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Für oder Wider die chirurgische Behandlung?
Eine Entscheidungshilfe, basierend auf Wissenschaft und 30-jähriger Erfahrung
Das E-Book Krankhaftes Übergewicht wird angeboten von Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Krankhaftes Übergewicht, Magenballon, Magenbypass, Schlauchmägen, Body Mass Index
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Seitenzahl: 62
Veröffentlichungsjahr: 2023
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„Keine Armee der Welt kann sich der Macht einer Idee widersetzen, deren Zeit gekommen ist.“
Victor Hugo
Prolog
Einführung
Evolution und Umfeld
Genetik
Training und Kalorien, Energiebilanz
Die Operationen
Anforderungen an ein Zentrum
Die Nachsorge
Das Gewicht in der Nachsorge
Die unerwünschten Folgen
Empfehlungen für Patienten, welche sich nicht operieren lassen wollen
Schlusswort
Rückblick und Danksagung
Über den Autor
Podcasts rund um das Thema Übergewicht
Curaçao, eine Woche tauchen mit einem meiner Söhne, wir kochen selbst. Ein bedauernswerter Strassenköter, auf die Knochen abgemagert. Ein ganzes Huhn, nicht mehr so ganz frisch. Der Hund lässt sich nicht lange bitten. In Windeseile verschlingt er die Beute. Die Knochen knirschen, splittern, er leckt sich die Zunge … ein paar Tage länger überleben. Das Tier hat kein Bewusstsein im menschlichen Sinn. Keine Verhaltensnormen. Es frisst aus Not, seinem Fresstrieb folgend.
Wie alle Tiere … und auch der Mensch. Bloss leben wir in unseren Breitengraden im Überfluss, wir müssen nicht mehr verschlingen und nach links und rechts schauen, dass uns niemand etwas vom Essen wegnimmt. Trotzdem ist unser Essverhalten unbewusst gesteuert und bei etwa fünf bis acht Prozent der Bevölkerung ist diese Steuerung entgleist. Um diese «Minorität», bei welcher der Bodymassindex (BMI) den Grenzwert von 35 überschritten hat, geht es in diesem Buch. Dieser Grenzwert ist rein arbiträr und spiegelt die klinische Bedeutung der Adipositas ungenügend, aber stellt weltweit den Grenzwert zur Indikation für die chirurgische Behandlung dar. Früher sprach man von morbider Adipositas, heute entspricht dies der Adipositas Klasse 2 oder höher.
Wenn ich Erstpatienten, die wegen eines bariatrisch chirurgischen Eingriffs bei uns angemeldet sind, empfange, habe ich stets eine Schachtel Papiertaschentücher in Griff weite. Dabei bin ich der Handwerker, der Chirurg, also stehe wohl am Ende der Entscheidungskette. Die Patienten müssten eigentlich ihre Tränen lange schon vorher vergossen haben. Klar, nur wenige werden derart berührt, dass sie weinen, aber alle ein bisschen. Dabei mache ich nichts Anderes, als den 5 A zu folgen, die von der kanadischen Adipositasgesellschaft als Prinzipien eingeführt worden sind (www.obesitycanada.ca/5As). Ich höre zu, ich urteile nie, ich erkläre, biete Hilfe und vor allem: ich entlaste von Schuld. Gerade Letzteres ist eben ein zentraler Baustein im Teufelskreis der Adipositasentwicklung eines jeden Einzelnen, gleichzeitig Folge und Ursache vieler Jahre Stigmatisierung und Diskriminierung durch ihr Anderssein. Sie weinen nicht, weil sie von mir, meistens auch zum ersten Mal, hören, dass sie an einer chronischen, unheilbaren Krankheit leiden. Auch nicht Tränen der Erleichterung, dass sie an ihrer Adipositas nicht selbst schuld sind. Nein, es ist die emotionale Reaktion ob all dem Unrecht, dem Mobbing, welches viele von ihnen über Jahre erdulden mussten. Adipöse sind stigmatisiert und werden diskriminiert. Häufig erfahren sie bei uns zum ersten Mal, was ihnen zusteht: Würde und Respekt!
