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Vom Tod ist die Rede. Man stellt ihn zur Debatte, man macht ihn öffentlich: Er ist Thema in Talkshows und im Reality-TV, in Büchern und im Internet sowie bei Fotografen, die verstorbene Familienmitglieder auf dem Totenbett oder anonyme Leichname in Leichenschauhäusern ablichten. Darüber hinaus ist das Jenseits hoch im Kurs: Im Film, in der Esoterik und auch in der Alternativmedizin wird kurzerhand »nach drüben« durchgesprochen. Corina Caduff sucht unterschiedliche Schauplätze des Todes auf: Sie geht in ein Krematorium und nimmt an einem Kurs »Bewusstes Sterben« teil, sie beschäftigt sich mit dem Tod in der Literatur, der Kunst und den neuen Medien, sie spaziert durch einen FriedWald und analysiert heutige Trauerreden. Und sie begibt sich in Form eines Selbstexperiments zu einem Psychologen, der Rückführungen in frühere Leben vornimmt. Ihre Essays zeigen auf, wie das Thema in den taumeligen Höhen der heutigen säkularen Hochleistungsgesellschaft aufschießt und Spannung erzeugt: Viele der aktuellen Figurationen des Todes mäandern zwischen Markt, Event und Voyeurismus, und dennoch zeigt sich das Bedürfnis, sich mit Sterben und Tod auf eigentliche, existentielle und erkenntnisbringende Weise auseinanderzusetzen.
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Seitenzahl: 262
Veröffentlichungsjahr: 2013
Corina Caduff, geboren 1965 in Chur, ist Kultur- und Literaturwissenschaftlerin an der Zürcher Hochschule der Künste. Sie promovierte 1991 über Elfriede Jelinek, arbeitete 1992–1994 als Redaktorin bei Schweizer Radio DRS 2 und habilitierte sich später an der Technischen Universität Berlin. 2005–2009 war sie Mitglied des Literaturclubs (Schweizer Fernsehen). Corina Caduff hat mehrere Bücher publiziert, im Lenos Verlag Land in Aufruhr und Kränken und Anerkennen. Sie lebt in Zürich. http://corinacaduff.zhdk.ch.
Im Krematorium
Leichen sehen, Tote zeigen
Der Leichnam
Der anonyme Leichnam in der Kunst
Das Zeigen von toten Geliebten
Der Politleichnam im Mausoleum
Die Fernsehshow Over Mijn Lijk: Sterben im Boulevardformat
Das Raunen des Jenseits
Mit Geistheilung und Kinesiologie gegen den Tinnitus
Kontakte mit dem Jenseits
Reinkarnation en vogue
Die neue Todesverdrängung
Phowa – Sterben üben im Allgäu
Schreiben über Sterben, Tod und Tote
eTod
Digitale Hinterlassenschaft
Go public postum
Virtuelle Friedhöfe
Rating der Toten als Wettbewerb der Trauer
Die Leugnung des toten Körpers
Bestattung
Gemeinschaftsgrab, FriedWald
Trauerfeier heute: Wer spricht?
Tod heute. Nachwort
Die Temperatur im Kühlraum beträgt fünf Grad Celsius. Er ist vorausgegangen, ich bin ihm zögerlich gefolgt, die Tür hinter uns bleibt offen. In den nächsten Sekunden sagt er nichts, offensichtlich gibt er mir Zeit, mich etwas einzufinden. Verschlossen stehen sie da, auf Bahren, eng nebeneinander aufgereiht an den Längsseiten des weissgekachelten Raumes. Unwillkürlich fange ich an sie zu zählen. Vier von ihnen fallen sofort ins Auge, da sie aus hellem, fast weissem Pappelholz verfertigt sind; die anderen vierzehn sind aus unterschiedlichem hellbraunem Holz gemacht.
Ich gehe behutsam ein paar Schritte in der freien Mitte hin und her, bleibe stehen, schaue die Särge auf der einen Seite an, drehe mich leise um, schaue zur anderen Seite hin. Er lässt mir Zeit. Die Kälte macht sich nicht bemerkbar.
»Ich würde Sie gern in zwei, drei Särge hineinschauen lassen«, sagt er dann. Es ist keine Frage, er fragt nicht. In diesem Moment erst weiss ich, dass ich an diesem Tag Leichen sehen werde.
»Mhm«, sage ich nur und nicke dabei.
Die Selbstverständlichkeit, mit der mir Herr Zimmermann diesen Blick anbietet, geht mir unter die Haut. Hätte er mich gefragt, ob er einen Sarg öffnen solle, hätte ich aus Pietät womöglich verneint oder zumindest verhalten reagiert; jetzt aber, mit dieser ungezwungenen Setzung, scheint es kein Problem.
Gezielt, aber ohne Hektik geht er auf einen bestimmten Sarg zu und öffnet den Kopfverschluss, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die Toten mit den Füssen zur Wand und mit dem Haupt zur Raummitte hin liegen und dass es etwas unangenehm sei, von dieser Mitte aus, wo wir stehen, in die Särge hineinzuschauen. Dann lädt er mich mit einer zurückhaltenden Geste ein, an den Sarg heranzutreten. Ich senke den Kopf und mache zwei bedächtige Schritte auf besagten Sarg zu, wo mein Blick auf das Gesicht einer alten, etwa fünfundachtzigjährigen Frau fällt. Ihr erhobener Nasenrücken sticht mir als Erstes ins Auge, was mit meiner Perspektive zu tun hat, die tatsächlich etwas unangenehm ist, da ich direkt senkrecht von oben herab in das Gesicht der Toten schaue. Ihre Wangen sind, wie könnte es anders sein, eingefallen. Zugleich bin ich überrascht von der blanken Sauberkeit, die mir entgegenschlägt: Das Innere des Sarges ist mit weisser Polsterung ausgelegt, die links und rechts neben dem Gesicht aufleuchtet. Zudem hat die Tote ein helles Kleid an, dessen Ansatz ich am Hals sehen kann, und nicht zuletzt trägt wohl auch ihr schlohweisses Haar zu meinem bleibenden Eindruck von Hellem, Weissem bei. Alles ist fein säuberlich hergerichtet, alles ist hübsch, schmuck.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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