen und Abhängen, ein Schweben hoch oben, bei dem ich bisweilen mit dem einen oder anderen Fuss in einer Lichtung oder an einem Hang aufsetzte, um wieder an Höhe und Schwebkraft zu gewinnen. Das Traumgefühl bei diesem Fliegen ist äusserst angenehm, sehr tief und ruhig, ganz und gar friedlich und schön.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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