„Es ist leichter, einen Atomkern zu spalten als ein Vorurteil.“
Albert Einstein
Sie müssen dieses schwere Übergewicht tagtäglich bewegen, geradeaus, treppauf oder -ab. Das Gewicht belastet Gelenke, Rücken aber auch das Herz, die Atmung und schadet allen Organen, auch wenn Sie nicht alle Belastungen schon früh wahrnehmen, vielleicht weil Sie noch jung sind. Adipöse Menschen sind stigmatisiert, werden diskriminiert und in den Augen der Mehrheit sind sie an alledem auch noch selber schuld. Das ist die allgemeine Wahrnehmung, auch von den Betroffenen selbst. Sie haben es wahrscheinlich auch satt, zu leiden, an Diäten zu denken, täglich, stündlich, immer. Auch keine Lust mehr, erklären zu müssen, warum es einfach nicht klappen will mit dem Abnehmen, auf der Arbeit, im Freundeskreis und nicht zuletzt, sich selbst.
Sie haben es auch satt, all den gut gemeinten Empfehlungen zuzuhören, mit dieser und jener Diät zu beginnen (welche kennen Sie schon nicht?). Sie meinen, vielleicht versagt zu haben und selbst schuld zu sein. Vielleicht sind Sie auch im sozialen Umfeld betroffen. So werden normalgewichtige Mütter (seltener die Väter) übergewichtiger Kinder unter Druck gesetzt, ja beschimpft, die Kinder falsch zu ernähren. Sorgen, wie diese höre ich immer wieder. Es kommt zu sozialem Rückzug. Diese schlanken Mütter getrauen sich genauso wenig mit ihren übergewichtigen Kindern «unter die Leute» wie die adipösen Mütter mit ihren schlanken Kindern. Noch schlimmer: Kleine Kinder haben keine Hemmung der Mami zu sagen, sie sei zu dick und sie möchten lieber mit dem schlanken Papi ins Schwimmbad. Da bricht schon einmal der Widerstand und ebnet den Weg zur Erkrankung des Gemüts.
Aber: Diese Mütter sind nicht schuld, sondern das obesogene Umfeld, welches den betroffenen Kindern reichlich und schlechte Nahrung bietet. Spätestens in der Kantine der Schule, denn auch deren Pächter verdienen mehr an einem Schokoriegel, als an einem Apfel. Junkfood trifft auf hungrige Gene! Mehr dazu später. Die allermeisten der schwer Übergewichtigen leiden! Viele unterschätzen die Krankheit mit all ihren Folgen und viele Betroffene wagen es nicht, sich operieren zu lassen. Tatsächlich hat jede Technik der bariatrischen Chirurgie auch unerwünschte Folgen, Risiken und Komplikationen. Diese, genauso wie deren Grenzen, muss ein Patient kennen, bevor er entscheiden muss oder überhaupt kann. Solange Sie sich in der Phase der Aufrespektive der Abklärung befinden, gehen Sie kein Risiko ein. Den Entscheid sollten Sie nicht «aus dem Bauch heraus» machen, sondern nach reiflichem Abwägen zwischen dem Dasein als Adipöser oder als chirurgisch «korrigierter» Adipöser. Die erwünschten und unerwünschten Folgen des Eingriffs lassen sich nicht wählen wie ein Döner «mit allem und ohne scharf» oder wie die Entfernung einer steinbefallenen Gallenblase. Ihre Veranlagung bleibt zeitlebens, auch die Folgen der chirurgischen Korrektur, nur dass diese Folgen in der überwiegenden Mehrheit gut kontrollierbar sind, während diejenigen der Krankheit Übergewicht eben nicht.
Sie haben sich zur Operation entschlossen oder erwägen ein solche? Weil Sie zum Schluss gekommen sind, dass dies die letzte Chance ist. Um genügend und vor allem anhaltend Gewicht zu verlieren. Die letzte? Die einzige eher, für die Allermeisten unter den Betroffenen.
Ich war nie besonders gut in Mathematik. Aber einfache Zahlen bin ich durchaus imstande zu interpretieren. Das machen nicht alle, obwohl, wie gesagt, dazu keine besondere Mathematikbegabung Voraussetzung ist: Die Langzeitergebnisse aller nichtchirurgischen Behandlungsstrategien bei Menschen mit einem BMI von über 35 (arbiträre Grenze) sind enttäuschend. Nur sehr wenige (einstelliger Prozentbereich) erreichen eine BMI Reduktion um 10 bis 12 oder mehr Punkte wie nach der bariatrischen Chirurgie, und können dies über Jahre halten. Diese Erkenntnis ist robust. Neuere Behandlungsmöglichkeiten mit Sättigungshormo-nen machen zwar Gewichtsverluste um zehn bis 15 Prozent vom Körpergewicht möglich. Bei einem Körpergewicht von beispielsweise 150 Kilogramm, also um die 15 bis 18 Kilogramm. Zuwenig halt und zudem bedeutet dies eine lebenslange Therapie mit unsicherer Kostendeckung und unbekannten Langzeitergebnissen.